Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 15: Das Geistermädchen ------------------------------ Wir endeten auf einer Hochwiese am Rande der Stadt. Sie war schon ziemlich grün geworden in den letzten Wochen und auch das Wetter war um einiges wärmer. Erleichtert stellte ich fest, dass sich meine Wunde nun endlich zu schließen begann. Allgemein ging es mir von Minute zu Minute besser, seit Luca mir dieses Gegengift verabreicht hatte. Er hatte mich kaum auf der Wiese abgesetzt, da brach er zusammen. Die große, gefährliche Chimäre wirkte nun klein und zerbrechlich. Aber wieso verwandelte er sich nicht zurück? „Ich kann nicht mehr…“, stöhnte es in meinem Kopf. Er konnte telepathisch mit mir kommunizieren? „Luca, was ist mit dir?“, fragte ich besorgt, „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Einen Moment war Ruhe, dann ertönte es wieder: „Nein… Das war das letzte Mal.“ „Was meinst du damit…?“ „Das ist die Strafe für die 13.te Spritze.“, erklang plötzlich eine mir völlig fremde Stimme. Ruckartig fuhr ich herum und erblickte einen fremden Mann, der in etwa so alt wie Luca sein musste. Er hatte lange hellblonde Haare, die er als Zopf zusammengebunden hatte. Seine Augen hatten ein helles Orange und schienen hinterlistig zu sein. Ansonsten trug er einfach einen langen schwarzen Umhang mit einem Pik drauf. „Wer sind sie?“, fragte ich und stellte mich schützend von Luca. Er hob beschwichtigend die Hände und zeigte, dass sie leer waren. „Nur die Ruhe, ich will ihm nichts tun. Ich bin nur neugierig. Sehr erfreut dich kennen zu lernen. Du musst Lua sein. Nur für dich würde er so leichtfertig sein Leben wegwerfen, musst du wissen. Aber zugegeben, du bist wirklich eine bezaubernde Exile.“ Da ertönte ein schwaches Knurren hinter mir. Luca hatte zwar den Kopf auf den Boden gelegt, aber starrte den Neuankömmling finster an. „Man nennt mich einfach nur den Informanten, aber mein Spitzname ist Pik, wie im Kartenspiel.“, stellte sich der schräge Typ schließlich vor. Ich nickte einfach nur zustimmend. Er war also ein Arbeitskollege von Luca. Auch wenn ich ihm nicht wirklich traute, schien er die einzige Person zu sein, die ich im Moment fragen konnte, was hier ablief: „Was meinst du damit, dass er sein Leben weggeworfen hat?“ „Nun das hängt mit dem Serum zusammen, dass er sich gespritzt hat. Unser lieber Chef gibt jedem seiner Assassine zum ersten Arbeitstag genau 13 Spritzen mit dem Serum mit. Diese machen die Menschen für einige Zeit zu den Chimären. Im Übrigen hat jede irgendeine Affinität zu etwas. Luca hier zum Beispiel mit dem Element Luft.“ Das erklärte, wieso er sich immer so an mich heranschleichen konnte, stellte ich fest. „Jedenfalls hat das ganze natürlich einen Haken. Das Serum ist eigentlich ein starkes Gift für den menschlichen Körper. Mit jeder Anwendung zerstört sie ihren Träger mehr und nach der 13. Anwendung erholt sich dieser davon nicht mehr.“, erklärte er nun. Der Informant, wie er sich ja selbst nannte, klang genauso kalt wie Luca zu seinen Glanzzeiten. War das bei allen ihrer Sparte so? Allerdings glaubte ich darin zu erkennen, dass auch er, ähnlich wie Luca, das meiste nur vortäuschte. Doch die Härte dieser Aussage war wie ein Faustschlag ins Gesicht für mich. Luca würde sterben? „Verwandelt er sich deswegen nicht mehr zurück?“, hörte ich mich fragen. Meine Stimme begann bereits zu beben. „Na nicht traurig sein, ich kann keine Mädchen weinen sehen!“, raunte Pik plötzlich und blickte dabei irgendwie überfordert drein. Dann kehrte er wieder zu seinem kühlen Ich mit dem noch kühleren Lächeln zurück. „Technisch betrachtet, besteht eine 2%ige Chance, dass er das überlebt und wenn das der Fall wäre, würde er sogar dauerhaft die Fähigkeit behalten sich in eine Chimäre zu verwandeln. Wäre echt cool, nicht wahr?“ „Und wie oft kam das schon vor?“, fragte ich ihn. Er kratzte sich verlegen am Kopf und blickte zur Seite. „Tja bisher… hat es leider noch niemand geschafft. Das sind eh alles nur Hochrechnungen.“ Meine Schultern sackten erschöpft nach vorn. 2%. Das war nichts. Plötzlich hob Luca unter sichtlich großer Anstrengung den Kopf und knurrte leicht. „Verschwinde endlich!“, raunte er und obwohl es sicherlich nur an ihn gerichtet war, konnte auch ich es hören. „Na, na, da Sorge ich mich um dich und so wird es mir gedankt. Ich hab mir schon gedacht, dass du sowas Dummes anstellen würdest, nach deinem Anruf vorhin.“, tadelte der Fremde ihn. Ich ging neben Luca in die Knie und berührte vorsichtig sein Fell. Die Gewissheit, dass ich nichts mehr tun konnte, traf mich hart. Aber ich zwang mich nicht zu weinen. Ich hatte bereits genug geheult. Luca´s Kopf sank auf meinen Schoss. „Deja vu.“, bemerkte er schwach und ich lächelte gequält. „Ja, aber beim letzten Mal warst du nicht so flauschig.“, erwiderte ich laut. Der komische Typ ließ sich plötzlich auch neben uns nieder. „Eine Chimäre und eine Exile? Hab ich auch noch nicht erlebt, ist ja wirklich herzzerreißend.“, bemerkte er. Ich wusste nicht, ob man ihn schlagen oder das als Kompliment auffassen sollte. Aber Luca schien ihm wirklich nicht völlig egal zu sein, auch wenn er es hinunterspielte. Irgendwie freute es mich, dass Luca doch nicht ganz allein war. Er hatte die Zwillinge, Tiara und ihn gehabt, während meiner Abwesenheit. Mehr als ich angenommen hatte. Dieses Mal wurde Luca nicht heiß. Sein Körper hatte den Kampf gegen das Gift wohl wirklich aufgegeben. Stattdessen spürte ich mit schmerzhafter Erkenntnis, dass sein Puls immer langsamer wurde. „Du bist wirklich eine wunderschöne Exile.“, hallte plötzlich eine Stimme in meinem Kopf, „Scheint wohl, als würde ich auf ältere Frauen stehen.“ „Du Idiot.“, schluchzte ich, „Damit rückst du jetzt raus?“ „Kann nichts dafür… das Zeug zwingt mich die Wahrheit zu sagen… sieh´s lieber so, besser spät als nie.“, flüsterte seine Stimme in meinem Kopf. Die Kälte war verschwunden. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten, war die eisige Gleichgültigkeit zerbröckelt und gab den wahren Luca preis. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis ihm mein Geheimnis zu verraten. Ich fand, dass ich ihm das schuldete… „Luca, ich habe dich angelogen. Ich war eigentlich nie ein Mensch.“, begann ich unsicher. Er sagte zwar nichts, aber ich spürte die Verwunderung in meinem Kopf. „Ich wusste es ja selbst vorher nicht, aber wie es scheint war mein Vater wohl ein Exile und nur meine Mutter ein Mensch.“ Ich spürte, dass auch Pik mich mit großen Augen ansah, aber ignorierte das geflissentlich. „Du steckst echt voller Überraschungen. Aber das wusste ich ja schon vorher… Mir ist egal, was du bist…“, hallte es schwach wider. Entsetzt stellte ich fest, dass Luca´s Augen nur noch einen Schlitz weit geöffnet waren. Sie leuchteten nicht mehr, sondern waren ganz trüb geworden. Fast schon mechanisch streichelte ich sein Fell. „Es wird wohl Zeit.“, stellte Pik nüchtern, aber auch mit einem Anflug Traurigkeit fest. Im Gegensatz zu Luca schien er doch mehr Gefühle zuzulassen, was ihn mir doch ein wenig sympathischer machte, als zu Beginn. Gerade bemerkte ich, dass die Sonne langsam aufging. Was für eine Ironie, dass sein Ende der Beginn eines neuen Tages sein würde. „Ich werde bleiben.“, stellte ich fest. Pik sah mich unergründlich an und auch er machte plötzlich keine Anstalten mehr gehen zu wollen. Luca schwieg nun völlig. Sein Atem wurde flach und sein Puls war kaum noch wahrnehmbar. Ich wusste nicht einmal mehr, ob er noch bei Bewusstsein war oder nicht. Die ersten Sonnenstrahlen wärmten die Luft auf, während ich in eine Traumwelt abdriftete. Der Tag war anstrengend gewesen und nun erst kam meine ganze Erschöpfung zum Vorschein. Ich sank gegen Luca´s Flanke, während sein Kopf immer noch auf meinem Schoss ruhte. … Irgendetwas ließ mich erwachen. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, aber was ich wusste, war, dass wir uns auf dieser Wiese befanden und das Luca im Sterben lag… oder war er bereits tot? Ich spürte nichts mehr von ihm. Nicht mal mehr seine Aura. Was hatte mich dann aufgeweckt. Zu meinem Erstaunen war Pik noch da, aber auch er schlief neben uns, zumindest machte es den Anschein. Warum war er wohl geblieben? Dann zerrte etwas an meiner Aufmerksamkeit und ich richtete den Blick auf die Wiese vor uns, die sich abfallend Richtung Stadt bewegte. Ich konnte nicht so lang geschlafen haben, denn die Sonne war noch nicht komplett aufgegangen. Ein dichter Nebel hatte sich über die Gegend gezogen, der uns regelrecht einhüllte. Auf einmal sah ich einen Umriss im Nebel. So schnell er jedoch erschienen war, so schnell verschwand er auch wieder und ich fragte mich bereits, ob ich mir das nur eingebildet hatte. Schließlich war ich immer noch sehr erschöpft und halluzinierte vielleicht. Nein, da war es schon wieder. Ich war mir ganz sicher. Vorsichtig richtete ich mich auf, aber nicht zu sehr, da Luca´s Kopf noch auf mir war. Geisterhaft wirbelte etwas um die Gestalt herum. Es war, als würde der Nebel leben. „Sieh an, du hast mich also bemerkt.“, hallte es plötzlich aus dem Nebel. Es war die Stimme eines jungen Mädchens. Langsam löste sie sich aus dem Nebel und kam auf uns zu. „Wer bist du?“, fragte ich und starrte sie gebannt an. „Im Moment… nur ein Schatten meiner Selbst fürchte ich…“, war ihre rätselhafte Antwort. Wenige Meter vor mir blieb sie schließlich stehen. Das Mädchen hatte fast weiße Haut und trug dazu noch ein einfaches weißes Kleid, sodass sie wirklich wie ein Geist wirkte. Ihre Haare waren silbern und sie waren es, die wie der Nebel umherwirbelte und sich an den Spitzen aufzulösen schienen. Ihre Augen waren ebenfalls fast weiß, auf ihnen lag jedoch ein Perlmutglanz. Ihrem Aussehen nach musste sie etwa Tiara´s Alter haben. Aber ich ahnte, dass das nicht stimmen konnte. „Was möchtest du?“, fragte ich nun. „Ich weiß es nicht mehr…“, hallte sie zur Antwort. Sie schien so verloren und irgendwie nicht ganz anwesend, auch wenn sie sich auf mich zu konzentrieren versuchte. „Du bist wie ich.“, stellte sie plötzlich fest und fixierte mich mit ihrem Blick, „Du bist auch die erste einer neuen Art.“ „Auch?“, fragte ich. Wer war sie nur? Aber sie würde mir eh nicht antworten, sie hätte wahrscheinlich nicht einmal gekonnt, wenn sie gewollt hätte. „Aber du bist schwach.“, ertönte es auf einmal und ich zuckte zusammen. „Ich weiß…“, erwiderte ich, denn sie hatte ja recht. Da schüttelte sie den Kopf. „Deswegen bist du es… du versuchst zu sein, was du nicht sein kannst. Wer kein Exile ist, kann keiner sein. Wer kein Mensch ist, kann keiner sein.“, summte sie rätselhaft, „Du hast dein Innerstes noch nicht wiedergefunden.“ Ich seufzte. Wie sollte mir das denn helfen? Das Mädchen war ein einziges Rätsel für mich. Plötzlich stand sie genau vor mir. Sie musste sich ein kleines Stück bücken, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. Dann berührte sie mit beiden Händen mein Gesicht. Ein Lichtblitz durchflutete mich und unzählige Bilder rasten durch mich hindurch. Es waren so viele, dass ich nicht eines wirklich erkennen konnte. „Du wirst viele Opfer bringen müssen…“, flüsterte sie mir ins Ohr. Was sollte das denn nun wieder bedeuten? Mir erschloss sich nun aber, wieso das Mädchen so abwesend wirkte. Sie war zerrissen… unvollständig, nur ein Schatten ihrer Selbst, wie sie gesagt hatte. Was hier vor mir stand, war nur eine Facette der eigentlichen Person. Plötzlich starrte sie an mir vorbei zu Luca. Ihre Miene war mir unergründlich, doch sie schien unendlichen Schmerz auszudrücken. Erneut zwang sie mich in ihre Augen zu blicken: „Ich helfe dir.“ Jetzt fiel meine Aufmerksamkeit auf Pik, der auch aufgewacht war und das seltsame Mädchen mit aufgerissenen Augen anstarrte. Doch er traute sich nicht das Wort zu erheben. „Ich werde dich vor den Stimmen bewahren.“, sagte sie jetzt auf einmal. Nichts von dem was sie sagte, schien auch nur irgendwie Sinn zu ergeben. Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht einmal, was sie da sagte, aber sie ließ dem Taten folgen. Plötzlich ging sie vor Luca auf die Knie und umfasste mit ihren zarten Händen seine Schnauze… und dann begann sie zu leuchten. Einige Sekunden dauerte dieses Schauspiel, dann löste sie sich wieder von ihm. War sie gerade geschrumpft? Plötzlich musste das Mädchen sich nicht mehr leicht bücken, um mir in die Augen zu sehen, sondern sie tat es, wenn sie aufrecht stand. Auch ihr Kleid schien schlaffer als zuvor zu hängen, wobei es eh schon zu groß gewesen war. „Meine Kraft ist aufgebraucht…“, stöhnte das Mädchen leise und wandte dann ihren Blick wieder zu mir, „Es ist nicht mehr viel übrig.“ „Was geschieht mit dir?“, fragte ich sie besorgt. „Mein Bewusstsein schwindet. Ich werde nicht länger herauskommen können.“ Sie wirkte niedergeschlagen. Zumindest hatte ich nun eine Ahnung, wer da vor mir stand. „Das nächste Mal werden wir zu dir kommen und dann werden wir uns wirklich gegenüberstehen.“, sagte ich entschlossen. Ihre Augen weiteten sich und Tränen glitzerten darin. „Gib die Hoffnung nicht auf.“, fügte ich noch hinzu und lächelte sie liebevoll an. Nun begann das junge Mädchen zu schluchzen. Sie zog die Schultern nach oben und wischte sie mit den viel zu langen Ärmeln über das Gesicht. Vorsichtig nahm ich sie in den Arm. Sie wirkte so furchtbar zerbrechlich. „Mach dir keine Sorgen mehr. Alles wird gut. Man hat dich nicht vergessen.“ Während ich sie noch im Arm hielt, begann sie sich aufzulösen. Sie wurde zu dem Nebel aus dem sie gekommen war. Ein letztes Mal hob sie den Blick und starrte mich mit Kinderaugen an. „Es tut weh… ich habe Angst.“ Sanft strich ihr eine Träne aus dem Gesicht. „Ich weiß, du warst sehr tapfer. Es wird nicht mehr lange dauern.“ Da strahlte für einen kurzen Moment ein wirklich reines und aufrichtiges Lachen auf ihrem Gesicht, was man wirklich nur selten zu Gesicht bekam. So an mich gelehnt, verschwand sie schließlich völlig. Pik blickte mich mit erstauntem Gesicht an, doch ich konnte ihn nur mit demselben sanften Lächeln anschauen, was ich auch dem Mädchen entgegengebracht hatte. Beschämt blickte er zur Seite und legte sich dann wieder schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)