Mesh Of Lies von kleines-sama (DoflamingoxCrocodile (AU)) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 1 (zensiert) ------------------------------- Crocodile fühlte sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Er bemühte sich um einen selbstsicheren und gefassten Gesichtsausdruck, der ihm jedoch nicht allzu gut gelang. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, womit er gerade konfrontiert wurde. „... im Namen des Unternehmens wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle“, beendete Sengoku schließlich seinen Monolog. Crocodile arbeitete als Manager in einer der erfolgreichsten Banken des Landes. Obwohl, halt, nein, diese Aussage stimmte ja jetzt nicht mehr. Er hatte als Manager in einer der erfolgreichsten Banken des Landes gearbeitet. Jetzt war er arbeitslos. Eine Tatsache, die nur sehr langsam bis zu Crocodile durchdrang. Vor allen Dingen, weil er überhaupt nicht damit gerechnet hatte, gekündigt zu werden. Natürlich hatte ihm bereits Böses vorgeschwebt, als Sengoku ihm nach dem heutigen Meeting zu einem Gespräch unter vier Augen in sein Büro gebeten hatte. Und natürlich war er sich dessen bewusst, dass die letzten beiden Monate für die Bank sehr schwierig gewesen waren; und dass er verantwortlich dafür war. Beinahe die Hälfte der Mitarbeiter in seiner Abteilung mussten deswegen entlassen werden. Aber, verdammt nochmal, Fehler passierten jedem mal, sogar dem Allerbesten. Und er hatte sich bereits darum bemüht, den Schaden so klein wie irgendwie möglich zu halten. Ihn zu kündigen, fand Crocodile, nützte der Bank überhaupt nichts. Dadurch würde der finanzielle Schaden, den er verursacht hatte, auch nicht rückgängig gemacht werden. Ganz im Gegenteil: Mit ihm verlor die Bank einen ihrer kompetentesten Mitarbeiter. Er verlor jede Möglichkeit, den Fehler wiedergutzumachen. Bei dieser Kündigung handelte es sich nicht um eine vernünftige und notwendige Entscheidung. Sondern um eine Bestrafung. Eine Lektion, die man ihm erteilte. Crocodile presste seine Zähne aufeinander. Sengoku hatte ihn niemals leiden können, was seit jeher auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Und jetzt nutzte sein Vorgesetzter die erstbeste Gelegenheit, um ihm sein Versagen unter die Nase zu reiben und ihn loszuwerden. Als Crocodile dies begriff, wich die Fassungslosigkeit, die eben über ihn hereingebrochen war wie eine Tsunamiwelle, heißer Wut. Dieser verdammte Bastard! Sengoku, der immer so verständnisvoll und freundlich wirkte, war doch in Wirklichkeit eine hinterlistige Schlange. Crocodile hatte es immer gewusst! Und nun kam die Wahrheit ans Licht. Als sein Gegenüber noch immer nichts sagte -außer durch Lippen aufeinander pressen und Hand zur Faust ballen überhaupt nicht auf das Gesagte reagierte-, fügte Sengoku noch hinzu: „Die schriftliche Kündigung lassen wir Ihnen per Post zukommen. Selbstverständlich respektieren wir Ihr Recht auf eine achtwöchige Kündigungsfrist. Allerdings steht Ihnen keinerlei Abfindung zu, da es sich nicht um eine betriebsbedingte Kündigung handelt.“ Einen Moment lang zögerte er noch, dann meinte er: „Nehmen Sie das bitte nicht so schwer, Sir Crocodile. Ich bin mir sicher, dass ein Mann mit Ihren Qualifikationen sehr schnell eine neue Anstellung finden wird.“ Er stand von seinem mit Leder überzogenen Drehstuhl auf und beugte sich über seinen großen Schreibtisch aus Mahagoni, um Crocodile die Hand zu schütteln, ehe er ihn dann seines Büros verweisen würde. Crocodile stand ebenfalls auf, ignorierte jedoch die Hand, die Sengoku ihm hinhielt. Es ging ihm nicht nur darum, dass er gekündigt worden war. Sondern auch darum, auf welche Art und Weise Sengoku mit ihm umging. Er behandelte ihn wie einen dummen Schuljungen, dessen Praktikum frühzeitig beendet wurde, weil er selbst für die simpelsten Aufgaben zu untalentiert war. Crocodile fühlte sich beleidigt und herabgesetzt. Er war ein Manager einer der erfolgreichsten Banken des ganzen Landes, verdammt nochmal, er ging jeden Monat mit einem vierstelligen Gehaltscheck nach Hause! Und ein solch hinterhältiges Verhalten würde er nicht tolerieren! „Wenn Sie mich kündigen wollen“, erwiderte Crocodile schließlich, „gut, fein, dann ist das Ihre Sache. Aber tun Sie nicht so, Sengoku, als würden Sie es bedauern, dass ich gehe. Einen auf Verständnisvoll können sie von mir aus bei den Idioten machen, die schon seit Jahrzehnten bei Ihnen arbeiten und Ihnen diesen Mist tatsächlich abkaufen; aber halten Sie mich gefälligst nicht für einen solchen Idioten. Sie sind ein verdammter Bastard, Sengoku, das wusste ich schon, als ich Sie das erste Mal gesehen habe. Und dass ich gekündigt werde, hat wenigstens den Vorteil, dass ich nicht mehr ständig in Ihre Scheiß-Fresse schauen muss.“ Nachdem er das gesagt hatte, drehte Crocodile sich um und legte sich seinen Mantel, den er über die Stuhllehne gehangen hatte, über die Schultern. Auf dem Weg zur Tür zeigte er Sengoku seinen Mittelfinger, ehe er -ohne sich noch einmal umzusehen- aus dem Büro seines ehemaligen Vorgesetzten verschwand. * Crocodile verließ das Gelände der Bank und zündete sich eine Zigarre an. Noch immer war er furchtbar wütend und fühlte sich -wenn er ganz ehrlich war- sehr verletzt. Er hatte mit einer Rüge gerechnet, Zwangsurlaub, einer Gehaltskürzung - aber nicht mit einer Kündigung. Nachdem er seine Zigarre aufgeraucht hatte, beschloss Crocodile, dass er den heutigen Arbeitstag nicht zu Ende führen würde. Dazu war er, anbetracht seiner emotionalen Lage, definitiv nicht mehr in der Lage. Außerdem wollte er Sengoku nicht noch einmal über den Weg laufen. Crocodile war nicht feige; und er schämte sich auch nicht, weil er seinen ehemaligen Vorgesetzten so derbe beleidigt hatte - er wollte lediglich vermeiden, dass Sengoku womöglich mitbekam, wie sehr ihn diese Kündigung tatsächlich mitnahm. Crocodile ging zu seinem Auto hinüber, einem Mercedes C 216 Coupè. Der Wagen war brandneu und hatte etwa 100.000 Berry gekostet. Er stand auf dem eigens für ihn reservierten Parkplatz auf dem Privatgelände der Bank. Rechts daneben stand der Wagen von Sengoku, links der von Akainu. Sengoku fuhr einen BMW M6 Gran Coupè; Akainu einen Cadillac CTS-V Coupé. Unwirsch öffnete Crocodile die Tür und stieg in sein Auto ein. Auf dem Weg nach Hause hielt Crocodile bei irgendeinem x-beliebigen Supermarkt. Er kaufte sich ein paar Flaschen Schnaps und Wodka. Zuhause trank er nämlich eigentlich nur Wein. * Kaum war Crocodile über die Türschwelle in seine Loft-Wohnung getreten, wurde ihm das volle Ausmaß seiner jetzigen Situation klar. Wehleidig ließ er seinen Blick über die Wohnung und ihre Einrichtung schweifen: den teuren Parkettboden, die hochwertige Küche, die nach seinem Wunsch angefertigten Möbel, den Whirlpool... All diese und noch weitere Dinge, die sich über die 250 Quadratmeter erstreckten, hatte er noch nicht abbezahlt. Genauso wie sein Auto. Er arbeitete erst seit etwa zwei Jahren für die Bank und hatte fest damit gerechnet, für noch mindestens zehn oder fünfzehn Jahre dort angestellt zu bleiben. Mehr als genug Zeit, um die teuren Luxusgüter zu bezahlen, hatte er geglaubt. Nun, daraus würde nun nichts mehr werden. Er konnte seine zweimonatige Kündigungsfrist wahrnehmen, aber danach würde er sich nach einer neuen Arbeit umsehen müssen. Falls er denn überhaupt ein Unternehmen fand, das ihn als Manager haben wollte. Zwar stellte sich die gute Bezahlung für üblich ganz von selbst ein, zumindest wenn man für ein oberklassiges Unternehmen arbeitete, doch erst einmal eine vernünftige Anstellung zu finden, stellte die allergrößte Hürde dar. Vor allen Dingen in der derzeitigen Wirtschaftslage! Crocodile ging ins Wohnzimmer hinüber und ließ sich auf die teure, noch nicht abbezahlte Ledercouch sinken. Die Tüte, in der sich der eingekaufte Alkohol befand, nahm er mit und stellte sie neben sich auf der Sitzfläche der Couch ab. Schreckliche Vorstellungen brachen über ihn herein. Was würde geschehen, wenn er auf Anhieb keine neue Arbeit finden würde? Dann könnte er seine Kredite nicht mehr bezahlen. Seine Wohnung sowieso nicht, die zum Glück allerdings bloß gemietet war. Gerichtsvollzieher würden kommen und ihm seine Möbel und seinen Schmuck wegnehmen, sein Auto auch, damit diese Sachen verkauft und der Erlös an seine Gläubiger gezahlt werden könnte. Er würde in eine winzige, vom Staat bezahlte Wohnung ziehen müssen. Im Supermarkt mit Lebensmittelmarken bezahlen. Die Kleidung im Discounter kaufen. Womöglich würde er sogar im Obdachlosenheim landen... Bei diesem Gedanken lief Crocodile ein eiskalter Schauer über den Rücken. Mit zittrigen Händen öffnete er den Verschluss der Schnapsflasche, die er aus der Einkaufstasche fischte, und nahm zwei große Schlücke von dem hochprozentigen Alkohol. Kaum spürte er, wie die Flüssigkeit in seiner Kehle brannte, fühlte er sich gleich ein wenig besser. Er ermahnte sich dazu, Ruhe zu bewahren. Natürlich war er nach dem Gespräch mit Sengoku ein wenig in Panik geraten. Das wäre jeder, wenn er seine Arbeit unerwartet verloren hätte. Doch jetzt ging es darum, realistisch zu bleiben! Im Obdachlosenheim würde er mit Sicherheit nicht enden! Crocodile trank ein paar weitere Schlücke. Heute war Freitag; er musste erst am Montag wieder zur Arbeit erscheinen. Heute Abend würde er sich eine Auszeit nehmen, entschied Crocodile. Er würde ein wenig Alkohol trinken und fernsehen oder ein Buch lesen. Er brauchte ein wenig Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, gekündigt worden zu sein. Morgen würde er sich dann ganz genau mit seinen Finanzen beschäftigen. Nachlesen, welche Dinge er inwieweit bereits bezahlt oder eine Anzahlung geleistet hatte und was noch völlig offenstand. Dann würde er würde er sich mit seinem Kontostand und den drei Gehaltschecks, die er dank seiner Kündigungsfrist noch bekommen würde, auseinandersetzen. Es war wichtig und unumgänglich, dass er ein realistisches Bild von seiner finanziellen Situation erhielt. Vielleicht war ja doch alles gar nicht so schlimm wie er dachte. Crocodile lehnte sich zurück und trank einen weiteren Schluck Schnaps. Er würde gleich zum nächsten Monat hin ausziehen und sich eine kleinere und preisgünstigere Wohnung suchen, dann müsste er zumindest nicht mehr die hohe Miete für die Loft-Wohnung aufbringen. Vielleicht könnte er sogar mit dem Vermieter absprechen, dass dieser seine Küche übernahm und ihm abkaufte. Dann hätte er zumindest zwei Probleme weniger. Na also, dachte sich Crocodile und schaltete den Fernseher ein. Es war doch alles nur halb so schlimm. Er würde sich einschränken müssen, natürlich. Er würde in eine kleinere Wohnung ziehen müssen, seine neue Küche aufgeben müssen, womöglich sogar seinen brandneuen Mercedes verkaufen müssen - doch das waren Dinge, mit denen er leben könnte, wenn es eben nicht anders ging. Irgendwann würden wieder bessere Zeiten kommen und dann würde er sich erneut jeden erdenklichen Luxus leisten können. So langsam beruhigte Crocodile sich wieder. Nun, er würde für ein paar Jahre das Leben eines mittelklassigen Menschen führen müssen, ohne Loft-Wohnung, ohne Mercedes CL-Klasse, ohne Whirlpool und ohne maßgeschneiderte Anzüge, aber das würde er durchstehen. Er seufzte und trank den letzten Schluck Schnaps aus der Flasche. Crocodile ging in die Küche hinüber und holte sich ein großes Glas sowie eine Flasche Orangensaft. Danach ließ er sich erneut auf der Couch nieder, legte die Füße hoch und zappte wahllos durch die Kanäle. Als das Glas Wodka-Orange, das er sich gemixt hatte, leer getrunken war, fühlte Crocodile sich beinahe wieder völlig ruhig und gelassen. Bis ihm Donquixote Doflamingo einfiel. Das leere Glas, das Crocodile noch in der Hand gehalten hatte, zerplatzte in dutzende Scherben, die auf der Ledercouch und dem Parkettboden landeten. Donquixote Doflamingo war der Mann, mit dem er seit etwa sechs Monaten in einer Beziehung war. Einer Liebesbeziehung. Die meisten Leute reagierten sehr verwundert, sogar schockiert, wenn sie erfuhren, dass Sir Crocodile nicht an Frauen interessiert war. Wenn sie an das Wort Homosexualität dachten, kamen ihnen langhaarige Männer in den Sinn, die schrille Kleidung trugen, sich schminkten und geschwollen redeten. Ganz zu schweigen von Dingen wie Sex auf öffentlichen Toiletten und Aids. Nun, keines dieser Vorurteile traf auf Crocodile zu (außer vielleicht die Sache mit dem Haar. Seine Haare, die er stets zurückgekämmt trug, ließ er bis fast zu den Schultern wachsen, ehe er wieder zum Friseur ging.) In seinem Leben hatte er bereits mehrere feste Beziehungen geführt, von denen die längste fünf Jahre lang gehalten hatte. Sein letzter Partner war Smoker gewesen, ein Polizist, von dem er sich vor drei Jahren getrennt hatte. Ihre Beziehung hatte etwa eineinhalb Jahre lang gehalten. Sein jetziger Exfreund hatte sich jedoch immer weiter von ihm distanziert, je ernster es wurde, bis es Crocodile irgendwann zu viel geworden war und er die Beziehung beendet hatte. Worüber Smoker nicht allzu unglücklich gewesen zu sein schien. Doflamingo hatte er vor ein wenig mehr als einem halben Jahr bei einem Geschäftsessen kennengelernt. Er war ein wichtiger Kunde der Bank, die ihm heute gekündigt hatte. Der Mann, der fünf Jahre jünger war als er, war sofort begeistert von Crocodile gewesen und hatte aus seiner Zuneigung kein Geheimnis gemacht. Zuerst hatte Crocodile sich ein wenig überrannt gefühlt und war sehr verunsichert gewesen. Er war zu diesem Zeitpunkt zwar bereits seit längerem wieder single gewesen, sich allerdings trotzdem nicht sicher, ob er Lust auf eine neue Beziehung hatte. Vor allen Dingen mit einem Mann wie Donquixote Doflamingo. Sein Partner legte nämlich ein überaus exzentrisches Verhalten an den Tag, was genauso für dessen Garderobe galt. Jedenfalls war er nach ein paar Wochen, in denen Doflamingo einfach nicht von ihm abgelassen hatte, schließlich auf dessen Avancen eingegangen und hatte sich zu einem Date überreden lassen. Auf dieses erste Date war rasch ein zweites gefolgt, danach ein drittes, und ehe er sich versehen hatte, war aus der zufälligen Bekanntschaft eine Liebesbeziehung geworden. Während Crocodile sich bückte, um die größeren Scherben aufzusammeln (was mit einer Hand gar nicht so einfach war wie es aussah), fragte er sich, wie sein Partner wohl auf seine jetzige Situation reagieren würde. Doflamingo hatte ihn als einen neureichen und erfolgreichen Manager kennengelernt, der viel Wert auf eine exquisite Lebensqualität legte und ein schnelles Auto fuhr. Crocodile hielt seinen Partner nicht für so oberflächlich, dass er sich aus diesem Grund von ihm trennen würde, doch er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Doflamingo allzu begeistert sein würde, wenn sein Freund in eine günstigere Wohnung ziehen und den Mercedes CL-Klasse gegen einen Mittelklasse-Wagen eintauschen müsste. Crocodile richtete sich auf, ging in die Küche hinüber und warf die Glasscherben in den Mülleimer. Sie waren erst seit sechs Monaten ein Paar. Das war noch nicht sonderlich lange, fand Crocodile und fragte sich, ob ihre Beziehung einen solchen Schlag aushalten würde. Nachdem er das Wohnzimmer staubgesaugt und sich ein neues Glas Wodka-Orange besorgt hatte, beschloss Crocodile, Doflamingo erst einmal nichts von der Kündigung zu erzählen. Er wollte ihre Beziehung noch nicht mit so einem großen Problem belasten, nicht nach zarten sechs Monaten. Und wer wusste denn, ob sich seine Probleme womöglich doch noch relativ schnell lösen ließen? Vielleicht fand er ja gleich auf Anhieb eine neue Einstellung und Doflamingo würde niemals von der ganzen Sache erfahren? Das war ein sehr optimistischer Gedanke, doch Crocodile klammerte sich verzweifelt an jeden Strohhalm, den er zu fassen bekam. * Der nächste Tag war ein Samstag und Crocodile schlief bis in den Nachmittag hinein. Er hatte viel Alkohol getrunken und die Sorgen hatten ihn lange wachgehalten. Als er schließlich aufstand, ging er als erstes in die Küche hinüber und trank fast einen ganzen Liter stilles Mineralwasser, um gegen den schlimmen Kater, der sich pochend in seinem Kopf breitmachte, anzukämpfen. Danach duschte er kurz. Heute Abend wollte Doflamingo vorbeikommen, das hatten sie bereits am Anfang der Woche ausgemacht. Gegen achtzehn Uhr hatte sich sein Freund angekündigt, erinnerte Crocodile sich, was bedeutete, dass dieser wahrscheinlich nicht vor neunzehn Uhr auftauchen würde. Doflamingo kam nämlich immer und zu jeder Gelegenheit zu spät. Sogar bei dem Geschäftsessen, an dem sie sich kennengelernt hatten, war er über eine halbe Stunde zu spät gekommen. Normalerweise verabscheute Crocodile, der seinerseits ein überaus genauer und pedantischer Mensch war, Unpünktlichkeit; heute jedoch begrüßte er diesen Umstand. Denn schließlich hatte er sich vorgenommen, seine finanzielle Situation zu sichten. Und wenn er bedachte, für wie viele verschiedene Dinge er Kredite aufgenommen oder auf eine Ratenzahlung bestanden hatte, dann konnte er sich sicher sein, dass er allein dafür sicherlich mindestens zwei oder drei Stunden veranschlagen konnte. Mit einem weiteren Liter stillem Mineralwasser gewappnet (er hatte einen sehr empfindlichen Magen und vertrug darum unter Anderem keine koffeinhaltigen Getränke wie Kaffee) setzte Crocodile sich also an den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und verbrachte die nächsten zweieinhalb Stunden damit Kontoauszüge, Verträge, Briefe und allerhand andere Dokumente zu überfliegen. Es war fünf Minuten vor achtzehn Uhr, als er schließlich zu einem vorläufigen Ergebnis kam. Wenn er die noch nicht abbezahlten Möbel, die Küche, den Mercedes C 216 sowie die Miete für den nächsten Monat zusammenrechnete und die Zinsen für die Kredite addierte, dann kam er auf insgesamt 550.550 Berry Schulden. Crocodile schrieb diese Zahl auf ein Blatt Papier, unterstrich sie doppelt und kreiste sie dann ein. „Mehr als eine halbe Million Berry“, flüsterte er verzweifelt und ließ dann den teuren Kugelschreiber auf den Schreibtisch fallen. „Fünfhundertfünzigtausendfünfhundertfünzig Berry Schulden.“ Wie sollte er diese gewaltige Summe nur aufbringen? Er bekam dank seiner Kündigungsfrist bloß noch drei Gehaltschecks vor seiner endgültigen Entlassung. Und selbst wenn er alles Geld, das er von der Bank noch bekommen würde, aufwendete, wären vielleicht gerade einmal die Hälfte der Schulden getilgt. Crocodile schluckte hart und begann wieder zu rechnen. Sein Mercedes C 216 war brandneu und hatte etwa 100.000 Berry gekostet, machte also allein bereits fast ein Fünftel der Schulden aus. Wenn er ihn verkaufte, bekäme er dafür vielleicht um die 70.000 oder 80.000 Berry. Die Küche in seiner Loft-Wohnung hatte neu 30.000 Berry gekostet. Wenn er den Vermieter dazu überreden könnte, sie zu übernehmen, bekäme er dafür vielleicht um die 20.000 oder 25.000 Berry. Wenn man diese Beträge abbrechnete, dann hatte er (bestenfalls) nur noch … 445.550 Berry Schulden. „Vierhundertfünfundvierzigausendfünfhundertfünzig Berry.“ Crocodile schlug die Arme über den Kopf zusammen. 445.550 Berry klang nicht viel besser als 550.550 Berry. Und in dieser Rechnung hatte er bereits sowohl sein neues Auto als auch seine neue Küche verkauft! „Wohin soll das nur führen?“, fragte Crocodile sich selbst und spürte, dass Verzweiflung sich in seinem Körper ausbreitete. „Im schlimmsten Fall lande ich wohl doch noch in einer Sozialwohnung.“ Das laute Geräusch der Türklingel riss Crocodile aus seinen Gedanken und ließ ihn aufschrecken. Für einen Moment konnte er es gar nicht einordnen, dann erinnerte er sich an seine Verabredung mit Doflamingo und warf verwundert einen Blick auf die Uhr (1.000 Berry hatte er für die blöde Uhr ausgegeben, schoss ihm durch den Kopf), die zehn Minuten nach sechs Uhr anzeigte. Crocodile seufzte ein wenig enttäuscht auf und ging in den Flur hinüber, um Doflamingo die Türe zu öffnen. Seit Beginn ihrer Beziehung war sein Partner niemals weniger als eine halbe Stunde zu spät gekommen. Unter anderen Umständen hätte Crocodile sich über diese Verhaltensverbesserung sehr gefreut, doch heute ärgerte er sich ein wenig darüber. Er hatte gehofft, noch ein oder zwei Gläser Wein trinken zu können, ehe er sich mit seinem Freund auseinandersetzen musste. Doflamingo kam eilig die Treppe in den ersten Stock hoch gelaufen und stürmte Crocodile in die Arme, kaum hatte dieser die Wohnungstüre für ihn geöffnet. „Wani!“, trällerte sein Partner gut gelaunt, während sie hineingingen und Crocodile die Türe hinter ihnen schloss. Kaum hatte Doflamingo den ersten Schritt in seiner Wohnung getan, spürte Crocodile, wie sich sein Magen verkrampfte und sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete. Bis vor fünf Minuten war es ihm den Umständen entsprechend eigentlich recht gut gegangen, doch nun fühlte er sich plötzlich schrecklich elend. Er spürte, dass Doflamingo ihm unter seiner Sonnenbrille einen besorgten und misstrauischen Blick zuwarf. „Ist alles okay mit dir, Croco? Macht dir dein Magen wieder zu schaffen?“ Crocodile schüttelte den Kopf. War er so leicht zu durchschauen? Um ehrlich zu sein hatte er nicht damit gerechnet, dass sein Partner spüren würde, dass etwas nicht in Ordnung war, noch ehe er auch nur ein Wort gesagt hatte. Allem Anschein nach konnte Doflamingo in ihm lesen wie in einem offenen Buch. Trotzdem schüttelte Crocodile den Kopf und ging ins Wohnzimmer hinüber. „Es ist alles in Ordnung“, sagte er, ohne dass Doflamingo sein Gesicht sehen konnte, „ich war nur bis gerade eben noch im Arbeitszimmer beschäftigt.“ Und um das Thema zu wechseln, fügte er hinzu: „Eigentlich habe ich erst gegen sieben mit dir gerechnet.“ Doflamingo, der neben ihm auf der Couch saß, blies seine Backen auf und schob die Unterlippe hervor. „Für so unzuverlässig hältst du mich also, ja?“ Trotz des Knotens in seinem Magen und dem Kloß in seinem Hals konnte Crocodile ein leises Lachen nicht unterdrücken. Es war wirklich unglaublich, wie schnell Doflamingo es schaffte, seine Laune zu verbessern und ihn von seinen Sorgen abzulenken. „Jetzt tu doch nicht gespielt beleidigt“, erwiderte er und stupste mit seinem Fuß (Zuhause trug er nie Schuhe) gegen Doflamingos Schienbein, „du weißt selber genau, dass du immer unpünktlich bist.“ „Nicht immer“, konterte Doflamingo und rückte ein wenig näher zu ihm heran, „bei unseren ersten Date bin ich pünktlich gewesen. Und beim zweiten auch.“ „Beim zweiten bist du fünf Minuten zu spät gekommen“, korrigierte Crocodile ihn, „und an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, sogar mehr als eine halbe Stunde.“ „Ja, ich erinnere mich, du hast Recht“, gab Doflamingo zu und beugte sich zu ihm hinunter, „aber zu dem Zeitpunkt habe ich ja auch noch nicht gewusst habe, wen ich bei diesem Geschäftsessen kennenlernen würde. Hätte ich vorher gewusst, dass ich auf dich treffen würde, wäre ich mit Sicherheit pünktlich gekommen. Vielleicht sogar ein bisschen zu früh.“ Und mit diesen Worten legte Doflamingo ihm einen Arm um die Taille und drückte ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Crocodile schloss seine Augen und ließ sich auf den Kuss ein. Er spürte Doflamingos Zunge in seinem Mund. An seiner eigenen Zunge, an seinen Lippen, seinen Zähnen. Eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen, als er merkte, dass er in den Kuss hineinstöhnte. Es war ein sehr leises Geräusch, doch Crocodile war sich sicher, dass Doflamingo es gehört hatte. Er spürte, wie der Griff um seine Taille fester wurde. „Wir haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen“, meinte Doflamingo, als sie den Kuss beendet hatten. Ihr letztes Treffen war am Montagnachmittag gewesen; das war noch nicht einmal eine Woche her, doch Crocodile machte sich nicht die Mühe Doflamingo zu berichtigen. Stattdessen nickte er bloß benommen. Er fühlte sich gerade sehr wohl. Hier, in Doflamingos Armen und nach ihrem berauschenden Kuss, kamen ihm seine Kündigung und seine Schulden sehr weit weg vor. [zensiert] Nach dem Sex gingen sie nicht sofort auseinander. Stattdessen lagen sie noch für eine Weile nebeneinander, genossen die Nähe zum jeweils anderen und versuchten ihren Atem zu normalisieren. Irgendwann richtete Crocodile sich auf, nahm sich ein Taschentuch zur Hand und wischte das Sperma weg, das sich auf der Sitzfläche der Ledercouch und dem Inneren seiner Oberschenkel befand. Er fühlte sich noch immer recht benommen und ließ sich mit geschlossenen Augen zurück auf die Couch sinken. Der Sex hatte ihm richtig gut getan. Jetzt fühlte er sich tatsächlich viel entspannter und ruhiger. Vielleicht würde es ja doch noch ein schöner Abend werden, dachte er. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend ausgehen?“, riss Doflamingos Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Wir könnten schick essen gehen oder sowas.“ Und auf einen Schlag waren alle Sorgen und Ängste von Crocodile zurückgekehrt. Er dachte an seine Kündigung und die Kündigungsfrist von schlappen zwei Monaten; an die vielen Schulden und Kredite, die er nicht bezahlen konnte; an seine Wohnung, die er aufgeben und seinen Mercedes, den er verkaufen musste. Crocodile schluckte hart. Wenn sie ausgingen, bezahlten sie immer getrennt. Darauf hatte Crocodile stets bestanden, auch wenn sein Partner anbot ihn einzuladen. Er fühlte sich unangenehm bei dem Gedanken, dass jemand anderes für ihn bezahlte. Sie waren in ihrer Beziehung bereits oft zusammen essen gegangen; schließlich hatten sie sich bei einem Geschäftsessen sogar kennengelernt. Doflamingo würde mit Sicherheit keine billige Gaststätte, sondern ein echtes Oberklasse-Restaurant im Visier haben. Vielleicht sogar das Baratie, das edelste Lokal in der ganzen Stadt. Dort waren selbst die Vorspeisen so teuer, dass eine dreiköpfige Familie für denselben Preis in einem anderen Restaurant ein komplettes Fünf-Gänge-Menü inklusive Getränke bekommen würde. So viel Geld konnte er nicht aufbringen. Nicht jetzt, wo er eigentlich lieber jeden Berry, den er zwischen die Finger bekam, nutzen sollte, um seine Schulden zu bezahlen. Crocodile schluckte und hustete kurz. Er schämte sich dieser Tatsache. Es war sehr lange her, seit er sich das letzte Mal aus finanziellen Gründen irgendetwas nicht hatte leisten können. In den letzten Jahren hatte er schließlich in großem Luxus gelebt. Wohlverdientem Luxus, immerhin arbeitete er sehr hart für sein Geld, doch das änderte nichts an der Situation, in der Crocodile sich jetzt gerade befand. „Wie kommst du denn plötzlich darauf?“, fragte er ausweichend, während er in seine Hose schlüpfte. „Wir haben fast halb acht abends. Ohne Reservierung bekommen wir so spät doch bestimmt keinen Tisch mehr.“ Doflamingo winkte ab. Er saß noch immer splitternackt auf der Couch und sah Crocodile aus seinen stechenden Augen heraus dabei zu, wie er seine Socken zusammensuchte. Crocodile wünschte sich, Doflamingo würde seine Sonnenbrille wieder aufsetzen. Sein Partner nahm sie normalerweise nur zum Sex ab und setzte sie sich nach dem Akt sofort wieder auf. Der stechende Blick in seinen grünen Augen gab Crocodile das unangenehme Gefühl geröntgt zu werden. Plötzlich musste er daran denken, dass Doflamingo sofort erkannt hatte, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmte, noch ehe er auch nur ein Wort zu ihm gesagt hatte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Crocodiles Magen aus und er legte sich kurz die Hand auf den Bauch, ehe er in sein Hemd schlüpfte. „So langsam müsstest du doch wissen, dass sowas kein Problem für mich ist, Wani“, meinte Doflamingo und griff zu Crocodiles Erleichterung endlich nach seiner Sonnenbrille. „Ich kriege überall einen Tisch und zwar zu jeder Stunde.“ Er lachte leise und selbstgefällig. Das stimmte sogar, musste Crocodile unwillig zugeben. Donquixote Doflamingo war eine sehr wichtige und bekannte Persönlichkeit. Er besaß mehrere überaus erfolgreiche Firmen und hatte überall seine Kontakte. Selbst wenn er an Tagen wie Weihnachten oder Silvester spontan beschließen würde, dass er gerne am besten Tisch in bestem Lokal der Stadt speisen würde, würde er diesen Tisch bekommen. Doflamingo bekam alles, was er wollte. In Zahlen ausgedrückt war er bestimmt mindestens einhundert mal reicher als Crocodile es zu seiner besten Zeit gewesen war. „Ich habe heute Abend keine Lust auszugehen“, gab Crocodile schließlich zu und kreuzte die Arme vor dem Oberkörper. Er wollte Doflamingo nicht die Wahrheit sagen. Am liebsten würde er das niemals tun, aber wenn er es jemals tun musste, dann zumindest nicht an ihrem ersten Treffen nach seiner Kündigung. Gerade wollte Crocodile aufstehen, um unter irgendeinem Vorwand das Wohnzimmer zu verlassen und Doflamingos Sichtfeld entkommen, als dieser ihm am Handgelenk festhielt. „Ich will mir eine Flasche Wasser aus der Küche holen“, erklärte Crocodile sich, was seinen Partner allerdings nicht im mindesten zu interessieren schien. Stattdessen sagte er: „Du kannst mir ruhig sagen, was los ist, Crocodile.“ Crocodile schluckte. Doflamingo benutzte nur in absoluten Ausnahmesituationen seinen richtigen Vornamen. Hatte er etwa irgendwie von seiner Kündigung erfahren? Aber er war doch erst gestern gekündigt worden! Crocodile begann ein wenig zu zittern. Ein sehr untypisches Verhalten. Normalerweise zitterte er nie. „Schon als ich dich im Türrahmen habe stehen sehen, wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und jetzt reagierst du so seltsam ausweichend auf die Frage, ob wir ausgehen wollen. Warum bist du denn nicht ehrlich zu mir?“ Crocodile versuchte das Zittern zu unterdrücken und biss die Zähne zusammen. Allem Anschein nach wusste Doflamingo von seiner Kündigung. (Wenn auch nicht unbedingt von seinen Schulden in Höhe von einer halben Million Berry.) Und er ging damit sehr verständnisvoll um. Zumindest klang seine Stimme sanft. Crocodile hatte nicht damit gerechnet, dass sein Partner so ruhig und gelassen auf seine neue finanzielle Situation reagieren würde. „Ich habe es schon die ganze Zeit geahnt: Dein Magen macht dir wieder große Probleme, nicht? Deswegen möchtest du nicht essen gehen“, sagte Doflamingo. „Hast du Schmerzen?“ Weil Crocodile sich wie betäubt fühlte und nicht wusste, was er sonst tun sollte, erwiderte er: „Mit meinem Magen ist alles in Ordnung. Mir geht’s gut.“ „Red doch keinen Unsinn! Ich merke doch, dass du dich die ganze Zeit schon unwohl fühlst!“ Doflamingos Stimme klang ungemein vorwurfsvoll. Crocodile war völlig überfordert. Er hatte fest damit gerechnet, dass Doflamingo hinter sein Geheimnis gekommen war. Wenn er ganz ehrlich war, dann hätte er sich sogar erleichtert gefühlt. Schließlich hatte die Stimme seines Partners nicht im mindesten schockiert oder aufgebracht geklungen. Crocodile wünschte sich, Doflamingo hätte wirklich Bescheid gewusst. Denn eigentlich fühlte er sich nicht wohl dabei, ihn anzulügen. Aber was blieb ihm nun anderes übrig? Doflamingo hatte den falschen Schluss gezogen. Er wusste doch nichts von seiner Kündigung und seinen Schulden. Crocodile schluckte hart. Und einen Moment später beschloss er auf den fahrenden Zug aufzuspringen. „Du hast ja Recht“, sagte Crocodile und wich Doflamingos Blick aus. „Ich habe gestern in meiner Mittagspause aus Versehen ein Gericht mit Curry gegessen. Seitdem spielt mein Magen völlig verrückt. Anfangs habe ich gar nichts anderes außer gedünstetes Gemüse und stilles Wasser runter bekommen.“ Es überraschte Crocodile selbst wie leicht ihm diese faustdicke Lüge über die Lippen kam. Um sein Glück allerdings nicht zu überstrapazieren, fügte er noch hinzu: „Inzwischen geht es mir aber wieder ganz gut. Ich habe auch keine schlimmen Schmerzen oder so etwas. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.“ Doflamingo rückte nah an ihn heran und küsste ihn. „Ich mache mir aber Sorgen! Du solltest deswegen wirklich mal zum Arzt gehen! Ich hoffe nicht, dass es eine ernste Krankheit ist; aber wenn das der Fall sein sollte, ist es besser das so früh wie möglich zu wissen. Vielleicht lässt sich dagegen ja auch was machen.“ Crocodile rollte mit den Augen. „Ob du es glaubst oder nicht“, erwiderte er ein wenig schärfer als beabsichtigt, „aber auf diese Idee bin ich auch schon gekommen. Ich habe mich bereits vor vielen Jahren untersuchen lassen. Es ist keine Krankheit oder so etwas. Mein Magen ist einfach sehr, sehr empfindlich. Das ist schon immer so gewesen, seit ich zurückdenken kann. Aber dagegen kann man nichts machen.“ Crocodile zuckte mit den Schultern. Er hatte diesen Makel niemals als sonderlich störend empfunden. Vor allem, weil er wusste, wie er damit umzugehen hatte. „Für mich ist das auch kein Problem. Ich weiß ja genau, welche Lebensmittel ich essen darf und auf welche ich lieber verzichten sollte. Und wenn es mir doch mal passiert, dass ich etwas esse, was mein Magen nicht verträgt, dann ist das auch keine große Sache. Es ist zwar unangenehm, aber ich muss dann ja noch nicht einmal zum Arzt gehen oder bei der Arbeit aussetzen.“ Tatsächlich verschwendete Crocodile relativ wenige Gedanken an seinen schwierigen Magen. Für ihn war dieser Umstand eine Selbstverständlichkeit, war es schon immer gewesen. Er war überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass Doflamingo sich deswegen um ihn sorgen würde. Aber er wollte sich nicht beschweren: Schließlich hatte ihn sein Magen heute aus einer brenzligen Situation gerettet. „Na gut, wir gehen heute nicht auswärts essen“, meinte Doflamingo. „Auch wenn du es herunterspielst, merke ich doch, dass du dich nicht wohlfühlst. Ich denke, wir sollten lieber nicht riskieren, dass du noch etwas isst, was du nicht verträgst.“ Auch wenn Crocodile der Meinung war, dass es nicht die Angelegenheit seines Freundes war, was er riskierte und was nicht, nickte er zustimmend. „Stattdessen können wir uns doch einfach eine schöne Zeit bei mir Zuhause machen“, bot er an. „Wie wäre es mit einem Filmabend zu zweit?“ * Der Montag, der auf das erfreulich angenehme Wochenende mit Doflamingo folgte, war einer der schlimmsten Tage in Crocodiles Leben. In der Bank hatte es sich inzwischen herumgesprochen, dass er gekündigt worden war. Automatisch hatte Crocodile das furchtbare Gefühl, dass ihn auf dem Weg zu seinem Büro jeder Mitarbeiter, dem er begegnete, scheel ansah. Er vermutete hinter jedem Gekichere und Geflüstere eine Beleidigung. Und das machte ihm schwer zu schaffen, ob er es nun zugeben wollte oder nicht. Crocodile war ein sehr stolzer Mensch. Eigentlich machte er sich nicht allzu viel aus der Meinung anderer, doch trotzdem konnte er es überhaupt nicht ausstehen, wenn man ihn mit Geringschätzung oder von oben herab behandelte. Vor allen Dingen, weil er wusste, dass in all dem ein kleines Fünkchen Wahrheit lag. Schließlich hatte er ja tatsächlich einen Fehler begangen, der viel Geld und viele Arbeitsstellen gekostet hatte. Hätte er gewusst, dass er alles richtig gemacht hätte und sich nichts hätte zu Schulden kommen lassen, dann wäre es ihm sicherlich leichter gefallen, diese bedrückende Atmosphäre zu ertragen. „Guten Morgen, Crocodile“, begrüßte ihn Robin, seine Sekretärin, als er sein Büro betrat. Anstatt zu antworten, nickte Crocodile ihr bloß zu. Er hatte jetzt keine Lust auf Small-Talk oder tröstende Worte bezüglich seiner Entlassung. Was Robin zum Glück zu verstehen schien. Stumm legte sie ihm einen Stapel Dokumente auf seinen großen Schreibtisch, die er wohl bearbeiten sollte, und verschwand dann gleich wieder aus dem Büro. Nachdem die Türe ins Schloss gefallen war, seufzte Crocodile laut auf. Es war noch nicht einmal halb neun Uhr morgens und bereits jetzt war er sich absolut sicher, dass die bevorstehende Woche der reinste Horror werden würde. Als er nach dem Dokumentenstapel griff, den Robin ihm dagelassen hatte, bestätigte sich sein Verdacht. Man hatte die langweiligsten und unwichtigstem Arbeiten, die es gab, auf ihn abgewälzt. Aber das dürfte ihn ja eigentlich nicht überraschen. Schließlich würde er bloß noch zwei Monate in dieser Bank arbeiten. Das war nicht genug Zeit, um ihn mit größeren Projekten zu betrauen. Und warum sollte Sengoku dieses Risiko auch nochmal eingehen, fragte Crocodile sich bitter. Das letzte Projekt, für das er verantwortlich gewesen war, hatte er schließlich komplett in den Sand gesetzt. * Das nächste Treffen mit Doflamingo stand am Mittwochnachmittag bevor. Sein Partner hatte ihm per Telefon enthusiastisch mitgeteilt, dass er heute ein wenig früher mit der Arbeit Schluss gemacht hätte, damit sie beide sich länger sehen könnten. Crocodile hatte zwar nach außen hin den Enthusiasmus seines Freundes geteilt -alles andere wäre auffällig gewesen und hätte Misstrauen geweckt-, doch innerlich fühlte er sich ausgelaugt und dem Treffen nicht gewachsen. Es war ihm zwar am Wochenende gelungen, sein Geheimnis zu wahren, doch er war sich längst nicht sicher, ob ihm das noch einmal so gut gelingen würde. Doflamingo besaß nämlich die schreckliche Eigenschaft, es sofort zu bemerken, wenn irgendetwas nicht mit ihm stimmte. Er würde sich sehr stark anstrengen müssen, um den Schein zu wahren. Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause hatte Crocodile erneut einen Zwischenstopp beim Supermarkt eingelegt und sich mit einer weiteren Flasche Wodka und zwei Packungen Orangensaft eingedeckt. Er hatte mit sich ringen müssen, um nicht noch eine oder zwei Flaschen Schnaps mitzunehmen; hatte sich am Ende jedoch dagegen entschieden. Zum einen, weil er kein Trinker werden wollte, und zum anderen, weil sein Magen harten Alkohol nicht allzu gut vertrug. Normalerweise trank er eigentlich auch nur Wein und sogar den nur zu besonderen Anlässen. Während er sich auf den Weg zur Kasse machte, kam Crocodile plötzlich auf den Gedanken, dass er doch theoretisch auch seine Wocheneinkäufe in diesem Supermarkt erledigen könnte. Für einen Moment zögerte er und sah sich um. Normalerweise kaufte Crocodile seine Lebensmittel beim Fachverkäufer ein, die darum sehr hochwertig waren, aber natürlich auch einen gewissen Preis hatten. Hier in diesem Supermarkt waren die Lebensmittel deutlich günstiger, kosteten zum Teil nicht einmal ein Fünftel von dem, was er sonst bezahlte; das war ihm bereits aufgefallen. Womöglich könnte er auf diese Weise allerhand Geld sparen, das er dann nutzen könnte, um einen Teil seiner Schulden zu begleichen. Crocodile war bereits an der Kasse, als aus dieser Idee ein fixer Plan würde. Er erledigte seine Wocheneinkäufe normalerweise immer donnerstags, das war schon morgen. Je früher er damit anfing, Geld zu sparen, desto besser. Jeder Berry, den er sparte, bedeutete einen Berry weniger Schulden. * Als Doflamingo um zwanzig Minuten vor fünf Uhr nachmittags in seiner Wohnung auftauchte, war Crocodile aus zweierlei Gründen sehr erstaunt: Zum einen war sein Partner zum zweiten Mal hintereinander nur zehn Minuten zu ihrem Treffen zu spät gekommen, zum anderen hielt er in jeder Hand eine große Einkaufstüte, die randvoll gefüllt mit Lebensmittel waren. Augenblicklich befürchtete Crocodile, dass Doflamingo ihn heute womöglich gesehen hatte, als er in einem durchschnittlichen Supermarkt den Wodka und den Orangensaft eingekauft hatte und ihn nun mit Almosen versorgen wollte. Bei diesem Gedanken lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Zu seinem Glück allerdings plapperte Doflamingo sofort los, kaum hatte er die beiden Tüten in seiner Küche abgestellt: „Weißt du, als du mir am Samstag erzählt hast, dass dir dein Magen Schwierigkeiten bereitet, weil du aus Versehen etwas mit Curry gegessen hast und deswegen auch nicht auswärts essen gehen wolltest, da habe ich mir etwas überlegt. Ich habe im Internet nach Lebensmitteln und Rezepten gesucht, die sich besonders gut für Leute mit einem empfindlichen Magen eignen. Dann habe ich ein paar Sachen eingekauft.“ Noch während er redete, machte Doflamingo sich daran, die Einkäufe auszupacken und auf der Arbeitsplatte auszubreiten. „Ich dachte mir, dass wir heute vielleicht zusammen ein leckeres Gericht kochen könnten, das dir gut bekommt. Na, was hältst du davon?“ Um ehrlich zu sein, fühlte Crocodile sich ziemlich überrannt. Er hatte überhaupt nicht gewusst, dass Doflamingo gerne kochte und auch nicht damit gerechnet, dass er heute mit vollen Einkaufstüten bei ihm aufschlagen würde. Bei dem Gedanken daran, was all diese Lebensmittel wohl gekostet hatten, überkam Crocodile ein schlechtes Gewissen. Geld sparen hin oder her - es war ihm immer noch sehr unangenehm, wenn er eingeladen wurde oder jemand etwas für ihn bezahlte. „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, meinte er darum recht unbeholfen, doch Doflamingo winkte bloß gut gelaunt ab. „Ich mache das gern“, erwiderte er. „Also: Wann ungefähr möchtest du essen? Je nachdem, welches Gericht wir kochen wollen, müssen wir unterschiedlich viel Zeit einplanen. Was möchtest du denn essen?“ „Ähm, ich weiß nicht. Was hast du denn gekauft?“ „Ach, Verschiedenes. Ich weiß ja nicht, worauf du Appetit hast, deswegen habe ich mehrere Sachen mitgebracht.“ Er überflog kurz die Lebensmittel, die bereits auf der Küchenarbeitsplatte lagen, und warf dann einen Blick in die noch nicht vollständig ausgepackte Einkaufstüte zu seinen Füßen; die zweite Tüte hatte er sogar noch gar nicht angerührt. „Wir haben Schwein, Pute, Lamm und Rind. Und natürlich Fisch. Nur die fettärmsten Stücke. Ich habe nämlich gelesen, dass man bei einem empfindlichen Magen lieber nicht fettig essen soll. Deswegen habe ich auch viel Gemüse gekauft. Und Hülsenfrüchte.“ „Das, ähm, das ist sehr lieb von dir“, sagte Crocodile, „aber du hättest dir wegen mir wirklich nicht so viele Umstände machen müssen. Es ist ja nicht so, als hätte ich entzündete Magenschleimhäute oder so etwas. Ich bin ja nicht krank. Ich habe nur einen etwas empfindlichen Magen.“ „Trotzdem müssen wir kein Risiko eingehen, oder? Außerdem freue ich mich darauf mit dir zusammen zu kochen. Das wird sicher ein Spaß, hm?“ „Na gut, das Argument lasse ich durchgehen“, gab Crocodile sich schließlich geschlagen. Eigentlich hatte er nichts dagegen mit Doflamingo zu kochen. Und wenigstens wäre sein Partner dann für einige Zeit lang abgelenkt und käme überhaupt nicht auf die Idee nach zum Beispiel seiner Arbeit oder teuren Freizeitaktivitäten zu fragen. Tatsächlich machte es mehr Spaß, als er zu Beginn vermutet hatte, mit Doflamingo zu kochen. Es stellte sich nämlich heraus, dass sein Freund sich kein bisschen auskannte, was die Zubereitung von Lebensmitteln anging. Er schnitt sich sogar einmal in die Hand, als er Zwiebeln hacken wollte. Crocodile selbst war zwar auch kein Fünf-Sterne-Koch, aber wenigstens verhielt er sich in der Küche nicht halb so ungeschickt wie sein Partner (und das trotz einer fehlenden Hand!). Nach ein wenig mehr als einer Stunde hatten sie es schließlich geschafft, sachte angebratenes Lammfleisch mit dazu passendem Gemüse und Reis in eine Auflaufform zu geben und in den Backofen zu schieben. „Jetzt muss der Kram noch zwei Stunden lang im Ofen bleiben. Dann wird aus unserem Mittagessen wohl ein Abendessen“, kommentierte Doflamingo das Geschehen. Wie immer klang er nicht wirklich genervt oder enttäuscht, sondern eher belustigt. Crocodile zuckte mit den Schultern. „Wir könnten früher essen, wenn wir nicht so lange gebraucht hätten, um das Fleisch und das Gemüse vorzubereiten. Nun ja, was soll's, jetzt können wir es sowieso nicht mehr ändern.“ Sie knieten sich beide hin, um ihr Werk im Backofen zu begutachten. „Ich finde, es sieht doch ganz gut aus“, versuchte Doflamingo ihn ein wenig aufzumuntern und legte einen schweren Arm um seine Schulter. „Hoffentlich strapaziert das Essen meinen Magen nicht über seine Grenzen hinaus“, erwiderte Crocodile leicht grinsend und wandte sich dann nach rechts, um Doflamingo einen Kuss auf den Mund zu geben. „Selbst wenn sich dieser Versuch als ein Flopp entpuppt, geht davon die Welt nicht unter, oder? Im schlimmsten Fall gehen wir sonst eben doch auswärts essen oder bestellen uns etwas. Natürlich nur, wenn dir das nichts ausmacht.“ Sie hockten noch immer eng nebeneinander vor dem Backofen und betrachteten das Ergebnis ihres ersten gemeinsam Kochversuchs. Doflamingo hatte noch immer den Arm um seine Schulter gelegt, fiel Crocodile auf. Es störte ihn allerdings nicht. Auch wenn die Position ein wenig unbequem war, fühlte er sich sehr wohl. Was wahrscheinlich vor allem an der Nähe zu seinem Partner lag. „Irgendwann lernen wir schon zu kochen“, fügte Doflamingo noch hinzu und küsste Crocodile, „spätestens, wenn wir beide zusammenziehen.“ Zusammenziehen? Zusammenziehen?! Hatte sein Freund tatsächlich eben das Wort zusammenziehen in den Mund genommen? Augenblicklich fühlte sich Crocodiles Magen sehr flau an. Er windete sich aus der Umarmung mit Doflamingo heraus und stand auf. Gleichzeitig versuchte er sich ein wenig zu beruhigen. Sein Partner hatte mit dieser Aussage sicher keine Andeutung machen wollen. Schließlich waren sie ja gerade einmal seit etwas mehr als sechs Monaten ein Paar. Und es zog doch niemand nach nur einem halben Jahr Beziehung zusammen! Oder? Crocodile spürte, wie sich das flaue Gefühl in seinem Magen auch in seinen restlichen Körper ausbreitete. Sie hatten niemals über irgendwelche Exbeziehungen gesprochen; er konnte also überhaupt nicht einschätzen, wie Doflamingo seine Liebesbeziehungen handhabte. Vielleicht hatte er ja bereits zuvor Partner gehabt, die nach nur sehr kurzer Zeit zu ihm gezogen waren? Sah er es womöglich als eine absolute Selbstverständlichkeit an, dass er und Crocodile sich demnächst nach einem gemeinsamen Domizil umschauen würden? Crocodile schluckte hart. Doflamingo war sehr reich. Mit einer netten, mittelpreisigen Loft-Wohnung würde der sich sicher nicht zufrieden geben. Crocodile wusste, dass sein Partner in einer riesigen und teuren Villa im besten Viertel der Stadt lebte. Und er ahnte, dass er bestimmt nicht vorhaben würde, sich einzuschränken. Wozu auch? Schließlich besaß Doflamingo mehr Geld als er jemals in seinem Leben ausgeben könnte. Ganz im Gegensatz zu ihm. Bei dem Gedanken an seine Schulden wurde Crocodile ein wenig schlecht. Wie sollte er sich einen Zusammenzug mit Doflamingo leisten, wenn er doch schon um die Wohnung, in der er jetzt gerade wohnte, bangen musste? „Was hältst du davon, wenn wir ins Schlafzimmer gehen, während das Essen im Backofen ist?“, holte Doflamingos lüsterne Stimme ihn in die Wirklichkeit zurück. Crocodile musste ein Seufzen unterdrücken. Eigentlich dürfte ihn diese Frage ja gar nicht überraschen, tadelte er sich selbst, schließlich wollte sein Freund ständig Sex. Seit Beginn ihrer Beziehung hatten sie jedes Mal, wenn sie sich getroffen hatten, mindestens einmal miteinander geschlafen. Manchmal auch zweimal oder noch häufiger. Und bisher hatte Crocodile mit dieser Regelung auch absolut kein Problem gehabt. Heute allerdings war er nicht in der Stimmung für Sex. Diese neuen Sorge und Ängste, die Doflamingo in ihm geweckt hatte, schlugen ihm schwer auf den Magen. Trotzdem nickte er und ging voran in Richtung Schlafzimmer. Wenn sie Sex miteinander hatten, dachte Crocodile sich, dann hatte sein Partner wenigstens keine Gelegenheit dazu, um noch einmal das Thema Zusammenziehen anzusprechen. * Am Wochenende bemühte Crocodile sich mit aller Kraft darum, Doflamingo davon zu überzeugen, dass er zu beschäftigt war, um sich mit diesem zu treffen. Was deutlich schwieriger war als er zu Beginn vermutet hätte. Sein Freund war nämlich ein schrecklich sturer und selbstsüchtiger Mensch, der es gewohnt war zu bekommen, was er wollte. Und zwar immer. „Es tut mir wirklich leid“, sagte Crocodile zum einhundertsten Mal und lief im Wohnzimmer unruhig auf und ab, während er das Handy gegen sein Ohr presste. (Ein Telefon besaß er nicht, weil er alleine wohnte und ein Festnetzanschluss darum nur wenig Sinn gemacht hätte.) „Mir gefällt das doch auch nicht. Aber ich kann die Situation eben nicht ändern. Ich musste unheimlich viel Arbeit mit nach Hause nehmen. In der Bank ist derzeit schrecklich viel los.“ Schon wieder log Crocodile seinen Partner an, obwohl er das doch eigentlich gar nicht wollte. Um sein schlechtes Gewissen ein wenig zu beruhigen, fügte er hinzu: „Und ich habe auch noch sehr viele andere Sachen auf meinem Schreibtisch liegen, die ich schon viel zu lange vor mir her geschoben habe. Das muss ich dieses Wochenende erledigen. Bitte versteh das doch!“ Natürlich verstand Doflamingo das nicht. „Kannst du denn nicht wenigstens ein paar Stunden für mich einräumen“, fragte er und klang sehr beleidigt. „Mir egal ob am Freitag-, Samstag- oder Sonntagabend. Ich möchte ein bisschen Zeit mit dir verbringen, Crocodile!“ Crocodile schluckte und verzog den Mund. Wenn sein Freund seinen richtigen Namen anstelle eines Kosewortes benutzte, dann bedeutete das immer, dass ihm eine Sache ganz besonders ernst war. Wie kam Crocodile aus diesem Schlamassel nur wieder heraus? „Ich würde doch auch lieber mein Wochenende mit dir verbringen als mit diesem blöden Papierkram“, versuchte er ihn ein wenig zu beschwichtigen, „aber das geht nun mal nicht.“ „Ach komm schon! Nur eine Stunde! Eine einzige Stunde verlange ich von dir. Das muss doch zu machen sein, ganz egal wie beschäftigt du bist!“ Crocodile konnte ein verzweifeltes Seufzen nicht ganz unterdrücken. Wann war Doflamingo nur so anhänglich geworden? Crocodile hatte vorgehabt das bevorstehende Wochenende zu nutzen, um in Ruhe auf Jobsuche zu gehen und noch ein paar andere Dinge zu erledigen, die mit seiner Kündigung zusammenhingen, und er hoffte, dass sein Partner ihm keinen Strich durch diese Rechnung machen würde. „Für eine Stunde lohnt sich die lange Fahrt doch gar nicht“, argumentiere er. Tatsächlich brauchte man mit dem Auto fast eine Dreiviertelstunde, weil Doflamingo am Rande der Stadt im Grünen wohnte, während Crocodiles Loft-Wohnung mitten im Stadtkern lag. „Lass das mal meine Sorge sein“, erwiderte Doflamingo. „Also: Wann?“ Crocodile hätte sich am liebsten die Schläfe massiert, was jedoch leider nicht möglich war, da er mit seiner einzigen Hand das Handy festhielt; also blieb es bei einem resignierten Stöhnen. Schließlich gab er sich geschlagen: „Na von mir aus. Dann Sonntagabend so gegen sieben Uhr?“ „Bingo!“, hörte Crocodile durch den Hörer hindurch und brauchte nicht viel Fantasie, um sich das triumphierende Grinsen seines Partners vorzustellen. Doflamingo bekam früher oder später immer, was er wollte. Er war wie ein Kind, das im Supermarkt so lange quengelte und brüllte, bis man schließlich doch aufgab und ihm ein paar Süßigkeiten kaufte. Crocodile machte sich eine gedankliche Notiz, in nächster Zeit etwas konsequenter zu sein. * Tatsächlich verlief das Wochenende ohne seinen Freund ziemlich langweilig und unspektakulär. Crocodile verbrachte viel Zeit damit nach einer neuen Arbeitsstelle Ausschau zu halten. Leider gestaltete sich die Suche deutlich schwieriger als man vermuten würde. Wenn die Leute hörten, dass Crocodile als Manager arbeitete, reagierten sie meistens neidisch und glaubten, die Jobs und das Geld würden ihm nur so zufliegen. Das stimmte natürlich nicht. Es war ganz und gar nicht einfach an eine geeignete Stelle zu kommen; vor allen Dingen in der derzeitigen Wirtschaftslage nicht. Und die Arbeit war knallhart. Schon der winzigste Fehler konnte Verluste in Millionenhöhe verursachen. Das hatte Crocodile schließlich am eigenen Leib erfahren müssen. Der Gedanke, demnächst bloß noch ein mittelständiges Leben führen zu müssen, machte Crocodile inzwischen keine Angst mehr, dafür allerdings war er nun umso unglücklicher und wütender. Er hatte viele Jahre lang studiert und sich hochgearbeitet, um irgendwann einmal ein tolles Leben führen zu können. Und nun -von einem Tag auf den anderen- fiel alles, was er sich so mühselig aufgebaut hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das Leben war wirklich unfair! Crocodile schlug die Arme über den Kopf zusammen. Er war so glücklich gewesen, als Sengoku ihm die Stelle als Manager in der Bank angeboten hatte. Endlich waren seine Träume von einer schicken Wohnung und einem schnellen Auto in greifbare Nähe gerückt! Zu schade, dass er diesen Luxus nur zwei Jahre lang hatte genießen dürfen, ehe er zu einem durchschnittlichen Leben zurückkehren musste. Die Wohnung musste er aufgeben und seinen Mercedes C 216 verkaufen. Crocodile hatte Doflamingo niemals erzählt, dass er nicht aus einer reichen Familie stammte, sondern sich sein Geld selbst verdient hatte. Er schämte sich dieser Tatsache. Es hatte ihm als Kind zwar niemals an Essen oder warmer Kleidung gefehlt, doch es war Tatsache, dass seine Eltern nicht einmal für seine Studiengebühren aufkommen konnten (ganz abgesehen davon, dass sie dies nicht gewollt hatten). Crocodile hatte sich sein Studium lediglich mit Hilfe von Stipendien, Studienkrediten und zahllosen Nebenjobs leisten können. Er hatte jahrelang in einem winzigen Apartment gewohnt. Das Badezimmer hatte noch nicht einmal ein Fenster gehabt, erinnerte er sich, ganz zu schweigen von einer Badewanne. Und geschlafen hatte er auf einer ausklappbaren Couch, weil für ein richtiges Bett kein Platz gewesen war. Musste er nun zu diesem Leben wieder zurückkehren? Aber er war doch längst kein überschuldeter Student mehr! Crocodile seufzte laut und richtete sich wieder auf. Nein, dachte er, jetzt war er ein überschuldeter Arbeitsloser. Und bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht. Auch wenn Crocodile eigentlich vorgehabt hatte, das Wochenende ohne seinen Partner zu verbringen, freute er sich nun doch auf das bevorstehende Treffen. Nach der vielen unliebsamen Papierarbeit würde ihm Doflamingos gute Laune sicherlich guttun. Es war achtzehn Uhr dreißig und er hatte es sich mit einer Wodka-Orangensaft-Mischung auf seiner Couch bequem gemacht. Sogar wenn Doflamingo erneut recht pünktlich kommen würde, hatte er noch mehr als eine halbe Stunde Zeit, um sich zu sammeln und das Glas zu leeren. Crocodile hatte die gesamten letzten Tage damit verbracht Bewerbungen zu schreiben, nach einer neuen Wohnung zu suchen, die Laufzeiten seiner Kredite zu verlängern und so weiter. Er hatte sogar schon eine Email an seinen Vermieter geschickt; darin hatte gestanden, dass die Loft-Wohnung nicht mehr seinen Ansprüchen genüge, er sich nach einem anderen Domizil umsehe und sich dazu bereit erklären würde, die hochwertige und neue Küche gegen eine Abfindung dem Nachmieter zu überlassen. Insgesamt eineinhalb Stunden hatte er an der Formulierung dieser Mail gearbeitet, damit er weder schwindeln müsste noch sein Vermieter dahinter käme, dass er im Job gekündigt worden war. Nun gönnte Crocodile sich zum ersten Mal in dieser Woche eine Pause. Während er sein Glas leertrank, warf er einen Blick auf die Uhr, die über der Wohnzimmertüre hing. Inzwischen war es sieben Uhr abends geworden. Weil Doflamingo nun theoretisch jeden Moment bei ihm aufschlagen könnte, nahm Crocodile das leere Glas, ging in die Küche hinüber und spülte es per Hand sauber. Er wollte nicht, dass Doflamingo davon erfuhr, dass er in letzter Zeit viel Hochprozentiges trank. In der Gesellschaft seines Freundes hatte Crocodile bisher immer höchstens bloß ein wenig Wein getrunken. Gläser, in denen sich noch Wodkapfützen befanden, könnten Doflamingo misstrauisch werden lassen. Um nicht einmal fünf Minuten nach neunzehn Uhr klingelte Doflamingo an der Türe des Hauses, in dem Crocodiles Loft-Wohnung lag. Vor Überraschung ließ dieser beinahe das Glas fallen, das er noch in der Hand gehalten hatte; hektisch stellte er es auf das Abtropfbett und hastete in den Flur hinüber, um seinem Partner die Wohnungstüre zu öffnen. „Du bist ja fast pünktlich“, war das erste, was Crocodile zu ihm sagte, als Doflamingo seine Wohnung betrat, “ist heute ein besonderer Anlass oder so etwas?“ Die Frage war eigentlich scherzhaft gemeint, doch tatsächlich bemerkte er auf den zweiten Blick, dass sein Gast einen Blumenstrauß in der Hand hielt. Es waren rosafarbene Rosen; sie trafen zwar überhaupt nicht Crocodiles Geschmack, nicht im mindesten, weil er mit Pflanzen prinzipiell nicht allzu viel anzufangen wusste, doch er freute sich sehr über die Geste. „Sind die etwa für mich?“ Das klang ein wenig unfreundlicher als er beabsichtigt hatte, aber das lag wahrscheinlich daran, dass er sich (mal wieder) ein wenig überfordert fühlte und nicht genau wusste, was er sagen sollte. Er war sehr überrascht. Sein Freund hatte ihm seit ihrem allerersten Date keine Blumen mehr mitgebracht. Doflamingo nahm es mit Humor: „Klar, für wen denn sonst?“ Er hielt ihm den Strauß Rosen hin und Crocodile fiel erst nach ein paar Sekunden ein, dass er die Blumen wohl entgegen nehmen sollte. „Danke. Das ist wirklich, naja, lieb von dir.“ Er bekam als Mann nur sehr selten Blumen geschenkt. Um ehrlich zu sein, war er sich noch nicht einmal sicher, ob er überhaupt eine Vase besaß. Die einzige Pflanze in seiner Wohnung war ein kleiner Kaktus, der im Schlafzimmer auf dem Fensterbrett stand. Er fragte sich, wie Doflamingo wohl auf die Idee gekommen war, er würde sich ausgerechnet über rosafarbene Rosen freuen. „Du klangst immer so gestresst und überarbeitet, als wir miteinander telefoniert haben“, erklärte Doflaming sich von selbst, „da dachte ich mir, ich bringe dir einen schönen Blumenstrauß mit, um dich ein wenig aufzumuntern.“ „Abgesehen von der Farbe gefallen mir die Rosen sehr gut“, sagte Crocodile und entlockte Doflamigo damit ein stolzes und glückliches Grinsen. „Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen, weißt du. Am Mittwoch die Einkäufe und heute der Blumenstrauß... Gibt es einen besonderen Grund für die Geschenke?“ „Nein, eigentlich nicht“, antwortete sein Freund und Crocodile hatte das seltsame Gefühl, dass Doflamingo trotz der Sonnenbrille seinem Blick auswich, als er das sagte. Danach wechselte dieser auch gleich das Thema: „Wollen wir vielleicht ins Wohnzimmer gehen? Wenn wir beide schon nur eine Stunde zusammen haben, dann möchte ich wenigstens nicht die ganze Zeit über im Flur stehen bleiben.“ Crocodile kam dieses Verhalten sehr merkwürdig vor. Normalerweise verstellte sich Doflamingo nie; er war in jeder Situation absolut authentisch. Da ihnen beiden heute Abend allerdings nur so wenig Zeit blieb, beschloss Crocodile, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. * In der Bank hatte sich die Situation inzwischen wieder ein wenig beruhigt. Da Crocodile stets eine Art natürliche Autorität ausstrahlte und sich nach außen hin nichts aus den Gerüchten um seine Kündigung zu machen schien, wurde seinen Mitarbeitern das Thema bald wieder langweilig und sie sprachen in der Mittagspause nun über andere Dinge. Zum Beispiel über die neue Praktikantin, die wohl schrecklich kurzsichtig und ungeschickt sein sollte, oder über die Büroräume im vierten Stock, die nächsten Monat renoviert werden würden. Es erschreckte Crocodile fast schon, wie schnell seine Kollegen und (vor allem) Kolleginnen von einem Gerücht zum nächsten huschten; und die Lüge, die gestern noch interessant gewesen war, war heute bloß noch Schnee von gestern. Auf der anderen Seite allerdings freute er sich natürlich in seinem Fall über diese Dynamik; schließlich kam sie ihm zugute. Inzwischen konnte er sogar wieder in der Bank umhergehen, ohne ständig das Gefühl zu haben, dass die anderen Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand über ihn tuschelten und ihm scheele Blicke zuwarfen. Gerade kehrte Crocodile von einem wichtigen Gespräch mit einem Mitarbeiter in sein eigenes Büro zurück und bog im Flur um die Ecke, als er plötzlich mit irgendjemandem zusammenstieß und nach hinten auf den Fußboden fiel. „Verdammt nochmal, kannst du denn nicht aufpassen?“ Crocodile richtete sich gleich wieder auf und widerstand der Versuchung, mit seiner rechten Hand über seinen Hintern zu reiben, der ziemlich wehtat. Vor ihm auf dem Fußboden lag eine junge Frau. Ihr war bei dem Zusammenstoß sowohl ein hoher Stapel Akten als auch ein Becher mit anscheinend heißem Kaffee aus den Händen geglitten, wovon die beiden dampfenden Flecken auf ihrer hellen Bluse zeugten. Das musste wohl diese ungeschickte Praktikantin sein, von der überall gesprochen wurde, dachte Crocodile sich, da er die bebrillte Frau noch niemals zuvor in seiner Abteilung gesehen hatte. „Entschuldigen Sie bitte vielmals“, quiekte das junge Mädchen ohne ihn anzusehen und machte sich sofort daran, die heruntergefallenen Akten aufzusammeln. Crocodile stockte. Irgendetwas an dieser Stimme und diesen ungeschickten Bewegungen kam ihm bekannt vor. „Tashigi?“ Die Praktikantin blickte verwirrt auf und nun erkannte Crocodile tatsächlich die kleine Schwester seines Exfreundes in ihr wieder. Sie trug ihr Haar jetzt länger und hatte ihre alte Hornbrille gegen ein neumodischeres Modell ausgetauscht, ansonsten allerdings schien sie ganz die Alte geblieben zu sein. Tashigi hatte sich aufgerichtet und hielt die aufgesammelten Akten vor der Brust; wahrscheinlich, um die peinlichen Kaffeeflecken zu verdecken. „Crocodile?“, fragte sie verunsichert. „Richtig“, bestätigte er, „ich habe gar nicht gewusst, dass du jetzt bei der Bank arbeitest.“ Tashigi rückte ihre Brille zurecht. „Ich mache nur ein Praktikum“, sagte sie schließlich kleinlaut. „Ein Praktikum bedeutet auch eine Menge Arbeit, oder nicht?“, versuchte Crocodile das arme Mädchen ein wenig aufzumuntern. Tatsächlich entlockte er Tashigi ein wackeres Lächeln. Obwohl sie die jüngere Schwester seines Exfreundes war, hatte Crocodile nichts gegen das Mädchen. Früher, als er noch mit Smoker zusammen gewesen war, hatte er recht viel mit Tashigi zu tun gehabt, weil diese bei ihrem älteren Bruder gewohnt hatte, während sie ihren Schulabschluss machte. Ihre Eltern hatten die beiden verstoßen, nachdem Smoker sich als homosexuell geoutet und sich seine deutlich jüngere Schwester auf dessen Seite gestellt hatte. Crocodile hatte in ihr immer ein sehr ungeschicktes Mädchen gesehen, das zwar viel Unterstützung und Hilfe brauchte, aber die richtigen Werte vertrat und sehr liebenswert war. Und nur weil er sich von ihrem Bruder getrennt hatte, bedeutete das ja nicht automatisch, dass er auch sie nicht mehr leiden konnte. Crocodile war zwar ein sehr stolzer, aber auch fairer Mensch. Er machte Tashigi nicht für die Trennung von Smoker verantwortlich, die ja sowieso schon mehrere Jahre zurücklag. „Das Praktikum ist wirklich deutlich anstrengender als ich zu Anfang gedacht habe“, gestand sie schließlich und hob den nun leeren Kaffeebecher vom Fußboden auf; wahrscheinlich, um ihm im nächsten Mülleimer zu entsorgen. „Ich habe in einer Stunde ein Gespräch mit Akainu. Er ist meine zuständige Person während des Praktikums und sehr, sehr streng.“ Und als ihr die braunen Flecken auf ihrer Bluse in den Sinn kamen, senkte sie beschämt den Blick. Akainu, dachte Crocodile unwirsch und bekam sofort Mitleid mit dem jungen Mädchen. Tatsächlich war Akainu eine der fürchterlichsten Menschen, die er jemals kennengelernt hatte: Arrogant, oberflächlich und parteiisch. Crocodile selbst bemühte sich darum, ihm so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Und wenn es sich nicht gerade um irgendein wichtiges Meeting handelte, bei dem sie beide anwesend sein mussten, gelang ihm das auch meistens. „Komm mal mit in mein Büro“, sagte Crocodile zu Tashigi, “wir wollen schauen, ob wir nicht eine Lösung für das Problem mit deiner Bluse finden können.“ Dankbar nickte die kleine Schwester seines Exfreundes und folgte ihm. Theoretisch hatte Crocodile das große Büro mit den zwei Fenstern und dem eigenen Badezimmer ganz für sich allein; praktisch sah es allerdings häufig so aus, dass sich seine Sekretärin Robin ebenfalls dort aufhielt, um ihm irgendwelche wichtigen Papiere auf den Schreibtisch zu legen, ihm Neuigkeiten mitzuteilen oder einfach bloß um zu plaudern, weil gerade nichts Wichtiges zu tun war. Auch jetzt hielt Robin sich in seinem Büro auf; sie saß auf seinem Schreibtischstuhl und trank eine kleine Tasse Kaffee. Als sie ihn mit der ungeschickten Praktikantin durch die Tür hineinkommen sah, lächelte sie freundlich. „Wärst du vielleicht so nett und würdest mir mit dem Mädchen helfen?“, bat Crocodile sie und deutete auf Tashigi, die inzwischen ganz rot im Gesicht geworden war. „Sie ist eine Freundin von mir und muss gleich zu einer Besprechung mit Akainu. Wir sind eben zusammengestoßen und jetzt hat sie zwei Kaffeeflecken auf der Bluse. Hast du irgendwelche Tipps, was man da machen könnte?“ Robin war zwar eine sehr zurückhaltende Person, vor allen Dingen in Gegenwart von fremden Menschen, aber im Regelfall trotzdem sehr hilfsbereit. „Die Flecken mit Spülmittel auswaschen“, sagte sie nach kurzer Überlegung, „und die Bluse dann zum Trocknen auf die Heizung legen.“ Sie warf noch einmal einen Blick auf Tashigi, die ihren Aktenstapel fest gegen die Brust gepresst hielt. „Ich besorge ein bisschen Spülmittel aus der Küche, ja? Ich bin in fünf Minuten wieder da.“ „Vielen Dank“, sagte Tashigi, die sehr erleichtert klang. Tatsächlich kehrte Robin sehr schnell mit der gewünschten Flasche Spülmittel zurück, die sie Tashigi in die Hand drückte. „Ich muss jetzt leider los, Sengoku will mich sprechen“, sagte sie dann, „ich hänge draußen an die Türklinke ein Schild, damit niemand hereinkommt, während sich das Mädchen um seine Bluse kümmert, ja?“ „Sehr gut“, erwiderte Crocodile, während Tashigi sich ein weiteres Mal überschwänglich bedankte. „Das Badezimmer ist gleich da vorne“, erklärte Crocodile ihr und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl, der nun nicht mehr durch Robin besetzt war. „Du kannst die Bluse, wenn sie sauber ist, hier drüben über die Heizung hängen. Stell am besten jetzt schon die höchste Stufe ein, damit die Bluse auch ganz sicher trocknet bis du zu Akainu musst. Mir macht die Wärme nichts aus.“ „Vielen lieben Dank“, bedankte sich Tashigi ein weiteres Mal bei ihm; überglücklich, weil sie nun doch nicht mit fleckiger Kleidung zum pingeligen und strengen Akainu musste. Sie zog sich die Bluse aus, ging mit dem Spülmittel zum Bad hinüber und wusch die beiden Flecken am Waschbecken aus, ehe sie den feuchten Stoff über die heiße Heizung hing und sich dann -nur in BH bekleidet- auf den freien Stuhl gegenüber von Crocodiles Schreibtisch hinsetzte. Um Tashigi (die sehr erpicht darauf war, sich für den erwiesenen Gefallen erkenntlich zu zeigen) die Wartezeit zu verkürzen, gab Crocodile ihr ein paar einfache Aufgaben zu erledigen, während er selbst seine Emails checkte. Weder ihr noch ihm schien die Situation seltsam oder unangenehm vorzukommen. Als Crocodile noch mit Smoker zusammen gewesen war, hatte er oft mit Tashigi zusammen gefrühstückt oder ihr dabei geholfen, das richtige Outfit für irgendwelche besonderen Anlässe zusammenzustellen. Schließlich hatte sie damals noch bei ihrem Bruder gewohnt. Für ihn war und blieb Tashigi die ungeschickte kleine Schwester von Smoker, während sie in ihm wahrscheinlich einfach den homosexuellen Bekannten sah, der ihr netterweise aus der Patsche geholfen hatte. Die Stunde war beinahe schon rum, als Tashigi schließlich aufstand und ihm die Papiere reichte, die sie bearbeitet hatte. Crocodile nahm sie mit einem knappen Nicken entgegen und wendete sich dann gleich wieder konzentriert seinem PC-Bildschirm zu. Tashigi ging zur Heizung hinüber. Und dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Während sie in die inzwischen saubere und trockene Bluse schlüpfte und sich dabei zu ihm umdrehte, um sich ein weiteres Mal für seine Hilfe zu bedanken, ging plötzlich seine Bürotüre auf und im Türrahmen stand Donquixote Doflamingo, der in seiner Bewegung stockte und schockiert die Szene betrachtete, die ihm geboten wurde. „Doflamingo“, begrüßte Crocodile seinen Partner mit tadelnder Stimme und zusammengezogenen Augenbrauen, „was zur Hölle suchst du denn hier? Und hast du nicht das Schild an der Tür gesehen?“ Ihm wurde erst im zweiten Moment klar, wie furchtbar eindeutig die Situation auf Doflamingo wirken musste: ein Bitte-nicht-stören-Schild an der Türklinke und in seinem Büro eine junge Praktikantin, die gerade ihre Bluse wieder anzog. Crocodile seufzte und rieb die Innenfläche seiner rechten Hand gegen die Stirn. Dann sagte er ruhig: „Es ist nicht so wie du denkst.“ „Es ist nicht so wie ich denke?!“, wiederholte Doflamingo aufgebracht und seine Stimme klang wie Gift. Tashigi, die ihre Bluse fertig geknöpft hatte, schien sich bei diesem Streit sehr unwohl zu fühlen und fehl am Platz vorzukommen. Sie deutete auf ihre Armbanduhr und warf Crocodile einen entschuldigenden Blick zu, der sie mit einer kurzen Kopfbewegungen aus seinem Büro entließ. Als sie hinausging, schloss sie die Tür hinter sich. Crocodile seufzte ein weiteres Mal. Eigentlich hatte er keine große Lust dazu, sich jetzt mit seinem Freund auseinanderzusetzen; vor allen Dingen während seiner Arbeitszeit nicht. Es gab nämlich ein paar dringenden Sachen, die er bis heute Abend auf jeden Fall erledigt haben musste. Darum würde er diese Situation jetzt so schnell wie möglich klären und sich dann wieder seinen Aufgaben zuwenden. Leider machte ihm Doflamingo, der vor Wut und Eifersucht beinahe zu explodieren schien, einen Strich durch diese Rechnung. „Wie ist es dann, verdammt nochmal?! Willst du mich hier eigentlich verarschen?! Wie lange läuft das mit dir und ihr schon?“ „Zwischen mir und ihr läuft überhaupt nichts“, versuchte Crocodile ihn zu beschwichtigen. „Sie ist bloß eine Freundin von mir und...“ „Eine Freundin?!“, schnitt Doflamingo ihm ungeduldig das Wort ab. “So nennt man das also heutzutage, ja? Ich kann das einfach nicht fassen, Crocodile! Ich dachte, es würde gut zwischen uns laufen und jetzt.... jetzt machst du sowas!“ „Lass mich doch bitte einmal ausreden“, erwiderte er ruhig, „wie soll ich mich erklären, wenn du mich ständig unterbrichst?“ Und zu seiner Überraschung beruhigte sich sein Partner tatsächlich ein wenig und signalisierte, dass er ihm zuhören würde. Er hatte zwar seine beiden Hände zu Fäusten geballt und presste die Zähne fest aufeinander, doch insgesamt schien er sich wieder ganz gut gesammelt zu haben. Es wirkte auf Crocodile fast so, als wollte Doflamingo tatsächlich daran glauben, dass es für diese Situation rationale Gründe gab, die seine Eifersucht ungerechtfertigt erscheinen lassen würden. Vielleicht lag es auch an Crocodiles völlig gelassenem Auftreten. (Tatsächlich fühlte er sich kein bisschen schuldig; schließlich hatte er nichts Verwerfliches getan.) Jedenfalls hielt Donquixote Doflamingo für ein paar Minuten sein übergroßes Mundwerk und gab seinem Partner somit die Gelegenheit, sich zu erklären und die ganze Situation zu entschärfen. „Sie ist eine Freundin von mir, die hier seit kurzem als Praktikantin arbeitet“, sagte Crocodile. „Wir sind draußen auf dem Gang zusammengestoßen, dabei ist ihr Kaffee auf ihrer Bluse gelandet. Und weil sie jetzt zu einem Gespräch mit dem Misthund Akainu muss, habe ich ein bisschen Mitleid mit ihr bekommen und ihr angeboten, dass sie die Flecken in meinem Büro auswäscht. Du weißt doch, dass ich ein eigenes Bad habe. Sie hat also die Flecken ausgewaschen, die Bluse über die Heizung gehangen und eben -als du hier unangekündigt reingeplatzt bist- wollte sie sie wieder anziehen. Ansonsten ist überhaupt nichts passiert! Wir haben uns nicht mal die Hände geschüttelt!“ Doflamingo zog eine Augenbraue hoch. Er hatte sich inzwischen wieder ein wenig beruhigt, schien allerdings von Crocodiles Geschichte noch nicht völlig überzeugt zu sein. Das erste, was er sagte, war: „Und das soll ich dir glauben? Für meinen Geschmack sind das ein paar unglückliche Zufälle zu viel!“ Langsam verlor Crocodile die Geduld. Es störte ihn, dass sein Partner seinen Worten keinen Glauben schenken wollte. Allerdings musste er natürlich zugeben, dass die Umstände tatsächlich nicht zu seinen Gunsten standen. Um seine Erklärung zu bekräftigen, fügte er hinzu: „Im Badezimmer steht immer noch das Spülmittel, mit dem sie die Flecken ausgewaschen hat. Dass ich in meinem Büro normalerweise kein Geschirr spüle, muss ich dir ja wohl nicht beweisen, oder?“ Bei dieser Aussage verzog Doflamingo ein wenig den Mund und erwiderte: „Wenn du die Wahrheit sagst, wird es dich doch sicher nicht stören, wenn ich nachsehe?“ Er sprach diese Frage so aus, als glaubte er, ihn damit in die Enge treiben und entlarven zu können. „Nur zu“, antwortete Crocodile mit gereizter Stimme. Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, während er Doflamingo dabei beobachtete, wie dieser die Türe zum Bad öffnete. Auf dem Waschbeckenrand stand selbstverständlich noch immer die Flasche Spülmittel, die Robin besorgt hatte. Nun hatte sein Partner keine andere Wahl als ihm zu glauben, was Crocodile mit großer Genugtuung erfüllte. Dass Doflamingo ihn beschuldigte, es auf der Arbeit heimlich mit jungen Mitarbeiterinnen zu treiben, verletzte ihn zutiefst. Ganz gleich, wie die Situation ausgesehen haben mochte, als sein Freund sein Büro betreten hatte. Crocodile hatte in seinem Leben zwar bereits den ein oder anderen One-Night-Stand gehabt, war allerdings in seinen festen Beziehung treu geblieben - und zwar ausnahmslos immer! Er hatte noch niemals auch nur fremdgeküsst oder -geflirtet. Für ihn war das eine Selbstverständlichkeit. Wenn man nicht monogam leben wollte, dann sollte man eben keine feste Beziehung eingehen, so einfach war das. Zumindest war das Crocodiles Meinung. Um Doflamingo noch eins reinzuwürgen, sagte er mit giftiger Stimme: „Das Spülmittel hat Robin aus der Küche mitgebracht. Sie hat das mit den Kaffeeflecken auch mitbekommen. Wenn du mir immer noch nicht glauben willst, dann kannst du gerne auch sie fragen!“ Doflamingo hielt in einer abwehrenden Bewegung die Hände mit zu Crocodile gerichteten Innenflächen nach oben. „Ist ja schon gut“, meinte er schließlich kleinlaut, „ich glaube dir.“ Das reichte Crocodile nicht. Was Doflamingo ihm unterstellt hatte, war in seinen Augen eine bodenlose Unverschämtheit. Und dafür sollte er ein wenig leiden. „Wie wäre es mit einer Entschuldigung?“ Er wusste ganz genau, dass sein Freund nichts mehr hasste als einen Fehler einzugestehen und sich entschuldigen zu müssen. Doflamingo schien sich in seiner Haut plötzlich sehr unwohl zu fühlen und druckste herum. „Muss das sein?“, fragte er schließlich und wich trotz der Sonnenbrille dem Blick seines Partners aus. „Du hast mir unterstellt, ich würde dich betrügen!“, gab Crocodile zornig zurück und stand von seinem Schreibtischstuhl auf. „Dafür verlange ich eine Entschuldigung, verdammt nochmal!“ „Aber... wenn es anders herum gewesen wäre, hättest du doch genauso reagiert, oder nicht?“, argumentierte Doflamingo. „Die Situation war wirklich missverständlich. Das musst du doch zugeben! Du kannst mir keinen Vorwurf machen.“ „Natürlich kann ich dir einen Vorwurf machen“, erwiderte Crocodile und umrundete seinen großen Schreibtisch. Jetzt stand er genau vor Doflamingo, der ihn um gut einen Kopf überragte. „Du hättest mir vertrauen sollen!“ „Ich vertraue dir!“, sagte Doflamingo sofort. „Wenn du mir vertrauen würdest, dann hättest du nicht so eifersüchtig reagiert!“ „Jeder hätte eifersüchtig reagiert, wenn er seinen Partner in so einer Situation gesehen hätte!“ „In so einer Situation? So einer Situation? Da ist nichts gewesen, Doflamingo!“ „Aber das kann man vorher doch nicht wissen!“ „Du hättest mir vertrauen sollen! Zur Hölle nochmal! Entschuldige dich doch einfach und dann vergessen wir diesen blöden Vorfall.“ Diese Sache hatte ihn sowieso schon viel zu viel Zeit und Nerven gekostet, fand Crocodile. Er wollte sie nun endlich abhaken und dann mit seinem üblichen Tagesgeschäft weitermachen. Schließlich wartete noch immer eine Menge Arbeit auf ihn, die er bis heute Abend erledigt haben musste. „Von mir aus können wir diesen Vorfall vergessen“, sagte Doflamingo, „aber ich sehe keinen Grund, wieso ich mich bei dir entschuldigen sollte.“ Crocodile seufzte verzweifelt auf und massierte sich mit zwei Fingern die Schläfe. Tatsächlich kam es sehr selten vor, dass er sich mit seinem Partner ernsthaft stritt. Es gab zwar oft kleine Meinungsverschiedenheiten oder sie ärgerten einander ein wenig, doch wirklichen großen Streit hatten sie in ihrer Beziehung bisher nur zwei- oder vielleicht dreimal gehabt. Da Crocodile der Meinung war, dass er in letzter Zeit sowieso schon unter zu viel Stress stand und zu viel Ärger hatte, beschloss er diesmal klein bei zu geben. Bei den Problemen, die sich durch seine Kündigung ergeben hatten, hatte er bereits so unglaublich viele Nerven eingebüßt, dass er nun einfach nicht mehr die Kraft aufbringen konnte, um sich gegen seinen Freund durchzusetzen. „Na von mir aus“, sagte er darum schließlich mit matter Stimme und fuhr sich mit der Hand kurz durchs Haar. „Dann verschwinde jetzt endlich. Ich muss noch eine Menge Arbeit erledigen.“ Je eher Doflamingo das Gebäude der Bank verließ, desto besser. Zumindest sah Crocodile das so. Das Risiko, dass sein Partner von seiner Kündigung erfuhr, stieg mit jeder Minute, die er länger hier verbrachte. Auch wenn seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich inzwischen anderen Themen zum Tratschen zugewendet hatte, war es nicht unmöglich, dass er nicht doch die eine oder andere Sache aufschnappte. Und das wollte Crocodile unter allen Umständen vermeiden. Doch natürlich machte Doflamingo ihm erneut einen Strich durch seine Rechnung. Anstatt ihm diesen Gefallen zu tun und einfach nach Hause oder wohin auch immer zu fahren, wurde er nun stattdessen bockig und rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. „Willst du denn gar nicht fragen, wieso ich überhaupt hierher gekommen bin?“, fragte er und schob beleidigt die Unterlippe ein kleines Stück nach vorne. „Nein“, erwiderte Crocodile ohne Umschweife und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. „Und wenn ich ehrlich bin, hältst du dich für meinen Geschmack schon viel zu lange in meinem Büro auf. Also geh jetzt endlich! Ich habe wirklich die Nase voll von dir!“ „Ach komm schon, sei nicht so ein Miesepeter“, sagte Doflamingo, der (seiner guten Laune nach zu urteilen) ihren Streit von vorhin beinahe schon wieder vergessen zu haben schien. „Frag mich, warum ich heute in deinem Büro aufgekreuzt bin!“ „Um einen Streit von Zaun zu brechen und mich zu nerven?“ „Du bist so gemein zu mir! Dass es Streit geben würde, konnte ich vorher doch nicht ahnen, oder?“ Crocodile seufzte. Allem Anschein nach ließ sich Doflamingo nicht vertreiben, ehe er nicht bei seinen dämlichen Spielchen mitgespielt hatte. Um ihn also schnellstmöglich loszuwerden, gab Crocodile erneut kleinbei und fragte: „Also... wieso bist du hierher gekommen?“ „Ich hatte eben ein Gespräch mit Akainu wegen gewisser Geschäfte.“ Crocodile lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sein Freund hatte mit Akainu gesprochen? Hoffentlich hatte der nicht verraten, dass er gekündigt worden war. So eine Gemeinheit würde er diesem Misthund wirklich zutrauen. Vor allen Dingen, weil dieser ihn auf den Tod nicht ausstehen konnte (was auf Gegenseitigkeit beruhte). Aber auf der anderen Seite: Wusste in der Bank überhaupt irgendjemand, dass er in einer Beziehung mit Donquixote Doflamingo war? Sengoku hatte davon mitbekommen, weil er Doflamingo bei diesem gemeinsamen Geschäftsessen vor etwas mehr als einem halben Jahr kennengelernt hatte. Und Robin wusste Bescheid, weil Doflamingo damals versuchte hatte, über seine Sekretärin an ein paar Informationen über ihn zu kommen. Ansonsten allerdings hatte er nie jemandem in der Bank von seiner Liebesbeziehung zu Donquixote Doflamingo erzählt. Nicht, weil er sich für seinen Partner schämte oder Ähnliches; Crocodile war einfach kein Mensch, der am Arbeitsplatz oft über Privates sprach. Er trennte diese beiden Bereiche sehr strikt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Akainu gegenüber Doflamingo etwas über seine Kündigung ausgeplaudert hatte, um ihm eins auszuwischen, war also zum Glück relativ gering. Erleichtert atmete Crocodile aus. „Und da fiel mir ein: Wani arbeitet ja auch hier“, fuhr Doflamingo, der seinen kleinen Schock nicht mitzubekommen haben schien, ungerührt fort. „Also bin ich auf die Idee gekommen, dich mal in deinem Büro zu besuchen. Ich dachte mir, dass du sicher gleich Mittagspause haben würdest und wir dann zusammen etwas Essen gehen könnten. Nur ein paar Straßen von hier entfernt gibt es ein tolles internationales Restaurant. Keine Sorge, ich habe mir vorab die Speisekarte angeschaut und es gibt eine Menge Gerichte, die du problemlos essen kannst und...“ „Ich werde jetzt garantiert nicht mit dir essen gehen, Doflamingo!“, unterbrach Crocodile unwirsch den Redeschwall seines Freundes. Völlig vor den Kopf gestoßen hielt dieser inne und sah ihm in die Augen. „Erstens habe ich nach unserem Streit und deiner total kindischen Weigerung, dich bei mir zu entschuldigen, keine Lust mit dir essen zu gehen. Und zweitens mache ich heute sowieso keine Mittagspause. Ich muss bis Arbeitsschluss noch eine Menge Papierkram erledigen, da bleibt mir keine Zeit zum essen.“ Zur Bekräftigung seiner Worte machte Crocodile eine knappe Handbewegung in Richtung Tür und wendete sich dann demonstrativ den Dokumenten zu, die Tashigi ihm dagelassen hatte. Leider musste er feststellen, dass es sich um einen sehr großen Fehler handelte, wenn man sich allen Ernstes anmaßte, den großen Donquixote Doflamingo zu ignorieren. „Du... du... du kannst mich doch jetzt nicht rausschmeißen!?“, brüllte Doflamingo entsetzt, beleidigt und stinkwütend. „Für wen hältst du dich eigentlich?!“ „Für jemanden, der in Ruhe seine Arbeit erledigen möchte“, gab Crocodile spitz zurück und widerstand der Versuchung, sich erneut die Schläfen zu massieren. Langsam stellten sich Kopfschmerzen bei ihm ein. Warum nur konnte Doflamingo ihn nicht einfach in Ruhe lassen? „Du kannst mich nicht rausschmeißen! Das lasse ich mir nicht bieten, verdammt nochmal!“ „Das hier ist mein Büro. Ich entscheide, wer sich hier aufhält und wer nicht. Und jetzt geh doch bitte einfach. Ich muss meine Arbeit machen.“ „Mir egal! Ich will jetzt mit dir essen gehen!“, erwiderte Doflamingo mit lauter Stimme. „Also lass deine blöde Arbeit für zwei Stunden liegen und komm mit mir mit!“ Diese dreiste Aussage sorgte dafür, dass Crocodile schlussendlich der Kragen platzte. Er war mit seinen Nerven völlig am Ende. Plötzlich jedoch wich die Erschöpfung heißer Wut, die wie Lava durch seinen Körper strömte. Crocodile spürte sogar, wie seine Finger unkontrolliert zuckten. Er stand von seinem Schreibtischstuhl wieder auf und brüllte: „Genau diese Einstellung von dir ist das größte Problem in unserer Beziehung, Doflamingo! Alles dreht sich darum, was du gerade willst! Doflamingo will irgendetwas - also bekommt er es auch. Und zwar unter allen Umständen. Denn er ist der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt und alle anderen sind bloß zweitrangig! Das scheint ja wirklich deine Idee vom Leben zu sein! Und von mir aus kannst du diesen blöden Scheiß bei irgendwem anders auch durchziehen. Sollen die Leute dich doch in deinem Egoismus und deinem kranken Gottkomplex unterstützen. Mir ist das egal. Aber glaub ja nicht, dass das auch bei mir funktioniert! Ich bin nicht dein blöder Bediensteter, der dir hinterher rennt und tut, was du sagst. Darauf habe ich keinen Bock! Ich bin dein Freund und nicht irgendein unterhaltsamer Zeitvertreib! Und da ich dein Freund bin, solltest du mich lieber nicht auf dieselbe Stufe stellen wie alle anderen. Und ständig versuchen, deinen blöden Willen durchzusetzen! Sondern auch mal daran denken, wie es mir dabei geht. Sonst bekomme ich nämlich das Gefühl, dass ich dir überhaupt nichts bedeute und bloß ein Mittel gegen deine Langeweile bin. Und du kannst mir glauben: Das lasse ich mir bestimmt nicht bieten!“ Mit diesem Wutausbruch hatte er Donquixote Doflamingo das erste Mal in ihrer Beziehung -und vielleicht das erste Mal in dessen Leben- absolut mundtot gemacht. Sein Partner stand bloß völlig bewegungslos und mit offenem Mund in seinem Büro, starrte ihn hinter den bunten Gläsern seiner Sonnenbrille heraus an und sagte nichts. Für Crocodile war diese Stille Musik in seinen Ohren. Und als Doflamingo nach ein paar Minuten endlich seine Stimme wiederfand, klang sie schwach und stotternd: „Aber... ich... nein, so war das nicht gemeint. Du bist kein Zeitvertreib für mich. Ich... ich liebe dich! Mehr als alles andere auf der Welt!“ „Dann beweis mir deine Liebe, indem du nicht egoistisch handelst, sondern auch an mich denkst. Und das tust du, indem du jetzt ohne ein weiteres Wort mein Büro verlässt, damit ich meine Arbeit fertig machen kann. Ich... ich rufe dich heute Abend, wenn ich Zuhause bin, an und wir machen einen anderen Termin für das Essengehen aus. In Ordnung?“ Crocodile traute seine Augen kaum, als Doflamingo stumm nickte und dann tatsächlich ohne weiteres Theater den Raum verließ. Er dachte sogar daran, die Tür hinter sich zu schließen. Kaum war sein Partner verschwunden, ließ sich Crocodile zurück in seinen Stuhl sinken und bettete den Kopf auf seine Arme, die vor ihm auf der Platte seines Schreibtisches übereinander gekreuzt lagen. Er wusste nicht, ob er sich gut oder schlecht fühlen sollte. Wenn er so darüber nachdachte, fühlte er sich jetzt eigentlich bloß wieder sehr erschöpft und verzweifelt. Er hoffte nur, dass er mit seinem Wutausbruch eben nicht seine Beziehung zu Doflamingo riskiert hatte. * Als Crocodile an diesem Tag endlich von der Arbeit nach Hause kam, war es schon fast elf Uhr abends. Weil der Supermarkt, den er in letzter Zeit öfter besuchte, um die späte Uhrzeit bereits geschlossen gewesen war, hatte er sich an einer Tankstelle ein paar Dosen vorgefertigten Wodka-Orange-Mix gekauft. Das Zeug schmeckte zwar fürchterlich, sorgte allerdings dafür, dass er endlich ein wenig Erleichterung und Entspannung zulassen konnte. In der Bank überließ man ihm seit seiner Kündigung die langweiligsten und unleidigsten Arbeiten. Da er nur noch etwa eineinhalb Monate dort arbeiten würde, machte es keinen Sinn, ihn mit größeren und verantwortungsvollen Aufgaben zu betrauen. Darunter litt Crocodile sehr. Er war es gewohnt, Projekte zu leiten und Meetings einzuberufen, und dass man seine Fähigkeiten nun für stupiden Papierkram verwendete, verletzte ihn zutiefst. Er hatte doch nicht jahrelang studiert, um Formulare auszufüllen und Emails an Kunden zu verschicken! Außerdem fühlte er sich schuldig, weil er sich Doflamingo gegenüber so eklig verhalten hatte. Sein Partner hatte ihm mit dem Besuch in seinem Büro und der Essenseinladung doch bloß eine nette Überraschung machen wollen - und er hatte ihn beschimpft und verscheucht, weil er schlechte Laune gehabt hatte. Crocodile trank die erste Dose leer und griff dann gleich nach der nächsten, um sie mit einem leisen Zischgeräusch zu öffnen. Obwohl ein kleiner Teil der Schuld natürlich auch bei Doflamingo selbst lag; schließlich war dieser so stur gewesen und hatte sein Büro einfach nicht verlassen wollen. Wie auch immer, jedenfalls fühlte Crocodile sich furchtbar schlecht. Er erinnerte sich daran, dass er Doflamingo versprochen hatte, ihn nach der Arbeit anzurufen. Also stellte er den Fernseher leise, griff nach seinem Handy, das er neben sich auf die Couch gelegt hatte, und rief seinen Freund über die Kurzwahltaste 5 an. Crocodile hatte insgesamt fünf Handynummern über Kurzwahltasten gespeichert: auf der 1 war die Nummer von seinem Bruder Mihawk gespeichert, auf der 2 die von seiner Schwester Hancock, auf der 3 die Nummer von seinem Studienkollegen Daz, auf der 4 die private Nummer von seiner Sekretärin Robin und auf der 5 die von Doflamingo. Die Telefonnummern seiner Eltern hatte er nicht gespeichert; er besaß sie nicht, weil er seit seinem Outing keinen Kontakt mehr zu ihnen hatte. Doflamingo nahm gleich nach dem zweiten Klingeln ab. „Endlich rufst du an, Wani! Ich warte schon den ganzen Abend auf deinen Anruf! Wir haben fast Mitternacht!“ Es war zwar erst dreiundzwanzig Uhr zehn, doch Crocodile machte sich nicht die Mühe, seinen Freund zu korrigieren. Stattdessen sagte er: „Sorry, ich bin gerade erst nach Hause gekommen.“ „Ist schon gut“, erwiderte Doflamingo sofort, „das sollte kein Vorwurf sein. Aber musstest du denn wirklich so lange arbeiten? Du hast doch schon heute morgen um acht angefangen. Es kann doch nicht sein, dass du so viel Arbeit aufgehalst bekommst, dass du erst um null Uhr nach Hause kommst!“ Es war zwar immer noch nicht Mitternacht, doch Crocodile wusste, was sein Partner meinte. „Da kann ich aber leider nichts gegen machen. In letzter Zeit gibt es eben sehr viel zu tun. Alle müssen länger bleiben oder Arbeit mit nach Hause nehmen.“ „Dann soll der blöde Sengoku eben mehr Leute einstellen“, jammerte Doflamingo. „Wir sehen uns für meinen Geschmack sowieso schon viel zu selten. Wenn du auch noch jeden Tag bis spätabends arbeiten musst, können wir uns unter der Woche überhaupt nicht mehr treffen!“ „So schlimm ist es nicht“, versuchte Crocodile ihn zu beschwichtigen, „wir kriegen das auf jeden Fall irgendwie geregelt, das verspreche ich dir. Ich werde mich darum bemühen, in nächster Zeit pünktlich Schluss zu machen, okay?“ Mit diesem Versprechen log Crocodile ihn erneut an. Tatsächlich hatte er sich freiwillig dazu bereiterklärt, Überstunden zu machen, damit sein nächster Gehaltscheck ein wenig üppiger ausfiel und er einen größeren Teil seiner Schulden begleichen könnte. Aber das sollte Doflamingo natürlich nicht erfahren. „Das Problem liegt ja nicht nur bei deiner Arbeit“, meinte dieser nun, „es geht ja zum Beispiel auch darum, dass wir fünfundvierzig Autominuten voneinander entfernt wohnen!“ Oh Gott, dachte Crocodile und presste die Lippen und Zähne aufeinander. Hoffentlich machte sein Freund nicht wieder irgendeine Andeutung darüber, dass er gerne mit ihm zusammenziehen würde! Um dieses Gesprächsthema zu umgehen und jeden weiteren Gedanken an einen Zusammenzug gleich im Keim zu ersticken, sagte Crocodile hastig: „Lass uns jetzt nicht darüber reden, ja? Ich will nicht mit dir streiten. Wollten wir nicht lieber einen Termin fürs Essengehen ausmachen? Du hast doch etwas von einem internationalen Restaurant gesagt, oder?“ Zum Glück tat Doflamingo ihm den Gefallen und ließ sich sofort begeistert auf das neue Thema ein. Crocodile atmete erleichtert aus. „Ja, ein guter Freund hat mir das Restaurant empfohlen“, plapperte Doflamingo sofort drauf los, „und wie gesagt, es ist nicht weit von der Bank entfernt. Also ideal, wenn du in der Mittagspause oder nach Arbeitsschluss dorthin möchtest. Und es werden wirklich sehr, sehr viele Gerichte angeboten, die dein Magen verträgt; darauf habe ich besonderen Wert gelegt.“ „Das, ähm, klingt doch gut“, sagte Crocodile und fühlte sich sehr unbeholfen. Eigentlich hatte er derzeit wirklich nicht das Geld übrig, um auswärts essen zu gehen. Aber was sollte er sonst tun? Doflamingo ging unglaublich gerne essen. Er würde sich seinen Wünschen nicht ewig entziehen können. Und zumindest schien es sich bei diesem Restaurant nicht um das Baratie zu handeln. „Wann möchtest du denn dahin?“ „Wie wäre es mit Freitagabend? Ich kann dich von der Arbeit abholen. Und danach verbringen wir ein schönes Wochenende bei mir. Was hältst du davon?“ „Das ist super“, antwortete Crocodile und weil er fand, dass auffällig wenig Enthusiasmus in seiner Stimme lag, fügte er ein wenig überzeugender hinzu: „Ein entspannendes Wochenende habe ich wirklich dringend nötig. Vor allem mal wieder aus der Großstadt herauszukommen, wird mir sicher guttun. Die Arbeit stresst mich in letzter Zeit unglaublich. Ich freue mich schon darauf.“ „Ich mich auch!“, gab Doflamingo fröhlich zurück und gluckste. „Ein ganzes Wochenende lang nur du und ich bei mir Zuhause - das wird sicher wunderschön!“ * Am Freitagabend machte Crocodile pünktlich Arbeitsschluss, damit er draußen auf seinen Freund warten konnte und sich für diesen gar nicht die Notwendigkeit ergeben würde, das Gebäude der Bank zu betreten, um ihn zu suchen. Auch wenn nur Sengoku und Robin über ihn und Doflamingo Bescheid wussten, war die Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen, dass irgendjemand vielleicht beiläufig seine Kündigung erwähnen würde. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, hielt Crocodile es für sinnvoll, dass sein Partner die Bank nur so selten wie absolut nötig betrat. Die kühle Abendluft sorgte für einen klaren Kopf bei ihm. Crocodile stellte seine Arbeitstasche neben ihm auf den Bürgersteig ab. (Normalerweise befanden sich wichtige Dokumente darin, heute jedoch waren es frische Wäsche, Hygieneartikel und anderer Kram.) Er nahm sich eine Zigarre aus seiner Innentasche und zündete sie an, nachdem er sie sich in den Mund gesteckt hatte. Doch auch nach zwei Zügen stellte sich bei Crocodile keine entspanntes Wohlgefühl ein, wie es sonst immer der Fall war. Die Probleme, die sich durch seine Kündigung ergaben, sowie sein ständiges Paranoia, Doflamingo könnte davon erfahren, ließen ihn einfach nicht los. Ganz gleich, wie intensiv er auch an der hochwertigen Zigarre zog, sie änderte nichts an dem nervösen Kribbeln in seinem Hals und seiner Hand. Er würde das gesamte Wochenende bei seinem Partner Zuhause verbringen. Und wenn er ehrlich war, dann fühlte er sich sehr unwohl und unsicher bei diesem Gedanken. Er fürchtete sich davor, dass er sich womöglich verplappern oder aus irgendeinem anderen Grund sein Geheimnis verraten würde. Je länger er sich in der Nähe seines Freundes aufhielt, desto größer war die Gefahr, dass dieses Horrorszenario tatsächlich eintreten würde. Crocodile rauchte seine Zigarre auf und schmiss den Filter in einen Gulli, als er am Ende der Straße die Scheinwerfer von Doflamingos Auto sah. Oder besser gesagt, die Scheinwerfer eines der vielen Autos, die Doflamingo besaß. Heute handelte es sich um eine cremefarbene Limousine, die vor dem Gebäude der Bank zum stehen kam. Die Tür vorne links öffnete sich und es stieg ein Fahrer aus, der den Wagen einmal umrundete und schließlich die Türe hinten rechts öffnete. Donquixote Doflamingo rückte seine Sonnenbrille mit den violett getönten Gläsern zurecht, als er langsam aus der Limousine ausstieg und auf Crocodile zuging. Der Fahrer schloss die Wagentüre hinter ihm und blieb dann an Ort und Stelle stehen, um zu warten. Obwohl Crocodile genau wusste, dass Doflamingo unglaublich reich war, erstaunte es ihn immer wieder aufs Neue, welchen Luxus sich sein Freund doch gönnte. Auch wenn er selbst nicht schlecht verdiente -oder eher verdient hatte, ehe er gekündigt worden war-, wäre er niemals auf die Idee gekommen, sich einen eigenen Fahrer anzuschaffen. Und bei dem Gedanken daran, dass er demnächst seinen Mercedes C 216 (der vielleicht ein Viertel so viel wert war wie dieses eine Auto von Doflamingo) verkaufen musste, um einen Teil seiner Schulden zu tilgen, wurde ihm plötzlich sehr schlecht. Dennoch bemühte Crocodile sich seinem Freund gegenüber um ein möglichst unbefangenes Lächeln. Nachdem er sich unauffällig umgesehen und festgestellt hatte, dass sich in ihrer unmittelbarer Nähe niemand befand, ließ er es sogar zu, dass Doflamingo ihm zur Begrüßung einen kurzen Kuss auf seinen Mund gab und ihm einen schweren Arm um seine Schulter legte, während er ihn zur Limousine begleitete. Es war nicht so, dass er sich für seine homosexuelle Neigung oder Doflamingo (außer für dessen Kleidungsstil) schämte, doch er hielt noch immer an dem Grundsatz fest, dass es umso besser für ihn war, je weniger Leute in der Bank von ihrer Beziehung wussten. Der Fahrer öffnete ihnen beiden die Türe und Crocodile glitt neben seinen Freund auf die geräumige Rückbank des Wagens. Die Sitze waren, passend zur Außenfarbe der Limousine, mit cremefarbenen Leder überzogen worden. Außerdem war der Innenraum mit einer Menge nicht notwendigem, aber hübschem und teurem Schnickschnack ausgestattet. Crocodile spürte, dass Doflamingo ihm unter seiner Sonnenbrille einen besorgten und misstrauischen Blick zuwarf. „Ist alles in Ordnung mit dir, Crocobaby?“, fragte er und strich ihm sanft über die Haare. „Du bist so blass im Gesicht.“ „Ich bin immer blass im Gesicht“, erwiderte Crocodile und bemühte sich darum, seine steife Körperhaltung ein wenig aufzulockern und die zärtlichen Berührungen seines Partners zu genießen. „Mit mir ist alles in Ordnung.“ „Bist du dir da sicher?“, hakte Doflamingo nach. Crocodile widerstand dem Wunsch, die Augenbrauen zusammenzuziehen. „Natürlich bin ich mir sicher. Ich bin nur ein bisschen erschöpft; die Arbeit war mal wieder sehr anstrengend. Und ausgerechnet heute musste ich mich auch noch mit Akainu auseinandersetzen. Du weißt ja, dass ich ihn nicht leiden kann. Aber ansonsten ist alles okay bei mir. Du musst dir keine Sorgen machen, Doffy.“ Crocodile merkte, dass Doflamingo ihm immer weiter Glauben schenkte, je länger er redete, und bei der Nennung seines Kosenamens schien er völlig von seiner Lüge überzeugt zu sein. Crocodile schluckte und vermied den Blickkontakt zu seinem Freund. Akainu war heute nicht einmal im Hause gewesen, weil er Verhandlungen mit einer anderen Bank geführt hatte, doch das konnte Doflamingo natürlich nicht wissen. * Das Restaurant, das Doflamingo ausgesucht hatte, befand sich in einem Gebäude, das sehr altehrwürdig aussah und mit einer Menge weißem Stuck geschmückt war. Es bildete einen starken Kontrast zu den vielen Wolkenkratzern aus Glas und Stahl, die ansonsten das äußere Erscheinungsbild der Stadt dominierten. Crocodile gefiel es auf Anhieb sehr gut. Allem Anschein nach hatte sich sein Freund bei der Wahl des Restaurants tatsächlich Gedanken darum gemacht, welches seinen Geschmack am ehesten treffen würde. Der Name des Lokals war Flying Lamb, wie Crocodile der Schrift auf der altmodisch gemeißelten Tafel über dem Eingang entnahm. Als sie die Innenräume betraten, erwartete sie im Eingangsbereich bereits der Oberkellner, der sie mit einer Verbeugung begrüßte. Es war ein junger Mann mit blondem Haar und einem leichten Kinnbart, den er anscheinend absichtlich nicht rasierte. „Herr Donquixote, es ist eine große Ehre, Sie in unserem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen! Und Ihre Begleitung, ah, das wird sicherlich der hoch geschätzte Sir Crocodile sein, nicht wahr? Wir fühlen uns durch Ihren Besuch sehr geehrt und freuen uns, Sie beide heute Abend bewirten zu dürfen! Bitte legen Sie doch Ihre Garderobe ab und folgen mir zu Ihrem Tisch.“ Nachdem ihnen die die Mäntel abgenommen worden waren, folgten sie dem Oberkellner durch das Restaurant. Verwundert sah Crocodile sich um. Im gesamten Raum konnte er bloß einen einzigen Tisch ausmachen und das war der, den sie gerade ansteuerten. Ansonsten war das Lokal wie leergefegt. Doflamingo, der seinen misstrauischen Blick wohl mitbekommen hatte, gluckste leise und raunte ihm dann zu: „Du hast mir doch erzählt, dass du ein bisschen Ruhe und Entspannung gut gebrauchen könntest, oder nicht? Darum habe ich für uns beide das komplette Restaurant reserviert.“ Bei dieser Aussage setzte Crocodiles Herz für einen kurzen Moment aus, ehe es mit der doppelten Geschwindigkeit weiterschlug. Hatte sein Partner ihm eben tatsächlich mitgeteilt, dass er für heute Abend nicht bloß einen Tisch, sondern gleich das ganze Restaurant gemietet hatte? Sie erreichte ihre Plätze und Crocodile setzte sich mit einem riesigen Kloß im Hals auf den Stuhl, den nicht der Kellner, sondern Doflamingo für ihn zurechtrückte. Er war so geschockt, dass er sogar vergaß sich dafür zu bedanken. Die Kosten für ein auswärtiges Essen waren ihm beinahe schon zu hoch; wie sollte er denn nur ein ganzes Restaurant bezahlen? Als der Kellner nach ihren Getränkewünschen fragte, war das einzige, was Crocodile hervorbrachte, bloß ein leises und jämmerlich klingendes „Stilles Wasser, bitte“. „Ich lade dich ein“, sagte Doflamingo, als sie wieder allein waren. „Ich weiß, dass du dich nicht gerne einladen lässt, aber heute wirst du es zulassen müssen, ob es dir gefällt oder nicht.“ Crocodile sah überrascht zu ihm hinüber. Er fühlte sich sehr unwohl: Auf der einen Seite konnte er es überhaupt nicht ausstehen, wenn man für ihn bezahlte, auf der anderen Seite allerdings fragte er sich ernsthaft, wie er angesichts seiner finanziellen Situation eine solch riesige Rechnung bezahlen sollte. „Gibt es für die Einladung einen besonderen Grund?“ „Es gibt sogar zwei besondere Gründe“, erwiderte Doflamingo munter und ignorierte den Kellner, der ihre Getränke und Vorsalate servierte. „Erstens ist heute unser siebter Monatstag und zweitens möchte ich gerne über ein wichtiges Thema mit dir sprechen.“ Um seine staubtrockene Kehle ein wenig zu befeuchten, trank Crocodile einen Schluck Wasser. Er hatte völlig vergessen, dass heute ihr Monatstag war. „Das ist doch nicht nötig“, sagte er, „wir haben uns schließlich noch nie etwas zum Monatstag geschenkt. Du weißt, dass ich so etwas furchtbar kitschig finde!“ Doflamingo zuckte mit den Schultern und blätterte beiläufig durch die Speisekarte, als er meinte: „Und du weißt, dass ich ein Fan von Kitsch und Romantik bin. Also gönn mir doch, dass ich dich einlade. Und wenn nicht aus dem ersten Grund, dann wenigstens aus dem zweiten.“ „Und worum geht es bei diesem zweiten Grund?“ Crocodile griff ebenfalls nach der Karte; allerdings bloß, um seine zuckenden Finger ein wenig zu beruhigen. Er richtete seinen Blick zwar auf die Seiten, wusste jedoch auch nach zwei Minuten nicht, was das Flying Lamb anbot. Sein Herz schlug sehr schnell. Worüber wollte Doflamingo mit ihm reden? Hatte er etwa von seiner Kündigung und seinen Schulden erfahren? Doch wie war das möglich? Doflamingos Grinsen war unnahbar. „Lass uns später darüber sprechen, ja? Erstmal sollten wir bestellen. So wie ich dich kenne, hast du dir heute bei der Arbeit bestimmt keine einzige Pause gegönnt, um eine Kleinigkeit zu essen, nicht wahr?“ Crocodile seufzte. Es wunderte ihn kein bisschen, dass sein Freund auf dieses Thema zurückkam. Anscheinend fühlte sich Doflamingo in letzter Zeit tatsächlich von ihm vernachlässigt, weil er ständig lange arbeiten musste. „Es gibt in der Bank eben sehr viel zu tun“, verteidigte Crocodile sein Verhalten und las die Auflistung der Vorspeisen durch, „da bleibt mir keine Zeit, um zu essen.“ Was ihm eigentlich auch ganz recht war, dachte Crocodile, denn durch seine vielen Sorgen hatte er sowieso ständig das Gefühl, ihm würde ein Kloß im Magen liegen. Und jedes Mal, wenn er daran dachte, Mittagspause zu machen und etwas zu essen, wurde ihm wieder bewusst, wie schrecklich groß und schwer dieser Kloß doch war. „Das ist aber sehr ungesund“, tadelte Doflamingo ihn. „Man sollte sich nicht überarbeiten. Und wenn man's doch mal tut, sollte man wenigstens darauf achten, genug zu essen und zu schlafen. Sonst landest du noch im Grab, bevor du vierzig bist. Fufufufu.“ Doflamingo lachte, doch in seiner Stimme hatte auch ein wenig Ernst mitgeschwungen. Crocodile versuchte von diesem unangenehmen Thema abzulenken, indem er lächelte und sagte: „Damit du sichergehen kannst, dass ich nicht verhungere, sind wir doch jetzt hier, oder nicht? Weißt du schon, was du nimmst?“ „Ich habe Lust auf Seafood“, antwortete Doflamingo, der zum Glück sehr leicht abzulenken war, „als Vorspeise nehme ich die Krabbensuppe. Und als Hauptgang, hm, Seeteufel.“ Crocodile schmunzelte. Sein Freund hatte sogar beim Essen einen wirklich exotischen und teuren Geschmack. Als der Kellner ihre Bestellungen aufnahm, äußerte Doflamingo mehrere Extrawünsche, die in dessen Ohren ziemlich unsinnig klingen mussten; doch natürlich notierte er pflichtbewusst jede geforderte Änderung. Dann wendete er sich Crocodile zu: „Und was darf es für Sie sein, mein Herr?“ „Ich nehme als Vorspeise die Kartoffelsuppe und als Hauptspeise das Schweinefilet. Alles nur mild gewürzt, bitte.“ „Ausgezeichnete Wahl“, kommentierte der blonde Kellner seine Bestellung, während er sie sich aufschrieb. Und gerade wollte er sich wieder auf den Weg zurück in die Küche machen, als Doflamingo ihn noch einmal aufhielt und hinzufügte: „Achtet darauf, dass seine Gerichte wirklich nur ganz mild gewürzt sind, ja? Also keinen Pfeffer oder andere scharfe Gewürze. Er hat einen empfindlichen Magen. Und schneidet alles in mundgerechte Stücke.“ „Natürlich“, bestätigte der Kellner und verbeugte sich kurz. Nachdem er sich wieder entfernt hatte und ganz sicher auch außer Hörweite war, warf Crocodile seinem Freund einen finsteren Blick zu und fragte mit verärgerter Stimme: „Was zur Hölle sollte das denn?!“ Doflamingo reagierte völlig gelassen; allem Anschein nach war er überhaupt nicht der Ansicht, dass er sich in irgendeiner Form unverschämt oder unangemessen verhalten hatte. „Ich wollte nur sichergehen, dass du kein Essen serviert bekommst, dass dir nicht bekommt.“ „Ich hatte doch schon gesagt gehabt, dass ich es mild gewürzt haben möchte!“, erwiderte Crocodile und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was sollte diese blöde Anmerkung mit den mundgerechten Stücken?!“ „Na, du hast doch nur eine Hand“, sagte Doflamingo als würde es sich dabei um eine völlig neue Tatsache handeln. „Wie willst du denn mit einer Hand Fleisch schneiden? Das geht doch nicht.“ „Dass ich nur eine Hand habe, werden die sicher gesehen haben, verdammt nochmal! Wir sind schließlich heute Abend die einzigen Gäste im ganzen Laden! Die wären sicher auch selber auf die Idee gekommen, das Fleisch für mich zu schneiden, bevor sie es servieren!“ Doflamingo hob in einer beschwichtigenden Geste beide Hände. „Jetzt reagier doch nicht gleich so aggressiv, Wani. Ich wollte dir doch bloß einen Gefallen tun. Ich habe es nicht böse gemeint.“ „Trotzdem!“, gab Crocodile zurück. Er reagierte immer sehr empfindlich darauf, wenn irgendjemand Rücksicht auf ihn nahm, obwohl das überhaupt nicht notwendig war. Schließlich war er eine sehr stolze Person und nahm nur ungern Hilfe an. „Ich bin kein kleines Kind mehr, sondern ein eigenständiger Mensch und durchaus dazu in der Lage, mein Essen selber zu bestellen. Also halte dich daraus, ja? Ich kann das nämlich auf den Tod nicht ausstehen, wenn man so tut, als würde ich etwas nicht alleine auf die Reihe kriegen!“ Auch wenn Crocodile es durch die Gläser der Sonnenbrille hindurch nicht sah, wusste er genau, dass sein Partner mit den Augen rollte. „Ich habe doch eben gesagt, dass ich es nicht böse gemeint habe“, erklärte Doflamingo. „Es war nicht meine Absicht, dich bloßzustellen. Ich wollte dir nur helfen.“ „Ich brauche keine Hilfe“, erwiderte Crocodile spitz. Doflamingo seufzte. Er seufzte nur sehr selten; ganz im Gegensatz zu ihm selbst. In ihrer gesamten Beziehung hatte Crocodile ihn höchsten drei- oder viermal seufzen gehört - dieses Mal mit eingerechnet. Wenn Doflamingo seufzte (oder wenn die Adern an seiner Stirn zu pochen begannen), dann wusste Crocodile, dass er sich einer Grenze näherte, die er lieber nicht überschreiten sollte. „Ist ja gut“, sagte Doflamingo. „Ich will jetzt nicht streiten. Es ist schließlich unser Monatstag. Lass uns diese blöde Sache einfach vergessen. In Ordnung?“ Wenn Doflamingo nicht geseufzt hätte, dann hätte Crocodile definitiv nicht aufgehört zu streiten. Er besaß nur wenige wunde Punkte, doch mit seinem Verhalten hatte sein Partner eben einen dieser Punkte getroffen. Und zwar genau in die Mitte. Da allerdings abzusehen war, dass dieser Streit womöglich sehr böse enden würde, wenn er auf einer Entschuldigung bestand, beschloss Crocodile schweren Herzens, erneut klein bei zu geben. Zumindest für diesen Abend. Er würde Doflamingo dann eben ein andern Mal auf diese Sache ansprechen und auf jeden Fall eine Entschuldigung verlangen. „In Ordnung. Hören wir auf zu streiten. Du hast Recht: Es ist unser Monatstag.“ Obwohl sie ihren Zwist beigelegt hatten und das Essen sehr gut schmeckte, konnte Crocodile den gemeinsamen Abend nicht so recht genießen. Ständig machte er sich Gedanken darum, worüber Doflamingo anlässlich ihres siebten Monatstages mit ihm sprechen wollte. Um seine Kündigung ging es wahrscheinlich nicht. Doch worum dann? Er konnte sich beim besten Willen nichts vorstellen, was so wichtig wäre, dass man allein für die Verkündigung ein komplettes Restaurant mietete. Auf der anderen Seite allerdings waren diese Kosten für einen Mann wie Doflamingo wohl kaum der Rede wert. Als der blonde Oberkellner das nächste Mal zu ihnen hinüber kam, bestellte Crocodile sich einen Rotwein; er musste dringend seine Nerven beruhigen. Erst, als er das Glas fast leer getrunken hatte, kam Doflamingo endlich auf den Grund für die Essenseinladung zu sprechen. „Ich habe mir in letzter Zeit sehr viele Gedanken über unsere Beziehung gemacht“, sagte Doflamingo. Er klang nicht schlecht gelaunt, jedoch untypisch ernst. Crocodile spürte, dass seine Finger wieder zu zucken begannen, und trank eilig den letzten Schluck Wein aus seinem Glas. Er fühlte sich schrecklich nervös und wünschte sich, Doflamingo würde endlich auf den Punkt kommen. „Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es viele Dinge gibt, die mich sehr stören.“ Crocodile umfasste sein leeres Weinglas mit einem so festen Griff, dass es sich nur noch um eine Frage der Zeit handelte, bis es in seiner Hand zerplatzen würde. Der unangenehme Knoten in seinem Magen wurde noch größer. Was sein Partner sagte, klang überhaupt nicht gut. Wollte sich Doflamingo etwa von ihm trennen? Doch wozu dann der große Aufwand für den heutigen Abend? „Du arbeitest in letzter Zeit sehr viel“, fuhr Doflamingo fort, „und bist darum ständig gestresst und gereizt. Außerdem hast du kaum noch Zeit für mich -oder eher für uns- übrig. Zuerst ging es nur um die Tage unter der Woche, aber jetzt weitet sich das auch auf die Wochenenden aus. Es gibt zum Teil ganze Wochen, in denen wir uns einfach nicht sehen können. Das liegt natürlich nicht nur an deiner Arbeit, sondern auch daran, dass du mehr als fünfzig Kilometer von mir entfernt wohnst.“ Doflamingo machte eine kurze Pause und trank einen Schluck von seinem Pina Colada. „Ich fände es schön, wenn wir uns öfter sehen könnten. Nicht bloß ein- oder zweimal in der Woche, sondern jeden Tag. Und, naja, aus diesem Grund möchte ich dich gerne fragen, ob du Lust hast“, er atmete einmal tief ein und aus, „zu mir zu ziehen?“ Crocodile fühlte sich, als hätte ihm irgendjemand mit voller Wucht in den Bauch getreten. Der schwere Kloß in seinem Magen begann zu schmerzen, alle Luft wich aus seinen Lungen und sein Mund war staubtrocken. Er wünschte sich einen Schluck Rotwein, doch leider hatte er sein Glas bereits bis aus den letzten Tropfen geleert. „Findest du nicht, dass es ein wenig zu früh ist, um zusammenzuziehen?“, sagte Crocodile und balancierte mithilfe dieser Gegenfrage geschickt um eine eindeutige Antwort herum. Er musste husten und suchte den Oberkellner, der ein paar Meter entfernt stand und gab diesem zu verstehen, dass er gerne nachgeschenkt bekäme. „Wir sind jetzt sieben Monate zusammen“, erwiderte Doflamingo. Seine Stimme klang undefinierbar; Crocodile konnte beim besten Willen nicht heraushören, ob sein Partner enttäuscht war oder sich die ganze Sache nicht allzu sehr zu Herzen nahm. „Und diese sieben Monate sind für mich mehr als genug Zeit gewesen, um mir darüber klar zu werden, dass du der Mann meines Lebens bist, Crocodile. Ich...“ Doflamingo stockte kurz und fuhr dann umso selbstsicherer fort: „Ich habe angefangen, mich für Dates und Sex zu interessieren, als ich fünfzehn war. Seitdem hatte ich eine Vielzahl von Partnern. Aber keiner von ihnen ist mir jemals wirklich wichtig gewesen. Die meisten waren sowieso bloß hinter meinem Geld her. Wollten immer nur, dass ich mit ihnen auf Parties gehe, ihnen Schmuck und Klamotten schenke. Und ich hab ihnen den Gefallen getan, weil ich reich bin und es als eine Selbstverständlichkeit empfunden habe. Es war für mich völlig normal, ihre Gesellschaft und ihren Sex zu kaufen. So wie es für dich normal ist, einen Ring zu kaufen anstatt ihn zu stehlen, wenn du ihn im Schaufenster siehst und ihn hübsch findest. Und wenn er dir nach einer gewissen Zeit langweilig geworden ist, dann packst du ihn eben zur Seite und kaufst dir einen neuen Ring, der dir besser gefällt. Um ehrlich zu sein, Crocodile, bist du der allererste Mensch in meinem ganzen Leben, der mich um meiner selbst willen liebt. Alle anderen haben immer nur mein Geld gewollt. Aber du schlägst meine Einladungen und Geschenke ständig aus; und wenn du einmal doch nicht drum herum kommst, dann sagst du immer Das wäre doch nicht nötig gewesen, Doffy!. Du verbringst Zeit mit mir, weil du mich liebst und aus keinen anderem Grund sonst. Ich bin mir sicher, dass du der Richtige für mich bist, Crocodile, und deswegen möchte ich mit dir zusammen den nächsten Schritt in unserer Beziehung gehen. Das bedeutet, zusammenzuziehen. Wenn du damit einverstanden bist.“ Doflamingo trank zwei Schlücke seines Cocktails auf einmal und nun spürte auch Crocodile die Aufregung, die sein Gegenüber versprühte. Allem Anschein nach war ihm diese Sache doch wichtiger als er es gehofft hatte. Was sollte er denn jetzt nur tun? Auf der einen Seite wollte Crocodile Doflamingos Gefühle nicht verletzen -vor allem, weil sich sein Partner ihm gegenüber nur sehr selten öffnete, zumindest auf emotionaler Ebene-, doch auf der anderen Seite konnte er ihm auch nicht so einfach zustimmen. Die Villa, in der Doflamingo hauste, hatte einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Irgendetwas um die 20.000.000 Berry herum, wenn er sich recht erinnerte; Doflamingo hatte diese Zahl irgendwann einmal beiläufig erwähnt gehabt. Doch wie um Himmels willen sollte er die Hälfte dieses Betrags bezahlen? (Denn kostenfrei bei seinem Freund zu wohnen, kam für einen Mann wie Crocodile definitiv nicht infrage.) Selbst zu seinen besten Zeiten hätte er eine Summe von 10.000.000 Berry nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln können. Ganz zu schweigen von der finanziellen Situation, mit der er jetzt gerade zu kämpfen hatte. Was dachte sich Doflamingo bloß? Konnte er sich denn nicht denken, dass er ihn mit diesem Angebot verletzte? „Ich, ähm, bin ziemlich überrascht“, gestand Crocodile schließlich, nachdem der blonde Kellner ihm Wein nachgeschenkt hatte. „Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass du mit mir zusammenziehen willst. Vor allen Dingen, weil wir ja gerade einmal seit sieben Monaten ein Paar sind.“ Crocodile hatte zwar in seinem Leben mehrere feste Liebesbeziehungen geführt, war bisher jedoch nur mit einem einzigen seiner Partner jemals zusammengezogen und das war Enel gewesen. Sie hatten sich nach vier Jahren fester Beziehung eine gemeinsame Wohnung gesucht; ein weiteres Jahr später war ihre Beziehung gescheitert. Crocodile war derjenige gewesen, der Schluss gemacht hatte, und auch derjenige, der auszog. Er ließ sich die Hälfte des Geldes, das sie in den Traum vom gemeinsamen Wohnen investiert hatten, auszahlen und zog wieder in die Wohnung ein, in der bereits er zuvor gewohnt hatte und die in der Zwischenzeit nicht anderweitig vermietet worden war. Kurze Zeit später hatte er dann Smoker kennengelernt. „Ich bin mir sicher, dass es dir guttun wird, wenn du bei mir einziehst“, redete Doflamingo weiter auf ihn ein. „Dann kommst du endlich mal aus der Großstadt raus. Deine Wohnung liegt schließlich mitten im Stadtkern. Du hast den ganzen Verkehrslärm direkt vor der Haustüre. Mein Zuhause liegt stattdessen im Grünen. Du kennst ja meinen großen Garten mit dem Teich und den vielen Bäumen. Stell dir das doch nur mal vor: Nach der Arbeit könntest du dich mit einem Buch in den Garten setzen und lesen, während dir die Sonne in den Nacken scheint und alles ruhig ist. Abgesehen vom Vogelgezwitscher natürlich, fufu. Es wäre wie Urlaub Zuhause. Und zwar jeden Tag!“ Crocodile musste sich eingestehen, dass diese Vorstellung tatsächlich ziemlich verlockend klang. Seine Loft-Wohnung besaß zwar insgesamt eine sehr teure und hochwertige Ausstattung, doch leider fehlte ein Balkon; von einem Garten, in dem Singvögel hausten, ganz zu schweigen. Für solche Dinge gab es im Zentrum einer Großstadt eben einfach keinen Platz. „Dafür müsste ich jeden Tag fünfundvierzig Minuten zur Arbeit fahren“, hielt er dagegen, obwohl dieses Argument eigentlich sehr unfair war. Schließlich würde er in etwa einem Monat sowieso den Job wechseln und wer konnte schon wissen, wohin es ihn verschlagen würde? „Ich merke schon, dass du nicht ganz so begeistert von meiner Idee bist, wie ich gehofft hatte“, meinte Doflamingo irgendwann. Er klang ziemlich niedergeschlagen, doch gab natürlich noch lange nicht auf. Am Ende bekam Donquixote Doflamingo immer, was er wollte. Das hatte Crocodile schließlich bereits gelernt. „Dann mache ich dir ein anderes Angebot: Wir hatten ja ausgemacht, dass du dieses Wochenende bei mir verbringst. Statt bloß der drei Tage, bleibst du aber zwei oder drei Wochen! So hast du genug Zeit, um dir darüber klar zu werden, ob es für dich infrage käme, zu mir zu ziehen. Es wäre so etwas wie ein Testlauf. Natürlich völlig unverbindlich; ich kann dich schließlich zu nichts zwingen. Wenn du nach diesen drei Wochen der Meinung bist, dass es dir bei mir gefällt, dann bleibst du dauerhaft. Und wenn nicht, dann kehrst du eben in deine eigene Wohnung zurück und wir machen uns vielleicht in einem Jahr oder... oder einem halben Jahr noch einmal Gedanken darüber. Deal?“ Crocodile zögerte für einen kurzen Moment. Er hatte ein sehr ungutes Gefühl bei dieser Sache. Ihm schossen hundert verschiedene Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Wie sollte er Doflamingo gegenüber den Umstand verheimlichen, dass er gekündigt worden war, wenn sie zusammenwohnten? Sein Partner würde es doch mit Sicherheit merken, dass er nicht zur Arbeit ging. Das war unvermeidlich, wenn sie jeden Morgen im selben Bett aufwachten! Und wie sollte er Bewerbungen für eine neue Arbeitsstelle schreiben, wenn sie jeden freie Minute miteinander verbrachten? Auf der anderen Seite müsste er sich nicht sofort nach einer neuen Wohnung umschauen und sich nicht so stark wie befürchtet in seinem luxuriösen Lebensstil einschränken. Das wiederum würde es einfacher machen, sein Geheimnis zu bewahren. Vielleicht wäre es möglich, die Zeit bis er eine neuen Job gefunden hätte, mithilfe von Doflamingo zu überbrücken. Er könnte so lange bei seinem Partner wohnen, bis sich seine finanzielle Situation stabilisert hatte, und dann wieder ein wenig mehr Abstand gewinnen und in eine eigene Wohnung ziehen. Crocodile erinnerte sich daran, dass er gestern eine sehr vielversprechend klingende Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten hatte. Vielleicht würde er ja bloß einen oder zwei Monate bei Doflamingo wohnen müssen, ehe alles wieder wie früher wurde? Gerade als Crocodile nervös den letzten Schluck Wein aus seinem zweiten Glas trank, entschied er sich dafür, das Angebot von Doflamingo anzunehmen. „Deal“, sagte er, als er das nun leere Glas wieder auf den Tisch abstellte, und bemühte sich um einen unbefangenen Tonfall. „Aber bevor wir dieses Experiment angehen“, Crocodile benutzte absichtlich das Wort Experiment, um die Sache so unverbindlich wie möglich klingen zu lassen, „muss ich vorher noch einmal nach Hause. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich nicht bloß drei Tage, sondern ganze drei Wochen bei dir verbringen werde. Deshalb habe ich nicht genug Klamotten eingepackt. Und es gibt noch ein paar Dinge, die ich erledigt haben muss, bevor ich länger wegbleibe. Ich habe Zuhause nämlich eine Spülmaschine randvoll mit dreckigem Geschirr stehen und den Müll muss ich auch rausbringen. Den Gestank, wenn ich beides für ein paar Wochen stehen lasse, will ich mir nämlich nicht auch nur vorstellen.“ „Wie du willst“, erwiderte Doflamingo fröhlich. Jetzt, da sein Partner seinem verrückten Plan zugestimmt hatte, schien ihm nichts mehr die Laune verderben zu können. „Das ist alles gar kein Problem.“ * Obwohl Crocodile schon des Öfteren ein Wochenende bei Doflamingo Zuhause verbracht hatte, überwältigte es ihn jedes Mal aufs Neue, wie unfassbar luxuriös sein Freund doch lebte. Er verdiente als Bankmanager selbst mehr als gut, doch sein Jahresgehalt war nichts im Vergleich zu der Summe, die Doflamingo als Besitzer mehrerer erfolgreicher Firmen und Betriebe zustande brachte. Crocodile konnte sich dessen sicher sein, dass Doflamingo ihm, ganz gleich worum es auch ging, immer einen Schritt voraus war. Wenn Crocodile in einer hochwertigen Loft-Wohnung zur Miete wohnte, dann lebte Doflamingo in einer teuren Villa. Wenn Crocodile einen Mercedes C 216 besaß, dann besaß Doflamingo ein Dutzend Wagen, die alle jeweils mindestens dreimal so viel wert waren. Wenn er für eine Essenseinladung den besten Tisch reserviert hätte, dann mietete Doflamingo gleich das komplette Restaurant. „Es ist schon ziemlich spät“, sagte sein Freund, als sie das Foyer betraten, „was hältst du davon, wenn wir gleich ins Bett gehen? Haben schließlich beide einen ziemlich anstrengenden Tag hinter uns, hm?“ Crocodile zuckte mit den Schultern. „Eigentlich bin ich noch gar nicht müde“, erwiderte er wahrheitsgemäß. Vor ihrem Restaurantbesuch hatte er sich noch ein wenig erschöpft gefühlt, doch nun war er wieder munter. Die vielen Gedanken und Sorgen bezüglich Doflamingos Wunsch, bei ihm einzuziehen, hielten ihn wach. Noch immer fragte er sich, wie er die riesigen Villa, in der sie sich gerade befanden, zur Hälfte bezahlen sollte. Doflamingo kicherte leise. „Nur weil wir ins Bett gehen, heißt das doch nicht, dass wir uns sofort schlafen legen müssen, oder?“, meinte er schließlich und ein lüsternes Grinsen legte sich auf seinen Lippen. Crocodile verstand die offensichtliche Andeutung auf Anhieb und unterdrückte gekonnt ein genervtes Seufzen. Es überraschte ihn nicht sonderlich, dass sein Freund vorhatte, den gemeinsamen Abend mit Sex ausklingen zu lassen. Nicht nur, weil heute durch ihren Monatstag und die Ankündigung ihres Zusammenzugs ein besonderer Anlass herrschte; Doflamingo wollte einfach bei jedem ihrer Treffen Geschlechtsverkehr haben. Crocodile lief ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken daran, wie sich ihr Sexleben verändern würde, wenn sie tatsächlich zusammenzögen. So wie er seinen Partner kannte, würde der sich bestimmt nicht mit dreimal wöchentlich Sex zufrieden geben. Wohl eher mit dreimal täglich Sex. Crocodile strich sich beunruhigt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich sein Unterleib in den nächsten drei Wochen, die er ja bei Doflamingo verbrachte, schmerzen würde. Hoffentlich wäre er wenigstens dazu in der Lage sich hinzusetzen, während sie morgens gemeinsam frühstückten. Obwohl er derzeit keine große Lust auf Sex verspürte, nickte Crocodile zustimmend. Er wollte das Gesprächsthema nicht wieder auf seine schlechte Laune und ständige Gereiztheit zurückführen, indem er seinen Partner zurückwies. Stattdessen meinte er: „Wie wär's, wenn wir -anlässlich dieses besonderes Abends- eine Flasche Sekt mit ins Bett nehmen und zusammen anstoßen?“ Aus eigener Erfahrung wusste Crocodile, dass er sich besser entspannen konnte, wenn er ein paar Schlücke Alkohol getrunken hatte. Und das wäre in der derzeitigen Situation sicher hilfreich. Beim passiven Analsex war es schließlich nicht sonderlich vorteilhaft, wenn man emotional aufgewühlt war und vor allem völlig verkrampft dalag. „Klar, wieso nicht“, gab Doflamingo unbefangen zurück. Crocodile kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass dieser sexuell sehr aufgeschlossen war. Es würde ihm nichts ausmachen, angetrunken Sex zu haben. Überhaupt schienen ihm die Umstände meistens relativ gleichgültig zu sein, solange er nur bekam, was er wollte. „Geh du schon mal vor“, sagte Doflamingo, „ich hole aus der Küche den Sekt und komme dann nach, in Ordnung?“ „In Ordnung“, erwiderte Crocodile und machte sich auf den Weg in das Schlafzimmer seines Freundes. Es war ein Raum mit hoher Decke, in dem lediglich ein riesiges Bett und zwei Nachtkonsolen standen. Wie er wusste, befanden sich in der obersten Schubladen der rechten Nachtkonsole (rechts schlief Doflamingo) Gleitcreme, Kondome und Handschellen; in der Schublade darunter ein paar Sexspielzeuge, die jeder Mensch über zwanzig schon einmal benutzt oder zumindest gesehen hatte. In die anderen Schubladen hatte Crocodile noch niemals hineingeschaut. Rechts und links zweigten zwei Türen ab: Die rechte führte in ein geräumiges Bad (eines der insgesamt sieben Badezimmer in der Villa), die linke in Doflamingos begehbaren Kleiderschrank. Crocodile seufzte leise, während er sich die Schuhe auszog und achtlos auf den Fußboden warf. Wenn er ehrlich war, würde er jetzt am liebsten ein wenig fernsehen, dabei ein Glas Wodka-Orange trinken und sich dann schlafen legen. Doch natürlich konnte er keinen Rückzieher mehr machen; nicht, nachdem er Doflamingo bereits Hoffnungen gemacht hatte. Crocodile zog sich den Schal vom Hals und knöpfte sich das Hemd auf, während er sich insgeheim fragte, wie sein Freund wohl reagieren würde, wenn er ihm einmal den Sex verweigern würde. Das war in ihrer gesamten Beziehung bisher noch nie vorgekommen. Er konnte Doflamingos Reaktion gar nicht einschätzen: Wäre er verständnisvoll? Und würde vielleicht nach dem Grund fragen, wieso er keine Lust hatte? Oder würde er eingeschnappt reagieren? Beleidigt? Wütend? Würde aus purer Rache heraus mit jemand anderem schlafen? Crocodile beschloss, dass er die Antwort auf diese Frage heute Abend lieber nicht herausfinden wollte. [zensiert] Sie trennten sich nicht sofort voneinander; Doflamingo blieb noch für eine Weile sowohl auf ihm als auch in ihm liegen und strich ihm durch sein dunkles Haar. Sie fühlten sich beide sehr erschöpft und bemühten sich darum, ihren Atem wieder zu normalisieren. Da ihm allerdings sein Freund (der deutlich muskulöser und außerdem fast einen Kopf größer war als er selbst) schnell zu schwer wurde, schob er ihn kurzerhand von sich fort. Als sich der halbsteife Penis Doflamingos aus ihm zurückzog, spürte Crocodile, wie das Sperma, dass dieser bei seinem Höhepunkt in ihn hineingepumpt hatte, warm aus ihm herauslief und über das Innere seiner Oberschenkel rann. Angewidert verzog er das Gesicht und schaute sich suchend nach einem Taschentuch um. „Wie kommt es eigentlich, dass du dich so sehr vor Sperma ekelst?“, fragte Doflamingo halb belustigt, halb ernst, während er ihn dabei beobachtete, wie er sich die weiße Flüssigkeit von der Haut abwischte. „Ich ekele mich nicht vor Sperma“, erwiderte Crocodile und nahm sich ein zweites Taschentuch zur Hand. „Ich mag es nur einfach nicht sonderlich. Weder in meinem Mund noch an anderen Stellen. Habe es noch nie gemocht.“ Es war nicht das erste Mal, dass Crocodile diese Diskussion führte. Fast jeder Mann, mit dem er öfter als ein- oder zweimal Sex gehabt hatte, stellte irgendwann diese Frage. Doflamingo schmunzelte. Ihn schien das Sperma seines Partners, das noch immer an seinem Oberkörper klebte, nicht im mindestens zu stören. „Aber du stehst doch auch darauf, wenn ich dein Sperma schlucke, oder? Das findest du nicht eklig.“ Crocodile seufzte. „Ich habe niemals -nicht auch nur ein einziges Mal- von dir verlangt, dass du schluckst“, erwiderte er. „Es stimmt schon, dass es ziemlich heiß ist, wenn du das machst; aber ich würde es dir auch nicht übel nehmen, wenn du das nicht mehr tun würdest.“ „Das ist eine ziemlich komische Einstellung für einen Typen, der mit anderen Männern schläft.“ Crocodile reagierte mit einem Schulterzucken auf diesen Kommentar seines Partners. Er war derzeit mit wichtigeren Dingen beschäftigt als der Frage, ob es komisch war oder nicht, wenn ein homosexueller Mann Sperma nicht mochte. Jetzt, wo er sich so langsam wieder von seinem Orgasmus eben erholte, kehrten die vielen Sorgen zurück, die ihn belasteten. „Müssen wir jetzt unbedingt darüber diskutieren?“, fragte er darum mit angespannt klingender Stimme. Nach dem Sex war er müde geworden und er wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher als seine volle Blase zu entleeren (eine blöde Nebenwirkung des Champagners) und sich danach schlafen zu legen. „Du kannst froh darüber sein, dass du mich überhaupt dazu überreden konntest, ohne Kondom mit dir zu schlafen. Eigentlich mache ich nämlich nur Safer Sex. Vielleicht sollten wir das ja wieder einführen? Dann müsste ich mir jedenfalls nicht immer nach dem Sex die Oberschenkel abwischen.“ Diesen Vorschlag quittierte Doflamingo mit einem unwilligen Brummen und ließ (zu Crocodiles Glück) das Thema schließlich ruhen. Stattdessen begannen sich beide damit, sich für die Nacht fertig zu machen. bye sb Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)