Freunde von Danni (Noah, Simon und Jana) ================================================================================ Kapitel 4: Lorenfahrende Walrosse im Rätselpark ----------------------------------------------- Wir bewegten uns beständig höher und mit jedem Meter, nein, sogar jedem Zentimeter, den wir uns von festem Boden entfernen, wurde ich unruhiger. Mein Magen hatte sich schon in meine Hose verabschiedet, bevor diese Höllenfahrt losgegangen war. Ich hatte das Gefühl jeden Moment kotzen zu müssen. Meine besten Freunde, die mich in ihre Mitte genommen hatten, legten ihre Hände zur Beruhigung auf meine Knie und ich klammerte meinen Glücksbringer, ein kleines Floink-Plüschtier, an meine Brust; ohne Erfolg. Aber was wollte man von einer Person mit Höhenangst anderes erwarten? Dass ich mich überhaupt zu dieser Lorenachterbahnfahrt hatte überreden lassen, grenzte schon an ein Wunder. „Noah, reg dich nicht auf! Wir sind bei dir.“ „Es ist gar nicht schlimm. Du willst gleich bestimmt noch eine Runde fahren.“ Die aufmunternden Worte Simons und Janas registrierte ich zwar, aber Glauben schenken konnte ich ihnen keinen. Meine Gedanken kreisten lediglich um die bevorstehende steile Abfahrt, die nach diesem Anstieg, der bereits gefühlte Stunden dauerte, auf uns wartete. Schließlich waren wir auf dem höchsten Punkt angekommen, konnten meterweit in die Tiefe schauen... So gefühlt ewig die Steigfahrt gedauert hatte, so schnell war der Rest vorbei gewesen und in meinem Hirn nur noch ein Wirbel aus Angst, Schreien und sogar ein paar Tränen. Ich war froh wieder festen Boden unter meinen Füßen zu spüren und nochmals würde ich mich nicht überreden lassen, in so ein Höllending einzusteigen. Das Problem der Übelkeit, das sich während der Fahrt nur immer weiter verstärkt hatte, war dadurch jedoch nicht gelöst. Ich stürmte also los ohne auf Simon und Jana zu achten; auf der Suche nach dem nächstbesten Ort (vorzugsweise eine Toilette), um mich zu übergeben. Zum Glück musste ich nicht lange suchen. Ich stürmte in das kleine Häuschen, die Tür knallte durch meine Hektik laut gegen die Wand hinter ihr – es hätte mich nicht verwundert, wenn die Fliesen gesprungen waren – vorbei an einem Vater mit seinem verängstigt schauendem Sohn in die nächste Kabine. Dort angekommen hatte ich gerade noch genug Zeit den Deckel hochzuklappen, bevor ich mich heftig in die Kloschüssel übergab. Mein Würgen hallte durch das kleine Häuschen, jeder Anwesende würde sofort wissen, was geschah. Ja, ich befürchtete sogar, dass Vorbeigehende hören konnten, was hier vor sich ging. Doch groß darum Gedanken machen konnte ich mir nicht. Ich konnte meinen Mageninhalt beim besten Willen nicht bei mir behalten, egal was andere denken mochten. Hatte ich mich vorher schon schlecht gefühlt, ging es mir jetzt eindeutig schlimmer. Der bittere Geschmack von Übelkeit in meinem Mund verstärkte das Gefühl noch. Als ich ein paar Minuten später aus der Kabine kam und zum Waschbecken wankte, erwartete Simon mich bereits reumütig. Sein Gesichtsausdruck sagte mehr als tausend Worte. Er sprach, während ich mir den Mund mit Wasser ausspülte und einige Schluck zur Beruhigung trank. „Es tut uns so Leid. Wir hätten dich nicht auf die Achterbahn zwingen dürfen. Du hast ja gesagt, dass du das nicht verträgst, aber wir dachten, du hättest einfach nur Schiss. Es kommt nicht wieder vor, ehrlich.“ Ich lächelte ihn schwach an. Nachdem ich meine Hände abgetrocknet hatte und wieder halbwegs so aussah als wäre ich nicht gerade von einem LKW überfahren worden, verließen wir gemeinsam das Häuschen. Und wurden von einer ungeduldigen, mit dem Fuß auf dem Boden tappenden Jana erwartet. „Ich dachte, ihr kommt gar nicht mehr raus.“ Sie verstummte sofort, merkte trotz jegliches Versuches mir nichts anmerken zu lassen, was passiert war. Und ich durfte mir Simons Entschuldigung in ähnlicher Form von Jana anhören, winkte jedoch ab, weil es mir ja schon besser ging. Wir beschlossen etwas essen zu gehen; zum Einen, um meinen Magen wieder etwas zu füllen, zum Anderen, da wir alle seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatten und es mittlerweile nach Mittag war. Die Auswahl war groß und daher, um jedem die Möglichkeit zu geben das zu essen, wonach ihm oder ihr war, holten wir jeder etwas und trafen uns an einem neutralen Platz. Neidisch linste ich auf Janas Döner und auch Simons von Fett triefende Pommes hätte ich gern gegessen, doch beides wollte ich meinem Magen nicht zutrauen und hatte mich deswegen auf einen kleinen Salat beschränkt. Natürlich bemerkten es beide und entschuldigten sich erneut, doch mit einem „Schon okay, wir können es eh nicht mehr ändern.“ war die Sache für mich gegessen. ~~~~~~ Nach dem Mittagessen machten wir uns wieder auf den Park zu erkunden. Karussells en masse wurden von uns unsicher gemacht, das Riesenrad mied ich jedoch und auch Simon und Jana hatten ihre Lektion gelernt und zwangen mich nicht mit ihnen in die Gondel. „HEY!! Schaut mal, ich bin ein Ritter.“ Simon hatte sich auf ein Kinderkarussell mit verschiedenen Tieren gesetzt, rief uns zu und lachte dabei. „Ich komme, um euch zu retten, Milady, Milord. Euer schimmernder Ritter auf weißem Walross!“ Er versuchte eine Verbeugung im Sitzen, fiel dabei fast vom Karussell, was ihn jedoch nicht vom Gackern aufgrund seines eigenen Humors abhielt. Wir stimmten in sein Lachen ein und warteten darauf, dass unser edler Beschützer wieder bei uns war. „Ritter Simon!“ Wir standen thronend vor ihm, als er vor uns auf die Knie fiel. „Ihr habt uns bereits viele Jahre treu gedient.“ Ich versuchte meinen seriösen Gesichtsausdruck zu wahren, doch es fiel mir schwer. Jana neben mir gelang dies eindeutig besser. Sie hatte die Nase in die Luft gereckt, ihr Ausdruck sagte, dass sie sich in ihrer Rolle als Königin erhaben und im Status über dem Ritter fühlte. „Wir haben daher beschlossen Euch zu belohnen. Wir werden Euch in den Adelsrang eines Grafen erheben und einen Teil im Westen unseres Reiches überlassen.“ Meine ausladende Geste ging in Richtung des Toilettenhäuschens. Simons Augen leuchteten auf. Die Begeisterung für die Ehrung seiner Rolle klar ersichtlich. Er kniete noch immer vor uns, den Kopf hatte er jetzt gesenkt. „Vielen Dank, Euer Majestät! Es ist mir eine Ehre Euch zu dienen. Dies werde ich auch weiterhin tun, darauf kann Euer Majestät sich verlassen, wie auf die Tatsache, dass die Sonne jeden Tag aufgeht.“ Simon trug immer dicker auf und es fiel mir extrem schwer nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. „Wir vertrauen darauf, dass Ihr uns nicht im Stich lassen werdet, Graf.“ Jana sprach das erste Mal. Ihr Ton war streng – ja, fast herablassend – als sie den Titel nannte fast schon spöttisch. Ich linste aus dem Augenwinkel zu ihr, selbst ihr Blick spiegelte ihren Ton wieder während sie Simon von oben herab anschaute. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Auch Simon entging dies selbstverständlich nicht; er schaute Jana perplex an und brachte kein Wort mehr heraus. Diese Seite hatten wir beide an ihr nur selten gesehen. Sie konnte verdammt gut schauspielern. Sie wirkte zwar in der Theater AG der Schule mit, bekam auch meist die wichtigen Parts, doch in so einer Rolle hatten wir sie nur ein- oder zweimal gesehen. Ihre Seriosität überraschte daher auch uns. Jana wartete noch immer auf eine Antwort, während wir sie weiterhin nur verdattert anstarrten. Sie fiel kein bisschen aus ihrer Rolle. Erst als sich eine kleine Gruppe aufgrund unseres Spiels um uns gesammelt hatte und ein Mitarbeiter des Parks in Kostüm um uns herumsprang und die Gruppe weiter unterhielt, nachdem wir wie eingefroren stehen geblieben waren, merkten wir, was um uns herum passierte. „Der Fluss der Zeit sehr myst’riös, was er bloß getan mit diesen Seel’n? Gefror’n in Zeit und Raum, für immer hier gebannt, Erlösung naht durch meinem Reim!“ Wie auf Kommando schauten wir uns um, als wir wieder in die Realität zurückkamen. Und ebenso wie auf Kommando begann die Menschentraube um uns zu klatschen, der Rätseltyp verbeugte sich mehrfach, und keine Minute später waren wir wieder allein – jedoch nicht weniger verwirrt. ~~~~~ Der Tag ging schneller vorbei als uns lieb war und demnächst würde der Park seine Pforten schließen. Wir saßen gemeinsam auf einer Bank, die letzten Sonnenstrahlen fielen auf uns herab und die frische Brise der langsam einsetzenden Nacht umwehte unsere Silhouetten. Bald würden meine Eltern uns abholen und damit dem Ausflug ein endgültiges Ende bereiten. Der Begeisterung unserer Erzählungen nach konnte man erkennen wie viel Spaß wir am heutigen Tag gehabt hatten, doch dies hielt nicht lange vor. Nachdem wir den Tag Revue passiert hatten lassen, setzte eine betrübte Stille zwischen uns ein. Ich nutzte diese, um mir die letzten Löffel meines Stücks Eisbombe, die wir uns gegönnt hatten, zu essen. Für einen kurzen Augenblick vergaß ich durch den wunderbaren Geschmack der süßen Speise, dass der Ausflug zu Ende war, doch so wie sich das Dessert in meinem Mund in Nichts auflöste und in meinen Magen weiterwanderte, kehrte die Realität zurück. Ein kurzer Blick zu meinen besten Freunden verriet mir, dass sie mit einer ähnlichen Erkenntnis zu kämpfen hatten. Widerwillig stand ich auf und ging ein paar Schritte zum nächsten Mülleimer, um Plastikschälchen und –löffel zu entsorgen. Keine halbe Minute später war ich wieder an der Bank, auf der Jana und Simon sich keinen Millimeter bewegt hatten. Simon war der Clown in unserer Dreiergruppe, er sollte uns aufmuntern, dachte ich bei mir, doch heute schien eben jener Simon am traurigsten zu sein. So traurig, dass er nicht mal seine Eisbombe aufgegessen hatte. Meine Augen wanderten zu meinem Floink, das ich zwischen uns abgestellt hatte. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf – einen Versuch wäre es wert. Entschlossen griff ich nach dem orange-braun-farbigen Plüschtier und presste es vor meine Brust, in Jana und Simons Richtung schauend. „Floink! Floi, Flo-Floink!“, sprach ich in meiner bestmöglichen Imitation des Pokémons. Sofort spürte ich zwei verdutzte Augenpaare auf mir. „Flo-Floi! Floink Floink“ gab ich jedoch unbeirrt weiter von mir. Janas rechte Augenbraue zog sich fragend in die Höhe und auf Simons Gesicht konnte ich die ersten Anzeichen eines Lächelns erkennen. Ich wendete mich dem Plüschtier zu. „Was sagst du, Floink? Wir sollen nicht traurig sein, dass der Tag vorbei ist? Wir hatten so viel Spaß und sollten das nicht durch Traurigkeit überschatten lassen?“, antwortete ich mir selbst mit meiner eigentlichen Stimme in typischer Pokémon-Manier. „Floink, Floi, Floink!“ „Du hast Recht. Wir hatten Spaß und auch wenn wir nach Hause müssen, können wir immer wieder hierher kommen.“ „Floink!“ „Okay, nicht immer, es kostet ja Geld, aber irgendwann kommen wir wieder her und werden genauso viel Spaß haben, wie heute. Nein, wir werden noch mehr Spaß haben als heute!“ Ich war während meiner Unterhaltung mit ihm so auf das Plüschtier fixiert, dass ich nicht merkte, wie Jana und Simon aufstanden und auf mich zukamen. Erst als beide mich in eine Umarmung zogen und ich mich automatisch in dieser verlor, realisierte ich, dass mein Versuch sie aufzumuntern tatsächlich funktioniert hatte. Ich freute mich schon jetzt auf unseren nächsten Ausflug. 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