Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 34: Graveyard --------------------- „Aber ich muss dich enttäuschen. Ich kann Pik nicht retten.“, sagte sie kühl und handelte sich sowohl von Yari, als auch von Luca geschockte Blicke ein. „Was? Aber warum nicht?“, fragte Luca aufgebracht und da fiel Joker das erste Mal so richtig auf, welch riesiger Abgrund in der Seele dieser Person ruhte. Er war quasi eine tickende Zeitbombe und sie spielte hier neben ihm mit Feuer. Nach einem Moment antwortete sie: „Sein Tod ist die letzte Konsequenz ihres Wunsches. Ich kann Konsequenzen nicht ändern.“ Eigentlich war es ihr ja auch egal. Hexen empfanden ohnehin kein Mitleid. Dazu waren sie gar nicht fähig. Weiterhin beobachtete sie Luca eingehend. Seine Miene wurde immer finsterer und Joker sah, wie der Abgrund von eben noch dunkler wurde. Die Verzweiflung und scheinbar auch die Angst vor dem alleingelassen werden waren ihm ins Gesicht geschrieben. Sie ahnte, dass diese Lua, die sie vorher hatte suchen müssen, auch nur für ihn gewesen war. Jetzt war ihr Interesse geweckt. Er barg ein riesiges Potential für sie. Denn was natürlich niemand wusste, war die andere Seite der Hexen, die an ganz anderen Dingen interessiert war… Nun wandelte sich jedoch die Angst ihres Gegenübers in eine neue Empfindung. Zorn. Luca war es leid, dass konnte sie klar und deutlich erkennen. Egal was er auch versuchte, ständig scheiterte er. Er konnte niemandem helfen, niemanden retten. Vielleicht verließen ihn ja deswegen alle, die ihm etwas bedeuteten. Ja, er war es leid. Sein Leben lang hatte er immer versucht, das Richtige zu tun. Wollte ein guter Mensch sein, aber selbst das hatte er ja nicht mal ansatzweise geschafft. Erst war er ein Assassine geworden und mittlerweile war er nicht mal mehr ein Mensch. Vor seinem inneren Auge tauchten Szenen aus seiner Kindheit auf, die er eigentlich längst begraben glaubte. … Er sah sich wieder in diesem Hundezwinger eingepfercht und hörte die höhnischen Worte seines Peinigers: „Du bist nur ein Köter. Eine wertlose Kreatur. Sieh es ein, Kleiner, dein Schicksal war es nie, dass du ein glückliches Leben würdest führen dürfen… Oh? Wieder dieser kalte Blick, huh? Lass mich dir eines sagen. Willst du wissen, warum ich dir all das antue? Weil ich es liebe, wenn meine Opfer voller Finsternis sind, wenn ich sie fresse. Und du mein Lieber wirst ein wahres Festmahl sein.“ Damals hatte Luca das einzige Mal wirklich mit dem Exile gesprochen, der ihn mit Freuden besuchte. „Wieso tust du das? Du musst doch mal ein Mensch gewesen sein… Deine Menschlichkeit muss doch noch irgendwo sein?“ Da hatte der Exile gelacht. „Ach Kleiner, du glaubst noch an Menschlichkeit nachdem deine Eltern dich an mich verkauft haben und das für ein bisschen Geld und Macht? Du glaubst noch an Menschlichkeit, obwohl sie dich in ihrem eigenen Hundezwinger einsperren, wo doch über dir diese riesige Villa ist? Glaubst du auch noch an Menschlichkeit, wenn ich dir verrate, dass du nur deswegen geboren wurdest, um als das zu enden, was du sein wirst? Eine Mahlzeit!“ Da schwieg der Exile und starrte belustigt zu dem kleinen Jungen im Käfig, der ihn hasserfüllt anstarrte, während sich diese Worte bis in sein Unterbewusstsein fraßen. … „Wenn du meine Meinung zum Thema Menschlichkeit wissen willst, Kleiner: Menschlichkeit ist unnötig und überbewertet. Ich lebe lange genug, dass ich dir eine Sache bestätigen kann. All diese Gutmenschen, die immer alles richtig machen wollen… die leiden am meisten und sterben als erstes…“ Während er Yari leise schluchzen hörte, drohte Luca von seinen Gedanken verschlungen zu werden. Er hatte Lua verloren. Jetzt war auch Pik verloren. Blieben also noch die Zwillinge und Tiara. Sieh es ein, hörte er eine Stimme aus seinem Unterbewusstsein flüstern, die verdächtig wie der Exile von damals klang. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du auch diese Menschen verlieren wirst. Wäre neulich ja auch schon fast geschehen, erinnerst du dich? Erinnerungen vom Tiergarten kamen hoch. Am einfachsten wäre es ja, wenn du dich einfach von ihnen lossagen würdest, dann würde dich das auch alles nicht mehr quälen können. Luca seufzte laut aus und starrte direkt in die grauen Augen von Joker. „Wenn du Pik nicht retten kannst… Dann habe ich einen anderen Wunsch.“ Joker hob fragend eine Augenbraue und war gespannt, was denn jetzt kommen sollte. „Ich will Macht. Ich will genug Macht, damit ich Lucius und seine ganze verrottete Organisation zerschmettern kann. Und wenn ich einmal dabei bin, dann kümmere ich mich auch gleich noch um diese dämlichen Hunter.“ Luca meinte es todernst. Noch nie im Leben hatte er wirklich Macht gewollt, doch jetzt schon. Jetzt war er an einen Punkt gelangt, an dem er es leid war, zu verlieren. Joker hingegen verzog keine Miene. „Aha. Praktisch willst du alles zerstören, was dir in Vergangenheit mal geschadet hat. Ich nehme an, du machst die Hunter verantwortlich dafür, dass deine Lua verschwunden ist, was? Und Lucius ist natürlich für Piks Misere verantwortlich. Aber du verlangst viel. Das wird dich viel kosten.“ „Tu es nicht, Luca!“, brachte sich Yari nun aufgebracht ein, „Du machst einen gewaltigen Fehler, wenn du dich darauf einlässt. Sieh mich doch nur an.“ „Ist mir egal.“, gab Luca schlicht zurück, „Ich bin bereit alles zu zahlen, solange ich bekomme, was ich will.“ Yari schüttelte nur ungläubig den Kopf, als ein heller Schimmer von ihr ausging. „Ah, es ist wohl Zeit.“, stellte Joker fest, „Pik hat aufgehört zu atmen… Die Konsequenzen sind vollendet. Yari, jetzt darfst du endlich gehen.“, bemerkte Joker recht lieblos, woraufhin Yari ein letztes Mal über Pik strich, während ihr ein Bach aus Tränen über die Wangen lief. „Ich verstehe… Dann lass mich nur noch eine Sache sagen, bevor ich verschwinde. Luca, Ich habe Pik wirklich geliebt und ich werde mir nie verzeihen können, dass er wegen mir sterben musste. Ich kann dich natürlich nicht daran hindern, einen Vertrag mit Joker abzuschließen, aber ich warne dich: Früher oder später holt es dich ein. Und du wirst es unendlich bereuen. Du warst mein Mentor und stets ein guter Freund für mich… ich will nicht, dass dir dasselbe widerfährt, wie mir.“ Mit diesen Worten löste sich Yari auf und verschwand in die klare Nachtluft. Luca blickte ihr mit traurigem, aber auch leerem Blick nach. Nach einer Weile senkte er den Blick zu Pik und begann lieblos zu lachen. „Sag Joker, glaubst du eigentlich an Schicksal?“, fragte er sie leise. „Natürlich. Es ist nur nicht immer so in Stein gemeißelt, wie alle glauben.“, verkündete Joker gelassen. „Ich für meinen Teil glaube ja, dass mich irgendjemand schon bei meiner Geburt verflucht haben muss. Anders kann ich mir dieses beschissene Leben nicht mehr erklären.“, sagte Luca und verwandelte sich wieder in menschliche Gestalt. „Ich will einen Vertrag mit dir. Noch heute.“ Jetzt setzte sich Joker in Bewegung und kam auf Luca zu. Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, blieb sie stehen und beäugte ihn eingehend. „Ich hoffe dir ist bewusst, dass es kein Zurück gibt, sobald der Vertrag besteht.“ „Ist mir schon klar.“ „Gut. Dann sage ich dir jetzt, welchen Preis du für die Macht bezahlen musst.“ Joker kam Luca nun noch näher und flüsterte ihm ins Ohr: „Deine Menschlichkeit wird es sein. Je mehr du davon aufgibst, desto mächtiger wirst du werden, das garantiere ich. Ist es dir das wirklich wert? Immerhin sollte dir bewusst sein, dass es bedeutet, dass Alles, was dir jetzt wichtig ist schon sehr bald egal sein wird. Und sind die Zuneigung, Mitgefühl und Liebe erst einmal verschwunden, werden nur noch Gier, Hass und Triebe übrig bleiben.“ Dieses Mal lachte Luca ziemlich laut, denn diese Ironie war geradezu unerträglich. Joker schwieg und wartete auf seine Antwort. „Wenn du mich fragst“, begann er letztlich, „Dann ist Menschlichkeit doch ziemlich unnötig und überbewertet, nicht wahr?“ Joker begann zu lächeln. Dieser Mann versprach vielversprechend zu werden. Das hatte sich schon lange nicht erlebt und sie freute sich diebisch darüber. Eigentlich hatte sie ähnliches ja von Pik gehofft, aber der hatte letztlich nie den Fehler gemacht, ihr zu Vertrauen. Und so legte sie ihre Arme um Luca und schaute ihm in die Augen. „Dann ist es abgemacht. Du sollst die Macht bekommen, die du dir so sehr wünschst.“ Sie legte eine Hand auf seine Wange und überbrückte die letzten Zentimeter. Als sie ihre Lippen auf seine presste, wurde der Vertrag besiegelt. Als sie sich wieder von ihm löste, blickte er sie etwas unschlüssig an. Er fühlte sich nicht anders als vorher. „Der Vertrag gilt.“, sagte sie nun, „Aber es wird etwas dauern, bis du die Effekte spüren kannst. Aber so viel sei verraten: Deine zweite Affinität wird sicherlich sehr praktisch werden. Nun denn… Man sieht sich. Ich freue mich schon.“ Grinsend verschwand sie im Nichts, unaufspürbar und Luca blieb allein zurück. Er war etwas verwirrt. Was denn für eine zweite Affinität? Letztlich beschloss er jedoch, einfach geduldig zu sein, bis er es herausfand. Für heute hatte er genug und beschloss zu Kyria und den anderen zurückzukehren. Er war sich noch nicht sicher, was er in Zukunft tun würde. Die Suche nach Lua konnte er sich ja offenbar sparen, aber die Rachepläne würde er auf jeden Fall weiterverfolgen. Doch dafür musste er sich erstmal ordnen und Pläne schmieden. Ein letztes Mal blickte er zu seinem besten Freund herab, der leblos dalag und erstaunlich friedlich wirkte. Weiter entfernt lag noch immer Kreuz, der sich vor Schmerzen hin und her wandte und von seiner Umgebung kaum etwas mitbekam. „Lebe wohl, Pik.“, flüsterte Luca betrübt und schnappte sich die beiden Sensen, die neben Pik lagen. Mit Wucht rammte er die beiden in den harten Boden, sodass sie eine Art Kreuz bildeten. Mehr konnte er für seinen besten Freund nicht mehr tun. Ein richtiges Begräbnis war in dieser Zeit einfach nicht möglich. Ein letztes Mal kniete sich Luca zu Pik herab und legte eine Hand auf die Flanke, die noch immer warm war. Ein paar Minuten verharrte er so schweigend, doch dann erhob sich Luca und verließ das Ödland. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)