Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 19: Liebeswirrwarr. --------------------------- I say, I hate you, we break up, you call me, I love you. We Are Never Ever Getting Back Together, Red. Taylor Swift, 2012. 31. Dezember 2009. New York, USA. Diskothek. Sie quetschte sich an einer Menschentraube vorbei und jonglierte die Getränke geschickt zu den anderen. Der Club war voll und stickig, sodass sie nach nur einer halben Stunde auf der Tanzfläche eine Erfrischung brauchten. „Man sowas ist doch echt nicht mehr normal. Manche könnten sich wirklich ein Zimmer suchen“, beschwerte sich April, die mit ihr zusammen die Getränke geholt hatte. „Ich komme mir vor, als würde ich eine Orgie besuchen.“ Sie warf einen prüfenden Blick zu Kari, die sich das Kichern verkneifen musste. „Na komm schon, lass uns zu den anderen gehen“, meinte sie ermutigend und steuerte auf Wallace und Peter zu, die an der Seite auf sie warteten. „Echt, die sind doch alle bescheuert. Am Ende kriege ich noch Herpes, so wie die übereinander herfallen“. „Beruhig dich, es wird schon keiner über dich herfallen“, meinte Kari gelassen. „Da wäre ich mir nicht so sicher“, trällerte Wallace grinsend und nahm Kari sein Getränk ab. Peter hingegen schaute ihn entsetzt an und der Mund klappte ihm leicht auf. Kari war sich sicher, dass er nur ihn meinen konnte. Auch ihr waren diese schmachteten Blicke, die er April zuwarf, nicht entgangen. Nur leider befand sich April in einer Beziehung mit ihrem Cello und bemerkte seinen sehnsüchtigen Blick erst gar nicht. „Wo ist eigentlich Mimi?“, fragte Wallace nach einer Weile und nippte an seinem Glas. Kari schnaubte nur säuerlich und verdrehte die Augen. „Keine Ahnung“, antwortete sie knapp, obwohl sie genau wusste, wo sie sich befand. Beziehungsweise bei wem. Mimi war schon vor einer Stunde mit Michael verschwunden. Kurz nach Weihnachten hatte er sich bei ihr gemeldet und ihr ein pompöses Geschenk mitgebracht. Es war eine Goldkette mit einem Herzanhänger, in den „Für Immer“ eingraviert wurde. Für Michaels Familie sicherlich nur Peanuts, da Kari wusste, dass sie sehr viel Geld hatten. Schließlich war sein Vater ja Schauspieler. Dennoch hatte sie nicht erwartet, dass Mimi ihm kreischend um den Hals fallen würde. Alle Probleme der Vergangenheit waren wie weggeblasen und seither trug Mimi dieses dämliche Ding fast täglich. Sie hatte sogar schon unzählige Komplimente dafür bekommen. Sie antwortete immer vor Stolz, dass es das Weihnachtsgeschenk ihres Freundes ist und zeigte meist noch die schön gravierte Rückseite. Kari konnte sie jedoch nicht sonderlich verstehen. Sie hatten viele Nächte zusammen verbracht, in denen sie immer wieder erzählte, wie sehr Michael sie schon verletzt hatte. Sogar von Betrügen war die Rede gewesen. Generell war die Beziehung ein ewiges Auf und Ab. Nicht nur einmal fragte sie Mimi, warum sie überhaupt noch mit ihm zusammen war. Sie bekam immer wieder die gleich Antwort. „Ich liebe ihn und wir sind schon so lange ein Paar. Es wäre komisch, einfach so Schluss zu machen“. Einfach so. Sie verstand sie manchmal wirklich nicht. Es lief doch schon länger nicht mehr gut zwischen den beiden. Doch vielleicht hatte sie auch einen anderen Grund, warum sie nicht Schlussmachen wollte. Vielleicht scheute sie das Alleinsein. Kari wusste es nicht genau. Ihr fiel es manchmal schwer, hinter Mimis Fassade zu blicken. Was sie jedoch wusste, war, dass sie nicht mehr glücklich war. Auch wenn sie zurzeit jemandem etwas anderes vorspielen wollte. Sie befand sich vor dem Club und eine kühle Brise blies ihr durch die Haare. Sie presste die Lippen aufeinander und umklammerte ihren Oberkörper. Er hatte sich nicht verändert. Er war immer noch ein Arschloch, der auf sein eigenes Wohlbefinden aus war. Sie konnte sich selbst wirklich nicht mehr verstehen. Warum hatte sie ihm wieder verziehen? Wegen dieser dummen Kette? War sie neuerdings etwa käuflich? Die Brünette biss sich auf die Unterlippe und ertastete mit ihrer rechten Hand das kleine Herz mit Gravur. Sie schloss es in ihrer Hand ein und überlegte sich schon, es vom ihrem Hals zu reißen. War sie wirklich so dumm gewesen? Wie konnte sie wieder einfach so auf ihn hereinfallen? Doch insgeheim wünschte sie sich, es nicht gehört zu haben. Sie wollte am liebsten ihre flauschige, bunte Halluzination von einer Beziehung aufrechterhalten. Doch sie wusste, dass sie es nicht mehr konnte. Sie war nur kurz zur Toilette gegangen und kam ein paar Minuten später wieder zurück. Michael stand bei Carter und sie unterhielten sich angeregt. Mimi dachte sich nichts dabei und wollte schon auf beide zusteuern, als sie ein Gespräch mitanhörte, dass nicht für ihre Ohren bestimmt war. Sie kniff ihre Augen zusammen und spürte eine plötzliche Nässe ihre Wangen hinunterlaufen. „Zum Glück hast du dich wieder mit Mimi vertragen und musst dir heute Nacht keine Andere zum Flachlegen suchen“. Ihr Atmen stoppte abrupt, als sie diesen Satz hörte. Eine Andere? Hatte er sie etwa schon wieder betrogen? Was ging bloß in seinem Kopf vor? „So langsam war es wirklich nervig. Ich konnte mir gar nicht alle Namen merken. Obwohl heute sind wirklich wieder geile Ärsche dabei“. Es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Namen? Das durfte doch nicht wahr sein…es waren sogar mehrere gewesen. Ein plötzliches Ekelgefühl überkam sie. Der Drang duschen zu wollen wurde größer und größer, je länger sie darüber nachdachte. Am liebsten wäre sie rüber zu ihm gestürmt und hätte ihm eine geklatscht. Doch irgendetwas hielt sie auf und jetzt stand sie hier. Sie war in Liebesdingen eigentlich noch nie sonderlich mutig gewesen und lief vor solchen Sachen lieber gleich weg. Automatisch musste sie an ihr erstes Mal mit Taichi denken. Es war schon vier Jahre her und dennoch schwirrte es ihr ab und zu in ihrem Kopf herum. Sie schämte sich ein wenig dafür, dass sie einfach am nächsten Tag abgehauen war. Doch sie hatte, wie jetzt, große Angst. Hauptsächlich Angst vor ihren Gefühlen. Vor Michael wollte sie keine Schwäche zeigen, doch sie wusste, dass sie den Tränen bereits nah war. Bei Tai war es damals eine andere Situation gewesen. Als es passierte, hatte sich etwas verändert. Eigentlich hatte sich schon länger etwas verändert, jedenfalls bei ihr. Sie fand ihn, schon bevor sie nach Amerika gegangen waren, toll und war ein wenig verliebt in ihn gewesen. Diese Verliebtheit verschwand sehr schnell wieder, als sie mit Ethan zusammen gekommen war, obwohl sie zugeben musste, dass sie sich in Tais Gegenwart immer noch etwas seltsam fühlte. Als sie jedoch mit ihm geschlafen hatte, war es um sie geschehen. Sie fühlte sich nicht nur zu ihm hingezogen, sondern merkte, dass da noch etwas Anderes war. Etwas, mit dem sie nicht umgehen konnte. Deswegen war sie abgehauen und hatte ihn wohl mehr verletzt, als sie eigentlich wollte. Die Konsequenzen wurden ihr erst später bewusst, als er mit Sora zusammen gekommen war und es sich so fühlte, als hätte sie einen riesen Fehler begangen. Doch was hätte es gebracht, über Gefühle zu sprechen, die wohl nur einseitig vorhanden waren? Wahrscheinlich war er schon damals in Sora verliebt gewesen, auch wenn sie dies nicht hören wollte. Einige Zeit später kam sie mit Michael zusammen, doch er spukte nach wie vor in ihrem Hinterkopf. Besonders an Silvester. Sie presste ihren Rücken gegen die kühle Wand und schaute hoch zu den Sternen. Es war nicht mehr lange bis Mitternacht. Mimi fuhr sich mit ihrem Handrücken über ihre Augenpartie und atmete tief ein. Sie sammelte ihre Gedanken und Gefühle, die wirr in ihrem Kopf umherschwirrten. Sie atmete aus, schaute noch einmal hoch in den Himmel und fasste einen Entschluss. Ihr Herz pochte wild gegen ihre Brust und ihre Hände begannen leicht zu schwitzen. Ihr Hals war trocken und ihre Augen immer noch sehr feucht. Dennoch war es Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Und sie hatte eine getroffen. Er stand auf dem Balkon und starrte in den Himmel. Er hörte den Bass der Musik durch die Glasscheibe dringen und sah, wie sich seine Freunde amüsierten. Noch eine halbe Stunde. Dann würde das neue Jahr eingeläutet werden. Für ihn eine sehr wehmütige Zeit, die ihn an jemand ganz Besonderen erinnerte – auch wenn er versuchte diese Erinnerungen zu verdrängte. An Silvester gelang es ihm nicht. Er wandte kurz den Blick vom Sternenhimmel und fixierte Sora, die ausgelassen mit Matt und Davis tanzte. Tai war sehr froh gewesen, dass ihre Trennung doch so harmonisch abgelaufen war, auch wenn er sich vor der Einsamkeit gefürchtet hatte. Es funktionierte. Irgendwie. An manchen Tagen vermisste er die gemeinsame Zeit sehr, doch dann erinnerte er sich zurück und stellte fest, dass sich beide in verschiedene Richtungen entwickelt hatten. Eigentlich hatte ihm die Beziehung gezeigt, dass sie als Freunde besser funktionierten statt als Paar. Schon länger hatte er das Gefühl, dass sie eine geschwisterliche Beziehung miteinander führten. Natürlich verbrachten sie gerne Zeit miteinander, aber er wusste nicht, ob man all das noch eine Beziehung nennen konnte. Er konnte sich noch nicht mal daran erinnern, wann er sie das letzte Mal so richtig geküsst hatte. Sex hatten sie zum damaligen Zeitpunkt eher selten gehabt. Irgendwie lagen andere Dinge im Fokus. Sie unterhielten sich lieber über die verschiedensten Dinge, unteranderem auch über ihre Zukunft. Ein weiterer Punkt, der die Beziehung der beiden ins Wanken brachte, auch wenn sie es nicht als „den“ Trennungsgrund angesehen hatten. Sora hatte einen ganz anderen Plan von ihrem Leben als er. Nach ihrem Studium wollte sie am liebsten die Welt bereisen und verschiedene Länder aufsuchen, um sich modetechnisch weiter zu bilden. Er hingegen wollte in Japan bleiben und dort Fuß in einem großen Unternehmen fassen. Und auch wenn es für einen Mann vielleicht ungewöhnlich war, dachte er auch schon an Familie und Kinder. Er liebte seine Familie. Vor allem seine kleine Schwester, die sich das letzte Mal kurz nach Weihnachten bei ihm gemeldet hatte. Insgeheim hoffte er auf einen kurzen Neujahrsgruß von ihr, auch wenn er wusste, dass die Zeitverschiebung ihn verzögern würde. Doch das war ihm egal. Er vermisste sie und hoffte, dass sie ihn bald mal besuchen kommen würde. Leider schaffte sie es dieses Weihnachten nicht. Wahrscheinlich feierte sie im ganz großen Stil, so wie es Prinzessin Mimi verlangte. Mimi. Ein weiterer Punkt in seinem Leben, den er nicht einfach so lossagen konnte. Sie war seine Erste gewesen und war am nächsten Morgen einfach abgehauen, ohne sich bei ihm zu melden. Nicht mal eine kleine SMS hatte sie geschrieben. Sie war einfach gegangen. So als wäre die Nacht bedeutungslos gewesen. Tai schnaubte kurz und drehte sich wieder zum Nachthimmel. Er ging einen Schritt nach vorne und lehnte sich lässig gegen das Geländer des Balkons. Wieder kam ihm jene Nacht in den Sinn, die einiges in seinem Leben verändert hatte – abgesehen von seiner Jungfräulichkeit. Am nächsten Morgen war er sichtlich geschockt gewesen, als er sein Bett leer vorfand. Ihre Sachen waren weg und nur der leichte Duft ihres Parfüms erinnerte daran, dass sie jemals hier gewesen war. Damals gingen ihm viele Fragen durch den Kopf. War es etwa zu schlecht? Hatte er irgendetwas falsch gemacht? Wenn ja, was? Wieso war sie einfach gegangen und konnte mit ihm nicht darüber sprechen? Er war doch kein Unmensch und auch wenn es bedeutungslos rüberkam, war er sich mittlerweile sicher, dass es ihm etwas bedeutet hatte. Manchmal fragte er sich, ob Mimi vielleicht auch der Grund war, warum er die Trennung von Sora sinnvoller fand, als mit ihr zusammen zu bleiben. Sie hatten nie wirklich eine Chance gehabt, auch wenn eine Beziehung wohl von Grund auf zum Scheitern verurteilt war. Sie lebte in Amerika, er in Japan. Beide waren stur und beharrten auf ihren Meinungen. Eigentlich konnte er sich an keinen Abend erinnern, an dem er sich mit ihr vertrug. Dennoch hätte er es besser gefunden, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätten, miteinander zu reden. Vielleicht wäre alles doch ganz anderes gekommen und das Leben hätte ihn positiv überrascht. Doch er konnte es nicht wissen. Mimi ist ihm dieses Gespräch schuldig geblieben. „Boah ich kann nicht mehr“, hechelte Davis erschöpft und befüllte ein Glas mit Mineralwasser. In einem Zug trank er es leer und merkte, wie das kühle Nass seine staubtrockene Kehle befeuchtete. „Wollt ihr eigentlich den ganzen Abend so dumm da rumstehen ?“ Er richtete seinen Blick prüfend auf seine beiden Freunde. Takeru hatte seinen Blick auf sein Handy gerichtet, während Ken etwas lustlos gegen die Wand gelehnt stand. „Irgendwie ist Silvester nicht mein Ding“, gestand sich Ken ein und gähnte herzlich. Er hatte in letzter Zeit viel gearbeitet und war irgendwie zu nichts wirklich gekommen. Eigentlich wollte er nur noch ins Bett fallen und schlafen. Doch Davis, der anscheinend eine Anti-Schlaf-Pille eingeworfen hatte, würde ihm das ganz sicher nicht durchgehen lassen. Er wollte auf Teufel komm raus mit seinen Freunden im neuen Jahr anstoßen. Deswegen hat er gemeinsam mit Tai die komplette Party geplant gehabt. Doch Tai befand sich schon seit einer viertel Stunde auf dem Balkon ihrer Wohngemeinschaft und starrte zum Himmel, während Davis wie ein Irrer tanzte. Es waren alle, außer Joe und Cody, gekommen. Joe wollte mit seinen Brüdern gemeinsam Silvester feiern und Cody begrüßte das neue Jahr lieber mit seiner Familie. Auch Takeru war eher unfreiwillig hier. Viel mehr hatte Davis ihn dazu gezwungen. Der Blondschopf war immer noch sauer auf seinen Bruder, der sich strikt geweigert hatte, Weihnachten gemeinsam mit seinen Eltern zusammen zu feiern. TK strafte ihn daher mit purer Ignoranz und tippte lieber auf seinem Handy herum, als sich am eigentlichen Geschehen zu beteiligen. Etwas, was Davis mächtig gegen den Strich ging. „Man jetzt leg doch mal das Ding weg“, maulte er und wollte es ihm aus der Hand reißen. „Lass mich doch“, gab der Blonde bissig zurück und hielt es außer Reichweite. „Ich bin ja nur hier weil du mich dazu gezwungen hast“. „Gezwungen? Also hör mal, ich wollte nur nicht, dass du zu Hause allein versauerst“, plusterte sich der Igelkopf auf und sah fordernd zu Ken, der sich nur kopfschüttelnd abwandte. „Mit wem schreibst du überhaupt die ganze Zeit?“ „Mit niemandem“, knurrte er knapp und tippte schon wieder eine Kurznachricht. Davis verrollte nur die Augen, da er genau wusste, wen er mit „niemandem “ meinte. So langsam ging ihm diese ganze „Nicht-Beziehung“ auf die Nerven. Klar, er gönnte TK seinen Spaß, doch er hatte das seltsame Gefühl, dass sie mehr als nur Spaß darin sah. „Ich glaube, sie verliebt sich noch in dich“, meinte er trocken und schenkte sich nochmals nach. Takeru schaute kurz hoch und zog die Stirn in Falten. „Glaub ich nicht. Sie kann sowas trennen…jedenfalls sagt sie es immer“. „Frauen sagen viel, wenn der Tag lang ist“, meinte er etwas patzig und gesellte sich wieder zu Matt und Sora, die ihre Probleme wenigstens für einen Abend zu vergessen schienen. „Auch wenn er manchmal nerven kann, glaube ich, dass er diesmal mit seiner Theorie recht behalten wird“, stimmte Ken plötzlich mit ein und schielte auf die SMS, die Takeru gerade bekommen hatte. „Ihr seht, dass alles viel zu eng. Wir haben erst letztens darüber gesprochen, uns auch mit anderen zu verabreden. Wir haben ja nichts Ernstes!“ „Dafür, dass ihr nichts Ernstes habt, schreibt sie dir aber relativ häufig“, stellte Schwarzhaarige fest und zog eine Augenbraue nach oben. „Wir sind eben auch miteinander befreundet“, versuchte TK die Situation zu retten, doch Ken s Skepsis verschwand dadurch nicht. „Ja klar. Eure sogenannte Freundschaft besteht zu 70 Prozent aus Sex und zu 15 Prozent aus exzessivem Rummachen, das wiederrum zu Sex führt“. Das Wort Freundschaft setzte er mit jeweils zwei Fingern in Anführungszeichen. „Ihr führt vielleicht zu fünf Prozent eine ganz „normale“ Freundschaft“. „Ach lass mich doch in Ruhe“, brummte er und wandte ihm den Rücken zu. Ken wusste auch nicht, warum er plötzlich so hart darauf reagierte. Vielleicht weil er merkte, dass er bei seiner Traumfrau nie eine Chancen haben würde, wenn er nicht mal in die Puschen käme. Er war frustriert und auch vielleicht ein wenig neidisch, da Takeru endlich Erfahrungen sammelte und er immer noch am Anfang stand. Es nervte ihn so ungemein, nicht auf sein Herz sondern auf Davis Worte gehört zu haben. Deswegen nahm er sich vor, im neuen Jahr einiges zu ändern. Eigentlich wurden sie nur losgeschickt, um noch etwas zum Trinken zu besorgen. An Neujahr hatten die Geschäfte meist zu. Auch die 24-Stunden-Supermärkte schlossen meist um kurz nach zwölf. Sie hatten also nicht mehr sonderlich viel Zeit und schnappten sich das, was sie in ihre Finger bekommen hatten. Es war nach wie vor noch eine komische Situation zwischen den beiden. Sie waren sich kurz vor Weihnachten näher gekommen, aber haben seither nicht mehr wirklich miteinander geredet. Yolei wollte die Situation nutzen, um mit ihm über ihre Beziehung zu sprechen. Nachdem sie bezahlt hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zur WG, die keine zehn Minuten von hier entfernt war. Yolei trottete Izzy etwas hinterher und überlegte, wie sie das Gespräch anfangen konnte. „Hey lass uns doch mal über diesen gottverdammten Kuss sprechen, der mich vollkommen verwirrt hat!“ Nein, das klang bescheuert. Doch Izzy drehte sich plötzlich um und starrte sie entgeistert an. „Wie bitte?“, fragte er und blieb abrupt stehen. Yoleis Augen weiteten sich und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie hatte doch nicht diesen äußerst bescheuerten Satz laut gesagt? „Ähm naja…ich…oh Gott“, stammelte sie und wurde augenblicklich rot. „Tut mir leid, das ist mir wohl einfach so rausgerutscht“. Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder. Er wusste ja, das Yolei impulsiv sein konnte und genau das mochte er ja schließlich an ihr. Diese liebe, etwas verrückte, stürmische Art. Doch leider wusste er gar nicht so genau, was er wollte. Eine Beziehung zu führen war laut seinem Stundenplan schier unmöglich. Er wäre wohl ein schlechter fester Freund, der wohl mehr Zeit in der Uni verbringen würde, als mit seiner Freundin. Izzy wusste gar nicht, warum er sich überhaupt auf diesen Kuss eingelassen hatte. Er war doch sonst immer standhaft geblieben. „Und was ist jetzt? Wollen wir darüber reden?“, fragte Yolei fast schon ein wenig zurückhaltend. Sie hatte schon ein wenig Angst vor der Antwort. Ihr hatte der Kuss schon sehr viel bedeutet, wenn sie ehrlich war. Es war der erste richtige Kuss, den sie je bekommen hatte. Izzy stellte das Bier, das sie geholt hatten, auf den Boden und schaute sie dringlich an. Er wusste wirklich nicht, wie er dieses Gespräch anfangen sollte. „Weißt du…ich…ehm, naja ich glaube, ich wäre im Moment wirklich ein mieser Freund“. Yolei sah ihn verblüfft an und machte ein ungläubiges Gesicht. „Was? Warum?“ Izzy ließ die Schultern hängen und vergrub seine Hände tief in seiner Jackentasche. „Ich muss immer so viel für die Uni machen, damit ich mein Stipendium nicht verliere. Eine Freundin wäre doch eher etwas hinderlich“. Hinderlich? Das traf sie ein wenig, auch wenn sie wusste, dass er es nicht so meinte, wie sie es aufgefasst hatte. Ihr Gesicht spiegelte ihre innerliche Traurigkeit wieder, sodass Izzy ein schlechtes Gewissen bekam. Er wollte sie nicht verletzten. Auch er fand den Kuss zwischen ihnen wunderschön, doch er wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Ihm war klar, dass die Uni vorerst an erste Stelle stand. „Okay, na dann…dann haben wir das wenigstens geklärt“, meinte sie verletzt und wollte gerade mit den zwei Sektflaschen an ihm vorbeigehen, als er sie sanft zurückhielt. Sie schaute ihn etwas verwirrt an, doch verlor sich schnell in seinen Augen, die sie fixiert hatten. „Ich kann dir nichts versprechen, Yolei. Aber ich möchte, dass du weißt, dass mir der Kuss nicht egal war“, er stoppte kurz und sie lächelte leicht. „Wir können ja sehen wie es läuft, ohne gleich schon alles zu benennen…was hältst du davon?“ Yolei presste die Lippen aufeinander und biss sich leicht auf die Innenseite ihrer Unterlippe. Beide standen sich so nah und merkten gar nicht, wie nervös sie einander machten. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sodass sie die beiden Sektflaschen nah an ihren Körper presste. „Ich weiß nicht“, begann sie langsam und schaute ihm wieder in die Augen. Sie biss sich noch etwas fester auf die Lippe und hoffte, dass sie nicht gleich zu bluten begann. Sie wollte eine Chance, doch war sie bereit, eine Beziehung einzugehen, die strenggenommen gar keine war? Sie erkannte, dass Izzy sehnsüchtig auf eine Antwort von ihr wartete. Sie lächelte leicht und nickte. „Ein Versuch wäre es wert“, antwortete sie knapp und sah, wie vor ihr die ersten Raketen in die Luft schossen. 01. Januar 2010. Odaiba, Japan. Seitenstraße. „Und Papa hat dich ernsthaft rausgeworfen?“, fragte Shuu und sah zum Himmel. Einige Raketen schossen in die Lüfte und zeigten ihre Farbenpracht. „Also eigentlich bin ich gegangen“, stellte Joe klar und rückte seine Brille zurecht, um die bunten Himmelslichter besser erkennen zu können. „Mama hat mich auch vor ein paar Tagen besucht und gemeint, dass ich das nicht so ernst nehmen sollte. Sie würde nochmal mit ihm reden“. Er wusste jetzt schon, dass sie das sowieso nicht tat. Seine Mutter gehörte eher zu den Teppichkehrern. Sie wollte eben keinen Stress, sondern eher die Harmonie fördern. Doch diesmal würde er nicht so einfach nachgeben. „Das s du dich mal durchsetzt…hätte ich dir wirklich nicht zugetraut“, meinte Shin und klopfte ihm stolz auf die Schultern. Er lächelte leicht und blickte zwischen seinen Brüdern hin und her. Er freute sich sehr, sie endlich wiederzusehen. Shin würde in ein paar Tagen wieder nach Afrika fliegen, während Shuu wieder seine Arbeit in Kyoto aufnahm. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sich beide recht schnell aus dem Staub gemacht hatten. Beide studieren nicht in Tokio, sondern suchten sich Universitäten, die etwas weiter weg lagen. Und Joe konnte behaupten, dass er ihre Beweggründe gut kannte. Sie wollten so schnell wie möglich weg von ihm. Wahrscheinlich hätte er sie genauso terrorisiert wie ihn jetzt. Manchmal war es wohl doch besser, ein en Sprung ins Unbekannte zu wagen. Vielleicht hätte Joe so eher gelernt, erwachsen und unabhängig zu werden. Möglicherweise wäre dann auch sein Verhältnis zu seinem Vater nicht so sehr angespannt. Aber das waren alles Spekulationen, die er nun nicht mehr ändern konnte. Er konnte nur seine Zukunft ändern und befolgte den Rat, den ihm Shin vor kurzem gab. Joe musste sich selbst finden. Er musste herausfinden, was er eigentlich wollte und was eben nicht. Deswegen hatte Shin ihm einen Selbstfindungstrip vorgeschlagen, den sich Joe selbst finanzierte. Und auch, wenn er seine Arbeit nicht sonderlich toll fand, wusste er, dass es sich lohnen würde. Er wollte frei sein. Seine eignen Entscheidungen treffen, ohne dafür verurteilt zu werden. Genaugenommen wollte er seinem Vater beweisen, dass er auch ohne seine Hilfe zurechtkam. „Und was sind deine Ziele für das nächste Jahr?“, fragte Shuu interessiert und hob den Kragen seiner Jacke, da er allmählich zu frieren begann. Auch Joe fröstelte es leicht, sodass er sich warme Luft in seine Handflächen blies und diese dann aneinander rieb. Nur Shin blieb ganz gelassen und genoss die kühle Brise, die an seiner Nase kitzelte . „Also ich werde dieses Semester noch fertig machen, abgesehen von der Hausarbeit. Dann werde ich noch ein bisschen arbeiten und hoffen, mir damit die Reise auch wirklich finanzieren zu können“, zählte der Medizinstudent munter auf. Er hatte sich dieses Jahr viel vorgenommen und war gespannt, ob er alles erreichen würde. Er hoffte es. Und auch seine Brüder schenkten ihm einen aufmunterten Blick. „Das wird schon alles“, meinte Shin optimistisch. „Ja und wenn du erst mal auf deiner Reise bist, wirst du schon deinen Weg finden. Lass dich einfach inspirieren“, meinte Shuu und machte den Eindruck, als wolle er in seiner Jacke am liebsten versinken. „Danke, wenigsten ihr glaubt noch an mich“, erwiderte Joe mit einem Lächeln. „Vielleicht sollten wir jetzt langsam reingehen. Ich glaube, sonst mutiert Shuu noch zum Schneemann“, sagte Shin belustig t, als er die immer roter werdende Nase seines Bruders betrachtete. Joe lachte leise, während Shuu ihm einen vielsagenden Blick schenkte. „Ja klar, ich und ein Schneemann? Wie soll das denn gehen? Holst du deinen Zauberstab heraus und verwandelst mich in einen, obwohl es gar nicht mal schneit?“ „Okay, es wird langsam wirklich Zeit, sich aufzuwärmen. Er dreht definitiv durch! Nachher sieht er noch Trolle und Einhörner“, meinte Shin zu Joe gewandt, der sich das Grinsen nicht verkneifen konnte. „Also wirklich immer müsst ihr über mich lästern! Ihr habt euch schon immer gegen mich verbündet“, protestierte der Ältere und bewegte sich schwerfällig zum Hotel, indem er sich gemeinsam mit Shin ein Zimmer teilte. „Das stimmt doch gar nicht! Du leidest unter Verfolgungswahn“, unterstellte ihm der Zweitälteste und zwinkerte Joe zu. Er wusste genau, dass Shuu die Wahrheit sprach. Und auch, wenn Joe es im Moment nicht leicht hatte, wusste er, dass es immer zwei Menschen gab, auf die er sich blind verlassen konnte. Schon als Kind ging er lieber bei Problemen zu seinen Brüdern, statt zu seinen Eltern. Seine Brüder waren immer für ihn da, während sein Vater immer Druck ausübte und seine Mutter sich diesem Druck immer beugte. Und so wollte er nicht werden. Er wollte glücklich sein und seine Träume verfolgen, auch wenn er sie noch nicht kannte. Er wusste gar nicht, wie dieses ganze Schamassel angefangen hatte. Er wusste nur, dass es mal wieder mit seinen Eltern zu tun hatte. Das neue Jahr war gerade mal eine viertel Stunde alt und eigentlich wollte er sich wieder mit seinem Bruder vertragen, doch dann musste wieder alles eskalieren. „Ich kann dich wirklich nicht verstehen“, warf er ihm an den Kopf und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Ich weiß, dass die Situation zwischen Mama und Papa schwierig ist, aber denk doch einmal an unsere Schwester“. Schwester? Seine Augen weiteten sich. Ein Mädchen. Er bekam also eine kleine Schwester. „Man Matt hörst du mir überhaupt zu“, blaffte ihn der Jüngere an und ging ein paar Schritte zurück. Er reagierte nicht. Immer noch schwirrte ihm der Gedanke, dass er eine kleine Schwester bekommen würde, im Kopf herum. Irgendwie freute er sich darüber. Doch er wusste auch, dass es an den Tatsachen nichts ändern würde. „Du bist ein Egoist!“, meinte er abwertend und stapfte wütend an ihm vorbei. Erst jetzt realisierte er, wie sauer Takeru war. Er wollte doch mit ihm reden. Alles klären. Seine Bedenken äußern. Ihm zu verstehen geben, warum er es so sinnlos fand, auch wenn er es schon gefühlte tausend Mal gesagt hatte. Matt folgte ihm vom Balkon wieder in die Wohnung und sah, wie er gerade seine Jacke schnappen und gehen wollte. „Jetzt warte doch mal“, rief er ihm zu und erweckte auch die Aufmerksamkeit der anderen im Raum. Tai hatte sich gerade noch mit Sora unterhalten, als er auf ihn zusteuerte und direkt neben ihm stehen blieb. „Streitet ihr schon wieder? Könnt ihr euch nicht einmal beherrschen?“, flüsterte er in sein Ohr, doch Matt ignorierte ihn und wandte sich voll und ganz zu TK, der stehen geblieben war. Er sah ihn herausfordernd an und wartete darauf, dass er etwas sagte. „Kannst du mich denn gar nicht verstehen?“, fragte er ihn leicht gereizt. „Dich verstehen? Du meidest unsere Familie doch, nicht ich!“ „Du willst es wohl nicht verstehen, oder? Erst trennen sie uns und dann nach knapp fünfzehn Jahren sagen sie auf einmal, dass sie wieder etwas miteinander hatten und obendrein noch ein Kind erwarten, dass sie nicht gemeinsam aufziehen wollen! Das kann ein normaler Mensch doch nicht für gut heißen“, blaffte er und redete sich in Rage. TK presste die Lippen aufeinander und funkelte ihn böse an. Davis stieß Ken plötzlich in die Rippen und murmelte ein „Wir sollten wohl besser gehen, bevor es eskaliert“ zu. Auch Sora deutete die bedrohliche Stille als kein gutes Zeichnen und wandte ihren Blick hilfesuchend zu Tai, der förmlich die Luft anhielt. Yolei biss sich vor Anspannung fast die Lippe blutig, während sich Izzy wünschte, das s endlich ein wenig Ruhe einkehrte. „Du bist ein Idiot“, raunte er durch den Raum, blieb aber ruhig. Der große Knall blieb aus. Sein bedrohlicher Blick verwandelte sich in einen traurigen, fast schon deprimierten Ausdruck. Takeru war es leid geworden. Er hatte keine Lust mehr, mit ihm darüber zu streiten. Er schlüpfte wortlos in seine Jacke und fuhr sich kurz durch seine blonde Mähne. Dann fixierte er Matt kurz mit seinem Blick, wandte sich aber relativ schnell von ihm ab. Er sah zu Boden und schüttelte den Kopf. Sein Bruder hatte seine Familie aufgegeben, als sich ihre Eltern getrennt hatten. Es gab kein Wir mehr, sondern nur noch ein Du und Ich . „Weißt du was? Du kannst mich mal“, meinte er mit einem verletzten Unterton, drehte sich um und verließ die Wohnung. Zurück blieb nicht nur die zerrütte Partystimmung, sondern auch Matt, der sich fragte, ob er richtig gehandelt hatte. Sie war fast schon ein wenig durchgefroren, als sie den Club wieder betreten hatte. Eine knappe halbe Stunde stand sie draußen und betrachtete halbherzig das Feuerwerk, das sie sonst immer so toll und romantisch fand. Doch für sie bedeutete das neue Jahr das Ende einer langen, achterbahnreichen Beziehung. Ja, sie hatte sich entschieden. Sie wollte nicht mehr mit ihm zusammen sein. Sie konnte es nicht mehr. Michael hatte sie viel zu sehr verletzt. Sie verarscht. Betrogen und belogen. Mimi hatte genug. Und endlich hatte sie den Mut gefunden, es endgültig zu beenden. Sie war sich sicher, dass sie diesmal stark genug war, alles hinter sich zu lassen. Sie drückte sich an verschieden Grüppchen vorbei und suchte den Club nach Michael ab. Er war sicher sauer, dass sie so lange verschwunden war. Doch noch lange nicht so sauer wie sie. Nach weiterem Suchen entdeckte sie plötzlich Carter, der lässig an der Wand gelehnt stand und sich mit ein paar Kumpels unterhielt. Sie steuerte selbstsicher auf ihn zu und packte ihn an seiner Schulter. „Wo ist Michael? Ich muss mit ihm reden!“ „Wow Kätzchen, bleib mal ruhig und fahr die Krallen wieder ein“, scherzte er und grinste sie schief an. „Wo ist er?“, wiederholte sie gereizt und ließ ihn abrupt los, um ihre Arme vor der Brust zu verschränken. „Keine Ahnung. Er wollte an die Bar, ist aber noch nicht zurückgekommen“, meinte Carter gelassen und drehte sich wieder zu seinen Freunden. Mimi verrollte nur die Augen und setzte ihre Suche fort. Irgendwo musste er doch sein. Wütend lief sie durch die Reihen, entdeckte ihn aber nirgends. Sie ging weiter zu den Toiletten und überlegte sich, ob sie ins Männerklo stürmen sollte. Doch diesen Gedanken verwarf sie schnell wieder. Um sie herum standen viele Paare, die miteinander Speichel austauschten und sich am liebsten gleich besteigen wollten. Viele von ihnen waren deutlich angetrunken. Mimi ekelte sich ein wenig, obwohl sie auch schon mal mit Michael in der Öffentlichkeit herumgemacht hatte. Doch das, was sie sah, ging schon darüber hinaus. Sie verzog das Gesicht und sah sich angewidert um. Sie musste schnell hier weg, bevor sie noch einer zum Mitmachen einlud oder ihr irgendwelche Drogen anbieten wollte. Gerade als sie aus dem hinteren Bereich verschwinden wollte, entdeckte sie in der Ecke jemanden stehen. Sie musste zweimal hingucken, um zu erkennen, dass sie tatsächlich jemanden erkannte und nicht halluzinierte. Sie ging langsam auf ihn zu und hörte, wie er genüsslich aufstöhnte. Ein großer Kloß bildete sich in ihrem Hals, als sie sah, wie eine rothaarige junge Frau vor ihm kniete und er entspannt die Augen geschlossen hatte. Er fasste ihr in die Haare und stöhnte lauter, als sie ihren Kopf intensiver bewegte. Mimi schluckte nur, brachte aber kein einziges Wort hervor. Ungläubig starrte sie in die dunkle Ecke und sah die Paare um sich herum, die anscheinend viel zu betrunken waren, um dieses Szenario zu realisieren. Doch sie war vollkommen nüchtern und rang mit ihrer Fassung. Tränen brannten in ihren Augen und liefen ihr lautlos die Wange hinunter, während ihr Herz innerlich zersprang. Auch wenn sie mit ihm Schluss machen wollte, hätte er ihr diesen Anblick ruhig vorenthalten können. Kari war vollkommen verwirrt gewesen, als Carter plötzlich bei ihnen auftauchte und sagte, sie solle schnell herkommen. Sie stand gemeinsam mit Wallace am Rand und beobachtete nichts ahnend Peter und April, die gemeinsam tanzten. Peter hatte all seinen Mut zusammen gerafft und sie gefragt. April schmunzelte leicht und Kari war sich sicher gewesen, dass sie es sehr gefreut hatte. Doch während sich die beiden prächtig auf der Tanzfläche amüsierten, kam Carter angerannt und bat sie – ausgerechnet sie – um Hilfe. Wallace sah ihn skeptisch an und folgte beiden unauffällig in die Richtung, in die Carter sie lotste. „Was ist überhaupt los?“, fragte Kari verwirrt, als sie plötzlich eine große Menschentraube am Toilettenbereich vorfand. „Sieh es dir besser selbst an“, meinte Carter monoton, während Wallace sich wie ein Beschützer neben sie gedrängt hatte. Kari drückte sich durch die Menschenmasse durch und hörte schon viel Geschrei und Geplärre. „Du blödes Arschloch!“, schrie eine für sie sehr bekannte Stimmte. Ihr Atmen stockte, als sie Mimi erkannte, die mit ihrer Tasche auf Michael einschlug. Seine Hose hing bis zu den Knien und auch seine Unterhose sah so aus, als hätte er sie gerade noch hochziehen können. Nebendran stand ein rothaariges Mädchen, die entsetzt die Hände vor dem Gesicht zusammen schlug. „Ach du heilige Scheiße“, kommentierte Wallace die Situation und sah zu Carter, der hilfesuchend zu den beiden schaute. „Wie konntest du mir nur so etwas antun?“, brüllte sie unter Tränen, unterbrach aber ihre Schläge nicht. „Jetzt tut doch was“, forderte Carter Kari auf, die die Situation kritisch beäugte. „Was ist hier überhaupt passiert?“, wollte sie wissen und sah fragend zu Carter, der wiederrum mit den Schultern zuckte. „Keine Ahnung, ich bin erst dazu gekommen, als es plötzlich so laut wurde“, erklärte er knapp und huschte mit den Augen wieder zu seinem besten Freund, der um Vergebung bettelte. „Jetzt mach doch mal was! Nimm ihr die Tasche weg oder halt sie fest! Sie ist ja komplett wahnsinnig!“ Kari blickte unsicher zu Wallace, der ihr nur zunickte . Sie mussten etwas unternehmen, nicht dass noch jemand die Polizei rufen und diese Mimi mitnehmen würde. Das konnte sie nun wirklich nicht verantworten. Wallace und Kari näherten sich daher Mimi mit einem großen Sicherheitsabstand und versuchten, auf sie einzureden. „Mimi was soll das?“, fragte Kari fassungslos. Mimi ließ kurz von ihm ab und drehte sich zu ihrer Freundin. Ihren Augen waren verquollen und Tränen liefen ihr noch immer die Wangen hinunter. Das erste Mal sah sie so richtig scheiße aus. „Was ist passiert?“ „Was passiert ist?“, erwiderte Mimi verzweifelt. „Er ist einfach das größte Arschloch, das mir je begegnet ist.“ Kari sah zu Michael, der sich schmerzverzerrt das Gesicht hielt und obendrein versuchte, seine Hose wieder hochzuziehen. „Erst muss ich mitanhören, wie du bei Carter über deine Erfolge beim Flachlegen irgendwelcher Schlampen prahlst und dann erwischte ich dich, wie dir eine deiner Schlampen einen bläst!“, schrie sie laut genug, sodass es die meisten, die um sie herum standen, auch verstehen konnten. Karis Augen weiteten sich ungemein und auch wenn ihr Mimi unheimlich Leid tat, machte sich das Gefühl des Fremdschämens in ihr breit. Auch Wallace hatte den Blick von ihr und Michael abgewandt und sah peinlich berührt zu Boden. Nur Mimi schien ihr Verhalten gerechtfertigt zu finden und setzte zum nächsten Gegenschlag an. „Du kannst mich wirklich mal! Es reicht!“, schluchzte sie, fuhr mit ihrer Hand ihren Hals entlang und umfasste die Kette, die er ihr geschenkt hatte. Mimi riss sie sich vom Hals und warf sie ihm über. „Da hast du dein bescheuertes Geschenk wieder! Es ist aus!“ Sie stolzierte an ihm vorbei und fuhr mit ihrem Handrücken über ihre Augenpartie. Kari folgte ihr sofort und zog Wallace mit sich. Carter schnellte zu Michael und half ihm auf. Dieser brüllte Mimi noch etwas nach, was sie allerdings nicht mehr mitbekam. „Mimi jetzt warte doch mal“, rief Kari ihrer Freundin hinterher. „Ich will hier einfach nur noch weg“, meinte sie mit schwacher Stimme und ging weiter. „Warte, ich komme mit“, versicherte Kari ihr, „ich hole nur noch schnell meine Jacke“. Wallace blieb bei Mimi stehen, während Kari in der Menge verschwand. Er blickte unsicher zu ihr und sah, wie einige ihrer Tränen auf den Boden tropften. Vielleicht sollte er irgendetwas Aufmunterndes sagen? Nur was? „Also du kannst dich wirklich super verteidigen. Mit so einer Schlaghand habe ich wirklich nicht gerechnet“, sagte er und bereute seine Worte augenblicklich, als ihr Gesicht seines traf. Sie sah gerade so aus, als wolle sie ihm am liebsten verprügeln. „Bitte schlag mich nicht! Ich habe schon genug Angst vor dir“, meinte er ängstlich und ging vorsichtshalber schon mal in Deckung. Doch Mimis Gesichtszüge wurden weicher und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Keine Sorge, ich werde dich schon nicht schlagen, aber danke, dass du mich aufheitern wolltest“, antwortete sie leicht belustigt, doch die Wut und die Trauer ließen ihre Stimmung schnell wieder umspringen. Einen kurzen Moment später tauchte Kari mit Peter und April auf, die nur eine Kurzfassung erhalten hatte und fragend beide anstarrten. Doch Kari reichte schnell die Jacken an jeden weiter und steuerte den Weg nach draußen an. Mimi drehte sich nochmal kurz um und sah Michael, der sie von etwas weiter weg anstarrte. Er hielt sich immer noch die Wange und hielt in der anderen Hand die Herzkette, die Mimi ihm an den Kopf geworfen hatte. Auch wenn sie mit ihm Schluss gemacht hatte, wusste er, dass sie nicht ohne ihn konnte und früher oder später zu ihm zurückgekrochen kam. Er konnte nicht wissen, dass er sich diesmal irren würde. 14. Juni 2010. Odaiba, Japan. Flughafen. Ungeduldig und erwartungsvoll wartete sie auf seine Ankunft. Er war vor zehn Minuten gelandet und müsste bald im Wartebereich ankommen. Sehnsüchtig wartete Kari auf ihn. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt und stierte zum Ausgang. Immer wieder dachte sie, dass einige Leute sie komisch anschauen würden. Kein Wunder bei dem verheulten Gesicht, das sie hatte. Sie hoffte, dass Wallace bald kommen würde. Sie fühlte sich in ihrer Haut nicht mehr wohl, schon lange nicht mehr. Kari konnte die Gefühle, die sie hatte, nicht mal mehr beschreiben. Sie waren wirr, ziellos, emotionsgeladen. Manchmal konnte sie nicht zuordnen, was ihr mehr wehtat. Ihr Kopf, der vor Gedankenfülle fast schon zersprang oder ihr Herz, das schon seit langem gestorben war. Mittlerweile war ihr alles egal geworden. Seitdem sie schwanger geworden war, hatte sich alles verändert. Sie war nicht mehr sie selbst. Kari hatte den Verstand verloren. Sie lebte nicht mehr, sie versuchte nur die Tage irgendwie zu überleben. Teilweise auch mit Hilfe des Alkohols, der sie das Vergangene vergessen ließ. Wenn auch nur für den Moment. „Hey“, hörte sie jemand en aus der Ferne rufen und sah, wie ein blonder junger Mann ihr zu wank. Erleichtert stand sie auf und lief auf Wallace zu, der mit seinem Koffer stehenblieb und auf sie wartete. Sie rannte und warf sich ihm in die Arme. Kaum hatte er die Umarmung erwidert, brach sie in Tränen aus und schluchzte Unverständliches gegen seine Brust. „Was ist denn passiert?“, fragte er und strich über ihren braunen Schopf. Kari drückte ihn ein wenig fester an sich, weigerte sich aber, ihn anzuschauen. Ihr war die Situation unangenehm. Mehr als das. Sie hätte beinahe mit dem besten Freund ihres Bruders geschlafen und musste sich obendrein den Gefühlen ihres besten Freundes stellen, die sie jahrelang nicht bemerkt hatte. Wenn sie an Takerus verletztes Gesicht dachte, zog es ihr Herz zusammen und Schwere machte sich in ihrem Inneren breit. Sie wollte ihn doch nicht verletzten, dabei hatte sie es all die Jahre getan, ohne es zu merken. „Kari du machst mir langsam Angst“, erwiderte Wallace besorgt und packte sie an ihren Schultern, um in ihr Gesicht schauen zu können. Erst wich sie seinen Blicken aus, doch immer wieder schaute sie kurz in seine seeblauen Augen. Besorgnis spiegelte sich in ihnen wieder. Etwas, was sie schon länger sah, immer dann, wenn er sie anschaute. „Weiß du…“, begann sie fast flüsternd. Immer wieder blinzelte sie zwischen dem Boden und ihm hin und her. Sie wusste nicht, wie sie ihm die ganze Sache erklären sollte, geschweige denn lösen wollte. Wallace spitzte die Ohren und sah auf sie hinab. Sie druckste etwas herum, fand aber dann doch einen Anfang. „Ich habe wirklich Mist gebaut“, gestand sie sich ein und ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)