Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 3: Gedankengänge. ------------------------- My mind is a warrior. Grade 8, +. Ed Sheeran, 2011. Gelangweilt saß sie ihm gegenüber und stocherte in ihrem Salat herum. Er blickte auf und verzog seine Augenbraune. „Schmeckt es dir nicht?“ Kari erwachte aus ihrer Trance und schüttelte den Kopf. „Nein, alles super“, sagte sie und schaufelte zur Bestätigung, eine gut gefüllte Gabel in ihren Mund. Wallace grinste nur und widmete sich seinem Burger. Die Brünette war sehr froh gewesen, dass er ihr die Sache mit der Eröffnungsfeier nicht sonderlich übel nahm. Er nahm es mit Humor und schlug vor demnächst als kleine Entschädigung einfach irgendwo etwas essen zu gehen. Und hier saßen sie nun. Das Lokal war nicht sonderlich groß, aber das Essen war einfach zum niederknien, auch wenn Kari mit ihren Gedanken ganz woanders war. Seit der Feier hatte sie viel mit Mimi und Wallace gemeinsam unternommen und so langsam hatte sie das Gefühl sich einzuleben. Zu ihrer Überraschungen verstanden sich Mimi und Wallace auf Anhieb. Fast so als wäre es Fügung gewesen – doch an solch einen Quatsch glaubte sie nicht. Jedenfalls nicht immer. Doch als sie in einem ihrer Kurse einen schnuckeligen älteren Studenten entdeckte, der ihnen eigentlich nur das Angebot der Uni näher unterbreiten sollte, war es um sie geschehen. Er war blond und seine Augen waren einfach unglaublich. Seegrün. Und erst diese Grübchen, wenn er lachte. Hikari war eigentlich nicht eine, die an die Liebe auf den ersten Blick glaubte, doch bei ihm würde sie sicher eine Ausnahme machen. Irgendwie erinnerte er sie ein wenig an Matt, besonders nach dem er eine kleine Gesangseinlage darbot. Sie war einfach nur begeistert. Solange bis Mimi ihr Michael vorstellte. „Hey Hika. Das ist Michael!“ Hika. So hatte sie TK meist genannt. Sie war nicht sonderlich überrascht gewesen, dass Mimi diesen überaus heißen und süßen Typen kannte. Wahrscheinlich war er in ihrem Alter und besuchte mit ihr einige Kurse. Doch der nächste Satz schleuderte sie wieder in die Realität zurück. „Er ist mein Freund, von dem ich dir schon einiges erzählt habe!“ Oh ja. Sie hatte wirklich einiges über ihn erzählt. Gute Dinge waren bei ihr wohl nicht an der Tagesordnung, so wie sie ihn immer als egoistischen Footballarsch darstellte. Sie nickte nur schwach, als sie hörte, dass Michael ihr Freund war. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, den sie nicht runterschlucken konnte. Sie hätte es doch eigentlich wissen müssen. Klar der Name Michael war nicht gerade selten. Irgendwie hieß jeder Zweite so. Aber Hikari hatte ihn beim besten Willen nicht wiedererkannt. Er hatte sich ganz schön verändert und glich gar nicht mehr dem Jungen aus ihrer Erinnerung. Sie hatte wohl ganz einfach Pecht gehabt. Und Mimi? Sie konnte wohl wirklich alles haben. Sie hatte ein Zimmer, das doppelt so groß war, wie das ihrige in Japan. Und dann musste sie ausgerechnet noch einen solchen Adonis abbekommen? Hallo Welt? Unfair! Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Den einzigen Freund, den sie je hatte, war Davis gewesen. Über das unglückliche Ende brauchte sie nur so viel zu sagen, dass er sich komplett von ihr abgewandt hatte. Ein Happy End in Sachen Freundschaft stand wohl eher nicht auf dem Plan. Und jetzt war der erste junge Mann, der sie interessierte ausgerechnet mit Mimi zusammen. Okay gut. Sie befand sich noch am Anfang. Wahrscheinlich liefen in New York dutzende solcher Kerle herum. Und wie man immer sagte, auf das Aussehen kam es gar nicht an. Und ein „egoistischer Footballarsch“ klang wirklich nicht sonderlich vielversprechend. 27.August 2009. Odaiba, Japan. Universität. Niedergeschlagen wanderte er über den Campus. Diesmal hatte er es wirklich verkackt. Er hätte doch mehr lernen sollen. Joe schnaufte kurz und ließ sich auf einer Mauer nieder. In den letzten zwei Wochen hatte er wirklich fast nur Prüfungen geschrieben. Er fragte sich wirklich langsam, wann sein Kopf explodieren würde. Manchmal vermisste er das unbeschwerte Leben. Das, das er mit seinen Freunden hatte. Doch sein Medizinstudium ließ ihm wirklich keine Luft zu atmen. Ein Blinder würde sogar merken, dass er mit der Situation mehr als unglücklich war. Da war er mal Student und das einzige was er tat, war lernen, lernen, lernen. Er hatte es so satt. Joe wollte auch einmal feiern gehen, seinen Spaß haben und neue Leute kennenlernen. Den einzigen neuen Freund, den er hatte war Ryou, einer seiner unzähligen Tutoren. Freund war vielleicht schon etwas zu viel gesagt. Ryou war eigentlich wie er – nur älter und weitaus verbitterter. Auch er hatte das Medizinstudium angefangen, weil sein Vater Arzt war. Genauso wie Joe, nur dass er sogar noch seine zwei Brüder im Nacken sitzen hatte, die ebenfalls Ärzte waren. Es war dieser Erfolgsdruck von dem heutzutage jeder sprach. Und Joe hatte das Gefühl sich diesem beugen zu müssen, um seiner Familie überhaupt noch gerecht zu werden. Besonders sein Vater war stets hinten dran. In den Semesterferien, in denen er zwei Hausarbeiten schreiben muss, hat er ihm nebenbei ein Praktikum organisiert – in dem gleichen Krankenhaus, wo er arbeitete. Er hatte ja auch sonst nichts zu tun. Vielleicht starb er ja irgendwann an Überforderung. Aber selbst dann würde sein Vater, seinen toten leblosen Körper zu Vorlesungen schleifen, damit er ja auch die Punkte erreichte. Er war gefangen. Im Kokon des Grauens. Nur seine Mutter merkte langsam, dass er alles andere als glücklich war. Immer wieder bekam er von ihr zu hören, er solle weniger Kaffee trinken und sich mal eine Auszeit nehmen. Doch wie sollte er dann noch dieses Pensum schaffen, dass ihm sein Vater auferlegt hatte? Sie wusste doch wie er war, schließlich war sie ja mit ihm verheiratet. Langsam stieg er von der Mauer, auf der er sage und schreibe fünf Minuten saß, hinunter und schleppte seinen müden ausgelaugten Körper über den Campus. Heute Mittag hatte ihn sein Vater zu sich eingeladen, da er eine Operation am offenen Herzen durchführen würde. Eine Gelegenheit die Joe auf gar keinen Fall verpassen konnte. Oder eher durfte? Er wusste gar nicht mehr, was er eigentlich wollte. Arzt? Als er elf war hatte er immer gesagt, dass er nie ein Arzt werden wollte. Er konnte ja schließlich kein Blut sehen. Doch trotzdem befand er sich hier. Mitten im Medizinstudium. In der Blüte seines Lebens. Unglücklich. Er hatte das Gefühl, dass sein Hirn sich jeden Augenblick verabschiedete und die ganzen Informationen, die er über zwanzig Jahre gesammelt hatte, ihm dabei nicht sonderlich helfen konnten. Sein Kopf war eine tickende Zeitbombe. Bald würde sie explodieren. Gehetzt stapfte sie die Treppen zu der Wohnung seiner Eltern hoch. Sie war fix und fertig. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie mit dem Fahrrad ihrer Schwester hier her geradelt war. Und Kens Wohnung lag wirklich nicht gerade um die Ecke. Abgehetzt klingelte sie zweimal direkt hintereinander. Es dauerte nicht lang. Er hatte sie ja bereits schon erwartet. „Wow du bist wirklich verdammt schnell“, kommentierte er und ließ sie rein. „Ich bin mit dem Fahrrad gekommen und ja es war anstrengend!“ Er grinste leicht und signalisierte ihr, dass sie schon mal vorgehen konnte. „Ich hol uns noch schnell was zu trinken“, informierte er sie, doch Yolei war bereits in seinem Zimmer verschwunden. Müde und erschöpft ließ sie sich auf sein Bett fallen, während er ein Tablett mit Getränken balancierte. „Danke“, sagte sie, setzte sich auf und trank ihr Glas in einem Zug aus. Ken nippte nur kurz daran und setzte sich auf den Fußboden. „Was hältst du von der Idee?“, fragte er nach einer Weile. „Zuerst habe ich gedacht, dass mich Davis verarscht. Aber anscheinend meint er es wirklich ernst“. „Also vom Preis her würde es gehen“, meinte er und trank einen weiteren Schluck. Yolei verrollte jedoch die Augen. Er war der einzige der arbeitete. Klar, dass es für ihn ginge. TK und sogar Davis bekamen genug Zuschüsse, um sich die Wohnung leisten zu können. Bei ihr würde fast das ganze Geld für die Miete drauf gehen. Und ihre Eltern konnten es sich nicht leisten, ihr das Studium zu bezahlen. Das konnten sie schon bei ihren Geschwistern nicht. „Ich weiß nicht, ob ich das Finanziell hinbekomme“, erklärte sie auf einmal und brach das Schweigen, das sich durch den Raum zog. „Oh“, war alles was Ken in diesem Moment heraus bekam. Yolei hatte es nicht leicht. Ihre Familie hatte ein Geschäft und mehrere Kinder. Klar das, dass Geld nicht auf Bäumen wuchs. Er konnte froh sein, dass er schon eine Ausbildung machte und seine Eltern damit nicht belasten musste. Allerdings es musste doch noch eine Möglichkeit geben, um das Vorhaben „Zusammenziehen“ irgendwie realisierbar zu machen. „Hey kennst du dieses Café, das sich in der gleichen Straße befindet, wo ich arbeite?“ „Was ist damit?“, knurrte sie brummig. „Sie suchen Personal und anscheinend bezahlen sie auch nicht schlecht“. Yolei ließ sich wieder auf sein Bett fallen. Arbeiten war sie schon immer gewöhnt gewesen. Schon als kleines Mädchen musste sie im Laden ihrer Eltern aushelfen. Doch im Moment fragte sie sich wirklich, wie sie ihr Studium und die Arbeit unter einen Hut bekommen sollte. Klar das Semester hatte noch nicht angefangen, daher wusste sie ja noch nicht wie ihr Stundenplan aussehen würde. Dennoch war sie es leid, immer und immer wieder sich durch ihr Leben kämpfen zu müssen. Konnte es nicht einmal „einfach“ für sie laufen? Wahrscheinlich gab es auf ihrem Lebensweg das Wort einfach nicht. Kompliziert war wohl das treffendere Adjektiv. Schwerfällig richtete sie sich auf und zog die Stirn angestrengt zusammen. „Okay. Wie heißt das Café?“ Ken grinste nur und schnappte sich einen Zettel. Er wusste, dass sie noch zur Vernunft kommen würde. Projekt „Zusammenziehen“ stand in den Startlöchern. Heute war sein letzter Tag gewesen. Er war müde, ausgelaugt und seine Laune hing im Keller. „Na wie war die Arbeit?“, fragte sein bester Freund, der entspannt auf der Couch saß und Eis schleckte. „Fauler Arsch“, dachte Taichi und ließ sich erschöpft auf die Couch fallen. Er war froh, dass er es hinter sich gebracht hatte. Auf Messen verdiente man zwar nicht schlecht, aber sie waren auch Ultra-anstrengend, besonders für jemanden, der nicht häufig in seinem Leben gearbeitet hatte. Tai brauchte irgendeinen Job, der entspannter war. Er hatte meist noch nicht mal Zeit zum Mittagessen. Was war das nur für eine ungerechte Scheiße? Und sein lieber guter bester Freund verdiente mit seinem Hobby Geld. Tai würde wohl alles tun, um mit Fußballspielen Geld verdienen zu können. Doch so gut war er dann doch nicht. Verflixter Talentmangel. „War Sora heute nicht da?“, fragte er und schaute zu ihm rüber. Er schüttelte nur den Kopf und stopfte sich wieder eine extra Ladung Eis in den Mund. „Pass auf das du nicht platzt!“ „Ich doch nicht. Mein Adoniskörper hält das bisschen Eis schon aus“, lachte er und reichte die Packung weiter. Doch Tai wank ab. Im Moment hatte wirklich keine Lust auf Eiscreme. Ihn beschäftigten weitaus wichtigere Dinge. Seine Schwester befand sich schon über einen Monat in Amerika. Sie schrieb ihm ab und zu eine Mail. Mehr nicht. Da kannten sie sich achtzehn Jahre und seine kleine Schwester war noch nicht mal darum bemüht gewesen, ihn mal anzurufen. Besonders nach ihrer letzten Nachricht. Tai wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie ausgerechnet Mimi wieder getroffen hatte. Mit ihr verband er eine sehr komplizierte und schreiwürdige Vergangenheit. Er war recht froh diese laute Person, nicht mehr täglich ertragen zu müssen. Es langte ihm, wenn Mimi sie ab und an besuchen kam. Meist machte er drei Kreuze, wenn sie wieder weg war. Aber wenigstens hatte seine Schwester jemanden, den sie kannte, obwohl man bei Mimi nie wusste, wie sie drauf war. Dramaqueen eben. Er hoffte wirklich, dass seine Schwester sich von ihrem Getue nicht anstecken lassen würde. Er mochte Hikari und das sollte auch so bleiben. Doch wenn er ehrlich war, hatte seine Schwester reichlich wenig mit seinem inneren Gefühlschaos zu tun. Er war sich nun sicher. Wirklich hundert Prozent sicher. „Ich werde mit Sora Schluss machen!“, platzte auf einmal aus ihm heraus. Matt ließ den Löffel in die Eispackung fallen und runzelte die Stirn. „Bist du geistesabwesend? Ihr seid schon knapp vier Jahre zusammen!“ „Wir sind drei Jahre und ein paar Monate zusammen“, korrigierte er ihn. „Ist doch egal! Meine längste Beziehung hielt nur ein halbes Jahr. Du kannst mir noch nicht sagen, dass du das alles wegwerfen willst!“ „Es fühlt sich nicht mehr richtig an“, meinte Tai gedankenverloren und starrte auf seine Hände, die sich verkrampften. Erst als er weniger Zeit mit ihr verbracht hatte, merkte er, dass er sie kaum vermisste. Also als seine Freundin. Er vermisste die Zeit, in der sie nur Freunde waren. Denn eigentlich empfand er nur noch das für sie: Freundschaft. Die Liebe wandelte sich mit der Zeit und er hatte es einfach nicht gemerkt. Vielleicht wollte er es nicht merken. Wahrscheinlich wollte er nur die gute alte Zeit festhalten. „Du kannst mir doch nicht sagen, dass du dir das erst jetzt überlegt hast!“, warf Matt ein und nahm die Eiseinnahme wieder auf. „Nein, ich habe es mir schon länger überlegt und jetzt bin ich mir sicher!“ „Ich fass es nicht! Ihr wart doch immer das Vorzeigepärchen!“, plusterte er sich von ihm auf. „Gefühle verändern sich eben“, meinte er knapp. Matt verzog das Gesicht. Er stellte sich das Horrorszenario vor. Tai und Sora trennten sich und keiner konnte mehr mit beiden etwas gemeinsam unternehmen. Auch wenn Tai sein bester Freund war, Sora war ein wichtiger Teil der Gruppe. Sie war ihm ans Herz gewachsen und das sagte ein Mensch, der seine Freunde immer mit Bedacht aussuchte. Und Sora war eine seiner Freunde. Wie sollte das noch funktionieren, wenn die beiden Schluss machen würden? Das Ganze konnte doch nur im Streit enden. Das sah er doch bei seinen eigenen Eltern, die nach all den Jahren immer noch Probleme hatten miteinander zu reden. Die Unbeholfenheit fehlte. Die Vergangenheit drückte auf die „Nicht-Vergessen-Taste“. So etwas konnte doch nur schief gehen. Aber anscheinend stand sein Freund Taichi darauf, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Und er musste all das mit ansehen. Sowas konnte man wirklich nur Freundschaft nennen. 28.August 2009. New York, USA. Studentenwohnheim. Die Luft war stickig und der Rauch von Zigaretten zog ihr in die Nase. Sie hätte nie gedacht, dass sich einmal so viele Menschen in einem Wohnheim aufhalten würden. Für Hikari definitiv Neuland. Generell wurden auf Universitäten viele Partys gefeiert. Eigentlich war sie gar nicht der Typ dafür, deswegen hatte sie sich mit Wallace an den Rand verzogen und beobachtete Mimi und Michael beim Tanzen. Beide hatten deutlich Rhythmus im Blut, obwohl sie sich vor ein paar Minuten sogar noch in den Haaren hatten. Vielleicht half ihnen das Tanzen dabei, ihre Wut aufeinander loszuwerden. Jedenfalls sah es ganz danach aus. „Ich glaube Mimi und ihr Freund liefern sich ein Tanzbattle“, flüsterte Wallace ihr zu. Kari grinste nur schwach und nippte an ihrer Cola. Heute wollte sie auf Alkohol verzichten. Das letzte Mal hatte sie leider nicht sonderlich gut vertragen und wachte am nächsten Morgen mit höllischen Kopfschmerzen auf. „Sie ist aber wirklich sehr nett“, meinte Wallace und riss sie aus ihren Gedanken. „Hast du wirklich nicht gewusst, dass sie hier studiert?“ Kari verneinte seine Frage. Sie wusste zwar das Mimi immer noch in New York wohnte aber von Sora hatte sie erfahren, dass sie sich eigentlich auf Universitäten in Los Angeles beworben hatte. Und immer wenn man sie fragte, wie die Uni lief, antwortete sie meist sehr vage. Der Grund dafür war, dass Mimi auf ihren Traumuniversitäten abgelehnt wurde und erst seit letztem Jahr auf der Julliard studierten durfte. Zum Teil ihres Talentens wegen. Zum Teil auch wegen Papas gut gefüllter Brieftasche. Als Sora und die anderen ihr Studium anfinden, jobbte Mimi ein wenig bei verschiedenen Fast Food Ketten, bis sie endlich mit ihrem Studium anfangen konnte. Deswegen hielt sie sich mit Informationen immer stets bedeckt. Sie schämte sich irgendwie. So als wäre sie ein Loser, der nichts hinbekommen hat. Dabei wurde sie nur nicht in LA genommen. Ihr Vater hatte sie daher bestärkt, sich an der Julliard zu bewerben. Natürlich mit Hintergedanken. Er wollte nicht, dass Mimi so weit von ihnen wegzog, deswegen bot er an, das Schulgeld und ihr Zimmer zu bezahlen. Nur damit sie Mimi noch weiterhin mit ihren Überraschungsbesuchen nerven konnten. Aber sollte Mimi wirklich was dagegen sagen? Wohl eher nicht. Die meisten mussten nebenher arbeiten gehen, um sich das Studium beziehungsweise ihr soziales Leben finanzieren zu können. Mimi war eben ein Glückskind – in vielerlei Hinsicht. Auch mit Michael schien sie Glück zu haben. Als egoistischen Footballarsch hatte Kari ihn eigentlich noch nicht erlebt. Er war immer höflich und zuvorkommend, wenn Wallace und sie dabei waren. Vielleicht konnte man Mimi einfach nur schwer zufrieden stellen. Sie war eben ein kleines Prinzesschen – so hatte sie jedenfalls ihr Bruder getauft und jedes Mal wenn sie sich am ersten August trafen, zog er sie damit auf. Typisch Tai eben. Angesäuert bewegte sie sich rhythmisch zu Beat. Eigentlich wollte sie Wallace und Hikari nicht so vor den Kopf stoßen und sie einfach am Rand stehen lassen, aber sie kannte Michael. Als sie vorhin mit den beiden dazu stieß, sah sie etwas, was ihr jedes Mal das Herz aufs Neue brach. Er stand mit einem anderen Mädchen an der Bar und gab ihr einen aus. Sie war groß, blond und hatte definitiv mehr Busen als sie. Und Mimi wusste genau, was passierte wenn sie nicht aufpasste. Es endete so wie beim letzten Mal. Und das konnte sie nicht zulassen. Deswegen hatte sie sich gleich mit ihm auf die „Tanzfläche“ gestürzt. Sie konnte es einfach nicht ertragen, ihn mit anderen Frauen so eng beieinander stehen zu sehen. Klar, manche würden jetzt denken sie hätte ein Rad ab oder wäre hochgradig eifersüchtig – doch dem war nicht so. Sie wusste genau, dass er sie mindestens zweimal betrogen hatte. Das erste Mal war bereits auf der High School gewesen. Sie feierten bei Freunden ihren Abschluss und er betrank sich mal wieder. Als sie ihn nicht mehr sah, machte sie sich auf die Suche nach ihm. Vielleicht ging es ihm ja schlecht und er müsste sich sogar übergeben... Das waren jedenfalls ihre ersten Gedanken gewesen. Als sie ihn letztlich fand, gefror ihr das Blut in den Adern. Er machte gerade mit Tracy rum – einer ihrer Freundinnen. Vollkommen aufgebracht rannte sie zu den beiden, riss sie auseinander und machte ihm eine Szene. Danach hatte sie zwei Wochen nicht mehr mit ihm geredet und Tracy komplett aus ihrem Freundeskreis verband. Doch irgendwann verzieh sie ihm. Sie redete sich ein, dass die Schuld ja irgendwie beim Alkohol lag und außerdem versprach er ihr nie wieder eine solche Dummheit zu machen.Sie glaubte ihm. Als Mimi ihm damals freudestrahlend berichtete, dass sie auch auf der Julliard studieren würde, war seine Reaktion mehr als merkwürdig. Er studierte bereits ein halbes Jahr dort und war irgendwie gar nicht begeistert sie hier zu haben. Mimi wusste ja nicht, dass er sich auch ganz prächtig ohne sie amüsierte. Erst als die ersten Gerüchte herumgingen, wurde sie misstrauisch. Angeblich ließ Michael nichts anbrennen und hatte sich durch die halbe Uni gehurrt, bevor sie ebenfalls dort studierte. Sie glaubte die Gerüchte nicht, da Michael beliebt war und viele einfach nur gewollt hätten, dass er ihnen mal näher kommt. Doch einmal sah sie mit eigenen Augen, wie er mit einem anderen Mädchen rummachte. Es war jetzt ein gutes halbes Jahr her. Damals hatte sie mit ihm Schluss gemacht und verzog sich mehrere Tage mit Schokolade und Liebesschnulzen auf ihr Zimmer. Doch er ließ es nicht auf sich sitzen und „kämpfte“ um sie. Nach zweieinhalb Monaten und unzähligen Liebesschwüren hatte er sie wieder geknackt. Er wusste einfach wie man Mädels herum bekam. Sein verflixter Charme war einfach zum niederknien. Jedoch war Mimi mittlerweile aufmerksamer geworden. Sie hatte Angst, dass er sie wieder betrügen könnte – auch wenn er nur Fremdknutschte. In ihrem Inneren wusste sie, dass er es nie bei Knutschen beließ. Aber in flagranti hatte sie ihn nur beim Küssen erwischt. Und sie wollte diese Beziehung nicht aufgeben, dafür waren sie einfach schon zu lange zusammen. Als Single würde sie sehr wahrscheinlich gar nicht mehr zurechtkommen – jedenfalls dachte sie das. Sie konnte ja nicht wissen, dass sie immer mehr ein Stück von sich selbst dadurch verlor. Denn aufrichtig war sie zu sich selbst schon lange nicht mehr. Kari und Wallace beobachten sie noch eine Zeitlang. Die Musik wurde plötzlich sehr langsam und die Paare tanzten einen verträumten Stehbluse. Kari war richtig neidisch. Warum konnte sie nicht einen so lieben Freund wie Michael haben, der mit ihr romantisch tanzte? Davis war als Freund eher eine mittlere Katastrophe gewesen. Er war Tai einfach zu ähnlich und sie brauchte wirklich nicht gleich zwei Brüder. Sie wollte jemanden, der sie auf Händen trug und auch ein wenig romantisch ist. Vielleicht mal ein Abendessen für sie vorbereitet, Kerzen aufstellt und das Zimmer mit Rosenblättern schmückt. Sie wusste, dass weder Tai noch Davis dazu in der Lage waren. Bei Matt könnte sie sich solche romantische Züge gut vorstellen. Er war ein kreativer Mensch, der auch seine Lieder selbst schrieb. Die einzige männliche Person, die mal für sie etwas gekocht hatte, war Takeru gewesen. Es war eine Lasagne, die ihm ein wenig angebrannt war, aber trotzdem recht gut schmeckte. Doch TK sah nie als potenziellen Freund, auch wenn ihr viele eine Liebschaft zu ihm unterstellten. Sie fühlte sich einfach nur wohl bei ihm. Das gleiche Gefühl hatte sie auch bei Wallace. Sie wusste demnach schon, dass zwischen ihr und Wallace nie mehr als Freundschaft sein würde. Alles andere fühlte sich eben falsch an. Vielleicht war es seltsam, aber sie merkte schnell, wer für sie nur ein Freund war und bei wem sie sich mehr vorstellen konnte. Okay Davis war die Ausnahme gewesen. Bei ihm hatte sie wirklich nur rein freundschaftliche Gefühle. Sie wollte diese Beziehung nur, um die Gefühle für Matt zu verdrängen. Sie wusste, dass es gemein war. Kari hatte ihm gegenüber immer noch ein schlechtes Gewissen. Sie hoffte, dass er ihr irgendwann verzeihen konnte. Auf einmal fiel ihr auf, dass Mimi und Michael nicht mehr auf der Tanzfläche waren. Sie drehte sich verwirrt zu Wallace, der den letzten Schluck seines Getränks hinunterspülte. „Wo ist denn Mimi hin?“, fragte sie zerknirscht. Sie würde sie doch nicht einfach so zurück lassen. „Ich glaube sie ist mit Michael auf ihr Zimmer. Es ging gerade sehr heiß zwischen den beiden her“, antwortete er und spielte auf ihr wildes Zungenspiel an, der er noch vor ein paar Minuten beobachtet hatte. „Oh. Okay“, meinte Hikari traurig. Mimi hatte sie wohl doch stehen lassen. „Hey wollen wir vielleicht etwas spazieren gehen?“, fragte er aufheiternd. „Ich bekomme langsam Kopfweh!“ Wallace hüstelte gekünstelt und verwies indirekt auf den Rauch, der sich im Flur sammelte. Kari nickte schwach und trank ebenfalls ihren Becher aus. Studentenpartys waren einfach nichts für sie. Sie küssten sich leidenschaftlich, als er sie auf einmal unsanft auf ihr Bett warf. Sie hörte wie er den Reisverschluss seiner Hose öffnete und sie achtlos auf den Boden fallen ließ. Er zog sein Shirt über den Kopf und beugte sich über sie. Hungrig küsste er sie und machte sich gleich darauf an ihrem Kleid zu schaffen. Es dauerte keine zehn Minuten und beide saßen sich nackt gegenüber. Er drückte sie aufs Bett und küsste ihren Hals, während er gleichzeitig in sie eindrang. Mimi presste die Lippen aufeinander. Er bewegte sich schnell und stöhnte laut. Ihre Augen wirkten immer trauriger. Sie hatte nicht den Mut ihm zu sagen, dass es ihr überhaupt keinen Spaß mehr machte, mit ihm zu schlafen. Sie fühlte nichts. Absolut nichts. Er bewegte sich noch ein paar Mal, bis er sich erschöpft neben ihr niederließ. Sie starrte teilnahmslos an die Decke und hoffte wenigstens, dass er sie in den Arm nehmen würde – so wie er es früher immer getan hatte. Doch er lag mit einem selbstzufriedenen Blick neben ihr und rührte sich kein Stück. Es war wirklich frustrierend. Immer wenn sie mit ihm schlief, fühlte sie sich danach so leer. Er machte keinerlei Anstalten, sie glücklich zu machen, er dachte immer nur an sich selbst. So als wäre sie nur eine Art Ventil, an dem er seinen Frust ausließ. Erst als sie Kari wiedergetroffen hatte, merkte sie wie einsam sie eigentlich war. Freunde hatte sie in Amerika viele. Doch es waren alle keine Richtigen. Man redete nur über banale Dinge, nichts Ernstes eben. Durch Kari hatte sie gemerkt, wie sehr sie ihre alten Freunde aus Japan vermisste. Selbst Tai – der ihr eigentlich immer neunzig Prozent der Zeit auf die Nerven ging. Glücklich war sie wohl schon lange nicht mehr. Plötzlich bemerkte sie, wie sich Michael aufsetze und vom Bett aufstand. „Wo willst du denn hin?“, fragte sie fast schon wie ein kleines verunsichertes Kind. Er zog sich seine Unterhose über und suchte den Rest seiner Sachen zusammen. „Ich geh wieder auf die Party. Ich habe Carter versprochen, mit ihm noch was zu trinken“. „A-Aber wir könnten doch noch ein bisschen hier bleiben“, meinte sie in der Hoffnung, er würde es sich nochmal anders überlegen. Er grinste leicht und zog sich die Jeans wieder an. „Und was soll ich hier machen? Kuscheln?“ „Wäre doch eine Möglichkeit“. „Sorry Mimi, aber darauf habe ich wirklich keinen Bock“, sagte er schroff und schnappte sich sein Shirt. „Kommst du nochmal mit?“ Mimi schüttelte den Kopf und knurrte ein bissiges „Nein“ zu ihm. Enttäuscht zog sie sich die Decke über ihren Körper und hörte noch wie er „Dann eben nicht“ zu ihr zischte und die Tür im gleichen Atemzug zuschlug. Sie biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte ihre Tränen, die ihr bereits in den Augen standen. Eigentlich war ihr Leben doch perfekt. Doch perfekt war definitiv das neue Synonym für Scheiße. Gut gelaunt schlenderte Yolei zu dem Lokal, in dem sie mit ihren potenziellen neuen Mitbewohnern verabredet war. Sie zog die Tür auf und sah schon aus der Ferne, TK und Davis an einem Tisch sitzen. Fröhlich wank TK ihr zu und Davis drehte sich zu ihr herum und lächelte leicht. Er war immer noch nicht ganz begeistert von der Idee gewesen, ein weibliches Wesen einziehen zu lassen. Frauen brachten generell immer Chaos – Yolei war da sicher keine Ausnahme. „Hey du strahlst ja richtig“, stellte TK fest, als sie sich zu ihnen setzte. „Hast du etwa den Job bekommen?“ „Ich bekomme erst nächste Woche Bescheid, aber ich habe gute Nachrichten“, trällerte sie fröhlich. TK und Davis sahen sie verwundert an und warteten gespannt auf ihre Ankündigung. „Ich denke wir warten noch auf Ken“, meinte sie zwinkernd, während Davis laut aufstöhnte. Konnten Frauen nie Klartext reden? Mussten sie wegen allem so ein Tamtam veranstalten? Er bereute es jetzt schon, eingewilligt zu haben. Er hoffte nur, dass ihre Neuigkeiten auch wirklich gut waren. Am Ende wollte sie nur die Küche Schweinchen-rosa streichen oder wollte Anspruch auf sein Balkonzimmer erheben. Zum Glück tauchte Ken in den nächsten zehn Minuten auf, ansonsten wäre Davis wohl vor Anspannung an die Decke gesprungen. „Was ist denn jetzt?“, stichelte er ungeduldig und piekte Yolei mit dem Zeigefinger mehrfach in den Arm. „Lass das“, giftete sie und schnippte seinen Finger weg. „Aua“. Er sah schmollend zu ihr und betrachtete seinen Finger, der gerade von ihr weg geschnipst wurde. Sie wand jedoch ihren Blick zu der normalen Mitbewohnerfront und versuchte zu ignorieren, dass Davis sie schon wieder piekte. „Also ich habe mit meinen Eltern geredet und sie haben beschlossen mir die Miete für zwei Monate vorzulegen. Wir können also definitiv zusagen!“ „Wie sicher ist das mit dem Job denn?“, wollte TK wissen und legte sein Kinn auf seiner Handfläche ab. „Ich denke sie fanden Yolei recht gut“, meinte Ken auf einmal. „Ich bin heute Mittag mal vorbei gegangen und Frau Minazuki meinte, dass sie dich sehr nett fand“. „Sie haben Yolei ja auch noch nicht in Aktion erlebt“, lachte Davis und steckte von Yolei einen Tritt gegen sein rechtes Bein ein. „Ist doch nur die Wahrheit“, verteidigte er sich und rieb sich seine wunde Stelle. „Ich würde mich mit keinem anlegen, der bald wohlmöglich Zugang zu deiner Zahnbürste hat“, nuschelte Yolei und brachte die anderen beiden zum Lachen, während sich Davis Gesicht weiß verfärbte. Warum musste sie ihn immer gleich bedrohen? Er hatte überhaupt nichts Schlimmes gesagt und trotzdem war er immer der Buh-Mann der Gruppe. Als sich TK wieder etwas eingekriegt hatte, erhob er sein Glas.„Dann gehen wir es jetzt also an?“, fragte er in die Runde. „Klar, wird sicher lustig“, meinte Yolei und wand sich zu Davis, der automatisch an seine Zahnbürste denken musste. Wahrscheinlich musste er sie jetzt immer unter seinem Kopfkissen verstecken, um Yoleis Racheaktionen entkommen zu können. Auf eine Zahnbürste á la Klogeschmack hatte er wirklich keine Lust. TK hielt immer noch sein Glas in die Höhe und animierte seine Freunde dazu, es ihm gleich zu tun. „Auf gutes Zusammenwohnen“, prostete er, bevor sie auf ihre erste gemeinsame Wohnung anstießen. Es war Zeit die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ganz ohne Altlasten in die Zukunft zu schauen. 31. August 2009. Odaiba, Japan. Restaurant. Sora hatte sich heute schick gemacht. Es war recht ungewöhnlich, dass Tai sie montags zum Essen einlud – auch wenn sie noch Semesterferien hatten. Sie kam sich sogar richtig dumm vor, dass sie extra für ihn ein Kleid angezogen hatte. Aber wann gingen sie schon mal zusammen essen? Noch nicht mal an ihrem Jahrestag hatte er sich solche Mühe gemacht. Wahrscheinlich wollte er mit ihr über etwas Ernstes reden. Sie hoffte nur, dass er ihr keinen Antrag machen wollte. Dann würde sie wohl, das Restaurant panisch verlassen und die halbe Tischgarnitur vor lauter Schock mit sich reißen. Er saß bereits am Tisch, als sie zur Tür hineinkam. Tai lächelte sie zaghaft an und stand auf. Sora lächelte zurück und ging zu ihrem Tisch. Sie begrüßten sich knapp und Tai zog ihr ganz Gentleman-like den Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte. „Ein wunderschönes Restaurant“, meinte sie und schlug die Karte auf. Tai grinste nur und blätterte ebenfalls in seiner. Sora wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass er irgendetwas vorhatte. Er wirkte auf sie so nervös. Immer wieder zuckte unbewusst seine linke Augenbraue. Ein klares Zeichen dafür, dass hier etwas nicht stimmte. Sora legte die Karte beiseite, nachdem sie sich für einen gemischten Salat entschieden hatte. Auch Tai wusste schnell, was er essen wollte und gab die Bestellung bei ihrem Kellner auf. Die Rothaarige presste die Lippen aufeinander, nachdem sie merkte, dass er ihren Blicken immer wieder auswisch. „Tai was ist los mit dir?“, fragte sie besorgt und ergriff seine Hand, die sich klatschnass anfühlte. „Geht es dir gut?“ Er nickte nur beiläufig und zog seine Hand weg. Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, sie heute auszuführen, doch zu Hause brachte er es einfach nicht übers Herz mit ihr zu sprechen. Nicht wenn Matt da war und von seinem Zimmer aus lauschte. Er wusste genau, dass Matt mit seiner Entscheidung nicht zufrieden war, weil er dachte er müsste dann einen miesgelaunten Taichi ertragen. Doch er war sich sicher. Er wollte nach dem Essen mit Sora endlich darüber reden. Er konnte so nicht weitermachen. Dennoch war er sich noch nicht sicher wie er dieses Gespräch überhaupt anfangen sollte. Er wollte ja noch weiterhin mit ihr befreundet bleiben. Wahrscheinlich kam es erst gar nicht dazu und Matt bekam insgeheim seinen Willen. Er konnte ja nicht wissen, dass sie genauso fühlte wie er. Sora musterte ihn eine Zeit lang und als der Kellner ihnen ihr Essen servierte, wurde das Schweigen für sie unerträglich. Sie musste es ihm sagen. Lautlos legte sie ihre Gabel auf den Teller und schaute ihn dringlich an. „Tai ich glaube wir sollten miteinander reden“, sagte sie auf einmal und auch er hörte auf zu Essen. Die Zeit war gekommen. „Ja glaube ich auch“, meinte er ebenfalls. Ein Schweigen überkam beide und sie wandten für einen kurzen Moment die Blicke voneinander. Sie wussten, dass sie beide viel miteinander erlebt hatten und keiner der beiden bereute irgendeinen dieser Momente, aber Gefühle änderten sich nun mal. „Ich denke wir sollten Schluss machen“, eröffneten sie zeitgleich. Tai blickte erschrocken in das Gesicht von Sora, die ebenfalls sehr verwirrt aussah. Damit hatte wohl keiner gerechnet. Erleichtert atmeten beide aus und lächelten sich leicht an. Sora war froh, dass kein geheimer Heiratsantrag hinter dieser Aktion steckte und Tai war beruhigt, dass sie wohl das gleiche empfand wie er. Das Drama schien wohl auszubleiben. „Es ist wirklich verrückt wie ähnlich wir uns sind“, stellte Taichi lachend fest. „Ja schon etwas gruselig, oder?“ „Nur ein wenig“, sagte er mit einer beruhigenden Stimme. „Aber du hast auch gemerkt, dass es schon lange nicht mehr stimmt. Also ich meine wir als Paar“. Sora nickte nur. Sie konnte ihm noch nicht sagen, dass sie wohlmöglich Gefühle für Matt entwickelt hatte. Auch wenn beide fanden, dass es nicht mehr lief – diese Erkenntnis wäre auch für Taichi zu früh gewesen. „Okay. Wie geht es jetzt weiter? Müssen wir jetzt wie alle anderen getrennten Paare erst einmal Abstand zueinander halten oder wie?“ „Keine Ahnung. Vielleicht sollten erst Mal eine Nacht über die Trennung schlafen und dann entscheiden wie es weitergeht“, schlug Sora vor. Eigentlich wollte sie auf Tai nicht verzichten. Er war ja immerhin ihr bester Freund und in den letzten paar Wochen hatten sie auch nicht mehr sonderlich viele Paaraktivitäten zelebriert. Sie hatte das Gefühl, dass sich das „nur befreundet miteinander sein“ bei ihnen ganz klamm heimlich angeschlichen hatte. Sie hatten die Übergangsphase zwischen zusammen sein, getrennt leben und wieder Freunde werden, einfach übersprungen. Obwohl...ein wenig Abstand würde ihnen beiden sicher gut tun, um sich zu sammeln. Wahrscheinlich würden sie es keine Woche aushalten, nicht miteinander zu reden. Sie waren einfach dafür geschaffen beste Freunde zu sein. Nur beste Freunde zu sein. Manchmal war das ebenso. 26.Mai 2010. Odaiba, Japan. Innenstadt. Auch wenn das Wetter an diesem Tag definitiv besser war, hing die Laune bei den beiden Freundinnen im Keller. Mimi konnte nicht verstehen, dass sich Hikari weigerte, sich bei ihren Eltern oder ihrem Bruder zu melden. Sie waren ja schließlich ihre Familie. Und die Abtreibung sah man ihr schließlich nicht an. Mimi hatte ihr sogar geschworen den Mund zu halten. Doch irgendwas hinderte sie daran, eine einfache SMS zu tippen. Vielleicht hatte sie Angst, dass ihre Familie sie direkt durchschauen würde. Die 21-Jährige kannte das nur zu gut. Ihrer Mutter konnte sie auch seltenes was vor machen. Doch für eine junge Frau, die vor kurzem ein Baby abgetrieben hatte, wirkte Kari jedoch recht gefasst. Fast schon etwas eisern. Mimi machte sich große Sorgen um sie. Wahrscheinlich setzte sie sich nur mit sich selbst auseinander. Möglicherweise eine normale Reaktion, bei einer Abtreibung. Sie konnte es ja schlecht wissen, da sie noch nie eine hatte. Trotzdem wollte sie, dass es ihrer Freundin wieder besser ging. Und als Freundin musste man manchmal auch die Dinge selbst in die Hand nehmen. „Hey wollen ein bisschen shoppen gehen? Das Kleid da vorne würde dir bestimmt super stehen“, sagte sie mit einem Grinsen und deutete auf das Schaufenster auf der gegenüberliegenden Seite. Kari zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern und Mimi sah es als Aufforderung sie einfach in den Laden mitzuziehen. „Du ziehst das jetzt gleich an“, forderte sie und drückte ihr das Kleid, das sie an der Schaufensterpuppe gesehen hatte, in die Hand. „Ich halte solange deine Tasche“. Verwirrt schüttelte Kari den Kopf und ging mit dem Kleid in Richtung Umkleidekabine. Als sie außer Sichtweite war, kramte Mimi Karis Handy hervor, umging ihre Tastensperre, die sie selbstverständlich wusste und suchte in ihren Kontakten nach dem Namen ihres Bruders. Mimi war alles andere als auf den Kopf gefallen. Wenn Hikari sich nicht melden würde, dann musste sie ihr eben ein bisschen auf die Sprünge helfen. So konnte es doch nicht weitergehen. „Hey kannst du mir vielleicht mal helfen, den Reisverschluss hochzuziehen?“, hörte sie Kari fragen. Sie schreckte hoch und ließ das Handy wieder in ihre Handtasche gleiten. „Klar ich komme“, antwortete sie und raffte um sich herum einige Klamotten zusammen. „Die hier musst du auch noch anprobieren!“, sagte sie fordernd und übergab ihr den Klamottenberg in die Hände. Kari schüttelte wieder den Kopf und konnte nicht fassen, wie Shoppingverrückt Mimi doch eigentlich war. Wahrscheinlich war Kari nur eine ihrer Anziehpüppchen, deren Kleiderschrank sie aufwerten wollte. „Machst du mir jetzt den Reisverschluss zu?“, fragte sie, nachdem sie den Rest der Klamotten in der Umkleide verteilt hatte. Mimi nickte nur und Kari drehte ihr den Rücken zu. „Wow das Kleid steht dir“, meinte sie begeistert, während Kari sich im Spiegel betrachtete. Irgendwie war es eher Mimis Stil, den sie hier trug. In diesem Kleid war auch definitiv zu viel Pinkanteil vorhanden. „Ich probiere nochmal was anderes an. Reißverschluss?“ Mimi öffnete den Verschluss und sagte ihr, dass sie noch nach ein paar Sachen stöbern wollte. Kari verschwand wieder in der Kabine, als Mimi sich etwas aus ihrem Sichtfeld distanzierte. In einem unbeobachteten Moment, holte sie das Handy aus Karis Tasche, entsperrte es wieder und tippte eine SMS an Tai, die sie vorhin angefangen hatte. „Hey Tai, ich wollte euch mal besuchen kommen und bin mit Mimi nach Japan geflogen. Hast du ein wenig Zeit für deine Schwester? LG Kari“. Okay das klang definitiv nach Kari. Sie drückte auf senden und merkte gar nicht, dass Hikari bereits fertig umgezogen war, da sie ihr den Rücken zugewandt hatte. Sie verschränkte die Arme und zog ihre Stirn in Falten. „Was machst du da mit meinem Handy?“, fragte sie aufgebracht. Mimi drehte sich erschrocken um und ließ es vor Schreck wieder in ihre Tasche fallen. Sie wurde ganz klar ertappt. Dennoch war ihre Mission erfolgreich gewesen. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)