Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 35: siebter Sinn ------------------------ „Und warum sind wir jetzt nochmal hier?“, fragte Vale etwas missmutig, während ich weiter voran stürmte. „Ich sagte doch, dass es so ein Gefühl ist und ich es nicht erklären kann.“, gab ich ungeduldig zurück. „Wäre aber schon nett, wenn das etwas genauer ginge. Immerhin schleppst du mich gerade mitten in der Nacht ins Ödland.“ Vale folgte mir langsamer als es mir lieb war und mir war bewusst, dass ich ihn gerade etwas zu sehr damit auf die Nerven ging. Doch ich konnte dieses Gefühl wirklich nicht erklären. Irgendetwas war vorgefallen und ich musste unbedingt sehen was es war. Endlich erreichten wir den Ort, der mich so magisch anzog. Es war das reinste Schlachtfeld. Überall waren Flecken getrockneten Blutes und diverse Krater zierten das Feld. „Hm… muss wohl ein Kampf stattgefunden haben.“, bemerkte Vale unbeteiligt, als er mich endlich eingeholt hatte. „Naja kann noch nicht so lange her sein.“ Ich stimmte ihm zu. Ich sah nicht weit von uns eine Gestalt am Boden liegen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie gen Himmel und sah so aus, als wäre sie unter grausamen Schmerzen gestorben. Der ganze Oberkörper war aufgeschlitzt und eine riesige Blutlache war um die Leiche. Es war nicht so, dass ich Mitleid mit dem Menschen hatte, aber doch fiel mir auf, mit welchem Zorn er umgebracht worden war. „Hier liegt noch einer.“, verkündete Vale in einiger Entfernung und ich erhob mich. „Oh man. Ich wusste ja, dass die die Chimärenforschung weit gebracht haben… aber das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Vale betrachtete sich die tote Chimäre am Boden. „Wieso ist er tot? So schwer verletzt sieht er gar nicht aus.“, fragte ich mich. „Genau weiß ich das jetzt auch nicht, aber ich hörte, dass es daran liegt, dass man es noch nicht perfektionieren konnte. Die Menschen sterben wohl, wenn sie das Serum zu oft benutzen. Ist dem hier wohl auch passiert, nehme ich mal an.“ Warum machte mich der Anblick dieser Chimäre eigentlich so unsagbar traurig? Ich bemerkte erst, dass ich weinte, als die ersten Tränen zu Boden fielen. „Was ist denn los?“, fragte mich Vale besorgt, als auch er es bemerkte. „Ich… ich weiß es nicht.“, gab ich zu verstehen, „Aber irgendwie habe ich einfach das Gefühl, dass ich diese Person kenne. Oder besser gesagt: kannte. Und jetzt da ich sie tot vor mir sehe, bricht es mir das Herz. Ich weiß… klingt dämlich, wenn ich doch nicht mal weiß, wer das eigentlich ist.“ Da schlang Vale einen Arm um mich und zog mich näher an sich heran, um mich zu trösten. „Das ist nicht dämlich. Vielmehr zeigt es doch nur, dass deine Erinnerungen doch nicht komplett verschwunden sein können. Es tut mir Leid, dass es dich so betrübt.“ Nun ging ich auf die Knie und streichelte über das weiche Fell der Chimäre, die irgendwie an einen Karakal erinnerte. Die goldenen Augen waren nur halbgeschlossen, hatten jedoch all ihren Glanz verloren. In unmittelbarer Nähe erblickte ich zwei Sensen, die wohl zu ihm gehörten. Jemand hatte sie als eine Art Kreuz für ihn hergerichtet, fiel mir auf. Und da wusste ich plötzlich was zu tun war. Ich zog meinen linken Ärmel in einer schnellen Bewegung nach oben und schnitt mir über mein Handgelenk. Sofort kamen einige schimmernde Blutstropfen zum Vorschein. „Was hast du denn vor?“, fragte mich Vale skeptisch, aber machte auch keine Anstalten, mich davon abzuhalten. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich etwas tun muss.“, versuchte ich mich zu erklären, „Ich spüre diese komische Verbindung zwischen uns. Die Chimären stammen doch von mir ab, nicht wahr? Vielleicht ist es ja mit mir dasselbe Phänomen, was Seraphis mit allen Exile hat.“ „Kann schon sein.“, antwortete Vale noch immer skeptisch klingend. Nun drehte ich den Kopf der Chimäre etwas und ließ ein wenig meines Blutes in das offene Maul tropfen. Als ich befand, dass es genug war, ließ ich die Wunde wieder verschließen und legte meine Hand nun auf die Flanke des Toten. Die geisterhafte, silberne Substanz, die mich immer verfolgte und die zu mir gehörte, wie der Nebel zu Seraphis, reagierte sofort. Meine Augen glühten silbern auf. Vale meinte immer, dass das Silber so aussah, als würde es sich ständig bewegen und in deren Mitte lagen goldene Pupillen. Außerhalb der Iris wurden meine Augen dann dunkelrot, was in der Nacht schon schwarz wirkte. Die silbernen Fäden schlangen sich meinen Arm entlang, bis sie sie an meiner Hand angekommen waren und ein filigranes Muster bildeten. Dann ging eine Art Impuls durch mich hindurch und übertrug sich auf die tote Chimäre. Für einen Bruchteil der Sekunde strömten plötzlich unzählige Erinnerungen, Gedanken und Gefühle auf mich ein, sodass es mich beinahe überforderte. Sie rasten so schnell an mir vorbei, das ich kaum etwas davon richtig wahrnehmen konnte. So schnell wie sie gekommen waren, ebbten sie aber auch wieder ab. Damit war das Spektakel schon vorbei und ich nahm die Hand wieder von ihm weg. Vale und ich starrten beide neugierig zu der Chimäre, hatten wir beide keine Ahnung, was jetzt geschehen würde. „Was genau hast du denn gemacht?“ fragt Vale nach einiger Zeit in der nichts geschah. „Naja mir fiel irgendwie auf, dass diese Chimäre „Unfertig“ wirkt. So als ob das Serum der Menschen die Verwandlung nur so halb schafft und das es das wohl auch ist, was ihn umgebracht hat. Ich hab versucht, die Verwandlung zu Ende zu bringen.“, versuchte ich zu erklären, doch allmählich zweifelte ich daran, ob ich damit richtig lag. Doch noch im selben Moment begann die Chimäre zu zucken. Die Luft lud sich binnen Sekunden elektrisch auf, sodass mir schon die Haare zu Berge standen. Die Chimäre bewegte sich und stand langsam auf, schien aber immer noch bewusstlos. Die Spannung in der Luft stieg weiterhin und man konnte schon kleine Funken um ihn entstehen sehen. Die Chimäre schien furchtbare Schmerzen zu haben und ich bereute schon, dass ich ihm das angetan hatte. Trotzdem fühlte es sich richtig an. Er wand sich hin und her und seine Hörner streiften mich beinahe. „Pass auf Lua.“, warnte mich Vale, doch ich winkte ab. Stattdessen stand ich auf und ging zu der leidenden Chimäre heran. Instinktiv schlang ich die Arme um den Hals der großen Bestie und drückte mich an das warme Fell. „Alles wird gut.“, redete ich auf ihn ein, „Du hast es gleich geschafft. Halte nur noch einen kleinen Moment durch, ja?“ Tatsächlich wurde die Chimäre etwas ruhiger und Vale konnte seine Verblüffung nicht verbergen. Während Lua ihn noch immer liebevoll umarmte und auf ihn einredete, begann sich die Gestalt der Chimäre tatsächlich zu verändern. Es veränderte sich nicht grundlegend, doch Vale verstand nun, was Lua mit unvollständig gemeint hatte. Als erstes veränderten sich die beiden Schweife. Die Enden, die vorher einfach ganz normal gewesen waren, sahen nun irgendwie ein bisschen aus, wie kleine Mäuler. Vielleicht ein bisschen wie Schlangenköpfe nur ohne Augen. Dann wechselten die Furchen an den Rippen. Das goldene Glühen wurde richtig intensiv und begann sich über ein filigranes Muster miteinander zu verbinden. Als die Furchen dann über jenes filigrane Netz verbunden waren, breitete sich davon ausgehend ein ebenso feines, goldenes Muster über das gesamte Fell aus. Ein wenig erinnerte Vale das Muster ja an Blitze, die sich erstaunlich symmetrisch auf beiden Körperseiten verteilten und dann am Rücken zusammenliefen. Die schwarzen Spitzen des sandfarbenen Fell blieben bestehen, aber die schwarz gefärbten Vorder- und Hinterbeine bildeten zusätzlich zum Körper auch ein paar dieser goldenen Muster aus. Immer zwischen zwei Mustern kamen spitze Zacken zum Vorschein, die fast nicht auffielen, aber im Kampf sicher unangenehm werden konnten. Das Gesicht hingegen war wohl das einzige was sich gar nicht veränderte. Das einzige, was Vale noch bemerkte, war, dass die Pupillen von innen heraus zu Glühen begannen und nun nicht mehr schwarz, sondern weißlich-rot schimmerten. Mehrere Blitze entluden sich um die Chimäre und Lua herum, dann war alles ganz still. Als sich die Chimäre wieder beruhigt hatte, brach sie zusammen. Lua stützte sie ein wenig ab und wartete bis sie sich in ihre menschliche Gestalt zurück verwandelt hatte. Vale hatte diesen Mann noch nie gesehen und hatte deswegen auch keine Ahnung wer er war. Die langen, weißblonden Haare verdeckten ohnehin sein Gesicht. „Was ist mit ihm?“, fragte Vale nun. „Keine Sorge, es geht ihm gut. Muss sich nur eine Weile ausruhen.“, meinte Lua gutgelaunt und stand auf. Vale ging zu ihr herüber und nahm ihr den Fremden ab. Er konnte ja nicht zulassen, dass sie ihn tragen musste. Dann packte er noch die beiden Sensen und zog sie aus dem Boden, da Lua darauf bestand, dass er sie auch mitnahm. „Gut, dann gehen wir zurück zum Lager. Ist immer noch schöner, als weiterhin im Ödland zu bleiben. Zumal ich nicht weiß, ob es so gut ist, wenn wir zu lange hier bleiben. Wir haben schließlich keine Ahnung, was genau hier vorgefallen ist.“, erklärte Vale und setzte sich bereits in Bewegung. Lua schlenderte fröhlich lächelnd neben ihm her und summte irgendein Lied, das er nicht kannte. Aber wenn er sie so zufrieden und glücklich sah, dann war auch er zufrieden. Sie steckte immerhin voller Überraschungen und er war ein Stück weit stolz, dass Seraphis ihn beauftragt hatte, auf Lua aufzupassen. … Ich wartete geduldig bis der Mann endlich erwachte, den ich eben noch gerettet hatte. Ich saß neben ihm auf einer schönen Wiese in unserem Lager und beobachtete die Sterne gedankenversunken. In meinem Kopf verarbeitete ich, was ich vorhin bei der Chimäre gesehen hatte. Der mir so seltsam bekannte, fremde Mann hatte offenbar ein bewegtes Leben gehabt, doch ich hatte nicht all seine Erinnerungen gesehen. Ich schätzte ihn auf etwa 25/26 Jahre und war demnach nur ein bis zwei Jahre älter als ich. Aber der Strom der Erinnerungen war abgebrochen, als er laut letzter Erinnerung 21 Jahre alt gewesen war, sodass ich keine Ahnung hatte, warum er letztlich hier im Ödland gestorben war. Vale war kurz verschwunden, um jagen zu gehen und der fremde Mann lag neben mir auf einer Decke. Es war knapp zwei Stunden her seit wir ihn gefunden hatten, als er wieder zu sich kam. Noch bevor er die Augen öffnete, bemerkte ich den Wandel in seiner Aura und wappnete mich. Irgendwie war ich nervös. Kannte ich ihn wirklich? Wie würde er auf die ganze Situation reagieren? Dann öffnete er langsam die bernsteinfarbenen Augen und blickte einen Moment ratlos und offensichtlich verwirrt in den Sternenhimmel. Einen Augenblick später saß er bereits aufrecht und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine rechte Hand an der noch immer ein bisschen getrockneten Blutes war. Erst dann bemerkte er mich und drehte den Kopf zu mir herum. Er erstarrte. „Lua? Was machst du denn hier? Was mache ich hier? Ich müsste doch tot sein.. Ich… Was?...“, stotterte er und versuchte offenbar seine Gedanken zu ordnen. Doch er hatte eindeutig meinen Namen gesagt. Er kannte mich. Ich wurde noch nervöser, was er ebenfalls bemerkte. So zügelte er sich etwas und fragte nun etwas ruhiger und geordneter. „Lua… wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Was machst du denn hier?“, beschloss er als erstes zu fragen. Etwas ratlos blickte ich ihn an und lächelte nervös. „Ähm… Ich schätze, ich habe dir das Leben gerettet.“ Da hob er fragend eine Augenbraue. „Du hast was? Moment… Fühle ich mich deswegen so… komisch?“, fragte er und dabei glühten die Augen kurz auf. Dieser Mann erschien mir sehr intelligent. Binnen weniger Sekunden reimte er sich die Dinge offenbar zusammen soweit er konnte. „Ich bin eine Chimäre geworden oder?“, stellte er mehr fest, als zu fragen. Ich nickte. „Ok… und wie bitte hast du das angestellt?“, wunderte er sich, „Hast du es genauso gemacht wie das Geistermädchen damals?“ Geistermädchen? Meinte er eventuell Seraphis? Sie hatte auch mal einen Menschen zur Chimäre gemacht? Ich hasste es, dass ich all das nicht mehr wusste. „Naja ich bin immerhin sowas wie eine gebürtige Chimäre, wenn du so willst. Da war ich mir ziemlich sicher, dass ich das hinbekomme.“, erklärte ich schließlich. Wenn ich auch vieles nicht mehr wusste, wie meine Kräfte funktionierten, wusste ich ganz genau. Doch der Mann blickte mich nur noch verwirrter an. „Irgendwie bist du so anders Lua.“, stellte er fest. „Ist fast, als wärst du eine ganz andere Person. Nicht unbedingt vom Charakter her, aber… deine Aura wirkt anders. Ok, die hab ich vorher eh nie wahrgenommen, aber solche Macht hattest du doch früher nicht.“ „Was meinst du damit?“, fragte ich nun meinerseits verwirrt, „Das konnte ich schon immer.“ „Aha das hat in den bisherigen Kämpfen aber nie danach ausgesehen. Immerhin hättest du Luca ja selbst retten können, wenn du es könntest.“ Luca? Wer war das schon wieder? Die andere Chimäre die Seraphis gerettet hatte vielleicht? Offenbar fiel meinem Gegenüber auf, dass ich keine Ahnung, worüber er sprach und das machte ihn stutzig. Kritisch schaute er mir in die Augen und suchte scheinbar nach Antworten. Ich hatte den Eindruck, dass er mir plötzlich misstraute. Aber wieso? „Sag mir eines.“, begann er letztlich, „Wieso bist du aus dem Labor verschwunden und hast all deine Spuren so verwischen können?“ Jetzt steckte ich in der Klemme, denn ich hatte keine Ahnung, was ich ihm antworten sollte. Ich wollte nicht, dass er mich für einen Feind hielt, aber er erschien mir wie jemand, der sehr empfindlich dem Thema Verrat gegenüber stand. Dachte er etwa, dass ich ihm irgendwie schaden wollte? Mein Zögern ließ ihn aber offensichtlich zornig werden. Seine Aura schwang langsam um und seine Augen begannen wieder zu glühen. „Was ist?“, fragte er mit mehr Nachdruck, „Ist heute wohl Tag der Verräter, was? Zwing mich nicht, dich auch noch hassen zu müssen.“ Seine Stimme war so voller Wut, Bitterkeit und Enttäuschung, dass ich unheimliches Mitleid bekam. Was war ihm nur zugestoßen? Da bewegte er sich und hatte mich bereits am Kragen meiner Robe gepackt. Doch ich wehrte mich nicht, sondern schaute ihm nur in die leuchtenden Augen. „Ich… weiß nicht…“, war alles, was ich herausbekam und da knirschte er verärgert mit den Zähnen. Ich bemerkte, dass sein Zorn aber auch dadurch gefördert wurde, dass die Chimäre unglaublich ausgehungert war. Doch das war ihm selbst noch gar nicht bewusst. Irgendwie musste ich ihn wieder beruhigen, nur wie? Ich zweifelte, dass er mir glauben würde, egal was ich als nächstes sagte. „Wenn Luca sein Leben für dich damals umsonst weggeworfen hat, dann solltest du es besser jetzt sagen.“, drohte er mir, „Oder ich werde später noch ungemütlicher!“ Schon wieder dieser Name. Musste ja eine Person sein, die ihm am Herzen lag. Vielleicht ein bester Freund oder sowas? Da wurde der Fremde nach hinten weggerissen und ein ganzes Stück weggeschleudert. Elegant wie eine Katze landete er jedoch sofort auf den Füßen und knurrte. Plötzlich funkte es um ihn herum wie wild. Vor mir stand nun ein ebenfalls schlecht gelaunter Vale, der unseren Besuch zornig beäugte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)