Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 4: Spaßfaktor. ---------------------- I'm not here for your entertainment. U + Ur Hand, Greatest Hits...So Far. Pink, 2010. Wütend lief sie vorne weg und las abermals die SMS die Mimi an ihren Bruder geschrieben hatte. Wie konnte sie nur? Allein sie durfte entscheiden, wann sie sich mit ihrem Bruder treffen wollte. Mimi hatte darüber eigentlich gar keine Entscheidungsgewalt. Und trotzdem hatte sie in ihrem Namen eine SMS an ihn geschrieben. „Jetzt warte doch mal“, rief sie ihr zu und packte sie am Arm. Ruckartig drehte sich Kari herum und funkelte sie böse an. „Warum hast du das nur gemacht? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, blaffte die Jüngere sie vorwurfsvoll an. „Du hättest dich doch von selbst nie dazu durchgerungen! Ich wollte dir nur helfen!“ „Tolle Hilfe“, knurrte sie und riss sich los. Mit schnellen Schritten ging sie in die Richtung des Hotels, als sie auf einmal merkte, wie es in ihrer Tasche vibrierte. Sie fischte ihr Handy heraus und sah, dass ihr Bruder gerade anrief. Sie drehte sich zu Mimi, die ein paar Meter hinter ihr stand und zeigte auf ihr Display. „Geh ran!“, forderte sie ihre Freundin auf. „Vergiss es, ich will nicht mit ihm reden. Außerdem hast du die SMS an ihn geschrieben“, verteidigte sie sich und wollte ihn gerade wegdrücken, als Mimi ihr das Handy aus der Hand riss. „Hallo, Karis Sekretärin“, meldete sie sich gespielt fröhlich. Karis Kinnlade klappte nach unten. Das konnte doch nicht wahr sein. War heute Freitag, der dreizehnte? Fühlte sich ganz danach an. So viel Pech konnte man doch an einem normalen Tag gar nicht haben. Es musste Freitag, der dreizehnte sein. „Es ist auch schön deine Stimme zuhören, Tai“, meinte Mimi augenverrollend. „Kari ist gerade duschen!“ Kopfschüttelnd stand ihr Hikari gegenüber. Im Lügen war Mimi schon immer gut gewesen. „Man Mimi“, zischte sie und forderte sie auf ihr das Handy wiederzugeben. „Warte mal kurz, Kari kommt gerade aus der Dusche“, erklärte sie ihm und reichte das Handy zwinkernd an die junge Yagami weiter. „Du bist so bescheuert“, knurrte sie flüsternd, bevor sie das Gespräch mit Tai aufnahm. „Nichts zu danken“, antwortete sie belustig und drehte verspielt an ihren langen Haaren. „Hey Tai“, sagte sie behutsam in den Hörer. Ihr Bruder flippte fast vollkommen aus und wollte sich am liebsten gleich mit ihr treffen. Doch sie hatte das Bedürfnis sich vor ihm zu verstecken. Sie wollte ihm nicht in die Augen schauen und ihn ebenfalls anlügen. Auch bei Mimi fiel es ihr schon von Tag zu Tag schwerer. Und wer konnte ihr garantieren, dass ihr Bruder ihre Lügen nicht gleich durchschaute. Er kannte sie immerhin am besten. Außerdem würde ein Treffen mit ihm, auch weitere Treffen mit den anderen implizieren. Und sie wusste nicht ob sie schon bereit dazu war. Erst als er fragte, wann sie Zeit hätte, fand sie zu ihren eigentlichen Gedankengängen zurück. „Wann ich Zeit habe?“, wiederholte sie und sah fragend zu Mimi. „Morgen“, flüsterte sie ihr zu und nickte mit dem Kopf. Doch morgen war zu bald. Sie hätte sich vielleicht erst die nächste Woche bei ihm gemeldet. Er fragte sie wieder, doch sie bekam nur einige „Ähms“ und „Öhs“ heraus. Kopfschüttelnd grölte Mimi in den Hörer: „Morgen um drei. In der Innenstadt am Brunnen“. „Was? Nein!“, nuschelte Kari und hielt den Hörer mit der Hand zu. „Ich bin noch nicht soweit“. „Du wärst in hundert Jahren nicht soweit!“, sagte sie fordernd. „Aber ich…“. „Nichts aber, das ist jetzt beschlossene Sache“, meinte sie und schnappte sich wieder ihr Handy. „Ist drei Uhr okay? Ja? Gut. Dann bis morgen. Tschau!“ Sie legte auf und reichte ihr das Handy. „Du kannst mir später danken!“ Wütend riss sie ihr das Gerät aus der Hand und rannte zurück zum Hotel. Ihr danken? Das war wohl, das letzte was sie tun würde. Wie sollte sie den Tag morgen nur überstehen? Tai würde sie sicher durchschauen. 03. September 2009. Odaiba, Japan. Cocktailbar. Er war definitiv zu lange weg gewesen. Dabei war er nur für einen Kurztrip zu seinen Verwandten aufgebrochen und nicht zu einer Weltreise. Doch als er gestern wiederkam, überfiel ihn Matt regelrecht mit der Trennung von Tai und Sora. Wie ein Känguru auf Speed sprang er in der Wohnung auf und ab. Tai hatte sich zurückgezogen und wollte am liebsten gar nicht über diesen Vorfall sprechen. Er sagte nur, dass sie sich freundschaftlich voneinander getrennt hatten, während Matt alles mit hochgezogener Augenbraue hinterfragte. Manchmal war das Leben auch simpel. Paare trennten sich. Fremde verliebten sich. Und dann gab es wieder Leute wie Izzy – ohne ein nachprüfbares Liebesleben. Nicht das er sich dafür nicht interessierte, aber irgendwie waren die meisten Mädels, die er kennen lernte einfach irre. Eine fragte ihn tatsächlich, ob er auf Fesselspiele stand. Beim ersten Date. Klar, dass es kein Zweites gab. Natürlich war so ein Abenteuer bestimmt reizvoll, aber an Matt sah er, dass die wenigsten Frauen auch wirklich ein „Nein“ akzeptierten. In dem Jahr, indem er schon mit ihm zusammen wohnte, lernte er viele dieser „verzweifelten“ jungen Dinger kennen. Eine war sogar so hartnäckig, dass sie einen Sitzstreik direkt vor ihrer Haustür zelebrierte, nur weil Matt ihr offen erklärte, dass er nichts Ernstes für sie empfand. Schon oft hatte sich Izzy gefragt, wie er überhaupt auf die Idee kam mit dem Mädchenschwarm Schrägstrich Möchtegernrockstar zusammen zu ziehen. Eigentlich hatten sie in der Vergangenheit immer nur spärlichen Kontakt zueinander gehabt. Die Schlüsselperson bei dem ganzen war Shinji gewesen. Nachdem Matts Bandkollege Akira wegzog, spielte Shinji für die Teenage Wolves vor und glänzte mit seinem musikalischen Feingefühl am Bass. Als Izzy mit Tai einmal einen Auftritt der Band besuchte, stellte er fest, dass Shinji gemeinsam mit ihm Physik studierte. Beide hatten sogar schon mal ein Experiment zusammen durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt lebte Izzy noch bei seinen Eltern und musste fast jeden Tag mit der Straßenbahn circa eine Stunde zur Uni fahren. Das mit der WG war wirklich Dummenglück. Nachdem Izzy und Shinji beim Konzert feststellten, dass sie sich bereits kannten, entwickelte sich mit der Zeit eine Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft. Während einer Vorlesung erzählte er, dass er gerne aus seinem Wohnheim ausziehen wollte, um in einer WG zu wohnen. Mit Matt hatte er zwei Tage vorher scheinbar die gleiche Konversation geführt, denn auch er suchte zurzeit eine Wohnung, die näher an der Uni lag. Anscheinend hatte Shinji die Wohnung schon vorab im Blickfeld gehabt, sonst hätte er es wohl kaum bei ihm und Matt erwähnt. Für Izzy war es auch eine Möglichkeit selbstständiger zu werden und eine WG war wohl für den Anfang der passende Einstieg gewesen. Ohne zu zögern setzten sich die drei zusammen und machten sich einen Überblick über ihre Finanzen und die anstehenden Ausgaben. Es dauerte nicht mal einen Monat, bis alles geklärt war. Einen weiteren Monat später lebten sie bereits zusammen. Simpel, oder? Allerdings hatte keiner der drei gedacht, dass Shinji nach einem Jahr ihre feucht-fröhliche WG bereits verlassen würde. Der Grund war natürlich eine Frau gewesen. Genaugenommen Shinjis Freundin Yumiko, die schon seit Jahren darauf wartete endlich mit ihm zusammen zu ziehen. Doch Shinji wollte immer noch ein Stückchen Freiheit zurück behalten, bis sie ihm schließlich mit der Trennung drohte. Da er sie nicht verlieren wollte, beugte er sich ihrem Willen und Taichi zog in das freie Zimmer. So lautete die Kurzfassung. Was neu hinzukam, war die Trennung von Tai und Sora, die wohl Matt weniger nachvollziehen konnte, als das Paar selbst. Man lebte sich nun mal auseinander. Das passierte eben. Doch Matt hatte wohl eher Angst, dass das komplette Gruppengefüge zusammenbrach. Für jemanden, dem Freundschaften sehr am Herzen lagen, wohl eine Zerreißprobe der Gefühle. Er glaubte nicht daran, dass sich Tai und Sora wirklich im Guten getrennt hatten. Das Misstrauen rührte daher, dass seine eigenen Eltern nach Jahren der Trennung immer noch so verkrampft wie am ersten Tag miteinander umgingen. Deswegen war Matt was Beziehungen anbetraf generell skeptisch. Izzy erinnerte sich an keine Beziehung, die bei ihm länger als drei Monate hielt. Matt war in dieser Hinsicht ganz klar ein Pessimist. Das erklärten auch die unzähligen gebrochenen Herzen, die sich vor ihrer Haustür befanden. Matt war nur für kurze Liebschaften geeignet. Trotzdem bedauerte er das Ende einer Beziehung, die zwei Menschen beinhaltete, die ihm beide sehr wichtig waren. Eine Tatsache, die ihn auf die glorreiche Idee brachte, den Abend in einer Bar zu verbringen. Was sollte er hier? Sah er etwa so deprimiert aus? Komisch sein Spiegelbild zeigte ihm eigentlich einen äußerst erleichterten Taichi. Er wunderte sich daher manchmal wirklich über seine Mitbewohner. Matt hatte ihn regelrecht gezwungen mit ihnen mitzukommen. „Damit du in deiner Verzweiflung keine Dummheiten anstellst“. Das waren seine Worte gewesen. Welche Verzweiflung? Welche Dummheiten? Hatte er irgendetwas verpasst? War die Trennung von Sora nicht recht glimpflich abgelaufen, oder hatte er das etwa geträumt? Er wusste wirklich nicht, warum seine beiden Mitbewohner dachten, dass er Ablenkung bräuchte. Ihm ging es gut. Natürlich zerrte jede Trennung in gewisser Weise an einem. Doch er konnte behaupten, dass er damit zurechtkam. Er musste kein Pokerface aufsetzen, um seinen Schmerz zu verstecken. Genaugenommen musste er gar nichts verstecken. Es war in Ordnung. Und trotzdem befand er sich hier, in einer Bar. Matt hatte ihm bereits das zweite Getränk spendiert und musterte ihn seltsam. „Geht es dir auch wirklich gut? Brauchst du wirklich nicht noch mehr Alkohol?“ Tai schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. Was war nur los? Er wollte doch nur seine Ruhe haben. „Mir geht es gut. Wirklich!“ „Das sagen sie alle und dann liegen sie irgendwann in der Ecke und heulen sich die Augen aus“, meinte Matt nachdenklich und schlürfte an seinem Strohhalm. „Ich bin ganz sicher nicht einer deiner Groupies! Pass lieber auf das du heute Nacht keine zum Weinen bringst!“, giftete er und wand seinen Blick zu Izzy, der verstohlen grinste. Matt hingegen verrollte nur die Augen. Er konnte doch auch nichts dafür, dass er eine solche Wirkung auf Frauen hatte. Klar das die ein oder andere weinte, wenn er ihr sagte, dass er eigentlich nur eine Nacht lang ihr Schmusebärchen war. Er war einfach für eine Langzeitbeziehung nicht geschaffen. Er brauchte wahrscheinlich noch ein bisschen Zeit, um sich die Hörner abzustoßen. „Ich geh eine Rauchen, kommt jemand mit?“, fragte er in die kleine Runde und zog eine Zigarette aus der Schachtel, die er in seine Hosentasche gesteckt hatte. Beide schüttelten kaum merklich den Kopf. Tai war wenn nur der Partyraucher und Izzy hatte bisher nur zweimal an einer Zigarette gezogen. „Ihr Spießer“, lachte er und steckte sich die Zigarette zwischen die Zähne. Tai tauschte mit Izzy vielsagende Blicke aus, bevor Matt nach draußen verschwand. „Er geht mir heute ganz schön auf den Sack“, eröffnete Taichi und verschränkte die Arme vor der Brust. „Er macht sich nur Sorgen“, verteidigte ihn der Rotschopf. „Aber mir geht’s gut!“ Tai fuhr sich durch seine voluminöse Frisur und rutschte seinen Stuhl hinunter. Izzy rümpfte die Nase und betrachtete ihn genau. Traurig sah er wirklich nicht aus. Vielleicht machte sich Matt einfach zu viele Sorgen. „Er wird das sicher auch noch irgendwann kapieren. Wir sollten einfach ein bisschen Spaß haben. Schließlich haben wir bald wieder Uni“. Tai verzog sein Gesicht. Immer musste Izzy seine gute Laune verderben. An die Uni wollte er noch gar nicht denken. Immerhin hatten sie noch einen Monat frei, der genutzt werden sollte. Morgen würden sie, TK und Davis beim Renovieren ihrer WG helfen. Das hatte ihnen Matt eingebrockt, der es großspurig seinem kleinen Bruder angeboten hatte. Tai war ja wirklich gespannt, wie sich die neue Chaoten-WG schlagen würde. Mit Davis und Yolei würde er sicher nicht gerne unter einem Dach wohnen wollen. „Man Leute, ihr sitzt hier wirklich wie bei einem Rentnerbrunch. Wo bleibt der Spaß?“, quietschte Yamato auf einmal hinter ihm. „Das ging ja schnell. Hast du deine Zigarette etwa gegessen?“, fragte Taichi ihn grinsend. „Sehr witzig“. Matt ging zu seinem Platz und setzte sich wieder. „Eure Gläser sind ja fast schon leer. Bedienung nochmal das gleiche, bitte!“, rief er der jungen Dame mit den schwarzen Haaren zu. „Findest du nicht, dass es langsam langt? Wir wollen doch morgen den anderen beim Renovieren helfen“, warf Izzy besorgt ein, doch Matt wank ab. „Das klappt auch mit Restalkohol im Blut und seit wann seid ihr zwei so Pussys geworden? Jetzt wird der Schmerz weggefeiert!“ Tai schüttelte leicht den Kopf und massierte sich die Schläfen. Er würde sicher noch Kopfschmerzen bekommen und er wusste, dass es diesmal sicher nicht am Alkohol lag. 04. September 2009. Odaiba, Japan. Vierer WG. „Wollte dein Bruder nicht um neun hier sein?“, fragte Davis genervt und schaute auf seine Uhr. 10:23 Uhr. „Man ist sein Wecker ausgefallen oder was?“ „Sie kommen sicher gleich“, versuchte TK ihn zu beruhigen und legte den Boden mit Zeitung aus, um ihn vor Farbe zu schützen. „Das kann doch nicht wahr sein“, knurrte er und setzte sich auf den bereits ausgelegten Boden. Ken kam gerade aus Yoleis Zimmer, dass sie bis jetzt gemeinsam gestrichen hatten. „Was ist los? Warum schmollt er?“ „Ich schmolle gar nicht“, geiferte Davis und zog seine Unterlippe nach vorn. „Okay...eigentlich wollte ich nur erwähnen, dass wir mit Yoleis Zimmer fast fertig sind“. „Schon? Das ging aber schnell!“, stellte TK fest und legte die restlichen Zeitungen beiseite. Ken lächelte zufrieden. Er und Yolei waren eben ein gutes Team. Sie strich gerade noch die letzte Wand zu Ende. Beide hatten für ihr Zimmer nur knapp eine Stunde gebraucht. Wenn sie in allen anderen Zimmern auch so gut vorankamen, könnten sie sicher die nächste Woche einziehen. Zum Glück hatte Yolei jetzt auch endlich die Jobzusage bekommen. Nächsten Mittwoch würde ihren ersten Tag im Café antreten. „Okay die letzte Wand ist jetzt fertig!“ Kaum hatte man an sie gedacht, stand sie auch schon im Raum. Mit ihrem Pinsel bewaffnet stand sie schräg neben Davis. Etwas grüne Farbe befand sich noch auf der Pinselspitze. „Hey du solltest den Pinsel noch sauber machen, sonst befindet sich die grüne Farbe gleich überall!“, warnte Takeru sie. Doch Yolei lachte nur und bewegte ihre Hand mit dem Pinsel schwungvoll. Ohne Vorwarnung klatschte sie Davis den Rest Farbe in sein Gesicht und seine Haare. „Man Yolei, spinnst du?“ Er fuhr sich mit der Hand über seine Nase und seine Haare, um feststellen zu müssen, dass sie ihn knallhart erwischt hatte. „Sorry war wirklich keine Absicht, aber Grün steht dir wirklich, Davis!“, witzelte sie. „Das gibt Krieg!“, brüllte er und sprang auf. „Oh nein bitte nicht“, bettelten Ken und TK synchron. Doch es war zu spät. Davis hatte sich bereits eine Rolle geschnappt und tunkte sie in die hellbraune Farbe, mit denen sie eigentlich das Wohnzimmer streichen wollten. „Leg sofort die Rolle hin!“ forderte Yolei hartnäckig und hielt den Pinsel zum Schutz vor sich. „Vergiss es! Wie du mir so ich dir“, krächzte er und schwang die Farbrolle in ihre Richtung. Sowohl Ken, als auch TK hielten augenblicklich die Luft an, als die braune Farbe Yolei direkt traf. Sie stieß einen schrillen Schrei aus und konnte auf dem einen Auge nichts mehr erkennen. Davis hatte ihre komplette linke Seite erwischt. „Du Idiot. Hast du zu heiß gebadet?“ „Sowas nennt man Chancenausgleich!“, erinnerte er sie und deutete auf seine Haare. „Wie bitte? Aber gut wenn du auf Krieg bestehst, dann bitte!“ Sie tunkte ihren Pinsel ebenfalls in die braune Farbe und malte Davis einmal quer über sein Gesicht. „Jetzt sind wir definitiv quitt!“ Davis, der mit offenem Mund vor ihr stand und merkte dass allmählich Farbe in seinen Mund tropfte, konnte nicht fassen, dass sie gerade mit ihrem dreckigen Pinsel sein Gesicht verschönert hatte. „Das war´s!“ Er legte die Rolle auf eine der Zeitungen und ging mit den Händen in die Farbe, die nicht mehr nach braun aussah und rannte Yolei hinterher, die vor ihm die Flucht ergriffen hatte. „Lass mich in Ruhe!“, zischte sie und rannte quer durch die Wohnung. Die Zeitungen die TK zuvor ausgelegt hatte, wurden durch den gesamten Wohnraum verteilt. „Man jetzt hört gefälligst auf! Ihr macht alles dreckig. Hey!“ TK konnte es nicht fassen. Jetzt wurde er sogar selbst mit Farbe „beworfen“ und dann kam auch noch Davis, der sich hinter ihm und Ken versteckte, da Yolei mal wieder den Spieß umgedreht hatte. „Bleib stehen“, zischte sie und erwischte prompt Ken, der im Gerangel direkt vor Davis stand. „Ihh ich habe Farbe im Mund“, kommentierte Ken, leicht würgend. „Boah jetzt echt...es reicht!“ Wütend nahm TK Yolei den Pinsel ab, während sich Ken immer noch über den Mund rieb. „Geschieht dir recht!“, pustete Davis laut und streckte ihr die Zunge heraus. „Pass auf was du sagst. Ansonsten hat deine Zahnbürste bald einen Kloflug inklusive!“, drohte sie mit erhobenem Zeigefinger. „Verdammt nochmal es langt! Guck mal was ihr für eine Schweinerei gemacht habt“, erinnerte sie TK, der fuchsteufelswild auf den Boden deutete. „Das geht bestimmt wieder ab, oder?“ „Es sieht aus als hättet ihr einen Massenmord veranstaltet. Da sind manche Tatorte sauberer“, informierte sie Ken. „Und was machen wir jetzt?“, wollte Yolei wissen und schaute verzweifelt zu den Jungs. Mit ihrer Farbbeschlagenen Brille sah sie aus wie ein Pirat. Es fehlte nur noch der Papagei auf ihrer Schulter. „Dafür braucht man sicher Terpentin, sonst bekommt man es nicht richtig ab!“ TK fuhr sich durch die blonde Mähne und funkelte Yolei und Davis böse an. „Mit Nagellackentferner geht´s sicher auch“, murrte Yolei unsicher und verteilte mit ihrem linken Fuß die Farbreste. „Okay ich würde sagen, dass wir erstmal versuchen es so abzubekommen. Sie wird bestimmt nicht überall getrocknet sein“, warf der Blondschopf ein und rannte in die Küche, um einige Lappen zu holen. Da wohnte er noch nicht mal mit ihnen zusammen und schon befanden sie sich im Chaos. Wie sollte dann erst das Zusammenleben werden? TK rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Sie waren viel zu spät dran. Es war bereits nach zwölf, als sie an der Wohnung seines kleines Bruders ankamen. Eigentlich wollte Matt gar nicht so über den Durst trinken, doch er hatte das Gefühl, dass sein Freund Taichi die Abwechslung brauchte. Er traute der ganzen Sache noch nicht. Vielleicht lag es auch daran, dass Sora sich seither nicht mehr bei ihm gemeldet hatte, obwohl er ihr, unzählige SMS schrieb. Er könnte sicherlich schon als ihr Stalker durchgehen. Wer weiß, vielleicht war sie mit der Trennung alles andere als Einverstanden gewesen. Tai konnte noch nie gut zwischen den Zeilen lesen. Möglicherweise saß sie alleine in ihrem Studentenzimmer und heulte sich die Augen aus. Er sollte besser besuchen gehen. Matt konnte doch nicht verantworten, dass sie in eine Posttraumatische Depression verfiel, nur weil sein bester Freund nicht im Stande war die Zeichen zu lesen. Er war einfach zu blind dafür. „Mein Schädel“, knurrte Taichi und quälte sich die Treppen hoch. Okay. Und im Moment war er einfach zu besoffen, um die Tatsachen zu erkennen. Die Idee, dass Alkohol für Herzschmerz gut sein würde, konnte hiermit deutlich wiederlegt werden. Matt hatte einen Drink der „Black Panter“ hieß. Das einzige was dieser förderte, war sein Blackout zwischen halb eins und drei. Tai hatte ihm heute Morgen grinsend gestreckt, dass er mit der Kellnerin, die sie bedient hatte, nach Dienstschluss rumgemacht hatte. Sie hatte ihm sogar ihre Nummer auf seine linke Hand geschrieben. Die Ziffern waren allerdings so verschmiert, dass man nichts mehr retten konnte. Laut Tai sah sie ohne hin nur „so lala“ aus. Wahrscheinlich hatte er sie sich schön gesoffen. Zum Glück hatte er Freunde, die ihn vor peinlichen Abenteuern beschützten. Am nächsten Morgen hätte er sich bestimmt vor ihrem Gesicht erschreckt. Okay, das klang vielleicht etwas eingebildet, aber Matt konnte wirklich alle haben. Als Musiker hatte man diese gewissen Anziehungskräfte auf die Frauen. Immer wenn er auf seiner Gitarre einige Takte spielte und in das Mirko grölte, fielen sie um wie Dominosteine. Er wollte ja nicht angeben, aber an sexueller Erfahrung mangelte es ihm sicherlich nicht. Und wieso sollte man sich festlegen, wenn die Frauen ihm zu Füßen lagen und ihn regelrecht anhimmelnden? Es war so leicht. Man(n) musste es einfach ausnutzen. Izzy war wohl schon immer recht vernünftig gewesen. Deswegen hatte er heute auch keinen Kater. Er hörte immer rechtzeitig auf. Er kannte seine Grenzen. Überschritten hatte er sie nie. Etwas was er im Nachhinein bereute. In seinem Studium musste er immer voll da sein. Er lernte während des Semesters fast immer. Tag täglich. Und zweimal die Woche gab er an der Uni Computerkurse, damit er sich noch etwas Geld nebenbei dazu verdienen konnte. Nicht das er es brauchte. Seine Eltern hatten ihm für das Studium, eine gute Rücklage angespart. Was zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, war das er sich für ein Stipendium qualifizierte. Er war der beste seines Jahrgangs und hatte es sich mehr als verdient. Doch der Druck lastete weiterhin auf seinen Schultern. Er brauchte unbedingt gute Note, um sein Stipendium auch weiterhin behalten zu dürfen. Die Sache, die ihm das Studium eigentlich erleichtern sollte, setzte ihn umso mehr unter Druck. In seiner letzten Physikklausur hatte er nur mit befriedigend bestanden. Für Izzy die pure Katastrophe. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er ein Stück Joe gefrühstückt hatte. Eigentlich war nur er so versessen auf gute Note gewesen, was zum größten Teil daher rührte, dass sein Vater ihn unter Druck setze. Izzys Eltern hatten dies nie getan. Seine Mutter machte sich sogar Sorgen, dass er zu viel Zeit an seinem Computer verbringen könnte. Wahrscheinlich hatte sie nur Angst, nie Enkelkinder zu bekommen. Aber eine Beziehung wäre für Izzy wirklich unmöglich zu führen. Selbst die einfachsten Dinge brauchten bei ihm exzessives Zeitmanagement. Er beneidete seine Freunde regelrecht um ihre Freizeit. Er hatte nicht so ein Glück. Und jetzt hatte er sich auch noch freiwillig zum Renovieren gemeldet. Naja was heißt freiwillig. Matt hatte ihn wohl eher dazu genötigt. Und mit der Person, die als einziger einigermaßen gut Kochen konnte, wollte er es sich definitiv nicht verscherzen. Taichis Fraß würde er kein zweites Mal hinunterwürgen. Jedoch schrie sein Zeitplan förmlich nach einer Nachtschicht. Selbst mit Kaffee könnte dies schwierig werden. „Ich bin so fertig“, meckerte Taichi und riss den Rotschopf aus seinen Gedanken. Er sah wie sein brünetter Freund sich müde und miesgelaunt gegen die Hauswand lehnte und mehrfach hintereinander die Klingel betätigte. „Es reicht auch wenn du einmal draufdrückst!“, ermahnte ihn Matt, der bei dem schrillen Ton das Gesicht verzog. „Sei nicht so eine Pussy“, erwiderte er und drückte nochmal. „Es war schließlich deine Idee in die Bar saufen zu gehen“. „Ich bereue es jetzt schon“, knurrte der Blonde und fuhr sich ganz dramatisch durch die Haare. Man merkte beiden an, dass der Kater ihnen auf den Schädel drückte. Pech gehabt, nicht wahr? Izzy grinste leicht, doch bevor er etwas daraufhin sagen konnte, wurde die Tür von TK aufgerissen. „Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte er sie und ließ sie rein. Ein bestialischer Gestank breitete sich in ihren Nasen aus. „Man TK was stinkt hier denn so?“, fragte Tai aufgebracht und hielt sich die Nase zu. „Das ist ein spezieller Bodenreiniger. Irgendwas mit Terpentin!“ „Okay. Und warum braucht ihr sowas?“, wollte Matt mit skeptischem Unterton wissen. TK zog provokant die Augenbraue nach oben und ging ein Stück weiter rein. „Guck’s dir doch an! Sowas passiert nur wenn man mit Yolei und Davis umzieht!“ Er ging zur Seite und zeigte in den Wohnraum. „Ach du heilige Scheiße“, kommentierte Matt, während seine Kinnlade automatisch nach unten klappte. „Jap. Sowas hätte ich gerne mal meiner alten Kunstlehrerin vor die Nase gesetzt“, meinte Tai und lachte. „Darauf hätte ich sicher ne Eins bekommen!“ „Das sieht aus als hätte ein Marsmännchen gekotzt!“ „Danke für die nette Umschreibung, Izzy“, sagte auf einmal Yolei, die mit einem Mopp aus der Küche kam. „Zu meiner Verteidigung: Davis hat mich provoziert!“ „Stimmt gar nicht“, hörte man aus der Ecke rufen. Es waren alle da. Bis auf Ken. Davis saß in einer Ecke des Wohnzimmers, in der sie besonders gewütet hatten und versuchte mit einem Schwamm, dass zu retten was noch zu retten war. Sogar die Fenster waren betroffen. „Wo ist eigentlich Ken?“ „Der holt noch Spezialreiniger für die Fenster. Das Schlamassel ist uns erst später aufgefallen“, erklärte TK und deutete in Davis‘ Richtung. „Dann können wir das mit dem Tapezieren heute wohl vergessen“, nuschelte Tai verärgert und schlang die Arme hinter den Kopf. „Ihr könnt euch ja einen Lappen schnappen und die Ecken schrubben“, erwiderte Yolei und funkelte die drei fordernd an. Tai verrollte nur genervt die Augen und signalisierte Matt deutlich, dass er hier weg wollte. „Ihr könnt auch um vier nochmal kommen. Dann sind wir sicher fertig“, versicherte Takeru ihnen optimistisch, doch Matt schüttelte demonstrativ den Kopf. Er hatte versprochen seinem Bruder zu helfen. Komme was da wolle. „So ein Quatsch. Jetzt, wo wir schon mal hier sind...“ „Matt“, zischte Tai und stieß ihm in die Rippen. „Ich bin keine Putze!“ „Stell dich nicht so an. Für deine Schwester würdest du sicher das Gleiche tun“. Tais Gesicht entgleiste. Er bezweifelte wirklich, dass seine Schwester jemals die Wände, mit samt der Fenster und des Fußbodens braungrün sprenkelte. Doch sie hatten versprochen, ihnen zu helfen. Und Tai war eigentlich immer jemand, der sich an Versprechen hielt. Auch wenn der Kater auf seinen Kopf drückte und die Dämpfe des Spezialreinigers bei ihm wohlmöglich Brechreiz anregen würden - schlimmer konnte es wohl kaum noch aussehen. 06. September 2009. Odaiba, Japan. Wohnung der Kidos. „Schatz du siehst wirklich schlimm aus“, stellte seine Mutter besorgt fest und hielt ihre Hand an seine Stirn. „Du wirst doch hoffentlich nicht krank werden, oder?“ Joe presste die Lippen aufeinander und hoffte nicht jeden Augenblick losschreien zu müssen. Ob er krank war? Wohl eher nicht. Er war es leid. Zweiundzwanzig und sein ganzes Leben fühlte sich verpfuscht an. Durfte er eigentlich noch selbst entscheiden oder waren alle seine Entscheidungen von seinem Vater abhängig? Er hatte definitiv den roten Faden verloren. Wahrscheinlich schon früher als ihm lieb war. Schon als Kind drehte sich die Welt für ihn nur um eins: gute Noten, Aufnahmeprüfungen und das Medizinstudium. Mit Mühe und Not erreichte er all diese Dinge. Doch zu welchem Preis? Er gab seine Kindheit auf. Seine Jugend. Noch nie hatte er eine Party besucht. Zu sehr war er mit dem Lernen und Weiterbilden beschäftigt, sodass alles an ihm einfach vorbei zog. Er schaute zu seiner Mutter, legte ein Lächeln auf und schluckte den Schmerz, den er schon eine Zeitlang verspürte. Sein Vater war gerade in sein Arbeitszimmer verschwunden, um seinen Arbeitsplan für nächste Woche zu holen. Am liebsten wäre es ihm, wenn Joe alle möglichen Operationen von ihm beiwohnen könnte – doch ein Tag hatte bekanntlich nur 24 Stunden zur Verfügung. Neben seinem Praktikum im Krankenhaus und den Hausarbeiten, die er schreiben musste, verbrachte er die restliche Zeit vor der Glasscheibe, die ihm vom Operationssaal trennte. Mehrere Medizinstudenten sahen zu. Alle waren in einem viel höheren Fachsemester als er, weshalb er schon liebevoll als das „Küken“ bezeichnet wurde. Manchmal fragte er sich, wie sein Leben laufen würde, wenn er es sich selbst ausgesucht hätte. Vielleicht hätte er nicht Medizin studiert, sondern irgendeine Geisteswissenschaft oder sogar Psychologie. Doch diese Optionen kamen für seinen Vater definitiv nicht in Frage. Sein Sohn sollte Arzt werden, wie die anderen auch. Eigentlich sollte er wie sein Vater werden. „Ich glaube ich will mein Medizinstudium nicht weitermachen“, gestand er seiner Mutter langatmig. Sie starrte ihn an, nachdem er die Bombe platzen gelassen hat. Ihre Augen waren geweitet und sie hatte ihren Kopf leicht schräg gelegt. „Okay. Ich glaube dein Vater wird davon nicht begeistert sein“. Ihre Worte hämmerten sich in seinen Kopf. Klar würde er nicht begeistert sein. Er kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, dass er auf hundertachtzig polternd durch die Wohnung fegen würde. Noch nie hatte sich einer seiner Söhne ihm wiedersetzt. Und Joe war der Jüngste. Er war irgendwie noch auf seine Familie angewiesen. Seine Mutter wusch ihm immer die dreckige Wäsche und einmal in der Woche trafen sie sich zum gemeinsamen Mittagessen. Joe befand sich noch mitten im Abnabelungsprozess. Auch wenn er während der Woche für sich alleine sorgte, wusste er dass er ohne seine Eltern verloren war. Vielleicht nicht verloren, aber er brauchte sie noch an seiner Seite. „Ich weiß nicht was ich tun soll“, gestand er und biss sich auf die Unterlippe. Seine Mutter lächelte ihn müde an und fuhr ihm über den Rücken. Sie wusste wie ihr Mann sein konnte. Er war sehr impulsiv, beruhigte sich allerdings recht schnell wieder. Dennoch würde Joes Studienabbruch für ihn mit einem Vulkanausbruch oder einer anderen Naturkatastrophe gleich aufkommen. Es war unaufhaltsam und würde ein beschreibbares Chaos hinterlassen. Deswegen kehrte man viele Dinge im Hause Kido einfach unter den Teppich. Selbst wenn dadurch Dellen oder irgendwelche Stolperfallen entstehen würden. Und Joe wusste das. Er wusste, dass er nicht gegen seinen Vater ankommen würde, ohne einen dritten Weltkrieg innerhalb der vier Wände auszulösen. Er war eben jemand, der sich dem Willen anderer immer beugte. Deswegen traf er ungern eigene Entscheidungen. Es war eben ein Spiel mit dem Feuer. Und jeder wusste wie heiß Feuer sein konnte und wie leicht man sich die Finger verbrannte. Es war unmöglich eine Entscheidung zu treffen, mit der jeder glücklich sein konnte. Daher entschied er sich, vorerst den Weg der Unglücklichen weiter zu beschreiten. 08. September 2009. New York, USA. Universitätscampus. Sie saß gerade beim Mittagessen und stocherte in ihrem Salat, als Mimi wütend angestürmt kam. „Er ist wirklich so ein Idiot!“, fluchte und ließ ihre Tasche geräuschvoll auf den Boden fallen. Kari legte die Gabel beiseite und konnte sich schon denken, über wen Mimi sprach. Sie hatte bereits gemerkt, dass die Beziehung der beiden nicht gerade einfach war. „Was hat Michael nun schon wieder gemacht?“, fragte sie leicht genervt. Ihren Unterton konnte sie nur schwer vor Mimi verbergen. Sie wusste ja nicht, was heute vorgefallen war. „Sag mal welche Laus ist dir den über die Leber gelaufen?“ Kari verrollte die Augen und starrte auf ihren Salat. Eigentlich hätte sie im Moment wirklich Lust auf einen fettigen Burger gehabt, aber sie verkniff sich das Frustessen. Es würde ihr Problem sicher nicht verbessern, sondern eher verschlimmern. „Eine, die bei mir im Ballettkurs ist, meinte ich wäre zu dick“, erzählte sie missmutig. „WAS? Wer ist die Schlampe?“, blaffte Mimi und zog augenblicklich alle Blicke auf sich. Ihr Mund war mal wieder schneller, als ihr Kopf. „Sorry“, murmelte sie leise, während Kari leicht grinsen musste. Mimi wirkte auf sie immer selbstsicher – so ein Kommentar hätte ihr sicherlich nichts ausgemacht. Sie hätte bestimmt zum Gegenangriff angesetzt. „Ist kein großes Ding“, beruhigte Kari sie. „Sie meinte nur meine Oberschenkel wären breiter als der Rest“. Ihr hätte es doch klar sein müssen, dass der Konkurrenzkampf auf einer Schule wie der Juilliard hart sein würde. Jeder wollte der Beste sein. Auch Emily, die die sie beleidigt hatte. Wahrscheinlich hatte sie es nur getan, weil ihre Trainerin Mrs Fritzgerald, von Kari heute einfach nur begeistert war. Sie studieren eine neue Nummer ein und Kari hatte nie irgendwelche Probleme gehabt, sich schwierige Schrittfolgen zu merken, selbst beim Ballett. Emily hatte allerdings einen schwierigen Start. Und Mrs Fritzgerald scheute sich nicht, ihr ins Gesicht zu sagen, was sie von ihrer heutigen Leistung hielt. „Das musst doch wirklich langsam sitzen. Emily entweder du konzentrierst dich jetzt oder du kannst für heute gehen. Nimm dir mal ein Beispiel an Hikari“. Der letzte Satz hatte ihr wohl den Rest gegeben. Zwar bekam sie die Schrittfolge hin, doch die restliche Stunde strafte sie Kari mit einem vielsagenden Blick. Sie war es wohl nicht gewohnt gewesen, dass jemand besser war als sie. Das waren viele nicht. In den meisten Fällen, waren sie immer der Star der Schule und sie bekamen für ihr Talent volle Aufmerksamkeit geschenkt, doch hier waren sie nur eine unter vielen, die gut waren. Man fiel eben negativ auf, wenn man etwas nicht so hin bekam wie all die anderen. Mittelmäßig gab es eben nicht. „Was für ein Abschaum“, zischte Mimi und band ihre Haare zu einem Dutt zusammen. „Ist ja wirklich dreist. Aber wahrscheinlich hat sie voll den fetten Arsch und will davon nur ablenken“. Kari lächelte und unterdrückte ihr Kichern. Mimi war einfach die beste. Sie wusste einfach wie sie Kari aufheitern konnte. „Isst du deswegen nur einen Salat?“, fragte sie fast schon schlussfolgernd. Die Brünette nickte nur und schob den Rest beiseite. Ihr hing es langsam wirklich aus den Ohren. Schon letzte Woche hatte sie sich fast nur von Grünzeug ernährt, da sie das Gefühl hatte mit diesen dürren Klappergestellen mithalten zu müssen. Emily war nicht die einzige, die gerne etwas über das Aussehen anderer Mädchen sagte. Viele machten es sich zum Hobby, über andere zu Tratschen. Wahrscheinlich fühlten sie sich dadurch besser. Es gehörte vielleicht auch einfach zum täglichen Nachmittagsplausch. Etwas, was Hikari nie ganz nachvollziehen konnte. Es war einfach nicht ihre Art über andere Menschen hinter ihrem Rücken zu lästern. Mimi hingegen hatte sich von den dürren Klappergestellen etwas anstecken lassen, auch wenn ihr Frust sich hauptsächlich gegen Michael richtete. „Ich hätte wirklich Bock auf Fast Food! Wie wäre es wenn wir uns einen Burger in der Innenstadt holen. Mit Chilifritten“. „Klingt wirklich unfassbar lecker“, antwortete sie fröhlich und fragte sich langsam, ob Mimi ihre Gedanken lesen konnte. Es war wirklich gruselig, aber auch irgendwie schön, wenigstens eine Freundin zu haben, die das gleiche dachte wie sie. Was zur Hölle wollte er eigentlich hier? Gut er brauchte sicherlich einige männliche Freunde, aber er wusste wirklich nicht ob er diese in Michael und seinem Idiotenclub finden würde. Wallace wurde von Michael persönlich dazu aufgefordert bei ihnen zu Essen – so als wäre es eine ganz förmliche Einladung von der Queen persönlich zum Kaffeekränzchen. So kam es ihm jedenfalls vor. Wahrscheinlich hatte Mimi ihre Finger im Spiel gehabt, nachdem er ihr anvertraut hatte, dass er noch nicht sonderlich viel Anschluss gefunden hatte. Sie hatte Michael bestimmt dazu überredet ihn zum Essen einzuladen. Und hier saß er nun, gemeinsam mit Peter, seinem Zimmergenossen. Beide fragten sich, was sie dazu geritten hatte. Nachdem Michael Mimi äußerst unfreundlich weggeschickt hatte, redete er mit seinen Freunden über verschiedene Studentinnen, die er persönlich „mega geil“ fand. Mimi sollte das ganz sicher nicht hören, deswegen hatte er sie auch wegeschickt, als sie sich zu ihnen setzen wollte. „Also deine Freundin ist wirklich heiß, aber ganz schön kratzbürstig“, kommentierte Michaels Freund Carter und stupste ihn leicht an, nachdem sie angesäuert die Gruppe verließ. Sie lachten, machten dumme Witze und schauten bei jeder Gelegenheit irgendwelchen Ärschen hinterher. Wallace wunderte sich allmählich, dass Mimi all das einfach so mitmachte. Bestimmt wusste sie nur ein Teil der Dinge, die er erfahren durfte. Angeregt und unverblümt plauderte Michael intime Details aus ihrem Sexleben aus und regte sich auf, dass sie nicht immer so wollte wie er. Außerdem hatte er anscheinend Bock auf härtere Sachen, die ihm Mimi allerdings verwehrte. Bei den Schlagworten Fesselspielen und Handschellen schlug Peter Wallace leicht gegen die Schulter und weitete dramatisch seine Augen. „Alter...was machen wir überhaupt hier?“, flüsterte er ihm zu und versuchte seine aufkommende Schamesröte zu verbergen. Er war noch Jungfrau, was ihm sichtlich peinlich war. Wer war schon gerne auf dem College noch Jungfrau? Nicht das Peter schlecht aussah, aber er war einfach verdammt schüchtern. Die Gespräche der erfahreneren Elite verunsicherten ihn nur. Bei seinem ersten Mal dachte man ganz sicher nicht an irgendwelche fetischen Sexfantasien. Viele hatten wohl eher Angst im entscheidenden Moment keinen Hoch zu bekommen. Doch selbst Wallace, der alles andere als jungfräulich war, hatte sich über solches Zeug noch nicht mal Gedanken gemacht. Er mochte es eben „normal“. Erst als sein Name fiel, streckte er auf und sah wieder in die kleine Runde. „Ja was?“, fragte er und Peter verrollte zeitgleich die Augen. Er hatte die Frage bereits mitbekommen und konnte nicht fassen, wie primitiv manche Leute doch waren. „Hast du sie schon flachgelegt? Die Kleine, die immer bei dir ist?“, wiederholte Michael und grinste schäbig. Wallace wurde auf einmal kreidebleich und wusste sofort, wen er meinte. „N-Nein. Wie kommst du auf sowas?“ „Die Kleine hat was. Und man sagt ja immer, dass stille Wasser bekanntlich sehr tief sein können“, antwortete er lachend und zwinkerte ihm zu. „Wir sind nur miteinander befreundet“, klärte er auf, während Peter ihm schon zum zweiten Mal zuflüsterte, dass er jetzt gehen wollte. „Gut zu wissen“, meinte Michael daraufhin und blickte zu seinem Freund Carter. „Vielleicht guckst du sie dir demnächst mal etwas genauer an. Du stehst doch auf unschuldig, nicht wahr?“ Carter lachte laut und nickte zustimmend. „Vielleicht ist sie ja noch Jungfrau, dann macht es sogar noch mehr Spaß“, posaunte er und fixierte seinen Blick zu Wallace, der förmlich vor Wut kochte. Wie konnte man nur so über junge Frauen sprechen? Hatten diese Typen keinerlei Respekt vor dem anderen Geschlecht? „Lass die Finger von ihr! Sie ist nicht der Typ Frau“, pflaumte er ihn an und sprang auf. „Willst du mir ernsthaft Vorschriften machen, Kleiner? Wenn sie will, dann sage ich sicher nicht nein!“, erklärte ihm Carter mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. „Sie ist anständig und ich lasse nicht zu, dass du sie einfach so ausnutzt“. „Sie ist doch alle immer so anständig, aber im Bett werden sie zu wilden Tieren, die ihrem animalischen Trieb freien Lauf lassen“. Carter lehnte sich lässig gegen die Wand und funkelte ihn herausfordernd an. Auch Michael zog provokant die Augenbraue in die Höhe, während Wallace seinen Blick zu Peter wandte. „Du hast Recht, wir sollten besser gehen“. Nachdem sich Kari beim Mittagessen einen Burger mit Mimi genehmigte und sich nebenher anhören musste, wie scheiße Michael war, ging es ihr mittlerweile wieder richtig gut. Sie strotzte vor Energie. So sehr, dass sie sich abends ganz spontan mit Wallace zum Tanzen verabredetet hatte. Mimi wollte später auch noch nachkommen, falls sie Michael davon überzeugen konnte. Ein Tanzabend gab es immer zweimal im Monat. Verschiedene Musikrichtungen wurden einfach wild miteinander gekreuzt, um möglichst viele verschiedene Leute anzulocken. Es sollte einfach Spaß machen, um den Unialltag für eine kurze Zeit vergessen zu können. Das Tanzen hier hatte wenig mit dem Tanzen während des Unterrichts zu tun. Man konnte man selbst sein. Einfach die Sau rauslassen. Spaß haben. Doch etwas störte Hikari. Seit sie Wallace erzählt hatte, dass sie ein Kerl namens Carter vorhin angesprochen hatte und ihr ein Kompliment wegen ihres Kleides aussprach, verhielt er sich seltsam. Seine Miene wirkte finster und er zog seine Augenbraunen skeptisch zusammen. Erst später merkte sie, dass er Carter die ganze Zeit beobachtet hatte, der wiederrum sie die ganze Zeit im Blick hatte. „Magst du den Kerl nicht?“, fragte sie, bekam aber keine Antwort, sondern nur ein säuerliches Grunzen. Erst als Carter bei ihnen auftauchte, schien sich Wallaces Gesichtsausdruck zu verändern. Wohl eher sich zu verschlimmern. Mittlerweile sah er wirklich so aus als hätte er Blähungen. „Na wie geht es denn meinem Bier?“, wollte er wissen und stellte sich zu den beiden. Er hatte Kari auch noch ein Bier ausgegeben, bevor sich Wallaces Laune vollkommen verabschiedet hatte. Er musterte die Bierflasche seltsam und fragte, ob er ihr die Flasche angeboten oder ob sie sich das Bier selbst bestellt hatte. Das Zweite war der Fall gewesen, weshalb sich Wallace Gesicht wieder etwas entspannte. Kari wusste ja nicht, dass Carter nicht-jugendfreie Absichten auf sie hatte. Er würde ihr bestimmt auch Drogen ins Getränk mischen um sie rumzubekommen. Deshalb durfte Wallace sie auch nicht aus den Augen lassen. Er fühlte sich irgendwie für sie verantwortlich. Kari lächelte schüchtern, während Carter sie in ein Gespräch vertiefen wollte. Wallace biss sich auf die Unterlippe und überlegte wie er das ganze unterbinden konnte. Der DJ spielte einen neuen Song ein und Wallace kam die Idee. „Hey der Song ist wirklich klasse, wollen wir tanzen?“, forderte er sie auf und wartete noch nicht mal ihre Antwort ab, als er sie schnurstracks auf die Tanzfläche zog. Irritiert sah sie ihn an, ließ sich jedoch dann von der Musik leiten. Plötzlich zog Wallace sie näher an sich heran. Sein Mund befand sich neben ihrem Ohr und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Langsam fragte sie sich wirklich was mit ihm los war? „Lass besser die Finger von dem Kerl. Der ist nicht ganz sauber“, wisperte er ihr ins Ohr und spielte dabei auf Carter an. Perplex starrte sie in Wallace Gesicht, der ihr signalisierte, dass er es ernst meinte. Er wollte ihr nicht sagen, dass er sie nur flachlegen und irgendwelche sexuellen Fantasien mit ihr ausleben wollte. Wallace hatte das Gefühl, dass sie dadurch zerbrechen könnte, wie eine dieser filigranen teuren Porzellanpüppchen, die seine Mutter schon seit Jahren sammelte. Er konnte ja nicht ahnen, dass das Zerbrechen für Hikari unvermeidlich war. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)