Mesh Of Lies von kleines-sama (DoflamingoxCrocodile (AU)) ================================================================================ Kapitel 22: Kapitel 11 (zensiert) --------------------------------- Crocodile gab es nur ungern zu, doch es erleichterte ihn ungemein, dass dank seines Verlobten sein Schuldenberg um gut ein Drittel geschrumpft war. Inzwischen lag er alles in allem nur noch bei ungefähr einer viertel Millionen Berry; das war nicht einmal die Hälfte der Summe, mit der er vor etwa sechs Monaten, als er von seiner Kündigung erfahren hatte, gestartet war. Und sollte Franky seinen momentan noch befristeten Arbeitsvertrag verlängern (wonach es durchaus aussah), dann würde es Crocodile gelingen, die restlichen Schulden im Verlauf der nächsten acht oder neun Monate komplett zu tilgen. Dass seine Laune sich erheblich besserte, konnte man an vielen Dingen festmachen: Inzwischen aß er wieder mit deutlich mehr Genuss, er lächelte öfter und verbrachte auch wieder mehr Zeit mit Doflamingo. Sein Lesezimmer suchte Crocodile inzwischen nur noch auf, wenn er irgendetwas für seine Arbeit erledigen musste, wovon sein Partner natürlich nichts mitbekommen durfte. Wenn er ein Buch lesen wollte, tat er dies zumeist im Wohnzimmer oder (weil das Wetter in letzter Zeit sehr angenehm war) draußen im Garten. Doflamingo entging es natürlich nicht, dass sein Verlobter wieder ein wenig lebensfroher wurde, und nutzte diesen Umstand prompt in mehrfacher Hinsicht für sich aus: Zum Einen initiierte er öfter Sex. Während es sich bei ihnen in den letzten Monaten eingebürgert hatte, dass sie alle zwei bis drei Tage miteinander schliefen, hatten sie nun wieder täglich (manchmal sogar mehrmals täglich) Sex. Crocodile machte es nichts aus. Ganz im Gegenteil: Er spürte, dass nicht bloß Doflamingos Libido stärker wurde; nun, da sich seine neueste Sorge praktisch in Luft aufgelöst hatte, war auch seine eigene Lust auf Sex erheblich angestiegen. Immer häufiger war es nicht Doflamingo, sondern er selbst, der die Initiative ergriff. (Der einzige Nachteil bestand darin, dass Crocodile nun auch wieder öfter mit zum Teil heftigen Unterleibsschmerzen zu kämpfen hatte, da Doflamingo über ein wirklich außerordentlich mächtiges Organ verfügte. Aus diesem Grund gewöhnte er es sich an, immer eine Packung Schmerztabletten und eine Tube Wundsalbe in der Tasche zu haben.) Zum Anderen schlug Doflamingo ständig irgendwelche Unternehmungen vor. Mit ihrem gemeinsamen Stadtbummel am vorherigen Mittwochnachmittag schien Crocodile die Büchse der Pandora geöffnet zu haben: Ob ins Kino, ins Restaurant, in die Bar... Seinem Verlobten fielen immer wieder neue Ausflugsziele ein. Und auch in dieser Hinsicht spürte Crocodile sehr deutlich, dass sein Widerwille zunehmend schwächer wurde. Solange er für die Unternehmungen nicht allzu tief in die Tasche greifen musste, machten sie ihm nichts aus. Auch für den heutigen Abend hatte Doflamingo einen gemeinsamen Ausflug geplant. „Warum gehen wir beide nicht auf den Jahrmarkt?“, fragte er mit fröhlicher Stimme, als sie gemeinsam zu Mittag aßen. „Heute ist der letzte Tag. Das bedeutete, dass wir in diesem Jahr keine weitere Gelegenheit dazu bekommen werden. Und außerdem findet das große Abschlussfeuerwerk statt!“ „Jahrmarkt?“, wiederholte Crocodile und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, während er ein Stück Fleisch kaute. Um ehrlich zu sein, war er kein sonderlich großer Fan von Jahrmärkten. Das letzte Mal hatte er ein solches Fest vor vielen Jahren mit seinem Exfreund Marco besucht. „Das wird sicher schön!“, versuchte sein Verlobter ihn zu überzeugen und nickte begeistert. „Ich weiß ja nicht“, erwiderte Crocodile ausweichend. „Ich kann mit Jahrmärkten nicht sonderlich viel anfangen. Überall wird fettiges Essen verkauft, das ich nicht essen kann, und beim Achterbahnfahren wird mir immer schlecht. Wollen wir nicht lieber etwas Anderes machen? Wie wäre es mit Kino?“ „Ach, komm schon!“, bettelte Doflamingo und schob wie ein kleines Kind die Unterlippe nach vorne. „Bitte Wani! Es ist doch nur der eine Abend!“ „Ist ja gut“, gab sich Crocodile, der unweigerlich lachen musste, schließlich geschlagen. „Von mir aus. Aber ich sage dir jetzt schon, dass du es nicht schaffen wirst, mich zum Achterbahnfahren zu überreden.“ „Das werden wir noch sehen“, gab sein Verlobter keck zurück und streckte ihm grinsend die Zunge heraus, ehe er sich eine Portion gestampfte Kartoffeln in den Mund schob. Gegen zwanzig Uhr machten sie sich auf den Weg. Wie Crocodile von Doflamingo erfahren hatte, sollte das Feuerwerk, das etwa eine halbe Stunde lang andauern würde, um zweiundzwanzig Uhr starten. Er war der Ansicht, dass insgesamt zweieinhalb Stunden mehr als genug Zeit für diesen Ausflug darstellten. (Wie gesagt, Crocodile war kein allzu großer Fan - weder von Jahrmärkten noch von Feuerwerken.) Bevor sie sich auf den Weg hinunter zur Tiefgarage machten, meinte Doflamingo zu ihm: „Du solltest lieber eine leichtere Jacke mitnehmen, Baby. Es ist ziemlich warm draußen.“ „Immer noch?“, wendete Crocodile ein. „Inzwischen ist es doch schon Abend. Und ich möchte nicht frieren.“ Er war ein Mensch, der sehr leicht fror; und die Aussicht, zitternd und bibbernd über den Jahrmarkt zu laufen, erschien ihm nicht sonderlich verlockend. Doch Doflamingo nickte energisch. „Eine leichte Überjacke reicht völlig aus“, sagte er. „Ansonsten wirst du den ganzen Abend lang schwitzen. Ich gehe auch bloß in T-Shirt.“ „Du bist ja auch verrückt“, entgegnete Crocodile und konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, „und trägst so gut wie nie eine Jacke. Erinnerst du dich noch an meinen Geburtstag? Es waren weit unter zwanzig Grad und du hattest trotzdem bloß ein T-Shirt und eine Capri-Hose ein. Es wundert mich immer noch, dass du dir damals nicht den Tod geholt hast.“ Crocodile konnte sich noch sehr gut an jenen Tag im September zurückerinnern: Sie beide mussten ziemlich komisch ausgesehen haben. Während Doflamingo bloß in leichter Sommerkleidung unterwegs gewesen war, hatte er selbst einen dicken Mantel getragen. Ironischerweise schien sein Partner dennoch weniger gefroren zu haben als er. „Ich bin im Gegensatz zu dir eben sehr robust“, meinte Doflamingo. „So schnell erkälte ich mich nicht. Aber heute ist es wirklich sehr warm, versprochen.“ „Also gut“, gab Crocodile sich schließlich geschlagen. Doflamingo winkte ein Dienstmädchen herbei; er übergab ihm die dicke Jacke, aus der sein Verlobter gerade herausgeschlüpft war, und wies es an, stattdessen eine leichtere Überjacke zu holen. Es waren Momente wie diese, in denen Crocodile sich ernsthaft zusammenreißen musste, um nicht den Kopf zu schütteln angesichts der unfassbaren Dekadenz seines Partners. Er selbst wäre niemals auf den Gedanken gekommen, ein Dienstmädchen zu schicken, um die Jacke zu holen. Er hätte es ganz einfach selbst getan. „Jetzt sollten wir uns aber endlich auf den Weg machen“, meinte Doflamingo gut gelaunt und lotste ihn hinüber zum Aufzug, um nach unten in die Tiefgarage zu fahren. „Der Jahrmarkt ist ziemlich groß und es ist schon spät.“ Crocodile unterdrückte ein Seufzen und folgte seinem Verlobten. Unten wartete bereits der Chauffeur auf sie. Er stand neben dem dunkelblau lackierten Aston Martin DBS V12, mit dem sie heute fahren würden. Der Wagen hatte etwa eine viertel Millionen Berry gekostet und gehörte zu Doflamingos Lieblingen. „Ich dachte mir, dass es praktischer ist, wenn wir uns fahren lassen“, erklärte sein Partner, während sie es sich auf der Rückbank, die mit teurem Leder überzogen war, bequem machten. „Wir können also beide Alkohol trinken, falls wir Lust dazu haben sollten. Letztes Jahr, als ich mit Bellamy und Dellinger dort war, gab es einen Cocktail-Stand, der einen richtig leckeren Sex On The Beach verkauft hat. Hoffentlich ist er dieses Jahr wieder da.“ Der Jahrmarkt konnte Crocodile nicht begeistern: In der Luft hing der Geruch nach fettigem Essen, von überall her war viel zu laute Party-Musik zu hören und außerdem quoll der Platz über vor Menschen. Crocodile griff prompt nach der Hand seines Verlobten, um diesen in der Menge nicht zu verlieren. (Die Geste zauberte Doflamingo ein glückliches Lächeln auf die Lippen. Vermutlich interpretiere er das Händchenhalten als Austausch von Zärtlichkeiten. Crocodile kümmerte es,um ehrlich zu sein, nicht sonderlich.) Gemeinsam liefen sie über den Platz und schauten sich die unterschiedlichen Fahrgeschäfte und Spielstände an. Doflamingo hatte nicht übertrieben: Der Jahrmarkt war wirklich riesig. Es gab Achterbahnen, Riesenräder, Geisterhäuser, Schiffschaukeln und vieles mehr... Als zu seiner Rechten ein Flying Coaster einen wilden Looping schlug, spürte Crocodile, wie ihm unweigerlich selbst ein klein wenig übel wurde. Es war Jahre her, seitdem er sich das letzte Mal auf ein solches Fahrgeschäft getraut hatte. „Wie wäre es hiermit?“, fragte Doflamingo, der zu spüren schien, dass sein Partner von der Achterbahn nicht allzu angetan war, und deutete stattdessen nach links auf eine der zahlreichen Spielbuden. Man musste mit kleinen Dartpfeilen Luftballons zerschießen. Je nach Anzahl und Farbe der getroffenen Luftballons durfte man sich einen Gewinn aussuchen. Eine Runde mit zehn Pfeilen kostete vier Berry. „Von mir aus“, erwiderte Crocodile schulterzuckend und ließ sich von seinem Verlobten hinüber zu dem Stand führen. Ihm war bewusst, dass (wenn er auf diesen nicht verdächtig wirken wollte) er nicht darum herum kommen würde, ein klein wenig Geld ausgeben. Und mit vier Berry konnte er ganz gut leben. „Sieh dir mal dieses niedliche Ding an!“, meinte Doflamingo mit begeisterter Stimme und deutete auf ein großes, rosafarbenes Plüschherz. „Das muss ich unbedingt bekommen!“ „Dann versuch doch dein Glück“, gab Crocodile zurück und bemühte sich darum, nicht die Augen zu verdrehen. Er selbst würde dieses grässliche Herz nicht einmal geschenkt haben wollen, aber weil er wusste, dass sein Verlobter auf solch kitschigen Blödsinn stand, hielt er sich mit gehässigen Kommentaren zurück. Doflamingo reichte dem Standbesitzer einen Zehn-Berry-Schein, erhielt im Gegenzug zwanzig Pfeile und gab die übrigen zwei Berry als Trinkgeld. Mit ungläubiger Miene beobachtete Crocodile, wie sein Partner drei von potenziellen zwanzig Luftballons traf. Am Ende erhielt er bloß ein kleines Kinderspielzeug als Trostpreis. Angesichts dieser peinlichen Flaute brachte Crocodile es einfach nicht über sich, still zu bleiben. „Das war wohl nichts“, meinte er und grinste schelmisch. „Das Plüschherz möchte wohl nicht mit dir nach Hause gehen.“ „Mach du es doch besser“, erwiderte Doflamingo, dessen Ego ein wenig angekratzt zu sein schien, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt doch gar nicht, wie schwer das ist! Man muss sechs Ballons treffen, um das Herz zu gewinnen. Drei davon müssen blau sein; und von den blauen Ballons gibt es sowieso nur ganz wenige.“ „Also gut“, sagte Crocodile, „ich nehme die Wette an.“ Als Student hatte er an den Wochenende manchmal in einer Kneipe, die regelmäßig Dartturniere ausrichtete, ausgeholfen. Sein Chef war sehr nett gewesen und hatte ihm erlaubt, ab und an auch mal eine Runde mitzuspielen. Crocodile hoffte, dass von dem Talent, welches er damals an den Tag gelegt hatte, immer noch etwas übrig geblieben war. Zu gerne würde er seinem großmäuligem Verlobten eins auswischen! Leider machte ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung. „Oh Mist!“, meinte er verärgert, als er in die Innentasche seiner Jacke griff - und sie leer vorfand. „Ich habe mein Portemone in meiner anderen Jacke vergessen.“ „Macht nichts“, erwiderte Doflamingo und kramte seinen eigenen Geldbeutel hervor. „Ich habe genug Geld dabei.“ Hastig schüttelte Crocodile den Kopf. „Nein“, sagte er und bedeutete seinem Partner die Geldscheine, welche dieser hervorgeholt hatte, rasch wieder einzustecken. „Ich möchte nicht eingeladen werden!“ „Stell dich nicht so an“, gab Doflamingo unbekümmert zurück. „Es sind doch bloß ein paar Berry.“ „Du hast in letzter Zeit sowieso schon viel zu viel Geld für mich ausgegeben“, wendete Crocodile ein. Ihm gefiel der Gedanke, dass sein Partner für ihn bezahlte, ganz und gar nicht. Er war ein Mensch, der es grundsätzlich nicht ausstehen konnte, eingeladen zu werden. Und außerdem hatte Doflamingo letzte Woche erst seinetwegen 120.000 Berry minus gemacht. Er wollte nicht, dass dieser noch mehr Geld für ihn ausgab. „Die paar Berry machen nun wirklich keinen Unterschied“, meinte sein Verlobter. Ohne Crocodiles Einwilligung reichte er dem Budenbesitzer erneut einen Zehn-Berry-Schein herüber. „Weil ich zwanzig Pfeile hatte, ist es nur gerecht, wenn du es mit der gleichen Anzahl versuchen darfst“, sagte er. „Doflamingo“, zischte Crocodile, den das Verhalten seines Partners wütend machte. „Ich habe gesagt, dass ich nicht eingeladen werden möchte!“ „Aber du hast die Wette angenommen“, hielt dieser grinsend dagegen. „Du kannst nicht zuerst eine Wette annehmen und dann doch nicht antreten. So etwas ist feige, Wani.“ „Also gut“, gab Crocodile sich schließlich zähneknirschend geschlagen und schnappte Doflamingo die Pfeile aus der Hand. „Aber Zuhause gebe ich dir das Geld wieder!“ Crocodile atmete tief durch und brachte sich anschließend in Position. An der Rückwand der Bude waren insgesamt bloß sechs blaue Ballons befestigt - mindestens drei davon musste er treffen, um für Doflamingo das rosafarbene Plüschherz zu gewinnen. Und dazu dann noch drei weitere Ballons. Sein erster Pfeil brachte einen blauen Ballon zum platzen. Sein zweiter ebenfalls. Genauso wie der dritte. Crocodile konnte ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken, als er hörte wie Doflamingo, der neben ihm stand, erstaunt die Luft zwischen den Zähnen einsaugte. Sein vierter Pfeil zerstach einen roten Ballon. Der fünfte Pfeil ging daneben. Der sechste Pfeil traf einen gelben Ballon, der siebte einen orangefarbenen. „Hier“, meinte Crocodile und sprach absichtlich in einem möglichst gelassen klingenden Tonfall, als er seinem Verlobten den Gewinn überreichte. „Dein Plüschherz, Doflamingo.“ Crocodile musste sich eingestehen, dass der Besuch des Jahrmarkts am Ende beileibe nicht so schlimm war, wie er ihn sich ausgemalt hatte. Zwischendurch hatte er sogar wirklich Spaß: Nicht nur beim Luftballon-Zerschießen, sondern auch beim Ringewerfen schlug er seinen Verlobten um Längen. Und als er für zwei Berry ein paar Lose kaufte, gewann er eine große Tüte Popcorn, die er Doflamingo schenkte. Allein bei Hau-den-Lukas hatte dieser die Nase vorn: Augenscheinlich ohne viel Mühe gelangte Doflamingo schon beim ersten Schlag bis zur allerhöchsten Marke. Crocodile wiederum machte sich gar nicht erst die Mühe, sich mit seinem Partner zu messen. Er wusste, dass er in dieser Hinsicht nicht gegen Doflamingo ankommen konnte; immerhin war er deutlich weniger kräftig als jener und besaß auch nur eine Hand, was sich bei diesem Spiel als echter Nachteil erwies. „Wonach suchst du?“, fragte Crocodile seinen Verlobten. Doflamingo ließ immer wieder seinen Blick über die Menschenmassen schweifen und reckte gelegentlich den Kopf in irgendeine Richtung. Als Crocodile ihn auf dieses Verhalten ansprach, schien er sich ertappt zu fühlen und stritt hastig alles ab: „Nichts. Ich habe mich nur umgeschaut.“ „Lüg mich nicht an“, erwiderte Crocodile und kniff seinem Partner in die Seite. „Du hältst doch nach irgendetwas oder irgendjemanden Ausschau!“ „Nein, wirklich nicht“, beteuerte Doflamingo. Und um das Thema zu wechseln, meinte er: „Schau mal, da vorne gibt es eine Foto-Kabine. Lass uns eines machen, ja? Solche nostalgischen Jahrmarkt-Fotos sind total schön!“ „Okay“, meinte Crocodile schulterzuckend und wurde von seinem Verlobten prompt in die nahegelegene Foto-Kabine geschleift. Sie war furchtbar eng, vor allem für zwei Menschen ihrer Größe. Auf der Rückseite war als Hintergrund die schwarz-weiße Fotokopie eines Riesenrades abgebildet. „Hast du überhaupt Kleingeld dabei?“, fragte Crocodile, als er bemerkte, dass man den Automaten nur per Münzeinwurf starten konnte. Wenn er sich richtig erinnerte, dann hatte sein Partner immer bloß in Scheinen bezahlt und die Differenz zum Preis als Trinkgeld dazu gegeben. Und er selbst hatte ja leider sein Portemone Zuhause vergessen. „Doflamingo?“ Doch sein Verlobter beachtete ihn gar nicht. Stattdessen lugte er vorsichtig durch den Vorhang nach draußen. „Doflamingo!“ Crocodile legte die Stirn in Falten und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast also doch jemanden gesucht!“ „Du hast ja Recht“, gestand dieser im Flüsterton und bedeutete ihm mittels einer Geste, ebenfalls leise zu sprechen. „Ich habe nach Law Ausschau gehalten. Bei der Grillparty letztes Wochenende hat er gesagt, dass er auch auf den Jahrmarkt geht. Erinnerst du dich noch?“ „Ich erinnere mich“, erwiderte Crocodile. „Aber wieso zur Hölle veranstaltest du denn bloß solch ein Theater? Warum gehen wir nicht einfach zu ihm hinüber und begrüßen ihn?“ „Er ist doch mit seinem Date hier“, antwortete Doflamingo, der noch immer interessiert nach draußen sah. „Du weißt schon, dieser Tätowierer.“ „Na und?“ Crocodile verstand wirklich nicht, wo das Problem lag. „Wir können doch trotzdem Hallo sagen! Und danach gehen wir wieder getrennte Wege. Warum nur versteckst du dich stattdessen in einer Foto-Kabine?“ „Er darf mich nicht sehen“, erwiderte Doflamingo. „Er wird denken, dass ich ihm hinterher spioniere.“ „Nun ja“, wendete Crocodile ein. Auf ihn wirkte die Situation sehr eindeutig. „Das tust du doch auch, oder nicht?“ „Nicht so richtig“, meinte sein Verlobter. „Ich bin immerhin nicht nur wegen ihm hier. Eigentlich geht es mir ja darum, mit dir einen schönen Abend auf dem Jahrmarkt zu verbringen.“ Für Crocodile ergaben Doflamingos Worte keinen Sinn. „Und wieso sollte er dann auf den Gedanken kommen, dass du ihm nachstellst?“, fragte er. Erst der schuldige Gesichtsausdruck, den sein Partner angesichts dieser Frage aufsetzte, verschaffte ihm Klarheit. „Du hast ihm schon mal hinterher spioniert?“, fragte Crocodile mit entsetzter Stimme. „Herrgott noch mal, Doflamingo! Warum tust du denn so etwas?“ „Du verstehst das nicht“, meinte er, ohne ihn anzusehen. „Dann erklär es mir!“, entgegnete Crocodile mit energischer Stimme und griff nach dem Unterarm seines Verlobten. „Verdammt! Doflamingo! Das ist doch nicht normal!“ „Nicht so laut!“, zischte ebenjener. „Erklär mir einfach, was los ist!“ Crocodiles Stimme klang unerbittlich, doch er bemühte sich trotzdem darum, leise zu sprechen. Doflamingo schwieg für einen Moment. Er senkte den Blick und fuhr sich ungelenk mit der Hand durch sein blondes Haar, ehe er schließlich sagte: „Es ist wegen Cora.“ „Cora?“, wiederholte Crocodile irritiert. „Corazon?“ Was hatte denn bloß Doflamingos verstorbener Bruder mit dieser Angelegenheit zu tun? Sein Verlobter nickte. „Er und Law waren ein Paar. Sie haben schon angefangen sich zu verabreden, als sie gerade einmal so achtzehn, neunzehn Jahre alt waren. Corazons plötzlicher Tod hat Law genauso schwer getroffen wie mich. Es hat mehr als ein Jahr lang gedauert, bis er sich getraut hat, sich nach einem neuen Partner umzuschauen. Und, naja, ich habe mir sehr große Sorgen um ihn gemacht und versucht herauszufinden, mit wem er sich trifft. Er war zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr verletzlich und ich wollte vermeiden, dass er dem Falschen in die Hände gerät und ausgenutzt wird.“ „Und was ist dann passiert?“, hakte Crocodile nach. „Habt ihr euch verkracht, weil er herausgefunden hat, dass du ihm hinterher spioniert hast?“ „So in etwa“, gestand Doflamingo leise seufzend. „Erinnerst du dich noch an Mihawks Geburtstagsparty? Als du nach Hancocks neuem Freund Ausschau gehalten hast?“ Crocodile nickte. „Du hast mir davon abgeraten“, sagte er. „Meintest, es gäbe bloß Ärger, wenn man sich in fremde Beziehungen einmischt.“ „Genau das ist nämlich auch die Erfahrung, die ich gemacht habe“, erklärte ihm sein Verlobter. „Laws Date -so ein komischer Typ namens Sachi- hat mich zuerst bemerkt. Dachte wohl, ich wäre Laws eifersüchtiger Exfreund oder so etwas. Es gab fürchterlichen Ärger; wir haben uns, nun ja, geprügelt sozusagen. Irgendwann ist es Law gelungen, seinem Date klarzumachen, dass es sich bloß um ein Missverständnis handelt. Trotzdem ist aus den beiden nichts geworden. Law hat mir die Schuld an der Misere gegeben und wochenlang nicht mit mir gesprochen. Wir haben uns erst wieder vertragen, als ich ihm versprochen habe, dass ich ihm bei seinen Verabredungen nicht mehr nachstellen werde.“ „Deine Versprechen scheinen dir ja wirklich heilig zu sein“, murmelte Crocodile und zog eine Augenbraue hoch. „Es ist meine Pflicht auf ihn aufzupassen!“, verteidigte Doflamingo sein Verhalten. „Und sein letztes Date ist schon lange her. Nach der Sache mit Sachi hat Law sich noch vereinzelt mit ein paar anderen Männern getroffen, aber danach ist er zu einem echten Eigenbrötler geworden. Corazon hätte gewollt, dass ich mich um ihn kümmere und dafür sorge, dass er nicht an den Falschen gerät.“ „Law scheint mir ein sehr vernünftiger Mensch zu sein“, wendetete Crocodile ein. Er konnte die Sorge seines Verlobten nachvollziehen, doch er fand auch, dass er diesem trotzdem klarmachen musste, dass es sich bei Law nicht um naives Teenager-Mädchen handelte. „Ich glaube, er kann ganz gut einschätzen, welche Art von Interesse jemand an ihm hat. Er wird sicher nicht auf irgendeine Masche oder...“ Crocodile kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. „Sie küssen sich!“, wurde er hektisch von Doflamingo, der immer noch vorsichtig nach draußen linste, unterbrochen. „Bis gerade eben haben sie nur geredet, aber jetzt küssen sie sich!“ Crocodile seufzte leise, während er den Vorhang der Foto-Kabine um einen Zentimeter verschob, damit er ebenfalls hinausschauen konnte. Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm den Atem: Vor einer Bude, die Lebkuchenherzen und Schokofrüchte verkaufte, standen eng umschlungen Law und ein Mann mit roten, wild in alle Richtungen abstehenden Haaren. Crocodile erkannte ihn sofort wieder. „Eustass Kid“, flüsterte er mit schwacher Stimme und spürte, wie seine Knie weich wurden. „Hm?“ Verwundert blickte Doflamingo zu ihm hinüber. „Eustass Kid“, wiederholte er und wischte sich mit der Hand über den Mund. Inzwischen klang seine Stimme wieder ein klein wenig gefasster. „Das ist Eustass Kid.“ „Der Mann, der nach deinem Motorradunfall die Ambulanz für dich gerufen hat?“ fragte Doflamingo überrascht nach. Crocodile nickte. „Ich verdanke ihm mein Leben“, sagte er. „Hätte er sich damals nicht um mich gekümmert, wäre ich mit Sicherheit gestorben.“ Er ließ den Vorhang wieder los und Doflamingo tat es ihm gleich. „Dann muss ich mir keine Sorgen machen“, sagte sein Verlobter. „Dass er dein Leben gerettet hat, bedeutet, dass er ein guter Mensch ist. Er wird Law mit Sicherheit nicht schlecht behandeln.“ Crocodile nickte. Als er sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, fragte er: „Hast du nun Kleingeld dabei oder nicht? Der Foto-Automat nimmt nämlich nur Münzen an.“ „In etwa zwanzig Minuten beginnt das Feuerwerk“, sagte Doflamingo, als er einen Blick auf seine Armbanduhr warf, während er gleichzeitig in seine Schokoladen-Banane am Spieß biss. „Die meisten Leute werden sich bereits einen guten Platz suchen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und wenigstens einmal mit der Achterbahn fahren, jetzt, wo die Warteschlange relativ kurz ist.“ „Erstens soll man mit vollem Mund nicht sprechen“, erwiderte Crocodile mit unwilliger Stimme, „und zweitens habe ich dir heute Mittag schon gesagt, dass ich nicht Achterbahn fahren möchte!“ „Ach, jetzt sei doch nicht so“, versuchte sein Verlobter ihn zu überreden und lotste ihn prompt hinüber zu der größten Achterbahn des ganzen Jahrmarkts. Crocodile zählte insgesamt drei Loopings und musste zu seinem Unmut feststellen, dass momentan tatsächlich nur sehr wenige Leute anstanden. „Heute ist der letzte Tag. Das bedeutet, es ist unsere letzte Chance!“ „Ist mir egal“, entgegnete Crocodile und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte überhaupt nicht nachvollziehen, weshalb so viele Menschen das Achterbahnfahren toll fanden: Man wurde einfach bloß für ein paar Minuten mit hoher Geschwindigkeit durch die Gegend gewirbelt - und das auch noch zu einem absolut unverschämten Preis! Crocodile sah nicht ein, wieso er für eine solche Horror-Fahrt auch noch Geld ausgeben sollte. „Jetzt sei kein Spielverderber!“, bettelte Doflamingo. „Du bist viel zu streng mit dir selbst, Wani. Du solltest es dir ab und an mal erlauben, wieder ein Kind zu sein. Es macht wirklich Spaß, Achterbahn zu fahren!“ „Wir hatten heute schon genug Spaß“, hielt Crocodile dagegen. Ihm ging die Sturheit seines Verlobten allmählich auf die Nerven. Warum nur musste dieser immer seinen Willen durchsetzen? „Ich bin sogar mit dir auf dem Riesenrad gewesen. Reicht das nicht?“ „Bitte! Bitte, Croco, bitte!“ Doflamingo ließ einfach nicht locker. „Du hast gerade erst etwas gegessen“, versuchte Crocodile seinem Partner mit vernünftigen Argumenten beizukommen. „Du wirst dich nach der Fahrt mit Sicherheit übergeben!“ „Mir wird so leicht nicht übel“, erwiderte Doflamingo. „Komm schon! Bitte! Nur eine Fahrt! Bitte, Wani!“ Crocodile seufzte leise und massierte sich mit zwei Fingern die rechte Schläfe. Im Augenblick kam es ihm so vor, als wäre er nicht mit einem erwachsenen Mann, sondern einem quengelnden Kind unterwegs. Noch weniger denn je konnte Crocodile nachvollziehen, wieso Doflamingo unbedingt selber Kinder haben wollte. Man musste doch vollkommen verrückt sein, um sich freiwillig tagtäglich mit Diskussionen dieser Art rumzuschlagen! Am Ende gab er trotzdem klein bei. „Also gut, aber nur eine einzige Fahrt!“ Crocodile wusste, dass es keinen Sinn machte, sich Doflamingos Willen zu widersetzen Sein Verlobter konnte manchmal wirklich unfassbar stur sein. Als Kind war dieser eindeutig viel zu sehr verzogen worden. Doflamingo machte sich sogleich daran, Fahrkarten für sie beide zu kaufen. Crocodile vermutete, dass er den Ticketverkäufer mit ein paar zusätzlichen Geldscheinen bestach, denn sie durften sofort bei der nächsten Runde einsteigen und sogar ganz vorne sitzen. Um ehrlich zu sein, fühlte Crocodile sich sehr unwohl. Ohne es selbst zu bemerken, verzog er den Mund und klammerte sich mit der rechten Hand so fest wir nur möglich an die Haltestange. Seine letzte Achterbahnfahrt war bereits mehrere Jahre her. Doflamingo wiederum, der neben ihm saß, schien von der Furcht seines Partners überhaupt nichts mitzubekommen. Er grinste fröhlich und schien sich wie verrückt auf die bevorstehende Fahrt zu freuen. Dann ging es los. Crocodile presste die Zähne fest aufeinander und spürte, wie sein gesamter Körper ganz starr wurde, während Doflamingo vor Begeisterung laut jauchzte. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit donnerte der Zug die Schienen entlang und verminderte seine Geschwindigkeit auch dann nicht, als er die drei Loopings schlug. Und obwohl Crocodile wusste, dass die Fahrt höchstens eine oder zwei Minuten lang andauerte, kam sie ihm vor wie Stunden. Er war unsagbar froh, als die Achterbahn endlich wieder zum Stehen kam. Seine Knie fühlten sich an wie Wackelpudding, als er aus dem Zug ausstieg; außerdem war ihm furchtbar übel. „Mann, das war richtig geil!“, jubelte Doflamingo breit grinsend. „Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht noch eine Runde fahren möchtest, Croco? Crocodile?!“ Crocodile kam nicht dazu, die Frage seines Verlobten vehement zu verneinen; als er seinen Mund öffnete, war nämlich das einzige, was hervorkam, ein Schwall Erbrochenes. Weil er am ganzen Leib zitterte, stützte Crocodile sich mit seiner Hand an einem Zaun zu seiner Rechten ab, während er sich in mehreren Schüben übergab. „Ich nehme mal an, das bedeutet nein“, stichelte Doflamingo grinsend, während er ihm seine Haare aus dem Gesicht hielt. Die einzige Erwiderung, die er seitens Crocodile erhielt, war ein ausgestreckter Mittelfinger. * Crocodile klappte seinen Laptop zu und erhob sich von seinem gemütlichen Sessel. Bis gerade eben noch hatte er einige wichtige Dinge für die Arbeit erledigt, doch nun war er fertig für heute. Die große Elektronik-Messe Tom's Workers stand kurz bevor und alle Mitarbeiter kümmerten sich noch hektisch um die allerletzten Vorbereitungen. Crocodile konnte es nicht vermeiden, die eine oder andere Überstunde zu machen oder ein wenig Arbeit mit nach Hause zu nehmen. In einem solchen Fall zog er sich (so wie heute) für eine Weile in sein Lesezimmer zurück und verschickte im Minutentakt wichtige Emails, verfasste Arbeitsanweisungen oder tat, was auch immer gerade erledigt werden musste. Solche Tage kamen in letzter Zeit wieder häufiger vor, doch weder Crocodile noch Doflamingo machte dieser Umstand sonderlich viel aus. Tatsächlich brachte dieser überraschend viel Verständnis für die momentane Lage seines Partners auf. Vermutlich, weil er sich manchmal in derselben Situation befand: Doflamingo hatte ebenfalls eine sehr hohe berufliche Stellung inne und war sich dessen bewusst, dass es manchmal eben unumgänglich war, ein wenig Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Wenn man solch große Verantwortung wie sie beide trug, dann gab es gelegentlich einfach Dinge, die nicht bis zum nächsten Tag warten konnte. Doflamingo selbst stellte da auch keine Ausnahme dar: Es kam nicht selten vor, dass sie sich gemeinsam im Wohnzimmer aufhielten, und Crocodile ein Buch las, während sein Verlobter irgendwelche Dokumente für die Arbeit durchsah. Solange diese Fälle nicht Überhand nahmen, bemühten sie sich beide sehr stark darum, Verständnis für die Situation des jeweils Anderen aufzubringen. Dieses gegenseitige Verständnis hielt Crocodile für eine der größten Stärken in ihrer Beziehung. Er hatte auch schon den einen oder anderen Freund gehabt, der einfach nicht nachvollziehen konnte, welchen hohen Stellenwert Arbeit in seinem Leben einnahm und warum. Häufig hatte es sich um Männer gehandelt, die es selbst beruflich nicht sonderlich weit geschafft hatten. Sie waren in dieser Hinsicht absolut unmotiviert und verstanden nicht, aus welchem Grund man sich bei der Arbeit anstrengen sollte. Diese Beziehungen hatten nie sonderlich lange gehalten. Crocodile war ein Workaholic - und er brauchte jemanden, der diese Einstellung verstand und akzeptierte. Nun allerdings hatte Crocodile sein heutiges Arbeitspensum erledigt. Er legte seinen Laptop zur Seite und machte sich auf die Suche nach seinem Verlobten, den er im Wohnzimmer vermutete. [zensiert] * Crocodile biss sich auf die Unterlippe, während er mit einem unwilligen Gesichtsausdruck seinen Terminkalender durchging. Die große Elektronik-Messe Tom's Workers fand übernächstes Wochenende statt. Und als Manager war es natürlich seine Pflicht, vom ersten bis zum letzten Moment dabei zu sein. De facto wäre er von Freitagmorgen bis Sonntagabend rund um die Uhr eingespannt. Eigentlich hatte Crocodile überhaupt kein Problem damit, am Wochenende zu arbeiten. Als er noch studierte, hatte er oft Jobs gehabt, die außerhalb des zeitlich üblichen Rahmens (montags bis freitags, neun bis siebzehn Uhr) stattfanden; in Kneipen und Casinos spielte sich das Hauptgeschehen nun eben einmal nicht wochentags ab. Ihm hatte es nie viel ausgemacht. Crocodile seufzte leise und warf einen verzweifelten Blick auf den rot markierten Termin in seinem Kalender. Doflamingo hatte noch immer überhaupt keine Ahnung davon, dass er längst nicht mehr bei der Bank, sondern bei Tom's Workers arbeitete. Wie sollte er seinem Verlobten bloß klarmachen, dass er ein ganzes Wochenende lang fort sein würde, ohne dass dieser Verdacht schöpfte? Immerhin war Doflamingo ein äußerst eifersüchtiger Mensch. Crocodile würde sich auf jeden Fall eine gute Ausrede einfallen lassen müssen; er brauchte ein wasserdichtes Alibi, damit sein Partner auf keinen Fall sein großes Geheimnis lüftete. Doch welche Lüge sollte er Doflamingo bloß auftischen? Bereits seit mehreren Stunden zermarterte Crocodile sich das Gehirn, doch bisher war ihm noch keine glaubwürdige Geschichte eingefallen. Zuerst hatte er daran gedacht, Doflamingo zu erzählen, dass beispielsweise sein Bruder krank geworden wäre und jemanden bräuchte, der sich um ihn kümmerte; doch diese Idee hatte er genauso rasch wieder verworfen, wie sie ihm eingefallen war. Sein Verlobter würde mit Sicherheit darauf bestehen, ihn zu begleiten, um ihn bei der Pflege zu unterstützen. Immerhin war Doflamingo ein außerordentlich fürsorglicher Mensch, wenn es um Personen ging, die er mochte und die ihm wichtig waren. Später war ihm der Gedanke gekommen, die Schwangerschaft seiner Schwester als Vorwand zu nehmen. Er könnte Doflamingo auftischen, dass Hancock ihn um Hilfe bei der Einrichtung des Babyzimmers gebeten hätte. Doch auch diesen Einfall verwarf Crocodile schnell wieder. Doflamingo interessierte sich sehr stark für alles, was mit der Schwangerschaft seiner zukünftigen Schwägerin zu tun hätte. Bestimmt würde er auch in diesem Fall unbedingt mitkommen wollen. Crocodile fiel es nicht schwer sich den strahlenden Gesichtsausdruck seines Verlobten vorzustellen, während er das Babybett aufbaute oder die Wände mädchenrosa strich. Die perfekte Übung für später, hörte er Doflamingo mit fröhlicher Stimme sagen. Immerhin wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis auch Wani und ich endlich ein Baby haben. Angesichts dieser Vorstellung schüttelte Crocodile sich. Alle Ausreden, die irgendetwas mit seinen Geschwistern zu tun hatten, waren schlecht, fand er. Auch wenn es ihm gelingen würde, Doflamingo zum Bleiben zu überreden, war die Gefahr aufzufliegen viel zu groß. Schließlich telefonierte Doflamingo inzwischen beinahe täglich mit Hancock und auch gelegentlich mit Mihawk. (Nicht, dass er sich schlechter mit Mihawk als mit Hancock verstand, doch bei Crocodiles Bruder handelte es sich einfach nicht um einen sonderlich kommunikativen Menschen.) Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Doflamingo erfuhr, dass Mihawk nie krank gewesen war oder dass Hancock bei der Einrichtung des Babyzimmers überhaupt nicht um Unterstützung gebeten hatte. Welche Lüge sollte er seinem Verlobten bloß erzählen? Vielleicht könnte er das Wiedersehen mit einem alten Freund aus dem Studium vorschieben, dachte Crocodile sich. Im Kopf legte er sich bereits die richtigen Worte zurecht: Wir beide haben uns ewig nicht mehr gesehen, Doffy. Er hat zwei Jahre lang in Thailand gelebt. Und, nun ja, gestern rief er an und fragte mich, ob ich nicht mal ein Wochenende bei ihm verbringen möchte. Um zu reden uns mir seine Fotos aus Thailand anzusehen. Früher waren wir wirklich gut befreundet und... Crocodile rollte genervt mit den Augen und seufzte leise auf. Nie im Leben würde Doflamingo zulassen, dass sein Verlobter bei einem ihm völlig fremden Mann übernachtete. Dafür war er viel zu eifersüchtig. Und selbst wenn es Crocodile gelänge sich durchzusetzen, war er sich sicher, dass Doflamingo ihn alle paar Minuten mit Kontrollanrufen nerven würde. Und ständige Unterbrechungen bei der Arbeit durch seinen paranoiden Partner würde er nun wirklich nicht gebrauchen können. Doch so sehr Crocodile sich auch anstrengte: Ihm fiel einfach keine vernünftige Ausrede ein. Dabei fand die Messe doch schon übernächstes Wochenende statt! Die Zeit glitt ihm wie feiner Sand durch die Finger... Mit zur sorgenvollen Miene verzogenem Gesicht verließ Crocodile sein Lesezimmer und machte sich auf den Weg hinunter ins Erdgeschoss. Er vermutete, dass Doflamingo sich im Wohnzimmer aufhielt. Crocodile sollte recht behalten: Als er die Türe aufschob, konnte er sehen wie sein Verlobter mit seinem Handy am Ohr unruhig durch den Raum tigerte. Ausnahmsweise erweckte er keinen sonderlich fröhlichen Eindruck. „Schlechte Nachrichten?“, fragte Crocodile mit vorsichtiger Stimme, nachdem Doflamingo das Telefonat beendet hatte. „Ja und nein“, antwortete Doflamingo. Er ließ sich auf der Couch nieder und legte sein Handy auf dem Wohnzimmertisch ab. Crocodile setzte sich neben ihn. „Ich werde mich im Verlauf der übernächsten Woche mit Hogback treffen müssen. Ich weiß nicht, ob ich dir schon mal von ihm erzählt habe: Er vertritt die Pharmagesellschaft Thriller Bark. Ich hoffe, dass es mir gelingen wird ein paar gute Verträge für einige neu erschienene Medikamente abzuschließen.“ „Aber das klingt doch gut“, warf Crocodile ein, der nicht so recht verstand, wo nun das Problem lag. „Es handelt sich um eine große Chance“, gab Doflamingo zurück, „aber Hogback ist momentan nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen. Vor ein paar Wochen hatten wir bereits ein Treffen vereinbart, das ich allerdings kurzfristig habe platzen lassen.“ „Oh“, machte Crocodile und senkte den Blick. Unweigerlich überkamen ihn schlimme Gewissensbisse: Dass sein Verlobter den Termin mit Hogback nicht hatte wahrnehmen können, war seine Schuld gewesen. Nachdem Crocodile unerwarteterweise seiner Mutter begegnet war, hatte er sofort Doflamingo angerufen und diesen dazu gedrängt, nach Hause zu kommen. Dass Doflamingo ein wichtiges Geschäftsessen plante, hatte er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht gewusst gehabt. „Trotzdem solltest du dir keine Sorgen machen“, versuchte er Doflamingo ein wenig aufzumuntern. „Immerhin würde bei diesem Deal auch Vorteile für Thriller Bark rausspringen, nicht wahr? Die Miracle-Sakura-Klinik gehört zu den renommiertesten Krankenhäusern des ganzen Landes. Ein Vertrag für neue Medikamente käme beiden Seiten zugute.“ „Hoffentlich denkt Hogback genauso“, murmelte Doflamingo. „Er möchte mit mir über ein Krebs-Medikament sprechen, das Thriller Bark neu auf den Markt gebracht hat. Wenn das Medikament hält, was es verspricht, könnte die Miracle-Sakura-Klinik damit eine Menge Geld verdienen. Wir wären das allererste Krankenhaus, das eine Behandlung mit diesem neuen Mittel anbietet. Weil es sich um eine solch wichtige Angelegenheit handelt, muss ich auch unbedingt persönlich mit Hogback sprechen und kann keinen Vertreter oder Assistenten zu diesem Treffen schicken.“ „Verständlich“, meinte Crocodile kopfnickend. Er zögerte für einen kurzen Augenblick, ehe er hinzufügte: „Ich habe im Moment dasselbe Problem. Übernächstes Wochenende findet die Elektronik-Messe Tom's Workers statt. Die Bank hat Interesse an einigen Geräten, die dort angeboten werden. Weil es um Hardware in Höhe von fast zwei Millionen Berry geht, will man für die Abwicklung der Geschäfte unbedingt eine hochrangige Person einsetzen. Und so wie es aussieht, werde wohl ich derjenige sein, der sein Wochenende auf dieser blöden Messe verbringen darf.“ „Du Armer“, sagte Doflamingo in einem mitleidig klingenden Tonfall.. „Gibt es denn keinen Anderen, der diesen Job übernehmen kann?“ „Eigentlich war Kizaru vorgesehen gewesen“, log Crocodile, „aber weil er seit einigen Wochen krank ist, muss ich einspringen. Die Bank setzt mich ziemlich oft als Ersatzmann ein. Ich weiß gar nicht, ob ich dir das schon einmal erzählt habe, aber für das Geschäftsessen, bei dem wir beide uns kennengelernt haben, war ich eigentlich auch gar nicht vorgesehen gewesen.“ „Wirklich nicht?“, hakte Doflamingo nach. „Ursprünglich sollte Aokiji Sengoku begleiten“, erklärte Crocodile seinem Verlobten. „Aber weil er sich am Tag zuvor das Bein gebrochen hatte, bin ich kurzfristig eingesprungen.“ „Es scheint Schicksal gewesen zu sein, dass wir beide uns getroffen haben“, gluckste Doflamingo. „Ich bin jedenfalls sehr froh, dass du damals mit dabei gewesen bist. Wer weiß, ob ich dich ansonsten jemals kennengelernt hätte.“ „Sengoku war nicht sonderlich glücklich über mich als Ersatz“, meinte Crocodile und konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. „Es hat ihn furchtbar genervt, dass du dich während des gesamten Gesprächs ausschließlich auf mich konzentriert hast und ihr gar nicht dazu gekommen seid, über den eigentlichen Grund für euer Treffen zu reden.“ „Wirklich?“, hakte Doflamingo nach und kicherte unverhohlen. „Ich habe Sengoku nie für einen eifersüchtigen Typen gehandelt.“ „Er hat sogar angefangen mir unter dem Tisch gegen das Schienbein zu treten“, verriet Crocodile seinem amüsiert wirkenden Verlobten. „Ich hatte zwei Wochen lang einen blauen Fleck. Und nach dem Abschluss des Gesprächs hat er mir vorgeworfen, dass ich dich die ganze Zeit über abgelenkt hätte. Er hat schrecklich wütend gewirkt.“ „Tut mir leid“, sagte Doflamingo und lehnte sich zu ihm hinüber, um ihn zu küssen. „Es ist nicht meine Absicht gewesen, dich in Schwierigkeiten zu bringen. Hätte ich gewusst, dass du hinterher Ärger bekommst, hätte ich versucht mich ein wenig zurückzuhalten.“ „Ach, das ist nun schon so lange her...“, meinte Crocodile und machte eine wegwerfende Handbwegung. „Wie auch immer... jedenfalls werde ich übernächstes Wochenende nicht darum herumkommen, meine Zeit auf der Tom's Workers-Messe zu verbringen. Ich hoffe, das macht dir nicht allzu viel aus, Doffy.“ „Natürlich fände ich es besser, wenn wir das Wochenende gemeinsam verbringen könnten“, erwiderte Doflamingo schulterzuckend, „aber anscheinend lässt sich diese Situation ja nicht ändern. Wir sollten versuchen das Beste daraus zu machen. Ich werde Hogback als Terminvorschlag übernächsten Freitag- oder Samstagabend nennen, damit sich das Geschäftsessen mit deiner Abwesenheit überschneidet. So verlieren wir wenigsten nicht noch einen weiteren gemeinsamen Abend.“ „Das ist eine gute Idee“, pflichtete Crocodile seinem Verlobten bei. Plötzlich fühlte er sich unwahrscheinlich erleichtert: Doflamingo schenkte seiner spontanen Ausrede offenbar Glauben. Besser könnte es kaum laufen, fand Crocodile. * Crocodile befand sich gerade auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, als er einen Anruf bekam. Er verstaute sein Handy immer in seiner rechten, vorderen Hosentasche und spürte die Vibration überdeutlich durch den Stoff hindurch. Vermutlich Doflamingo, dachte er sich, als er gerade in eine kleine Nebenstraße einbog, um einer Baustelle auszuweichen. Crocodile war spät dran; sein Feierabend hatte sich ein wenig nach hinten verschoben, weil Franky mit ihm noch einmal ganz ausführlich über die am Wochenende bevorstehende Messe gesprochen hatte. Heute war Montag. Alle Mitarbeiter standen in den Startlöchern und sein Chef wollte sichergehen, dass sich jeder seiner Verantwortung bewusst war. Die große Elektronik-Messe Tom's Workers sollte absolut reibungslos verlaufen. Sein Handy hörte einfach nicht auf zu vibrieren. Inzwischen müsste sein Display vier oder fünf verpasste Anrufe anzeigen. Crocodile zog genervt die Augenbrauen zusammen und suchte nach einer freien Parklücke am Straßenrand. In letzter Zeit war Doflamingo ständig überbesorgt: Er rief jedes Mal sofort an, wenn sein Partner sich auch nur um wenige Minuten verspätete. Seit zwei oder drei Wochen hatte er es sich sogar angewöhnt ihn gegen vierzehn Uhr nachmittags (seine übliche Pausenzeit) anzurufen, um ein wenig mit ihm zu quatschen und sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. (Zum Glück stand Crocodile ein eigenes Büro ganz für sich allein zur Verfügung, sodass nicht die Gefahr bestand, dass Doflamingo durch irgendwelche Gespräche im Hintergrund von seinem neuen Arbeitsplatz erfuhr.) Leise seufzend stellte Crocodile den Motor ab und griff nach seinem Handy. Der Display zeigte sieben verpasste Anrufe und drei Textnachrichten an - allesamt von seinem Verlobten. Mit einem unguten Gefühl im Magen öffnete Crocodile die Nachrichten. Geh an dein handy! Sofort!!!, hieß es in der ersten Nachricht. Die beiden folgenden wirkten nicht weniger ungeduldig und unfreundlich: Wo bist du? Komm sofort nach hause!! und Wir müssen reden!!!!!. Crocodile schluckte. Was war denn bloß passiert? Mit unruhigen Fingern rief er die Zahlentastatur auf und drückte die Nummer 5 - die Kurzwahl, unter der Doflamingo gespeichert war. Sein Partner ging sofort ran. „Wo bist du, verdammt noch mal!?“, brüllte er ihm wütend entgegen. Seine Stimme klang so scharf wie ein frisch gewetztes Messer; von Freundlichkeit oder Liebe keine Spur. Nicht einmal begrüßt hatte er ihn. „Auf dem Nachhauseweg“, antwortete Crocodile und bemühte sich darum, Ruhe zu bewahren. Er verstand überhaupt gar nicht, wo das Problem lag. „Was ist denn los? Warum bist du so aufgewühlt?“ „Was los ist?“, wiederholte Doflamingo. „Wieso ich so aufgewühlt bin?“ Er sprach leise, doch schien sich kein Stück beruhigt zu haben. Ganz im Gegenteil: Nur selten hatte Crocodile seinen Partner dermaßen wütend und feindselig erlebt. Das letzte Mal hatte dieser ein solches Verhalten an den Tag gelegt, als er damals ohne anzuklopfen sein Büro betreten hatte und auf die halbnackte Tashigi gestoßen war. Obwohl dieses Geschehnis nun schon einige Monate zurücklag und sich am Ende alles als großes Missverständnis herausgestellt hatte, erinnerte Crocodile sich an die zornige Stimme seines Partners zurück als wäre es erst gestern gewesen. „Beautiful-relationships.com“, spie Doflamingo ihm entgegen. „Sagt dir diese Website irgendetwas, Crocodile?!“ „Beautiful... was? Wovon redest du bitteschön?“, gab Crocodile irritiert zurück. Noch immer begriff er nicht, was überhaupt los war. Jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern, irgendetwas getan zu haben, was einen Wutanfall seitens Doflamingo rechtfertigen könnte. „Beautiful-relationships.com“, wiederholte sein Verlobter. „Das ist eine Online-Single-Börse!“ „Ja und?“ Crocodile zuckte die Schultern, ohne sich bewusst zu sein, dass Doflamingo die Geste überhaupt nicht sehen konnte. „Was habe ich damit zu tun?“ „Du bist dort angemeldet! Wieso zur Hölle bist du bei einer verdammten Single-Börse angemeldet?! Willst du mich betrügen? Oder hast du mich vielleicht schon betrogen? Sag mir die Wahrheit!“ „Was?“, fragte Crocodile verdutzt nach. „Du erzählst totalen Blödsinn, Doflamingo! Ich bin bei überhaupt keiner Online-Single-Börse angemeldet! Weder bei Beautiful-was-weiß-ich-nicht-was noch bei sonst irgendeiner Website!“ „Du lügst.“ Die Stimme seines Verlobten war kaum mehr als ein zorniges Hauchen und trotzdem jagte sie Crocodile einen eiskalten Schauer über den Rücken. „Du hast ein Profil bei Beautiful-relationships.com! Pica hat sich dort angemeldet und ist darauf gestoßen! Er hat mir das Profil gezeigt!“ „Das muss ein Missverständnis sein.“ Crocodile bemühte sich darum, Ruhe zu bewahren. Er war sich keiner Schuld bewusst und bemühte sich darum selbstsicher und gelassen zu klingen. „Bist du dir sicher, dass ihr mich nicht einfach nur verwechselt habt?“ „Du bist auf dem Profilfoto zu sehen“, erwiderte sein Verlobter. „Es ist dasselbe Bild, das auch bei Hancock auf dem Regal im Wohnzimmer steht. Dein Geburtsdatum, dein Beruf, dein Leibgericht... Alle Daten stimmen!“ „Ich bin gleich Zuhause“, sagte Crocodile. „Lass uns das klären, wenn ich da bin, ja? Ich verspreche dir, es handelt sich bloß um ein Missverständnis. Das muss ein Fake-Account oder so etwas in der Art sein. Gib mir zehn Minuten, dann bin ich Zuhause.“ „Beeil dich!“, zischte Doflamingo ins Telefon und legte auf, ohne eine Verabschiedung hinzuzufügen. Crocodiles Hand zitterte, als er den Schlüssel umdrehte und den Motor startete. Er konnte sich Picas Fund überhaupt nicht erklären. Was hatte sein Foto in irgendeine Single-Börse im Internet verloren? Ganz abgesehen davon, dass er seinen Partner niemals betrügen würde: Crocodile hatte nie sonderlich viel Interesse an Online-Dating gezeigt. All seine früheren Bekanntschaft hatte er auf traditionelle Weise kennengelernt. Vielleicht will mir irgendjemand schaden, schoss es ihm durch den Kopf, als er in die Auffahrt der Villa einbog. Vielleicht hatte irgendjemand dieses Profil angelegt, um ihn und Doflamingo auseinanderzubringen? Doch wer würde so etwas tun? Und warum? Doflamingo wartete bereits auf ihn. Er erweckte alles andere als einen gelassenen Eindruck: Seine Arme hielt er vor dem Oberkörper verschränkt und seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. So hatte Crocodile seinen Verlobten noch nie erlebt. Kaum war er aus dem Wagen ausgestiegen, packte ihn dieser unsanft am Arm und lotste ihn hinüber ins Wohnzimmer. Crocodile ließ sich diese unfreundliche Behandlung fürs Erste gefallen. Auf dem Couchtisch stand Doflamingos Laptop (oder eher: einer der vielen hochwertigen Laptops, die Doflaming besaß). Mit zusammengezogenen Augenbrauen näherte Crocodile sich dem Gerät und überflog die angezeigte Internetseite. Sein Partner hatte recht. Crocodile konnte es selbst kaum fassen, doch tatsächlich gab es bei der Online-Single-Börse Beautiful-relationships.com ein Profil von ihm. Das Foto stammte von Hancocks vorletzter Geburtstagsparty. Es zeigte ihn fröhlich lächelnd; er trug ein dunkelgrünes Hemd und hielt eine Weinglas in der Hand. „Wie gesagt“, zischte Doflamingo, „alle Angaben stimmen. Sogar Spaghetti mit Tomaten, Oliven und Schafskäse sind als dein Leibgericht angegeben! Und deine Schuhgröße ist auch richtig! Jedes noch so kleine Detail passt perfekt! Wie kannst du mir das erklären, Crocodile?!“ „Gar nicht“, gab Crocodile zu. Er konnte seinen Blick nicht von der Internetseite abwenden. „Ich verstehe das nicht. Ich habe mich bei dieser Single-Börse nicht angemeldet. Ich habe mich überhaupt noch nie für Online-Dating oder so etwas interessiert!“ „Und wieso gibt es dann ein Profil von dir bei Beautiful-relationships.com?! Willst du mich eigentlich verarschen?!“ „Nein, das will ich nicht!“ Allmählich spürte Crocodile, dass auch in ihm Wut zu kochen begann. „Ich habe damit nichts zu tun, Doflamingo! Das verspreche ich dir!“ „Gib das Passwort ein.“ Plötzlich war die Stimme seines Partners wieder leiser geworden. Nicht ruhiger, bloß leiser. „Was?“ Crocodile wandte sich endlich vom Bildschirm ab und blickte stattdessen zu Doflamingo hinüber. „Das Passwort“, meinte dieser und deutete mit dem Zeigefinger auf die Tastatur des Laptops. „Gib das Passwort ein! Ich will sehen, mit wem du geschrieben hast! Ich will alle Nachrichten lesen!“ „Ich kenne das Passwort nicht!“, gab Crocodile zurück. Es ärgerte ihn, wie verzweifelt seine Stimme klang. Es war unfair, dass sein Verlobter wütend auf ihn war und ihn in die Enge trieb. Er hatte mit dieser Website überhaupt nichts zu tun! Was hier gerade passierte, war nicht seine Schuld! „Das muss ein Fake-Account sein“, beteuerte er und bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. „Dieses Profil hat irgendjemand anders angelegt. Vielleicht jemand, der genau diese Situation provozieren wollte. Vielleicht versucht jemand uns auseinanderzubringen. Ich habe nichts damit zu tun, Doffy, das schwöre ich dir!“ „Daran habe ich auch schon gedacht“, gab sein Verlobter zu und biss sich auf die Unterlippe. „Gerade nach dieser Sache, die letztens mit Bonney gewesen ist... Aber die Angaben sind einfach viel zu genau, Crocodile! Woher sollte irgendeine Exfreundin oder ein Exfreund von mir wissen, was dein Lieblingsfilm ist? Was du am liebsten isst oder welche Musik du magst?“ „Ich weiß es nicht.“ Crocodile fuhr sich mit der Hand durchs Haar und legte die Stirn in Falten. „Ich weiß es wirklich nicht. Das einzige, was ich weiß, ist, dass ich damit nichts zu tun habe.“ Er hielt für einen kurzen Moment inne, ehe er zaghaft fragte: „Gibt es irgendjemanden aus deinem Freundeskreis, der mich nicht mag?“ Doflamingo schüttelte den Kopf. „Sie mögen dich alle sehr gerne“, erklärte er. „Und selbst wenn sie es nicht täten - keiner von ihnen würde so eine Aktion starten. Von meinen Freunden ist das sicher niemand gewesen.“ „Es war auf jeden Fall jemand, der mich gut kennt...“ Crocodile war sich nicht sicher, ob er die Worte zu seinem Partner oder zu sich selbst sagte. „Aber wer würde so etwas tun?“ Doflamingo wirkte nicht sonderlich überzeugt. Und noch immer hatte er sich nicht beruhigt. „Hast du (abgesehen von Enel) noch weitere verrückte Exfreunde?“ Crocodile schüttelte den Kopf. „Bevor ich dich kennengelernt habe, bin ich drei Jahre lang single gewesen“, erklärte er. „Ich habe zu keinem meiner Exfreunde mehr Kontakt. Und soweit ich weiß sind sie auch alle längst über mich hinweg. Ich...“ Und plötzlich fiel es Crocodile wie Schuppen von den Augen. Sein Herz setzte für einen kurzen Moment aus und sein Atem blieb stehen. „Ich weiß es!“, rief er laut, als er wieder zu sich gefunden hatte. „Doflamingo, ich weiß, wer dahinter steckt!“ „Was? Wer?“ „Meine Schwester“, erklärte Crocodile. „Hancock hat dieses Profil für mich angelegt!“ „Hancock?“, hakte Doflamingo mit skeptischer Stimme nach. „Wieso sollte sie so etwas tun? Wir beide verstehen uns sehr gut. Sie hat überhaupt keinen Grund, um uns auseinanderbringen zu wollen!“ „Das hat sie auch gar nicht vorgehabt“, erwiderte Crocodile. Mit dem Zeigefinger deutete er auf die Adresse, die man bei Beautiful-relationships.com für ihn angegeben hatte. „Schau mal, das ist die Adresse meiner alten Wohnung. Und das Foto stammt von Hancocks vorletzten Geburtstag. Sie muss mich bei dieser Single-Börse angemeldet haben in der Hoffnung, dass ich endlich einen neuen Freund finde. Dieses Profil ist vor mindestens einem Jahr erstellt worden, vielleicht sogar vor eineinhalb Jahren.“ „Wenn du dir so sicher bist, dann ruf Hancock an!“, verlangte Doflamingo. „Ich möchte von ihr hören, dass sie für dieses Profil verantwortlich ist!“ „Ernsthaft?“ Diese Forderung verletzte Crocodile und er warf seinem Verlobten einen ungläubigen Blick zu. „Du glaubst mir nicht?“ „Ich möchte dir gerne glauben“, gab Doflamingo mit bitterer Stimme zurück. „Aber für mich wirft dieses Dating-Profil definitiv zu viele Fragen auf. Ich will endlich Gewissheit haben!“ „Na gut, von mir aus“ Obwohl Crocodile sich für unschuldig hielt, griff er nach seinem Handy. Er wollte diese Geschichte endlich aus der Welt schaffen - und um ehrlich zu sein, freute er sich jetzt schon auf die Entschuldigung, die sein Partner ihm schuldete, wenn dieser gezwungen war einzusehen, dass tatsächlich Hancock hinter dem Profil steckte. Seine Hand zitterte, als er seine Schwester über die Kurzwahltaste Nummer 2 anrief. Ungeduldig wartete er darauf, dass Hancock abnehmen würde. Leider tat sie ihm diesen Gefallen nicht. „Das kann doch nicht wahr sein!“, murmelte Crocodile wütend und startete einen zweiten Versuch. Auch wenn er sich keiner Schuld bewusst war, spürte Crocodile, dass ihm die momentane Situation ganz furchtbar an die Nieren ging. Es gefiel ihm nicht, dass sein Verlobter ihm Vorwürfe machte und ihn unfreundlich, ja praktisch schon feindselig behandelte. Wieso bloß konnte seine Schwester sich nicht einfach aus seinem Liebesleben heraushalten? Er hätte einen schönen und entspannten Abend mit Doflamingo verbringen können, wenn Hancock es geschafft hätte, auch nur ein Mindestmaß an Zurückhaltung zu beweisen. Endlich wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen. „Hancock!“, blaffte Crocodile seine Schwester an und unternahm nicht einmal den Versuch den Zorn in seiner Stimme zu verbergen. „Crocodile?“, gab Hancock verwundert zurück. „Was ist los? Warum klingst du so gereizt?“ „Du hast mich heute in eine verdammt missliche Lage gebracht“, warf er ihr vor. Er sah nicht ein, wieso er um den heißen Brei herumreden sollte. Hancock hatte ihm diese Suppe eingebrockt, also sollte sie sie gefälligst auch wieder auslöffeln - und zwar am besten so schnell wie möglich! „Was?“ Hancock schien nicht zu begreifen, was los war. „Beautiful-relationships.com“, half Crocodile seiner Schwester auf die Sprünge. „Sagt dir diese Online-Single-Börse irgendetwas?“ Nun schien auch bei Hancock der Groschen gefallen zu sein. „Oh nein!“, meinte sie mit entsetzt klingender Stimme. Man konnte hören, wie sie die Hand vor den Mund schlug. „Oh ja!“, gab Crocodile gereizt zurück. „Ein Freund von Doflamingo ist heute auf das Profil gestoßen, das du für mich angelegt hast. Kannst du dir eigentlich vorstellen, was ich mir von ihm anhören musste, als ich heute von der Arbeit nach Hause gekommen bin?! Deinetwegen ist er total ausgerastet!“ „Es tut mir leid“, sagte Hancock sofort. „Verdammt, es tut mir wirklich, wirklich leid, Crocodile. Das wollte ich nie! Ich hoffe, dass ihr beide euch nicht wegen mir gestritten habt.“ „Gestritten ist ein schönes Wort für das Gespräch, das ich heute mit meinem Verlobten geführt habe!“, erwiderte Crocodile. „So wütend habe ich ihn selten erlebt! Wegen dir dachte er, dass ich ihn betrügen würde!“ „Es tut mir wirklich unendlich leid!“, beteuerte seine Schwester erneut. „Kann ich irgendetwas tun, um das in Ordnung zu bringen? Ist Doflamingo da? Kann ich mit ihm sprechen? Bestimmt beruhigt er sich wieder, wenn ich ihm die Situation erkläre.“ „Er hört mit“, antwortete Crocodile und seufte leise. Zum Glück hatte sich das Rätsel endlich aufgelöst. „Hast du das Passwort für die Website noch? Dann lösche ich dieses verdammte Profil sofort!“ „Einen Moment bitte.“ Hancock schien in irgendeiner Schublade herumzukramen, ehe sie verkündete: „Der Nutzername ist Sir Crocodile minus zweitausenddreizehn. Das Passwort ist Sweet Lemonade. Auseinander geschrieben. Beide Wörter mit großem Anfangsbuchstaben. Und bitte... du musst mir glauben: Es tut mir total leid, Crocodile! Ich wollte nie, dass du dich meinetwegen mit Doflamingo streitest. Ich hoffe, du bist nicht mehr sauer auf mich.“ „Wenigstens hat sich die Situation nun geklärt“, gab Crocodile reserviert zurück. Er war noch immer wütend, doch weil er spürte, dass seine Schwester ihre Entschuldigung ernst meinte, fügte er noch hinzu: „Ich rufe dich heute Abend noch mal an, ja?“ „Ja, in Ordnung. Hoffentlich verträgst du dich wieder mit Doflamingo. Es tut mir ehrlich leid.“ Unwirsch tippte Crocodile den Nutzernamen und das Passwort ein, welche er von Hancock erfahren hatte. Während er auf der Website nach einer Möglichkeit suchte, um das Profil zu löschen, meinte Doflamingo: „Klick mal auf deinen Posteingang.“ Crocodile glaubte sich verhört zu haben. Entsetzt blickte er zu seinem Partner hinüber. „Glaubst du mir etwa immer noch nicht?! Du hast Hancock doch selbst gehört! Sie war diejenige, die mich hier angemeldet hat! Ich habe damit nichts zu tun! Schau mal, hier oben rechts hast du sogar den endgültigen Beweis: Letzter Login: 9. Oktober 2013. Das ist fast zwei Jahre her!“ „Ich glaube dir“, sagte Doflamingo in einem versöhnlich klingenden Tonfall. Als Beweis, dass er seine Worte ernst meinte, streichelte er ihm sogar zärtlich über den Rücken. „Ich will bloß wissen, wie viele Leute dich angeschrieben haben.“ „Und warum?“, fragte Crocodile nach. Er interessierte sich kein Stück für die Nachrichten, die sich in seinem Posteingang befanden. Immerhin waren diese vermutlich größtenteils mehrere Jahre alt. Und außerdem hatte er nun ja auch einen festen Partner gefunden. „Ich bin nur neugierig“, gestand Doflamingo. „Ich frage mich, was für Nachrichten du bekommen hast.“ „Wenn es dich glücklich macht...“ Leise seufzend klickte Crocodile auf den Posteingang. Zugegeben: Mit sage und schreibe 224 eingegangene Nachrichten hätte er nun wirklich nicht gerechnet. „Das sind ja nicht mal alles Männer“, stellte Crocodile irritiert fest, als er sich die Absender genauer ansah. „Aber Hancock hat doch sicher in mein Profil geschrieben, dass ich homosexuell bin. Total seltsam...“ „Klick mal auf ein paar der Nachrichten“, bat Doflamingo. Crocodile wusste selbst nicht genau wieso, doch er tat seinem Verlobten diesen Gefallen. „Hey Babe, du hast ein süßes Lächeln“, las dieser laut vor. „Lust dich zu treffen?“ Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, brach Doflamingo sofort in lautes Gelächter aus. „Was für ein Idiot“, meinte er grinsend und betrachtete das Profilbild genauer. Es zeigte einen dunkelhaarigen Mann Ende dreißig; sein Haar lichtete sich bereits. „Als hätte so ein Wicht je eine Chance bei dir!“ „Wieso ist er ein Wicht?“, hakte Crocodile mit zusammengezogenen Augenbrauen nach. Das sich lichtende Haar traf definitiv nicht seinen Geschmack, doch ansonsten erweckte der Mann einen recht sympathischen Eindruck. „Sieh ihn dir doch an!“, gab Doflamingo energisch zurück. „Der Typ hat kaum noch Haare! Und total schlechte Zähne! Außerdem ist er viel, viel zu alt für dich!“ „Er ist gar nicht so viel älter als ich“, warf Crocodile ein. „Du vergisst immer, dass wir beide fünf Jahre auseinander sind.“ „Du siehst aber auch nicht aus wie Mitte dreißig“, erwiderte Doflamingo. „Als ich dich das erste Mal gesehen habe, habe ich dich auf mein Alter geschätzt. Allerhöchstens vielleicht ein Jahr älter, aber auf keinen Fall mehr. Ich bin total überrascht gewesen, als ich herausgefunden habe, dass du mir schon fünf Jahre voraus bist.“ „Du versuchst jetzt bloß Komplimente zu verstreuen, um deinen Wutanfall wiedergutzumachen, du Charmeur!“, warf Crocodile seinem Partner vor. Er war sich durchaus dessen bewusst, dass er nicht aussah wie Anfang dreißig. (Das machte ihm allerdings auch nicht viel aus. In seiner Branche wurde Leuten, die jung aussahen und noch ganz grün hinter den Ohren waren, nur wenig zugetraut.) „Klick mal auf die Nachricht einer Frau“, wechselte Doflamingo rasch das Thema. „Ich verstehe immer noch nicht, wieso Frauen einem Homosexuellen auf einer Dating-Plattform schreiben“, meinte Crocodile schulterzuckend, doch tat erneut wie ihm geheißen. „Simple Antwort: Dreier“, gab sein Verlobter gelassen zurück. „Und.... ich hatte recht!“ Er beugte sich ein Stückchen nach vorne, um den Text besser erkennen zu können, und las dann vor: „Hey Süßer, Bock auf einen Dreier? Mein Freund (achtundzwanzig/einsachtzig/zweiundneunzig) möchte gerne mal ausprobieren, wie es mit einem anderen Mann ist. Bedingung ist, dass er oben sein darf. Dafür darfst du mich danach ficken, wenn du willst. Treffen bei dir oder bei uns in der Wohnung. Fotos von uns folgen. Los, scroll mal nach unten, Croco! Die haben wirklich Fotos von sich geschickt!“ „Ich glaube nicht, dass ich diese Fotos sehen will“, gab Crocodile trocken zurück. „Außerdem scheint dieses Paar einen IQ von ungefähr dreißig zu haben - zusammengerechnet! Dafür darfst du mich danach ficken, wenn du willst. Welchen Teil von homosexuell haben diese beiden Idioten denn nicht verstanden?“ „Wahrscheinlich sind sie bisexuell und es fällt ihnen schwer nachzuvollziehen, dass sich jemand nur für ein Geschlecht interessieren kann“, meinte Doflamingo schulterzuckend. „Mir geht es da nicht anders, um ehrlich zu sein. Der Gedanke, ein Geschlecht für immer auszuklammern, ist ziemlich befremdlich.“ „Gewöhn dich schon mal dran“, erklärte Crocodile und warf seinem Verlobten einen bösen Blick zu. Er hatte nun endgültig genug und verließ den Posteingang, um sich stattdessen um die Löschung des Profils zu kümmern. „So war das nicht gemeint!“, warf Doflamingo rasch ein. „Ich hätte dir keinen Heiratsantrag gemacht, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass du -und zwar nur du allein- der Richtige für mich bist. Aber im Gegensatz zu dir bin ich nun einmal bisexuell. Das lässt sich nicht ändern. Frauen verwandeln sich nicht plötzlich in neutrale Wesen, bloß weil ich verlobt bin. Und, nun ja, es ist eben ein komischer Gedanke, dass Frauen für dich immer neutrale Wesen sind. Ich denke, man kann eine andere Sexualität immer bloß nachvollziehen, aber niemals verstehen. Denn wenn man sie wirklich verstünde, dann würde man ihr selbst angehören. “ „Für mich sind Frauen nicht neutral!“, erwiderte Crocodile. „Ich, ähm, ich kann zum Beispiel einschätzen, ob eine Frau attraktiv ist oder nicht. Aber das bedeutet für mich einfach nichts. Frauen sind in meinen Augen nicht neutral, sondern bloß, nun ja, uninteressant. So wie es beispielsweise Kinder für dich sind: Du kannst einschätzen, ob ein Kind hübsch ist oder nicht, doch im Endeffekt spielt es überhaupt keine Rolle. Aber du hast recht: Es ist schwierig zu verstehen, wenn man nicht dieselbe Sexualität hat. Und auch schwierig zu erklären.“ „Hast du jemals eine Frau geküsst?“, wollte Doflamingo mit neugierig klingender Stimme wissen. Crocodile schüttelte den Kopf. Er hatte endlich den richtigen Button gefunden, um sein Profil auf Beautiful-relationships.com zu löschen, und klickte ihn rasch an. Erleichterung überkam ihn, als eine Meldung erschien, die besagte, dass sein Nutzerprofil nicht länger existierte. „Nie?“, hakte Doflamingo verwundert nach. „Auch nicht im Teenageralter?“ „Einmal, als ich fünfzehn war“, gestand Crocodile, während er den Laptop zuklappte. „Beim Flaschendrehen musste ich eine Klassenkameradin küssen. Aber danach nie wieder. Frauen reizen mich einfach nicht. Ich fühle mich nicht zu ihnen hingezogen." „Wie hat es sich angefühlt?“, hakte Doflamingo nach. „Als würde ich einen Fisch küssen“, gab Crocodile zu. Es überraschte ihn nicht, als sein Verlobter angesichts dieser Beschreibung in schallendes Gelächter ausbrach. * Crocodile fühlte sich wohl. Er hatte gerade eben ein langes Bad genommen und stand nun vor dem Spiegel, um sich seine Haare zu kämmen. Es überraschte ihn, wie lang sie geworden waren. Schon als Kind hatte er sein Haar nie kurz getragen, doch inzwischen reichte es ihm bis fast zu den Schultern. Unwirsch versuchte Crocodile sich an seinen letzten Friseurbesuch zu erinnern: Er musste mindestens schon ein halbes Jahr zurückliegen. Crocodile legte die Bürste zur Seite und fuhr sich stattdessen mit den Fingern durch die nassen Haarsträhnen. Der Friseur, den er nun schon seit etwa vier Jahren regelmäßig besuchte, nahm 120 Berry pro Herrenhaarschnitt. Angesichts seiner momentanen finanziellen Lage sollte er sich allerdings lieber nach einem ein wenig preisgünstigeren Friseur umschauen. Heute war Mittwoch. Am besten ließ er sich morgen nach der Arbeit die Haare schneiden. Crocodile legte großen Wert darauf, bei der am Wochenende stattfindenden Messe einen guten Eindruck zu hinterlassen. Es handelte sich um seine große Bewährungsprobe - nur wenn alles glatt lief, hatte er die Chance auf eine Festanstellung bei Tom's Workers. Vollständig angekleidet, doch noch immer mit leicht feuchtem Haar durchstreifte Crocodile die Villa. Er suchte seinen Partner; normalerweise hielt dieser sich entweder im Wohnzimmer oder draußen auf der Terrasse auf, doch im Augenblick war er einfach nicht zu finden. Nach fünf Minuten gab Crocodile die Suche auf und fragte ein Mädchen, das gerade im Foyer die Gemälde abstaubte, ob es seinen Verlobten gesehen hätte. Es erklärte ihm freundlich, dass dieser sich im Bastelzimmer befand. Es dauerte einige Sekunden, bis Crocodile begriff, dass es sich um den Raum handelte, in dem Doflamingo und er damals die Fotoalben erstellt hatten. (Nun endlich wusste er auch, wie das kleine, helle Zimmer hieß und welchem Zweck es diente.) Doflamingo saß im Schneidersitz auf einem der gepolsterten Stühle und blätterte gedankenverloren durch ein dickes Fotoalbum, das in seinem Schoß lag. Er schreckte auf, als sein Partner das Zimmer betrat. „Entschuldigung“, sagte Crocodile sofort. Ihn überkam das unangenehme Gefühl, Doflamingo bei irgendetwas gestört zu haben. „Möchtest du lieber allein sein?“ „Nein...“ Doflamingo fuhr sich mit einer Hand durch sein kurzes, blondes Haar. „Nein, ist schon gut.“ „Ist alles in Ordnung?“, hakte Crocodile nach. Es war seltsam, seinen Verlobten so ruhig und ernst zu erleben. Normalerweise zierte immer ein freches Grinsen dessen Lippen. „Mir geht's gut“, antwortete Doflamingo. „Ich habe mir nur ein paar alte Fotos angeschaut.“ „Was denn für Fotos, wenn ich fragen darf?“, meinte Crocodile. Er kam näher, doch verzichtete bewusst darauf, sich hinzusetzen. Crocodile war kein Idiot: Er spürte überdeutlich, dass irgendetwas nicht stimmte und wollte Doflamingo nicht bedrängen. Zu seiner Überraschung jedoch griff dieser nach seinem Unterarm (der Griff war nicht schmerzhaft, aber ungewohnt fest) und bedeutete ihm, sich auf den freien Stuhl neben ihn niederzulassen. Crocodile tat wie ihm geheißen und linste so unauffällig wie möglich in das Album hinein, das noch immer in Doflamingos Schoß lag. Sein Blick fiel auf ein Hochzeitsfoto: Ein großer Mann mit Schnurrbart und eine hübsche, dunkelblonde Frau standen vor der pompösen Flügeltüre eines alten Schlosses. Beide lächelten und wirkten sehr verliebt. Die Braut trug ein weißes Kleid, das vor allem durch seine schlichte Eleganz auffiel, und hielt einen aus rosafarbenen Rosen bestehenden Brautstrauß in den Händen. „Das sind meine Eltern“, erklärte Doflamingo ihm. Die Stimme seines Verlobten klang so bitter, dass sich unweigerlich ein unangenehmes Gefühl in Crocodiles Magengegend ausbreitete. Er wusste nicht, was er auf Doflamingos Worte erwidern sollte. Was sagte man, wenn man ein Foto von Menschen sah, die bereits seit vielen Jahren tot waren? „Ich hätte sie gerne kennengelernt“, meinte Crocodile schließlich und bemühte sich um einen gefasst klingenden Tonfall. „Sie sehen sehr freundlich aus.“ „Meine Mutter war ein unglaublich lieber Mensch“, erwiderte Doflamingo mit schwacher Stimme. Noch immer hielt er den Unterarm seines Partners fest. Allmählich begann der Griff zu schmerzen, doch Crocodile zwang sich dazu, sich diesen Umstand nicht anmerken zu lassen. „Jeden Abend hat sie Corazon und mir eine Geschichte erzählt oder ein Lied vorgesungen. Mein Vater hat sich immer darum bemüht, mich zu einem anständigen Menschen zu erziehen. Er wollte nicht, dass ich arrogant und oberflächlich werde. Er hat mir vermittelt, dass nicht das Geld, sondern die Menschen, die man liebt, am allerwichtigsten sind.“ „Sie haben einen wundervollen Menschen aus dir gemacht“, erwiderte Crocodile und blickte erneut hinab auf das Fotoalbum. Er nahm sich die Freiheit umzublättern. Auf den nächsten Seiten befanden sich weitere Hochzeitsfotos: Es gab Bilder von der Torte (sie sah so traumhaft aus, dass Crocodile sich nicht sicher war, ob selbst seine talentierte Schwester Hancock ein solches Meisterwerk zustande bringen könnte), vom Paar beim Hochzeitstanz und von der fröhlichen Hochzeitsfeier. Doflamingos Eltern erweckten einen unwahrscheinlich glücklichen Eindruck. Auf nahezu jedem Foto waren beide lächelnd abgebildet. Vor allen Dingen ein ganz bestimmtes Bild blieb Crocodile im Gedächtnis: Das Brautpaar hatte sich für einen Moment in den hübschen Schlossgarten zurückgezogen. Die beiden hielten sich an den Händen; der Bräutigam flüsterte der Braut ein paar Worte ins Ohr, woraufhin diese glückselig lächelte, aber auch ein klein wenig errötete. Das Foto wirkte nicht gestellt, sondern schien einen ganz privaten Moment zwischen Doflamingos Vater und Mutter festzuhalten. „Hast du deinen Vater jemals gefragt, was er damals zu ihr gesagt hat?“, wollte Crocodile wissen. Er war nicht gerade ein romantisch veranlagter Mensch, doch er musste zugeben, dass ihm das Bild wirklich außerordentlich gut gefiel. Es drückte eine Leichtigkeit aus, die ihm in seinem Leben momentan fehlte und nach der er sich sehr stark sehnte. „Er hat ihr gesagt, dass sie die wunderschönste Frau ist, die er jemals gesehen hat“, antwortete Doflamingo. Seine Stimme klang nun wieder ein bisschen gefasster und sogar ein leichtes Grinsen war auf seine Lippen zurückgekehrt. Es erleichterte Crocodile, dass es seinem Verlobten allmählich wieder besser zu gehen schien. „Wie kitschig“, meinte Crocodile schmunzelnd. Doflamingo zuckte mit den Schultern. „Meine kitschige Ader habe ich definitiv von ihm“, erwiderte er gelassen. „Aber ich kann es meinem Vater nicht verübeln: Meine Mutter sieht so unfassbar glücklich und fröhlich aus auf diesen Fotos. Er hat ihr Hochzeitskleid zum ersten Mal bei der Trauung gesehen, musst du wissen. Später hat er oft zu mir gesagt, dass es der schönste Moment seines Lebens war: Wie meine Mutter in ihrem weißen Kleid durch den Saal auf ihn zukam.“ „Das kann ich mir gut vorstellen“, warf Crocodile ein. „Sag mal, Doffy, weißt du eigentlich, wo das Schloss liegt, in dem deine Eltern geheiratet haben?“ Sein Verlobter nickte. „In Küstennähe. Von unserem Strandhaus aus fährt man mit dem Auto etwa zwei Stunden dorthin“, erklärte er. „Es handelt sich um ein sehr kleines Schloss. Fast schon ein Schlösschen, könnte man sagen. Genauso wie wir beide, Crocodile, haben meine Eltern sich eine kleine, private Feier gewünscht. Sie haben sich unterschiedliche Locations angeschaut und sich sofort in diesen Ort verliebt, haben sie mir später mal erzählt. Das Schloss ist sehr alt und liegt ziemlich abgelegen. Die nächste Ortschaft ist ein kleines Dorf am Meer.“ „Ich finde das Schloss auch sehr schön“, gestand Crocodile. Relativ gedankenverloren blätterte er weiter durch das dicke Album. Inzwischen war er bei einer Reihe von Fotos angelangt, die Doflamingos Eltern im Urlaub zeigten. „Vielleicht könnten auch wir beide dort unsere Hochzeit feiern.“ Kaum hatte Crocodile zu Ende gesprochen, schlug die Stimmung plötzlich um. Seine Worte schienen Doflamingo die Sprache verschlagen zu haben: Mit geöffnetem Mund, doch ohne irgendeinen Laut von sich zu geben, sowie mit weit nach oben gezogenen Augenbrauen blickte sein Verlobter ihn an. Man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können. Crocodile schluckte unangenehm berührt und wandte seinen Blick wieder dem Fotoalbum zu. Er hatte nicht beabsichtigt, eine solch entsetzte Reaktion zu provozieren. Um ehrlich zu sein, hatte er über seine Worte eigentlich überhaupt gar nicht nachgedacht. Sie waren einfach bloß so dahingesagt gewesen. Was sollte er nun tun? Sich bei Doflamingo entschuldigen? Sein Verlobter nahm ihm die Entscheidung ab. „Oh, Crocodile“, hauchte er mit schwacher Stimme und wischte sich mit den Handrücken über den Mund, „das wäre wundervoll!“ Und ehe Crocodile sich versah, hatte Doflamingo ihn in die Arme geschlossen und schnürte ihm die Sauerstoffzufuhr ab. Als er sich wieder von ihm gelöst hatte, fragte er in einem beinahe schon besorgt klingenden Tonfall: „Aber diesen Vorschlag hast du nicht bloß wegen mir gemacht, oder? Gefällt dir das Schloss wirklich so gut? Mir ist es wichtig, dass wir beide mit der Location für unsere Hochzeit einverstanden sind!“ „Mach dir darum keine Sorgen“, erwiderte Crocodile und widerstand der Versuchung, über seinen schmerzenden Brustkorb zu streichen. „Ich finde das Schloss wunderschön. Außerdem scheint es sich um einen perfekten Ort zu handeln für die Art von Hochzeit, die wir feiern wollen: klein, privat, einfach so weit weg von der Öffentlichkeit wie möglich.“ Doflamingo nickte eifrig. „Es würde wirklich sehr gut zu uns passen“, meinte er. „Wenn du möchtest, können wir gleich übernächstes Wochenende dort vorbeischauen. Dann kannst du dir das Schloss ganz in Ruhe ansehen und entscheiden, ob es dir wirklich zusagt oder nicht.“ Er hielt für einen Moment inne, ehe er mit leiser Stimme und gesenktem Blick hinzufügte: „In dem Schloss zu heiraten, in dem auch meine Eltern den Bund der Ehe geschlossen haben... Das wäre wirklich unfassbar schön...“ „Ich bin mir sicher, dass es mir gefallen wird“, versicherte Crocodile seinem Partner. Und in Gedanken fügte er noch hinzu: Vor allen Dingen, weil dieses kleine, abgelegene Schlösschen mit Sicherheit die günstigste Lösung ist. Noch gut erinnerte Crocodile sich daran, wie Monet vorgeschlagen hatte, dass sie beide doch in Paris heiraten könnten. Oder auf einer Yacht. Nein, da handelte es sich bei dieser Location definitiv um eine deutlich preisgünstigere Alternative. Crocodile sah in diesem kleinen Schloss eine Art Win-Win-Situation: Er konnte die Kosten für ihre Hochzeitsfeier ein wenig nach unten drücken und Doflamingo war glücklich, weil er emotional sehr viel mit diesem Ort verband. Dadurch, dass die Wahl auf ausgerechnet diese Location gefallen war, trug niemand einen Schaden davon oder war im Nachteil. Und außerdem, dachte Crocodile, als er ein Foto betrachtete, auf dem Doflamingos Mutter mit einem runden Babybauch zu sehen war, scheint es sich wirklich um ein sehr hübsches Schloss zu handeln. Gemeinsam blätterten sie noch eine ganze Weile durch das alte Fotoalbum. Auf einer Seite weiter hinten im Buch war ein kleines, blondes Bündel zu sehen; dem zerknitterten Gesicht nach zu urteilen war das Baby zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht lange auf der Welt. „Bist du das?“, fragte Crocodile erstaunt nach. Es war das erste Mal, dass er ein Kinderfoto von Doflamingo sah. Sein Verlobter nickte. „Das bin ich“, bestätigte er. Mit flinken Fingern blätterte er um und deutete auf eines der Fotos, das sich auf der nächsten Seite befand: „Und das ist Corazon.“ Baby Corazon unterschied sich augenscheinlich nicht sonderlich stark von seinem Bruder. Um ehrlich zu sein, war der einzige Unterschied, der Crocodile auffiel, die Augenfarbe: Corazon war mit blauen Augen auf die Welt gekommen, wohingegen Doflamingo grüne Augen hatte. Ansonsten schienen ihm die beiden Neugeborenen, die auf den Aufnahmen zu sehen waren, so gut wie identisch zu sein. „Du warst sehr süß“, log er, als Doflamingo ihm weitere Babyfotos von sich und seinem Bruder zeigte. (Auch wenn Crocodile sich zugegebenermaßen nicht sonderlich gut mit kleinen Kindern auskannte, hielt er es doch für klüger, für sich zu behalten, dass die beiden Säuglinge auf den meisten Bildern wie verschrumpelte Kartoffeln mit einem dünnen Pflaum Haar aussahen. Er hatte nie so wirklich nachvollziehen können, warum die meisten Menschen Babies für niedlich hielten.) „Warst?“, wiederholte Doflamingo gespielt beleidigt und schob seine Unterlippe nach vorne. „Findest du mich jetzt etwa nicht mehr süß?“ „Doch, natürlich, du Riesenbaby“, erwiderte Crocodile und konnte ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. Er beugte sich zu seinem Partner hinüber und küsste diesen zärtlich auf die Lippen, während Doflamingo seine beiden Arme um ihn legte. * Seinen neuen Friseur suchte sich Crocodile mit Bedacht aus. Er legte großen Wert darauf, dass der Salon weder in der Nähe seines Zuhauses noch seines Arbeitsplatzes lag, denn er wollte vermeiden, von Bekannten dort gesehen zu werden und sich auf diese Weise zu blamieren. Sir Crocodile, neureicher Bankmanager, Verlobter des Millionärs Donquixote Doflamingo hatte einen Ruf zu verlieren, wenn irgendjemand herausfand, dass er einen preisgünstigen Friseursalon aufsuchte anstelle eines Luxus-Hairstylisten, der selbst fürs Spitzenschneiden einen dreistelligen Geldbetrag forderte. Doch trotz seines kleinen Budgets war Crocodile ein recht eitler Mensch: Natürlich legte er es nicht darauf an, sich sein Haar von einem billigen Friseur verhunzen lassen, der nichts von seinem Handwerk verstand. (Vor allen Dingen angesichts der Tatsache, dass morgen endlich die große Elektronikmesse Tom's Workers stattfinden würde, war es von äußerster Wichtigkeit, dass er einen gepflegten Eindruck erweckte.) Es kam darauf an, ein gutes Mittelmaß zu finden. Während seiner Mittagspause suchte Crocodile im Internet nach einem passenden Friseursalon. Auf Anhieb gefiel ihm Inazuma's Haarpalast; von seiner Arbeit aus war der Salon mit dem Auto in etwa zwanzig Minuten zu erreichen. Für die Leistung, die er sich wünschte (ein Stück kürzer schneiden und Spliss verschwinden lassen), wurden 30 Berry fällig. Diesen Preis fand Crocodile fair. Er rief im Friseursalon an und vereinbarte einen Termin für den Nachmittag. Obwohl Inazumas Haarpalast über einen kleinen Kundenparkplatz verfügte, stellte Crocodile sein Auto zwei Straßen weiter ab. Sein Mercedes C 216 Coupe kostete neu ungefähr 100.000 Berry und passte daher nicht so recht zu den familienfreundlichen Mittelklasse-Wagen, deren Besitzer sich im Moment die Haare schneiden ließen. Und Aufmerksamkeit zu erregen, war das Letzte, was Crocodile wollte. Seit seinem Autounfall waren ungefähr sechs Wochen vergangen. Vor drei Tagen war Crocodiles heiß geliebter Mercedes aus der Werkstatt zurückgekehrt. Die rechte Wagentüre war komplett ausgetauscht und alle Beulen und Kratzer fachmännisch entfernt worden, sodass er inzwischen wieder aussah wie neu. Crocodile freute sich sehr darüber, endlich wieder über einen eigenes Auto zu verfügen, auch wenn er seinem Verlobten natürlich dankbar dafür war, dass er in der Zwischenzeit dessen zahlreiche Luxuskarossen hatte mitbenutzen dürfen (meistens war er einen dunkelgrünen Porsche 911 GT3 gefahren). Crocodile schickte eine kurze Nachricht (komme ca 1 h später nach hause, bin beim friseur) an Doflamingo, verstaute sein Handy im Handschuhfach und machte sich anschließend auf den Weg zu Inazumas Haarpalast. Eine dreiviertel Stunde später und um 35 Berry leichter (fünf Berry hatte er Trinkgeld gegeben) verließ Crocodile den Friseursalon wieder. Ihm gefiel das Ergebnis unwahrscheinlich gut: Sein Haar war nun etwa fünf Zentimeter kürzer und frei von Spliss. Auch der zur Seite geschobene Pony, den Inazuma ihm empfohlen hatte, stand ihm wirklich gut. Um ehrlich zu sein, war Crocodile nicht davon ausgegangen, dass ein einziger Friseurbesuch eine solch große Wirkung auf sein Wohlbefinden haben könnte, doch er fühlte sich tatsächlich deutlich besser als vorher. Viel jünger und energiegeladener. Seine gute Laune hielt nicht lange an. Kaum hatte Crocodile sein Handy aus dem Handschuhfach hervorgeholt, rutschte ihm das Herz in die Hose: Der Display zeigte ihm drei verpasste Anrufe und zwei Textnachrichten von Doflamingo an. Crocodile kam es vor wie ein Deja-vu. Hatte Hancock ihn etwa bei noch weiteren Online-Single-Börsen angemeldet? Die Nachrichten lauteten wo bleibst du? Du hast schon seit 1 h feierabend. Das essen wird kalt! und bitte melde dich! Ich mache mir sorgen!. Erleichtert atmete Crocodile auf. Zum Glück schien sein Partner nicht wütend oder aufgebraucht, sondern nur besorgt zu sein. Einen Augenblick später wurde ihm auch klar, wieso: Seine eigene Textnachricht war nicht zugestellt worden. Doflamingo wusste also nicht, wieso er sich verspätete, und machte sich daher Sorgen um ihn. Crocodile rief seinen Verlobten über die Kurzwahltaste Nummer 5 an. Er ging gleich nach dem zweiten Klingeln ran. „Crocodile“, begrüßte er ihn mit teils besorgt, teils verärgert klingender Stimme, „wo bleibst du? Ich versuche schon seit einer halben Stunde zu erreichen! Warum gehst du nicht an dein Handy?“ „Tut mir leid“, erwiderte Crocodile, „ich war nach der Arbeit noch beim Friseur. Ich habe dir auch eine Nachricht geschrieben, aber irgendwie ist die wohl nicht zugestellt worden. Ich bin in einer halben Stunde Zuhause, in Ordnung?“ „In Ordnung“, meinte Doflamingo und Crocodile sah vor seinem geistigen Auge, wie sein Verlobter sich mit der Hand genervt durch sein kurzes, blondes Haar fuhr. „Dann bis gleich. Und fahr vorsichtig!“ „Bis gleich“, gab Crocodile zurück und legte auf. Das schlechte Gewissen lag ihm im Nacken, während er ausparkte und sich auf den Heimweg machte. Ich hätte sichergehen sollen, dass die Nachricht auch wirklich versendet worden ist, dachte Crocodile schuldbewusst. Ehrlich gesagt konnte er Doflamingo seine Sorge nicht verübeln: Er selbst würde vermutlich nicht anders reagieren, wenn sein Partner nicht nach Hause kam und auch übers Handy nicht zu erreichen war. Zwar war es bei keinem von ihnen unüblich, die eine oder andere Überstunde zu machen, doch sie hatten es sich angewöhnt, in diesem Fall dem jeweils Anderen Bescheid zu geben. Um Doflamingo eine Freude zu machen, hielt Crocodile unterwegs bei einem kleinen Blumenladen an und besorgte für seinen Verlobten einen Strauß Rosen, für den er knapp fünfzehn Berry bezahlte. Der Blumenstrauß auf dem Beifahrersitz beruhigte Crocodiles Gewissen ein klein wenig. Doflamingo erwartete ihn im Foyer. „Da bist du ja endlich!“, rief er halb erleichtert, halb vorwurfsvoll und kam auf Crocodile zugelaufen. Er umarmte ihn - und ließ nur den Bruchteil einer Sekunde später überrascht und vor Schmerz aufschreiend wieder von ihm ab. „Vorsicht!“, meinte Crocodile und holte den Strauß Rosen hervor, den er hinter seinem Rücken versteckt hatte. „Tut mir leid. Hast du dir sehr wehgetan?“ „Es geht schon“, erwiderte sein Verlobter und schüttelte den Kopf. Er entfernte zwei Dornen aus seinem Unterarm und nahm anschließend den Blumenstrauß entgegen. Trotz des kleinen Unfalls von eben schien Doflamingo sich über die Geste zu freuen. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst“, sagte Crocodile mit schuldbewusster Miene. „Ich habe mein Handy im Auto gelassen, während ich beim Friseur war, und habe deine Anrufe gar nicht mitbekommen. Und dass meine Nachricht nicht zugestellt worden ist, habe ich auch nicht rechtzeitig gesehen.“ Es schien Doflamingo zu besänftigen, als er ihm auf seinem Handy die Textnachricht zeigte, die mit dem Zusatz nicht gesendet versehen war. „Ist schon gut“, meinte er in einem freundlich klingenden Tonfall und machte eine wegwerfende Handbewegung. „War ja offensichtlich bloß ein blödes Missverständnis.“ Crocodile nickte. „Hast du schon ohne mich gegessen?“, fragte er. (Inzwischen legte er wieder ein relativ normales Essverhalten an den Tag und aß üblicherweise gemeinsam mit Doflamingo zu Abend, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.) „Natürlich nicht“, antwortete Doflamingo. Ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf seine Lippen. „Da heute unser letzter gemeinsamer Abend ist, habe ich nämlich eine kleine Überraschung für dich vorbereitet!“ „Letzter gemeinsamer Abend?“, wiederholte Crocodile mit verdatterter Stimme, ehe ihm einfiel, dass er sich morgen früh auf den Weg zur großen Messe machen musste. „Wir sind nur für ein einziges Wochenende getrennt, Doflamingo! Früher haben wir uns doch auch nicht jeden Tag gesehen!“ „Ich weiß“, erwiderte sein Verlobter und nahm ihn bei der Hand. „Und das hat mich damals schon sehr gestört. Ich finde es toll, dass wir beide uns inzwischen täglich sehen können und bereue unseren Zusammenzug kein Stück!“ „Ich auch nicht“, gab Crocodile zu. „Aber trotzdem wäre eine Überraschung nicht nötig gewesen! Immerhin habe ich doch gar nichts im Gegenzug für dich besorgt!“ „Du hast mir den Blumenstrauß mitgebracht“, berichtigte Doflamingo ihn, während dieser ihn hinüber zur Terrasse lotste. (An warmen Tagen aßen sie gelegentlich im Freien zu Abend.) „Außerdem handelt es sich wirklich nur um eine Kleinigkeit, versprochen!“ Nichtsdestotrotz stockte Crocodile der Atem, als er nach draußen auf die Terrasse trat: Im fahlen Licht der Abenddämmerung glitzerte der Feuerschein von Dutzenden weißen Kerzen und auf dem Tischtuch waren rosafarbene Rosenblätter verstreut worden. In der Mitte des Esstisches stand eine gläserne Vase, die eine einzelne Rose beinhaltete. Ohne zu zögern schnappte sich Doflamingo sie, warf sie über den Geländer und platzierte dort stattdessen den Blumenstrauß, den sein Verlobter ihm mitgebracht hatte. Doflamingo war Gentlemen genug, um Crocodile den Stuhl zurechtzurücken. Mit einem flauen Gefühl im Magen ließ er sich nieder. Er wusste nicht so recht, was er von der Überraschung seines Partners halten sollte. Auf der einen Seite freute er sich natürlich über die Mühe, welcher dieser sich gab, doch er musste auch einräumen, dass ihm alles ein wenig übertrieben vorkam. Schließlich brach er morgen nicht zu einer mehrwöchigen Geschäftsreise auf, sondern war bloß für ein einziges Wochenende weg. Sonntagabend sahen sie beide sich bereits wieder. Als Vorspeise gab es Piquillo-Paprika mit Sardinencreme. Dazu tranken sie Champagner. (Wie üblich wurden sie von Doflamingos Personal bedient.) „Mir gefällt deine neue Frisur“, merkte Doflamingo freundlich an und steckte sich eine Paprika in den Mund. „Danke“, gab Crocodile zurück, obwohl er beinahe schon wieder vergessen hatte, dass er überhaupt beim Friseur gewesen war. Noch immer konnte er die momentane Situation nicht so recht fassen; ein romantisches Dinner im Kerzenschein hatte er nun wirklich nicht erwartet gehabt. Doch natürlich wäre er kein (mehr oder weniger) erfolgreicher Manager geworden, wenn es ihm nicht gelingen würde, über seine Verwunderung hinwegzutäuschen. „Der Friseurbesuch ist wirklich überfällig gewesen. Mir ist überhaupt nicht aufgefallen, wie lang meine Haare geworden sind.“ Doflamingo lachte unbeschwert. „Sie sind wirklich lang geworden“, stimmte er ihm zu. „Aber das hat mich nicht gestört. Ganz im Gegenteil: Ich mag es, wenn Männer kein raspelkurzes Haar haben.“ Er hielt für einen Moment inne, ehe er verschmitzt grinsend hinzufügte: „Dann hat man beim Sex etwas, woran man sich festhalten kann.“ „Doflamingo!“, wies Crocodile seinen Verlobten zurecht und spürte, wie er klein wenig errötete. Seine Liebesbeziehung mit diesem Perversling hatte nichts an der Tatsache ändern können, dass es sich bei ihm selbst um einen recht prüden Menschen handelte. „Ich mache nur Spaß“, lenkte Doflamingo noch immer breit grinsend ein. „Ich weiß doch, dass du es nicht sonderlich magst, wenn man dir beim Sex an den Haaren zieht.“ Crocodile (dessen Wangen noch immer gerötet waren) schmunzelte und versetzte seinem Partner unter den Tisch einen leichten Tritt gegen das Schienbein. Ob er es zugeben wollte oder nicht: Allmählich ging Doflamingos Unbeschwertheit auch auf ihn über. Er spürte, dass er lockerer wurde und es ihm gelang die schmutzigen Witze seines Verlobten auf die leichte Schulter zu nehmen. Wahrscheinlich war auch der Champagner da nicht ganz unschuldig. „Das liegt daran, dass du viel zu fest ziehst“, gab er keck zurück. „Ich habe immer das Gefühl, du willst mir die Kopfhaut abreißen! Aber was soll's, jetzt habe ich ja sowieso kurze Haare.“ „Deine Haare sind nicht kurz“, widersprach ihm Doflamingo, der sich mit seiner langen Zunge über die Lippen leckte. „Nun gut, vielleicht für deine Verhältnisse, aber sie sind immer noch viel länger als die Haare der allermeisten Männer. Heute Abend sollte ich trotzdem mal austesten, ob man gut an ihnen ziehen kann. Ich werde auch ganz sanft sein, versprochen.“ Crocodile verstand die Andeutung durchaus. Um Doflamingo zu zeigen, dass er gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden hatte, lächelte er kokett. Anschließend nahm er einen großen Schluck Champagner. Die erotische Spannung, die in der Luft lag, wurde kurz unterbrochen, als der Hauptgang serviert wurde. Es gab Spaghetti mit Tomaten, Oliven und Schafskäse - Crocodiles absolute Leibspeise. „Du weißt wirklich, welche Knöpfe du bei mir drücken musst“, meinte er lächelnd, während man ihm Champagner nachschenkte. „Warum glaubst du immer, dass ich unlautere Absichten verfolge?“, gab Doflamingo gespielt beleidigt zurück. „Alles, was ich möchte, ist meinen lieben Verlobten mit einem schönen Abend zu verwöhnen. Da gehört das Leibgericht doch wohl mit dazu, oder?“ „Nicht nur das Leibgericht“, gab Crocodile in einem Anflug von Kühnheit zurück. Doflamingo grinste. „Stimmt“, gab er ihm kopfnickend recht. „Aber diesen Teil sparen wir beide uns lieber für das Schlafzimmer auf.... oder möchtest du, dass ich dich hier und jetzt auf dem Tisch nehme?“ [zensiert] * Es war Freitagmorgen. Crocodiles Koffer war gepackt und das letzte gemeinsame Frühstück mit seinem Verlobten stand an. Er bemühte sich darum so ruhig und gelassen wie möglich zu wirken, doch in seiner Brust spürte er eine Art nervöses Kitzeln. Bei der Elektronik-Messe, zu der er sich in wenigen Minuten auf den Weg machen würde, handelte es sich um seine große Bewährungsprobe. Wenn alles glatt lief, stand einer dauerhaften Einstellung bei Tom's Workers nichts im Wege; sollte es jedoch Probleme geben, dann würde -dessen war Crocodile sich sicher- sein befristeter Arbeitsvertrag nicht verlängert werden. Doflamingo schien zu bemerken, dass irgendetwas nicht stimmte. Er richtete seinen Blick auf die Gabel, mit der Crocodile lustlos in seinem Rührei herumstocherte, und fragte: „Ist alles in Ordnung?“ „Klar“, hörte Crocodile sich selbst hastig antworten, doch seine Stimme hörte sich an wie die eines Fremden. Auch Doflamingo entging dieser Umstand nicht. „Du musst dich nicht verstellen“, sagte sein Verlobter und griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand. „Ich spüre überdeutlich, dass du nervös bist. Ist es wegen der Messe?“ „Nun ja...“, begann Crocodile. Er schloss für einen Moment seine Augen und genoss das Gefühl von Doflamingos Hand, die warm und schwer auf seiner lag. „Ich bin... also, um ehrlich zu sein, bin ich schon ein klein wenig nervös. Immerhin bin ich bloß ein Ersatz. Ich kenne mich nicht so gut aus wie Kizaru und habe Angst, etwas falsch zu machen. Hoffentlich blamiere ich mich nicht.“ „Mach dir keine Sorgen“, versuchte Doflamingo ihn aufzuheitern und schenkte ihm ein breites Lächeln. „Ich bin mir sicher, dass alles gut laufen wird. Du bist kein blöder Praktikant, sondern ein erfahrener und kompetenter Manager. Du hast schon viel schwierigere Aufgaben bewältigt. Glaub mir: Hinterher wirst du dich fragen, warum du dir überhaupt Sorgen gemacht hast.“ „Danke“, sagte Crocodile und brachte sogar ebenfalls ein zaghaftes Lächeln zustande. Tatsächlich stellte er fest, dass die Worte seines Verlobten ihn ein wenig beruhigten. Doflamingo hatte Recht: Er war ein toller Manager und sollte mehr Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten legen! Sein Hotelzimmer war groß und überaus luxuriös, doch daraus machte Crocodile sich nicht viel. Mit geschlossenen Augen saß er auf der teuren Couchgarnitur und bemühte sich darum, möglichst gleichmäßig ein- und auszuatmen. Es war acht Uhr morgens. In einer Viertelstunde würde er sich im Restaurant des Hotels mit seinem Chef Franky treffen und ein allerletztes Briefing erhalten. Crocodile erhob sich. Er warf einen letzten Blick in den Spiegel und richtete seine Krawatte (sie war ein teures Geschenk seines Verlobten gewesen), ehe er sein Hotelzimmer verließ und sich auf den Weg hinunter zum Restaurant machte. Um punkt neun Uhr wurde die große Elektronik-Messe Tom's Workers eröffnet. Monatelang hatten Crocodile und sein Team auf genau diesen Augenblick hingearbeitet. Es durfte einfach nichts schief gehen! „Hallo, Crocodile“, begrüßte ihn Franky, erhob sich von seinem Stuhl und schüttelte ihm die Hand. „Hallo, Franky“, erwiderte Crocodile und freute sich darüber, dass seine Stimme selbstsicher und zuversichtlich klang. Er setzte sich zu seinem Chef an den Tisch. Franky hatte bereits zwei große Tassen Kaffee für sie beide bestellt. „Da wir nicht mehr viel Zeit haben, bevor es losgeht, werde ich mich so kurz wie möglich fassen“, erklärte Franky und nahm einen großen Schluck Kaffee. „Du hast die Verantwortung dafür, dass heute, morgen und übermorgen alles wie geplant gelingt, Crocodile. Deine Pflicht besteht darin, dafür zu sorgen, dass alle Abläufe absolut reibungslos stattfinden. Ich erwarte, dass du für jedes Problem, das gegebenenfalls auftreten sollte, unverzüglich eine Lösung findest.“ Crocodile nickte. „Natürlich“, sagte er, ohne dem ernsten Blick seines Chefs auszuweichen. Das war nichts Neues für ihn. „Damit du jederzeit mit mir und den Anderen kommunizieren kannst, steht dir ein Walkie-Talkie zur Verfügung.“ Franky holte ein entsprechendes Gerät aus seiner Tasche hervor und reichte es Crocodile. „Ich möchte regelmäßig von dir hören. Mindestens einmal pro Stunde solltest du mir ein Update über die momentane Lage geben. Kiwi, Mozz und den Anderen werde ich auch Walkie-Talkies zukommen lassen, sodass wir jederzeit miteinander kommunizieren können.“ Crocodile tat so, als würde er an seinem Kaffee nippen. „Heute Abend um neun Uhr, also eine Stunde nach Schluss, werden wir uns alle hier im Restaurant treffen, um den ersten Messetag zu evaluieren.“ „In Ordnung“, sagte Crocodile und steckte das Walkie-Talkie ein. Allmählich spürte er, wie Ruhe in ihn einkehrte. Er war ein Mensch, der gerne Verantwortung trug. Und er war sich sicher, dass der heutige Tag ein großer Erfolg werden würde - für ihn, für Franky, für Tom's Workers. Crocodile hatte viel Herzblut in die Organisation dieser Elektronik-Messe gesteckt. Monatelang hatte er geplant, getüftelt und arrangiert. Heute war der Tag gekommen, an dem sich seine harte Arbeit endlich bezahlt machen würde. Das nervöse Kitzeln war vollständig aus seiner Brust verschwunden. Stattdessen war es durch ein warmes, erwartungsfreudiges Gefühl ersetzt worden. Crocodile war voll in seinem Element. Seine sorgfältige Planung zahlte sich aus: Der erste Messetag verlief ohne jede Komplikation. Crocodile verbrachte den Großteil seiner Zeit damit, über das weitläufige Gelände zu schlendern und per Walkie-Talkie seinen Arbeitskollegen und seinem Chef mitzuteilen, dass alles nach Plan lief und es keine Schwierigkeiten gab. Tom's Workers war gut besucht. Als Crocodile am Nachmittag nach den genauen Zahlen fragte (jeder Besucher wurde beim Betreten des Messegeländes registriert), erfuhr er, dass sie einen Besucheranstieg von sagenhaften 21% im Gegensatz zum Eröffnungstag des Vorjahres zu verbuchen hatten. Crocodile konnte seine Freude kaum verbergen: Ein breites Grinsen schlich sich auf seine Lippen und er nahm sich vor, bei der Besprechung heute Abend im Restaurant unbedingt Franky von dieser guten Nachricht in Kenntnis zu setzen. Crocodiles gute Laune erreichte einen Höhepunkt, als sich gegen achtzehn Uhr Kiwi per Walkie-Talkie bei ihm meldete. „Franky ist absolut begeistert!“, teilte ihm die Sekretärin seines Chefs mit verzückter Stimme mit. „Ehrlich gesagt, war er zu Beginn ein wenig skeptisch, weil du ja so extrem kurzfristig als Manager mit ins Boot geholt wurdest, aber alles läuft absolut perfekt! Man merkt wirklich deutlich, wie viel Mühe du dir bei der Planung gegeben hast, Crocodile!“ „Danke“, erwiderte Crocodile, der sein Glück kaum fassen konnte. „Es freut mich wirklich sehr, dass die Messe so gut gestartet ist. Hoffen wir, dass es morgen und übermorgen mindestens genauso gut laufen wird!“ „Ach, da habe ich überhaupt keine Zweifel!“, versicherte ihm Kiwi, ehe sie sich verabschieden musste, weil Mozz ihr irgendetwas mitteilen wollte. Um kurz nach acht Uhr rief Crocodile Doflamingo an. Freudestrahlend teilte er seinem Verlobten mit, dass bisher alles sehr gut lief. „Wie es aussieht, werde ich für die Bank sogar besonders günstige Konditionen aushandeln können“, log er, während er sich zu Fuß auf den Weg zu seinem Hotel machte, das sich auf dem Messegelände befand. „Das klingt wirklich wundervoll“, meinte Doflamingo. „Siehst du: Ich hatte dir doch gesagt, dass du dich hinterher fragen wirst, warum du dir überhaupt so viele Sorgen gemacht hast!“ „Wie sieht es bei dir und Hogback aus?“, fragte Crocodile, während er das Foyer des Hotels durchquerte. „Unser gemeinsames Abendessen findet erst in einer Stunde statt“, erklärte ihm sein Partner. „Aber ich hoffe, dass ich heute genauso großen Erfolg haben werde wie du, Wani.“ „Bestimmt“, meinte Crocodile, während er auf den Aufzug wartete. „Du bist ein erfahrener Geschäftsmann. Ich bin mir sicher, dass du diesen Deal schnell unter Dach und Fach kriegen wirst! Außerdem wäre Hogback ein echter Idiot, wenn er sich die Chance entgehen lassen würde, als allererstes dieses neue Krebsmedikament auf den Markt zu bringen!“ „Hoffentlich behältst du Recht“, meinte Doflamingo mit ungewohnt sorgenvoller Stimme. Anscheinend handelte es sich bei diesem Geschäft um eine wirklich große Sache. Unweigerlich überkamen Crocodile furchtbare Gewissensbisse, weil sein Verlobter sein erstes Treffen mit Hogback wegen ihm hatte sausen lassen. „Warum rufst du mich heute Nacht nicht an und erzählst mir, wie das Abendessen gelaufen ist?“, bot Crocodile an. Er klemmte das Handy zwischen seinem Ohr und seiner Schulter ein, damit er die Hand frei hatte, um in seiner Hosentasche nach der Schlüsselkarte für sein Hotelzimmer zu suchen. „Du musst wegen mir nicht so lange wach bleiben“, erwiderte Doflamingo sofort. „Es kann sein, dass ich erst gegen zwei oder drei Uhr nachts die Möglichkeit haben werde, dich anzurufen.“ „Das macht mir nichts aus“, meinte Crocodile. Er hatte endlich die Karte gefunden, schloss die Zimmertüre auf und ließ sich auf der Ledercouch nieder. „Bist du dir da ganz sicher?“, hakte Doflamingo nach. „Klar“, bekräftigte Crocodile. Er ging ohnehin davon aus, dass Franky und die Anderen nach der Besprechung den erfolgreichen ersten Tag in der Hotelbar feiern wollte; daher würde er wahrscheinlich sowieso nicht vor Mitternacht ins Bett kommen. „Okay“, ließ Doflamingo sich schlussendlich breitschlagen. „Dann bis heute Abend, Croco. Ich liebe dich.“ Er machte ein schnalziges Kussgeräusch in den Hörer. „Ich liebe dich auch“, erwiderte Crocodile. „Bis heute Abend!“ Crocodile schmiss das Handy aufs Bett und lockerte seine Krawatte. Er fühlte sich auf eine positive Art und Weise ausgelaugt. Der Tag war anstrengend, doch auch sehr produktiv gewesen. Alles hatte genau so geklappt wie Crocodile es sich vorgestellt hatte. Er warf einen Blick auf die teure Uhr, die über dem Türrahmen hing, und entschied, dass noch genug Zeit für eine kurze Dusche war, ehe er sich auf den Weg hinunter ins Restaurant machen musste. Crocodile konnte es kaum erwarten, Franky von der hohen Besucherzahl zu berichten. Es war beinahe neun Uhr, als Crocodile sein Handy vom Bett wieder auflas. Der Display zeigte ihm fünf entgangene Anrufe von seiner Schwester Hancock an. Crocodiles Daumen schwebte bereits über der grünen Hörertaste, als er sich in letzter Sekunde dazu entschied, doch nicht zurückzurufen. In drei Minuten begann die Besprechung mit seinem Chef und all den anderen wichtigen Teammitgliedern. Er hatte im Augenblick keine Zeit für ein Telefonat mit seiner Schwester. Und gerade am heutigen Tag konnte er es sich wirklich nicht leisten durch Unpünktlichkeit aufzufallen! Trotzdem kam Crocodile nicht umhin, sich Sorgen zu machen. Es war nicht typisch für Hancock, ihn mit Anrufen zu terrorisieren... Womöglich war irgendetwas Schlimmes passiert?! Ganz ruhig, redete Crocodile sich gut zu. Er legte das Handy zurück auf sein Bett und verließ das Hotelzimmer. Nicht überreagieren. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass es sich um einen Notfall handelt. Vielleicht hat sich einfach bloß herausgestellt, dass sie statt eines Mädchens doch einen Jungen bekommt oder so etwas in der Art. Crocodile schnaubte leise und verließ den Aufzug, der unten im Erdgeschoss angekommen war. Es würde Hancock ähnlich sehen, wegen solch einer Kleinigkeit sofort ihre Brüder erreichen zu wollen. Seit sie schwanger war, fand Crocodile, neigte sie dazu ständig überzureagieren. Vorgestern erst hatte seine Schwester ihn und Doflamingo angerufen, nur um ihnen beiden mitzuteilen, wann der errechnete Geburtstermin war. (Sein Verlobter hatte sich sehr dafür interessiert und fast eine Stunde lang mit ihr telefoniert, doch Crocodile konnte sich nicht einmal mehr genau an das genannte Datum erinnern. Er wusste bloß, dass es in ungefähr zwei Monaten soweit sein würde.) Zur Sicherheit werde ich sie anrufen, wenn ich das Meeting hinter mir habe, dachte Crocodile. Bestimmt ist nichts weiter passiert, aber ich werde sie trotzdem anrufen. Franky erwartete ihn bereits am Tisch. Das Gesicht seines Chefs zierte ein breites Lächeln, welches Crocodile unweigerlich mit Stolz erfüllte. Offenbar hatte Kiwi nicht übertrieben: Franky erweckte tatsächlich einen unfassbar begeisterten Eindruck. „Crocodile!“, rief er, kaum dass dieser das Lokal betreten hatte, und deutete auf den freien Sitzplan neben sich. Ich habe es geschafft, dachte Crocodile und ließ sich nieder. Ich habe es wirklich geschafft Es war als hätte man ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. Plötzlich kamen ihm seine Schulden sehr weit weg vor und auch die bevorstehende Hochzeit mit Doflamingo sah Crocodile nun in einem ganz anderen Licht. Sein Chef schien mit der Arbeit, die er geleistet hatte, überaus zufrieden zu sein; was bedeutete, dass Tom's Workers ihn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch mit der Koordination der nächstjährigen Messe beauftragen würde. Innerhalb kürzester Zeit könnte Crrocodile endlich seine Schulden tilgen - und zwar absolut restlos, bis auf den allerletzten Berry! Um ehrlich zu sein, konnte er sein Glück kaum fassen. Obwohl er keinen einzigen Schluck Alkohol getrunken hatte, fühlte Crocodile sich betrunken. Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Brustkorb aus. Endlich hatte die lange Zeit des Leidens und Lügens ein Ende gefunden. Endlich würde alles wieder so wie früher werden. „Liebe Kollegen und Kolleginnen“, sagte Franky und nahm einen großen Schluck Whiskey. „Ich muss zugeben, dass ich schwarz gesehen habe, nachdem Herr Iceburg, der unsere Messe viele Jahre lang sehr erfolgreich organisiert hat, so plötzlich von uns gegangen ist. Wo sollte ich bloß kurzfristig einen Ersatz hernehmen? Gab es überhaupt jemanden, der genug Erfahrungen und Kompetenzen mitbringt, um ein Event in dieser Größenordnung angemessen zu betreuen? Wenn ich ganz ehrlich bin, ging ich fest davon aus, dass die diesjährige Messe ein absolutes Desaster werden würde.“ Crocodile schaute unauffällig in ihre Runde und erblickte viele ernste Gesichter. Mozz nippte an ihrem Cocktail und Spandam, der für die Finanzen zuständig war, hatte den Blick gesenkt. „Dieser Fall ist zum Glück nicht eingetreten“, fuhr Franky fort und nun legte sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Eher handelt es sich um das Gegenteil: Ich darf euch, liebe Kollegen und Kolleginnen, mitteilen, dass wir im Vergleich zum Eröffnungstag des Vorjahres einen Besucheranstieg von sage und schreibe 28 Prozent für uns verbuchen konnten!“ Diese Verkündung hatte einen lauten und fröhlichen Jubel zur Folge. Crocodile, der im Augenblick einfach bloß unfassbar glücklich war, erhob er gemeinsam mit den Anderen sein Glas und stieß auf ihren Erfolg an. Als wieder Ruhe eingekehrt war, richtete Franky das Wort direkt an ihn: „Crocodile“, sagte er. „Ohne dich wäre dieses fantastische Ergebnis niemals möglich gewesen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass du uns gerettet hast. Und ich bin unendlich froh darüber, dass Robin uns beide miteinander bekannt gemacht hat. Du bist ein riesengroßer Gewinn für unsere Firma!“ Er klatschte in die Hände, und alle Kollegen und Kolleginnen, die mit am Tisch saßen, stimmten fröhlich in den Applaus mit ein. Und obwohl es sich bei Crocodile um einen sehr gefassten und professionellen Menschen handelte, spürte er wie sein Gesicht sich rot zu färben begann angesichts des lauten Beifalls seiner Arbeitskollegen und -kolleginnen. Damit hatte er nicht gerechnet gehabt. „Du übertreibst, Franky“, warf er rasch ein, weil ihm die Lobpreisungen allmählich unangenehm wurden. Natürlich freute Crocodile sich über positives Feedback, doch er hielt es für überzogen, dass man ihn behandelte wie einen Helden. Immerhin war er kein Feuerwehrmann, der ein Kind aus einem brennenden Haus gerettet hatte. Er hatte nur seinen Job erledigt; nicht mehr und nicht weniger. „Ich bin bloß Teil eines großen Teams. Wir haben diese Herausforderung gemeinsam gemeistert. Die Ehre gebührt nicht mir allein.“ „Du bist der Kopf unseres Teams“, widersprach Franky. „Ohne deinen Anteil an diesem Projekt hätten wir niemals einen solch sagenhaften Erfolg erzielt. Wir alle hier sind wirklich unfassbar stolz auf dich, Crocodile. Und wir sind sehr glücklich, dass du ein Teil von Tom's Workers bist.“ Das Rot auf seinen Wangen verfärbte sich dunkler. Weil Crocodile nicht so recht wusste, wie er reagieren sollte, nahm er einen großen Schluck Wein. Um ehrlich zu sein, konnte er gar nicht fassen, was gerade passierte. Er wusste bloß, dass er unglaublich glücklich war. Und stolz. Franky war noch nicht fertig. „Ich finde, dass du für deine Arbeit eine besondere Belohnung verdient hast“, sagte er. „Los, schließ deine Augen, Crocodile!“ „Was?“ Befangen ließ Crocodile seinen Blick durch die Runde schweifen. „Ernsthaft?“ „Klar!“, meinte Franky. Das breiteste Grinsen, das Crocodile je gesehen hatte, zierte sein Gesicht. „Los schon! Augen zu! Das ist eine Arbeitsanweisung!“ Verunsichert tat Crocodile wie ihm geheißen. Ein nervöses Kribbeln breitete sich ausgehend von seinem Bauch in seinem gesamten Körper aus. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, welche Art von Belohnung sein Chef sich für ihn ausgedacht hatte. Vielleicht einen teuren Wein, schoss es Crocodile durch den Kopf, oder sogar eine Urlaubsreise in die Karibik. „Augen aufmachen!“, hörte Crocodile das komplette Team brüllen. Das ist ein Traum! Crocodile riss die Augen weit auf und bedeckte den Mund mit seiner Hand. Das kann einfach nicht wahr sein. Das ist unmöglich! Vor ihm standen seine Arbeitskollegen und -kolleginnen, die ihren Chef Franky umringten. Gemeinsam hielten sie einen riesigen Check hoch. Weil die Sicht vor seinen Augen verschwamm, brauchte Crocodile drei Anläufe, um die Zahl auf dem Schriftstück zu erkennen. 50.000 Berry, las er. Doch obwohl er die Ziffern schwarz auf weiß vor sich sehen konnte, eine Fünf und vier Nullen genau nachzählen konnte, war er nicht dazu in der Lage zu begreifen, was gerade eben geschehen war. Es dauerte einige Minuten, bis die Realität zu Crocodile durchdrang. 50.000 Berry, dachte er und sein Brustkorb fühlte sich an als würde er jeden Augenblick vor Hitze und Glück explodieren. Ich habe einen Bonus in Höhe von 50.000 Berry bekommen! Sie hatten noch bis tief in die Nacht gefeiert. Es war halb vier Uhr morgens und Crocodile war sehr stark angetrunken, als er sich endlich auf den Weg zurück in sein Hotelzimmer machte. Noch immer konnte er sein Glück kaum fassen. Er fühlte sich so selig wie schon seit Monaten nicht mehr. Seine gute Laune wurde ein wenig getrübt, als er sein Handy erblickte, dass er auf dem Bett hatte liegen lassen. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen löste Crocodile die Tastensperre. Der Display zeigte ihm elf entgangene Anrufe von seiner Schwester Hancock und fünf entgangene Anrufe von Doflamingo an. Nach kurzem Zögern entschied Crocodile sich dazu, zuerst seinen Verlobten zurückzurufen. Ihn plagten Gewissensbisse, weil er Doflamingo doch versprochen hatte, dass dieser sich bei ihm melden dürfte, um von seinem Geschäftsessen mit Hogback zu berichten. Sein Partner ging nach dem zweiten Klingeln ran. „Hey, Doffy, tut mir leid“, begann Crocodile. „Ich bin leider eingeschlafen und...“ Doch sein Verlobter würgte ihn unwirsch ab. „Das ist jetzt nicht wichtig“, meinte er rasch. „Hast du schon von Hancock gehört?“ „Hancock?“ Crocodile konnte nicht verhindern, dass er sich automatisch Sorgen zu machen begann. „Nein, wie gesagt, ich habe ja bis gerade eben noch geschlafen. Was ist denn passiert? Ist sie verletzt? Oder... oder ist irgendetwas mit dem Baby nicht in Ordnung?“ „Dem Baby geht es gut“, versicherte Doflamingo ihm sofort. „Es geht um Luffy.“ „Luffy?“ Crocodile zog irritiert die Augenbrauen zusammen. „Hancocks Freund? Was ist mit ihm?“ „Er hat sie verlassen“, antwortete Doflamingo mit bedrückter Stimme. „Er lässt sie und ihr Baby einfach im Stich. Anscheinend hast du am Ende wohl Recht behalten, Crocodile: Es war keine gute Entscheidung von Hancock, sich auf einen Jungen einzulassen. Offenbar wird ihre Tochter ohne Vater aufwachsen müssen.“ bye sb Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)