Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Kapitel 3: der letzte Tag ------------------------- „Ist die Zivilistin verletzt?“, fragte Sayo, als sie näher kam. Ihre Augen leuchteten in einem kräftigen rot, doch je näher sie kam, desto dunkler wurde es. Schließlich waren ihre Augen wieder pechschwarz. „Ja, wir sind noch rechtzeitig gekommen.“, antwortete ihr der Mann. Auch Sayo trug das seltsame Zeichen auf der Stirn, wie ich erkannte. Doch sie war mir irgendwie unsympathisch. Obwohl sie sehr schön war, schien ihr Gesicht kalt und starr zu sein. Sie klang sehr diszipliniert und außerdem kam es mir so vor, als würden ihr die beiden anderen Hunter nicht das Geringste bedeuten. Da wurde ich auf die Beine gezogen. „Gehen sie jetzt bitte nach Hause und versuchen sie diesen Vorfall zu vergessen. Keine Sorge, wir werden die Stadt sicher halten.“, verkündete Sayo nun. Wie ein auswendig gelernter Text klang das, was sie mir sagte... irgendwie abgestumpft. Gewiss war sie eine grandiose Kämpferin, doch irgendetwas schien in ihr verloren gegangen zu sein. Natürlich behielt ich diese Gedanken alle für mich. Ich bedankte mich für die Hilfe und machte mich dann auf dem Heimweg. Ohne Umwege rannte ich schon fast nach Hause, denn erst jetzt kam die Angst erst richtig zum Vorschein, die ich eigentlich schon eben hätte spüren müssen. Daheim angekommen, stürmte ich in mein Zimmer und verschloss sogleich die Tür. Dann wollten mich meine Beine nicht mehr tragen und zitternd brach ich zusammen. Dabei konnte ich nicht einmal sagen, was ich mehr fürchtete, die Yajuu oder das was aus mir werden würde. Ich zog meine Beine eng an meinen Körper und versuchte das Zittern zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Die Sonne ging gerade auf und langsam übermannte mich der Schlaf. Ohne es zu merken schlief ich auf meinem Fußboden ein. Als ich einige Stunden später erwachte, tat mir alles weh. Das konnte aber auch gut daran liegen, dass ich nur sehr schlecht geschlafen hatte und dazu noch auf dem Fußboden. Als ich mich erhob, knackten meine Gelenke. Ich fühlte mich wie eine alte Frau. Müde schleppte ich mich ins Bad. Ich hatte nicht mehr viel Zeit bis ich zur Arbeit musste und ich wollte dort halbwegs lebendig aussehen. Außerdem, heute war ein besonderer Tag. Luca feierte seinen 14. Geburtstag. Er hatte schon die Kleinen für mich versorgt und zu Schule und Kindergarten gebracht, als ich in die Küche kam. Sofort fiel mein Blick auf die Dose, die auf dem Tisch stand. Ihr Schraubverschluss war geöffnet und daneben lag ein Zettel mit dem einfachen Wort „Bitte“. Ich wusste, dass es Luca´s Schrift war. Er wollte, dass ich die Tabletten nahm und ich konnte es ihm ja auch nicht verübeln. Ich seufzte. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder eine nehmen, besonders nach dem was gestern geschehen war. Ich holte eine der Pillen heraus und schraubte dann den Verschluss wieder zu. Schnell schluckte ich sie hinunter und verstaute die Dose in dem Hängeschrank. Gerade als ich die Tür des Schrankes schloss, kam die Übelkeit. Zum Glück war das Waschbecken in der Nähe und das war auch gut so. Geschockt erkannte ich, dass mein Körper sich nicht nur gegen die Tablette wehrte, sondern dass auch alles voller Blut war. Schnell und halb panisch entfernte ich jegliche Spuren. Zitternd und leicht zusammengesunken, starrte ich dann vor mich hin. Erst als eine Träne auf meiner Handfläche landete, kam ich wieder zu mir. Wie viel Zeit blieb mir noch? Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, holte ich mir eine Schmerztablette aus dem Schrank, die ich zum Glück in mir behielt. Dann zog ich mich fertig an und machte mich auf dem Weg zum Supermarkt. Dort räumte ich gelegentlich die Waren ein. Die älteste der Kassiererinnen war so etwas wie eine Mutter Theresa dort und hatte stets ein Auge auf die anderen im Laden. Da sie wusste, dass ich knapp bei Kasse war, legte sie mir daher ab und zu ein paar Sachen zurück und schenkte sie mir nachdem meine Schicht zu Ende war. Auch heute hatte sie wieder etwas vorbereitet, da sie ebenfalls von Luca´s Geburtstag wusste. Dankend nahm ich es an. Auch stellte sie natürlich fest, dass ich nicht gut aussah und riet mir einmal ein paar Tage Urlaub zu nehmen, doch ich sagte, dass alles gut sei und damit beließ sie es dabei. Das letzte was ich mir jetzt leisten konnte, war Urlaub. Meine Schicht verging schnell und ohne besondere Vorkommnisse. Manchmal verschwamm mir zwar die Sicht ein wenig, aber ansonsten schien die Schmerztablette ihren Dienst zu tun. Daher keimte in mir die Hoffnung auf, dass der heutige Tag ja doch noch schön werden könnte. Als ich nachmittags nach Hause kam, begann ich sofort mit den Geburtstagsvorbereitungen. Mit dem, was mir geschenkt worden war, konnte ich etwas Schönes kochen und sogar ein wenig den Raum dekorieren. Ich machte es nicht zu kitschig, aber doch auffällig genug, damit sich die Kleinen daran erfreuen konnten. Gerade als ich fertig wurde, hörte ich wie sie alle nach Hause kamen. „Lua!“, riefen die Kleinen regelrecht synchron und rannten auf mich zu. Sie rissen mich fast um. „Na ihr.“, gab ich gut gelaunt zurück. „Hattet ihr einen schönen Tag?“ „Auja!“, lachten die Zwillinge. „Schau mal Lua, ich hab heute ein Bild im Kindergarten gemalt.“, rief Tiara und zückte sogleich eine Zeichnung hervor. Ich nahm sie ihr ab und betrachtete sie kurz. Tiara hatte unsere kleine Familie gemalt. Alles war schön bunt und fröhlich, sodass ich darüber lächeln musste. „Das ist ja ein wahres Meisterwerk von dir Tiara, dass müssen wir gleich an den Kühlschrank hängen, damit man es ganz oft sieht.“, sagte ich zu ihr und glücklich stimmte sie dem zu. Nun kam auch Luca in den Raum geschlendert. Ich löste mich von den Kleinen und umarmte auch ihn zur Begrüßung. „Hey, alles Gute zum Geburtstag.“, wünschte ich ihm aus ganzem Herzen. Etwas peinlich berührt, bedankte er sich dafür. „Hier ist ein kleines Geschenk für dich.“, sagte ich und reichte ihm eine kleine Schachtel, die ich auf den Tisch gelegt hatte. Verwundert nahm er sie an und öffnete die Schachtel. Er klang nicht undankbar, aber verwirrt, als er sah, was ich ihm geschenkt hatte. „Ein… Ohrring?“, fragte er. „Ja, keine Sorge ich will gar nicht, dass du ihn trägst. Er soll eher ein Talisman sein. Meine Mutter hat ihn mir einst gegeben und hat immer gesagt, dass er eine ungeheure Macht besitzen soll. Ich will das du ihn bekommst, damit er dir in Zukunft mehr Glück bringen wird.“, erklärte ich ihm. Der Ohrring war stark ineinander verschlungen wie ein keltisches Muster und war relativ groß. Dennoch sah er meiner Meinung nach sehr schön aus. Andächtig legte Luca ihn in die Schachtel zurück. „Ich danke dir Lua.“, sagte er und ich wusste, dass dies ernst gemeint war. Danach verlief der Abend entspannt weiter. Wir aßen gemeinsam und saßen einfach gemütlich beieinander und redeten über dies und das. Nachdem ich Tiara und die Zwillinge zu Bett gebracht hatte, saßen Luca und ich noch eine Weile allein in der Stube und unterhielten uns. Er schien schon den ganzen Tag bekümmert und nun da die Kleinen nicht mehr da waren, konnten wir uns ungestört unterhalten. „Was liegt dir auf dem Herzen, Luca?“, fragte ich. Er blickte mich tiefgründig an. Seine Augen hatten ein sehr intensives blau und manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie alles durchschauten. „Dein Zustand verschlechtert sich, oder?“, flüsterte er fast. Einen Moment schwieg ich. „Wie kommst du darauf?“ „Glaub mir, ich merke es.“, sagte er. Ich seufzte und setzte mich in eine andere Position. „Keine Sorge. Ich komme damit klar. Wirklich.“ Ich log, aber ich hoffte einfach, dass er mir glaubte… zumindest ein bisschen. Unschlüssig blickte er mich an. „Der Ohrring… du hast ihn mir nicht ohne Grund gegeben, stimmt´s? Er soll mir Glück bringen für eine Zeit in der du nicht mehr da bist, hab ich recht?“ Ich antwortete nicht. Ich konnte es einfach nicht, doch er wusste die Antwort ja bereits. Luca stand auf und kam zu mir herüber. Beinahe wäre ich zusammengezuckt, als er mich umarmte. War es Trauer? War es Trost? Verzweifelt bemerkte ich, dass sich in mir etwa regte. Ich hörte sein Herz so nah bei mir, seine dunklen Haare streiften mein Gesicht und es löste wieder dieses merkwürdige Gefühl in mir aus. Wie ließ es sich am besten beschreiben? Wahrscheinlich Mordlust und die Gier nach Blut. Ich kämpfte dagegen an, wollte auf keinen Fall das jemandem in diesem Haus wegen mir etwas geschah. Dennoch zwang ich mich die Umarmung zu erwidern und nicht zu verkrampfen, denn das hätte ihn nur noch mehr besorgt. Die Sekunden vergingen und kamen mir wie Stunden vor. Luca löste sich schließlich wieder von mir und ging zur Tür. Er schien nichts von meinem inneren Kampf bemerkt zu haben… glücklicherweise. „Gute Nacht.“, wünschte er mir und ging dann in sein Zimmer. Als ich mir sicher war, dass ich allein war, brach ich keuchend zusammen. Schweiß rann über mein Gesicht und mein Herz raste. Außerdem war ich ziemlich sicher, dass meine Augen wieder glühten. Dies war der Moment an dem ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Still und heimlich holte ich meinen Mantel aus meinem Zimmer und ging zur Eingangstür. Leise verschloss ich diese und trat in die dunkle und kalte Nacht hinaus. Wie auch gestern, regnete es leicht. Langsam durchstreifte ich die Straßen. Ich hatte es nicht eilig, denn eigentlich wollte ich gar nicht tun, was ich vorhatte. Ein paar Regentropfen verfingen sich in meinen Haaren, als ich meinen Weg fortsetzte. Von weitem konnte ich bereits den dunklen Schatten der Brücke sehen. Mir fiel auf, dass ich gar nicht wusste, ob sie überhaupt einen Namen hatte. Vielleicht hatte es ja einfach niemand für nötig befunden ihr einen zu geben. Mir wäre auch kein passender eingefallen. Als ich die ersten Schritte auf die Betonplatten des Fußweges setzte, beruhigte sich plötzlich mein Herz. Mein Verstand klärte sich und die Angst wich mir langsam aus dem Körper. Je weiter ich kam, desto mehr verstärkte sich dieses Gefühl der Ruhe in mir. Hier war der Wind unangenehmer als zwischen den Häusern, denn er konnte hier ungebremst durchwehen und so wurde ich nach einiger Zeit ganz schön durchnässt. Ich machte mir jedoch nichts daraus. Schließlich hatte ich die Mitte der Brücke und somit auch den höchsten Punkt erreicht. Mit ein wenig Anstrengung gelang es mir über die Brüstung zu klettern. Dahinter lag noch einige Zentimeter Stahlstreben, auf welche ich mich nun setzte. Mein Mantel hing hinunter in die Leere und flatterte umher. Ich war hier aber etwas windgeschützter als eben noch und beschloss daher ein paar Minuten so zu verharren. An das Geländer gelehnt, starrte ich hinaus in die Dunkelheit. Im Augenwinkel, wenn auch weit entfernt, sah ich den spitzen Boden. Unberührt und ruhig lag er da. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. Der Mond war im Moment nur eine schmale Sichel. Bald würde Neumond sein, doch durch die starken Wolken, konnte man ihn ohnehin kaum sehen. Dann schweiften meine Gedanken nach Hause. Tiara und die Zwillinge würden gerade bestimmt irgendetwas Tolles träumen, während Luca sehr wahrscheinlich noch wach war. Ich hatte schon oft versucht herauszufinden, was genau er eigentlich immer um diese Zeit tat, doch ich hatte es nie ergründen könnten. Einmal hatte ich einen kurzen Blick auf ein schwarzes Buch werfen können, aber er hatte es schnell vom Tisch gezogen und seitdem war es nicht mehr auffindbar, nicht das ich ihm hinterher spionierte. Allgemein war er mir nach all den Jahren immer noch ein Rätsel. Ich wusste nicht viel von seiner Vergangenheit, denn er hatte nie darüber reden wollen. Die wenigen Male in denen er etwas erzählte, ließ er jedoch anklingen, dass er mehr von seiner Familie geflohen, als herausgeschmissen wurden war. Auch hatte ich den Verdacht, dass er unter recht wohlhabenden Verhältnissen gelebt haben musste. Was mich umso mehr wunderte, wenn man bedachte, dass wir ja fast am Existenzminimum lebten. Schuldgefühle machten sich wieder in mir breit. Ich hatte Angst was mit ihnen geschehen würde, wenn ich ging. Doch bleiben konnte ich ja genauso wenig. Einer weiterer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es nun Mitternacht war. Langsam rappelte ich mich hoch und trat an den Rand der Streben. In Gedanken flehte ich Tiara, Yara, Seth und ganz besonders Luca um Vergebung an, auch wenn ich wusste, dass es nicht verzeihbar war, was ich hier tat. Ich wünschte so sehr, dass sich ihr Leben bessern würde. Ich weinte ohne es zu merken, vor Trauer, vor Schuldbewusstsein, aber nicht vor Angst. Dann sprang ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)