Rabenkrone von BluejayPrime ================================================================================ Kapitel 1: Wieder zurück ------------------------ Trusting and warm Blessed this bond A child is born „A Child Is Born“ (Dianne Reeves) ~*~   Argwöhnisch musterte der Zwergling die Mauerkrone. Etwas war anders, das hatte er gleich gesehen; die Steine, alt und grau und rissig, hier und dort bislang notdürftig ausgebessert, waren von seltsamem weißen Stoff überzogen, und er konnte sehen, wie mehr davon vom Himmel fiel, aber er war nicht groß genug, um bis an die Mauerkrone... wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte vielleicht... Er machte die Probe aufs Exempel und erhaschte mit den Fingerspitzen eine Handvoll; es war eklig kalt und nass an seinen Fingern und hielt nicht besonders lange. Irritiert starrte er auf seine Finger hinab, unsicher, ob er jetzt traurig sein sollte oder nicht. „Na, wer ist denn da seinem Unterricht entwischt?“, erklang eine vertraute Stimme hinter ihm; der Junge quietschte, als starke Arme ihn hoch hoben und sein Onkel ihn mit einem leisen Ächzen auf der Mauerbrüstung absetzte. „Du hast ganz schön zugenommen, Knirps“, stellte er fest und strich ihm dabei ein paar verirrte Schneeflocken aus den blonden Haaren; der Junge gluckste und zog den Kopf ein. „Deine Mutter würde dir jetzt was über warme Kleidung erzählen“, raunte er ihm verschwörerisch ins Ohr, und der Junge verzog das Gesicht. Er hatte vielleicht noch nie Schnee gesehen, aber er wusste, dass es im Winter kalt wurde im Berg, und dann musste man sich wärmer anziehen und das machte einen steif und unbeweglich und man konnte nicht mehr auf Sachen klettern und so... Dennoch huschte sein Blick skeptisch auf seinen Onkel hinunter. „Keine warme Kleidung“, stellte er fest und vergrub die kleinen Hände in blauem Stoff und Leder. Der Körper des Erwachsenen war angenehm warm gegen das kalte weiße Zeug, zufrieden ließ er seine Hände dort ruhen und spürte die vertraute Wärme seiner Familie, den Herzschlag seines Onkels und irgendwo unter dem Stoff auch die glatte Oberfläche einiger Narben, von denen er wusste, dass sie aus irgendeinem Krieg waren, so viel hatte seine Mutter ihm erzählt, und deshalb waren sie hier hin gekommen und... „Mmh.“ Erneut fuhr der Ältere ihm durchs Haar und stellte nach einem kurzen, skeptischen Blick fest, dass es sich vermutlich eh nicht lohnte, ihm Zöpfe zu flechten. „Was hältst du davon, wenn ich dich jetzt zu Balin zurück bringe und wenn du fertig bist, zeig ich dir, wie man Schneebälle auf Eisenbergzwerge schmeißt?“ Der Junge grinste breit. „Okay!“ Bereitwillig ließ er sich hochheben und schmiegte sich dicht an den Älteren. „Ich schätze, wenn du artig bist, kriegst du auch ein paar nette Geschenke am Yulfest“, murmelte er ihm ins Ohr; das gefiel dem Jungen selbstverständlich noch wesentlich mehr und zufrieden baumelte er mit den stämmigen Beinchen. „Und wenn nicht?“, fragte er, in seiner Stimme die deutliche Überlegung, wieviele Geschenke potentielle Untaten wohl aufwogen. Kili grinste auf ihn hinunter. „Dann holen dich die Orks!“ Tückisch zwickte er den Jungen in den Bauch; dieser krümmte sich demonstrativ, um anschließend wie tot in seinen Armen hängen zu bleiben, die Zunge kunstvoll aus dem Mundwinkel gereckt und die Augen verdreht. „Ich nehme an, das ist das, was du unter Geschichtsunterricht verstehst.“ Filis Augenbrauen hoben sich in demonstrativ kronprinzlichem Ernst, als er seinen Bruder und dessen Fang musterte, der sich beim Klang seiner Stimme sofort wieder aufrichtete und „Adad!“ krähte. „Weißt du, was Onkel sagen würde, wenn er das hören würde?“ Kili setzte den Jungen ab, der zu seinem Vater hinüber stürmte und zielsicher dessen Hosenbein als nächsten Halt auswählte. „Ich nehme an, es würde mich ein paar Geschenke kosten“, antwortete er grinsend und rieb sich dabei unauffällig den Oberschenkel - in der Kälte schmerzte der Muskel ab und an. „Ich nehme eher an, du würdest dazu verpflichtet, Amad mit den restlichen Vorbereitungen zu helfen“, antwortete Fili und erwiderte das Grinsen, „Die erwartet dich übrigens sowieso, und ich kann mich auf kronprinzliche und väterliche Pflichten raus reden...“ Kili verdrehte die Augen. „Weil sie ja mit Bombur und Dori und den ganzen Mädels noch nicht genug Leute hat, die ihr Tabletts tragen helfen...“ „Tabletts voller Kekse und Honigkuchen, also bring mir gefälligst was mit“, antwortete Fili und schob seinen Sohn ungeachtet dessen leiser Proteste zurück ins Studienzimmer, „Übrigens, was die Eisenbergzwerge angeht, könnt ihr auf mich zählen.“ Kurz beobachtete er, wie Kili, mit der Aussicht auf Süßigkeiten nicht mehr ganz so düster dreinblickend, Richtung Hofküche verschwand, bevor er sich davon überzeugte, dass Balin den Jungen im Griff hatte und selbst auf den Balkon hinaustrat. Selbst der Schnee hatte die Spuren nicht ganz verdecken können, die der Drache hinterlassen hatte - wulstig und grob stachen die heraus gebrochenen Mauerstücke hervor, fast wie Narben auf dem Panzer des Erebors. Für einen Augenblick presste Fili die Lippen zusammen - sie hatten alle Narben davon getragen, richtig? Reflexartig zuckten seine Finger auf seine linke Seite, dort, wo Azogs Streitkolben ihm die Rippen gebrochen und sein Warg ihm die Haut zerfleischt hatte - aber ihm, nicht Thorin und nicht Kili, das war das wichtige daran... sie mussten die Mauern reparieren, aber das ging erst im Frühling, wenn es leichter war, aus den Eisenbergen Handwerker kommen zu lassen und Steine zu meißeln... „Du grübelst schon wieder.“ Nals Finger glitten ihm sachte durch die blonden Locken, als er sich zu ihr umdrehte, um sie auf den Mund zu küssen. „Du grübelst eine ganze Menge, das bin ich gar nicht gewohnt“, merkte sie mit einem Schmunzeln an, als sie die Arme um seinen Hals schlang, „Wie soll mir das erst werden, wenn du König bist?“ Fili schmunzelte halb verlegen. „Ich tu' mein Bestes.“ „Ich weiß.“ Sie schlang die Arme ein wenig mehr um ihn. „Und bevor ich dir jetzt das gleiche sagen muss wie Thor... würde ich vorschlagen, wir lassen die Mauern Mauern sein und gehen rein, und wenn du dann heute Abend genug Schneebälle auf Eisenbergzwerge geworfen hast, kommst du zu mir in die Badewanne und vielleicht bin ich gnädig und du darfst meine Haare waschen.“ Sie grinste und Fili nutzte die rasche Gelegenheit, um sie erneut zu küssen. „Vielleicht sollte ich das mit den Schneebällen weglassen und wir gehen direkt in die Wanne“, schlug er vor, „Es ist ziemlich kalt hier, und Thor und Kili sind beide beschäftigt, und... wir könnten das quasi vorziehen...“ „Mmh. Aber irgendwer muss unseren Schneeballrekord halten“, merkte Nal an, obwohl er spüren konnte, wie ihre Finger zielsicher unter sein Hemd glitten, „Ich hab mir so viel Mühe gegeben damals...“ „Ich wäre auch damals schon mit dir baden gegangen“, antwortete Fili, vielleicht ein bisschen atemlos, und kam nicht umhin, die Arme ein wenig mehr um ihre Hüfte zu schlingen. „Ich weiß“, antwortete Nal mit einem weiteren Grinsen und dirigierte ihn zielstrebig zurück ins Innere des Berges.   In seinem Leben hat er mehr als eine Schlacht gefochten, aber im Schlaf verschwimmen die Grenzen. Der Rauch beißt genauso wie die Klingen der Orks, das Feuer wärmt die Kälte in seinem Inneren nicht, im Fackelschein sieht jedes Blut schwarz aus, auch sein eigenes. Die heiseren Schreie in seinen Ohren könnten Filis sein, oder Frerins, oder seine eigenen. Sie haben den Jungen beigebracht, Rücken an Rücken zu kämpfen, und Fili steht immer rechts von seinem Bruder, um die schwache Seite des Linkshänders zu decken, doch jetzt ist Kili allein, und in seinen Augen glimmt etwas, was Drachenfeuer sein könnte. Vielleicht ist irgendein Teil von ihm auch beeindruckt. Durch den Rauch erkennt er matt im Schlamm den blonden Haarschopf seines Bruders... Die Zähne von Azogs Warg schienen Thorin erneut den Brustkorb einzudrücken, als er aufwachte. Ihm war übel und er schmeckte bittere Galle auf der Zunge; mit Mühe zwang er sich, tief durchzuatmen, um die Enge zu vertreiben. In der Luft roch es nach Schnee, selbst in den königlichen Quartieren tief im Berg. Es dauerte seltsam lange Sekunden, bis es ihm gelungen war, seinen Atem zu beruhigen, und noch etwas länger, bis der Schwindel und die Übelkeit abgeebbt waren; andererseits war das nichts, was er nicht schon gewohnt gewesen wäre. Er richtete sich auf und streifte seine Tunika über - schlafen würde er heute Nacht wohl ohnehin nicht mehr -, um auf den Gang hinauszutreten. Wenig überrascht stellte er fest, dass er offensichtlich nicht der einzige war, der nicht schlafen konnte, als er einen kurzen Blick in das Zimmer von Filis Sohn warf. Der Siebenjährige schlief tief und fest, alle Viere von sich gestreckt, als gehörte ihm die ganze Welt; das einzige Geräusch im Zimmer war das leise Schaben von Kilis Schnitzerei. Er fuhr hoch und schnitt sich dabei in den Daumen, als sein Blick auf Thorin fiel; mit einem verlegenen Grinsen saugte er an dem kleinen Schnitt und warf Thorin einen fragenden Blick zu, bevor er sein Messer und seine Arbeit (Thorin erkannte den halb fertigen Umriss eines Ponys) in den Taschen seines Umhangs verschwinden ließ und zu ihm herüber kam. „Ich kann nicht so gut schlafen“, murmelte er mit einem verhaltenen Lächeln, nachdem er die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, „Oin meint, das liegt an - äh, dieser Morgulsache...“ Ein wenig fragend sah er Thorin an, beinahe, als erwarte er einen Vortrag über gesunden Nachtschlaf. Thorin antwortete nicht; für Sekundenbruchteile huschte eine beinahe überraschende Müdigkeit über sein Gesicht. „Ich weiß, was du meinst“, antwortete er dann leise. Schweigend folgte Kili ihm den Gang ein Stück hinunter. „Du hast mir nicht gesagt, dass du auch Alpträume hast“, sagte er schließlich ein wenig zögerlich. „Könige haben keine Alpträume“, antwortete Thorin und konnte nicht ganz verhindern, dass seine Stimme ein wenig sanfter wurde, „Onkel schon.“ Kili grinste halb verlegen, doch er sagte nichts, griff nur flüchtig nach Thorins Ärmel, bevor er die Hand rasch wieder senkte. „Ich hab nicht gedacht...“ Er räusperte sich. „Ich meine - ich dachte immer, es wäre - heldenhafter. Schlachten. Einen Drachen töten. Solche Sachen.“ Sterben zum Beispiel, hing unausgesprochen hinter seinen Worten. „Aber es ist alles nur irgendwie schmutzig und ermüdend und...“ Ein wenig fragend sah er Thorin an. „Dwalin hat so oft angegeben damit, wie viele Orks er umgebracht hat, ich dachte...“ „Ich weiß.“ Thorin blieb stehen und warf einen Blick über die Brüstung des Geländer hinunter zu den Gängen und Treppen, die sich irgendwo tief in der Dunkelheit verloren. „Es ist nie heldenhaft.“ Kili lehnte sich neben ihn an das Geländer. „Macht uns das jetzt eigentlich zu Kriegern?“, fragte er mit einem Grinsen, durch das sein altes Selbst hindurch blitzte, „Du weißt schon, zu Helden, mit einem Kriegsnamen und solche Sachen? Kili Wargschlächter oder so, das macht Eindruck bei den Mädchen...“ Thorin kam nicht umhin, verhalten zu schmunzeln. „Deine Mutter würde jetzt darauf hinweisen, dass es bei Zwerginnen auf mehr ankommt als auf einen guten Namen.“ Kilis Augenbrauen zuckten. „Und mein Onkel?“ Thorin antwortete nicht, doch Kili hätte schwören können, dass für Sekundenbruchteile ein Grinsen über dessen Gesicht huschte. Er stützte die Ellbogen auf das Geländer und spähte über die Brüstung in die dunkle Stadt. „Das mit den Aufbauarbeiten klappt ganz gut, oder? Die Mauer sieht fast wieder aus wie früher - also, äh, ich weiß nicht, wie sie früher - ich meine, es läuft gut“, beendete er seinen Satz rasch so unverfänglich wie möglich, Thorins Blick im Genick spürend. Flüchtig fuhr er sich mit der Zungenspitze über die Lippen.  „Äh - wie geht's dir...?“ Thorins Augenbrauen zuckten kaum merklich. „Besser“, antwortete er schließlich ruhig und besaß den Anstand, zumindest etwas wahrheitsgemäßer zu wirken. Kili grinste ein wenig verlegen. „Und du… du meinst es ernst, ja?“ Thorins Augenbrauen zuckten leicht. „Mach dir wegen deinem Bruder keine Sorgen. Ein paar Wochen wird er schon überleben, ich bin ja nicht aus der Welt.“ Kili rieb sich nervös das Kinn. „Jaah… aber – ich finde, du solltest wenigstens Dwalin mitnehmen, die Eisenbergzwerge…“ Flüchtig streiften Thorins Finger seinen Arm. „Ich lasse Balin und Dwalin hier, damit jemand deinen Bruder beraten kann, solange ich weg bin. Dain hat sich bisher als vertrauenswürdiger Verbündeter erwiesen“, sagte er sanft, „Mach dir keine Sorgen. Und jetzt geh schlafen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)