Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 35: Tiefschläge. ------------------------ 24. Juli 2010 Manchmal konnte man nicht in Worte fassen, wie man sich fühlte. Oftmals war Schmerz so facettenreich, dass man ihn nicht beschreiben konnte. Es tat einfach weh und man konnte nichts dagegen tun. Sora rang noch immer mit ihrer Fassung. Sie fühlte sich machtlos und war erschöpft. Nie im Leben hatte sie erwartet gehabt, sich so hilflos zu fühlen. Alles glitt ihr auf einmal aus ihren Händen und ließ die Unbarmherzigkeit zu, die ihr ganzes Leben für immer verändern würde. Sie war unglaublich froh, dass Mimi bei ihr aufgetaucht war und sie schnellstmöglich ins Krankenhaus gebracht hatte, aber es bereits zu spät. Ihr Körper hatte sich gegen sie gewandt und ihr Leben in einen einzigen Alptraum verwandelt, der sie für immer verfolgen würde. Wie es sich herausstellte, war Sora gar nicht schwanger gewesen. All diese Beschwerden und Symptome, die eine Schwangerschaft in ihren Augen wahrscheinlich machten, wurden von einer Zyste ausgelöst, die sich an ihrem rechten Eierstock befand. Zyklusstörungen, schmerzhaftete, unregelmäßige Blutungen und sogar Erbrechen sowie Unwohlsein gehörten dazu. Sie hatte die Zeichen einfach nur falsch gedeutet gehabt und war in ihr Unglück gelaufen. Sie hatte sich voll und ganz auf eine ungewollte Schwangerschaft eingeschossen, sodass sie nichts anders mehr sehen konnte. Selbst diese höllischen Schmerzen, hatte sie darauf bezogen, auch wenn sie ihr selbst merkwürdig vorkamen. Als sie dann endlich ihre Regelblutung bekommen hatte, war sie sogar sehr erleichtert gewesen, da sie unter diesen fragwürdigen Umständen kein Kind in die Welt setzen wollte. Nicht mit der Gewissheit nicht zu wissen, wer der Vater war. Doch dieses vermeintliche Kind war ein Phantom, das wohl immer eins bleiben würde. Tränen sammelten sich in ihren Augen an als sie zur Kanüle an ihrem Handgelenk griff, durch die ihr ein Schmerzmittel verabreicht wurde. Noch immer breitete sich dieser dumpfe Schmerz in ihrem Inneren aus und ließ sie nur sehr langsam realisieren, was geschehen war. Sie presste ihre Lippen aufeinander und unterdrückte einen leisen Aufschrei, der förmlich auf ihrer Zunge brannte. Doch sie konnte diesen Schmerz nicht ausdrücken. Der Schock war immer noch zu groß. Außerdem fühlte sie sich allein, auch wenn sie es gar nicht war. Mimi war ihr den gestrigen Tag nicht von der Seite gewichen und wollte sie sogar später wieder besuchen kommen. Auch ihre Eltern waren voller Sorge ins Krankenhaus gefahren, nachdem ihre beste Freundin sie informiert hatte. Sie waren auch dabei gewesen als der Arzt, der die Notoperation durchführte, ihr die Wahrheit über ihren Zustand vor Augen führte. Komischerweise hatte ihre Mutter mehr geweint als sie, während ihr Vater einfach nur ihre Hand hielt und sie kaum etwas mitzubekommen schien. Die Stimme ihres Arztes hörte sich ganz dumpf an und sie konnte seinen Erklärungen kaum folgen, nachdem er ihr die Gewissheit unterbreitet hatte. „Es tut mir sehr leid Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Sie können unter diesen Umständen auf natürlichem Weg nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen eigene Kinder bekommen.“ Alles was danach kam, fühlte sich wie im Nebel an. Unter erschwerten Bedingungen? Auf natürlichem Weg? Eigene Kinder? Wenn man jung war, machte man sich über solche Dinge kaum irgendwelche Gedanken, zumal für Sora ein Kind zur jetzigen Zeit eher eine Belastung darstellte als ein gewünschter Segen. Doch die Tatsachen zu wissen, dass sie wohl nie dieses Glück erfahren würde, entfachte in ihr eine unglaubliche Leere. Die Zyste, die sich an ihrem Eierstock befunden hatte, war geplatzt und hatte ihr auch diese höllischen Schmerzen verursacht, mit denen sie sich einige Tage herumgequält hatte. Nur in seltenen Fällen konnte eine Zyste tatsächlich gefährlich werden, meist wenn man sie ignorierte und sie nicht anständig behandeln ließ. In Soras Fall war es wohl besonders kompliziert gewesen, weil die Zyste den rechten Eierstock abgedrückt hatte und auch dieser bei der Notoperation ebenfalls entfernt werden musste. Und auch wenn Sora unter starken Zyklusstörungen litt, war die endgültige Diagnose dennoch ein Schlag ins Gesicht gewesen. Natürlich hätte sie es sich denken können, dass es bei Zyklusstörungen und nur noch einem funktionierenden Eierstock sicherlich Probleme geben könnte, doch sie war sich dem Ausmaß dieser nicht bewusst gewesen, weshalb ihr der standfeste Boden unter ihren Füßen einfach weggezogen wurde. Ihre Eltern waren vor gut einer halben Stunde gegangen, um ihr einige Sachen aus ihrem Zimmer zu besorgen. Vor ihnen hatte sich Sora noch zusammengerissen und eine makellose Fassade aufrechterhalten, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen. Doch diese Fassade zerbrach schneller als eine Vase aus Porzellan, wenn sie auf einem Steinboden aufschlug. Fassungslos fuhr sie sich durch ihre roten kurzen Haare und schluchzte herzzerreißend, wohlwissend, dass sie mit dieser Tatsache nicht umgehen konnte. Zwar hatte sie sich gewünscht nicht schwanger zu sein, weil dies wohl alles in ihrem Leben erschwert hätte, aber dennoch wünschte sie sich irgendwann eine Familie. Eine Familie, die sie wohl nie haben würde… _ „Und kommst du jetzt mit oder nicht?“, fragte Taichi völlig durch den Wind und wollte sich gerade seine Schuhe anziehen, während Yamato verloren im Wohnbereich stand. „Ich…“, druckste er kleinlaut herum und wusste nicht so wirklich, was er antworten sollte. Natürlich war die Sache rund um Sora ein Schock gewesen und er konnte nicht leugnen, dass er sie gerne sehen wollte, aber nach all dem was zwischen ihnen vorgefallen war, war er sich nicht sicher, ob er ihr gegenübertreten konnte. Ja, er vermisste sie, aber er hatte auch Mist gebaut. Er hätte niemals einfach so mit ihr schlafen und am nächsten Tag verschwinden dürfen. Das hatte sie nicht verdient, allerdings hatte er keine Ahnung, wie er es wieder gut machen sollte. Ein einfaches „Es tut mir leid“, war definitiv zu wenig. Doch all das konnte er Taichi nicht sagen. „Was ist denn jetzt? Mimi wartet doch schon auf mich!“, murrte er ungeduldig und starrte auf sein Handy, dass er unmittelbar in seiner Hosentasche verschwinden ließ. „D-Denkst du nicht, dass das ein bisschen viel wird? Sie muss sich doch ausruhen“, erwiderte er nur. Taichi legte jedoch nur den Kopf schief und starrte seinen besten Freund verständnislos an. „Also manchmal verstehe ich dich echt nicht! Sie ist unsere beste Freundin und macht gerade echt die Hölle durch! Wir sollten für sie da sein und ich denke, dass sie sich freuen würde, dich mal wieder zu sehen. Im Moment bist du echt ständig auf Achse und spielst heile Familie“, antwortete er immer leiser werdend, da er wusste, dass er hier einen wunden Punkt erwischt hatte. Yamatos Gesichtszüge verfinsterten sich augenblicklich und er wurde von einer unfassbaren Wut erfasst, die er kaum kontrollieren konnte. „Ach halt doch deine Klappe! Du hast echt von nichts eine Ahnung“, knurrte er erbost und wandte ihm sofort den Rücken zu, um gleich darauf in sein Zimmer zu verschwinden. Obwohl er die Tür lautstark zuknallte hörte er, wie Taichi ihm zurief, was er doch für ein schlechter Freund sei und dass er sein Verhalten absolut nicht verstehen konnte. Doch Yamato konnte ihm nicht die Wahrheit sagen, nicht nachdem der Zwischenfall mit Hikari passiert war. Wenn Taichi erfuhr, dass er mit Sora, seiner Ex, geschlafen hatte, kurz nachdem er mit seiner Schwester rumgemacht hatte, würde er ihm sicherlich den Kopf abreißen. Nicht weil er noch Gefühle für Sora hatte – nein, dafür war ihm die Sache mit Mimi viel zu ernst. Aber er wäre sicher von ihm enttäuscht, wenn er erfuhr, wie er Sora behandelt hatte. Nichts desto trotz wusste er, dass vor den Konsequenzen seiner Taten nur davonlief. Ihm war klar, dass er früher oder später mit Sora darüber sprechen musste, aber nicht in dieser Situation. Er hatte überhaupt keine Ahnung, was genau mit ihr passiert war. Taichi hatte ihm lediglich erzählt gehabt, dass Mimi sie bewusstlos in ihrem Zimmer aufgefunden und den Krankenwagen gerufen hatte. Kraftlos ließ er sich die Zimmertür hinuntergleiten und setzte sich auf den kalten Boden. „Ich bin wirklich ein Idiot“, löste sich von seinen Lippen, während er seine Stirn gegen seine Knie presste. Noch ahnte er nicht, dass all das erst der Anfang war und er sich die alten, unbeschwerten Zeiten zurückwünschen würde… _ „Also wenn du so weitergähnst, solltest du dich echt besser nochmal ins Bett legen“, meinte Davis mit rümpfender Nase und beobachtete seinen Freund dabei wie er versuchte eine Tasse Kaffee zu trinken, um vor Müdigkeit nicht umzufallen. Takeru saß ihm direkt gegenüber und rieb sich erschöpft die Augen, während er einen kleinen Schluck an seiner Tasse nippte. „Diese Liste macht mich echt noch fertig“, grummelte er übermüdet und legte seinen schweren Kopf auf der Tischplatte ab. Davis konnte nicht anders und musste prompt bei dem Anblick seines Freundes grinsen, da er ihn noch nie so fertig erlebt hatte. Auch wenn es mittlerweile schon kurz vor eins war, hatte sich Takeru eher widerwillig aus dem Bett gequält, um gemeinsam mit ihm das Mittagessen vorbereiten zu können. Yolei war noch auf der Arbeit, da sie für Sora einspringen musste, die sich noch im Krankenhaus befand. Keiner von ihnen wusste so wirklich was passiert war, aber Davis war sich sicher, dass es in ihrer kleinen Gruppe schnell die Runde machen würde, zumal Takerus Bruder mit Sora immer sehr eng befreundet war und Takeru bei sowas meist als einer der Ersten Bescheid wusste. Auch Ken befand sich zurzeit an der Uni, um ein Blockseminar zu besuchen, für dass er sich dieses Semester eingeschrieben hatte, weshalb sie wohl nur noch auf Yolei warten würden, bevor sie aßen. Dennoch wollte Davis schon mal das Gemüse für seine berühmte Reißpfanne vorbereiten und hoffte inständig auf die tatkräftige Unterstützung seines Freundes, der jedoch drohte auf dem Tisch einzuschlafen. „Oh man, was habt ihr zwei gestern nur getrieben?“, fragte er süffisant grinsend, wohlwissend, dass rein gar nichts passiert war. Alles war rein platonisch - jedenfalls laut Takerus Aussagen, die sich allerdings sehr glaubhaft anhörten. „Ich habe dir doch schon erzählt, dass wir tanzen waren und vorher haben wir uns ohne Limit den Bauch vollgeschlagen, wie es auf ihrer Liste stand“, erwiderte er nur leicht genervt und hob langsam den Kopf. „Wow, immerhin habt ihr die ganzen Kalorien sofort wieder abtrainiert, obwohl es da sicherlich bessere Methoden geben würde.“ Er grinste wieder und ein lautes Stöhnen löste sich von Takerus Lippen. „Daisuke! Seit wann denkst du nur so einen Mist?! Vor ein paar Wochen wolltest du mich unbedingt von Hikari fernhalten und jetzt kannst du es wohl kaum erwarteten, dass wir uns näherkommen! Bist du etwa mit verbotenen Substanzen in Kontakt gekommen oder woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?“, fragte er etwas ruppig und stützte seine Ellenbogen auf dem Tisch ab, um sein Kinn darauf betten zu können. Seine Augen konnte er immer noch kaum aufhalten, aber Davis erkannte sofort seinen genervten Blick, den seine unüberlegte Aussage ausgelöst hatte. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und versuchte den brennenden Blicken seines Mitbewohners auszuweichen, doch das schlechte Gewissen klingelte bereits bei ihm Sturm. Sicherlich kam es komisch rüber, dass er plötzlich nichts mehr gegen eine aufkeimende Beziehung der beiden hatte. Einerseits hatte er verstanden, dass er mit seiner nachtragenden Art Kari gegenüber nicht weiterkam und es wohl kaum die Tatsache änderte, dass Takeru sie aufrichtig mochte. Davis war sich zwar noch unsicher, wie sie dem Ganzen gegenüberstand, aber Takeru hatte ihm sehr wohl erzählt gehabt, dass Kari sich ihnen Gefühlen selbst sehr unsicher war, was Davis mittlerweile durchaus nachvollziehen konnte. Denn andererseits hatte er am eigenen Leib erfahren, wie sich Gefühle plötzlich verändern konnten. Dass man einem Menschen, dem man die ganze Zeit gleichgültig gegenübersaß, auf einmal mit diesem kribbeligen Gefühl in die Augen blickte, ohne zu wissen, wo es überhaupt herkam. Es traf einen manchmal wie ein Blitz. Man lernte sich näher kennen, entdeckte Gemeinsamkeiten und nahm die Person in einem ganz anderen Licht wie zuvor wahr. Und genau das war Davis passiert. Allerdings war die ganze Sache alles andere als unkompliziert. Er hatte langsam ein wahres Händchen für Chaos und geriet meist an Frauen, die an jemand anderem interessiert waren, was ihn einfach nur frustrierte. Ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Zunge als er wieder zu Takeru blickte. Eine Frage, die ihm schon lange auf der Seele brannte, bahnte sich abrupt den Weg in Richtung Freiheit, sodass Davis die Worte, die aus seinem Mund kamen kaum kontrollieren konnte. „Sag mal, wie geht es eigentlich mit dir und Mariko weiter?“, fragte er als ihn ein unwohles Gefühl übermannte. Seine Augen wurden auf einmal ganz groß, während Takeru die Stirn krauszog und verwirrt zu Daisuke blickte. Mit dieser Frage hatte er ganz sicher nicht gerechnet gehabt, aber Davis wollte einfach die Bestätigung. Die Bestätigung, dass es okay war. Dass er keinen Fehler beging und Takerus Gefühle am Ende doch noch verletzte. Er wusste selbst, dass es nicht schlau war mit der Ex-Affäre seines besten Freundes Zeit zu verbringen, aber anfangs hatte Mariko ihm einfach nur leidgetan. Er wollte sie aufheitern, unwissend, dass sie so viele Gemeinsamkeiten miteinanderteilen. Nicht nur er liebte das Kochen über alles, sondern auch sie sammelte Rezepte aus aller Welt. Beide gerieten oft mit ihren Geschwistern aneinander und wussten, wie es sich anfühlte, wenn die Familie nicht richtig an einen glaubte. Davis hatte manchmal das Gefühl in Mariko seinen verlorenen Seelenverwandten gefunden zu haben, auch wenn es möglicherweise kitschig klang, aber er hatte sich noch nie bei einer Person so wohlgefühlt wie bei ihr. Noch nicht mal bei Kari fühlte er sich so verstanden. Es war fast so als hätten sie sich all die Jahre gesucht und einfach nicht gefunden gehabt. „Was soll denn mit Mariko sein? Wir haben uns schon ewig nicht mehr getroffen“, erwiderte Takeru halbherzig. „Ich weiß“, antwortete Davis wissend, „aber findest du nicht, dass du ihr noch wenigstens ein Gespräch schuldig bist?“ „Ein Gespräch?“, hakte Takeru mit angezogener Augenbraue nach. „Versteh mich bitte nicht falsch, ich weiß ja, dass es zwischen euch nichts Ernstes war, aber ich habe sie öfter mal auf dem Campus getroffen und sie wirkte auf mich sehr niedergeschlagen und ich denke, ihr würde sowas sicher helfen. Mir hätte sowas nach der Sache mit Kari ganz sicher geholfen“, führte er weiter aus und sah direkt, dass Takeru ins Grübeln kam. Seine Worte schienen ihn erreicht zu haben, auch wenn er natürlich nicht wusste, was er darüber dachte. Beide schwiegen sich einen kurzen Moment an als Takeru sich leise räusperte und erneut einen Schluck Kaffee zu sich nahm. Nachdenklich stellte er die Tasse wieder auf den Tisch und reib nervös am Henkel, was er nur machte, wenn er sich mit etwas ernsthaft beschäftigte. „Ja, vielleicht hast du recht“, antwortete er nach einem Moment des Schweigens. „Zwischen uns ist es nicht optimal gelaufen und sie ist eine sehr liebenswürdige Person, die ich niemals verletzen wollte, aber ich…“ Er stoppte abrupt und sah schamvoll zu Boden. „Aber du hast immer noch Gefühle für Hikari“, beendete Davis behutsam seinen Satz. Takeru rang sich nur zu einem Nicken ab, hob aber seinen Kopf nicht an. Davis lächelte nur vage und konnte sich kaum vorstellen, wie sich sein Freund fühlte. Takeru hatte ein schlechtes Gewissen, auch wenn es ihm nicht besserging. Denn auch Davis handelte durchaus nicht uneigennützig. Selbstverständlich erhoffte er sich etwas, auch wenn er drohte wieder auf den Boden der Tatsachen zu fallen, der ihm gnadenlos offenbarte, dass man Gefühle nicht erzwingen konnte. Sie waren wie eine chemische Reaktion, da man nicht mehr in den ursprünglichen Zustand zurückkehren konnte, wenn eine prägnante Veränderung bereits geschehen war. _ Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie unangenehm er diese Situation empfand. Natürlich wollte er seine beste Freundin sehen, da sie sich im Krankenhaus befand, aber er hätte niemals gedacht, dass sich eine solche Befangenheit über sie legen würde. Er hatte es nach dem Ende ihrer Beziehung erwartet gehabt, aber seine Ängste bewahrheiten sich nicht und sie fanden einen guten Weg wieder „nur“ Freunde zu werden. Doch sie hatten diesen Neuanfang riskiert, indem sie schwach wurden und sich der Gewohnheit hingaben. Taichi hatte das Gefühl, dass Sora ihm seither aus dem Weg ging, was der Krankenhausbesuch deutlich bestätigt hatte. Sie wich seinen besorgten Blicken aus und Taichi konnte Yamato immer noch dafür Ohrfeigen, dass er sich geweigert hatte, ihn zu begleiten. Er konnte seinen Freund beim besten Willen nicht verstehen, auch nicht, dass er sich so vehement dagegen wehrte. Und Taichi war der Leidtragende in der ganzen Sache. Es war für ihn schon schlimm genug, dass er mit Mimi hier war, wohlwissend, dass die beiden sowas wie eine Beziehung führten, obwohl er kurz zuvor noch mit Sora geschlafen hatte. Er hatte ihr nichts davon erzählt, da er sie nicht verletzen und diese unangenehme Situation nicht noch mehr ausreizen wollte. Doch jetzt war er hier. Alleine mit Sora. Mimi hatte sich spontan dazu bereit erklärt, etwas Kuchen zu besorgen, da sie sehr wahrscheinlich gemerkt hatte, wie angespannt die Atmosphäre unter den dreien war. Sora war auch nicht sonderlich gesprächig, was auch an ihren Eingriff lag, von dem sie sich noch zu erholen versuchte. Mittlerweile wusste Taichi, dass es keine leichte Sache für sie werden würde, wie eine einfache Erkältung oder eine Blinddarmoperation. Doch so ganz hatte er noch nicht verstanden, was all das für Sora bedeutete. Sie wirkte auf ihn unfassbar müde und ihre Augen waren sehr gerötet, was Taichi darauf schließen ließ, dass sie geweint haben musste. Behutsam näherte er sich ihr und setzte sich auf einen der Stühle, die sich in ihrem Zimmer befanden. „Wie geht es dir?“, fragte er völlig verkrampft und hoffte insgeheim, dass Mimi schnellstens zurückkommen würde. Sie hatte ihr Gesicht zum Fenster gewandt und reagierte kaum auf seine Anwesenheit, was ihn allmählich verärgerte. Sie waren doch keine Kinder mehr und hatten seines Erachtens doch auch alles zwischen ihnen geklärt gehabt! Warum reagierte sie denn auf einmal nur so? „Mir geht’s gut“, antwortete sie monoton, sah ihn aber immer noch nicht an. Er krampfte die Hände in seinem Schoss zusammen und bemerkte sofort, dass sie log. Warum versuchte sie ihm nach all den Jahren noch etwas vor zu machen? Mittlerweile müsste sie doch wissen, dass er sie besser kannte… „Du lügst doch!“, erwiderte er mit fester Stimme, sodass sie kurz zusammenschrak. „Wenn du nicht mit mir darüber reden willst, dann sag es und ich gehe, aber hör auf, mir hier etwas vorzumachen. Ich kenne dich besser!“ „Ach wirklich?!“, brüllte sie plötzlich und wandte den Kopf zu ihm. Tränen rannen ihre Wangen hinunter und der blanke Schmerz spiegelte sich in ihren Augen wieder. „Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich durchgemacht habe!“ Taichi seufzte nur bei ihrer Aussage, auch wenn er merkte, dass sie mit den Nerven völlig am Ende zu sein schien. „Dann erzähl‘ mir was los ist!“, startete er einen erneuten hoffnungsvollen Versuch und beugte sich zu ihr. Er wollte gerade nach ihrer Hand tasten als sie diese abrupt wegzog und sich hektisch über ihr nasses Gesicht fuhr. „Die Wahrheit verträgst du doch gar nicht“, antwortete sie nur stur. „Mensch Sora, das kann ich immer noch für mich selbst entscheiden! Ich möchte dir helfen, aber du…“ „Ich dachte, ich wäre schwanger Tai“, platzte aus ihr hervor und Tais Herz rutschte augenblicklich in die Hose. Hatte er sich gerade verhört? „D-Du…was? S-Schwanger?!“ Seine Mimik entgleiste vollkommen. „Dein Gesicht spricht wirklich wahre Bände“, meinte sie ausdruckslos. „Aber ich verstehe dich. Sowas wäre sicher sehr ungünstig, gerade weil es zwischen dir und Mimi scheinbar ganz gut läuft. Aber du hattest Glück, anscheinend bin ich jetzt so steril wie ein Wattestäbchen.“ Ihre Stimme zitterte und sie senkte den Kopf. Tai, der immer noch nicht die erste Neuigkeit verdaut hatte, verstand im ersten Moment gar nicht, auf was sie hinauswollte. Erst nach und nach realisierte er, was sie ihm gebeichtet hatte. „Sora…“ „Bitte nicht…bitte sag nicht, wie sehr dir das ganze leidtut! Das will ich nicht hören“, flehte sie jämmerlich. „Ich will all das einfach nur vergessen!“ „A-Aber warum bist du nicht zu mir gekommen? Ich hätte dich damit doch nicht alleine gelassen“, versicherte er ihr, auch wenn er zugeben musste, dass er mit dieser Nachricht mehr als nur überfordert war. Sora dachte sie wäre schwanger von ihm! Und auch wenn es nicht so war, hätte es durchaus passieren können. Sie waren damals sehr unvorsichtig gewesen, auch wenn in der Vergangenheit nie etwas passiert war. „Das sagst du doch nur so!“, murmelte sie verzweifelt. „Wie hättest du reagiert, wenn ich tatsächlich schwanger gewesen wäre? Mit deinem Kind? Glaubst du wirklich, dass dich die Situation gefreut hätte?“ Er schwieg. Denn er konnte nicht leugnen, dass es unpassend war. Gerade wegen Mimi. Wie hätte seine Zukunft mit ihr ausgesehen, wenn er mit Sora ein Kind bekommen hätte? Wäre sie bei ihm geblieben? Wären sie eine gut funktionierende Patchworkfamilie geworden, die ihren komplizierten Alltag gemeistert hätte? Gott, er war froh, dass sie von all dem nichts mitbekommen würde. Aber er wusste auch, dass er jetzt für Sora da sein musste. Sie durchlebte einen unglaublichen Verlust und er fühlte sich nicht unschuldig an ihrer Situation. Er war in letzter Zeit zu sehr auf sich fixiert gewesen, sodass er seine Freunde gar nicht mehr richtig wahrgenommen hatte. Und genau das, musste er ändern. _ Sie umklammerte den Gurt ihrer Tasche und presste die Lippen fest aufeinander. Übelkeit stieg in ihr auf als sie die Worte hörte, die für ihre Ohren nicht bestimmt waren. „Wie hättest du reagiert, wenn ich tatsächlich schwanger gewesen wäre?“, hörte sie die gebrechliche Stimme ihrer besten Freundin, während ihr Herz blitzartig einfror. „Mit deinem Kind? Glaubst du wirklich, dass dich die Situation gefreut hätte?“ Ein unbändiger Schmerz pulsierte durch ihre Adern als sie sich gegen die Wand drückte und ihre Atmung kontrollierte. Hatte sie gerade richtig gehört? Sora? Ein vermeintliches Baby? Und wann zur Hölle hatten die beiden nochmal was miteinander? Wollten die beiden sie verarschen? Erst Michael und dann ihre besten Freunde? Ihr Puls raste förmlich und eine unkontrollierte Wut übermannte sie. Wie konnte es sein, dass Männer immer wieder die gleichen Fehler beginnen? Sie hatte sich geschworen, niemanden wahllos ihr Herz zu verschenken, der es möglicherweise doch achtlos zerbrechen könnte. Nach der Sache mit Michael war Mimi sehr empfindlich geworden. Sie wusste, wie es sich anfühlte betrogen zu werden. Sich wertlos zu fühlen und die Scherben ihres gebrochenen Herzens mühselig wieder einsammeln zu müssen. Und es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie sich so fühlte. War sie denn nur für gewisse Stunden gut genug? Warum hatte sie ihren Gefühlen für Tai erneut eine Chance gegeben? Nur damit er wieder Sora vorzog? Sie hatten ihr erstes Mal miteinander, doch eine Beziehung war für ihn scheinbar nur mit Sora vorstellbar oder warum kehrte er wieder zu ihr zurück?! War sie etwa nur eine Ablenkung? Tränen brannten in ihren Augen wären sie halbherzig das Gespräch der beiden verfolgte. Sora weinte bitterlich, da sie sich von ihrem Traum, jemals eine Familie haben zu können, scheinbar bereits verabschiedet hatte. Tai redete ihr gut zu und Mimis Übelkeit verschlimmerte sich. Er redete mit ihr so unfassbar liebevoll, dass sich Mimi gar nicht vorstellen konnte, dass da keine Gefühle mehr zwischen den beiden herrschten. Sie hatte sich schon wieder blenden lassen. War auf einen Mann reingefallen, der sie nur verletzte und in Wirklichkeit immer noch an seiner Ex hing, mit der er vor kurzem auch noch geschlafen hatte! All die lieben Worte waren getarnte Lügen, die ihr Herz zum Höherschlagen brachte und nun gnadenlos zerschmetterte. Ohne das Gespräch weiter anzuhören, zog Mimi ungeniert die Nase hoch und schluckte ihre aufkommenden Tränen tapfer hinunter, bevor sie zum Fahrstuhl stürmte und ihre bevorstehende Zukunft schweren Herzens hinter sich ließ. Sie wollte all dem nur noch entfliehen. Sie wollte nicht zulassen, dass dieser Tiefschlag sie völlig aus der Bahn warf, denn sie war stark. Auch wenn sie erneut einen Schlussstrich hinter sich ziehen musste… Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. 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