Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 30: XC70 ---------------- Pik war wir so oft an seinem Schreibtisch eingeschlafen. In letzter Zeit hatte er so viele Überstunden schieben müssen, dass das für seinen Schlafrhythmus eine wahre Katastrophe gewesen war. Neben ihm lag ein riesiger Stapel Papiere. Vieles davon hatte er schon abgearbeitet, aber die Arbeit schien einfach kein Ende nehmen zu wollen. Das Klopfen an seine Tür ließ ihn jedoch erwachen. „Herein.“, brummte er müde und genervt von dieser Unterbrechung. „Mensch, deine Augenringe scheinen ja jedes Mal tiefer zu werden, wenn ich dich besuche.“, meinte der Mann höhnisch als er eintrat. Er war etwas größer als Pik und auch kräftiger. Er hatte seine Haare stets ganz kurz geschoren, was ihm einen noch härteren Ausdruck verlieh. Außerdem hatte er recht schmale grau-blaue Augen, welche den Eindruck verliehen, dass es sich hierbei um einen sehr erfahrenen Kämpfer handeln musste. „Ah, Kreuz, was willst du denn?“, fragte Pik nun etwas höflicher. Kreuz und er waren schon seit Jahren gut befreundet. Eine ganze Zeit lang waren sie berüchtigt dafür gewesen, sehr grausam und unbarmherzig zu sein. Doch dann hatte Pik Yari kennengelernt und hatte sich von da an zum wohl besseren gewandelt. Nun galt Kreuz als der härteste Informant, aber trotzdem verstanden sich die beiden noch sehr gut. „Ich wollte nur mal nachsehen, wie es dir geht.“, meinte Kreuz und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch von Pik. Er lehnte sich zurück und ließ einen Arm über die Lehne baumeln. „Ich konnte dich ja leider nicht besuchen, als das mit Yari passiert ist. Hatte zu viel zu tun. Weißt ja, wie das ist, aber ich wollte dich nun endlich mal wieder besuchen. Hab mir Sorgen gemacht, wie du das alles aufnimmst.“ Pik stützte seinen Kopf auf einer Hand ab spielte mit der anderen an einem Stift rum. „Ich danke dir mein Freund. Aber mir geht es gut soweit. Meine Assistenten haben es ganz gut hinbekommen mich wieder aufzubauen.“ „Verstehe, das ist gut. Scheinst ja dann echt fähige Assistenten zu haben. Meine sind da nutzlos wie eh und je, deshalb wechseln sie ja auch so oft.“, brummte Kreuz und verzog die Miene, als er an seine Assistenten dachte. „Naja, sie würden sich sicher länger halten, wenn du sie nicht immer sofort erschießen würdest, wenn sie mal was falsch machen.“, spottete Pik und gähnte danach. „Haha, da ist wohl was dran. Aber hey, früher warst du da nicht einen Deut besser als ich.“, lachte Kreuz. „Stimmt, aber die Zeiten sind vorbei.“, lächelte Pik, „Yari zuliebe.“ Innerlich verdrehte Kreuz die Augen. Eigentlich hatte er ja gehofft, dass Pik wieder so werden würde, wie er gewesen war, bevor er Yari kennengelernt hatte, aber offenbar war dem nicht so. Auch wenn er Gerüchte gehört hatte, dass dieser Amoklauf kurz nach ihrem Tod nicht durch einen Exile, sondern durch einen Menschen verübt worden war. Kreuz hatte angenommen, dass es vielleicht doch Pik gewesen sein konnte, der das getan hatte, aber wenn er ihn nun so vor sich sah, da verschwanden seine Zweifel. Pik war so verweichlicht wie eh und je. Das ärgerte ihn. „Ach Kreuz, ich wollte mich aber bei dir bedanken.“, meinte Pik plötzlich. „Wofür denn?“, fragte er verwundert. Pik hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. „Naja, dafür das du die Sache mit Yari und mir so gut geheim gehalten hast. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn Lucius davon Wind bekommen hätte.“ „Achso, na das ist doch selbstverständlich, dass ich dir da geholfen habe. Wofür sind Freunde denn da.“, meinte er freundlich, „Ist wirklich Schade, dass sie nicht mehr da ist. Aber du kennst ja Lucius. Seine Aufträge sind oft nicht ohne. Da kann jederzeit etwas schief gehen.“ „Leider.“, brummte Pik. „Lass uns lieber das Thema wechseln.“, schlug Kreuz nun vor. Pik wirkte plötzlich so niedergeschlagen und er zog es vor, das Thema zu wechseln. „Herz ist grad echt nicht zu beneiden. Muss noch mehr Überstunden schieben, als du, seit die Sache in dem Labor passiert ist. Ich meine, wer ist denn bitte so bescheuert und versucht da einzubrechen?“ Pik gähnte erneut und lachte kurz auf. „Tja, die Dummen werden nicht alle auf dieser Welt. Herz tut mir Leid, ist sicher ´nen Haufen Papierkram für sie.“ Wenn er da an seinen Berg von Arbeit dachte, dann war Herz echt nicht zu beneiden. „Allerding. Aber Karo geht ihr wohl ein wenig zur Hand. Die beiden sind ja so dicke miteinander.“, meinte Kreuz und wedelte dabei mit der Hand umher. „Wär doch schlimm, wenn nicht. Sind schließlich Geschwister.“, lachte Pik nun. „Da ist was dran.“, stimmte Kreuz ihm zu. Kreuz blieb noch eine ganze Weile und die beiden unterhielten sich über dieses und jenes. Pik freute sich über den Besuch seines alten Freundes. Neben Luca war Kreuz nun noch der einzige in der Organisation, dem er vertrauen konnte. Schließlich aber war es für Kreuz wieder Zeit zu gehen. „Hat mich echt gefreut, dass du da warst.“, sagte Pik und das war sein voller ernst. Kreuz lächelte ihm freundlich zu. „Keine Ursache. Nächstes Mal, kannst du ja mal wieder bei mir vorbeischauen.“ „Mach ich.“, winkte Pik ab und damit verließ Kreuz sein Büro. Eine Weile später erhob auch Pik sich von seinem Platz. Für heute hatte er keine Lust mehr den Papierkram weiter zu bearbeiten, also würde er nun Jokers Bitte nachgehen und ins Archiv fahren, welches im Keller des Hauptquartiers lag. Als Pik eintrat blickte die Dame vom Empfang kurz auf und nickte beiläufig zur Begrüßung. Er hielt sich damit aber nicht weiter auf und fuhr schnurstracks mit dem Lift in die letzte Etage. „Oh, seid gegrüßt, Pik. Euch habe ich ja schon lange nicht mehr hier unten gesehen.“, meinte der Mann, der bewachte, wer das Archiv betrat. „Stimmt, aber manchmal kommt man nicht drum herum.“, antwortete Pik. „Scheint so.“, brummte die Wache und ließ ihn eintreten. Pik war wirklich lange nicht mehr hier gewesen. Er hatte ja auch keinen Grund dazu gehabt, bis jetzt. Hier fanden sich alle Unterlagen zu den Aufträgen, die Lucius verteilte. Wirklich jeder Auftrag war hier zu finden. War ziemlich beeindruckend hier entlang zu gehen, wenn man bedachte, wie riesig die Anlage war. Lucius konnte sich definitiv nicht über Geldsorgen beschweren. Schnell schritt Pik durch die Reihen, bis er in der richtigen angelangt war. Er suchte kurz, bis er die richtige Akte gefunden hatte, aber dann hielt er sie in der Hand, die Akte mit der Bezeichnung „XC70“. Pik fragte sich zwar noch immer, weshalb dass das einzige war, was Joker von ihm verlangte, aber er würde sich nicht darüber beschweren. Pik verstaute die Akte und verließ das Archiv wieder. Dann fuhr er zurück in sein Büro. … Luca war gerade auf dem Heimweg, als sein Handy klingelte. Eben hatte er einen Auftrag erledigt, welche nun, wohl gemerkt, um einiges einfacher waren, seit er eine Chimäre geworden war. Seit dem Vorfall im Tiergarten waren gut zwei Wochen vergangen und irgendwie war wieder alles so wie vorher. Die Zwillinge und Tiara gingen normal ihrer Wege und auch benahmen sie sich nicht anders als vorher. Luca war froh darüber. Er hatte sich schon riesige Sorgen darüber gemacht, wie er das sonst wieder in Ordnung hätte bringen sollen. Nun wussten die Drei also, dass auch ihre Gäste nicht normale Menschen waren, aber offenbar, machte es ihnen nichts weiter aus. Kyria war ganz überrascht gewesen, als Tiara sie danach gefragt hatte, wie es denn wäre, als Exile zu leben. Luca hatte ihr dann alles erklärt und so hatte Kyria zumindest ein paar Fragen von ihr beantwortet. Vielleicht lag es einfach an dieser Zeit, dass die Menschen schon so lange mit dem Übernatürlichen zu tun hatten, dass es für sie gar nichts mehr so besonderes war oder aber die Drei hatten das einfach schon viel zu lange geahnt, sodass es für sie nun lediglich die Bestätigung dessen war, was sie eigentlich schon lange wussten. „Hey, was gibt’s?“, fragte Luca nun, als er an sein Handy ging. Es war Pik. „Joker hat alle Informationen gesammelt, die sie zu Lua finden konnte. Du findest sie auf meinem Schreibtisch.“, antwortete es reserviert. Luca wunderte sich. Irgendetwas an Pik war heute anders. Normalerweise war er nur Fremden gegenüber so kalt und reserviert. „Ich kann sie dir leider nicht persönlich bringen, die anderen Informanten und ich müssen zu Lucius.“, ergänzte er nun noch. Luca wurde hellhörig. „Hey, ist alles in Ordnung? Du klingst so merkwürdig.“; fragte er, doch da hörte er nur noch ein kurzes „Bye.“, und dann hatte Pik schon aufgelegt. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Luca versuchte ihn zurückzurufen, doch nun war Piks Handy ausgeschaltet. Sehr merkwürdig, wunderte sich Luca. Sofort machte er sich auf zum Büro. Piks Assistenten wussten bereits Bescheid und ließen ihn hinein. „Sagt mal, was ist denn heute mit Pik los?“, fragte Luca, als er eintrat, doch diese wussten genauso wenig wie er. „Wir wissen es auch nicht. Er kam vor einigen Stunden wieder, da war er noch normal und vorhin ist er dann plötzlich losgestürmt und meinte, dass er zu Lucius müsse.“, erklärte ihm eine junge Frau, die für Pik arbeitete. „Hm…“, brummte Luca und ging in sein Büro. Etwas schien nicht zu stimmen, aber wenn Pik es ihm nicht sagte, dann konnte er sich auch nicht einfach einmischen. Pik hatte nicht gelogen. Die besagt Akte ruhte auf dem chaotischen Schreibtisch. Doch was darin stand, war äußerst merkwürdig. Joker hatte in den Bericht geschrieben, dass jegliche Aura, die je von Lua existiert hatte, verschwunden war. Besser gesagt, war es eher so, als hätte sie nie existiert. Dementsprechend hatte Joker sie auch nicht finden können. Luca war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Was sollte das nur bedeuten? Seine Aufmerksamkeit fiel nun auf den letzten Satz, den Joker scheinbar erst später noch handschriftlich ergänzt hatte. „Es ist nicht so, dass die Person, die ihr sucht, gestorben ist. Wäre sie das, dann hätte ich auch das gefunden. Vielmehr ist es ein Paradox, dass selbst eine Hexe nicht zu lösen vermag. Ich nehme jedoch sehr stark an, dass diese Person früher oder später von selbst wieder auftauchen wird. Ich empfehle Geduld.“ Luca knirschte unbewusst mit den Zähnen. Bei diesen Worten konnte man fast annehmen, dass Lua in eine andere Dimension entführt worden sei und sie irgendwann wohl mal wieder frei kommen würde. Doch natürlich war dem nicht so. Geduld also? Sicher beruhigte es Luca ein Stück weit, dass Joker zumindest ausschließen konnte, dass Lua gestorben war… aber wirklich glücklich war er damit nicht. Wie lange würde es denn dauern, bis er Lua je wieder sehen konnte? Er vermisste sie mehr, als er je zugegeben hätte und nach diesen ersten Wochen ohne sie, merkte er bereits, wie sich sein seelischer Zustand zunehmend verschlechterte. Noch merkte das niemand, aber er war sich nicht sicher, wie lange er die Fassade aufrecht erhalten konnte. War er sauer auf Lua? Er wusste es nicht, war sich uneinig darüber. Letztlich seufzte er entnervt aus und beschloss, die Sache in Ruhe mit Kyria zu bereden, sobald er zurückkam. Luca steckte die Papiere weg und wollte gerade das Büro verlassen, als er in seinem Blickwinkel etwas sah. Neben dem großen Schreibtisch stand ein Papierkorb. Da Pik sehr viel an Papierkram wegschmiss, musste dieser jeden Tag geleert werden, doch heute befand sich darin nur eine Sache. Es war eine Akte. Luca war verwundert. Sie schien aus dem Archiv zu sein und so etwas wurde normalerweise nicht einfach weggeschmissen. Dann fiel ihm auch die Bezeichnung der Akte auf, „XC70“. „Moment mal, das ist doch die Akte, die Joker haben wollte.“, dachte er laut und ging hinüber zu dem Papierkorb. Eigentlich war Luca nicht so neugierig. So etwas hatte man auch nicht zu sein, wenn man als Assassine arbeitete. Doch diese Sache hatte ihn stutzig gemacht. Es passte nicht zu Pik, so etwas einfach wegzuwerfen. Sonst ging er mit solchen Sachen viel gründlicher um. Luca lehnte sich an den Schreibtisch und öffnete die Akte. „Bericht über die Vorfälle vom 14.Mai bis zum 29.Mai 3056, Verfasser: Informant Kreuz, Auftraggeber: Lucius van Serenberg.“ Luca glaubte nicht, was er da las. Wenn das wirklich stimmte, dann war Pik gerade im Begriff den größten Fehler seines Lebens zu begehen. Er musste sich beeilen. Vielleicht konnte er das Schlimmste ja noch verhindern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)