Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 13: Vergangenheitsorientiert. ------------------------------------- It was my past life, a beautiful time. The Harold Song, Animal/Cannibal. Ke$ha, 2010. 03. Juni 2010. Odaiba, Japan. Hotelzimmer. Sie beobachtete sie vom Bett aus. Mimi steckte sich gerade ihr Pony zurück und zupfte an ihrem pinken Kleid, als Kari leise aufstöhnte. Da hatte sie tatsächlich ein Date mit Matt. Sie konnte es wirklich nicht fassen. Er hatte sie all die Jahre wohl doch nur als eine Art Schwester wahrgenommen. Auch sie hatte sich schon vor Amerika in hübsche Kleider gezwängt, in denen sie sich meist gar nicht wohlfühlte. Nie hatte er sie um ein Date gebeten. Und kaum war Mimi hier, drehten bei ihm die Hormone durch. Hikari hatte es noch nicht mal mitbekommen. Erst nach der Entjungferungssache mit ihrem Bruder, hatte sie das Date ganz beiläufig erwähnt. Sie fragte sich, wie weit sie heute gehen würde… Mit ihrem Bruder war sie ja auch nach einem feucht-fröhlichen Abend im Bett gelandet. Niemand konnte ihr garantieren, dass es bei Matt anders sein würde. Warum bekam sie einfach alles und jeden? Sie verstand es nicht... Was war an Mimi nur so besonders, dass selbst ihr eigener Bruder auf sie reinfiel? Von Tai hätte sie sowas nie erwartet und trotzdem war es passiert. „Was haben Matt und du heute so geplant?“, fragte sie unsicher und zupfte am Saum ihrer Bettwäsche. Mimi unterbrach ihr fröhliches Gesumme und drehte sich mit einem freudigen Gesicht zu ihrer Freundin. „Wir wollen etwas essen gehen und danach entscheiden, wo wir noch hingehen wollen“. „Okay“, antwortete sie kleinlaut und sah zu ihrer Decke. Mimi drehte sich wieder zum Spiegel und beobachtete sie wortlos. Manchmal würde sie gerne wissen, was in ihrem Kopf alles vorging. Sie konnte ihren Gedankengängen nur noch sehr schwer folgen. Seit sie in Amerika war, hatte sie sich sehr verändert. So kannte sie die gute Kari gar nicht. Sie war immer lieb und zuvorkommend gewesen und in Amerika betrank sie sich und schlief mit einem völlig Fremden. Das passte nicht zu ihr. Doch irgendwie traute sie sich auch nicht zu fragen, woher ihr Sinneswandel rührte. Manchmal dachte sie sogar, dass sie selbst daran schuld sei. Mimi und Kari hingen im letzten Jahr fast immer aufeinander und Mimi wusste, dass sie nicht unbedingt immer ein gutes Vorbild war. Vielleicht hatte sie auch nur Angst zu fragen, weil sie insgeheim wusste, dass sie auch Grund ihrer Veränderung war. Kari hingegen schwirrte immer wieder der Gedanke, wie sich Matt und Mimi küssten, durch ihren Kopf. Es widerte sie an. Warum? Warum musste sie immer nur so ein Pech mit den Kerlen haben? Warum konnte sie sich nicht in jemanden verlieben, der sie auch mochte? Warum musste es immer gleich in einem riesen Drama enden? Sie verdammte den Tag, an dem sie sich in Matt verliebte... Es war anfangs dieses nervige Kribbeln gewesen, das sie in ihrem Bauch spürte, als er anwesend war. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, bis es immer häufiger wurde. Die damals 15-Jährige Kari war mit ihren Gefühlen für den besten Freund ihres Bruders heillos überfordert gewesen. Sie kannte ihn schon seit Jahren. Er war immer für sie da gewesen, war sozusagen ihr zweiter großer Bruder, der sie allerdings nicht so nervte wie der Echte. Außerdem war er der Bruder ihres besten Freundes, den sie ebenfalls schon eine Ewigkeit kannte. Viele dachten immer, dass sie und Takeru das perfekte Paar abgeben würden, aber sie fand ihre Beziehung viel zu süß und unschuldig, um es eine Romanze nennen zu können. Es fehlte etwas. Es war dieser bekannte Funke, der einfach nicht bei ihr übersprang. Sie mochte TK. Aber nur rein platonisch. Bei Matt sah die Sache plötzlich ganz anderes aus. Er hatte sie öfters zu seinen Konzerten eingeladen und auch sonst verbrachten die vier Geschwister viel Zeit miteinander, auch wenn meist Tai und Matt und sie und Takeru eine Einheit bildeten. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich in ihn verlieben würde. Doch dann traf sie die Erkenntnis, wie ein Schlag ins Gesicht. Tai, Takeru und sie befanden sich auf einem seiner Konzerte. Seine Band wurde allmählich immer bekannter und auch die Hallen waren im Vergleich zu früher um einiges voller. Matt spielte auf seiner Gitarre und wirkte so unglaublich faszinierend auf sie. Musik war seine Leidenschaft. Er liebte sie, genauso sehr wie Kari das Tanzen liebte. Eine eindringliche Melodie spielte und er setzte sich nah an das Mikrophone. Seine Augen schauten direkt zu seinen Freunden und fixierten Hikari für einen kurzen Moment. Ein Moment der alles änderte. Dann konzentrierte er sich ganz auf sein Gitarrenspiel und begann zu singen. There are no words, yeah I swear this much is true, there ain't a word in this world that describes you Sie war dabei gewesen, als er diesen Song geschrieben hatte. Er meinte zu ihr, er habe ihn für ein Mädchen geschrieben, dass er sehr mochte, aber nie die Gelegenheit hatte, ihr seine Gefühle zu gestehen. Für einen Moment dachte Kari daran, wie es wäre, wenn sie dieses Mädchen sein könnte. Ihr Herz machte auf einmal einen Sprung und auch ihre Augen fingen an zu funkeln. Es war der Moment. Ein Lied. Es stinknormales Lied hatte sie dazu gebracht, Matt in einem anderen Licht zu sehen – auch wenn sie wusste, dass ihre Gefühle wohlmöglich nicht von Dauer sein würden. Sie war schon öfters verknallt gewesen und meist verlor sie diese Art von Gefühlen schnell wieder, wenn sie merkte, dass es nichts werden würde. Dafür kannten sie sich schon zu lange und außerdem war er der beste Freund von Tai und der Bruder ihres besten Freundes Takeru. Ganz klar, dass ihre Gefühle hier falsch am Platz waren. Doch sie war sich sicher, dass sie bald wieder verschwinden würden. Es war nur eine Frage der Zeit. Kari ging gedankenverloren durch die Straßen, bis sie bei dem alten Spielplatz ankam, dort wo die vier Geschwister als Kinder immer häufig gespielt hatten. Mimi war bereits zu ihrem Date aufgebrochen und Kari wollte nicht im Hotelzimmer versauern. Sie setzte sich auf eine Schaukel und hörte das Knarren der alten Ketten, die mal wieder geölt werden müssten. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit zurück, als ihre Gefühle für Matt begannen. Hikari hatte immer gehofft, dass sie wieder verschwinden würden. Doch dem war nicht so. Egal was sie auch versuchte. Sie wurden immer stärker und unerträglicher für sie. Bei Matt hätte sie nie eine Chance gehabt, dass wusste sie, auch ohne ihm ihre Gefühle je gestanden zu haben. Schon auf der High School war er dafür bekannt gewesen, es mit keiner so richtig ernst zu meinen. Tai hatte immer behauptet, es läge an seiner Familiensituation, die ihn einfach zu sehr geschädigt hatte. Kari hatte immer gedacht, dass er einfach noch nicht die Richtige gefunden habe und sich deswegen noch etwas ausprobiert. Sie nahm es ihm daher auch nicht übel, auch wenn es sie verletzte, wenn er auf dem Schulhof mit jeder X-beliebigen rummachte. Er konnte ja nichts für ihre bescheuerten Gefühle. Kari redete sich ein, dass es sich ändern würde, wenn sie selbst einen Freund hätte. Doch sie hätte nicht gedacht, dass ihre Idee so nach hinten losgehen würde. Sie hatte so viele Menschen verletzt, weil sie einfach nicht nachgedacht hatte. Aber sie war erst fünfzehn und wollte ihre Gefühle für Matt einfach nur loswerden. Deswegen kam es zu der Geschichte mit Davis. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie ihrem besten Freund von der Beziehung mit ihm erzählte. „Wie du bist jetzt mit Davis zusammen? Wann ist das denn passiert?“, fragte er aufgebracht und knallte die etwas angebrannte Lasagne auf den Tisch. Er zog sich die Tophandschuhe aus und musterte sie so, als wäre sie wahnsinnig geworden. Sie konnte es sich doch selbst nicht erklären. Doch Davis baggerte schon seit er elf Jahre alt war an ihr herum und sie wollte ihm einfach mal eine Chance geben. Deswegen hatte sie seine Kinoeinladung auch diesmal angenommen. Und während der Zeit mit Davis musste sie wirklich kein einziges Mal an Matt denken. Deswegen gingen sie fast die ganze letzte Woche über aus. Geküsst hatten sie sich auch schon, auch wenn Kari es nicht besonders aufregend fand. Ihre Freundinnen schwärmten immer von ihrem ersten Kuss, doch für Hikari war es wirklich nichts Besonderes gewesen. Es war halt sehr feucht, aber so spannend war es auch wieder nicht. Vielleicht hatte sie auch etwas falsch gemacht. Aber Davis half ihr dabei, die Gefühle für Matt zu vergessen und sie hatten schließlich beide etwas davon. Davis hatte die Beziehung, die er sich immer wünschte und Kari hatte die Ablenkung, die sie brauchte, um von Matt los zu kommen. „Es ist einfach passiert“, antwortete sie nach einer Weile und zuckte mit den Achseln. Takeru setzte sich ihr gegenüber und wirkte immer noch sehr verstört. Mit Davis? In einer Beziehung? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Sie hatte bei ihm nie erwähnt, dass sie ihn mochte, geschweige denn in ihn verliebt war. Irgendetwas musste er verpasst haben – anders konnte er sich ihren Sinneswandel wirklich nicht erklären. Und ausgerechnet heute wollte er ihr seine Gefühle gestehen…super Timing. Er schnaubte und sah zu seiner besten Freundin, die ihn auffällig anstarrte. Sie wartete wohl auf seine erlösenden Worte. Doch was sollte er sagen? „Ich freue mich, dass du jetzt mit Davis gehst?“ Das klang nach seinem geplanten Liebesgeständnis wirklich sehr grotesk. „Sag doch bitte etwas“, bettelte sie fehlend und griff nach seiner Hand. Er beobachtete diese Geste mit Skepsis, hielt sie jedoch nicht auf. Der Schock saß einfach noch zu tief. „Im Moment weiß ich wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Du hast nie erwähnt, dass du in Davis verliebt bist. Woher kommt dieser Sinneswandel?“ Kari zog ihre Hand zurück und biss sich auf die Unterlippe. Sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Auch wenn sie es zu gern gewollt hätte. Aber wie würde er reagieren, wenn sie ihm gestehen würde, dass sie sich in Matt verliebt hatte? Sie bezweifelte, dass er sich darüber freuen würde, besonders weil Matt einen enormen Frauenverschleiß hatte. Und in Teufelsküche wollte sie ihn sicher nicht bringen. Daher beschloss sie ihre Lüge durchzuziehen. Vielleicht verliebte sie sich ja auch noch in Davis. Was die Zukunft brachte, wusste sie ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Sie schaukelte leicht und hörte gleichzeitig das Klirren der Ketten. Ihre Haare wurden vom Wind leicht verweht und sie genoss die kühle Brise in ihrem Gesicht. Sie wollte aufhören an Mimi und Matt und ihr Date zu denken. Sollten sie doch ihren Spaß haben. Sie war sowieso zurzeit nicht in der Lage an etwas Ernsthaftes zu denken. Besonders weil Mimi und sie im August wieder nach Amerika mussten. Amerika. Ihre große Chance durchzustarten. Ihre Chance endlich das Leben zu leben, das sie immer haben wollte. Sie konnte es nicht fassen, dass alles so aus dem Ruder gelaufen war. Damals klang doch alles so perfekt. Doch dem war nicht so. Sie hatte sich verleiten lassen und ist vollkommen außer Kontrolle geraten. Hikari wusste genau, warum sie so handelte, wie sie handelte. In Japan war sie immer das brave Mädchen gewesen, das von ihren Eltern aus sehr behütet aufwuchs. Als Kind war sehr häufig krank gewesen. Ihre Eltern waren daher sehr überfürsorglich. Eigentlich war das jeder, der ihre Vergangenheit kannte. Im Teenageralter war sie nicht mehr ganz so häufig krank gewesen. Dennoch waren ihre Eltern sehr wachsam, was sie anbelangte. Sie fuhren sie meist überall hin und holten sie wieder ab. Als Taichi den Führerschein hatte, übernahm er diese Aufgaben. Von ihrem Bruder abgeholt zu werden, fand die junge Yagami nicht ganz so peinlich wie von ihren Eltern. Doch kurz nach der Trennung von Davis wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert. Sie hatte eine Nierenbeckenentzündung, da sie mitten durch den Regen gelaufen war, um einen klaren Kopf zu bekommen. Danach musste sie eine Woche im Krankenhaus bleiben. Für ihre Eltern klingelten damals mal wieder alle Alarmglocken und sie wurde von vorne bis hinten verhätschelt. Sie durfte auf keine Partys gehen oder sonst ihre Jugend genießen. Ihre Eltern machten sich sehr große Sorgen und erstickten sie förmlich mit ihrer Aufmerksamkeit. Doch als sie damals an der Juilliard angenommen wurde, sah sie ihre große Chance ihr Leben einfach selbst in die Hand zu nehmen. Mit Tais Hilfe schaffte sie es tatsächlich ihre Eltern dazu zu überreden, sie gehen zu lassen – auch wenn ihre Mutter anfangs dutzende SMS schrieb und jeden zweiten Tag anrief. Sie war frei. Sie durfte das machen, was sie wollte. Deswegen fiel es anderen auch so leicht, sie auf die dunkele Seite des Feierns zu ziehen. Sie kannte es nicht anders. Sie durfte ihre Grenzen in Japan nicht ausleben und selbst erkennen lernen. Und Amerika hatte so viele Eindrücke auf sie, dass sie schlichtweg mit allem überfordert war. Sie wollte nicht durchdrehen, doch wie sollte sie wissen, wann genug war, wenn sie in ihrer Jugend nie Kontakt mit Alkohol und dem ganzen hatte? M an lernte doch durch Erfahrungen und ihre Eltern hatten sie um ihre ganz schön beschissen. Vielleicht wäre die Sache mit Davis auch ganz anderes gelaufen, hätte sie nur eher zu ihren Gefühlen gestanden. Doch sie konnte nichts dergleichen einmal ausprobieren. Sie fühlte sich in Japan wie angebunden. Und allmählich kehrten diese beklemmenden Gefühle zurück. Sie schaukelte hin und zurück und umklammerte die Kette der Schaukel. Wieso war sie nur so unselbstständig? Immer bekam sie von allen Seiten Hilfe. Ob sie sie nun brauchte oder nicht. Jeder behandelte sie wie ein rohes Ei, das drohte augenblicklich zu zerbrechen. Mittlerweile war es vielleicht sogar so. Alles was sie an das letzte Jahr erinnerte, schmerzte sie jedes Mal mehr. Sie hatte Mimi betrogen und Wallace, Peter und April in ihren Mist mithineingezogen. Natürlich konnte sie ihre Unselbstständigkeit und Naivität leicht auf ihre Eltern schieben. Doch sie wusste, dass die beiden sie nur von der bösen Welt da draußen beschützen wollten. Es hätte klar sein müssen, dass sie Hikari nicht ewig vor sich selbst beschützen könnten. Wahrscheinlich gehörte diese Erfahrung zu ihrem Leben dazu. Genauso wie damals die Trennung von Davis, die eine vollkommen neue Wendung in ihr Leben brachte. Er stand vor ihr. Seine Oberlippe bebte vor Wut und seine Augen funkelte sie böse an. Er hatte sie durchschaut. Sie konnte ihm nichts mehr vormachen. „Liebst du mich überhaupt?“, hallte durch ihren Kopf. Immer und immer wieder. Er war so verletzt und wütend, dass ihr alle Handlungen und Taten gleichzeitig leidtaten. Was hatte sie nur getan? Sie hatte nicht nachgedacht. Ihr hätte doch klar sein müssen, dass man Gefühle nicht vorheucheln konnte. Kari hatte noch gehofft, dass sie sich in ihn verliebt, besonders nach der gemeinsamen Nacht, die sie erlebt hatten. Doch diese zeigte ihr nur die Wahrheit. Sie liebte ihn nicht. Sie benutzte ihn nur. „Es tut mir leid. So unendlich leid“, sagte sie und kämpfte mit den Tränen. Er presste die Lippen aufeinander und schluckte hart. Er hatte es sich schon die ganze Zeit vermutet. Jetzt hatte er Gewissheit. Sie hatte nur mit ihm gespielt. „Du bist wirklich das Letzte, Kari“, donnerte er ihr an den Kopf, bevor er von seinen eigenen Emotionen übermannt wurde und selbst weinte. Er hatte sie geliebt. Seine Gefühle waren echt. Und sie wollte nur ihre Sehnsucht nach jemand anderem stillen. Zuerst hatte Davis gedacht, dass sie Takeru meinte. Bei ihm hätte er es noch nachvollziehen können, schließlich kannten sie sich länger und waren seit dem Kindesalter befreundet. Doch sie hatte sich in Matt, den Weiberhelden verliebt. Mit sowas konnte doch keiner rechnen. Es war so unfair. Er wollte nur noch, dass sie ging. „Bitte geh!“ „Aber Davis, können wir…“. „Nein“, unterbrach er sie schroff und deutete zur Tür. „Geh gefälligst. Ich will dich nicht mehr sehen“. Sie biss sich auf die Unterlippe, während die Tränen ihr die Wange hinunter flossen. „Es tut mir leid“, murmelte sie und verschwand aus seinem Zimmer. Sie ging ohne sich von seinen Eltern zu verabschieden. Kari schlüpfte in ihre Schuhe und merkte erst beim Rausgehen, dass es bereits regnete. Doch ihr war alles egal. Sie hatte es verdient. Sollte sie doch nass werden. Davis hatte wegen ihr ein gebrochenes Herz. Kari bewegte sich schwerfällig die Treppen hinunter, steuerte danach aber nicht wie gedacht auf ihren eigenen Wohnblock zu, sondern lief in eine komplett andere Richtung. Anscheinend hatten ihre Füße das Denken übernommen. Und sie trugen sie genau dorthin, wo sie am wenigsten sein wollte. Zwanzig Minuten später stand sie vor der Haustür ihres besten Freundes, vollkommen durchnässt. Sie wusste nicht, was sie hier wollte. Doch ohne darüber nach zu denken, hatte sie bereits die Klingel betätigt. Nur wenige Sekunden später öffnete der Blonde verwundert die Tür. Er wusste ja, dass sie heute mit Davis verabredet war, deswegen erwartete er sie auch nicht. Doch als er sie klatschnass vor sich stehen sah, bemerkte er schnell, dass etwas nicht stimmen konnte. „Was ist passiert? Du warst doch mit Davis verabredet“, meinte er und ließ sie rein. Kari sagte nichts, sondern blieb im Hausflur stehen, bis Takeru ihr ein Handtuch besorgt hatte. Er legte es ihr über die Schultern, während sie immer noch nichts erwidern konnte. „Was ist denn los? Du machst mir langsam Angst!“ „Davis hat Schluss gemacht“, gestand sie kleinlaut und blieb immer noch am gleichen Fleck stehen. Selbst ihre Schuhe hatte sie immer noch an. „Wieso das denn? Er war doch immer sooo in dich verliebt gewesen“. „Er hat gemerkt, dass ich ihm nur was vorgespielt habe“, murmelte sie und senkte ihr Gesicht. Takeru sah sie mit Entsetzen an. Etwas vorgespielt? Hatte er richtig gehört? Nein. Sowas würde Hikari nie tun. Nicht seine Hikari. „Du hast ihm etwas vorgespielt? Wieso? Sowas passt gar nicht zu dir“. „Ich weiß, aber ich habe gedacht, dass ich meine Gefühle für ihn dann dadurch verliere“, flüsterte sie und wirkte geistesabwesend. Sie fragte sich wirklich, ob sie Takeru die Wahrheit sagen wollte. War sie etwa deswegen zu ihm gegangen? Hatte sie Angst, dass er es von Davis erfahren könnte? Oder war sie einfach nur wahnsinnig geworden? TK hingegen war mehr als nur verwirrt. Wer war er? Und von welchen Gefühlen sprach sie da? Sie redete wirklich in Rätseln. „Was meinst du? Welche Gefühle?“ Sie presste die Lippen aufeinander und schaute kurz unsicher zu Takeru. Dann wand sie jedoch ihren Blick wieder von ihm ab. Ihr Herz klopfte gegen ihre Brust und ihr wurde plötzlich unheimlich schlecht. Doch ihr Mund war schneller als ihr Verstand. „Ich…ich habe schon länger Gefühle für Matt. Ich habe Davis nur benutzt, um ihn zu vergessen“. Takerus Atmen stoppte augenblicklich. Sie. Gefühle. Matt? Sie streckte die Beine aus und rutschte mit ihren Schuhen leicht über den Boden, um die Schaukel anzuhalten. Sie blieb stehen, doch Hikari blieb sitzen. Was hatte sie nur getan? Kein Wunder, dass Davis sie nach wie vor hasste. Sie war damals wirklich froh gewesen, dass Takeru sie deswegen nicht verurteilte. Vielleicht lag es auch an der Krankenhausgeschichte, warum er nicht weiter ausgerastet war. Er war wirklich fast jeden Tag zu ihr gekommen und sie redeten. Viel. Sehr viel. Sie erzählte ihm von ihrer Verliebtheit und wann dieses ganze Schlamassel mit seinem Bruder angefangen hatte. Und er saß einfach auf dem Besucherstuhl und hörte aufmerksam zu. Sie philosophieren sogar über ihre Handlungsweise. Auch wenn sie nicht wirklich auf ein gemeinsames Ergebnis kamen. TK hatte ihr gesagt, dass er ihr Verhalten gegenüber Davis nicht gut fand. Dennoch versuchte er sie zu verstehen. Kari dachte anfangs, dass ihre Gefühle für Matt nur ein Strohfeuer wären. Doch noch nach über einem Jahr, merkte sie dieses Kribbeln und dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Es wollte einfach nicht aufhören und sie entwickelte den Plan, dass sie sich auf Teufel komm raus endlieben musste. Und der beste Weg war sich jemand anderen zu suchen. Auch wenn, das Ganze eher unüberlegt und dämlich war. Doch mit fünfzehn, fast sechszehn trafen wohl eher die Hormone die Entscheidungen statt der Verstand. Jedenfalls war es Takerus Theorie gewesen. Er konnte schon verstehen, warum sie diese Gefühle loshaben wollte. Matt interessierte sich nur für die Musik und leicht zu habende Frauen. Klar das Kari unter Liebeskummer litt. Dennoch hätte sie Davis nicht für ihre Zwecke missbrauchen dürfen. Liebeskummer hin oder her. Er war ihr Freund gewesen und sie hatte alles weggeworfen. Für sie hatte sich damals, alles so logisch angehört. Ein anderer Kerl und Schwups keine Gefühle mehr für Matt. Vielleicht hätte sie eher mit jemandem reden müssen, bevor sie ihren bescheuerten Plan in die Tat umsetzte. Doch jeder hatte mit sich selbst zu tun gehabt. Und Kari wollte diese Gefühle gar nicht. Sie wünschte man könnte sich aussuchen, in wen man sich verliebte. Dann wäre sie sicher auch nicht auf Michael hineingefallen und hätte nicht solche Probleme wie jetzt. Doch das Leben war eine einzige Straße, die mehrere Richtungen aufzeigte. Welche man nun gehen wollte, musste man selbst entscheiden. Und Kari war sich sicher gewesen, dass sie die falsche Abzweigung genommen hatte. Takeru befand sich mitten im Gefühlschaos. Kari war wieder da – seine heimliche Liebe. Und dann war da noch Mariko, mit der er immer viel Spaß haben konnte, sie aber nie als feste Freundin gesehen hatte. Sie war einfach da und hörte ihm, besonders bei den Problemen, die er mit seiner Familie hatte, zu. Doch er konnte Kari deswegen keinen Vorwurf machen, schließlich befand sie sich die ganze Zeit in Amerika. Seit sie da war, war es fast wie früher. Und er fühlte sich wie ein Arsch. Davis hatte irgendwie Recht, er durfte Mariko so nicht behandeln, selbst wenn Kari wieder da war. Doch er hatte Angst vor der Begegnung der beiden. Was wäre wenn, Mariko ihren Mund nicht halten konnte. Yolei erzählte sie fast auch jede unnötige Kleinigkeit, von dem er erst vor kurzem erfahren hatte. Er wollte vor Kari nicht so dar stehen. So als hätte er es nötig gehabt, sich irgendeine X-beliebige Person zu suchen, mit der er ab und zu intim wurde. Er musste schon zugeben, dass die Beziehung zu Mariko nicht normal war. Deswegen würde er sie nie seine Freundin nennen. Dafür waren sie sich zu schnell nah gekommen. Außerdem hatte er ihr indirekt gesagt, dass er vorerst nichts Festes wollte und sie hatte es ohne weiteres akzeptiert und gesagt, dass sie sich nebenbei auch noch mit anderen traf. Takeru war damals sehr erleichtert gewesen, da für ihn eine Beziehung eben nicht nur auf Sex aufbaute, auch wenn es Spaß machte. Jedoch immer wenn er sich mit einem anderen Mädchen verabredete, kam es nie zu einem zweiten Date. Er landete am Ende doch immer wieder bei Mariko. Er schien wohl etwas komplett falsch zu machen. Er wusste nur nicht was. Sein Handy vibrierte und er pfriemelte es aus seiner Hosentasche. Der Blonde stellte fest, dass er einen verpassten Anruf und zwei SMSen hatte. Der Anruf kam selbst verständlich von Mariko, die immer noch nichts von ihm gehört hatte. Er schüttelte leicht den Kopf und klickte sich zu den SMS. Die eine war von Davis. Die andere von seiner Mutter. Er öffnete zuerst die von Davis. „Mariko hat bei uns angerufen. Melde dich mal bei ihr! Du bist im Moment alles andere als fair“. Das war eine typische Davis SMS. Er versuchte zu seinem Gewissen zu werden und Takeru wusste eigentlich das er damit recht hatte. Er wollte ihm nur helfen. Ihn vor Kari beschützen, wie er es gerne nannte. Doch er war alt genug, um zu wissen, wem er vertrauen konnte. Und Kari war seit Jahren seine beste Freundin gewesen. Davis und er kamen sich erst richtig näher, nachdem er seine Liebe zu Kari abgelegt hatte. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem der erste Grundstein für ihre Freundschaft gelegt wurde. Sein Training war gerade zu Ende, als er sich auf den Weg zu den Kabinen machte. Es war der erste Tag, an dem sie draußen spielen konnten. In der letzten Zeit hatte es oft geregnet, doch heute war einfach ein wundervoller Tag. Die Sonne schien über das Basketballfeld und ein leichtes Lüftchen wehte. In den letzten paar Wochen hatte sich vieles verändert. Kari war nicht mehr mit Davis zusammen, erzählte ihm jedoch, dass sie schon über ein Jahr in seinen Bruder verliebt war. Und zum krönenden Abschluss der ganzen Katastrophe wurde sie wegen einer Nierenbeckenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Als sie damals bei ihm ankam, war sie klatschnass gewesen und verschwand auch nach ihrem Geständnis relativ schnell wieder. Takeru wollte ihr trockene Klamotten holen und hörte nur noch wie die Tür ins Schloss fiel. Ein paar Tage später erfuhr er von Tai, dass Kari im Krankenhaus war. Er hatte sie jeden Tag nach der Schule besucht. Seit einer Woche war sie wieder hier und alles lief drunter und drüber. Davis redete mit ihr kein einziges Wort mehr und verbrachte seine Pausen neuerdings mit seinen Mannschaftskollegen. Die Stimmung war am Gefrierpunkt angelangt, doch keiner traute sich etwas dazu zu sagen. Selbst Ken hielt sich zurück, obwohl sein bester Freund gerade eine sehr schwere Phase durchmachte. Takeru konnte ihn wohl am besten verstehen, auch wenn er nichts sagte. Kari hatte etwas sehr Schlimmes getan. Sie hatte ihn benutzt, um ihre Gefühle für Matt zu verdrängen und er hatte es gemerkt. Auch wenn er sonst immer eine sehr lange Leitung hatte. Doch selbst Davis, der meistens so unglaublich nervig war, verdiente so etwas nicht. Takeru konnte auch nicht verstehen, warum Kari sich ausgerechnet in seinen Bruder verliebte. Er hatte immer gehofft, sie würde doch noch erkennen, dass er der eine wäre. Doch jetzt stand er in unmittelbarer Konkurrenz zu Matt, der wohl immer zu gewinnen schien. Takeru war zwar beliebt, aber noch lange nicht so beliebt wie Matt, der reihenweise den Mädchen das Herz brach. Er hoffte, dass Hikari noch erkennen würde, dass er nicht der Richtige für sie war. Eigentlich wollte er, dass sie ihn endlich in einem anderen Licht wahrnahm. Er wollte nicht mehr ihr bester Freund sein. Er wollte mehr. Plötzlich vernahm er ein leises Wimmern, als er die Kabine betrat. Er folgte dem Geräusch und landete direkt vor den Umkleidekabinen, die die Fußballer immer nutzten. Doch ihr Training war schon vor über einer halben Stunde aus. Es dürfte somit keiner mehr drinnen sein. Langsam öffnete er die Tür und betrat den Raum. „Davis?“, fragte er irritiert, als er den Igelkopf weinend vor sich fand. Er hatte immer noch sein Trikot an und saß auf einer der vielen Bänke. Er drehte den Kopf kurz zu ihm, wand jedoch gleich den Blick wieder ab, als er Takaru erkannte. „Was machst du denn hier?“ „Mein Training ist gerade zu Ende und ich wollte mich umziehen“. „Dann bist du in der falschen Kabine“, erwiderte er und wusch sich mit dem Handrücken über seine Augenpartie. Takeru jedoch schloss die Tür hinter sich und setzte sich direkt neben ihn. „Was ist los? Du weinst doch nicht ohne Grund. Ist es wegen Kari?“ Als er ihren Namen erwähnte, verrollte Davis auffällig die Augen. Er konnte ihren Namen nicht mehr hören. Seine komplette Mannschaft hatte bereits mitbekommen, dass sie nicht mehr zusammen waren. Einige machten sich sogar lustig über ihn, weil sie immer gedacht hatten, dass Kari irgendwann mit ihm Schluss machen würde. Jedoch war er derjenige der mit ihr Schluss gemacht hatte. Doch nach Karis Krankenhausaufenthalt rückte alles in den Hintergrund. Manche erfanden sogar Gerüchte zu Gunsten Karis. Sie erzählen so einen Schwachsinn, Davis hätte sie betrogen oder wäre einfach noch viel zu kindisch für sie. Auch Takeru hatte einige dieser Gerüchte gehört, ignorierte sie aber, da er die Wahrheit kannte. „Es tut mir leid. Sie hätte das nicht machen dürfen“. „Du weißt es? Ich hätte nicht gedacht, dass sie es dir erzählt“, meinte er und blickte zu Boden. Der Blondschopf hatte sicher nicht damit gerechnet, dass sich Kari ausgerechnet in Matt verliebt hatte. Davis dachte anfangs auch, dass Kari in Takeru verschossen war. Doch da war er mächtig auf dem Holzweg gewesen. Ihm ging es sicher genauso schlecht. „Was hältst du davon? Ich meine er ist immerhin dein Bruder“. „Ja ich weiß. Aber ich kann ihre Gefühle ja schlecht ändern“, sagte er traurig gestimmt und biss sich auf die Unterlippe. Davis hatte immer schon damit gerechnet, dass Takeru Gefühle für Hikari haben musste. Auch wenn er nichts sagte, wusste er, dass er Recht damit hatte. Sein Blick verriet ihn. „Ich frage mich die ganze Zeit, was ich falsch gemacht habe, obwohl sie diejenige war, die mich nicht wollte und etwas vorgespielt hat“. Wieder stießen ihm die Tränen in die Augen. Zum Glück hatte ihn außer Takeru noch niemand weinen gesehen. Als weinerliche Memme wollte er sicher nicht in die Geschichte eingehen¬. Der Blondschopf beobachte ihn kurz und fasste einen Entschluss. „Hey wollen wir vielleicht in Ruhe darüber reden? Meine Mutter ist nicht zu Hause und hier stinkt es wirklich nach Käsefüßen“. Davis nickte nur schwach und packte seine Sachen zusammen. Er konnte noch nicht ahnen, dass dieser Moment alles verändern würde. Er erinnerte sich an das stundenlange Gespräch, dass sie führten. Davis hatte sogar an diesem Abend bei ihm übernachtet. Es war wohl der Beginn von etwas neuem. Und auch wenn Davis, ihm im Moment sehr auf den Zeiger ging, wusste er, dass er es nur gut meinte. Dennoch war er sehr nachtragend, was Hikari anbetraf. Das Ganze war bereits knapp zwei Jahre her. Er konnte ihr doch nicht ewig böse sein. Takeru scrollte zu der SMS seiner Mutter und öffnete sie. „TK ich habe heute Nachmittag einen wichtigen Termin und dein Vater muss arbeiten. Kannst du heute vielleicht für zwei Stunden auf Saya aufpassen?“ Er schluckte. Er sollte auf seine drei Wochen alte Schwester aufpassen? Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Was wäre, wenn er etwas falsch machen würde? Er hatte sich noch nie um ein Baby gekümmert. Doch seine Mutter brauchte ihn und Matt konnte sie schlecht fragen, da er immer noch so stur und egoistisch war. Er fragte sich wirklich, ob es sich nochmal ändern würde. Doch er allein mit einem Baby? Das konnte nicht gut gehen. Wenn sie Hunger bekäme oder in die Windel machen würde, wüsste er wirklich nicht, was er dann tun sollte. Vielleicht sollte er Yolei fragen, ob sie ihn begleiten könnte. Sie war immerhin in einer Großfamilie aufgewachsen. Okay gut, sie war die Jüngste. Wahrscheinlich müsste er sich an ihre Geschwister wenden, was das Windeln wechseln und Fläschchen geben anbetraf. Yolei hätte heute sowieso keine Zeit gehabt, wie ihm gerade wieder einfiel. Sie besuchte heute ihren Statistik-Kurs. Und Ken war arbeiten. Davis konnte man in solchen Sachen auch nicht um Hilfe beten, da er mit Kindern generell auf Kriegsfuß stand. Die einzige Person, die bereits in diesem Bereich Erfahrungen gesammelt hatte, war Hikari gewesen. Sie passte in ihrer Nachbarschaft auf mehrere Kinder auf, als die ungefähr siebzehn war. Ein Paar hatte ihr sogar ihr Baby anvertraut. Und von Hikari wusste er auch, dass sie an nichts gebunden war. Sie war hier lediglich zu Besuch. Ein Versuch war es daher sicher wert. Er suchte ihre Nummer und tippte eine SMS an sie. Als er sie abschickte, hoffte er inständig, dass sie ihm zusagen würde. Takeru wollte so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen, bevor sie wieder nach Amerika ging. Immerhin würde er sie danach, wohl wieder eine sehr lange Zeit nicht sehen. Sein Handy vibrierte kurz und signalisierte ihm, dass er eine neue Nachricht bekommen hatte. Sie war von Kari. Er öffnete sie und auf seinen Lippen bildete sich ein Lächeln. Freundschaft ging wohl doch nicht so leicht kaputt, auch wenn die Entfernung doch ein großer Störfaktor gewesen war. Jetzt musste er nur noch seiner Mutter zurückschreiben. Fortsetzung folgt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)