Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 10: Geduldsprobe. ------------------------- I'm sick and tired of the mess you made me. Blind, Animal/Cannibal. Ke$ha, 2010. 31. Mai 2010. Odaiba, Japan. Universität. „Du triffst dich mit Davis?“, fragte sie verwirrt und verschränkte die Arme vor der Brust. Mimi räumte gerade ihren Kram zusammen und packte alles in ihre Tasche. „Ja, wir haben uns auf der Party ein wenig unterhalten…bevor alles eskaliert ist“, gab sie zu und stellte sich direkt vor Kari. Diese zog die Stirn in Falten und versuchte durch Telepathie herauszufinden, was sich ihre beste Freundin nur dabei dachte. Sie wusste doch, dass Davis sie abgrundtief hasste. „Warum gehst du ausgerechnet mit ihm zur Uni? Warum gehst du nicht mit Sora?“ „Ach Kari…Sora studiert Modedesign. Sie wird wohl den ganzen Tag zeichnen, Stoffe aussuchen und zusammennähen. Außerdem finde ich seinen Studiengang sehr interessant“. „Bitte lass es einen Alptraum sein“, murrte sie und stampfte zornig auf. „Du weißt, dass wir beide uns nicht verstehen und außerdem willst du sowieso Schauspielerin werden. Warum also das Ganze?“ Hikari traute ihr nicht. Sie hatte irgendetwas vor, dass hatte sie im Gefühl. Insgeheim verfluchte sie sich jetzt schon, sich dazu entschlossen zu haben, doch hier zu bleiben. „Klar wäre es toll, wenn ihr euch wieder vertragen würdet, aber ich will´s mir wirklich einfach nur mal angucken. Ich habe früher mal mit dem Gedanken gespielt, das gleiche wie Davis zu studieren“. „Wirklich? Und woher kam der Sinneswandel?“, wollte sie wissen, auch wenn sie ihr immer noch nicht glaubte. „Keine Ahnung. Warum hast du dich gegen Sozialpädagogik entschieden?“, stellte sie die Gegenfrage. Kari presste die Lippen aufeinander und wand ihren Blick zu Boden. „Weil es eine große Chance war“. „Siehst du. Mir ging es genauso“, sagte sie knapp und ging zu dem großen Wandspiegel, der direkt neben dem Kleiderschrank hing, um ihr Erscheinungsbild nochmals zu checken. Die Jüngere folgte ihren Bewegungen und betrachtete sie immer noch skeptisch. Sie hatte ihr nie etwas davon erzählt. Sie wusste gar nicht, dass sie mal etwas anderes studieren wollte. Wahrscheinlich hatte Mimi selbst genug Geheimnisse, die sich hinter ihrer ach so perfekten Fassade versteckten. „Aber wann hast du dich dafür beworben gehabt? Ich dachte in LA wolltest du ebenfalls Schauspiel studieren?“, hakte sie nach, während Mimi sich mit den Fingern durch ihre langen braunen Haare glitt. Sie drehte sich zu ihr und schenkte ihr ein müdes Lächeln. „Das war gelogen. Ich habe mich für Ernährungswissenschaften und Ökologie beworben. Ich wurde aber abgelehnt und meinen Eltern war es sowieso zu weit weg“. „Verstehe“, murmelte die Brünette. Sie hatte gar keine Ahnung gehabt, dass Mimi auch andere Träume neben der Schauspielerei hatte. „Und deswegen möchte ich es mir mal ansehen. Nur zum Spaß“, erklärte sie und schritt näher an Kari heran. „Ich werde dich wohl nicht dazu überreden können, mitzukommen, oder?“ Kari schnaufte und legte den Kopf schief. „Die Frage kannst du dir sicher selbst beantworten“. Sie und Davis? Das würde nicht funktionieren. Das endete wahrscheinlich in einer größeren Katastrophe als bei Tai und Mimi. Jedenfalls dachte sie das. „Okay Schade“, meinte sie und schaute sie traurig an. „Was willst du heute denn machen?“ „Ach so dies und das“, antwortete Hikari mit schriller Stimme und blickte zur Decke. „Ich werde wohl in die Stadt gehen“. Mimi nickte und grinste sie wissend an. Sie legte ihre Hand auf ihre Schultern und übte leichten Druck aus. „Ja so ein Shopping-Tag wird dir sicher gut tun“. Danach ließ sie von ihr ab und ging zur Tür. Sie nahm sie Schlenke in die Hand, drehte sich jedoch nochmal kurz zu ihr hin. „Und komm ja nicht auf dumme Gedanken! Dein Reisepass ist in meiner Tasche“, eröffnete sie ihr und verließ den Raum. Davis stand gemeinsam mit Takeru auf dem Campus und wartete auf Mimi, die sich deutlich verspätet hatte. „Warum will sie nochmal mitgehen?“, fragte TK und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Sie hat mir erzählt, dass sie es auch mal studieren wollte, aber nicht reinkam. Anscheinend will sie es sich einfach mal angucken“, schlussfolgerte Davis und zuckte beiläufig mit den Schultern. „Okay…klingt zwar nicht unbedingt nach ihr, aber was soll´s. Kommt Kari auch mit?“ „Vergiss es Casanova. Mimi hat mir zum Glück geschrieben, dass Kari keine Lust hat. Ansonsten wäre ich vorher noch geflüchtet“, meinte er und schnaubte leise. „Und was macht sie heute?“ „Sehe ich aus wie ihr Terminkalender? Vielleicht trifft sie sich mit Yolei oder Sora. Möglicherweise geht sie auch in den Park und beklaut ein paar Penner. Was weiß ich“. Takeru grinste schief und schüttelte unwirsch mit dem Kopf. „Deine Abneigung ihr gegenüber ist wirklich kaum zu bemerken“, erwiderte er sarkastisch. „Jaja…hast du eigentlich schon mit Matt gesprochen?“ Der Blonde ließ die Arme sinken und sah ihn mit einem verständnislosen Blick an. „Nein, wieso sollte ich? Er ist der Idiot!“ „Aber wenn man es genau nimmt, hast du die Party zerstört, nachdem du auf ihn losgegangen bist“, rief ihm Davis ins Gedächtnis. TK rollte nur mit den Augen und sah plötzlich Mimi auf sie zukommen. Perfekter Zeitpunkt. „Da hinten kommt sie. Ich bin dann mal weg“, verabschiedete er sich knapp und lief in die andere Richtung. Davis grunzte nur leise auf und blickte seinem Freund kurz nach. Er konnte ihn wirklich nicht mehr verstehen. Auch die Sache mit Kari stank gewaltig gegen den Wind. Er tat fast so, als hätte sie nie etwas getan. So als wären ihre Sünden vergeben und vergessen. Und dann prügelte er sich auch noch mit Matt. Davis glaubte wirklich nicht, dass nur die Familiensituation hinter seinem Ausraster steckte. Er wusste, dass er Matt insgeheim dafür ein wenig hasste, das er ihm Kari weggenommen hatte. Auch wenn er von seinem Glück nichts wusste. Dennoch war es ebenso. Matt war jahrelang ihr heimlicher Schwarm gewesen und Takeru ging sie, seit er es wusste, fast sekündlich auf den Wecker. Kein Wunder, dass irgendwann das Fass überlaufen würde. Am Samstag war es eben soweit gewesen. „Hey Davis“, rief ihm die glockenhelle Stimme von Mimi entgegen und wank ihm zu. Er grüßte zurück und beide standen sich eine kurze Zeit gegenüber. Mimi hatte eine große Tasche dabei, aus der ein Block herauslugte. Sie schien es wirklich ernst zu meinen. Auch ihr Outfit war heute eher legere statt schick. Sie trug eine dunkelblaue Jeans mit rosafarbenen Ballerinas, die zu ihrem Top farblich passten. Darüber trug sie eine dünne cremefarbene Strickjacke. „Und wo gehen wir zuerst hin?“, fragte sie interessiert und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich habe zuerst eine Vorlesung über versteckte Fette in Lebensmitteln. Und danach eine in Wirtschaft, um mich ein bisschen über die Finanzierung eines Restaurants zu informieren. Aber wenn du willst, kannst du da gerne etwas essen gehen“, schlug er ihr vor, doch Mimi wank prompt ab. „Das bisschen Wirtschaft halte ich schon aus“, meinte sie lachend. „Entweder ganz oder gar nicht“. Davis grinste leicht, doch ließ sofort seine Mundwinkel wieder hängen als sie an ihm vorbei stolzierte. Er hätte ihr wohl doch besser erzählen sollen, dass sie spätestens da auf Tai treffen würden. Fast schon ein wenig hilflos lief sie durch die Fußgängerzone der Innenstadt. Irgendwie traute sie sich nicht jemandem eine SMS zu schreiben. Vielleicht ihrem Bruder, aber von ihm wusste sie bereits, dass er heute fast nur Veranstaltungen hatte. Sie war wohl ganz auf sich allein gestellt. Jedenfalls bis Mimi die Lust verlor. Was schon öfters vorkam. Auch die Tatsache, dass Mimi einfach ihren Reisepass mitgenommen hatte, zeigte nur zu gut, dass die Brünette sie wohl besser kannte, als jeder andere. Wahrscheinlich hätte sie wirklich die Flucht ergriffen, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Am Sonntag hatte sie schließlich schon ihren Koffer gepackt. Mimi hatte sie zum Bleiben überredet, auch wenn ein Teil von ihr immer noch an Flucht dachte. Doch ohne Pass, konnte sie Japan nicht verlassen und in die USA auch nicht einreisen. Mimi war eben Mimi. Sie dachte an alle Eventualitäten. Erschöpft setzte sich die junge Yagami auf eine Parkbank, die gegenüber von einer Bäckerei gelegen war. Sie schnaufte kurz und lehnte sich zurück. Weglaufen? War das alles, an das sie noch denken konnte? Früher war sie doch nie so feige gewesen. Doch besonders nach dem Streit zwischen Matt und TK, wurde ihr bewusst, dass sie keinen Plan mehr hatte. Sie wusste absolut nichts. Ihre Freunde waren ihr fremd geworden. Eigentlich hatte sie irgendwann aufgehört zu fragen, was bei ihren Freunden los war. Einmal hatte Takeru ihr jedoch eine komische E-Mail geschrieben. „Ich halte es im Moment wirklich nicht mehr aus. Alles scheint aus dem Ruder zu laufen und meine beste Freundin befindet sich auf einem anderen Kontinent. Ich glaube du weißt gar nicht, wie sehr ich dich hier vermisse“. Sie hatte ihm nur knapp geantwortet. Ihm gesagt, dass sie ihn auch sehr vermisste und dass sich alles wieder einrenken würde. Hikari lag wohl vollkommen falsch. Hätte sie nur ein wenig mehr Interesse gezeigt, sich einmal kurz hingesetzt und eine anständige Antwort formuliert, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen. Okay. Sie war sicher nicht Wonderwoman, aber dennoch hatte sie immer einen guten Einfluss auf Takeru gehabt. Er hatte sich nie richtig geprügelt. Schon gar nicht vor ihren Augen. Er wirkte fast wie ein ganz anderer Mensch auf sie. Hikari schaute in den hellblauen Himmel und blinzelte gegen die Sonne, als auf einmal jemand direkt vor ihr stand. „Ich wusste doch, dass du es bist“. Ihr Herz stoppte augenblicklich. „Matt? Was machst du denn hier?“ Der Blondschopf lächelte und setzte sich direkt neben sie. „Ich war gerade beim Bäcker“, erzählte er munter und deutete auf den Laden gegenüber. „Ich gehe zwar mit Tai und den anderen später was essen, aber du kennst mich ja. Ich habe fast immer Hunger“. „Stimmt“, bestätigte sie ihn und formte ihre Lippen zu einem Lächeln. „Wie geht es dir? Samstag ist…ähm ich habe dich kaum zu Gesicht bekommen“. „Mir geht’s soweit ganz gut“, meinte er unsicher und wand seine Augen mehrfach von ihr ab. „Das mit Samstag tut mir wirklich wahnsinnig leid“. „Ähm schon gut“, antwortete sie und ihr Lächeln verschwand. Stille machte sich zwischen ihnen breit. Matt ahnte wohl, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie die leidige Frage stellte. „Was ist eigentlich zwischen Takeru und dir los?“ Volltreffer. Er konnte es langsam wirklich nicht mehr hören. Alle nervten ihn damit. Alle sagten, er solle einen Schritt auf seine Familie zugehen. Alle hatten doch gar keine Ahnung. Am liebsten würde er gar nichts sagen, doch Kari, die Schwester seines besten Freundes saß neben ihm. Sie hatte von all dem gar nichts mitbekommen. Sie war vollkommen ahnungslos. Und sie konnte ganz sicher nichts dafür, dass sein Bruder die Realität zu verdrängen versuchte. „Wir haben ein paar Auseinandersetzungen gehabt. Wegen unseren Eltern“, gestand er ihr schließlich. Sie hingehen versuchte sich ganz auf ihr Gespräch zu konzentrieren, da sie das Gefühl hatte jeden Augenblick dahin zu schmelzen, wenn sie Matt nur in die Augen schaute. Es war so lange her und dennoch spürte sie die Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern. Er war wohl ihre erste große Liebe gewesen, auch wenn sie unerfüllt blieb. „Reiß dich zusammen“, tadelte sie sich selbst. „Er wird nie mehr als nur eine Schwester in dir sehen“. Das war leider so und damit musste sie sich langsam abfinden. Sie brauchte keine Typen – jedenfalls nicht im Moment. Erst musste sie, dass verkraften, was sie in der Vergangenheit erlebt hatte. Vielleicht würde dann eine neue Liebe auf sie warten, die sich auch erfüllen würde. „Oh mein Gott. Das war der Wahnsinn. Sind eure Vorlesungen immer so interessant?“ „Ehm manchmal?“ Davis ging neben Mimi her, die begeistert ihre Arme in die Lüfte hob und schon seit Minuten ohne Punkt und Komma quasselte. „Ist ja voll krass, dass so viele Leute in einen Vorlesungssaal passen“. „Ja schon irgendwie, aber weiß du….“. „Also bei uns sind wir immer sehr Wenige. Liegt vielleicht auch daran, dass wir mehr das Praktische üben“. „Ehm vielleicht, aber ich sollte dir…“. „Wo gehen wir als Nächstes hin?“, fragte sie und wand sich mit dem Gesicht zu Davis. „Ich habe jetzt eine Vorlesung in Wirtschaft, aber…“, begann er, bevor er mal wieder von Mimi unterbrochen wurde. „Super. Wirtschaft. Das klingt echt voll wichtig. Wir reden bei uns meist über drogensüchtige Möchtegernsternchen“, erzählte sie munter weiter, bis ihr eine sehr verdächtige Frisur ins Auge sprang. „Was macht der den hier?“ Sie blieb abrupt stehen, sodass beinahe andere Studenten in sie hineinliefen. „Pass doch auf“, blaffte der eine sie an und schlängelte sich an ihr vorbei. „Pass doch selber auf“, knurrte sie zurück und funkelte ihn an. Der junge Mann ging kopfschüttelnd an ihr vorbei und steuerte prompt auf die verdächtige Person zu. Davis kannte den Kerl. Normalerweise saß er immer bei Taichi und ihm. Sein Name war Juro und er sagte meist das was er dachte. Nicht immer von Vorteil, besonders wenn man eine kannte, die wie Mimi war. Tai hatte sie noch nicht bemerkt und lehnte sich lässig gegen die Wand, als Juro ihn mit Handschlag begrüßte. Mimi betrachtete die Situation mit Skepsis, während Davis unsicher zwischen den drei hin und her schaute. „Man ich glaube die Studentinnen werden immer verrückter“, meinte Juro augenverdrehend. „Warum das?“ Tai zog seine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. Daher hatte Kari also diese Bewegung. Mimi hatte doch gleich gewusst, dass sie dieses Armeverschränken und blöd aus der Wäsche gucken irgendwo her kannte. Jetzt wusste sie sogar woher. „Siehst du die Kleine dahinten? Sie ist einfach stehen geblieben. Mitten im Weg und dann schnauzt sie mich noch an, kannst du dir das vorstellen?“ Tai blickte seiner Bewegung nach und obwohl sie ihm gleich den Rücken zuwandte, erkannte er sie sofort. Er lockerte seine Pose und ging wortlos an Juro vorbei. „Mimi? Was machst du denn hier?“ Diese drehte sich ertappt herum und lachte verhalten, während sich Juro neben Taichi quetschte. „Sag mal kennst du die Zicke?“ „Zicke? Geht’s dir noch gut? Du kannst froh sein, dass ich überhaupt mit dir geredet habe“. „Ohweier“, meldete sich nun auch Davis zu Wort und schlug die Hände vorm Gesicht zusammen. „Ach du bist auch hier“, stellte Taichi fest. „Habe ich vielleicht irgendwas verpasst?“ Mimi drehte sich zu Davis und musterte ihn wütend. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass DER auch hier ist?“ „Ich wollte es dir sagen, aber du hast mich nicht zu Wort kommen lassen“, verteidigte sich der Igelkopf. „DER?“ Taichi warf einen prüfenden Blick zu Mimi. Anscheinend waren die Worte von Samstag wirklich nur heiße Luft gewesen. Der Waffenstillstand war also offiziell beendet. „Was machst du eigentlich hier? Und wo hast du meine Schwester gelassen?“ „Kari ist in die Stadt gegangen. Und der gute Davis hat mich eingeladen, eine Vorlesung über Ernährungswissenschaften zu besuchen“, sagte sie freudestrahlend und hakte sich bei dem Jüngeren unter, der genervt aufstöhnte. Eingeladen war definitiv das falsche Wort. Wohl eher aufgedrängt. „Du weißt schon, dass das hier eine Wirtschaftsvorlesung ist!“, informierte er sie zynisch und blickte zu Juro, der ihn immer noch fragend angaffte. „Und eine Wirtschaftsvorlesung darf ich nicht besuchen? Du darfst doch auch da rein. Sie werden also keine hohen Richtlinien haben, die sie einhalten wollen“, giftete sie und sah ihn herausfordernd an. „Wow heute bist du wirklich wieder eine widerliche Zicke. Willkommen im Alltag“. „Was soll das bitte schön heißen?“, fragte sie und stemmte die Hände in die Hüpften. Tai plusterte sich auf und wollte gerade zum Gegenangriff ansetzen, als Davis förmlich dazwischen sprang. „Wir sollten besser reingehen. Ansonsten bekommen wir nur noch die Scheiß-Plätze ab“. „Er hat Recht. Komm lass uns gehen“, meinte auch Juro und zog Taichi mit sich. Als Mimi und Davis außer Hörweite waren, fragte dieser Taichi erneut, wer Mimi war. „Sie ist nur die nervige Freundin meiner Schwester. Mehr nicht“. Juro grinste leicht und schielte zu der Brünetten. „Sie ist zwar sehr zickig, aber wirklich unheimlich heiß“. „So heiß ist sie auch wieder nicht“, kommentierte Tai genervt und setzte sich auf einen der freien Klappstühle. „Findest du? Hast du sie dir mal richtig angeschaut?“ „Ja das habe ich“, murrte er und packte seinen Kram aus. „Naja Geschmäcker sind wohl verschieden“, murmelte Juro und schaute zu Tai der bereits einen Stift herausgeholt hatte. Er merkte erst gar nicht, wie sich Davis genervt neben ihm niederließ. „Tut mir leid, es war nichts mehr anderes frei“, flüsterte er ihm zu. Der junge Yagami schaute zur Seite und entdeckte Davis mit Mimi direkt neben ihm. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein... Sie hatten sich viel zu erzählen. Jedoch redeten sich meist nur über belangloses Zeug. Weder Matt noch Kari, wollten erzählen, was sie eigentlich bedrückte. Kari hatte mittlerweile gelernt, wie sie anderen etwas vormachen konnte, so dass sie es auch glaubten. Matts Gesicht veränderte sich hingegen, wenn ihn Kari auf seinen jüngeren Bruder ansprach. Er antwortete immer das gleiche. „Es ist kompliziert“. Mehr Informationen bekam sie einfach nicht aus ihm heraus. Auch wenn sie es noch so sehr versuchte. „Hat Tai dir eigentlich vom Bandwettbewerb erzählt?“, fragte er sie plötzlich und vergrub seine Hände in seiner Hosentasche. „Nein. Hat er nicht“, antwortete sie und versuchte gelassen zu wirken. Ihr Puls hatte sich immer noch nicht normalisiert. Sie war mit Matt ganz alleine in der Stadt. Eigentlich war es ihre große Chance. Doch irgendetwas sagte ihr, dass er sie nur als seine kleine Schwester sah. Er schaute sie nicht mit diesem begehrenswerten Blick an. Er wirkte vollkommen normal auf sie, während Hikari am liebsten durchdrehen würde. „Ach dein Bruder wird langsam vergesslich“, erwiderte er lachend. „Ich hoffe trotzdem, dass ihr kommt“. „Wir?“, wiederholte sie mit hochgezogener Augenbraue. Er meinte noch nicht etwa… „Du und Mimi natürlich.“ Sie schnaubte leise und setzte ein gequältes Lächeln auf, was er nicht bemerkte. Mimi…wie immer. „Wir werden es sicher einrichten können“, meinte sie und knirschte mit den Zähnen. „Das wäre wirklich klasse. Die anderen kommen auch. Vielleicht kann ich die Sache von Samstag wieder ein wenig gut machen“. „Dir fällt sicher etwas ein“, japste sie und schaute wieder nach vorn. Er hatte also alle eingeladen. Bestimmt auch TK. Wenn er kommen würde, hätte sie sogar die Möglichkeit ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Aber wenn sie ehrlich war, wollte sie, dass Matt sie einmal als Frau wahrnahm und nicht als das unschuldige Mädchen von neben an. Diesen Titel konnte sie ohne Gewissensbisse abgeben. Sie war alles andere als brav – auch wenn sie sich die gute alte Zeit manchmal zurück wünschte. „Wollen wir vielleicht zum Campus gehen? Ich kann dich mal rumführen und später gehen wir mit Tai und den anderen etwas essen. Na was meinst du?“ Sie zuckte mit den Schultern und dachte kurz nach. Mimi war mit Davis unterwegs und Mittagessen musste sie so oder so. Warum also nicht? Was hatte sie zu verlieren? „Klar, warum eigentlich nicht“, sagte sie knapp. Matt grinste und setzte sich in Bewegung. Er hätte den Mund halten sollen. Jetzt hatte er den Salat. Sie war bereits rot angelaufen und fluchte leise vor sich hin. Auch sein Dozent hatte sich schon mehrfach umgedreht und um Ruhe gebeten. Doch da hatte Tai wohl die Rechnung ohne Mimi Tachikawa gemacht, die jetzt erst so richtig in Fahrt zu kommen schien. Hätte er sie doch einfach in Ruhe gelassen. Doch als sie so fleißig am Aufschreiben war, konnte er sich ein Kommentar einfach nicht verkneifen. „Sag mal raffst du überhaupt etwas davon was der Alte da vorne sagt? Du schreibst ja wie eine Wildgewordene“, stichelte er und setzte dem Ganzen ein unverschämtes Grinsen auf. Mimi drehte sich zu ihm und sah ihn mit einem entsetzten Blick an. Davis saß zwischen beiden und schien seine Atmung komplett eingestellt zu haben. „Willst du mich als dumm bezeichnen?“ „Nein, aber vielleicht als etwas schwer von Begriff“, flüsterte er ihr zu. „Wie bitte?“, blaffte sie ihn an und erschreckte sich über ihre eigene Lautstärke. Prompt fielen die Blicke auf Mimi, die ein leises „Entschuldigung“ säuselte. Auch der Dozent warf ihr einen bösen Blick zu und bat um Ruhe. Mimi lief rot an, während sich Tai zusammenreißen musste, nicht gleich laut loszulachen. „Perfektes Eigentor“, murmelte er, sodass es nur Davis und Mimi verstehen konnten. „Ach halt doch deine Klappe“, nuschelte sie und versteckte sich hinter einem Haarvorhang. „Sowas passiert dir sicher nicht auf deiner ach so tollen Elite-Uni. Aber was erwartet man schon von einer eingebildeten Prinzessin“. Oh ja. Heute war er einfach gut drauf. Spiel, Satz und Sieg. Mimi hatte keine Chance gegen ihn. „Lieber bin ich eine eingebildete Prinzessin, als ein Fußballdepp, der außer einem Ball nichts in der Birne hat“, konterte sie und lichtete ihren Haarvorhang. „Hey wollen wir vielleicht die Plätze tauchen? Ihr habt euch sehr viel zu sagen“, stellte Davis fest und rutschte unsicher hin und her. „Ach was bleib sitzen, Daisuke“. „Steh auf“, forderte Mimi und stupste ihn leicht an. Davis sah verwirrt zu ihr und blickte wieder zu Tai, der ebenfalls unsicher mit den Schultern zuckte. Wollte sie ihn etwa im Schlagradius haben? Wohl kaum. Er wusste wie sie schlug. Das war mehr ein Witz, als eine Bedrohung. Dennoch tauschte sie mit Davis den Platz und saß auf einmal neben ihm, breitgrinsend. Davis schüttelte nur genervt den Kopf und sank seinen Stuhl hinab, während Mimi Tai immer näher kam. „Was hast du jetzt schon wieder vor?“, fragte dieser und schaute sie skeptisch an. Mimi hingegen machte erst Halt als sie an seinem Ohr angekommen war. Dann flüstere sie ihm etwas zu, das seinen Atem zum Stocken brachte. „Was? Bist du noch ganz dicht?“ „Ich sage nur die Wahrheit“, meinte sie daraufhin, immer noch eng neben ihm sitzend. „Einbilden kann man sich wirklich viel“, zischte er und wand sein Gesicht von ihr ab, damit sie nicht sah, wie er rot anlief. Was bildete sich diese dumme Zicke nur ein? „Na warte, das gibt Krieg“, dachte er sich und zückte einen grünen Textmarker. Ohne Vorwarnung attackierte er sie mit ihm und male einen langen grünen Strich über ihren Arm. „Bist du noch ganz dicht? Du kannst wirklich froh sein, dass ich meine Jacke ausgezogen habe“. Oha. Was wäre wohl passiert, wenn er sie angemalt hätte? Dann wäre sie wahrscheinlich gleich ausgeflippt. Mal sehen, was passierte, wenn er ein paar grüne Streifen in ihrem Gesicht hinterließ? Er grinste dreckig, während sich Mimi immer noch entgeistert den grünen Strich auf ihrem Arm betrachtete. Erst als er ihrem Gesicht immer näher kam, wusste sie, dass sein Angriff noch lange nicht vorbei war. „Untersteh dich!“, warnte sie ihn und rückte immer weiter zu Davis, der seinem linken Sitznachbarn ebenfalls immer näher kam. „Ach komm schon. Ein bisschen Spaß muss sein“, liebäugelte er und erwischte sie prompt an der Wange. „Du Idiot!“, zischte sie und hielt sich die Stelle, während er zu lachen begann. „Geschieht dir recht“. Doch kaum hatte er seinen Satz beendet, zierte seine Stirn einen orangen Stich. Da hatte sie einfach einen seiner Textmarker geklaut und verwendete ihn gegen IHN! Soweit kam noch! „Das bereust du noch“, knurrte er bissig und schenkte ihr auch den Rest seiner Aufmerksamkeit. Davis hingegen stöhnte genervt auf und hielt sich die Hand an die Stirn, während sich seine Freunde wie im Kindergarten bekriegten. Erwachsen? Tai und Mimi? Wirklich? Davis erkannte keinen Zusammenhang. „Man Tai lässt sich heute ganz schön Zeit“, meinte Matt und schaute ungeduldig auf sein Handy. Kari saß auf einer Mauer und ließ ihre Beine locker vor sich hin baumeln, während Matt angestrengt zur Tür sah. „Eigentlich müsste er schon längst da sein“, informierte er die junge Yagami ungeduldig. „Er wird sicher bald kommen“, erklärte sie auch wenn sich Hikari lieber noch ein wenig Zweisamkeit mit Matt wünschte. Doch dieser hatte mittlerweile riesen Hunger und wollte einfach nicht mehr länger warten. Tai war doch sonst immer relativ pünktlich. Warum heute nicht? Hörte er nicht seinen Magen knurren? „Ich glaube da hinten kommen sie“, erkannte Kari und deute auf die Glastür. „Na endlich“, polterte Matt und ging ein Stück auf sie zu. Kari blieb noch auf der Mauer sitzen, da sie auch Davis erkannt hatte. Ihm wollte sie lieber aus dem Weg gehen. Man wusste ja nie, wie er noch reagieren könnte. „Man wo bleibst du denn Tai?“, richtete er sich an ihn und erkannte jetzt erst sein demoliertes Gesicht. „Scheiße, was hast du denn gemacht?“ „Das war Mimi“, knurrte er während Davis die Schultern hängen ließ. „Wir wurden rausgeworfen und haben von dem Dozenten auch noch Anschiss bekommen“, informierte Davis ihn angesäuert. „Nur weil sich die beiden Spatzenhirne nicht benehmen konnten“. „Pass auf was du sagst“, drohte ihm der Ältere, doch mit dem angemalten Gesicht konnte Davis ihn beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen. „Und wo ist Mimi?“, wollte Matt wissen und schaute sich nach ihr um. „Sie ist im Damenklo und versucht den Marker abzubekommen“. „Ich habe ihr gesagt, dass es nicht funktionieren wird“, mischte sich Tai ein und deutete auf sein verunstaltetes Gesicht. „Moment ist das da hinten Kari?“ Matt drehte sich zu ihr und wank ihr zu. „Ja ist sie. Ich hab sie in der Stadt getroffen und sie gefragt, ob sie mit uns Mittagessen gehen will“. „Was? Och bitte nicht“, nörgelte Davis vehement. „Mein Tag war schon scheiße genug!“ „Stell dich nicht so an. Kommt TK auch mit?“, fragte Matt und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema. „Er kommt, aber erwartete keine Wunder. Er hat mir gerade geschrieben, dass er Izzy und Yolei abgeholt hat und in fünf Minuten da sein wird“. „Gut immerhin etwas“, schnaufte Matt erleichtert und rief Kari zu sich. Sie kletterte von der Mauer hinunter und bewegte sich langsam zum Rest der Gruppe. Essen gehen hieß wohl auch, sich mit Davis auseinander setzen zu müssen. „Was soll´s“, dachte sie sich und blieb direkt neben Matt stehen, als sie ihrem Bruder in sein angemaltes Gesicht starrte. „Tai? Was hast du denn gemacht?“ „Oh ich war bei einem Malkurs, der sich auf Gesichtsmalerei spezialisiert“, antwortete er sarkastisch und stand kurz vom Explodieren. „Das war deine bescheuerte Freundin Mimi!“ „Das bescheuert gebe ich gerne an dich zurück!“, giftete Mimi, die gerade zur Tür hinaus kam. Sie sah ebenfalls schlimm aus, auch wenn Tais Gesicht mit dem orange deutlich mehr auffiel. „Was habt ihr getan?“ „Frag eher was sie nicht getan haben“, feixte Matt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Er ist einfach nur bescheuert“. „Sie ist einfach nur bescheuert“. Beide warfen sich einen bösen Blick zu und Mimi streckte ihm zum krönend Abschluss noch die Zunge heraus. „Siehst du! Immer fängt sie an“, beschuldigte er sie und deutete auf ihre Geste. „Selbst schuld. Immer musst du mich provozieren!“ „Stimmt gar nicht“, bellte er ihr entgegen und eine Zornesader entstand auf seiner Stirn. „Was sich liebt das neckt sich“, eröffnete Davis und bekam prompt einen Klaps auf den Hinterkopf. „Halt die Klappe“, zischte Tai und blickte immer noch wütend zu Mimi. „Ich denke wir sollten uns erstmal abreagieren und etwas essen gehen“, beruhigte Matt die Situation und richtete seinen Blick in Richtung Zentralmensa. „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen! Also jetzt hört auf zu streiten, ansonsten werde ich noch zum Kannibalen!“ Er atmete tief durch und wärmte sich am Lagerfeuer, das sie vor einer Stunde angezündet hatten. Sie befanden sich an einem Grillplatz, der sich in der Nähe des Hafens befand. Joe hatte eine braune kurze Hose an und beobachtete wie sich die Sonne im Meer spiegelte. Das erste Mal seit langem fühlte er sich so richtig erholt. Er hatte das Gefühl, wieder richtig durchatmen zu können. Sich endlich ein wenig gehen zu lassen und das zu tun wozu er Lust hatte. Kein Vater, keine Brüder oder leidige Mitstudenten, die ihm im Nacken saßen und sagten, er müsse sich weiter anstrengen. Obwohl er seinen Brüder diese Reise zu verdanken hatte. Sie hatten ihn regelrecht darauf aufmerksam gemacht und ihn ermutigt sich gegen ihren Vater zu stellen. Wahrscheinlich überlegte sich dieser, wie er Joe am besten aus seinem Testament streichen konnte. Ein leises Stöhnen überkam ihn. Ja vor Jahren hätte er das seinem Vater am wenigstens zugetraut, aber mit der Zeit hatte er bemerkt, wie verbissen er doch eigentlich war. Es konnte schon sein, dass er nur das Beste für seinen Sohn wollte, aber musste er dann ausgerechnet Arzt werden? War ein anderes Studium etwa weniger akzeptabel? Joe wusste es nicht. Er hatte immer nach dem gelebt, was sein Vater für ihn anstrebte. Er sollte eine bessere Schule besuchen. Joe setzte sich hin und lernte. Er sollte einen sehr guten Abschluss erzielen. Joe setzte sich hin und lernte doppelt so viel. Er sollte das Medizinstudium beginnen, dass seinem Vater so sehr am Herzen lag. Joe setzte sich hin und lernte dreifach so viel. Auf dem Weg dorthin hatte er sich wohl einfach selbst verloren. „Geht es dir gut Joe?“, fragte ihn Asuka, die Tochter des Gruppenleiters. „Du siehst aus, als wärst du mit den Gedanken ganz woanders“. Sie setzte sich neben ihn und schaute ihn auffordernd an. Joe hingegen rückte sich die Brille zurecht und wirkte sehr verlegen. Asuka hatte eine sehr gute Menschenkenntnis. Sie erkannte gleich, wenn etwas nicht zu stimmen schien. „Ich habe nur an mein Studium und meinen Vater gedacht“, lenkte er ein und sie nickte nur kurz. „Du studierst Medizin, richtig?“ „Ja“. Er machte eine längere Pause und schaute zum Himmel, der schon die ersten Sterne zeigte. Auch der Mond schien bald seine volle Pracht zu zeigen. Das Universum zeigte ihm immer wieder, wie klein er doch war. Er war nur ein Mensch der auf der Erde lebte und irgendwann starb. Würde er tatsächlich, dass Leben weiterleben, das sein Vater für ihn ausgewählt hatte, wusste er, dass er damit nicht glücklich werden konnte. „Ich frage mich, ob wir eine Wahl haben“, murmelte er vor sich hin. „Eine Wahl?“ Er schaute zu ihr und nickte zustimmend. „Die Wahl haben unser Leben zu ändern, wenn wir damit nicht glücklich sind“. „Bestimmt. Schließlich bist du jetzt hier“. „Stimmt. Doch was passiert, wenn diese Reise vorbei ist?“, wollte er von ihr wissen. Sie lächelte sanft und fuhr sich durch ihre Haare. „Dann beginnt eine Neue. Das ganze Leben ist eine Reise. Das hier ist eigentlich nur eine Etappe“. „Meinst du? Ich habe das Gefühl, dass ich danach wieder in der gleichen Sackgasse sitze“. Traurig ließ er den Kopf hängen und schaute auf seine braune Hose, die sein Vater immer als „hässliches Ding“ bezeichnet hatte. Jetzt trug er das hässliche Ding. „Willst du mir vielleicht erzählen, was in der Vergangenheit passiert ist?“ „Das wäre aber eine ganz schön lange Geschichte“, grummelte der Student und richtete abermals sein Nasenfahrrad. „Ich hab Zeit! Also schieß los!“ Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Er schaute wieder in den Sternenhimmel, atmete kurz durch und blickte wieder zu Asuka. Dann begann er zu erzählen... 27. Oktober 2009. Odaiba, Japan. Universität. „Das ist doch nicht dein Ernst? Du bist durchgefallen“, blaffte er ihn an und der junge Mann schreckte zusammen. Die Ersten schauten bereits zu den beiden Streitenden. Dem Medizinstudent war die Situation mehr als nur peinlich, aber was erwartete er auch, wenn er seine Hausarbeit, bei einem alten Studienkollegen seines Vaters schreiben würde? Natürlich hatte er ihn sofort angerufen, um ihm die „schlechte“ Neuigkeit persönlich mitzuteilen. Sein Vater war daraufhin sofort zu Uni gefahren und passte ihn auf dem Heimweg ab. „Du hattest doch genug Zeit…wie konnte sowas nur passieren? Weiß du wie unangenehm mir das Ganze ist?“ Wohl nicht unangenehmer als ihm jetzt. Er stand wie ein verschüchtertes Kind vor seinem tobenden Vater, dessen Halsschlagader vor Wut anschwoll. Joe konnte sich sicherlich etwas Schöneres vorstellen. „Es tut mir leid, aber das Praktikum und die anderen Hausarbeiten…das war einfach zu viel“, erklärte er sich und versuchte die menschliche Seite seines Vaters zu erreichen. Vergeblich. Vor ihm stand ein Mann, der vor Wut nur so tobte. „Das sind doch alles Ausreden“, unterstellte er ihm. „Deine Brüder haben es doch auch geschafft!“ „Vielleicht bin ich aber nicht wie sie!“, entfuhr ihm emotionsgeladen. Er konnte nicht fassen, dass sein Vater nie ihn sah, sondern immer nur seine „Söhne“. Er war nicht Joe, sondern nur eine Enttäuschung, die nicht mit den anderen mithalten konnte. Dabei hatte er doch alles versucht. Das Praktikum hatte er mit Bravour absolviert, genau wie die anderen zuvor. Seine restlichen Hausarbeiten hatte er mit einer Eins bestanden. Es ging nur um einen beschissen Fehler, der seinem Vater nur zeigte, dass er nicht perfekt war. „Ich habe mit deinem Dozenten gesprochen. Wenn du bis Ende des Monats deine Arbeit überarbeitest, wertet er es immer noch als deinen ersten Versuch“. „Bis zum Ende des Monats? Das sind nur noch vier Tage!“ Blankes Entsetzen machte sich in seinem Gesicht breit und seine Brille rutschte seine Nase herab. Er konnte doch nicht ernsthaft verlangen, dass er innerhalb so kurzer Zeit eine Arbeit von über zwanzig Seiten korrigieren konnte. Das war unmöglich – jedenfalls für ihn. „Ich denke nicht, dass ich das schaffen werde“, gestand er sich ein, als sein Vater plötzlich seine Hand aus seine Schulter legte. „Du wirst es schaffen“, sagte er und Joe dachte für einen Moment, dass er es sagte, weil er an ihn glaubte. Doch dieser Gedanke wurde gleich wieder zunichte gemacht. „Ansonsten brauchst du mir vorerst nicht mehr unter die Augen zu treten, haben wir uns verstanden?“ „Aber Papa…“. „Nichts aber“, unterbrach er ihn schroff. „Halt dich ran, sonst wirst du nicht mehr rechtzeitig fertig werden“. Joe nickte seinem Vater zu und kämpfte innerlich mich sich, um nicht gleich laut los zu schreien. Er wünschte ihm noch nicht mal viel Glück, sondern ging einfach zu seinem Wagen und fuhr davon. Keine aufmunternden Worte. Kein „Ich glaub an dich“. Es war so, als müsste er einfach nur funktionieren, um seinem Vater keine Schande zu bringen. Ihn interessierte es nicht, dass er kaum geschlafen geschweige denn etwas gegessen hatte. Für ihn war er nur eine Maschine, die auf Teufel komm raus funktionieren musste. „Man Yolei du bist zum Arbeiten hier, nicht zum Starren“, motzte die Rothaarige und bewarf sie mit einem Geschirrtuch. „Ich starrte gar nicht“, verteidigte sie sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich versuche nur Takerus Lippen zu lesen“. „Das ist nicht dein Ernst. Wieso hast du die beiden überhaupt hier her eingeladen? Du bist deswegen vollkommen abgelenkt“. „Man Sora...ich hab dir doch erzählt um was geht“, knurrte sie und konzentrierte sich wieder auf das Paar, das am Fenster saß. Sora schüttelte nur den Kopf und quittierte ihr Verhalten mit offensichtlichem Augenverdrehen. Sie konnte wirklich nicht verstehen, was Yolei damit bezwecken wollte. Man konnte doch niemanden zu einer Aussprache zwingen…doch genau das, war ihr hinterhältiger Plan gewesen. Yolei hatte sowohl Takeru, als auch ihre neue Freundin Mariko ins Café bestellt und stellte sie sozusagen vor vollendente Tatsachen. Dann lotste sie die beiden zu einem Tisch und begutachtete sie seither mit Argusaugen. Natürlich konnte Sora verstehen, dass sie in gewisser Weise verzweifelt war. Nachdem Kari gegangen war, war Mariko die einzige neue Freundin, die sie bisher gefunden hatte. Doch nach der Sache mit TK, von der Sora mehr Einzelheiten wusste, als ihr eigentlich lieb war, hatte sich Mariko von Yolei zurückgezogen. Doch das konnte und wollte der allbekannte Wirbelwind nicht auf sich sitzen lassen und zwang die beiden Ahnungslosen zur Aussprache. An manchen Tagen konnte Sora sie wirklich an die Wand klatschen. Besonders wenn Frau Minazuki nicht da war. Sie hielt alle zusammen und hatte die volle Kontrolle über den Laden und die Mitarbeiter. Auch wenn Yolei eher schwer zu bändigen war. Heute glich sie einem wildgewordenen Stachelschwein, das jeden Augenblick vorm Durchdrehen stand. „Man warum passiert denn da nichts!“, meckerte sie und stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Zum Glück haben wir heute nicht so viel Kundschaft. Ist ja echt peinlich“, murmelte Sora und bemerkte wie plötzlich die Tür aufging. „Joe?“ Auch Yolei wurde von dem plötzlichen Besuch augenblicklich abgelenkt und sah wie sich ein vollkommen aufgelöster Joe Kido an der Bar niederließ. Er besuchte sie eigentlich nie. Er war nur einmal mit Izzy hier gewesen, aber er verschwand bereits nach zehn Minuten wieder. „Ist alles klar bei dir? Du sieht wirklich beschissen aus“. „Yolei!“, zischte Sora und wand sich zu Joe, der seinen Kopf auf die Tischplatte gelegt hatte. „Willst du etwas trinken?“ „Einen Kaffee am besten mit extra Koffein, damit ich die Nacht auch ja durchhalte“, seufzte er und setzte sich wieder auf. Sora nickte verständlich und schnappte sich eine Tasse während sich Yolei sorgenvoll zu ihm rüber lehnte. „Was ist denn passiert?“ „Nichts. Ich bin nur durch eine Prüfung gefallen“. „Was?“ Sora setzte die Tasse direkt vor ihm ab und musterte ihn geschockt. Joe der Musterstudent, hatte eine Prüfung verkackt? In welcher Welt war das nur möglich? „Ich bin ein seelisches Frack“, jammerte er und nippte an seinem Kaffee. „Man der ist ja viel zu heiß“. „Tut mir leid. Die Maschine spinnt manchmal“, gab Sora kleinlaut zu, während Joe schmerzvoll seine Zunge nach Verbrennungspuren abtastete. „Heute ist einfach nicht mein Tag!“ „Ach er wird doch nicht so schlimm gewesen sein“, mischte sich die Lilahaarige ein und bekam von dem Brillenträger einen bösen Blick zugeworfen. „Nicht so schlimm? Mein Vater hat mir ein Ultimatum gestellt, dass ich ganz sicher nicht einhalten kann“. „Was denn für ein Ultimatum?“, wollte Sora wissen und legte ihre Stirn in Falten. Manchmal sprach nicht nur Yolei in Rätseln. „Ich soll meine Hausarbeit in vier Tagen verbessern und habe einfach keine Nerven mehr dazu. Ich werde wohl als Penner enden“. Er ließ seinen Kopf wieder auf die Tischplatte gleiten und gab einen undefinierbaren Laut von sich. „Ach Joe, das wird schon alles wieder“, meinte Sora optimistisch und strich ihm über seinen Kopf. „Und selbst wenn du als Penner endest, werde ich meine Eltern sicher überreden könnten, dir täglich ein paar Reiskuchen zu spendieren“, sagte Yolei grinsend und tätschelte ihm ebenfalls gebührend über seinen Haarschopf. „Ich glaube sie ist abgelenkt“, meinte Takeru und drehte sich wieder zu Mariko, die genüsslich an ihrem Eistee trank. „Vielleicht können wir ja jetzt endlich mal abhauen“, sagte sie nachdem sie das Glas wieder abgesetzt hatte. „Auf weiteres Anschweigen habe ich wirklich keine Lust“. „Man was soll ich denn noch sagen? Es tut mir leid“. „Du hast mich beim letzten Mal regelrecht aus der Wohnung geschmissen“, erinnerte sie ihn und tippte ungeduldig mit dem Finger auf die Tischplatte. „Ich weiß, das hätte ich nicht tun dürfen“. „Aber du hast es getan“, murrte sie aufgebracht. „Ich war überfordert okay? Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, wieder mit dir im Bett zu laden“, gestand er ihr wahrheitsgemäß. „Das konnte wohl keiner voraussehen“, flüsterte sie und drehte ihr Glas in ihrer Hand einmal um die eigene Achse. „Siehst du. Findest du nicht, dass diese Beziehung von Anfang an seltsam war?“ „Kann schon sein“, faselte sie knapp. „Aber manchmal ist doch gerade das Ungewöhnliche, der Beginn von etwas Neuem“. Takeru kräuselte die Lippen und wollte gerade drauf etwas erwidern als sie plötzlich aufstand, etwas Geld herauskramte und auf den Tisch legte. „Ich sollte besser gehen“. Sie ging an ihm vorbei, als er ihren Arm ergriff und leise seufzte. „Warte“. „Was ist denn noch? Hast du mir nicht schon genug weggetan?“ Er stand wortlos auf, schaute ihr direkt in die Augen und drückte sanft ihre Hand. „Ich weiß selbst noch nicht, ob ich schon bereit für sowas bin. Es gab mal jemanden, den ich sehr mochte, doch das wollte einfach nicht funktionieren“. Er machte eine kurze Pause, fühlte dass ihr Puls immer schneller schlug und ihre Augen vor Sehnsucht flehten. „Ich möchte dir wirklich nicht wehtun, dafür mag ich dich viel zu sehr“. Sie lächelte schwach und löste sich langsam aus seinem Griff. „Und was heißt das jetzt?“ „Keine Ahnung? Vielleicht das wir einfach unsere Sachen nehmen, vorerst auf Alkohol verzichten und uns im Kino einen Film ansehen?“ Sie schnaubte und biss sich auf die Unterlippe. „Kino?“ „Klar warum nicht? Ich glaube es wäre besser, wenn wir uns näher kennen lernen, bevor wir wieder…intim miteinander werden“. „Intim?“, sie kicherte leise. „Sagen das die neuen Möchtegern-Schriftsteller heute so?“ „Ich möchte Journalist werden!“, stellte er lachend klar. „Na wenn das so ist…Kino, also?“ Takeru nickte und folgte Mariko nach draußen. Eine kühle Brise kam beiden entgegen und der Blonde steuerte in Richtung Kino, als Mariko plötzlich stehen blieb, sich zum ihm drehte und ihn leidenschaftlich küsste. Geschockt, aber gleichzeitig angetan von ihrer spontanen Geste, erwiderte er ihren Kuss, der bei ihm eine Gänsehaut hinterließ. Er war süß, aber auch erotisch, die perfekte Mischung aus beidem. Als sie von ihm angelassen hatte, schaute sie ihn einige Sekunden an. Beide sagten keinen einzigen Ton, sondern ließen ihre Augen für sich sprechen. Dann beugte sich Takeru zu ihr hinunter und verschloss seine Lippen mit den Ihrigen. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)