Elysium von abgemeldet (Suche nach dem Glück) ================================================================================ Epilog: Zwei Seelen und ein Wunsch II - Elysium Special ------------------------------------------------------- Manchmal ist es nur ein kurzer Moment. Ein Wimpernschlag. Eine zarte, winzige Seifenblase, die dir entgegen segelt und sanft über deine Haut streicht. Pastellene Emotionen, ein leises Kitzeln. Doch als du nach ihr greifen willst, um sie nicht wieder loszulassen, zerplatzt sie plötzlich und alles ist wieder so wie vorher. Der graue Alltag nimmt dich erneut ein und es ziehen dichte, dunkle Gewitterwolken vor das wärmespendende Licht. Manchmal aber ist ein Moment für die Ewigkeit. Auch wenn man sich gar nicht mehr erinnert. Begegnungen. Es kann bei einem Training in den Bergen geschehen: "Ah! Du hast mich erschreckt." "Ups. 'tschuldige. Hab' nicht erwartet, hier jemanden zu treffen. Hier, du hast deinen Hut verloren." "Da-danke... Ich bin mit meiner Schulklasse hier und hab' mich verlaufen. Weißt du wo es zum Dorf geht?" "... Da lang." *Sie dreht sich zu mir um...* Ein Blick. ~ Oder auch mit der fremden Person am anderen Ende der Telefonleitung: "Sprech' ich da nicht mit der Honshu Herbergszentrale?" "Nein... Du bist hier bei Tendo." "Oh..." "... Ist noch irgendetwas?" "Ich weiß nicht. Ich hatte gerade nur... Schon gut. 'Tschuldige die Störung." *Ich möchte noch nicht auflegen...* Eine sanfte Stimme. ~ Manchmal rennt man sogar wortwörtlich hinein: "Au!" "Woah!" "..." "Hey, bist du in Ordnung?" "Wo kamst du auf einmal her?" "Heh heh... Weiß selbst nicht so genau. Ich lauf' meistens so schnell, dass ich kaum noch sehe, wohin's eigentlich geht. Mein Vater sagt, daran muss ich noch arbeiten." "Oh... Du machst also auch Kam-- Ah. Meine Schwester ruft mich. Ich muss gehen. Danke fürs Aufhelfen." *Ihre Hand war so... klein* Eine unscheinbare Berührung. Wer nur ein einziges Mal in seinem Leben, wenn auch nur für einen kurzen Moment, eine solche Seifenblase streicheln darf, der kann sich glücklich schätzen. Jeder Mensch wird mit einem Seelenverwandten geboren und erhält die Chance, seine eigene Seele mit diesem verschmelzen lassen. Doch um eins mit jener zauberhaften, doch zugleich sehr empfindsamen Erscheinung zu werden, bedarf es mehr als nur die Begegnung. Denn die schimmernde Haut der Seifenblase ist schön, aber auch sehr dünn und verletzlich. Doch nur wenn du selbst dazu bereit bist und dich der Seifenblase mit einer genau solchen Sanftheit nähern kannst, dann erst sind zwei füreinander bestimmte Seelen imstande auf jene magische Art zu fusionieren. Denn selbst, wenn einem das unbeschreibliche Glück zuteil wird, dem ihm vom Schicksal auserkorenen Menschen zu begegnen, bleibt es oft nur bei einer kurzen Erscheinung... ehe die Seifenblase mit einem lautlosen Knall zerplatzt. Und einige wiederum, fangen die Seifenblase so vorsichtig und behutsam auf, wie es nur irgend möglich ist, ohne es überhaupt zu wissen, und pflegen und hegen sie, sodass ihre zarten warmen Töne in das Licht fließen, welches sie am Leben hält. Dunkelheit... Du erinnerst dich an mich. Das weißt du. Schon einmal hast du so empfunden. Du warst gerade mal sechs Jahre alt, als ihr euch begegnet seid. Ihr beide ward noch sehr klein. Es war bei Kobe. Sie saß auf einem Stein und weinte. Du erkanntest ihr Gesicht nicht, denn sie verbarg es hinter ihren winzigen Händen. Obwohl du sie nicht kanntest, tat dir ihr Schluchzen so sehr weh in deinem Herzen. *Fast schien es, als hätte ich meinen Schmerz auf ihn übertragen.* Sie war umringt von Gänseblümchen, die sie heiter anstrahlten. Und inmitten dieses freudigen Naturtanzes weinte sie. Doch du wolltest, dass sie genau wie all die Blumen lacht. Denn trotz ihrer Tränen empfandest du sie als die schönste Blume von allen. Du sahst ihr kurzes, strubbeliges Haar und wolltest ihr darüber streichen. Du wolltest sie in den Arm nehmen und sie von ihrem Zittern befreien. Lange beobachtetest du sie ohne zu sprechen. Nach einer Weile gingst du auf sie zu und nahmst zärtlich ihre Hand in deine. Mit einem warmen Lächeln ließest du ihr Schluchzen verstummen und zaubertest ein Lächeln auf ihre Lippen. *...sodass ich plötzlich aufhörte zu weinen und lächeln musste* Dein Gesicht spiegelte sich in ihren glänzenden Augen wieder. Doch du erkanntest es nicht, da jener Ausdruck dir bisher fremd war. Sie machte dir ein kostbares Geschenk. Als sie dir freundlich zurücklächelte hast du es gespürt und nie verloren. Du hast es über die Jahre bloß vergessen. Denn du wolltest vergessen. Du warst noch ein Kind. Doch erst durch sie lerntest du, was es heißt, Kind zu sein, indem sie dich einen Teil ihrer farbenfrohen Welt werden ließ. Obwohl ihr beide noch sehr jung ward, spürtet ihr, dass ihr für einander besteht. Ihr spürtet es in der Wärme, wie auch in der Wut. Wut, weil du Angst hattest. Angst, man würde sie von dir nehmen und du müsstest wieder alleine sein. Ein Engel... Du erinnerst dich... Auch wenn du meinst zu vergessen, tief in dir wirst du dich immer erinnern. Sie wird dich immer an mich erinnern. Dein Engel. Zwei Seelen und ein Wunsch II: Elysium Special ~für alle, die noch an das Schicksal glauben... ...und nie aufgeben, nach ihrem Glück zu suchen~ Der kleine Junge war wütend. Mindestens genauso wütend wie sein Magen ihn laut und unkontrolliert seit nunmehr einer halben Ewigkeit anknurrte. Sein blöder Papa hatte es wieder mal fertig gebracht und ihm das Essen geklaut. 'Wer nicht schnell genug ist, hat eben Pech gehabt!' lachte er, als er sich genüsslich die Finger leckte und sich dann zufrieden seinen kugelrunden Bauch rieb. Sein Sohn solle es als Training betrachten und habe schändlichst versagt, erklärte er. Wie lange sie bereits unterwegs auf Trainingsreise waren, wusste Ranma nicht. Alles, was er wusste, war, dass der Typ an einer Tankstelle die Stadt, in der sie sich für einige Tage niederlassen wollten, Kobe nannte. Beeindruckt hatte Ranma über den weiten Hafen hinweg gesehen, an dem sich die gigantischen Prachtbauten wie Riesen über das vom Nebel zugedeckte Meer lehnten. Dennoch gefiel ihm der Standort, an dem sie ihr Zelt aufgeschlagen hatten, weitaus besser. Sein Papa hatte irgendetwas von 'Rokko-san' gefaselt. Ja, genau, so hieß das wunderschöne Fleckchen Erde. Ranma liebte die Farbe Grün. Er liebte die vielen Pflanzen, die sich wirr und verwachsen über die Wege und um die vielen moosbedeckten Baumstämme schlängelten. Er liebte es, zwischen Sträucher zu kriechen oder auf hohe Bäume zu klettern, um sich in den dichten Baumkronen zu verstecken. Heute aber nutzte er die verwachsene Natur nicht, um trotz aller Proteste und Schimpfe von Seiten seines Vaters den natürlichen kindlichen Spieltrieben nachzugeben, sondern weil er davonlief. Weg von seinem Papa. Grummelnd stapfte er den kiesigen Bergweg hinauf. Er musste ja schon mindestens eine zilliarden Stunden unterwegs gewesen sein. Leider wusste er das nicht so genau, weil er noch nicht gelernt hatte, die Uhr zu lesen. Und selbst wenn, so etwas Kostbares wie eine Uhr besaß er gar nicht. Wie dem auch sei, sein Ausbüchsen hatte zweierlei Gründe. Zum einen wollte er sich so schnell wie nur irgend möglich etwas Essbares verschaffen, zum anderen fand er es an der Zeit, seinem Vater eine kleine Lektion zu erteilen. So ging das schließlich nicht, dass er ihm jeden Abend sein wohlverdientes Essen stibitzte. Und das auch noch, wenn sein Papa selbst es war, der ihn mit den anstrengendsten Aufgaben unendlich lange aufgehalten hatte. Müde setzte er einen Schritt vor den anderen. Seine kurzen Beinchen wurden allmählich wirklich schwer. Nach einer Weile kam er zum Stehen und schaute sich etwas eingeschüchtert um. "Wo bin ich hier eigentlich?" fragte er sich mit aufkommender Hilflosigkeit als er erkannte, dass er sich längst nicht mehr auf dem sauberen Wanderpfad, der den Berg hinaufführte, befand und seine Füße stattdessen den Leben von unschuldigen kleinen Grashälmchen ein jähes Ende setzte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er schnurstracks in die pure Wildnis gerannt war. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Nicht mal ein Anzeichen dafür, dass überhaupt schon einmal ein Mensch an diesem Platz gewesen war, gab es. Sein leerer Bauch jammerte mit ihm um die Wette. Sollte er wieder umkehren? Aber was dann? Er würde seinem Papa direkt in die Arme laufen. Schließlich hatte er seine Rufe gehört als er ihn hinter sich ließ, um vor ihm zu entkommen und nicht noch eine Nacht hungrig schlafen gehen zu müssen. Seine Überlegungen konnte er nicht weiter vertiefen, denn plötzlich wurde er auf ein Geräusch aufmerksam. Neugierig trat er auf den Baum zu, der ihm die Sicht zu dem Verursacher dieser merkwürdigen Laute verdeckte. Mit seinen kleinen Händen fasste er vorsichtig an den dicken, breiten Stamm und lugte schüchtern daran vorbei. Wie könnte man am besten beschreiben, was er dort vorfand? War es überraschend? War es hübsch? Oder vielleicht doch eher erschreckend? Was auch immer, ihn beschlichen zwei Gefühle gleich stark. Eines drang sich mit lästiger Hartnäckigkeit bis zu seinen Gesichtsmuskeln hinauf und wollte seine Mundwinkel partout nicht sein lassen, wo sie schon den ganzen Abend lang waren: sehr tief unten. Das andere Gefühl wiederum stimmte ihn ein wenig traurig. Das Bild, welches sich seinem Auge bot, war unabstreitbar zauberhaft schön. Er sah umgeben von vielen beträchtlich hohen Bäumen eine weite Wiese, auf welche die laue Abendsonne sanftes rotes Licht warf; fast wie eine von Scheinwerfern beleuchtete Arena. Er sah Blumen. Unmengen an wundervollen, kleinen Gänseblümchen. Und inmitten dieses Blumenmeeres saß ein kleines Mädchen auf einem Findling und weinte. Ranma hatte keine Ahnung, weshalb sie weinte. Er kannte sie ja nicht. Aber aus irgendeinem Grund, konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden, um seine Suche nach etwas zu Essen fortzusetzen. Dieses Mädchen drückte so etwas aus, das er an sich selbst immer gesucht hatte. Ihre Schluchzer entkamen laut und hastig ihrer Kehle. Nur daran erkannte er überhaupt, dass sie weinte, denn ihr Gesicht verbarg sie in ihren winzigen Händen. "Schön..." flüsterte er anerkennend, als er sie betrachtete. Schön. Ja, das war sie. So wie sie auf dem Stein saß, der flauschige Kragen ihres Strickjäckchens ihr Gesicht streichelte als sie ihre Schluchzer ausstieß und das kurze, dunkle Haar so faszinierend im sanften Licht glänzte. Es war nicht die Art Glanz, die er von Shampoo-Werbungen auf riesigen Plakaten an Straßenrändern kannte. Er war nicht leuchtend oder strahlend. Aber dennoch, durch seine bestimmte, geheimnisvolle Eigenart, anziehend. Wie es sich wohl anfühlen mochte mit den Fingerspitzen darüber zu streichen? Verstohlen trat er nachdem er sie schon eine Weile so beobachtet hatte hinter dem Baum hervor und schlich wortlos auf sie zu. Er wusste nicht, weshalb er das tat. Aber etwas in ihm bewegte ihn dazu, sie zum Lächeln zu bringen. Wie sie so dasaß, zwischen all den Blumen, wirkte sie selbst wie eine kleine zarte Blume. Eine schöne Blume, die von einer großen, bösen Hand gebrochen wurde und nun verletzt zwischen all ihren Gefährten saß und zu verkümmern drohte. Fast lautlos kletterte er zu ihr hinauf auf den großen Stein und schaute sie ohne zu sprechen an. Er war so leise gewesen, dass sie scheinbar nicht einmal wahrnahm, dass er sich zu ihr gesellt hatte. Mit baumelnden Beinen überlegte er, was er ihr denn nun eigentlich sagen wollte, um sie zu beruhigen. Er hatte wirklich nicht die geringste Ahnung. Wann immer er versuchte, mit anderen Kindern Freundschaften zu schließen, ignorierten sie ihn einfach und ließen ihn nicht mitspielen. Nicht, dass ihm auf seiner Trainingsreise viel Zeit zum Spielen blieb. Aber dann und wann, wenn sein Papa einen kurzen Augenblick nicht aufpasste und er die Chance ergriff, davon zu huschen, hatte er es zumindest probiert. Doch ganz gleich, wo er auch war, er war immer... anders. Hinter seinem Rücken wurde über den wilden, zerzausten Vagabunden getuschelt, aber er hörte jedes Wort. Er verstand nicht alles, doch es kränkte ihn. Es kränkte ihn so tief, dass er irgendwann keine Lust mehr hatte, zu anderen Kindern nett zu sein. Und trotzdem wollte er nun mehr als alles andere mit dem weinenden Mädchen Freundschaft schließen. Freundschaft... Er wusste nicht genau, was es bedeutete. Schließlich hatte er noch nie einen Freund gehabt. Er war ja immer nur mit seinem Papa alleine gewesen. Freundschaft konnte das sein, was er still und heimlich aus der Ferne bei anderen Kindern beobachtete: zusammen Ball zu spielen, Verstecken oder Fangen. Freundschaft konnte das bedeuten, was er bei den Großen immerzu sah, wenn sie sich gegenseitig in den Mund bissen. Letzteres wirkte nicht sehr schmackhaft auf ihn. Viel mehr zog er es vor, sich sein eigenes Bild des Wortes Freundschaft zu spinnen. Und dieses sah so aus, dass er wenigstens für den Moment nicht alleine war, genauso wenig wie sie es jetzt, da sie scheinbar so traurig war, sein sollte. Leise seufzte er, doch scheinbar laut genug, dass das Mädchen ihre Luft anhielt und ihre Schluchzer für einen Moment unterdrückte. Schüchtern blinzelte sie zwischen zwei Fingern, die sie vor ihrem Gesicht nur ein klitzekleines Stückchen spreizte, zu ihm herüber. Plötzlich meinte er etwas sehr Eigenartiges gesehen zu haben. Weil sie ihre Hände noch immer schützend vor ihrem Gesicht behielt, war er sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, etwas in ihrem Gesicht habe soeben geleuchtet wie ein kleines Glühwürmchen in einem stockdusteren Wald. Gebannt schaute er sie an. Langsam drang ihr Schluchzen wieder herauf und er sackte ein klein wenig zusammen. Schließlich aber, als er erkannte, dass er wirklich gar nichts zu sagen wusste, was sie etwas fröhlich stimmen könnte, legte er vorsichtig beide Hände an ihre und zog sie von ihrem Gesicht hinunter. Und wieder sah er es. Aber diesmal war es noch tausend mal schöner als vorher. Viele, viele, viele kleine Glühwürmchen schwirrten in ihren großen, fragenden und leider so traurigen Augen. So kam es ihm zumindest vor, als er diesen unbeschreiblichen Schimmer darin wahrnahm. Jetzt fand er sie sogar noch hübscher als vorher. Aber, wunderte er sich, wie hübsch möge sie erst sein, wenn sie lächelt? Sie sollte lächeln. Sie war doch eine kleine Blume und sollte wie alle anderen auf dieser Wiese lachen. "Blumen sollen nicht weinen..." sagte er mit einer sehr verletzten Stimme. Das Mädchen blinzelte. Anstatt der tiefen, mitreißenden Trauer spiegelte sich nun beinahe nur noch pure Verwunderung in ihren braunen Augen wieder. "Wein nicht mehr kleines Mädchen." Doch die Tränen wollten nicht nachlassen. Für einen Augenblick, meinte er, flossen sie sogar noch stärker und schneller. "Warum nicht? Ich will aber weinen." Mannomann, hatte sie eine niedliche Stimme. Sie klang fast wie ein Quietsche-Entchen. So hoch und hell und piepsig. "Wenn du weinen willst, dann wein ruhig. Ich weine auch manchmal. Alleine. Aber wenn du jetzt weiterweinst, dann... dann weine ich nicht mehr alleine, weil... weil wir dann zusammen weinen." In dem Glanz ihrer Augen erkannte er ein Gesicht. Eines, das ihm sehr vertraut und gleichzeitig fremd war. "Wieso weinst du dann auch? Ich kenne dich doch gar nicht." "Weil du traurig bist. Du bist so traurig, dass ich auch ganz traurig bin. Und das tut so komisch weh im Bauch." Mit hängenden Mundwinkeln schaute er auf seine Knie. "Du bist sehr lieb..." Was? So etwas Freundliches hatte ja noch nie jemand zu ihm gesagt. Irgendwie tat es gut, diese Worte zu hören, die er hin und wieder mitbekam, wenn er die Großen so etwas in der Art zu ihren Kindern in der Stadt oder in Cafés sagen hörte. Überrascht blickte er wieder zu ihr hoch. Und auf einmal entstand etwas auf ihrem Gesicht, das er in seinem ganzen Leben niemals zureichend beschreiben könnte. Aber er glaubte, es war ein Lächeln. Ein zartes, kleines, aber so schönes Lächeln, dass ihm plötzlich ganz warm wurde und er ebenfalls lächeln musste. Er hatte mit seiner Vermutung recht gehabt. Wenn sie nicht mehr traurig schaute, war sie sogar noch viel hübscher als vorher. Sogar noch hübscher als alle kleinen Gänseblümchen zusammen. "Was machst du denn hier?" fragte er nach einem langen Moment beidseitiger Schweigsamkeit schließlich. "Ich suche meine Mama. Ich hab' sie verloren und find' sie nicht wieder..." "Oh..." gab er nachdenklich zurück und versuchte sehr erwachsen zu wirken, indem er an einem Kinnbart zupfte, das er noch lange nicht besaß. "Was ist eine Mama?" "Du weißt nicht was das ist?" Kopfschüttelnd schaute sie ihm ins Gesicht. "Das musst du doch wissen. Jeder hat doch eine Mama." "Ich hab' keine." Er nahm ihre Worte nicht wirklich übel, sondern viel mehr mit einem gleichgültigen Schulterzucken entgegen. "Naja... Das ist so was wie ein Papa. Nur als Frau." "Ah. Ja, 'nen Papa hab' ich." "Ich auch. Aber ich will meine Mama zurück." Ihre Stimme wurde wieder leiser, höher, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht trauriger. "Sie soll wieder da sein. Ich hab' so eine Angst." "Warum suchst du sie denn hier? Hier ist ja gar keiner." "Ja, weißt du... Ich hab' gesagt, ich will nach Kobe. Aber mein Papa hat nichts kapiert. Er wollte mit mir nur einen Ausflug machen, weil ich immer so viel geweint habe. Er wollte, dass ich endlich aufhöre zu weinen. Deshalb kam er mit mir hierher. Nur deshalb." Erst jetzt verlor ihre Stimme wieder ein Stück weit an Stärke. Ranma wusste nicht genau, was ein Ausflug war, aber es muss etwas Schreckliches gewesen sein, wenn es sie so unglücklich stimmte. "Ich hab' keine Lust auf Ausflüge und Spaß", flüsterte sie im Anschluss so leise, dass er sie kaum verstand. "Ist deine Mama von zuhause weggelaufen?" lautete seine dümmliche Frage, die er jedoch mit aller Ernsthaftigkeit stellte. "Nein... Sie ist... tot." Er drückte ihre Hände, die er noch immer in seinen hielt, etwas fester. "Tut mir leid... Mein Papa hat mir mal erklärt, was das heißt, als ich einen toten Vogel im Wald gefunden habe. Bei einer Mama muss das ja sogar noch viel schlimmer sein. Kein Wunder, dass du weinen musstest. Ich versteh' dich." Komisch. Schon wieder lächelte sie. Warum lächelte sie denn auf einmal? Hatte sie nicht eben etwas sehr Trauriges erzählt? Ranma verstand die Welt nicht mehr. Noch viel weniger verstand er, weshalb seine Wangen sich plötzlich so heiß anfühlten, dass man darauf hätte grillen können. Um seine Scham zu verbergen, sprach er schnell, aber bemüht leise weiter. "Du wolltest also unbedingt hierher kommen? Wie kommst du darauf, dass du deine Mama dann hier findest?" "Na weißt du..." begann sie ohne zu zögern und warf einen bewundernden Blick auf die sie umgebende Natur. Stumm folgte er ihrem Blick durch die winzigen Lücken, der dicht aneinandergewachsenen Zweige, hinter denen er eine Tallandschaft erspähen konnte, die in den sanften Tönen der Abendsonne beinahe golden wirkte. Mit einer entspannten Stimme erklärte sie daraufhin: "Kobe heißt doch so was wie 'Himmelstor'. Das hat ein Mann im Fernsehen gesagt." "Eeeecht?" fragte Ranma erstaunt zurück. "Boah... Der Name passt! Hier ist's schön, ne?" "Ja, finde ich auch." Heiter nickte sie. "Und wenn das hier das Himmelstor ist, dann muss doch meine Mama hier irgendwo sein. Sie ist doch jetzt ein Engel." Er verstummte für einen Augenblick und musterte sie lang und gründlich mit schräg gelegtem Kopf. "Aber wenn das so ist... dann bist du ja auch ein Engel." "Huh?" "Schließlich hab' ich dich hier gefunden." Ein Lächeln. Ein weiteres Lächeln. Aber kein Lächeln der Dankbarkeit oder der Belustigung, sondern ein strahlendes, weites, alles erhellende Lächeln. Nun fühlte er sich noch seltsamer als zuvor. Einmal, als sein Papa eine Instant-Suppe nicht richtig aufgekocht hatte, bekam er auch ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Aber damals war es irgendwie unangenehm. Es hat in seinem Bauch geblubbert und rumort und tat unendlich weh. Diesmal war es auch so was wie ein Blubbern, nur in viel weicheren Bewegungen, die von Innen sachte gegen seinen Bauch trommelten. Und außerdem fand er es irgendwie... schön. "Mein Name ist Ranma Saotome. Wie heißt du?" "Akane. Ich heiße Akane Tendo. Ich mag dich Ranma." Etwas verlegen löste der kleine Junge seinen Griff und drehte sich mit glühenden Wangen zur Seite. 'Ich mag dich.' Au weia. So etwas hatte ja noch nie jemand zu ihm gesagt. Irgendwie war es so schön, das zu hören. Aber es lag nicht bloß an den Worten an sich, sondern auch daran, dass er sich so gerne, dieses eine Mädchen zum Freund machen wollte. Andere hatten ihn als ungehobelten, schmutzigen Vagabunden beschimpft. Andere waren abweisend. Andere hatten ihn gekränkt. Aber sie war anders. Sie war wirklich... ein Engel. "Was machst du hier oben eigentlich ganz alleine? Suchst du auch jemanden?" fragte sie nach einer Weile neugierig. "Eh... heh heh... Nein, ich bin weggelaufen", gestand er, als er seine Arme hinter dem Kopf verschränkte. "Ich wollte was zu Essen suchen." "Was zu Essen?" Scheinbar schien sie noch nie zuvor mit dem Gefühl des Hungers konfrontiert worden zu sein. Die Glückliche... Nach einigen Luftzügen sprach sie weiter. "Auf dem Berg ist so ein Dingsda für Toureristen." Toureristen?? "Da gibt's auch Restaurants. Ich weiß wo's da lang geht, aber..." "Super!" schoss er wie aus der Kanone heraus. "Kommst du mit?" Geistesabwesend blickte sie auf seine Hand, die er ihr einladend entgegenstreckte. "Aber..." "Ich kann dich doch nicht hier zurück lassen!" Er schloss für einen Moment seine Augen als er ihr ein freundliches Lächeln schenkte. "Sonst sind wir ja beide wieder allein." Diese Worte. Ein Kind, das sie ausspricht, wird sich deren Bedeutung wohl kaum bewusst sein. Und dennoch sollten sie die hintersten Zellen seines und vielleicht auch ihres Gehirns niemals verlassen, sodass sich der träumende, losgelöste Verstand ewig daran erinnern würde. Genauso wie ein Teil, wenn auch nur ein gut versteckter, für immer behalten wird, wie sie ihre Hand in seine legte. "Ich will nicht allein sein..." Sie flüsterte. Sie lächelte? Heiter schwang er ihre Hand und dann rannten sie auch schon lachend los. Als Ranma sich kurz zu ihr herumdrehte sah er, dass sie sich mit dem Handrücken ihrer freien Hand ihre Tränen aus den Augen wischte. Tränen. Und dennoch lachte sie ein, wie er es fand, ehrliches Lachen. Er war ja noch klein und wusste nicht sehr viel über die Welt bescheid. Vielleicht, überlegte er, weinen Menschen manchmal auch, wenn sie nicht traurig sind. Unbeschwert lachte er selbst sodann weiter und hopste vergnügt über die Wurzeln, die aus dem erdigen Boden hervorragten, die Gänseblümchen und die vielen Pflänzchen. Sie liefen eine Weile bis sie schließlich in eine kleine Ortschaft, scheinbar für Touristen, gelangten, die sich auf einer lichten Anhöhe befand. In den mittelprächtigen, aber belebten Straßen lag der Duft, der von den vielen Restaurants her strömte. "Mmmm...." Mit geschlossenen Augen atmete Ranma tief ein und klopfte sich hungrig auf sein Bäuchlein. Im nächsten Moment schlug er seine Lider jedoch wieder hoch, als er den etwas unsicheren Blick des Mädchens spürte. "Was ist?" "Naja... Was hast du jetzt vor? Wir sind doch noch zu klein, um ins Restaurant zu gehen. Außerdem--" "Keiiine Sorge. Ich mach' das schon!" Zwinkernd deutete er mit dem Daumen auf seine Brust. "Wie lange warst du schon da im Wald? Du hast doch bestimmt auch Hunger, oder?" Just in diesem Moment antwortete ihm ein lautes Gurgeln, was trotz all ihrer Versuche, es zurück zu halten, ihrem Bauch entkam. Errötet schaute sie zu Boden. Ranma lachte. "Ich besorg' uns beide was, ja? Was magst du? Sushi?" Verlegen schüttelte sie den Kopf. "Takoyaki?" Kopfschütteln. "Ramen?" Wieder verneinte sie wortlos. Mit runden Augen legte er den Kopf schräg. "Aber... Es muss doch irgendwas geben, was dir schmeckt." "O..." "Was? Ich versteh' dich nicht. Du redest zu leise..." "O... Okonomiyaki..." "Okonomiyaki?" Sein Gesicht leuchtete auf. "Okonomiyaki! Gute Idee!" Es dauerte nicht lange, bis sie schließlich einen kleinen Karren gefunden hatten, an denen die lecker duftenden Kohlpfannkuchen brutzelten. Ranma lief das Wasser im Munde zusammen, als er das Aroma tief einatmete. "Oh gut. Ein Kind..." murmelte er vor sich hin, als er sein Ziel nun mit scheinbar geschärften Sinnen fixierte. Dann ließ er Akanes Hand los und rannte auf den Stand zu. "Warte", zischte sie ihm zu. Überrascht drehte er sich zu ihr um als er schon ein gutes Stück voraus gelaufen war. "Was hast du denn vor? Du hast doch gar kein Geld, oder?" Munter zuckte er mit den Schultern. "Das macht nix." "Willst du etwa klauen?" fragte sie entsetzt zurück. "Quatsch! Ich verdien' uns ein paar Okonomiyaki. Hab' doch gesagt: Keine Sorge." Damit war er auch schon weitergerannt. "Mein Name ist Ranma Saotome. Ich fordere dich heraus!" rief er im nächsten Moment und zeigte mit strengem Blick auf ein braunhaariges Kind, etwa selben Alters, das wie ein zu kurz geratener Erwachsener am Herd stand und nach Ranmas Beurteilung ziemlich professionell die von Nahem sogar noch köstlicher aussehendere Speise zubereitete. Verärgert, so als hätte er es gerade in seiner tiefsten Konzentration gestört, blickte das Kind zu ihm auf. "Du willst mich herausfordern? Und wozu?" "Wenn ich gewinne, gibst du mir zwei Okonomiyaki!" rief Ranma daraufhin entschlossen zurück und fügte dann mit nicht weniger Ausdruck hinzu: "Und wenn ich verliere, dann... bin ich mein Leben lang dein Sklave." Sein Gegenüber verzog verwundert die Stirn. "Heh. Einen Sklaven kann man immer mal gebrauchen. Wie du willst. Ich bin", eindrucksvoll schwang das brünette Kind einen Spaten, den es vorher am Rücken getragen hatte, "Ukyou Kuonji. Herausforderung angenommen. Du hast ja keine Ahnung wie gefährlich die Martial Arts Okonomi--" BATSCH! Fröhlich hopste Ranma auf den Kopf des fremden Kindes, sodass es vollkommen überrumpelt einfach zu Boden sackte, und holte sich summend seine wohlverdienten Okonomiyaki ab. "Grrr.... Du wagst es..." "Hey?" Ranma schien für einen Augenblick nicht mehr ganz so heiter zu sein und schaute mit halber Besorgnis herunter. "Abgemacht ist abgemacht. Du liegst am Boden. Hast verloren. Heheee." "Ich will Revanche!" "Hm. Morgen wieder, ok?" Vergnügt hopste er endlich herunter und lief dann eilig auf das Mädchen zu. Aber... "Hey! Was machst du denn da im Gebüsch?" "Psssh... Nicht so laut" bat sie ihn ängstlich in einem leisen Ton. Einige Sekunden war sie still. Sekunden, in denen er darauf wartete, dass sie ihm einen Grund nannte. "Ich... Mein Papa ist hier." "Echt?" fragte er mit leuchtenden Augen zurück. "Wow! Is' ja ein Zufall. Wollen wa' winken?" "Nein!!" Panisch suchte sie ihre Stimme in der erwünschten Lautstärke wieder zu finden. "Nein... Er darf mich nicht sehen. Ich bin... Ich bin auch weggelaufen. Ich darf doch noch gar nicht alleine in den Wald gehen. Aber er wollte ja auch nicht Mama mit mir suchen, sondern nur Spaß haben und baden gehen. Ich hasse den Strand. Ich will nie schwimmen lernen. Nie!" Leise kroch er zu ihr ins Gestrüpp und schaffte es nach einigen, anstrengenden Bemühungen, dass sie ihren Okonomiyaki festhielt, während sie noch immer wütend vor sich hin schimpfte. Irgendwann wurde sie durch den noch immer warmen, flachen Gegenstand in ihrer Hand in die Gegenwart zurückgerufen. "Was...?" "Dein Essen... Guten Appetit." "Weißt du, Ranma", sagte sie etwas besonnener. "Das war nicht nett von dir. Das Kind tut mir leid. Meine große Schwester sagt immer: Irgendwann rächt sich alles." "Heh heh. Was kann mir der kleine Junge schon antun?" "Das mein' ich nicht. Es war glaube ich ein bisschen unfair, das Kind so zu überrumpeln. Ich meine, du kannst wirklich toll springen, aber... Warum lachst du??" "DAS war doch kein Sprung!! Weißt du was?" Schwungvoll sprang er auf seine Füße und drückte heldenhaft seinen angespannten Bizeps. "Ich mach' Martial Arts und trainiere jeden jeden Tag, um hundert- oder tausend- oder eine bazillieademal so hoch springen zu können!! Irgendwann werde ich der beste Martial Artist auf der gaaanzen Welt sein!" "Martial Arts..." wiederholte sie geistesabwesend, doch plötzlich zuckte sie zusammen. "Akane-chaaan! Wo bist du, meine Kleine?? Akaneee!!" Mit zusammengekniffenen Augen lugte sie zwischen den Blättern hinüber zu dem dunkelhaarigen Mann mittleren Alters, der immer und immer wieder ihren Namen rief und ab und an ein paar Passanten anhielt, ihnen ein Foto zeigte und nach dem stetigen darauffolgenden Kopfschütteln ihrerseits seinen Weg fortsetzte. "Du willst nicht zurück?" fragte Ranma sie besorgt. Ihre Lippen formten sich zu einem Schmollmund als sie wortlos ihren Kopf schüttelte. "Na gut", sagte er schließlich. "Dann geh' ich auch nicht zurück." Verwundert blickte sie zu ihm auf. "Wir können doch zusammen leben. Keine Angst. Ich sorg' auch dafür, dass du jeden Tag Okonomiyaki bekommst." Auf einmal musste sie kichern. Endlich nahm sie einen Bissen. Dann erst schien sie zu merken, wie hungrig sie war, biss noch mal ab, noch mal und noch mal. Erst nachdem sie schon fast aufgegessen hatte, sagte sie noch immer leicht glucksend: "Du klingst wie ein Großer. Warum bist du nicht wie die anderen Kinder?" "Was meinst du?" fragte er ahnungslos. "Ich bin doch ein Kind." "Aber du benimmst dich nicht so. Was denkst du, wenn du die Wolken siehst?" Mit vor Ratlosigkeit verzogenem Gesicht schaute Ranma durch die dichten Äste eines Baumes, der sich weit über sie lehnte, gen Himmel. "Naja... Dass sie ganz weiß sind. Und ich glaube, sie sind totaaal weit weg." Stöhnend rollte sie mit den Augen. "Also, wenn ICH die Wolken sehe, wünsche ich mir, auf einer wie auf einem Pferdchen zu reiten. Ganz schnell und ganz weit weg. Das macht doch bestimmt Spaß, glaubst du nicht?" "Wenn du meinst..." "Ganz schnell auf einer ganz weichen Wolke davon sausen. Und ich kann auf meine Familie und meine Freunde runter gucken und ihnen zuwinken. Und dort oben, wo mich keiner sieht und hört und stört, kann ich endlich so sein wie ich will und muss nicht immer tun, was sie mir sagen. Das ist schön..." Leise seufzend schloss sie für einen kurzen Moment ihre Augen. Ranma dachte nach. Und plötzlich musste auch er kichern. "Ja... das klingt echt schön! Mein Papa sagt immer, ich soll nicht träumen. Ich hab' ihm einmal erzählt, dass ich gerne Schmetterlinge fangen möchte und dann hat er ganz böse geschimpft und mir zur Strafe meine Bohnen weggefuttert, um mir meine 'weibischen Angewohnheiten' auszutreiben!" Sich selbst bestätigend nickte er. "Ich verstehe das zwar nicht richtig, aber ich finde, das klingt nicht nett." "Find' ich auch..." Stumm sah sie zu ihm zurück, während sie mit einer Hand gedankenlos ein paar Grashalme aus dem Boden rupfte, auf den sie sich gesetzt hatte. Plötzlich schrie sie auf und führte hastig ihre Hand zu ihrem Gesicht heran. "Was is' los?" erkundigte er sich erschrocken und schaute zu ihr hinunter. "Aua... Da war eine Distel", jammerte sie, als sie konzentriert beobachtete, wie ein Tröpfchen Blut aus ihrer Fingerspitze quoll. Verständnislos schüttelte er den Kopf. "Du stichst dich an einer Distel und blutest??" "Na und? Die hat Stacheln und die sind spitz." "Mein Papa sagt immer, wer blutet hat nur eine zu dünne Haut. Deswegen haben wir vor einer Weile das Training mit den Steinen angefangen. Ich muss jetzt immer, wenn ich aufstehe, meine Hände dran reiben, damit sie ganz rau und unempfindlich werden." Sie blinzelte. "Dein Papa ist wohl echt streng. Darfst du denn nie spielen?" "Nur mit meinem Papa. Ich hab' keine Freunde." "Aber... wir sind doch jetzt Freunde. Oder?" Ranma schwieg einen Augenblick. Er wollte sich die Worte, die sie zuletzt ausgesprochen hatte, nicht nur deutlich vor Augen führen, sondern auch innigst genießen. Verlegen rieb er seine Lippen aufeinander, weil er nicht wirklich wusste, was er darauf antworten sollte. Nach einer Weile rief er schließlich aus: "Ich hab' eine Idee!" In seinen Augen funkelten viele winzige Sternchen auf. "Wenn du ganz viel trainierst, dann kannst du die Saotome Kampfschule mit mir zusammen erben." "Was heißt 'erben'?" "Ich glaube, wenn man ein Geschenk von einem ganz alten Menschen bekommt. Und mein Papa ist steinalt!!" "Oh. Ich mag Geschenke. Aber, weißt du was? Mein Papa hat auch eine Kampfschule. Ich hab' da zwar noch nie trainiert oder so, aber ich glaube, die schenkt er mir auch irgendwann mal. Trotzdem danke." "Aber... weißt du, wenn du später die Saotome Kampfschule erbst, weißt du, können wir, wenn wir groß sind, heiratigen!" "Heiratigen? Hmm... Okay!" Lächelnd schob sie sich ihre Fingerspitze in den Mund und lutschte summend daran. Ranma starrte sie auf einmal mit großen Augen an. "Wie schmeckt das...?" fragte er nach einem Moment aufgeregt, aber trotzdem so leise, als hätte man ihn für diese Frage ins Gefängnis sperren können. "Du weißt nicht, wie Blut schmeckt?" Stumm schüttelte er den Kopf. "Hmm... Irgendwie lecker." Sie grinste. "Darf...." begann er flüsternd. "Darf ich auch mal?" Kichernd nahm sie ihren Finger aus dem Mund und streckte ihn ihm entgegen. Er stand noch immer, als er sich etwas zögerlich, aber dafür umso neugieriger ein Stück nach vorne beugte und schließlich schüchtern an ihrer kleinen Wunde saugte. Sie kicherte noch lauter. "Das kitzelt", rief sie ihm zu. Erst nachdem er ausgiebig gekostet hatte, entfernte er sich wieder und schmatzte laut und kritisch. "Mmm..... Schmeckt nach.... Erdbeer." "Was glaubst du wie deins schmeckt?" Ihre Augen funkelten einander an. Dann schließlich machten sich diese hektisch auf die Suche nach weiteren Stacheln. Die der Distel waren leider zu weich für Ranmas abgehärtete Haut und verursachten nicht mehr als ein leichtes Pieken. Zwecklos. Schließlich fand er ein kleines Steinchen mit einer recht scharfen Kante. Wahrscheinlich war es als Splitter eines viel größeren Steines herausgesprungen. Es war perfekt. Langsam fuhr er sich mit seiner Zungenspitze über seine Lippen, als er versuchte, einen kleinen Schnitt an seiner Fingerkuppe zu verursachen. Hochkonzentriert schaute das Mädchen ihm zu. Seine Zähne knirschten. Es war wirklich unglaublich hart, viel härter als sie angenommen hatten, ihn zum Bluten zu bringen. Ohne ihn allzu sehr zu verletzen, selbstverständlich. Es durfte schließlich nicht mehr als ein kleiner Stich sein. "Oh." Gab er mit einem glasigen Blick von sich, als er endlich etwas tiefrote Flüssigkeit aus einer winzigen Wunde dringen sah. "Willst du diesmal zuerst?" fragte er ganz Gentleman-like und hielt ihr seinen leicht blutenden Finger unter die Nase. Etwas zögerlich streckte sie sich ein wenig, um ihr Gesicht näher heranführen zu können und strich langsam und ganz vorsichtig mit ihrer Zungenspitze darüber. Dann lehnte sie sich wieder ein Stück zurück und schien sich den Geschmack erst mal auf der Zunge zergehen zu lassen. "Schmeckt nach..." schmatzte sie. "Banane." Ranma lachte und lutschte nun ebenfalls. "Mmm... Stimmt!" gab er ihr Recht und nickte heftig. Plötzlich überkam ihn eine weitere Idee. "Wenn deins nach Erdbeer' schmeckt und meins nach Banane... Wie schmecken dann beide zusammen??" Kichernd führten sie ihre Fingerspitzen aneinander, drückten für einen kurzen Moment fest zu und kosteten dann ein weiteres Mal. Beide waren sich einig: "So schmeckt es am aller aller aller besten!" "Weißt du was?" sagte das Mädchen nach einer Weile. "Ich hab' mal einen Film geguckt, da haben zwei Leute auch Blut gemischt und so und da haben die gesagt, dass die damit ihr Leben lang miteinander verbunden sind." "Das ist schön..." murmelte Ranma begeistert. "So wie, wenn zwei heiratigen, ja?" "... Ich glaube... Das waren zwar zwei Männer, aber... Ich habe auch schon Männer gesehen, die geknutscht haben." Verträumt blickte Ranma auf seine kleine Fingerspitze, die längst nicht mehr blutete, sich aber irgendwie noch kribbelig anfühlte. Erst durch ein leichtes Zittern, das er von dem Mädchen vernahm, schaute er wieder hoch. "Ist dir kalt?" fragte er mit angehobenen Augenbrauen. "Ein wenig..." flüsterte sie. "Es wird langsam dunkel." "Hast du Angst wenn es dunkel ist?" "Ein bisschen. Früher blieb Mama immer so lange bei mir, bis ich eingeschlafen war." Stumm setzte Ranma sich wieder neben sie. Ein leises Gähnen ertönte aus ihrem weit geöffneten Mund. Leicht verunsichert rollte er die Augen von einem Winkel zum anderen und rückte schließlich immer näher an sie heran. "Schlaf ruhig, wenn du müde bist. Jetzt pass' ich ja auch dich auf." Lächelnd wandte sie ihr Gesicht zu ihm und schloss dann mit einem Seufzer die Augen. Ohne jede Vorwarnung lehnte sie sich plötzlich zu ihm hinüber und kuschelte sich eng an ihn. "Danke..." murmelte sie. Ranma hatte noch nie zuvor erfahren können, wie sich eine derartige Nähe anfühlte. Der Körper des Mädchens war warm und auf seine bestimmte Art weich. Und obgleich er als kleines Kind keinerlei sexuelle Begierden verspürte, überkam ihn durch diese anhaltende Berührung auf einmal eine große Scham. Mit einem seligen Lächeln und heißen Bäckchen schaute er zu ihr hinunter. Sie war schnell eingeschlafen. Behutsam legte er seine Arme um sie und zog sie ein Stück zur Seite, sodass er sich gegen einen breiten Baumstamm lehnen konnte, um selbst etwas ruhen zu können. Seine Lider wurden schwerer und schwerer. So eine wohlduftende, schöne Zudecke hatte er wahrlich noch nie gehabt. Auch wenn sie auf dem dreckigen Boden in einem Gebüsch hockten, auch wenn es langsam kühl wurde, sie kein Geld hatten und nicht wussten, wo sie am nächsten Tag hingehen sollten... so war doch in diesem Augenblick für ihn alles wunderschön. Sein Atem wurde tiefer... ruhiger... Plötzlich schlugen seine Lider durch ein schreckliches, lautes Geräusch hoch. Jemand raschelte wild mit dem Geäst und den Blättern des Gebüschs. Jemand, der sehr groß war. Und das Schlimmste: Jemand, dessen riesige Hände versuchten, ihm das Mädchen aus den Armen zu reißen. "Akane-chan, da bist du endlich, meine Kleine." Weinte die große Gestalt und zerrte auch noch weiter an ihr, obwohl sie bereits verschlafen ihre Augen geöffnet und sich gewehrt hatte, mitzukommen. Auf einmal fuhr sie erschrocken hoch. "Nein!" rief sie winselnd und begann heftig ihren Kopf zu schütteln. "Ich will noch nicht, Papa. Ich will nicht..." "Du weißt nicht, was du da redest, mein kleiner Schatz. Hat dir der Junge etwa was angetan?" "Hey!" schrie Ranma und sprang auf seine Füße, ließ das Mädchen jedoch noch immer nicht los. "Sie ist MEINE Verlobigte. Ab heute kümmer' ich mich um sie. Und wenn wir groß sind, dann heiratigen wir!" Mit einem selbstsicheren Blick schaute er dem großen Mann in seine verwirrten Augen. "Uff...", gab dieser zunächst knapp von sich und löste mit einer kräftigen Griff Ranmas Umarmung. "Kleiner", sprach er weiter und tätschelte ihm den Kopf, nachdem er das Mädchen nun auf seinem Arm trug. "Meine Tochter ist bereits verlobt. Tut mir sehr leid für dich." Ranma fuhr mit großen Augen zurück. Langsam schweifte sein Blick zu dem Mädchen hinüber, das allmählich scheinbar zu müde geworden war, um sich zu wehren. "Achso..." sagte er leise. Im nächsten Moment ballte er jedoch seine kleinen Hände zu Fäusten. "Dann werde ich, wenn ich groß bin, gegen ihn kämpfen. Und wenn ich gewinne, dann..." Das Mädchen lächelte ihm zu. "Du gewinnst bestimmt. Ich will nie nie einen anderen heiratigen." "Ehhhm....... Kinder?" mischte sich der Große nun wieder ein, war jedoch sichtlich verwundert über das eigenartige Hin und Her zwischen den beiden. "Ich bin mir sicher, dass ihr zusammen eine Menge Spaß hattet, aber jetzt müssen wir los. Wir wollen doch morgen noch mal Schnorcheln gehen, nicht wahr meine Kleine?" Ahnungslos lächelnd schaute er zu seiner Tochter, die jedoch wieder mürrisch das Gesicht verzog. "Mm...mm....mm!" machte Ranma laut und aufgeregt und hopste auf und ab. "Ja?" fragte der Mann mit angehobenen Augenbrauen zurück. "Ich will ihr nur noch was sagen. Darf ich?" Er machte eine kurze Pause. "Aber du darfst nicht mithören!" schimpfte er dann streng. Der Papa des Mädchens seufzte, scheinbar stark bemüht, seine Ruhe zu bewahren und gewahr dem kleinen Jungen schließlich seinen Wunsch, als er sich zu ihm herunterbeugte und verstohlen sein Gesicht von den beiden Kindern abwandte. Erwartungsvoll schaute das Mädchen zu ihm herüber als er sich lächelnd vorbeugte und ihr ins Ohr flüsterte: "Ich liebe dich." Auch sie lächelte. Sie beide lächelten einander an. Sie beide waren traurig wegen des plötzlichen Abschieds. Aber gleichzeitig schienen sie beide sich ebenfalls mit dem Gedanken zu trösten, dass sie einander gefunden haben. "Mach's gut, kleiner Engel. Wir sehen uns irgendwann wieder!" "Versprochen??" "..... versprochen.... irgendwann....... irgendwie... bestimmt..." Ranma winkte ihr hinterher. Seinem ersten Freund. Nie wieder wollte er die Worte, die er soeben zu ihr gesprochen hatte, jemand anderem sagen. Denn irgendwann, irgendwie würde er sie wieder finden. Seinen Engel mit den braunen Augen und den kurzen, dunklen Haaren. *** Vielleicht sieht man sogar irgendwann wieder. Doch nicht mit den Augen. Facetten des Glücks. Des Zueinanderfindens. ~ "Kommst du mit in den Dojo?" "Hm?" "Ich heiße Akane. Wir können Freunde sein." ".... m-hm..." *Warum muss ich plötzlich lächeln...?* Worte von ungeahnter Bedeutung. ~ Facetten der Unvergänglichkeit. Manchmal ist es wirklich nur ein winziger Augenblick. Zumindest kommt es uns so vor. ~danke fürs Lesen~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)