Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 28: Familientag ----------------------- Als Tiara Luca am Hemdzipfel zog, da wusste er bereits, was ihn erwarten würde. Das zierliche, kleine Mädchen mit den Rehaugen blickte ihn mit trauriger Miene an. „Wann kommt Lua wieder?“, fragte sie und runzelte leicht die Stirn. Luca, der am Küchentisch saß und gerade Zeitung las, schaute sie an und seufzte innerlich. Was sollte er ihr jetzt nur wieder erzählen? Allmählich war er die Lügen leid und er ahnte, dass auch Tiara schon längst nicht mehr glaubte, was er ihr erzählte. Wahrscheinlich überspielte sie all das nur, um den Schein zu wahren. Luca hingegen hoffte, dass sie tatsächlich noch naiv genug war, seinen Lügen zu vertrauen. „Ihr Boss hat sie für ein paar Wochen zu einer Weiterbildung geschickt.“, brachte er schließlich heraus. Innerlich lachte er selbst über diese absurde Ausrede. Tiara senkte nun den Blick. „Ich vermisse Lua… Immer seid ihr so beschäftigt.“, klagte sie leise. Das stimmte wohl. Luca war da ja selbst nicht besser, denn auch wenn er immer in der Stadt blieb, so war er doch selten zu Hause. Die Zwillinge machten außerdem selbst ihr eigenes Ding, schließlich waren sie alt genug dafür. Da blieb Tiara oft auf der Strecke, was ihm sehr leidtat. Das war nicht gerade seine Vorstellung von einer schönen Kindheit. Luca legte die Zeitung nun endgültig zur Seite und legte Tiara die Hände auf die Schultern. „Hey, wie wäre es, wenn wir mal wieder einen Nachmittag zusammen verbringen. Du darfst auch aussuchen, wohin wir gehen.“, schlug er vor. Eigentlich wollte er das nicht, da er viel lieber Lua suchen wollte, aber da er wusste, das Joker an der Sache dran war und er eh nichts machen konnte, sprach formal nichts dagegen. Tiaras Laune schien augenblicklich anzusteigen. „Das wäre schön!“, rief sie und setzte ein breites Lächeln auf. „Kommen Yara und Seth auch mit?“ „Natürlich werden sie das.“, antwortete Luca selbstsicher. Er würde die beiden schon überzeugen. Schließlich hatte er viel Übung darin. „Super, dann würde ich gerne in den Tiergarten gehen!“, meinte sie nun und begann herum zu hüpfen. Das war abzusehen gewesen. Tiara liebte diesen kleinen Ort sehr. Er lag etwas abseits der Stadt und wurde privat von einem alten Herrn betrieben, der seine Welt der Öffentlichkeit zugänglich machte. Er kannte Tiara bereits seit langem und ließ sie daher manchmal auch für umsonst hinein. Der Garten selbst hatte noch mehrere ehrenamtliche Mitarbeiter, die sich immer abwechselten. Insgesamt gab es vier Areale dort, deren Herrichtung bestimmten Themen unterworfen waren. Da gab es den japanischen Garten mit viel Kies und Wasserspielen, dann einen englischen Garten, den Regenwald und eine Art Feldwiese, wo wilde Blumen und Kräuter wuchsen. Dort befand sich speziell für Kinder auch ein großer Spielplatz. Außerdem gab es in dem Park einige kleine Tiergehege. Es waren nicht viele, aber trotzdem waren sie ein fester Bestandteil des Gartens. So gab es im japanischen Garten Koi-Fische und ein Fuchsgehege. In anderen Arealen gab es auch Eulen, Stachelschweine, Schlangen und noch einiges mehr. Luca gefiel es dort auch, nur kam er viel zu selten dorthin. Der Ort hatte einfach von Grund auf etwas Beruhigendes an sich. So begab es sich also, dass sie noch am selben Nachmittag alle unterwegs dorthin waren. Die Zwillinge waren nicht gerade von Grund auf begeistert gewesen, aber wie gesagt, Luca konnte sehr überzeugend sein und nun saßen auch die beiden recht gut gelaunt mit im Bus, der zum Rand der Stadt fuhr. Tiara war in Höchststimmung, was auch Luca etwas von seinen Sorgen ablenkte. Der alte Herr lächelte sie bereits fröhlich an, als sie um die Ecke gebogen kam. „Hallo Herr Takato!“, begrüßte sie ihn überschwänglich. „Heute mal mit Familie unterwegs. Na dann wünsche ich euch viel Spaß.“, gab der gütige alte Herr zurück. Mit einem Kopfnicken gab er zu verstehen, dass Luca dieses Mal nicht bezahlen bräuchte und auch wenn es ihm etwas unangenehm war, so nahm Luca dankend an. Es war ja nicht gerade so, als würde er im Geld schwimmen. Während sie durch den Garten streiften, fühlte sich Luca in der Zeit zurückversetzt. Auch Lua war mit ihnen oft hier her gekommen. Sie war es ja erst gewesen, die diesen Ort entdeckt hatte. Anfangs, als Tiara und die Zwillinge noch nicht bei ihnen wohnten, waren die beiden daher oft allein hergekommen. Dass man hier so schnell melancholisch wurde, dachte Luca mit Verwunderung. Aber es hatte nichts Schlechtes an sich, auch einen Tag mal etwas Abstand von seinen Problemen zu bekommen. Den Park selbst hatte man in etwas über einer Stunde durchquert, aber Tiara wollte unbedingt noch auf den Spielplatz. Wer sollte es ihr verdenken. Sie war ja schließlich noch ein Kind. Luca ließ sich auf einer Bank nieder und schaute den Zwillingen dabei zu, wie sie sich mit ihrer kleinen Schwester, auch wenn sie nicht wirklich verwandt waren, beschäftigten. Gerade war sie auf einer Schaukel und Seth stieß sie so hoch wie möglich, während Yara auf der anderen Schaukel versuchte, ohne Hilfe noch höher zu kommen. Binnen kurzer Zeit entbrannte da ein regelrechter Wettkampf, über den Luca innerlich schmunzeln musste. Er selbst hatte das ja nie gehabt, war er in komplizierten Verhältnissen aufgewachsen, bis er zu Lua kam. Doch er dachte darüber nie nach, wenngleich das sehr wohl einen Grund hatte. Stattdessen freute er sich lieber, zuzusehen, wie seine kleine Familie einmal harmonisch beisammen war. Auch wenn eine Person fehlte. Die Zeit verging schnell, doch niemand achtete darauf. Die Zwillinge halfen Tiara gerade dabei ein vierblättriges Kleeblatt zu finden, als sich die ruhige Atmosphäre zu ändern begann. Luca bemerkte, wie die Eulen aus der nahe gelegenen Voliere unruhiger wurden und auch die anderen Tiere taten dies. Mal davon abgesehen bemerkte Luca auch selbst, dass etwas nicht stimmte und er verstärkte seine Aufmerksamkeit. Noch war es vage, aber irgendetwas würde bald geschehen. Die Zwillinge und Tiara bemerkten davon jedoch nichts und suchten unterdessen unbeirrt weiter nach dem Kleeblatt. Plötzlich war es totenstill. Selbst die Aura von eben war komplett verschwunden. In dem Moment sprang Tiara freudig in die Luft, in ihrer Hand triumphierend ein vierblättriges Kleeblatt. Die Jungs waren gerade in begriff aufzustehen, da ging es ganz schnell. Wie aus dem nichts sprang eine Kreatur hinter dem Gebüsch hervor und hielt genau auf die drei zu. Luca reagierte blitzschnell und ging dazwischen. Gerade noch rechtzeitig riss er die Zwillinge nach hinten weg und hielt den Arm vor Tiara, als eine spitze, lange Klinge durch seinen Arm bohrte. Wäre er zu spät gekommen, dann hätte diese Klinge Tiara genau an der Stirn erwischt. Die Drei brauchten einen Moment, um zu realisieren, was gerade geschah. „Luca!“, rief Tiara geschockt aus, als sie die Klinge in seinem Arm erblickte. Dann erst wanderte ihr Blick weiter zu dem Wesen, der die Klinge gehörte. Luca rümpfte die Nase. Das dort musste ein wirklich sehr ausgehungerter Exile sein. Er kannte diese Art der ausgewilderten Aura bereits. Mit Exiles war nicht zu spaßen, besonders nicht, wenn sie so hungrig waren, wie dieser dort. Der Exile stieß nun einen schrillen Schrei aus. „Yara, Seth, schnappt euch Tiara und verschwindet von hier. Sofort!“, herrschte Luca die beiden an. „Aber…“, wollte Tiara einwerfen und auch die Zwillinge standen unschlüssig da. „Ich sagte, SOFORT!“, wiederholte Luca. Er war zornig. Nicht wegen der langsamen Reaktion der drei, sondern, weil er zu spät bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Quälend langsam, so kam es Luca vor, begannen die drei aus dem Knick zu kommen. Der Exile versuchte unterdessen die Klinge aus Lucas Arm zu bekommen, doch Luca hielt sie mit der anderen Hand fest, um ihn an der Verfolgung zu hindern. Als der Exile sah, wie seine vermeintliche Beute langsam verschwand, wurde er noch wütender und plötzlich begannen die beiden Male über den Augenbrauen zu leuchten. Luca traute seinen Augen kaum, aber urplötzlich wurde aus einem Exile ein zweiter. Jeder hatte nur noch je einen dieser Punkte auf der Stirn und der zweite sprang blitzschnell die paar Meter nach hinten und schon waren Luca, die Zwillinge und Tiara eingekesselt. Bevor der zweite Exile angreifen konnte, stieß Luca den ersten mit einem Tritt von sich, sodass die Klinge aus seinem Arm kam und stellte sie so, dass er genau in der Mitte der beiden Exile war. Tiara und die Zwillinge waren nun wieder dicht bei ihm. „Was machen wir nur?“, fragte Seth mit einem Anflug der Verzweiflung, während sich Tiara kreidebleich an ihrem Rock klammerte. Luca blieben jetzt nicht gerade viele Optionen. Zum Glück hatte er immer seine Messer dabei. Ohne sie verließ er nie das Haus. „Rührt euch nicht vom Fleck.“, wies er die drei nun ruhig an. Dann setzte er jene Miene auf, die er immer trug, wenn er einen Auftrag zu erfüllen hatte. Die Miene eines kaltblütigen Mörders, der sein Handwerk verstand. Ein kurzes Rasseln war zu hören, als je ein Messer in seine Hände glitten. Um die Wunde an seinem Arm kümmerte er sich jedoch nicht. Sie würde ohnehin bald heilen und auch wenn sie höllisch brannte, so war er schon schlimmeres gewohnt. Je eine Klinge mitsamt ihrem Draht wickelte sich nun um die Hälse der beiden Exile. Grimmig blickten sie ihn an und versuchten sich dagegen zu stemmen, was natürlich nur dafür sorgte, dass sich der Draht tiefer in sie hineinschnitt. Nun setzte sich Luca in Bewegung. Zeitgleich sprangen auch beide Exile in die Luft. Sie schienen miteinander verbunden zu sein, sodass sie absolut synchron handeln konnten. Luca trennte einen Draht ab und warf nun weitere Messer zu diesem Exile, während er den anderen noch immer an der Leine hielt. Die Messer trafen zwar, doch der Exile war so ausgehungert, dass er sich davon nicht ablenken ließ. Stattdessen waren beide nur auf die drei Kinder fokussiert. Sie versuchten irgendwie an Luca vorbei zu kommen bzw. ihn so schnell wie möglich loszuwerden. So blieb ihm nichts anderes übrig als jeden Schlag einzustecken, der an die Drei gerichtet war. Schon bald zierten unzählige Wunden Luca und er sah ziemlich zerfleddert aus. Er musste einsehen, dass seine Messer ihm bei diesem Gegner nicht halfen. Immer weiter drängte sich die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass er sein Geheimnis nicht länger würde geheim halten können. Lieber sollten die Zwillinge und Tiara wissen, dass er kein Mensch mehr war, als das sie Futter für einen ausgehungerten Exile wurden. Der nächste Angriff war hinterhältig. Während ein Exile vortäuschte sie frontal zu attackieren, bereitete der Zweite den eigentlichen Angriff vor. Luca gelang es mit einem Draht die Klaue des ersten Exiles abzulenken, sodass dieser nicht traf, da schoss aus dem Boden eine weitere lange Klinge. Sie hatte so viel Geschwindigkeit drauf, dass ein ablenken nicht möglich war und so blieb ihm nichts anderes übrig als sich genau dazwischen zu werfen. Tiara schrie so, als hätte die Klinge sie selbst erwischt, als sie sah, wie die Spitze selbiger, aus Lucas Rücken ragte. Es hatte ihn komplett durchbohrt. Der Schrei schmerzte ihm in den Ohren, da sein Gehör ja um einiges besser war, als das von Menschen. Luca drehte den Kopf leicht und blickte nach hinten. Alle drei hatten die Augen weit aufgerissen und waren kreidebleich geworden. Tiara lief ein Bach von Tränen die Wangen hinab, wovon ihre Augen schon ganz gerötet waren. Luca war mehr als nur schlecht gelaunt. Man bedrohte seine Familie, sie hatten damit diesen Nachmittag ruiniert und Tiara zum Weinen gebracht. Für Lucas Nerven war das eine ganz schöne Belastung, denn er hörte bereits, wie die Chimäre in ihm vor Groll brüllte. „Ok, jetzt habt ihr es echt geschafft.“, flüsterte er eiskalt. Es war so leise, dass man es kaum noch verstand. Er drehte sich wieder zu den beiden Exiles, die ihn plötzlich verwirrt anstarrten. Vermutlich wunderten sie sich, wieso er noch lebte. Luca packte nun die Klinge und zog sie ganz langsam heraus, sodass sich nun die Augen der Exile weiteten. Ein normaler Mensch wäre dazu nämlich nicht in der Lage, das wurde ihnen nun klar. Während Ströme von Blut aus der Wunde zu Boden liefen, strich sie Luca genervt die Haare aus dem Gesicht. Dann wandte er das Wort an die Zwillinge und Tiara. „Verzeiht, ich wollte nicht, dass ihr sowas miterleben müsst. Und ich will mich auch dafür entschuldigen, dass ich euch angelogen habe. Ich hoffte ja eigentlich, dass es nicht so weit käme, aber mir bleibt keine andere Wahl.“, dann machte er eine kurze Pause. „Yara, Seth, wisst ihr noch, worüber wir neulich gesprochen haben? Tja, scheinbar erhaltet ihr doch noch eure Antwort. Es tut mir leid.“ Dann konnte er die Chimäre nicht mehr in Zaum halten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)