Yajuu 2 von Avyr (-beyond redemption-) ================================================================================ Prolog: 120 Jahre ----------------- Die Rassen der Yajuu und Exile waren ohne Zweifel Monster, doch es gab Monster, die noch viel grausamer waren… die Menschen. Nicht nur, dass sie es erst waren, die die Virenstämme entwickelt hatten, nein, hinter vorgehaltener Hand wurde stets weiter daran experimentiert. Als sie selbst noch ein Hunter gewesen war, ein Mensch, der dachte er würde für das Gute kämpfen, hätte sie so etwas nicht für möglich gehalten. Heute jedoch, da sie selbst schon über 120 Jahre ein Exile war, hatte sich auch ihre Weltanschauung einem grundlegendem Wandel unterzogen. Viele Jahre verbrachte sie mit Reisen, ziellos und planlos. Wenn es die Situation ergab, jagte sie den einen oder anderen Yajuu oder Exile, welcher zu haltlos handelte, aber ansonsten war ihr Leben ereignislos. Die Welt veränderte sich schnell und sie schien nicht hinterher zu kommen. Doch eines Tages riss jene etwas aus dieser Lethargie heraus. Stimmen. Sie waren wirr, sie klangen verzweifelt und kaum bei Verstand, aber sie wurden von Tag zu Tag lauter. Schließlich erkannte sie, um wessen Stimme es sich handelte… eine alte Bekannte, sozusagen. Und so begann eine weitere Reise in ihrem Leben. Hinein in eine Welt, die in den letzten Jahrzehnten an ihr vorbei gezogen war. Sie ahnte ja nicht, was sich alles veränderte hatte, seit dem Tag der Schatten vor über 120Jahren. Kapitel 1: Alltag ----------------- Erschöpft kam ich nach Hause. Ich war noch nicht richtig in dem kleinen Flur angekommen, da stürmten sie schon auf mich zu. „Lua ist wieder da!“, riefen sie wild durcheinander und voller Freude. Auch wenn ich müde war, so zauberten sie mir doch ein Lächeln auf das Gesicht. Die Zwillinge erreichten mich als erstes und hängten sich an meinen Rockzipfel. Hinterher gestolpert, kam Tiara, die wie üblich den großen Stoffteddy hinter sich herzog, der größer als sie selbst war. Nur Luca stand noch am Türrahmen. Er war zum Glück schon aus dem Alter raus, um mir um den Hals zu fallen. Vorsichtig bahnte ich meinen Weg in die Küche. Die Zwillinge waren beide 9 Jahre alt, Tiara war gerade 5 geworden und Luca war noch 13 Jahre alt. „Ähm Seth, Yara, könnt ihr bitte loslassen? Ich kann ja kaum laufen.“, widerwillig ließen die beiden Jungen von mir ab, blieben aber dicht bei mir. An Luca gewandt, sagte ich: „Tut mir Leid, dass du sie heute wieder hast abholen müssen, aber meine Schicht hat länger gedauert.“ Er beäugte mich kritisch, während ich nach einer Dose im oberen Schrank suchte. Luca war immer recht schweigsam und es war schwer zu ihm durch zu dringen, aber dennoch hatte ich ihn genauso gern, wie die anderen drei. Ich selbst war gerade 19 geworden. Als ich 16 Jahre alt war, war ich dem damals 10 jährigen Luca begegnet. Ich wohnte damals schon allein, er auf der Straße und so nahm ich ihn bei mir auf. Im Laufe der Zeit waren dann auch die Zwillinge und Tiara mit dazu gekommen. Die Gründe waren leider immer dieselben, alle hatte ihre Familie durch Yajuu oder Exile verloren und da sich niemand um verwaiste Kinder kümmern wollte, hatte ich dies zu meiner Aufgabe gemacht. Die Unterstützung vom Staat war gering und daher arbeitete ich hart, um über die Runden kommen zu können. An und für sich hätte ich das auch locker geschafft, wenn da nicht ein riesiges Problem gewesen wäre. Endlich hatte ich die Dose gefunden. Als die Kleinen sie erblickten, verfinsterten sich ihre Gesichter sogleich. „Ich weiß, ihr mögt sie nicht… aber es muss sein.“, versuchte ich sie zu beschwichtigen. Denn das, was sich in der Dose befand, war die Lebensversicherung meiner Schützlinge. Vor über 70 Jahren war es nämlich gelungen erstmals einen Impfstoff gegen den Y-Virus zu entwickeln, der Virus der die Mensch zu Yajuu oder Exile werden ließ. Wieso genau er unterschiedlich reagieren konnte, war noch immer nicht bekannt. Jedenfalls war der Impfstoff nicht perfekt. Er senkte die Infektionsrate um knapp 60%. Nach diesem Teilerfolg war intensiv weiter geforscht worden und so wurden diese Pillen entwickelt. Diese Pillen waren in der Lage die Ausbreitung des Virus innerhalb des Körpers zu stoppen. Infizierte konnte so weiterhin Menschen bleiben, wenn sie die Tabletten regelmäßig einnahmen. Die Anzahl der täglichen Dosis wurde durch den Grad der Infektion bestimmt. So mussten manche nur eine und andere 5 Tabletten am Tag zu sich nehmen. Selbst bereits mutierte Menschen konnten mit Hilfe der Pillen die neuen Instinkte unterdrücken und weiter als Menschen leben. Klang doch alles ganz gut, oder? Doch es gab einen großen Haken an der Sache… der Preis. Der Staat garantierte, dass bei Armut die Kosten für die Behandlung einer infizierten Person übernommen wurde, doch in meinem Fall gab es mehrere Betroffene und dies ließ das monatliche Budget stark schrumpfen. Vor den Kindern ließ ich mir meine Sorgen natürlich nicht anmerken, aber es nagte doch sehr an mir. Ich hatte drei Jobs und arbeitete oft 10 Stunden bei dem einen Beruf, nur um dann zum anderen für weitere 10 Stunden zu hechten. Schätzungsweise sah man mir auch an, dass ich fertig war. Nachdem die Zwillinge und Tiara tapfer ihre Tabletten genommen hatten und sich in ihre Zimmer zum Spielen zurückzogen, hatte ich endlich Zeit für mich. Behutsam räumte ich die Dose wieder weg und begann mit den Vorbereitungen für das einfache Abendessen. Erst jetzt bemerkte ich, dass Luca noch immer im Türrahmen stand. „Wann wirst du deine Tabletten nehmen?“, fragte er in seinem typischen, ruhigen Ton. Luca war sehr intelligent und daher war es auch nicht verwunderlich, dass er mich durchschaute wie ein Buch. Ich versuchte mich dennoch heraus zu reden: „Ich werde sie nehmen, wenn die Kleinen schlafen, keine Sorge.“ Mein Lächeln war falsch und das sah er sofort. „Wie lange nimmst du sie schon nicht mehr? Hör zu… ich kann auch noch einen zweiten Job annehmen, wenn das Geld nicht reicht. Nur du darfst nicht zu einer von denen werden.“ Langsam ließ ich das Messer in meiner Hand sinken. Tränen standen in meinen Augen. Es war schon schlimm genug, dass er mit 13 Jahren schon arbeiten musste, damit er mich unterstützen konnte, doch ich würde nicht zulassen, dass er noch einen Job annehmen würde, zumal er ja auch noch Schule hatte. „Nein, ich schaff das schon. Ich habe morgen mehrere Termine zu erledigen. Zum Beispiel frage ich im Amt um mehr Unterstützung an und meine Chefs will ich auch fragen, ob sie nicht meinen Lohn aufstocken könnten. Das wird schon werden, keine Sorge.“ Sein Blick sah nicht erleichterter aus, im Gegenteil, aber er gab nach. Wortlos drehte er sich um und verschwand auf sein Zimmer. Während ich ihm hinterher blickte, kam der Hustenanfall hervor, der sich schon die ganze Zeit angekündigt hatte. Ich dämpfte es mit meinem Ärmel ab, doch als ich diesen wieder wegnahm, sah ich die Blutflecken, die sich darauf befanden. Ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir die Tränen. Ich konnte jetzt nicht aufgeben. Am nächsten Tag ging ich, wie ich es Luca gesagt hatte auf verschiedene Ämter und zu meinen Chefs, ein großer Fehler. Jeder Antrag wurde mir sofort abgelehnt. Die Ämter meinten, dass sie uns schon genug unterstützen würden. Die Mitarbeiter kannten kein Mitleid. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagten sie mir einer nach dem anderen eiskalt ihre Antwort ins Gesicht. Bei meinen Chefs lief es nicht besser. Der Erste lehnte Formal ab, der Zweite hätte mir zwar helfen wollen, jedoch fehlte ihm selbst das Geld dazu… Der Dritte, ein furchtbarer Egomane und Choleriker. Er schmiss mich aus seinem Büro und drohte mir sogar mit einer Kündigung, sollte ich so etwas noch einmal fordern. So machte ich mich also enttäuscht und mit leeren Händen auf den Heimweg. Mir war ein wenig schwindelig und ich fühlte mich krank, wie schon seit längerem, aber ich ignorierte die Symptome. Ich redete mir ein, das alles wäre nur eine einfache Erkältung, auch wenn ich es besser wusste. Auf meinem Heimweg kam ich stets über eine ziemlich lange Brücke. In ihrer Mitte fuhren viele Autos, doch an den Seiten waren extra Wege für Fußgänger und Fahrradfahrer eingerichtet worden. Oft ging ich hier entlang, wenn ich mal wieder betrübt war und eine Auszeit brauchte. Von hier oben ging es steil herab. Unter der Brücke befand sich nur Schutt und Geröll. Vereinzelt wuchsen ein paar Gräser, aber das machte das ganze auch nicht ansehnlicher. Keine Ahnung, was ich an diesem Ort so beruhigend fand. Während ich so meines Weges ging, sah ich im Augenwinkel einen Schatten. Er bewegte sich unnatürlich schnell. Ich tat so, als hätte ich nichts bemerkt und ging unbeirrt weiter. Doch der Schatten wich nicht. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass er immer näher rücken würde. Mein Schritt wurde schneller bevor ich es realisierte. Bald schon hastete ich regelrecht über die Brücke. Schockiert stellte ich fest, dass auch der Schatten schneller wurde. Er zog seine Kreise immer enger und enger. Ich saß in der Falle und weit und breit war kein anderer Mensch in Sicht. Schon bald ging mir die Puste aus. Verschlimmert wurde das durch meinen sowieso desolaten Gesundheitszustand. An die Brüstung gelehnt, schnappte ich angestrengt nach Luft. Schweiß rann mir das Gesicht herab. Da Ende Herbst war und schon recht kalte Temperaturen vorherrschten, hatte ich mich dick angezogen, was sich nun rächte. Als ich aufblickte, zuckte ich noch mehr zusammen. Eine Person näherte sich mir. Mir war zwar schleierhaft woher sie nun kam, doch ich hatte das Bedürfnis sie zu warnen. Vielleicht war der Schatten nur auf mich fokussiert und diese Person hatte noch eine Chance auf Flucht. Mir fehlte jedoch die Stimme um ihr das mitzuteilen. Ich wusste nicht einmal, ob sie den Schatten bereits gesehen hatte oder ob sie nur dachte, ich wäre allein und hätte Atemschwierigkeiten. Einige Meter vor mir, blieb die Person plötzlich stehen. Ein langer Mantel flatterte im Wind. Da er jedoch offen war, erkannte ich die Silhouette einer Frau. Ihr Gesicht sah ich nicht, da ein großer dunkelroter Hut, der schien, als wäre er schon älter, dieses verdeckte. Mir fröstelte bei ihrem Anblick, war sie doch nur dünn angezogen. Jedoch schien ihr das nicht das Geringste auszumachen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie mich mit einer melodisch klingenden Stimme. Zwischen zwei Atemzügen, brachte ich ein: „Ja, aber hier ist etwas…“, heraus. Sie lächelte daraufhin amüsiert, soviel sah man noch. „Ich weiß.“, war ihre mir rätselhafte Antwort. Gerade wollte ich fragen, wieso sie dann hierher gekommen war, da erschien der Schatten einige Meter vor ihr. Ich befand mich zwischen den beiden. Meine Augen weiteten sich und ich vergaß zu atmen. Zwar hatte ich schon viel von den Yajuu gehört, gesehen hatte ich aber noch keinen in echt. Die Gestalt dieses Yajuu war grotesk. Er erinnerte mich an eine Mischung aus Bär und vielleicht ein Dachs oder so was in der Art. Aber er hatte viele Klingen und Klauen und sehr spitze, lange Zähne. Wieso nur, reagierte diese Frau in keiner Weise? Sie zuckte nicht mal. „Mädchen, Lauf.“, sprach die Unbekannte auf einmal. Kurz starrte ich sie an, doch sie meinte es todernst. Trotz meines schlechten Gewissens rannte ich los. Ich durfte hier nicht sterben. So konnte ich meine kleine Familie ja nicht einfach zurücklassen. Als sich meine Beine in Bewegung setzten, spürte ich einen Luftzug an mir vorbeiziehen. Die Frau hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt und rannte nun auf den Yajuu zu, der sich seinerseits ebenfalls auf den Angriff vorbereitete. Auch als meine Lungen schon brannten, rannte ich weiter. So kam ich einige Zeit später völlig fertig zu Hause an. Zum Glück war noch niemand weiter da. Luca würde die Kleinen heute noch mal abholen, ich konnte mich also ausruhen. Nach einer viertel Stunde konnte ich schließlich wieder normal atmen. Ich machte es mir auf der Couch gemütlich, deckte mich zu und schaltete den Fernseher an, welcher nur selten lief. Unschlüssig schaltete ich durch die Programme, bis ich bei den Nachrichten hängen blieb. Der junge Sprecher stand gerade auf einer Brücke. Hinter ihm sah man Blut, welches überall umher gespritzt war. Es war dieselbe Brücke auf der ich bis vor einer Stunde noch selbst gewesen war. Ich erhöhte die Lautstärke und starrte wie gebannt auf das Bild. Die Frau musste wohl gestorben sein. Sofort schaltete sich mein Gewissen wieder ein, als der Nachrichtensprecher sagte: „Ersten Untersuchungen zu Folge, handelt es sich bei den Leichenteilen um Teile eines Yajuu. Die Spurensuche ist noch zu Gange, erste genaue Ergebnisse werden voraussichtlich in ein paar Tagen erwartet…“, dann hörte ich nicht mehr zu, denn ich war fassungslos. Yajuu? Diese sonderbare Frau hatte einen Yajuu getötet? Aber sie hatte doch gar keine Waffen dabei gehabt, als ich ihr begegnet war… zumindest nicht, was einen Körper so zerreißen könnte. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken. Dann fiel mein Blick auf die Uhr. Es war höchste Zeit mit dem Abendessen anzufangen. Ich raffte meinen müden Körper also auf und schleppte mich in die Küche. Am Abend hörte ich mir dann aufmerksam die Geschichten der Kleinen an. Sie erzählten aufgeregt, was sie heute alles in der Schule gemacht hatten und ich hörte gerne zu. Es heiterte mich auf ein wenig Normalität im Leben zu haben. Der schweigsame Luca hielt nicht mehr viel von solchen Konversationen. Er regelte seine Sorgen alleine, auch wenn ich ihm immer wieder erklärte, dass es nicht gut war alles in sich hinein zu fressen. Aber natürlich konnte ich ihn nicht zwingen mir etwas zu erzählen und das wollte ich auch gar nicht. Als schließlich alle in ihren Betten waren, war es Zeit für mich zur Arbeit zu gehen. Einer meiner Jobs war Kellnerin in einer recht billigen Kneipe. Die Atmosphäre dort war hart, aber dennoch war es mein Lieblingsjob von allen, die ich so machte. Die Nacht war recht kühl und es nieselte ein wenig. Ich zog meinen Mantel enger um mich und ging eilig durch die Straßen. Nicht das ich Angst hatte, aber ganz sicher war mir nicht zu mute, schließlich gab es genug Yajuu und Exile, die hier ihr Unwesen trieben. Meine Schritte hallten an den Wänden der dunklen Häuser wider. Endlich erreichte ich die kleine Gasse in der die Bar lag. Durch den Hintereingang trat ich ein und zog meinen Mantel aus. Mein Chef war ein schweigsamer, aber doch herzlicher Mensch, wenn man ihn näher kannte. Mit einem typischen Nicken begrüßte er mich und ich lächelte fröhlich zurück. Wenig später hatte ich meinen Platz hinter der Theke eingenommen und bediente die ersten Gäste. Alles waren Leute, die ich bereits gut kannte. Ab und zu führten sie einen kleinen Plausch mit mir oder wollten mit mir einen anstoßen. Auch wenn ich müde war und mich nicht gut fühlte, war dies doch ein Ort der Entspannung für mich geworden. Irgendwann hörte ich die Türklingel und sofort hob ich den Blick zur Tür. Hinein kam eine Gestalt, die mit Hut und Umhang verhüllt war. Ich kniff die Augen zusammen, als ich sie erkannte. Das war doch die seltsame Frau von der Brücke? Anscheinend hatte sie nicht mal einen Kratzer abbekommen. Kapitel 2: Unglücksrabe ----------------------- Da ich nicht wusste ob diese Frau mich auch wieder erkannte, tat ich so, als würde ich sie nicht erkennen. Sie setzte sich auf einen der Barhocker und stützte den Kopf in ihre linke Hand. Im Dämmerlicht der Kneipe konnte ich sie nun etwas genauer begutachten. Auch die Männer schienen sie zu beäugen, was wohl daran lag, dass sie wirklich eine Schönheit war. Ihr Gesicht schien desinteressiert zu schauen, aber in Wahrheit war sie sehr aufmerksam. Sie trug schwarze Klamotten, welche hauteng anlagen. Mich wunderte, dass sie dazu eine Krawatte trug, aber jeder hat ja bekanntlich seinen eigenen Stil. Ihre Haare waren von einem tiefen schwarz, was jedoch leicht bläulich schimmerte. Sie waren kurz geschnitten, vorne jedoch länger gehalten als hinten und wellten sich. So nahmen die längeren Haare eine schöne Welle an, während die hinteren strubbelig umher wirbelten. Außer den beiden langen Strähnen waren die Haare nach hinten gekämmt. Doch das eigentlich faszinierende an ihr, waren die Augen. Neben den unheimlich langen Wimpern fiel deren Farbe besonders stark auf. In erster Linie waren sie giftgrün, aber nach außen hin hatten sie eher ein dunkles blaugrün als Farbe. Außerdem schien aus ihrem inneren ein hellgrüner Schimmer zu kommen. Er wirkte sehr kalt und machte den Eindruck, als wäre er dort nicht immer gewesen. Ansonsten trug sie mehrere Piercings z.B. an den Augenbrauen und mir fiel auf, dass ihre Ohren relativ spitz zuliefen, was ich aber schon öfter gesehen hatte. Plötzlich fiel mir auf, dass sie zu mir schaute. Da erkannte ich, dass ich sie zwar die ganze Zeit beobachtet, aber sie nicht bedient hatte. Das war mir ziemlich peinlich. „Oh entschuldigen sie vielmals.“, sagte ich eilig und verbeugte mich. Dabei hätte ich beinahe meinen Kopf auf die Tischplatte gehauen. Als ich wieder aufschaute, lächelte sie mir freundlich zu. „Kein Problem. Ich habe es nicht eilig.“, entgegnete sie. Vor Scham noch immer leicht gerötet, fragte ich sie: „Ähm… was kann ich ihnen bringen?“ Kurz blickte sie sich um, dann antwortete sie: „Gib mir einfach den Whisky dort drüben, dass sollte genügen.“ Ich drehte mich zu der Flasche um. Es war sehr guter Whisky und dementsprechend auch sehr teuer. Ich wollte sie gerade vorwarnen, da sagte sie: „Keine Sorge, ich kann auch dafür bezahlen.“ In Gedanken schollt ich mich dafür, dass ich so abgelenkt war. Ich griff nach der Flasche und holte ein dazu passendes Glas und stellte sie zu der Frau. Diese bedankte sich höflich und schenkte sich gleich ein Glas ein. „Nicht schlecht.“, stellte sie fest, als sie probiert hatte. Da sie keine weiteren Anliegen hatte, befasste ich mich wieder mit den anderen Gästen, die sich wieder ihren Dingen zugewandt hatten. Ab und zu spähte zwar einer zu der Frau herüber, aber viel mehr Aufsehen erregte dies auch nicht. Es waren einige Stunden vergangen. Meine Schicht würde zwar noch eine Weile dauern, aber sie neigte sich langsam dem Ende. Es war leerer geworden und einige der Gäste waren auf ihren Tischen eingeschlafen. Das war nichts Neues. Ich mochte diese Zeit, denn da war die Atmosphäre am Entspanntesten. Die Frau saß auch immer noch da. Erstaunt stellte ich fest, dass die Whiskyflasche fast leer war. Doch sie machte nicht den Eindruck, als wäre sie betrunken oder ähnliches. Verdattert blickte ich in ihre Richtung. Ein leises Lächeln trat auf ihre Lippen. „Sag, behandelst du alle neuen Kunden so?“ Unsere Blicke trafen sich und ich wurde wieder rot. Da war etwas an dieser Frau, etwas animalisches, was mich faszinierte und gleichzeitig einschüchterte, weshalb ich mir vorkam wie ein Kaninchen vor dem Fuchs. „Entschuldigen sie vielmals! Es ist nur so… es kommen meist dieselben Gäste hierher und eigentlich nie Frauen… daher bin ich etwas erstaunt.“ Das war nicht mal gelogen. „Verstehe. Nun es war eine spontane Entscheidung hierher zu kommen. Ich wusste nicht, dass dies eher eine Stammkneipe ist.“ Nun fühlte ich mich, als hätte ich sie beleidigt. Ich war doch so blöd… „Dürfte ich deinen Namen erfahren?“; fragte sie plötzlich und riss mich damit aus meiner Schimpftirade gegen mich selbst. „Äh… Lua.“, stotterte ich. „Ein schöner Name entgegnete sie, was mich noch nervöser werden ließ. „D… Danke. Ah, dürfte ich auch ihren Namen erfahren?“, gab ich kleinlaut zurück. „Ich heiße Kyria. Nett dich kennen zu lernen.“, antwortete sie ruhig. Wie nur musste ich gerade auf sie wirken? Ich wünschte, ich wäre auch ein wenig erwachsener in diesem Moment. Endlich hatte ich mich wieder gefangen und war in der Lage ein Gespräch zu führen. „Bist du neu in der Stadt, Kyria?“, fragte ich sie. „Ja, ich bin heute erst angekommen. Daher kenne ich mich noch nicht aus.“ „Nicht viele Leute kommen hierher zu Besuch.“, stellte ich fest, „Verrätst du mir, was dich hierher führt?“ Einen Moment schien sie zu überlegen. „Ich bin geschäftlich hier, kann man sagen.“ Ich nahm dies als Zeichen nicht weiter nach zu fragen und wechselte schnell das Thema. „Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Ich meine, noch nie hat jemand solch einen hochprozentigen Whisky in einem Ritt geschafft… wie können sie hier noch so nüchtern sitzen, geschweige denn sich mit mir unterhalten?“ Kyria lachte kurz auf. „Nun, es scheint als hätte Alkohol kaum eine Wirkung auf mich. Daran kann ich auch nichts ändern, selbst wenn ich es ab und zu versuche.“ Damit leerte sie das letzte Glas und kicherte in sich hinein. Eine Weile führten wir unser Gespräch noch fort. Es waren triviale Themen, aber sie ließen die Zeit herum gehen und ich war ihr dankbar für ihre Gesellschaft. Irgendwann jedoch war es auch für sie Zeit zu gehen. Kyria kramte das passende Geld, inklusive Trinkgeld hervor und legte es vor mich auf den Tresen. Dann schnappte sie sich ihren Mantel und den Hut. Meine Augen weiteten sich, als ich die hohe Summe an Trinkgeld vor mir sah und wollte ihr gerade sagen, dass ich das nicht annehmen konnte, doch sie unterbrach mich. „Keine Sorgen, es stimmt so. Ich werde mich nun verabschieden. Es war ein netter Abend, dafür bedanke ich mich.“, sagte sie zu mir. Ich fand es schade, dass sie nun ging, aber es war auch schon spät. Also verabschiedete ich mich ebenfalls. Ein kalter Wind blies in die Bar, als sie die Tür öffnete und in die vergehende Nacht verschwand. … Endlich war meine Schicht vorüber. Ich ärgerte mich ein wenig, dass ich Kyria nicht gefragt hatte, ob sie die Person gewesen war, die mir auf der Brücke das Leben gerettet hatte. Allerdings fragte ich mich, ob sie es nicht angesprochen hätte, wenn sie mich erkannt hätte. Noch immer ging mir die Frage durch den Kopf, wie sie überhaupt gekämpft hatte, denn auch in der Bar hatte sie keinerlei Waffen bei sich gehabt. Es war bewölkt. Daher schien es nicht heller zu werden, auch wenn es doch kurz vor Sonnenaufgang sein musste. Das Wetter war noch mieser geworden. Es stürmte und die Luft kühlte immer mehr ab. Auch der Nieselregen wurde stärker. Müde und mit schmerzenden Gliedern schleppte ich mich nach Hause. Ich sah nur noch verschwommen, doch zum Glück kannte ich den Weg auswendig. Ich hustete vor mich hin. Auch in der Bar hatte ich des Öfteren husten müssen, während des Gesprächs mit Kyria. Einmal hatte sie mich gefragt, ob alles in Ordnung sei, doch ich hatte gleich gesagt, dass es nur eine leichte Erkältung wäre. Natürlich war das gelogen. Sie schien mir jedoch geglaubt zu haben. Als ich keine Luft mehr bekam, ruhte ich mich kurz auf einem großen Stein aus, der am Wegesrand lag. Obwohl ich fror, benötigte ich diese Pause. Ich atmete die kalte Luft ein und blickte verträumt zu den Wolken. Träume hatte ich viele, doch erfüllen, würden sie sich nicht. In solchen Momenten begann ich oft über das Leben zu philosophieren. Auch fragte ich mich, wie viel Zeit mir wohl noch blieb. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass es sich nur noch um einige wenige Wochen handeln konnte, wenn denn überhaupt so viel. Plötzlich hörte ich Schritte, welche mich aus meinem Halbschlaf heraus rissen, in den ich gefallen war, ohne es zu merken. Als ich aufblickte, stand vor mir ein Mädchen, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich. Sie trug nur ein recht zerfetztes Nachthemd. Erstaunt riss ich die Augen auf. „Bitte…“, flüsterte sie plötzlich. Ich sprang auf und ging zu ihr. „Was ist mit dir geschehen?“, fragte ich. „Hilf mir…“, flüsterte sie erneut. Es klang verzweifelt, aber auch so seltsam fremd. Ein wenig machte mir das Mädchen Angst. Doch sie brauchte offensichtlich Hilfe, also nahm ich mich ihrer an. Auch wenn ich selbst fror, zog ich meinen Mantel aus und gab ihn ihr. Dann nahm ich sie vorsichtig am Arm. „Komm mit mir. Ich bringe dich erst einmal zu einem warmen Ort.“, redete ich ihr zu. „Ganz ruhig, es wird alles gut.“ Ohne zu mucken, ließ sie sich von mir führen. Sie murmelte ab und zu etwas vor sich hin, was ich jedoch nicht verstand. Ich glaubte, dass sie unter Schock stand. Wir kamen nur langsam voran, also nahm ich die Abkürzung durch den Park. Als wir am Brunnen vorbei kamen, stoppte das Mädchen auf einmal und hielt mich am Arm fest. Verwirrt drehte ich mich zu ihr um und fragte, was los sei. Ihre Augen waren trüb und obwohl sie in meine Richtung sah, schien sie eher durch mich hindurch zu blicken. „Hilf mir…“, flüsterte sie wieder. „Aber ich…“, begann ich zu antworten, als sie mir das Wort abschnitt. „Ich habe solchen Hunger… hilf mir ihn zu stillen.“ Das war der Moment in dem sich ihre Gestalt verzerrte und sich aufbäumte. Das Kleid zerriss nun endgültig und gab die Sicht auf ein immer abstruser werdendes Monster frei. Mit einem riesigen Maul und weit aufgerissenen Augen, starrte sie mich an. Ich war einige Schritte nach hinten zurück gewichen, aber ich wusste, dass ich nicht entkommen würde. Ob mich das Unglück verfolgte? Plötzlich riss mich etwas von den Beinen. Unsanft knallte ich auf den kalten Boden. Als ich wieder aufschaute, erkannte ich einen von mehreren langen Schweifen, die wild umher wirbelten. Ein solcher musste mich eben erwischt haben. Nun kam die Bestie langsam näher. Mein Körper war starr vor Angst und ich blickte sie nur an. Ein weiterer Schweif erwischte mich und schleuderte mich weiter nach hinten. Sie spielte mit mir. Unter Schmerzen richtete ich mich langsam auf, als mich ein Hustenanfall wieder in die Knie zwang. Ausgerechnet jetzt konnte ich das nicht gebrauchen. Ich blickte auf meine Handflächen und sah einige rote Tropfen schimmern. Daraufhin ballte ich die Hände zur Faust. Wieder wurde ich getroffen und dieses Mal landete ich direkt beim Brunnen. Als ich mich mühsam aufrichtete, sah ich mein Spiegelbild im Wasser glänzen. Erschrocken riss ich die Augen auf. Meine langen Haare hatten jeglichen Glanz verloren. Durch eine angeborene Pigmentschwäche hatten sie ein extrem helles Blau, doch über die Jahre hatte ich diese Farbe mögen gelernt. Doch das eigentlich erschreckende waren meine Augen. Normalerweise waren sie von einem schleierhaften grau mit einem Tick Türkis, doch nun leuchtete mein rechtes Auge in einem dunklen Magenta, während das linke gold begann und zur Pupille hin silbern wurde. Außerdem waren die Pupillen katzenartig. Reflexartig rieb ich mir die Augen und als ich wieder in das Wasser blickte, stellte ich erleichtert fest, dass sie wieder normal grau waren. Vielleicht hatte ich es mir ja nur eingebildet. Zumindest hoffte ich das. Da bemerkte ich ein weiteres Spiegelbild im Wasser und ich geriet in Panik. Wenn nicht gleich ein Wunder geschah, dann musste ich mir keine Sorgen mehr über meinen Zustand machen. Erneut riss es mich von den Beinen. Nun war das Gesicht der Bestie nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich sah die Gier in ihren Augen. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte nicht einmal mehr schreien vor Angst. Der heiße Atem der Bestie schlug mir ins Gesicht und ich verzog angewidert das Gesicht. Es roch furchtbar nach Blut. Da zog mich etwas unsanft nach hinten weg. Mehrere Meter später bemerkte ich, dass drei Personen angekommen waren. Zwei davon standen nun direkt vor mir und hatten eine Verteidigungshaltung angenommen. Vor der Bestie stand nun eine andere Frau. Im Wind flatterte ihr weißblondes Haar. Sie trug einen recht engen Anzug, der aber für das Kämpfen gemacht schien. „Geht es ihnen gut?“, fragte mich ein junger Mann, der nun vor mir stand. Er trug Kleidung ähnlicher Aufmachung. Auf seiner Stirn war ein merkwürdiges Zeichen aufgemalt. Ich spähte zu der anderen Frau die ebenfalls in meiner Nähe stand und auch sie trug dasselbe Zeichen. Mir fiel ein, dass ich davon schon vor einiger Zeit gehört hatte. Viele Jahre vor meiner Geburt soll es die so genannten Hunter gegeben haben, eine Gruppe die sich der Jagd von Yajuu, Exile und Mitgliedern der schwarzen Liste verschrieben hatte. Nach den ominösen Ereignissen damals war die Huntervereinigung zwar aufgelöst wurden, aber es hatte sich schnell eine neue, kleinere Gruppierung ehemaliger Hunter gebildet, die das Werk fortführten. Die Anführerin dieser Gruppe sollte eine Halbvampirin gewesen sein, welche auch heute noch lebte. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese dort vorn gerade der Bestie gegenüber stand. Mit einem kurzen Nicken machte ich den anderen beiden klar, dass es mir gut ging. „Keine Angst, Sayo wird sich um die Bestie kümmern.“, sagte der Herr nun zu mir. Im selben Moment sah ich, dass der Yajuu einen Angriff startete. Blitzschnell wich diese Sayo dem Angriff aus und tauchte vor dessen Schnauze wieder auf. Mit einem reinen Faustschlag beförderte sie den Yajuu einige Meter weiter auf den Boden. Ich konnte nicht glauben was ich sah. Stark blutend, richtete sich die Bestie wieder auf und knurrte noch wütender als zuvor. Sayo ließ ihr jedoch keinen weiteren Versuch für einen Angriff. Sie hatte einen Stab hervorgeholt, der nun ausfuhr und sehr spitz geschliffen zu sein schien. Sayo schlug dem Yajuu von unten gegen das Kinn und das sorgte dafür, dass die Bestie von ihren Vorderpfoten geholt wurde. Sayo nutzte diesen Moment und bohrte den Stab in dessen Brust. Ein schrecklicher Aufschrei entrann der Kehle der Bestie, dann fiel sie leblos zur Seite um. Ich sah, wie das Blut sich auf dem Boden ausbreitete und als ich das sah, da fühlte ich etwas Merkwürdiges tief in mir sich regen… Kapitel 3: der letzte Tag ------------------------- „Ist die Zivilistin verletzt?“, fragte Sayo, als sie näher kam. Ihre Augen leuchteten in einem kräftigen rot, doch je näher sie kam, desto dunkler wurde es. Schließlich waren ihre Augen wieder pechschwarz. „Ja, wir sind noch rechtzeitig gekommen.“, antwortete ihr der Mann. Auch Sayo trug das seltsame Zeichen auf der Stirn, wie ich erkannte. Doch sie war mir irgendwie unsympathisch. Obwohl sie sehr schön war, schien ihr Gesicht kalt und starr zu sein. Sie klang sehr diszipliniert und außerdem kam es mir so vor, als würden ihr die beiden anderen Hunter nicht das Geringste bedeuten. Da wurde ich auf die Beine gezogen. „Gehen sie jetzt bitte nach Hause und versuchen sie diesen Vorfall zu vergessen. Keine Sorge, wir werden die Stadt sicher halten.“, verkündete Sayo nun. Wie ein auswendig gelernter Text klang das, was sie mir sagte... irgendwie abgestumpft. Gewiss war sie eine grandiose Kämpferin, doch irgendetwas schien in ihr verloren gegangen zu sein. Natürlich behielt ich diese Gedanken alle für mich. Ich bedankte mich für die Hilfe und machte mich dann auf dem Heimweg. Ohne Umwege rannte ich schon fast nach Hause, denn erst jetzt kam die Angst erst richtig zum Vorschein, die ich eigentlich schon eben hätte spüren müssen. Daheim angekommen, stürmte ich in mein Zimmer und verschloss sogleich die Tür. Dann wollten mich meine Beine nicht mehr tragen und zitternd brach ich zusammen. Dabei konnte ich nicht einmal sagen, was ich mehr fürchtete, die Yajuu oder das was aus mir werden würde. Ich zog meine Beine eng an meinen Körper und versuchte das Zittern zu unterdrücken, jedoch ohne Erfolg. Die Sonne ging gerade auf und langsam übermannte mich der Schlaf. Ohne es zu merken schlief ich auf meinem Fußboden ein. Als ich einige Stunden später erwachte, tat mir alles weh. Das konnte aber auch gut daran liegen, dass ich nur sehr schlecht geschlafen hatte und dazu noch auf dem Fußboden. Als ich mich erhob, knackten meine Gelenke. Ich fühlte mich wie eine alte Frau. Müde schleppte ich mich ins Bad. Ich hatte nicht mehr viel Zeit bis ich zur Arbeit musste und ich wollte dort halbwegs lebendig aussehen. Außerdem, heute war ein besonderer Tag. Luca feierte seinen 14. Geburtstag. Er hatte schon die Kleinen für mich versorgt und zu Schule und Kindergarten gebracht, als ich in die Küche kam. Sofort fiel mein Blick auf die Dose, die auf dem Tisch stand. Ihr Schraubverschluss war geöffnet und daneben lag ein Zettel mit dem einfachen Wort „Bitte“. Ich wusste, dass es Luca´s Schrift war. Er wollte, dass ich die Tabletten nahm und ich konnte es ihm ja auch nicht verübeln. Ich seufzte. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder eine nehmen, besonders nach dem was gestern geschehen war. Ich holte eine der Pillen heraus und schraubte dann den Verschluss wieder zu. Schnell schluckte ich sie hinunter und verstaute die Dose in dem Hängeschrank. Gerade als ich die Tür des Schrankes schloss, kam die Übelkeit. Zum Glück war das Waschbecken in der Nähe und das war auch gut so. Geschockt erkannte ich, dass mein Körper sich nicht nur gegen die Tablette wehrte, sondern dass auch alles voller Blut war. Schnell und halb panisch entfernte ich jegliche Spuren. Zitternd und leicht zusammengesunken, starrte ich dann vor mich hin. Erst als eine Träne auf meiner Handfläche landete, kam ich wieder zu mir. Wie viel Zeit blieb mir noch? Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, holte ich mir eine Schmerztablette aus dem Schrank, die ich zum Glück in mir behielt. Dann zog ich mich fertig an und machte mich auf dem Weg zum Supermarkt. Dort räumte ich gelegentlich die Waren ein. Die älteste der Kassiererinnen war so etwas wie eine Mutter Theresa dort und hatte stets ein Auge auf die anderen im Laden. Da sie wusste, dass ich knapp bei Kasse war, legte sie mir daher ab und zu ein paar Sachen zurück und schenkte sie mir nachdem meine Schicht zu Ende war. Auch heute hatte sie wieder etwas vorbereitet, da sie ebenfalls von Luca´s Geburtstag wusste. Dankend nahm ich es an. Auch stellte sie natürlich fest, dass ich nicht gut aussah und riet mir einmal ein paar Tage Urlaub zu nehmen, doch ich sagte, dass alles gut sei und damit beließ sie es dabei. Das letzte was ich mir jetzt leisten konnte, war Urlaub. Meine Schicht verging schnell und ohne besondere Vorkommnisse. Manchmal verschwamm mir zwar die Sicht ein wenig, aber ansonsten schien die Schmerztablette ihren Dienst zu tun. Daher keimte in mir die Hoffnung auf, dass der heutige Tag ja doch noch schön werden könnte. Als ich nachmittags nach Hause kam, begann ich sofort mit den Geburtstagsvorbereitungen. Mit dem, was mir geschenkt worden war, konnte ich etwas Schönes kochen und sogar ein wenig den Raum dekorieren. Ich machte es nicht zu kitschig, aber doch auffällig genug, damit sich die Kleinen daran erfreuen konnten. Gerade als ich fertig wurde, hörte ich wie sie alle nach Hause kamen. „Lua!“, riefen die Kleinen regelrecht synchron und rannten auf mich zu. Sie rissen mich fast um. „Na ihr.“, gab ich gut gelaunt zurück. „Hattet ihr einen schönen Tag?“ „Auja!“, lachten die Zwillinge. „Schau mal Lua, ich hab heute ein Bild im Kindergarten gemalt.“, rief Tiara und zückte sogleich eine Zeichnung hervor. Ich nahm sie ihr ab und betrachtete sie kurz. Tiara hatte unsere kleine Familie gemalt. Alles war schön bunt und fröhlich, sodass ich darüber lächeln musste. „Das ist ja ein wahres Meisterwerk von dir Tiara, dass müssen wir gleich an den Kühlschrank hängen, damit man es ganz oft sieht.“, sagte ich zu ihr und glücklich stimmte sie dem zu. Nun kam auch Luca in den Raum geschlendert. Ich löste mich von den Kleinen und umarmte auch ihn zur Begrüßung. „Hey, alles Gute zum Geburtstag.“, wünschte ich ihm aus ganzem Herzen. Etwas peinlich berührt, bedankte er sich dafür. „Hier ist ein kleines Geschenk für dich.“, sagte ich und reichte ihm eine kleine Schachtel, die ich auf den Tisch gelegt hatte. Verwundert nahm er sie an und öffnete die Schachtel. Er klang nicht undankbar, aber verwirrt, als er sah, was ich ihm geschenkt hatte. „Ein… Ohrring?“, fragte er. „Ja, keine Sorge ich will gar nicht, dass du ihn trägst. Er soll eher ein Talisman sein. Meine Mutter hat ihn mir einst gegeben und hat immer gesagt, dass er eine ungeheure Macht besitzen soll. Ich will das du ihn bekommst, damit er dir in Zukunft mehr Glück bringen wird.“, erklärte ich ihm. Der Ohrring war stark ineinander verschlungen wie ein keltisches Muster und war relativ groß. Dennoch sah er meiner Meinung nach sehr schön aus. Andächtig legte Luca ihn in die Schachtel zurück. „Ich danke dir Lua.“, sagte er und ich wusste, dass dies ernst gemeint war. Danach verlief der Abend entspannt weiter. Wir aßen gemeinsam und saßen einfach gemütlich beieinander und redeten über dies und das. Nachdem ich Tiara und die Zwillinge zu Bett gebracht hatte, saßen Luca und ich noch eine Weile allein in der Stube und unterhielten uns. Er schien schon den ganzen Tag bekümmert und nun da die Kleinen nicht mehr da waren, konnten wir uns ungestört unterhalten. „Was liegt dir auf dem Herzen, Luca?“, fragte ich. Er blickte mich tiefgründig an. Seine Augen hatten ein sehr intensives blau und manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie alles durchschauten. „Dein Zustand verschlechtert sich, oder?“, flüsterte er fast. Einen Moment schwieg ich. „Wie kommst du darauf?“ „Glaub mir, ich merke es.“, sagte er. Ich seufzte und setzte mich in eine andere Position. „Keine Sorge. Ich komme damit klar. Wirklich.“ Ich log, aber ich hoffte einfach, dass er mir glaubte… zumindest ein bisschen. Unschlüssig blickte er mich an. „Der Ohrring… du hast ihn mir nicht ohne Grund gegeben, stimmt´s? Er soll mir Glück bringen für eine Zeit in der du nicht mehr da bist, hab ich recht?“ Ich antwortete nicht. Ich konnte es einfach nicht, doch er wusste die Antwort ja bereits. Luca stand auf und kam zu mir herüber. Beinahe wäre ich zusammengezuckt, als er mich umarmte. War es Trauer? War es Trost? Verzweifelt bemerkte ich, dass sich in mir etwa regte. Ich hörte sein Herz so nah bei mir, seine dunklen Haare streiften mein Gesicht und es löste wieder dieses merkwürdige Gefühl in mir aus. Wie ließ es sich am besten beschreiben? Wahrscheinlich Mordlust und die Gier nach Blut. Ich kämpfte dagegen an, wollte auf keinen Fall das jemandem in diesem Haus wegen mir etwas geschah. Dennoch zwang ich mich die Umarmung zu erwidern und nicht zu verkrampfen, denn das hätte ihn nur noch mehr besorgt. Die Sekunden vergingen und kamen mir wie Stunden vor. Luca löste sich schließlich wieder von mir und ging zur Tür. Er schien nichts von meinem inneren Kampf bemerkt zu haben… glücklicherweise. „Gute Nacht.“, wünschte er mir und ging dann in sein Zimmer. Als ich mir sicher war, dass ich allein war, brach ich keuchend zusammen. Schweiß rann über mein Gesicht und mein Herz raste. Außerdem war ich ziemlich sicher, dass meine Augen wieder glühten. Dies war der Moment an dem ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Still und heimlich holte ich meinen Mantel aus meinem Zimmer und ging zur Eingangstür. Leise verschloss ich diese und trat in die dunkle und kalte Nacht hinaus. Wie auch gestern, regnete es leicht. Langsam durchstreifte ich die Straßen. Ich hatte es nicht eilig, denn eigentlich wollte ich gar nicht tun, was ich vorhatte. Ein paar Regentropfen verfingen sich in meinen Haaren, als ich meinen Weg fortsetzte. Von weitem konnte ich bereits den dunklen Schatten der Brücke sehen. Mir fiel auf, dass ich gar nicht wusste, ob sie überhaupt einen Namen hatte. Vielleicht hatte es ja einfach niemand für nötig befunden ihr einen zu geben. Mir wäre auch kein passender eingefallen. Als ich die ersten Schritte auf die Betonplatten des Fußweges setzte, beruhigte sich plötzlich mein Herz. Mein Verstand klärte sich und die Angst wich mir langsam aus dem Körper. Je weiter ich kam, desto mehr verstärkte sich dieses Gefühl der Ruhe in mir. Hier war der Wind unangenehmer als zwischen den Häusern, denn er konnte hier ungebremst durchwehen und so wurde ich nach einiger Zeit ganz schön durchnässt. Ich machte mir jedoch nichts daraus. Schließlich hatte ich die Mitte der Brücke und somit auch den höchsten Punkt erreicht. Mit ein wenig Anstrengung gelang es mir über die Brüstung zu klettern. Dahinter lag noch einige Zentimeter Stahlstreben, auf welche ich mich nun setzte. Mein Mantel hing hinunter in die Leere und flatterte umher. Ich war hier aber etwas windgeschützter als eben noch und beschloss daher ein paar Minuten so zu verharren. An das Geländer gelehnt, starrte ich hinaus in die Dunkelheit. Im Augenwinkel, wenn auch weit entfernt, sah ich den spitzen Boden. Unberührt und ruhig lag er da. Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. Der Mond war im Moment nur eine schmale Sichel. Bald würde Neumond sein, doch durch die starken Wolken, konnte man ihn ohnehin kaum sehen. Dann schweiften meine Gedanken nach Hause. Tiara und die Zwillinge würden gerade bestimmt irgendetwas Tolles träumen, während Luca sehr wahrscheinlich noch wach war. Ich hatte schon oft versucht herauszufinden, was genau er eigentlich immer um diese Zeit tat, doch ich hatte es nie ergründen könnten. Einmal hatte ich einen kurzen Blick auf ein schwarzes Buch werfen können, aber er hatte es schnell vom Tisch gezogen und seitdem war es nicht mehr auffindbar, nicht das ich ihm hinterher spionierte. Allgemein war er mir nach all den Jahren immer noch ein Rätsel. Ich wusste nicht viel von seiner Vergangenheit, denn er hatte nie darüber reden wollen. Die wenigen Male in denen er etwas erzählte, ließ er jedoch anklingen, dass er mehr von seiner Familie geflohen, als herausgeschmissen wurden war. Auch hatte ich den Verdacht, dass er unter recht wohlhabenden Verhältnissen gelebt haben musste. Was mich umso mehr wunderte, wenn man bedachte, dass wir ja fast am Existenzminimum lebten. Schuldgefühle machten sich wieder in mir breit. Ich hatte Angst was mit ihnen geschehen würde, wenn ich ging. Doch bleiben konnte ich ja genauso wenig. Einer weiterer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es nun Mitternacht war. Langsam rappelte ich mich hoch und trat an den Rand der Streben. In Gedanken flehte ich Tiara, Yara, Seth und ganz besonders Luca um Vergebung an, auch wenn ich wusste, dass es nicht verzeihbar war, was ich hier tat. Ich wünschte so sehr, dass sich ihr Leben bessern würde. Ich weinte ohne es zu merken, vor Trauer, vor Schuldbewusstsein, aber nicht vor Angst. Dann sprang ich. Kapitel 4: eine Chance ---------------------- „Nun mal langsam mit den jungen Pferden. Denkst du nicht, dass es da bessere Lösungen geben könnte?“ Langsam öffnete ich die Augen und blickte mich verdutzt um. Ohne Zweifel hing ich gerade in der Luft, unter mir der felsige Abgrund. Nur wieso fiel ich nicht? Ich drehte den Kopf zur Seite und erkannte den Grund. Kyria stand entspannt neben mir am Rande der Stahlstrebe und hielt mich mit nur einer Hand davon ab, abzustürzen. „W…Kyria?“, rief ich erschrocken aus. Ich war mir hundertprozentig sicher bis eben noch allein gewesen zu sein. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog sie mich zurück auf die Brüstung und wenige Momente später standen wir auf der Brücke, als wäre nichts gewesen. Ich umklammerte das Geländer mit einer Hand und starrte auf den Boden. Wieso musste ausgerechnet sie jetzt hier sein? „Wie lang weißt du es schon?“, fragte mich Kyria plötzlich. Sie klang sehr mitfühlend und freundlich, so wie sie es immer tat. Sie wusste es also, wurde mir bewusst. Erst seit eben oder schon länger? Schließlich nuschelte ich als Antwort: „Etwa ein Jahr…“ „Verstehe. Ist ja eine ziemlich lange Zeit. Du hast zwischendurch bestimmt diese Tabletten genommen.“ „Ja…“, gab ich kleinlaut zu. „Da stellt sich mir die Frage, wieso du dann damit aufgehört hast.“ Es war nicht so, als würde sie mich dazu zwingen zu antworten, doch ich hatte irgendwie gerade das Bedürfnis mit jemandem zu reden. „Naja, ich kümmere mich um ein paar Kinder, allerdings sind einige von ihnen auch infiziert und ich kann es mir nicht leisten, die Tabletten für alle zu bezahlen. Daher habe ich lieber auf meine verzichtet…“ „Ich verstehe. Tatsächlich habe ich so etwas ja schon geahnt.“ Plötzlich hob sie mein Kinn an und zwang mich so, sie anzublicken. Ein trauriges Lächeln zeigte sich mir. „Weißt du, ich könnte dir helfen, wenn du es möchtest. Der Virus in deinem Körper hat schon zuviel befallen, um noch lange von dir zurückgehalten werden zu können, aber es gibt dennoch Wege damit zu leben. Verwirrt blickte ich sie an. „Auch ich hätte den Tod vorgezogen, doch mir wurde nicht erlaubt zu sterben.“ Da endlich konnte ich aussprechen, was ich schon die ganze Zeit vermutet hatte. „Du… bist auch eine von ihnen…“ Kyria´s Augen begannen hell zu glühen. Es war dieses selbe kühle grün, welches ich auch schon in der Bar bemerkt hatte. „Das ist richtig. Ich bin eine Exile. Anders als du das wahrscheinlich denkst, sind die Menschen nicht dazu verpflichtet sich wie Bestien zu verhalten, wenn sie einmal mutiert sind. Tatsächlich hat jeder von uns die Wahl wie menschlich man bleiben möchte. Du siehst, wie die meisten ihre Wahl treffen, doch dass muss nicht auf dich zutreffen.“ Ungläubig starrte ich sie weiter an. „Du hast schöne Augen. Ich kann dort nicht dieselbe Gier erkennen, wie in den meisten anderen.“, sagte sie plötzlich, „Ich kann dir versichern, dass du nicht zu einer dieser grotesken Gestalten werden würdest, die du bereits gesehen hast.“ Erst jetzt bemerkte ich, dass sie wieder angefangen hatten zu leuchten. Langsam sickerten die Informationen, die ich eben erhalten hatte zu mir durch. Kyria versuchte mir also zu erklären, dass ich menschlich bleiben konnte? „Aber wie?“, dachte ich laut. Noch immer blickte sie mich tief an. „Natürlich verlangt es besonders in der ersten Zeit sehr viel Selbstbeherrschung. Es ist nicht leicht, daher geben auch so viele mit der Zeit ihren Instinkten nach, aber es ist nicht unmöglich. Wenn du es möchtest, dann würde ich solange auf dich aufpassen, bis du gelernt hast damit zu leben.“ „Wieso würdest du das tun?“, fragte ich sie. Ich meine, wie kannten uns kaum und sie war eine Exile. Was kümmerte sie sich um einen Menschen wie mich… na ja einen noch- Menschen sozusagen. Da lächelte sie traurig, aber auch warm: „Zum einem wurde auch mir damals geholfen und ich finde, dass wenn es jemanden gibt, der schon dagegen ankämpft, dann hat er auch eine Chance dazu verdient. Zum anderen jedoch ist dies auch eine Art Versprechen, das ich einst einer sehr wichtigen Person gegeben habe. In mir schlich sich das Gefühl ein, dass hinter der freundlichen Fassade von ihr ein sehr düsterer Abgrund lag. Es war wahrscheinlich besser, wenn ich es dabei beließ. „Überleg es dir.“, lächelte sie mir freundlich zu. „Ich…“, wollte sie noch irgendwas anfügen, als sie plötzlich erstarrte. Ich riss erschrocken die Augen auf, als ich sah dass ein spitzer Stab aus ihrer Brust auf mich zu zeigte. An ihm tropfte ihr Blut zu Boden. Dann blickte ich ihr panisch ins Gesicht und sah, dass ihre Augen wieder glühten, dieses Mal jedoch erinnerten sie mich an Augen einer wahren Bestie. Kyria nahm einen Arm hinter sich und zog den Stab heraus. Dann wirbelte sie ihn kurz umher und stützte ihn am Boden ab. „Wow was für eine herzliche Begrüßung.“, sprach sie in die Finsternis, die vor uns lag und drehte sich herum. Mehrere Gestalten näherten sich uns. Hunter. Kyria stellte sich demonstrativ vor mich, als würde sie mich abschirmen wollen. „Wundere dich nicht, ich werde einen Teil meiner Aura frei lassen, damit sie nicht bemerken, dass du infiziert bist.“ So hatte ich sie noch nie erlebt. Obwohl sie mir gegenüber noch immer sehr freundlich war, wirkte sie sehr angespannt und kampfbereit. Ich wollte sie gerade fragen, ob es ihr auch gut ginge, denn schließlich steckte bis eben noch ein Metallstab in ihrer Brust, aber da schlug mir bereits eine Welle ihrer Aura entgegen. Für einen Moment raubte sie mir den Atem. Dann fiel mir ein, dass sie eben nur gesagt hatte, sie würde einen Teil frei lassen… Ich wollte gar nicht wissen, was das im Detail bedeuten würde. „Ich hatte dich gewarnt, dass ich dich töten würde, wenn wir uns wieder treffen, Kyria.“, ertönte plötzlich die kalte Stimme, der näher kommenden Hunter. Ich kniff die Augen zusammen und erkannte, dass an ihrer Spitze Sayo lief. Ihr Gesicht wirkte finster und eiskalt. „Ich bin dir ja auch nicht begegnet, sondern hatte schon vorher den Pfahl in meiner Brust.“, gab Kyria ihr zu Antwort. Nun klang sie gar nicht mehr freundlich und warmherzig. Tatsächlich klang sie Sayo sehr ähnlich. „Als hätte dich das tatsächlich umbringen können.“, gab Sayo bissig zurück und auch ein wenig enttäuscht, wie es schien. „Was nur hat dich so verändert?“, fragte Kyria traurig. Es war zwar mehr als würde sie laut denken, aber es führte dazu, dass Sayo noch finsterer blickte als ohnehin schon. Ich bekam Angst. „Du bist doch mit Schuld an dem allen, Kyria. Erst verrätst du die Hunter und wirst zu einer Bestie, dann bekräftigst du Rui umso mehr, dass es so in Ordnung ist, wie es ist und dann…“ „Du denkst also, es wäre meine Schuld, dass du allein bist? Es gab einmal eine Zeit, da hast du zu mir gestanden, als ich mich den Huntern stellte und sie mich töten wollten. Auch Rui hast du voll und ganz unterstützt. Ich habe die Hunter nicht zerstört, dass hat der Boss ganz alleine getan.“ „Schweig!“, schrie Sayo wütend. „Hey Mädchen, ich an deiner Stelle würde da abhauen. Du hast sicher keine Ahnung, wer da vor dir steht.“, richtete sie ihre Worte plötzlich an mich. Ich zuckte vor Schreck zusammen. „Vor die steht nämlich Kyria, die derzeitige Nummer 2 der schwarzen Liste. Viele ringen sich um ihren Tod.“ Ich erschrak. Ich kannte die schwarze Liste. Sie war für die größten Verbrecher in der Dämonen und Geisterwelt angelegt wurden. Dass sie einen solch hohen Rang innehatte, ließ mich erzittern. „Sayo, lass das mal meine Sorge sein. Deine taktvolle Art Leuten so etwas mitzuteilen ist ja wirklich rührend, aber ich bevorzuge es, solche Dinge selbst zu erzählen.“, gab Kyria nun trocken zurück. Ihr war meine Reaktion nicht entgangen, aber im Moment hatte Sayo Vorrang. Diese schien sich währenddessen auszumalen, wie sie Kyria auf dem besten Wege umbringen konnte und wie es möglichst schnell, aber trotzdem qualvoll ginge. Für den Moment vertraute ich da Kyria um einiges mehr, als ihr. Blitzschnell startete Sayo ihren Angriff. Den ausziehbaren Stab vom letzten Mal gezückt, hielt sie direkt auf Kyria zu. Diese bewegte sich nicht vom Fleck, sondern wehrte den Angriff mit der Stange von eben ab. Obwohl ich wusste, dass Sayo ungeheure Kraft hatte, gelang es Kyria mit nur einer Hand die Stange in der Luft ihr entgegen zu halten. „Tse, wie mir scheint bist du stärker geworden.“, knirschte Sayo mit den Zähnen. „Tja denkst du ich habe über 120 Jahre nur gehäkelt?“, gab Kyria ihr als Antwort. Das machte Sayo noch wütender und sie versuchte sogleich einen erneuten Angriff. Schnell zog sie den Stab zurück und ich sah, dass er sich teilte. Dann griff sie nach den beiden Ende und hielt damit gleichzeitig auf Kyria zu. Kyria hingegen blieb noch immer still stehen. Sie packte den Stab fester und warf ihm Sayo entgegen, welche diesem jedoch mühelos auswich und weiter auf Kyria zu hielt. Als wüsste sie wie sich Sayo bewegen würde, drehte Kyria sich nur um einige Zentimeter anders hin und so verfehlte Sayo sie. Nun hielten die Stäbe mit ihren Spitzen enden auf mich zu. Ausweichen konnte ich nicht mehr, dazu fehlte mir die Zeit, also zuckte ich nur zusammen. Doch die Stäbe trafen mich nicht. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, dass Kyria mit je einer Hand einen von Sayos Armen umklammert hielt und sie mich so nicht erreichen konnte. „Ich hätte nicht gedacht, dass du in Kauf nehmen würdest, dass ein Mensch stirbt.“, sagte Kyria plötzlich finster. Ich erspähte kurz ihr Gesicht und sah, dass sie die Zähne ein wenig gefletscht hatte. Der Angriff auf mich, schien sie wütend gemacht zu haben. Sayo verzog keine Miene. Stattdessen entzog sie sich schnell aus Kyria´s Griff und sprang einige Meter zurück. „Na und. Es ist eh nur ein Mensch.“ Sayos Augen begannen rot zu leuchten. In weiterer Entfernung erkannte ich noch immer die Gestalt mehrerer Personen, die sich aber nicht einen Millimeter gerührt hatten, seit sie angekommen waren. Plötzlich drückte mich Kyria leicht nach hinten weg. „Halte bitte diesen Abstand ein, sonst könnte es sein, dass ich dich aus Versehen verletze.“ „Ja.“, antwortete ich folgsam. Kurz blickte sie mir ins Gesicht und ein warmes, wenn auch besorgtes Lächeln setzte sich auf ihre Lippen. „Ich danke dir.“, sagte sie geheimnisvoll. Auf einmal war ein Dolch kurz vor ihrem Gesicht. Wer ihn so blitzschnell geworfen hatte, konnte ich unmöglich sagen. Doch Kyria fing ihn nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht ohne sichtbare Anstrengung zu zeigen. Da lachte Sayo auf. „Wusste ich es doch. Du hast Roona´s Fähigkeiten bekommen nicht wahr?“ Roona? Dieser Name sagte mir nichts, aber meine Intuition verriet mir, dass diese Roona sehr wahrscheinlich diese Person gewesen war, die Kyria so viel bedeutet hatte. Kyria schien diese Aussage gar nicht gefallen zu haben, denn als ich nun wieder zu Sayo blickte, sah ich dass der Dolch von eben in ihrer Brust steckte. Die beiden waren so schnell, dass es für mich nur sehr schwer war ihren Bewegungen zu folgen. Sayo zog unterdessen schmerzverzerrten Gesichtes den Dolch heraus und warf ihn von der Brücke. „Na los! Greift schon an.“ Da setzten sich die Hunter hinter ihr in Bewegung und eine Welle von Aura strömte mir entgegen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah, denn zunächst begannen diese Zeichen auf ihren Stirnen zu leuchten und dann verzerrte sich ihre Gestalt. Ich zuckte zusammen. Was war das? Das waren keine Menschen. Diese Hunter waren… Yajuu? „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Kyria wütend, „Was hast du mit ihnen gemacht?“ Sayo kicherte und stemmte die Hände in die Hüfte. „Das sind die modernen Hunter. Wir hatten mit einigen finanziellen Problemen zu kämpfen, da machte man uns ein Angebot.“ „Du hast deine eigenen Gefolgsleute verkauft?“ „Richtig. Was du hier siehst eine ganz neue Art der Yajuu. Durch spezielle Siegel und implantierte Chips lassen sie sich mühelos kontrollieren und laufen daher nicht Amok wie der Rest deiner Rasse. Sie haben noch immer ihren menschlichen Verstand nur sind sie schlichtweg viel mächtiger als die alten Hunter.“, erklärte Sayo belustigt. Kyria gefiel das gar nicht. In ihrem Gesicht erkannte ich einen Zorn, der sie viel gefährlicher wirken ließ, als bisher. Ich schaute mich derweil um. Wir waren von allen Seiten umzingelt. Selbst auf den Seilen, die die Brücke hielten, standen sie. Diese neue Art der Yajuu war merkwürdig. Alle sahen sich irgendwie ähnlich, wie eine Mischung aus Raubkatze und Fledermaus. Ich fand das bizarr. Mit gefletschten Zähnen visierten sie Kyria an. Diese blickte sich auch kurz um, dann strich sie sich kurz durch die Haare. „Hm ok, Planänderung. Lua? Rühr dich nicht vom Fleck, ich werde wohl nicht umhin kommen, mich doch ein wenig zu bewegen.“ „In Ordnung.“, sagte ich ihr. Da wusste ich noch nicht, was ich gleich zu Gesicht bekommen würde. Kapitel 5: Eisprinzessin ------------------------ Kyria wurde angegriffen. Zwei der Raubkatzen hielten von oben auf sie zu. Sie sprang ihnen jedoch entgegen und packte die beiden je an der Kehle. Dann schleuderte sie die beiden in unterschiedliche Richtungen davon, doch die Katzen spreizten nur ihre Flügel und blieben so in der Luft. Nun setzten sich drei weitere Katzen in Bewegung. Alle stürmten auf sie zu und dann sah ich sie nicht mehr. Wenige Sekunden später fielen die Katzen auf einmal vom Himmel. Ich erkannte nicht gleich, was geschehen war, doch als sie auf dem Boden ankamen, sah ich, dass jede einige große Schrammen in ihren Flügeln hatten, die sich über den gesamten Körper zogen. Schnell hob ich den Blick und erspähte Kyria. Sie balancierte auf einem der Stahlseile. Um sie herum, sah ich, dass sich lange Klingen bewegten, die aus ihrem Rücken zu kommen schienen. Wie schlangen bewegten sie sich um sie herum. Ihre Augen glühten in der Nacht und gaben ihr das Aussehen eines Dämons. Sie kramte in ihrer Tasche herum und zückte eine Packung Zigaretten. „Du rauchst immer noch?“, rief Sayo sarkastisch zu ihr. „An Lungenkrebs kann ich eh nicht mehr sterben, also was soll´s.“, gab Kyria trocken zurück. „Mach dich nicht über mich lustig.“, keifte Sayo daraufhin zurück. Derweil hatten sich die Katzen wieder aufgerappelt. Ihre Wunden waren bereits verheilt und sie starteten einen neuen Angriff. Dieses Mal griffen alle Katzen an. Ich zählte neun. Drei von ihnen rannten an den Stahlseilen auf Kyria zu. Daraufhin entsandte sie je zwei Klingen zu den Katzen. Doch plötzlich hielten diese an und packten die Klingen mit den Zähnen. Dann kamen aus dem Schatten der Katzen je eine weitere, die über die Klingen auf Kyria weiter zu hielten. Kyria hatte noch zwei Klingenpaare übrig und noch eine einzelne Klinge, die zwischen den beiden lag. Sie wartete bis die Katzen näher kamen und entließ sie dann. Doch die Katzen waren schneller. Sie wichen den Klingen aus. Vor Schreck stellte ich fest, dass sich die drei Katzen im nächsten Moment in Kyria verbissen hatten und sie von dem Seil zerrten. Unsanft fiel sie zu Boden und ich fürchtete schon, dass sie sich alles brechen würde, doch auf den letzten Zentimetern vor dem Boden, schüttelte sie die Katzen mit einigen Tritten ab, drehte sich dann in der Luft und landete unbekümmert auf den Füßen. Unten angekommen griffen nun die drei verbliebenen Katzen an. Ihre Schwänze waren fast dreimal so lang wie ihr Körper und an ihrem Ende befand sich etwas, dass aussah wie eine Klinge. Ehe ich mich versah, durchbohrten alle drei Kyria´s Körper. Unbewusst schrie ich aus. Kyria begann auf einmal wieder zu lächeln. Sie atmete den Rauch ihrer Zigarette aus und wandte sich an Sayo, als wäre nichts gewesen. „So. Ist das also alles, was die neuen Hunter können? Zugegeben, du hast alle Arbeit dabei geleistet mit diesem Schutzsiegel, was verhindert, dass ich ihre Impulse lesen kann oder gar manipulieren, aber hast du mich ernsthaft nur auf Roona´s Kräfte reduziert?“, sprach sie. Noch ehe ich blinzeln konnte, stand Kyria wieder neben mir. Geschockt sah ich all die Wunden, die ihr zugefügt worden waren. Kyria übergab mir ihren Mantel. „Könntest du den eine Weile halten? Ich will nicht, dass er noch kaputt geht bzw. noch mehr als er schon ist.“ Ich nahm ihn entgegen. „Und auf den pass bitte auch auf.“, fügte sie hinzu und setzte mir den dunkelroten Hut auf den Kopf. Ich lugte zu ihr auf, doch sie war schon wieder verschwunden. Einige Meter weiter war sie umzingelt von nun allen Katzen. „Na los! Ich erlaube euch noch einen Versuch.“, verkündete sie und ohne mit der Wimper zu zucken, wurde sie neunmal mit den Klingen der Schwanzspitzen durchbohrt. „Nein!“, schrie ich besorgt. Das war ein Fehler. Ich sah, dass Sayo mich anblickte und ihre roten Augen weiteten sich. Dann breitete sich ein bösartiges Grinsen über ihrem Gesicht aus und ihre Fangzähne kamen zum Vorschein. Auch Kyria riss die Augen auf, als sie Sayos Reaktion sah. Meine Augen leuchteten so hell, dass ich ihre Reflexion vom Geländer erkennen konnte. „Ich verstehe, Kyria. Du hast versucht ein Monster vor uns zu verbergen.“, begann Sayo zu sagen. „Hätte ich das gewusst, hätte ich sie schon gestern Futter für den Yajuu werden lassen sollen.“ „Sie ist aber noch kein Yajuu oder Exile. Sie ist noch immer ein Mensch Sayo.“, antwortete ihr Kyria. „Und wie lange noch? Schau sie dir doch an, dass ist nur noch eine Frage von Stunden, höchsten Tagen, bis sie keiner mehr ist. Selber schuld, wenn sie die Tabletten nicht nimmt.“, gab Sayo bissig zurück. „Lass sie ja in Ruhe.“, fauchte Kyria nun. Sayo lachte nur und setzte sich in Bewegung. Innerhalb eines Augenblickes stand sie plötzlich vor mir und hob mich am Kragen in die Luft. Es fiel mir schwer Luft zu bekommen und daher keuchte ich angestrengt vor mich hin. „Sag Mädchen, fürchtest du den Tod?“ Angsterfüllt blickte ich sie an. Sie meinte es definitiv ernst. Die Luft entwich aus meinen Lungen, als sie mich nun noch höher hob. „Sei mir lieber dankbar, Mensch. Ich erlöse dich von den Qualen.“, redete sie weiter auf mich ein. Glaubte sie denn tatsächlich an das, was sie mir hier erzählte? Da wurde mir bewusst, dass ich an meinem Leben hing. Trotz der Selbstmordgedanken, die ich gehegt hatte, bedeutete mir mein Leben noch immer viel mehr, als mir bewusst gewesen war. „Lass sie los!“, fauchte Kyria aus einiger Entfernung, was dazu führte das die Klingen der Katzen sich nur noch tiefer in sie bohrten. An ihnen tropfte ihr Blut zu Boden. Dieser Anblick war schwer für mich zu ertragen. Ich wollte nicht, dass ihr Schmerzen zugefügt wurden. „Genug geplänkelt, Zeit für dich sayonara zu sagen.“, unterbrach Sayo die Stille, die aufgekommen war. „Du willst, dass ich sie los lasse? Na dem Wunsch kann ich doch gerne nachkommen, Kyria!“, spottete sie. Ich spürte wie sie mich über das Geländer werfen wollte. Dann löste sich der Griff um meinen Kragen. Aber ich fiel nicht. Um meinen Körper hatte sie eine von Kyria´s Klingen geschwungen, aber so, dass sie mich nicht verletzten. Gleichzeitig hob sie nun Sayo am Kragen in die Luft. Kyria hatte sich nun komplett in eine Exile verwandelt, wie ich feststellte, aber anders als dass, was ich bisher gesehen hatte, wirkte sie zwar gefährlich, aber nicht so monströs, wie das was ich bis jetzt gesehen hatte. Ihr Körper schien wie von einem schwarzen hautengen Anzug überzogen. Ein Teil ihres Bauches und ihrer Beine waren noch immer in normaler Hautfarbe, ebenso ihr Gesicht. Zwischen ihren struppeligen Haaren erkannte ich einige spitze Hörner, die auf dem ersten Blick gar nicht auffielen. Um ihre Arme zogen sich je zwei Klingen, die sich eng darum gelegt hatten, aber sich auf Bedarf wohl lösen konnten. Sie endeten an ihrer Schulter mit je zwei weiteren Spitzen, die daraus hervorschauten. Auch die Klingen aus ihrem Rücken waren nun komplett zu sehen. Ihre Hände erinnerten ein wenig an Klauen und diese schienen sehr scharf zu sein. Sayo keuchte plötzlich erstaunt: „Wieso zum Teufel hast du wieder zwei Arme? Sag bloß, dass war auch ein Geschenk von ihr?“ Kyria blickte sie nur zornig an. „Verstehe.“, gab Sayo als Antwort. Nun riskierte ich einen kurzen Blick in die Richtung aus der Kyria gekommen war. Alle Raubkatzen lagen bewusstlos am Boden und Blutlachen bedeckten diesen. Kyria schleuderte Sayo in hohem Bogen davon und setzte mich wieder auf dem Boden ab. „Alles in Ordnung?“, fragte sie mich besorgt. „J…Ja.“, stammelte ich zur Antwort. Da hielt mir Kyria eine ihrer Klauen entgegen. „Es tut mir Leid, eigentlich wollte ich dir länger Zeit geben, dir deine Antwort zu überlegen, aber die Zeit scheint etwas zu drängen. Also frage ich dich noch einmal: Möchtest du mit mir kommen, sodass ich dir helfen kann?“ Ich zögerte. Ohne Zweifel bot sich mir hier eine einmalige Chance. Doch ich würde diese Stadt verlassen müssen und damit auch Tiara, Seth, Yara und auch Luca. Andererseits könnte ich sowieso nicht bleiben in meinem jetzigen Zustand. Außerdem hatte sie mir wirklich die Hoffnung gemacht, dass ich kein Monster werden müsste. Schließlich schien Kyria sich ja auch unter Kontrolle haben zu können. Noch einmal blickte ich mich kurz auf der Brücke um. Würde ich auch irgendwann so kämpfen können? Hätte ich dann auch Feinde? Vorsichtig streckte ich ihr meine Hand entgegen. „Mein Leben…“, begann ich, „wie es jetzt ist, ist sowieso vorbei.“ Dann legte ich meine Hand in ihre. Kyria lächelte mir aufmunternd zu. Dann warf sie sich ihren Mantel über und wir verschwanden in der Nacht. Sayo blieb wutentbrannt zurück. „Kyria! Das nächste Mal stirbst du! Das schwöre ich dir!“, schrie sie zornig hinterher und noch von weitem hallte ihre Stimme nach. Damit begann mein neues Leben. … Seit nun einer Woche lebte und reiste ich nun mit Kyria umher. Noch in derselben Nacht hatten wie die Stadt hinter uns gelassen und waren weit in den Norden geflohen. Nun befanden wir uns irgendwo mitten im Niemandsland am Rande der Taiga. Ich wusste, dass etwa 20 km entfernt eine Stadt liegen musste, aber ich selbst war noch nicht dort gewesen. Kyria nahm mich nicht dorthin mit und das war auch gut so. In den letzten drei Tagen hatte sich mein Zustand zunehmend verschlechtert. Die meiste Zeit befand ich mich in Decken eingerollt am Rand des Lagerfeuers und starrte in die Flammen. Sie hatten eine beruhigende Wirkung auf das aufgewühlte Innere in mir. Kyria war bereits früh am morgen aufgebrochen, um Vorräte zu besorgen. In diesem endlosen Land konnte ich sowieso nirgendwo hin. Als die Sonne unterging, erhob ich mich schließlich. Meine Beine waren eingeschlafen durch das lange verharren in derselben Pose und daher beschloss ich, dass mir ein wenig Bewegung nicht schaden würde. Zwar tat das mindestens genauso weh, aber ich zwang mich, dieses Gefühl zu ignorieren. Ziellos wanderte ich umher. Es würde kein Problem werden den Rückweg zu finden, denn es schneite nicht und im aufgehenden Mondlicht würde ich meine Fußspuren mühelos wieder finden. Ohne es zu merken, trugen mich meine Beine an einen See. Er war recht groß, doch ich konnte das andere Ufer von hier aus sehen. Durch die Kälte überzog eine dicke Eisschicht ihn. Dieser Anblick erinnerte mich an meine Kindheit. Zumindest an eine Begebenheit davon. Einst war ich mit meiner Mutter auch an so einen See gefahren. Wir hatten einen schönen Tag dort verbracht und sie hatte mir das Schlittschuhfahren beigebracht, dass ich seit diesem Tag abgöttisch liebte. Doch nachdem meine Mutter gestorben war, hatte ich es nie mehr ausprobiert. Meine Kindheit war mir heute ein Rätsel geworden. An die ersten sechs Jahre konnte ich mich gar nicht mehr erinnern, danach wusste ich nur, dass ich zusammen mit meiner Mutter gelebt hatte. Sie hatte immer sehr liebevoll von meinem Vater gesprochen, doch leider hatte ich vergessen, was mit ihm geschehen war oder wo er heute war. Ein Schmerz durchzuckte mich. Ehe ich es bemerkte, stand ich in der Mitte des Sees. Die Welt um mich herum schien sich zu drehen, während immer mehr Bilder aufflackerten. Bilder, von denen ich nicht einmal mehr ahnte, dass sie existierten. Ich war… in einem Labor oder etwas ähnlichem. Meine Ma trug einen typischen Laborkittel, war also anscheinend Wissenschaftlerin. Dann sah ich mich. Ich war vielleicht um die vier Jahre alt und hüpfte vergnügt im Raum umher. Mutter lachte und meinte, ich wäre ein Clown. Dann hörte ich eine männliche Stimme. Sie sagte auch etwas zu mir, was ich aber nicht mehr wusste. Was ich aber wusste, war, dass auch diese Stimme liebevoll zu mir stand. Konnte es mein Vater sein? Dann wechselte die Szene abrupt. Meine Mutter weinte verzweifelt. Ich hörte Schreie, schreckliche Schreie. Dann weinte auch ich. Ma packte mich und wir flüchteten, wohin… das wusste ich nicht mehr. Mein Körper zuckte vor Schmerz zusammen und ich krallte die Hände in meine Haare. Wieso musste ich all diese Bilder jetzt sehen? Ich wollte es nicht. Als ich die Augen wieder öffnete, erkannte ich den See nur schemenhaft. Vor meinem inneren Auge tanzten noch immer zahlreiche Bilder aus Erinnerungen. In einer hatte ich furchtbare Angst, doch ich verstand nicht mal wieso. Ich wusste nur, dass meine Mutter Angst hatte und das machte auch mir Angst. Ich sah fremde Leute, welche ebenfalls Laborkittel trugen. Wollten sie mich? Sie schrieen meine Mutter wütend an und sie schrie zurück. Ich sank auf die Knie. Tränen tropften auf das Eis, auch wenn ich das nicht direkt mitbekam. Nun sah ich eine glücklichere Szene. Ich musste bei meinem Vater sein. Wir befanden uns auf einer Wiese und ich pflückte Blumen. Er lachte und ich tat es auch. Dann kam meine Ma hinter einem Baum hervor. Im Hintergrund konnte ich den Schatten des Labors sehen. Sie lächelte uns glücklich zu. Vor meinen inneren Augen wurde es plötzlich immer finsterer. Der Schmerz stieg immer weiter und ich begann Hass zu empfinden. Ich wusste nicht einmal was ich genau hasste, es richtete sich irgendwie gegen alles, alles war mir diese Schmerzen bereitete. Ein letztes Bild flackerte auf. Meine Mutter lag erschöpft in ihrem Bett. Sie sah sehr krank und ausgemergelt aus. Ich war 12 Jahre alt und stand an ihrem Bett mit tränenden Augen. Ihre Hand berührte meine Wange und sie sprach mit mir. Es kostete sie sichtlich große Anstrengung und ich verstand nichts von dem was sie sagte. Nur ihr letzter Satz… nur dieser eine Satz hallte noch tief in mir nach, als ihre Hand von meiner Wange glitt und leblos auf das Bett sank. Nur dieser Satz füllte meine Gedanken, als ich vor Trauer und Schmerz schrie und alles um mich herum vergas. „Du bist nicht wie sie, du bist besser, vergiss niemals wer du bist… und auch in deinen dunkelsten Stunden, denke immer daran: Deine Eltern lieben dich…Lua.“ Was ich bin? Wer ich war? Als sich der Schmerz und die unendliche Finsternis lösten, stand ich wieder mitten auf dem Eis. Noch immer waren große Teile meiner Erinnerung verschüttet, doch zumindest diese Frage hatte sich wie von selbst geklärt. Instinktiv wusste ich es einfach, auch wenn ich nicht mehr genau wusste wer meine Eltern waren. Meine Mutter war ein Mensch, mein Vater ein Exile gewesen, was mich zu etwas machte, was weder Exile noch Yajuu sein konnte… etwas völlig Neues, was es so noch nie zuvor gegeben hatte. Meine Gestalt spiegelte sich im Eis wieder. Meine langen eisblauen Haare schienen zu tanzen und um sich selbst zu wirbeln, fast so, als würden sie leben. Mein rechtes Auge schimmerte Magenta, dass Linke wiederum begann am Rande der Iris gold und wurde nach innen hin silbern. Auf meinem Kopf prangten zwei geschwungene, schwarze und symmetrisch eingekerbte Hörner. Mein Gesicht war schneeweiß, ebenso das, was von meinem Bauch noch zu sehen war, denn der Rest meiner Haut war wie bei Kyria von diesem schwarzen Zeug umschlungen und ließ nur dort in einem mehrfach geschwungenen Muster eine Stelle frei. Von meiner Hüfte ragten je drei geschwungene Zacken nach oben. Ab meinem Hals begann auf jeder Seite eine Art Rüstung, die sich von den Schultern über meine Arme entlang zog und mehrere spitze Zacken hatten, die nach außen zeigten. Wie verlängerte Ärmel endeten sie auf der Höhe meiner Finger und je zwei lange Klauen zogen sich darüber hinaus. Meine Hände lagen darunter und hatten eine ähnliche leicht klauenhafte Gestalt, wie die von Kyria. Auch meine Beine waren von dieser Art Rüstung bedeckt. Von meinen Knien gingen zwei spitze Zacken ab und auch am Rande waren kleine angebracht. Das aber wohl auffälligste war, wie sie endeten. Die Rüstung zog sich über meine Füße und wurde zu einer dünnen und sehr scharfen Klinge, die sich über meine Sohle zog und dann hinten weiter bis zur Kniebeuge weiterführte. An der Ferse war wieder eine größere Zacke. Ich selbst stand nur auf der Spitze dieser Klinge, was dem ganzen den Anblick verlieh, als würde ich Schlittschuhe tragen. „Jetzt bin ich wohl wirklich Mamas Eisprinzessin.“, dachte ich laut, als ich meinen Anblick analysierte. Ich wunderte mich, wieso es mir keinerlei Schwierigkeiten bereitete, auf einer Fläche von nur vielleicht 2 cm zu stehen, aber es kam mir so vor, als wäre es das Natürlichste auf der Welt für mich. Plötzlich hörte ich Stimmen. Jugendliche. Sie mussten ganz in der Nähe sein und wollten bestimmt hier Schlittschuhlaufen. Dann hörte ich auch die Stimme von Kindern, vielleicht kleine Geschwister, die sie mitnehmen mussten. In meinem Inneren hallte eine Stimme: Menschen… Kapitel 6: Ihre Mission ----------------------- Kyria war entsetzt. Sie war vor nicht allzu langer Zeit aus der Stadt zurückgekehrt und hatte ihr Lager leer aufgefunden. Zunächst hatte sie nichts Schlimmes gedacht, schließlich waren sie allein und sie erkannte genau wohin Lua verschwunden war. Doch dann hatte sich alles verändert. Eine gigantische Aurawelle hatte die Umgebung getränkt, etwas dass Kyria so noch nie bei einem frisch Erwachten gespürt hatte. Es war etwas, was zwar einem Exile sehr ähnelte, aber doch nicht gleich war. Das hatte Kyria stutzig gemacht und sie hatte sich auf dem Weg gemacht. Auf halbem Wege jedoch hatte sie dann plötzlich die Auren einer Gruppe Menschen verspürt. Klar ausgerechnet heute mussten sie ja natürlich einen Spontanausflug hierher machen. Kyria wusste nicht, wie Lua reagieren würde, aber wenn sie an sich selbst zurückdachte und ihre erste Nacht als Exile… dann hatte sie allen Grund sich zu beeilen. Kyria hatte damals über zwanzig Menschen getötet, bevor Chrona und Anubis, zwei andere Exile, sie hatten stoppen können. Kyria eilte blitzschnell zu dem Ort an dem Lua´s Fußspuren sie führten. „Lua!“, rief sie aus, als sie den Rand einer Lichtung erreichte und dann traute sie ihren Augen kaum. Leicht außer Atem betrachtete Kyria die Szene, die sich ihr nun bot. Die Menschen lachten ausgelassen und liefen unbekümmert Schlittschuh. Ein junges Pärchen küsste sich gerade innig, ein anderes lief weiter vorn. Dann waren da drei kleine Kinder, vielleicht um die sechs bis acht Jahre alt. Eines war gerade kurz davor das Gleichgewicht zu verlieren, da fing jemand es auf. Obwohl bedrohliche Klauen überall abstanden, ging sie so sanft und liebevoll mit diesen zerbrechlichen Wesen um, als wäre sie ihre Mutter oder große Schwester. Ein anderes Kind hielt sich an ihrer Hand fest und machte zaghaft ein paar Schritte auf dem Eis. Lua gab dem Mädchen ein paar Tipps, um das Gleichgewicht besser halten zu können und half dem anderen Kind wieder auf die Beine. Das dritte Kind war schon sehr sicher unterwegs und lief munter um sie herum. Lua ließ kurz das Mädchen los, packte das andere Kind und warf es in die Luft. Dann fing sie es wieder auf und half ihm bei einer Drehung. Er lachte und das junge Mädchen klammerte sich an Lua´s Bein, um nicht umzufallen. Kyria konnte noch immer nicht glauben, was sie da sah. Sie hatte erwartet, dass hier ein Gemetzel stattgefunden hätte, aber stattdessen wirkte Lua ruhiger und ausgeglichener als jemals zuvor. „Du kannst ruhig rüber kommen, Kyria.“, erhob Lua plötzlich das Wort. Sie hatte also schon die ganze Zeit gewusst, dass sie da war. Unsicher ging Kyria auf sie zu und das erste, was sie sagen konnte, war: „Wer bist du?“ Lua´s Katzenaugen blickten sie freundlich an. „Lua, schon vergessen?“, dann trat ein freches Grinsen auf ihr Gesicht, dass Kyria leicht erröten ließ, da sie das zu sehr an Roona erinnerte. „Nein, was bist du? Noch nie hat sich eine Erwachte so verhalten wie du, ja nicht einmal dein Aura ist die einer Exile oder Yajuu.“ Lua blickte kurz zu den Kindern und sagte zu ihnen, dass sie kurz gehen sollten. Sie taten wie geheißen, auch wenn sie etwas traurig waren. „Sind sie nicht süß? Die Älteren hatten logischerweise erst Angst vor mir, aber sie scheinen wohl gemerkt zu haben, dass ich ihnen nichts tun will.“, lächelte Lua glücklich. Ich blickte Kyria direkt in die Augen. Sie wirkte völlig verwirrt und das konnte ich gut verstehen. Daher wollte ich es ihr so gut wie möglich erklären. „Das ich eine andere Aura habe, liegt daran dass ich keine Exile bin.“ „Und was bist du dann?“, fragte Kyria mich. Die Frage war nicht bösartig gemeint, sondern nur verwirrt. „Weißt du, was genau ich bin, ist mir selbst nicht genau bewusst. Ich bin etwas Neues, etwas Anderes. Unglücklicherweise kann ich mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich weiß, dass mein Vater ein Exile war. Meine Mutter hingegen war ein Mensch.“ „Das heißt also, du warst sozusagen von Geburt an ein halber Exile.“, stellte Kyria fest. „Ja, das ist richtig. Der Virus in mir muss wohl deswegen mutiert sein.“, stimmte ich ihr zu. „Hm, das erklärt wohl auch, wieso du dich so perfekt unter Kontrolle hast. Schließlich hast du dein ganzes Leben schon geübt dich zu kontrollieren.“ „Scheint so.“ Mir fiel auf, dass ich tatsächlich schon lange Zeit immer mal diese Anwandlungen gehabt hatte, dass ich Mordlust verspürte oder ähnliches. Ich konnte nicht leugnen, dass diese Gefühle auch jetzt noch da waren, aber ich wusste, dass ich sie fest unter Kontrolle hatte. Natürlich hatte ich das vorher nicht wissen können. Kyria begann plötzlich zu lachen. Ich blickte sie fragend an. „Sieh an, dann brauchst du meine Hilfe ja eigentlich gar nicht.“ „Das wusste ich vorher nicht.“, gab ich zurück. Aus irgendeinem Grund hatte ich nun ein schlechtes Gewissen deswegen. Kyria legte plötzlich ein Hand auf meine Schulter: „Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Ist doch umso besser, wenn du nicht Amok läufst.“ Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte mich aufmunternd an. „Weißt du, ich hatte recht, du bist kein Monster geworden. Man sagt die Gestalt, die man als Erwachter hat, egal ob Yajuu oder Exile oder was in dieselbe Richtung geht, spiegelt das Aussehen der Seele wieder. Du musst eine wunderschöne Seele haben, Lua.“ Ihre Worte erfreuten mich sehr. Vielleicht hatte sie zwar unrecht, aber im Moment wollte ich daran nicht glauben. Stattdessen fasste ich nun einen Entschluss. „Kyria, als du sagtest du wärest geschäftlich unterwegs, was genau hast du da gesucht? Ich würde dir gerne helfen dein Ziel zu erreichen.“, sagte ich zu ihr und das war mein voller ernst. Sie blickte mich mit großen Augen an: „Aber, ich dachte du willst so schnell wie möglich nach Hause zurück, wenn du dich wieder unter Kontrolle hast. Also könntest du es jetzt bereits tun.“ Ich seufzte: „Du hast recht, doch in meinem Inneren spüre ich einfach, dass es falsch wäre jetzt zu gehen. Natürlich sehne ich mich zurück und ja, ich mache mir auch große Sorgen, doch das hat jetzt einfach Vorrang.“ Kyria blickte noch immer verwundert drein, akzeptierte meine Entscheidung aber dankbar. „Ich suche jemanden.“, begann sie zu erzählen. „Wen?“, fragte ich. „Ihr Name ist Seraphis. Du musst wissen, dass sie die erste Exile ist, die je erschaffen wurde. Sie ist fast so was wie ein Geist, daher ist sie unheimlich schwer aufzuspüren.“ „Und wieso suchst du sie?“, fragte ich neugierig. „Nun, ich muss etwas ausholen, damit du es verstehst. Du hast doch sicher schon vom Tag der Schatten gehört, oder?“ „Ja.“, antwortete ich schlicht. „Gut. Seraphis hat uns allen damals sehr geholfen und speziell auch mir, musst du wissen. Sayo erwähnte ja bereits, dass Roona, meine damalige Partnerin, an jenem Tag verstarb. Danach war ich lange Zeit nicht mehr ich selbst. Seraphis war es damals, die mich wieder auf den rechten Weg gebracht hat. Ich hab den zweiten Platz der schwarzen Liste schließlich nicht umsonst bekommen.“ Ich nickte nur mit dem Kopf, denn ich fand es sehr spannend, was sie erzählte. „Vor etwa 70 Jahren hatte ich dann das erste Mal eine merkwürdige Vorahnung, die Seraphis betraf, doch damals ignorierte ich sie, da sie nur einmalig auftrat. Irgendwie scheinen ihr Geist und meiner auf irgendeiner Ebene miteinander verknüpft zu sein, sodass ich manchmal Dinge erahne, die sie betreffen. Dann war lange Zeit absolute Funkstille. Sie war wie vom Erdboden verschluckt, dass war aber nichts Neues und daher auch nicht weiter verwundernd für mich. Aber vor einigen Monaten begannen dann diese Stimmen.“ „Stimmen?“, fragte ich verwundert. „Ein Freund von mir, der Seraphis sehr ähnlich ist, hat mir mal erzählt, dass in ihrem Kopf unzählige Stimmen herumwüten. Normalerweise hörte ich nur ihr wahres Bewusstsein zu mir sprechen, wenn sie es getan hatte, doch ab da überfluteten mich diese unzähligen wirren Stimmen. Sie müssen wohl aus ihrem Unterbewusstsein kommen und ab da wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Seraphis selbst ist nicht mehr da, sie muss in Gefahr sein und nur ihr Unterbewusstsein scheint noch um Hilfe rufen zu können.“ Kyria schwieg kurz, dann sagte sie weiter: „Das ist der Grund für meine Reise. Ich versuche sie zu finden, nur leider hatte ich bis jetzt keinen Erfolg.“ „Können dir diese Stimmen denn nicht weiterhelfen?“, fragte ich sie. „Leider nicht, denn auch sie sind mittlerweile verstummt.“, antwortete sie betrübt. Aufmunternd legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, wir werden sie finden.“ „Danke.“, sagte sie leise und sah mich mit ihren giftgrünen Augen an. In Gedanken bat ich besonders Luca um Verzeihung, dass ich ihn weiterhin allein lassen würde, doch ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, seit Kyria mir von Seraphis´ Verschwinden erzählt hatte. Seraphis und ich waren uns irgendwo wohl ziemlich ähnlich, denn wir waren beide jeweils die ersten einer neuen Spezies gewesen… Kapitel 7: Luca´s Misere ------------------------ Luca seufzte erschöpft, als er sich endlich in sein Bett legen konnte. Wow, er hatte ganze zwei Stunden Schlaf, bevor er wieder zur Schule müsste. Lua war nun seit fast drei Monaten verschwunden. Er machte ihr zwar keine Vorwürfe, denn er wusste, wie es um sie gestanden hatte, doch es war nun unheimlich schwer die Kinder zu versorgen und nebenbei auch noch die Schule zu besuchen. Daher hatte er beschlossen, dass er mit den Halbjahresferien abbrechen würde, um sich noch einen Job zu suchen. Sicher, Lua hätte das nie gutgeheißen, aber was blieb ihm schon übrig? Doch neben den finanziellen Sorgen, plagten ihn auch die Kleinen. Luca hatte es nicht über´s Herz gebracht ihnen die Wahrheit zu erzählen und hatte daher behauptet, dass sie auf einer wichtigen Geschäftsreise war und wiederkommen würde, wenn alles erledigt war. Er wusste, dass das eine bescheuerte Lüge war, doch wahrscheinlich hoffte er ja, dass er selbst daran glauben würde, würde er es nur häufig genug wiederholen. Zum Glück glaubten die Kleinen ihm, vermissten Lua aber natürlich trotzdem. Manchmal weinte Tiara nachts und auch sonst schienen alle drei nicht mehr ganz so ausgelassen wie früher, aber sie gaben sich Mühe ihre Sehnsucht zu überspielen. Irgendwie war Luca stolz auf die drei. Er selbst fragte sich natürlich auch, was mit Lua war. Lebte sie überhaupt noch oder war sie mittlerweile zu einer der unzähligen Bestien geworden und tötete munter Menschen nur um selbst von einem Hunter getötet zu werden? Widerwillig schüttelte er den Kopf. Nein, Lua würde nie im Leben eine solch grausame Bestie werden, davon war er einfach fest überzeugt. Woher er diese Überzeugung nahm, war ihm jedoch schleierhaft. Luca ärgerte sich, denn mal wieder waren seine Gedanken zu durcheinander, als das sie ihn schlafen ließen und so klingelte sein Wecker noch bevor er ein Auge zu getan hatte. Mühsam kämpfte er sich aus dem Bett und packte seine Sachen zusammen. Dann schleppte er sich in die Küche und machte ein mageres Frühstück für die Kleinen. Als er fertig war, weckte er sie und so begann langsam ein Tag, wie jeder andere. Wie fast jeden Tag kam Luca zu spät zur Schule. Das lag daran, dass die Kleinen oft so sehr herumtrödelten, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffte. Doch heute würde dies schlimme Konsequenzen für ihn haben. Wutentbrannt verpasste sein Lehrer, der ihn sowieso nicht besonders leiden konnte, nachsitzen. Und das extralang. Obwohl Luca mit ihm diskutierte, dass das nicht ginge, weil er sonst zu spät zur Arbeit kam, gab dieser nicht nach und es kam wie es kommen musste. Auch wenn er rannte, hatte Luca keine Chance pünktlich zur Arbeit zu kommen. Da auch dies nicht das erste Mal war, beorderte sein Chef ihn wütend ins Büro. Es endete mit einer fristlosen Kündigung. Luca war verzweifelt. Es war so schwer gewesen allein diesen Job zu bekommen, weil niemand einen 14 jährigen haben wollte und die, die ihn nehmen wollten, bezahlten nur Magerlöhne. Es war zwar mittlerweile legalisiert wurden, dass Teenager ab 12 arbeiten durften, aber trotzdem wurde das in der Gesellschaft sehr kritisch beäugt und viele weigerten sich deswegen auch ihn einzustellen. Ethisch gesehen nicht schlecht, aber finanziell für ihn eine Katastrophe. Vor den Kleinen ließ sich Luca seine Wut und Verzweiflung nicht anmerken, aber innerlich kochte er. Wovon sollten sie jetzt leben? Wie sollte er vor allem die Medikamente bezahlen? Ohne Job und ohne Perspektive verfiel Luca in eine Depression. Nachts streifte er ziellos durch die Gassen und tagsüber ging er ebenso ziellos zur Schule. Das Halbjahr endete und die Ferien begannen. Niemand wollte Luca einstellen, selbst wenn er sich älter machte, als er war. Durch viel körperliche Arbeit sah er nämlich nicht unbedingt wie 14 aus und oft machte er sich zwei bis drei Jahre älter. Trotzdem hatte er einfach kein Glück. In Windeseile waren die letzten Ersparnisse, die Lua hinterlassen hatte, aufgebraucht. Lange konnte Luca es nicht mehr vor den Kleinen verheimlichen, die sowieso schon mitbekommen hatten, dass es immer weniger Essen gab. Doch sie beschwerten sich nie. Wieder einmal stromerte Luca durch die Nacht. Sein Innerstes fühlte sich leer und stumpf an. Es war wie eine Hülle, die all seinen Zorn und seine Verzweiflung unterdrückte. In irgendeiner breiteren Gasse endete sein Weg plötzlich. Das erste was er sah, war ein riesiger Schatten über sich. Dann landete er direkt vor Luca und gab den Anblick auf einen widerlichen und grotesk aussehenden Yajuu frei. Dieser lechzte nach Blut. Luca sah das erste Mal in seinem Leben dem Tod ins Auge. Wie jeder normale Mensch verspürte er Angst. Schweiß rann ihm die Stirn herab, da wurde er bereits gegen die nächstgelegene Wand geschleudert. Die Luft wich ihm aus den Lungen, als er zu Boden fiel. Er stützte sich auf die Arme und sah wie dieses widerliche Vieh langsam auf ihn zukam. Seine Fratze war zu einem breiten Grinsen verzogen. Lucas Gedanken drehten sich um die Kleinen. Wenn er auch noch verschwand, dann hätten sie niemanden mehr. Das konnte er nicht zulassen, das durfte er nicht zulassen! Da zersprang die Barriere, die sein Innerstes abgeschirmt hatte und all der Zorn, den er in sich hineingefressen hatte, entlud sich. Luca schnappte sich das Taschenmesser, was er immer bei sich trug und rannte in blinder Wut auf den Yajuu zu. Dieser nahm ihn jedoch nicht im Geringsten ernst und spielte nur mit ihm. Er holte mit seinem Schweif aus und versuchte Luca damit ein weiteres Mal zu erwischen, doch wie im Reflex sprang dieser ab, landete auf dem Schwanz des Yajuu und rannte dann weiter seinen Körper herauf bis zu seinem Kopf. Dann rammte er mit voller Wucht das Messer in eines der Augen des Yajuu. Die Bestie schrie in einem markerschütternden Ton und räkelte sich wild umher, sodass Luca weggeschleudert wurde. Unsanft prallte er auf dem Boden auf und rollte sich gerade noch rechtzeitig weg, bevor ein Schwanzhieb ihn zerquetscht hätte. Luca war extrem sportlich und das kam ihm nun zugute. Schnell schaute er sich um. Nicht weit von ihm lag ein abgebrochenes Metallrohr. Sein Ende sah sehr spitz aus. Luca raffte sich auf und rannte hinüber zu dem Rohr. Es war schwerer, als er gedacht hätte, aber er schaffte es dennoch es anzuheben. Der Yajuu schrie noch immer hasserfüllt und schlug wild um sich. Immer wieder musste Luca seinen Schlägen ausweichen, doch irgendwie gelang es ihm. Das Adrenalin in seinem Körper ließ ihn vergessen, dass mehrere tiefe Schnitte durch sein Fleisch ihn peinigten und dass mehrere Knochen verstaucht oder geprellt sein mussten. So kam er direkt vor der Bestie zum stehen. Als es ihn erblickte, stellte es sich auf die Hinterbeine und wollte ihn mit einer der Pranken zerquetschen, doch Luca war schneller. Er mobilisierte all seine verbliebenen Kräfte und rammte das Rohr so tief wie er nur konnte in dessen Brust. Blut spritzte umher und besudelte Luca von oben bis unten. Es störte ihn jedoch nicht. Sein Geist war wie leer gefegt. Seine gesamte Wut war verflogen und war nun einem Gefühl der eiskalten Gleichgültigkeit gewichen. Hätte er nicht irgendetwas spüren müssen? Angst? Wut? Ekel? Vielleicht sogar ein schlechtes Gewissen, denn schließlich hatte er soeben jemand ermordet? Aber da war nichts. Lucas blaue Augen funkelten fast schon dämonisch in dieser Nacht, während er sich langsam aufrichtete und dem keuchenden Yajuu beim Sterben zusah. Er sah, wie sich das Wesen langsam in einen Menschen zurückverwandelte und den Blick auf einen Jungen freigab, der nicht älter als er selbst sein konnte. Mit verzweifeltem Blick starrte der Junge Luca an. Er wollte nicht sterben, doch von seinem Mörder hatte er keinerlei Hilfe zu erwarten. Mit letzter Kraft, keuchte er: „Wer bist du…?“ Luca starrte ihn nur weiter kalt an. „Dein Mörder.“, war seine Antwort und als nun das letzte Leben aus den Lungen des Yajuu entwich und sich seine Augen trübten und für immer schlossen, da sah er schemenhaft, wie sich der Blick seines Mörders zu einem eiskalten und gefühllosen Lächeln veränderte. Luca keuchte. Was war da eben mit ihm passiert? Verzweifelt versuchte er sich das Blut vom Körper zu waschen. Nachdem er wieder zu sich gekommen war und er die Leiche vor sich gesehen hatte, war er weggerannt. Im Park hatte er nun versucht sich im Wasser des Sees das Blut abzuwaschen, aber egal was er tat, er fühlte sich einfach nicht sauberer. „Ich bin kein gefühlloser Mörder.“, stöhnte Luca verzweifelt. „Das bin ich nicht!“ Erneut tauchte er den Kopf unter Wasser. Als er den Blick wieder hob, erschrak er, denn er sah in der Spiegelung, dass jemand hinter ihm stand. Luca drehte sich zu dem Mann mittleren Alters um. Er trug einen Anzug und wirkte wie ein typischer Geschäftsmann. „Alle Achtung, so viel Talent hab ich schon lang nicht mehr gesehen.“ Luca blickte ihn noch immer verzweifelt, aber auch skeptisch an. „Wer sind sie?“, fragte er. „Oh entschuldige, mein Name Lucius van Serenberg. Ich kam nicht umhin, dass Spektakel von eben mit anzusehen.“ „Sie… haben mich gesehen?“, keuchte Luca erschrocken aus. „Oja und du mein Lieber hast Talent, sag ich dir.“, lächelte der Mann mit den dunklen Haaren, die bereits erste silberne Stellen aufwiesen. „Talent… wofür?“ „Na zum Töten natürlich.“, antwortete dieser, als wäre es das normalste auf der Welt. Luca stockte der Atem. „Ich habe von einem jungen Mann gehört, der verzweifelt nach Arbeit sucht. Ich schätze, da bin ich wohl an den richtigen geraten?“ Luca nickte zögerlich. „Ich bin Geschäftsmann, auch wenn mein Geschäft etwas speziell ist. Ich wäre bereit dir Arbeit zu geben und dich auch ausreichend dafür zu entlohnen, wenn du es möchtest.“ „Was für Arbeit?“, fragte Luca skeptisch. Der Mann lächelte siegesgewiss. „Ich bilde Auftragskiller aus. Egal ob für Menschen oder Monster, dass ist unser Geschäft.“ So etwas hatte Luca schon geahnt. Wie konnte dieser Mann ihm nur so ein Angebot machen? Luca sollte lieber auf der Stelle zur Polizei gehen und ihn anzeigen, doch er traute sich nicht, denn er wusste, dass dieser Mann gefährlicher war, als es den Anschein haben musste. „Meinen sie Hunter?“, fragte Luca, denn bis jetzt hatte er nur von ihnen als Mörder gehört, wenn auch nicht für Menschen. „Oh nein, um Gottes Willen, mit diesen Personen haben wir nichts zu tun. Als würde ich zulassen, dass meine kostbaren Assassine zu Monstern mit Chip im Kopf degradiert würden.“, schüttelte der Mann energisch den Kopf. Das zumindest war die Wahrheit, erkannte Luca. Er hatte nicht gewusst, dass die Hunter nicht menschlich waren, umso mehr schockte ihn diese Nachricht. „Ich werde ganz bestimmt kein Auftragskiller werden.“, sagte Luca nun bestimmt. „Das ist schade, denn du hast wirklich Talent.“, entgegnete ihm Lucius ehrlich bestürzt. „Das sagten sie bereits und ich will es nicht hören. Ich habe mich eben lediglich selbst verteidigt, nicht mehr und nicht weniger.“, sagte Luca zornig. „Red dir das nur ein.“, seufzte Lucius nun provozierend, doch Luca ließ sich nicht darauf ein. „Ich werde jetzt gehen.“, sagte er bestimmt und ging geradewegs an dem Mann vorbei. „Du kannst dein innerstes Wesen nicht leugnen. In dir schlummert ein Killer. Du kannst nicht leugnen, dass du Freude am Töten hattest.“ Luca weigerte sich jedoch anzuhalten oder irgendetwas darauf zu antworten. Niemals! Er schrie es in Gedanken, um sich selbst zu bekräftigen. Niemals würde er so etwas machen. … Die Tage vergingen und Luca verfiel noch tiefer in seine Verzweiflung. Das Geld war alle, die Essensvorräte aufgebraucht. Stehlen konnte er auch vergessen, denn dafür waren die Läden mittlerweile zu gut überwacht. Als die Kleinen heute Morgen in die Küche gekommen waren und nichts vorgefunden hatten, hatten sie einfach tapfer gelächelt und so getan, als wäre nichts dabei. Yara und Seth waren schnell wieder abgerückt, um ihre Sachen zu Recht zu suchen. Auch sie benahmen sich erwachsener in letzter Zeit. Luca wusste, dass es seine Schuld war, dass sie das Elend so sehr mitbekamen. Lua hatte es immer verstanden, diese Dinge gut zu verschleiern. Plötzlich spürte er, wie jemand an seinem Ärmel zog. „Tiara, was hast du denn?“, fragte er das kleine Mädchen mit den großen Augen. „Nicht traurig sein, Luca.“, sagte sie und blickte ihn an. Tiara hatte moosgrüne Augen und diese schienen die Natur selbst wiederzuspiegeln. Luca konnte nicht fassen, dass sie gerade versuchte ihn zu trösten, wobei sie doch die Jüngste hier war. Bevor er wusste war er tat, fiel er auf die Knie und sie umarmte ihn fest. „Alles wird gut. Tiara ist ganz tapfer. Alles wird gut.“, redete sie auf ihn ein. So klang doch keine 5 Jährige!, schrie er sich in Gedanken selbst an. Vorsichtig erwiderte er die Umarmung. Als sich Tiara wieder von ihm löste, strahlte sie ihn fröhlich und optimistisch an. Er wünschte sich, dass er auch etwas von diesem Optimismus haben könnte. Aber dafür wusste er einfach zu sehr, wie die Dinge wirklich standen. Dann half er ihr ihre Sachen für den Kindergarten zu packen und brachte die drei weg. Luca selbst war nicht wieder zur Schule gegangen, als das neue Halbjahr begonnen hatte. Was sollte er auch dort? Zumal er so wenigstens das Geld für Bücher und all das sparte. Fast schon apathisch durchstreifte Luca nun auch tagsüber die Stadt. Er fühlte sich wie ein Wanderer und hätte er die Kleinen nicht gehabt, hätte er wohl schon längst den Halt verloren… oder besser gesagt, komplett verloren. Er hätte nicht erwartet, dass Lua eine solch große mentale Stütze für ihn gewesen war. Jetzt da sie aber fort war, erkannte er es erst. Nun bemerkte er auch endlich, wo er sich überhaupt befand. Er stand mitten auf der großen Brücke, die auch Lua immer als sehr anziehend empfunden hatte. Vielleicht war er deswegen hierher gekommen, weil er an sie gedacht hatte. Er musste sich eingestehen, dass er sie auch vermisste, sogar noch mehr, als es die Kleinen taten, denn sie kannten ja die Wahrheit nicht. Luca lehnte erschöpft über dem Geländer und starrte in die Ferne. Nicht, dass es hier irgendetwas Sehenswertes gab. Er schob eine Hand in die Hosentasche und zuckte plötzlich zurück, als er auf eine Visitenkarte stieß. Ihm fiel auf, dass er heute dieselbe Hose trug, die er auch an jenem Tag angehabt hatte. Luca hatte gar nicht bemerkt, dass Lucius ihm das Ding untergeschoben hatte. Das machte ihn etwas wütend, weil er so unachtsam gewesen war. Schließlich sah er darüber hinweg und wandte sich der Karte zu. Die Visitenkarte war schwarz. Auf ihrer Rückseite war ein Logo zu sehen, dass ihn an eine ineinander geschlungene Rose erinnerte und auf der Vorderseite standen die Kontaktdaten. „Lucius van Serenberg…“, las Luca leise vor sich hin. Er erinnerte sich nicht gerne an jenen Tag zurück, doch vor seinem inneren Auge hatte er den Mann wieder vor sich. Dort stand auch eine Adresse. Gedankenverloren starrte Luca auf die Karte. Dann rümpfte er die Nase und schleuderte das Teil über die Brücke. Sie glitt langsam Richtung Boden, bis Luca sie nicht mehr sehen konnte. Dann verließ er die Brücke. Kapitel 8: Willkommen daheim ---------------------------- Ich seufzte unglücklich aus. Hier hatte sich ja wirklich gar nichts verändert. Nach nun fünf Jahre war ich in meine Heimatstadt zurückgekehrt und alles war wie früher… so trist wie immer. Warum wir überhaupt hier waren? Vor einigen Tagen hatte Kyria einen Albtraum gehabt. Als sie schließlich schweißgebadet aufgewacht war, hatte sie mir erzählt, dass sie Seraphis´ Aura im Traum gespürt hatte. An den Traum selbst konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber ein Bild war ihr im Gedächtnis haften geblieben und das war der Ausblick, den man sah, wenn man von der Spitze der Brücke aus in die Stadt blickte. Obwohl ich extrem nervös war wieder hier zu sein, wusste ich, dass es nötig war. Seraphis musste also hier sein. Ich verband nicht gerade glückliche Erinnerungen mit diesem Ort. Auch die Aussicht, dass wir Sayo wieder sehen könnten, trug nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte. Kyria ging es da nicht anders. Naja dann eben geteiltes Leid ist halbes Leid, dachte ich mir. Kyria und ich beschlossen uns aufzuteilen und uns erst am Abend wieder hier zu treffen, um uns über die Ergebnisse auszutauschen. Rückblickend betrachtet, war das echt ein Fehler gewesen, denn bevor ich es realisiert hatte, hatten mich meine Füße schon zu meinem alten zu Hause getragen. Auch hier sah alles noch so aus wie früher. Ich dachte an die Kleinen und an Luca. Sie mussten es sehr schwer gehabt haben, doch sie mussten noch immer hier wohnen, denn mein Nachname stand noch am Türschild. Ich überlegte, wie alt sie nun alle sein mussten, Tiara würde 10 Jahre alt sein, die Zwillinge mussten gerade 15 geworden sein und Luca musste mittlerweile schon 19 sein. Ich seufzte erneut, als mir klar wurde, dass er nun so alt war, wie ich zu der Zeit, als ich sie verlassen hatte. Wieder stiegen Schuldgefühle in mir hoch, noch schlimmer als zuvor. Zum Glück war es mitten am Tag, alle mussten noch in der Schule oder an der Arbeit sein. Da ich keinen Zeitdruck verspürte, setzte ich mich auf einen großen Findling, der gegenüber meiner Haustür lag und starrte einfach das Haus an. Vorbeikommenden Leuten musste das sicherlich merkwürdig vorkommen, aber es kam sowieso niemand hier entlang. So versank ich immer mehr in meiner Gedankenwelt. Ich versuchte mir auszumalen, wie wohl alle heute aussahen und wie ihre Leistungen in der Schule waren. Dann erinnerte ich mich zurück an die glücklichen Zeiten, die ich mit allen erlebt hatte und verfiel in eine melancholische Stimmung. Die Zeit verstrich ohne dass ich es wirklich bemerkte. Erst ein dumpfes Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute auf und erstarrte zur Salzsäule. Auf der anderen Straßenseite lag eine Tasche auf dem Boden. Ein paar Lebensmittel kullerten heraus, aber der Besitzer des Beutels machte keinerlei Anstalten ihn aufzuheben. Stattdessen starrte mich das junge Mädchen mit den moosgrünen Augen fassungslos und ungläubig an. Sie hatte ihre schokoladenbraunen Haare zu zwei geflochtenen Zöpfen gebunden und trug eine Schuluniform. Es war keine Pflicht sie zu tragen, aber es gab eben eine in dieser Stadt. Ich hatte das seit jeher als merkwürdig empfunden. Tiara zwang mich aber, ihr wieder meine Aufmerksamkeit zu widmen, als sie leise meinen Namen flüsterte. Ein normaler Mensch hätte es mit Sicherheit nicht verstanden, aber ich war ja kein Mensch mehr. Am liebsten hätte ich mich einfach in Luft aufgelöst, aber das brachte selbst ich nicht fertig. Unsicher erhob ich mich und suchte nach den richtigen Worten, wenn es denn überhaupt welche gab. „Tiara… ich…“, begann ich zaghaft, doch da stürmte sie bereits auf mich zu und fiel mir um den Hals. Ich sank auf die Knie und fühlte mich plötzlich so schwach wie nie zuvor. „Es tut mir schrecklich leid.“, war alles was ich hervorbrachte. Wirklich, in diesem Moment drohte mein schlechtes Gewissen mich innerlich zu zerfleischen. Doch sie schüttelte nur mit dem Kopf und brachte mich damit zum Schweigen. „Das ist egal. Hauptsache ist, dass du wieder da bist.“, schluchzte sie unter einem Schwall Tränen. Da merkte ich, dass auch mir Tränen über die Wange liefen und so hockten wir da auf der Straße und schluchzten gemeinsam. Musste ein wirklich dämliches Bild abgegeben haben, dachte ich später. Aber in diesem Moment war dies alles egal und nichts zählte. Eine Weile später hatte es Tiara geschafft mich ins Haus zu zerren. Eigentlich sträubte sich alles in mir dagegen, aber ich konnte einfach nicht anders, als zu tun, was sie von mir verlangte. Das war ich ihr schuldig, raunte es in mir. Erstaunt stellte ich fest, dass auch drinnen sich eigentlich nichts verändert hatte. Die Möbel sahen zwar mitgenommener aus, als noch vor fünf Jahren, aber das war ja logisch. Tiara machte uns beiden einen Tee und wir setzten uns in der Stube auf die Couch. Wenigstens war genug Essen im Haus, stellte ich erleichtert fest und auch andere Dinge wie Kleidung und Kosmetika waren ausreichend da. Sogar mehr, als ich von meinem Lohn hatte kaufen können. „Lua du musst mir alles erzählen! Wie war denn deine Geschäftsreise? Du musst sicher viel erlebt haben.“, Tiara war neugierig wie immer. Eine Geschäftsreise also… damit hatte Luca mein Verschwinden wohl erklärt. Ich an seiner Stelle hätte die Wahrheit aber wahrscheinlich auch nicht fertig gebracht. Wobei ich mich schon wunderte, wie er diese Lüge 5 Jahre hatte bestehen lassen können. Und so richtig gelogen, war das ganze ja auch nicht, denn Kyria und ich waren ja tatsächlich gereist. Nur das ich dafür kein Geld verdient hatte. Ich versuchte also Tiara von meinen Reisen zu erzählen so gut es ging und dabei so wenig wie möglich lügen zu müssen. Ich erzählte ihr vom hohen Norden und vom warmen Süden, dem Meer, den Bergen, von all den Orten die besonders in der Erinnerung geblieben waren. Tiara lauschte fasziniert. Sie selbst war ja noch nie aus dieser Stadt herausgekommen, da ich nie eine Reise hätte bezahlen können. Schon bald hatte ich mein Ziel erreicht und Tiara fragte mehr zu den Orten an denen ich war, als darüber zu fragen, was ich dort eigentlich gemacht hatte. So musste ich nicht mehr lügen und das beruhigte mein ohnehin schon gereiztes Gewissen ein wenig. Gerade erklärte ich ihr etwas über die Hochweiden an denen wir entlang gewandert waren, als die Tür aufgeschleudert wurde und ein völlig gehetzter Yara in die Stube kam. Auch er trug die typische schwarze Schuluniform, aber er sah mitgenommen aus. Erstaunt stellte ich fest, dass er mittlerweile einem Punker ähnelte. Yara hatte wie sein Bruder blaugrüne Augen und dunkelbraune Haare, die fast schwarz waren. „Tiara, ist Luca schon da? Schnell er muss...!“, da stockte er, als sein Blick von Tiara zu dem Besuch wanderte und als er mich erkannte, die Augen erschrocken aufriss. Er fiel mir nicht um den Hals, dass hatte ich auch nicht erwartet, doch es überraschte mich, dass auch er mich nicht hasserfüllt oder abstoßend anblickte, sondern einfach nur glücklich. „Lua…“, war alles war er herausbrachte. „Ist es nicht toll, dass sie wieder da ist.“, rief Tiara aufgestachelt, sprang auf und tänzelte im Raum umher. Aber Yara´s Lächeln verflog schnell wieder, als in seine Erinnerung zurückkam, weswegen er eigentlich heimgehetzt war. Er packte Tiara leicht an den Schultern, um sie zu stoppen und fragte nachdrücklicher als eben: „Weißt du wann Luca wiederkommt? Hat er irgendetwas zu dir gesagt?“ Tiara schüttelte den Kopf: „Nein, ich weiß nicht wann er wiederkommt. Wieso? Was ist denn los? Sind Seth und du wieder in Schwierigkeiten?“ Nun klang auch sie besorgt. Da wurde auch ich hellhörig. Jetzt war mir auch klar, warum er so fertig aussah. Yara musste sich geprügelt haben und die Tatsache das Seth nicht dabei war, konnte nur heißen, dass nur Yara entkommen war, um Hilfe zu holen. Wie es schien, musste Luca den beiden öfter mal aus der Patsche helfen. Ich fragte mich, was er davon hielt. „Wo ist Seth denn gerade?“, fragte ich Yara. „Ähm…“, stotterte er. „Nun sag schon.“, drängte ich. „Wir waren auf dem Hinterhof von der alten Kneipe…“, rückte er langsam mit der Sprache raus. Ich wurde ungeduldig, aber das reicht mir bereits, denn ich wusste wo das war. „Gut.“, sagte ich und schon sprintete ich aus dem Raum. „Hey warte, du willst doch nicht allein dahin! Das ist eine ganze Gang von denen und die sind nicht normal!“, rief er mir besorgt hinterher. Ich fragte mich, was er damit meinte, dass sie nicht normal waren, verlangsamte mich aber nicht, um darüber nachzudenken. Auch Yara hechtete hinter mir her zurück zu der Kneipe, aber ich war schneller als er. Schon von weitem hörte ich ihr Gelächter und das Geräusch von Schlägen und Tritten. Seth schien ganz schön heftig malträtiert zu werden. Das machte mich zornig. Als ich den Hinterhof schließlich erreichte, bot sich mir ein schreckliches Bild. Seth lag zusammengeschlagen auf dem Boden und wurde nur noch mehr verprügelt. Er sah sehr benommen aus und war auch nur noch so halb bei Bewusstsein. „Tja, dank deinem Bruder, dass er dich einfach im Stich gelassen hat. Jetzt musst du eben die Strafe für beide ertragen.“, erklärte einer der Typen großschnäuzig, „Yara würde mich nie im Stich lassen.“, keuchte Seth angestrengt. Damit fing er sich nur noch einen Tritt ein. Er keuchte schmerzerfüllt auf. Ich fragte mich, was der Grund für diese Attacke war, aber erst einmal mussten diese Kerle gestoppt werden. „Wer soll denn kommen, um dir zu helfen? Schickt ihr wieder Luca vor? Sollte der kommen, dann kann er sich auf was gefasst machen. Dieses Mal sind wir vorbereitet.“, lachte ein anderer. „Luca wird nicht kommen. Ich habe gehört, dass er den ganzen Tag auf Arbeit ist heute.“, sagte wieder ein anderer. Sie hatten also genau abgepasst, wann die beiden ungeschützt waren. „Scheint so, als würde Luca heute tatsächlich mal nicht kommen.“, mischte ich mich schließlich ein. Wütendem Blickes näherte ich mich dieser Gang. „Wer bist du denn? Hey Seth, lasst ihr euch jetzt schon von Weibern retten?!“, spottete der vermeintliche Anführer der Gruppe bösartig und arrogant. Die Typen bauten sich nun wie eine Wand vor mir auf und starrten mich von oben bis unten an. Ihre Aura war merkwürdig, irgendwie waren sie wirklich nicht normal, da hatte Yara recht gehabt. Noch konnte ich jedoch nicht herausfinden, was genau sie so merkwürdig machte. „Pass auf Mädel, halte dich lieber hier raus oder es ergeht dir genauso wie ihm.“, damit deutete der Kerl auf den am Boden liegenden Seth. Dieser schien gerade ohnmächtig geworden zu sein. Als ich mich nicht rührte, packte mich der Typ plötzlich an der Kehle. Er drückte nicht fest zu, aber die Drohung war unübersehbar. „Glaube nicht, dass ich einem Weib nichts tun würde. Ein bloßer Mensch steht weit unter mir und das gilt auch für ein Menschenweib.“ Nun wurde mir schlagartig klar, warum die Auren die Typen so sonderbar gewesen waren. Der mutierte Arm an meiner Kehle unterstrich das ganze nur. „Ihr seid halbe Yajuu.“, stellte ich fest. „Genau. Wusstest du, dass, wenn man nur je eine halbe Tablette nimmt, dass man dann zum Yajuu werden kann wie man will und trotzdem noch absolut die Kontrolle über die Taten behalten kann?“, lachte er aufgekratzt und riss die Augen auf. Er lag falsch. Sicherlich hatte er zwar noch die Kontrolle über seine Taten, aber ich war mir ziemlich sicher, dass die Instinkte des Yajuu in ihm langsam seinen Verstand umnebelten. Diese senkten die Hemmschwelle der Menschen hier und ließ sie, ohne dass sie es bemerkten, immer mehr zum Yajuu werden. „Wie erbärmlich.“, dachte ich laut und daraufhin verstärkte sich sofort der Druck um meine Kehle. „Was hast du da gerade gesagt?!“, brüllte er mich zornig an. Nun reichte es mir. Ich hatte diese Trottel genug ertragen. „Lua!“, rief es hinter mir. Yara hatte mich gerade eingeholt und blickte nun entsetzt auf die Szene, die sich ihm bot. Da er recht weit entfernt war und ich mit dem Rücken zu ihm stand, konnte er zum Glück nicht sehen, was nun folgte. Langsam hob ich eine Hand und umgriff das Handgelenk des Typen, der noch immer meine Kehle umschlossen hielt. Erst drückte ich nur leicht zu. „Oh was nun? Soll mir das etwa Angst machen?“, spottete er. Dann blickte ich ihm in seine Augen. „Hör mir gut zu, wenn ich wollte, würdet ihr binnen weniger Sekunden in handlichen Portionen zerhackt, den Rasen schmücken, aber ich ziehe es vor, mich nicht auf solch niederes Niveau begeben zu müssen.“ Ich ließ einen Teil meiner Aura frei und spürte wie die Angst ihn durchflutete, als er in meine glühenden Augen blickte. „ Ich habe viel Geduld, doch ich an eurer Stelle würde diese nicht überstrapazieren.“, fügte ich nun hinzu. Schweiß trat auf seine Stirn, auch vor Schmerz, denn mittlerweile übte ich einen solch großen Druck auf seine Hand auf, dass diese bald brechen würde, wenn ich ihn noch etwas mehr verstärkte. Er versuchte sich von mir zu lösen, aber ich ließ ihn noch nicht. „Haben wir uns verstanden?“, fragte ich ihn nachdrücklich. „Ihr werdet die beiden ab sofort in Ruhe lassen.“ „M… Monster.“, wimmerte er schon fast, „L… Lass mich gehen, wir haben verstanden.“ Einen Moment verharrte ich noch so. „Ganz recht, ich bin ein Monster, also macht dass ihr wegkommt.“, drohte ich ein letztes Mal. Dann ließ ich ihn los und so schnell es ihre Beine ihnen erlaubten, machten sich die Typen aus dem Staub. Yara starrte mich großen Augen an. „Wie hast du das denn hinbekommen, Lua? Das war ja Wahnsinn, so hab ich die noch nie erlebt!“ Wir befanden uns gerade auf dem Heimweg, denn Yara meinte, dass Seth und er keinen Arzt brauchen würden. Tiara kannte sich wohl mit Krankenpflege aus. Ich schüttelte entnervt den Kopf. Seth war mittlerweile wieder zu sich gekommen und auch wenn er noch benebelt war, erkannte er mich wieder. „Danke, dass du mir geholfen hast.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein lauteres Flüstern, aber zu mehr war er im Moment wohl nicht fähig. „Schön, dass du wieder da bist.“, sagte er noch, dann schwieg er den Rest des Weges. Von Yara erfuhr ich, was überhaupt der Grund für diese Attacken war. Er erzählte mir, dass diese Gang die Schule terrorisierte, aber da Yara und Seth sich weigerten sich unterzuordnen, bezogen sie regelmäßig Prügel. „Tja, da kann man nichts machen. Luca muss uns ständig helfen, aber würden wir auch nur die halben Tabletten nehmen, würde uns Luca wohl eigenhändig den Hals umdrehen.“, scherzte Yara. Das konnte ich verstehen, denn ich an Luca´s Stelle würde da wohl sicher ähnlich reagieren. Kapitel 9: Katzenjammer ----------------------- Daheim angekommen, schleppte Yara seinen Bruder auf die Couch in der Stube. Er hatte Recht gehabt und verwundert sah ich zu, wie Tiara die beiden geradezu fachmännisch versorgte. Nur wenig später schlief Seth erschöpft und einbandagiert ein. Zum Glück sahen die Verletzungen schlimmer aus, als sie eigentlich gewesen waren. Wir zogen uns unterdessen in die Küche zurück. Nun fragte mich auch Yara über meine Abwesenheit aus, aber viele Fragen konnte Tiara für mich beantworten. Einiges schmückte sie dabei aus und machte es viel aufregender als ich es ihr eigentlich erklärt hatte, aber es war schön ihr wieder zuhören zu können. Schon damals hatte ich gerne ihren Geschichten gelauscht, da sie alles immer so erzählen konnte, als wäre es das tollste auf der Welt, selbst wenn sie nur ein Nudelbild gebastelt hatten. Irgendwann fiel mein Blick auf die Uhr. Die Sonne war bereits vor einiger Zeit untergegangen und es wurde höchste Zeit, dass ich zu Kyria zurückkehrte. Außerdem konnte Luca jeden Moment zurückkommen und um alles in der Welt wollte ich verhindern, dass ich ihm gegenüber stand. „Was? Du willst wieder gehen? Aber wieso kannst du denn nicht bleiben. Das ist doch dein zu Hause!“, protestierte Tiara aufgebracht und trotzig. Es fiel mir schwer ihr standzuhalten. „Naja ich kann leider nicht bleiben, denn ich hatte heute nur… Urlaub, genau und ich muss wieder weiter.“, versuchte ich ihr zu erklären. „Das ist doch ein blöder Boss, wenn der dich sooft fort schickt. Kannst du nicht was anderes machen und hier bleiben?“, hielt sie mir entgegen. „Das geht leider nicht so einfach.“, sagte ich mit einem Anflug von Verzweiflung. „Kommst du uns dann wenigstens öfter besuchen?“, fragte nun Yara, um das Gespräch zu meinen Gunsten zu lenken. Er war zum Glück schon alt genug, um solche Dinge zu verstehen, auch wenn er die wahren Hintergründe nicht kannte. „Ganz bestimmt.“, log ich, denn ich hielt es für keine gute Idee hier wieder aufzutauchen. Tiara war noch immer trotzig, aber sie konnte nichts mehr entgegensetzen. „Du hast ja Luca gar nicht wieder gesehen. Er wäre bestimmt auch froh, dich zu sehen.“ Das glaube ich allerdings nicht, dachte ich unterdessen. „Das nächste Mal klappt es bestimmt.“, erzählte ich ihr, um sie zu beruhigen. Das dieser Gedanke in mir in Wahrheit Panik ohne gleichen hervorrief, überspielte ich natürlich bewusst. Ich hatte mich mittlerweile bis zum Flur durchgekämpft, als ich nun schon zum zweiten Mal heute zur Salzsäule wurde. An die Eingangstür gelehnt und mit dem üblich kühlen Blick, den er scheinbar in der Zwischenzeit perfektioniert zu haben schien, schaute er mich an. Was hätte ich in diesem Moment nicht dafür gegeben ein paar Yajuu zu verdreschen, anstatt dies ertragen zu müssen. Wäre ich nicht eh schon blass gewesen, wäre ich nun glaub ich als Geist durchgegangen. Luca hatte sich mehr verändert als die anderen drei alle zusammen. Er trug einen Undercut, aber die oberen Haare waren noch lang genug, dass sie durcheinander wuschelten. Das Ganze hatte er ein bisschen stachelig nach hinten gegelt. Seine Ohren waren je mehrfach gepierct, der Ohrring, den ich ihm geschenkt hatte, war auch dabei. Einen Dreitagebart, der sich das Kinn entlang zog, trug er auch. Dann stellte ich erschrocken fest, dass eine lange, schmale Narbe sich von seinem rechten Unterkiefer über die Nase bis kurz vor sein linkes Auge zog. Musste schon länger her sein, aber die Tatsache, dass er sich so verletzt hatte, ließ etwas in mir zusammenzucken. Dann wanderte mein Blick weiter. Luca war ziemlich muskulös und durchtrainiert. Sein schwarzes Hemd lag recht eng an und so konnte ich sehen, dass er seine Muskeln angespannt hatte. Allgemein trug er nur schwarze Sachen, wie mir auffiel. Luca hatte nichts gesagt, während ich ihn beobachtet hatte, doch nun erhob er endlich das Wort. „Scheint als hättest du den Zwillingen wohl aus der Patsche geholfen.“, sagte er kühl. Es war schmerzlich mit welcher Distanz er mit mir sprach, nachdem die anderen mich so liebevoll aufgenommen hatten. Aber was erwartete ich auch. Was ich ihm angetan hatte, konnte ich nie wieder gutmachen. „Luca, Luca! Ist es nicht toll, dass sie wieder da ist.“, rief Tiara fröhlich auf. Unmerklich verengten sich seine Augen ein Stück, aber die anderen sahen dies nicht. „Äh, ich muss jetzt wirklich los.“, stotterte ich und setzte mich in Bewegung. Luca rückte keinen Zentimeter zur Seite und so musste ich genau an ihm vorbei. Seine Nähe war mir unerträglich. Ich wurde rot, doch zum Glück war es bereits zu dunkel, um Menschenaugen das noch sehen zu lassen. Die kühle Nachtluft klärte meinen Verstand wieder ein wenig. Unwillig drehte ich mich noch einmal um. „Auf wieder sehen.“, sagte ich so fröhlich wie möglich. „Tschühüs!“, rief Tiara mir mit ehrlicher Freude hinterher, „Und komm bitte bald wieder.“ Auch Yara winkte mir, nur Luca sah mich weiterhin vernichtend an. Eilig drehte ich mich um und ging meines Weges. … „Nie wieder!“, rief ich laut aus, als ich schon etliche Straßen weiter war und mich auf zu dem Treffpunkt mit Kyria machte. Das Ganze war mir so unangenehm. Wieso nur, hatte ich auch solange meine Zeit dort verbracht? Das wovor ich die meiste Angst gehabt hatte, war eingetreten. Ich glaubte, Luca´s Blick würde ich so schnell nicht wieder vergessen können. In meinen Gedanken versunken, bog ich in die nächste Gasse ein. Ich seufzte und blieb stehen. Meine Arme in die Luft gestreckt, versuchte ich endlich einen kühleren Kopf zu bekommen. Als das nichts half, gab ich auf und ließ sie einfach zurück schwingen. „Meine Güte, wer hätte gedacht, dass du dich kein Stück verändert hast.“, ertönte es plötzlich hinter mir und ich erstarrte blitzartig. Seit über fünf Jahren war es niemanden mehr gelungen sich an mich heran zu schleichen, doch da war er. Genau jetzt und ich hatte nicht einmal eine Sekunde den Verdacht geschöpft, dass er mir gefolgt war. Langsam drehte ich mich um und war abermals gezwungen in diese tiefblauen Augen zu blicken. Mir fehlten die Worte. „Du bist also wieder in der Stadt. Eine kleine Memo wäre vielleicht angebracht gewesen, meinst du nicht?“, fragte er mich. Dieser beißende Sarkasmus war neu für mich. „Entschuldige… ich hatte eigentlich nicht vor wiederzukommen.“, gab ich zu. Seine Miene regte sich keinen Zentimeter. Er war so schwer einzuschätzen, wie eh und je. Und trotzdem war er anders. Seine ganze Aura schien verändert, nicht dass ich vorher seine Aura hatte lesen können, aber meine Intuition sagte es mir und diese irrte sich selten. „Da du noch lebst, nehme ich an, dass du ein Exile geworden bist.“, stellte er nüchtern fest. Ich zögerte. „Was macht dich da so sicher? Ich könnte auch ein Yajuu sein…“ Luca atmete aus und dabei entfuhr in ein kurzes Lachen. Es kam nicht von Herzen, sondern klang fast schon deprimiert. „Ich weiß die beiden gut zu unterscheiden, Lua. Das kannst du mir glauben.“ Und ich glaubte ihm. Da kam zum ersten Mal die Frage in mir auf, was er genau tat, um Geld zu verdienen, jedoch traute ich mich nicht, ihn das zu fragen. „Außerdem, wärst du eine Yajuu, dann würde sich vor mir nur noch ein grotesker Schatten deines ehemaligen Antlitzes zeigen, doch du hast dich kein bisschen verändert.“, fügte er plötzlich hinzu. Ich wusste nicht, wie ich mit seinen Worten umgehen, wie ich sie interpretieren sollte. „Wie lange wirst du bleiben?“, riss er mich aus den Gedanken. „Das weiß ich noch nicht.“, antwortete ich wahrheitsgemäß, wenn auch unsicher. „Ähm… Ich sollte jetzt wirklich verschwinden. Ich habe dir wirklich schon genug Unannehmlichkeiten bereitet.“, stotterte ich und wandte mich zum gehen um. Wieso brachte er mich nur so aus der Fassung? Plötzlich spürte ich einen Druck an meinem Arm und bevor ich es realisierte, wurde ich herumgerissen und gegen eine Wand gedrückt. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf ging, wieso zum Teufel konnte mich ein Mensch so leicht herumschubsen? Luca musste um einiges stärker sein, als ich bis jetzt angenommen hatte. Meine Gedanken wurden jedoch jäh zerstreut, als ich seine Lippen auf meinen spürte. Ich spürte regelrecht, wie die Röte sich in meinem Gesicht ausbreitete und mich zum Hydranten werden ließ. Luca´s Geruch umnebelte meine Sinne und ließ mein Herz plötzlich höher schlagen. Schließlich löste er sich von mir und trat einen Schritt zurück. Sein Blick war unverändert kalt, was mir einen Stich ins Herz versetzte. „Was sollte das?“, fauchte ich verwirrt. Wieso war ich jetzt wütend? Ich verstand mich selbst nicht mehr. Luca durchbohrte mich noch immer mit seinen Augen, als würde er in mir lesen wie in einem offenen Buch. Ich begann mich ernsthaft zu fragen, was für ein Bild er von mir hatte, aber er würde mir sowieso keine Antwort geben. „Wolltest du nicht gehen?“, fragte er mich plötzlich und meine Gesichtszüge entglitten mir. „Was ist nur los mit dir?“, entfuhr es mir plötzlich. Sollte er mich doch ignorieren, aber das was er da gerade abzog, ließ meinen Zorn ganz schön aufflackern. Wie üblich antwortete er mir nicht. Das reichte nun aber wirklich. Ich machte auf der Stelle kehrt und stapfte Richtung Park davon. Ich glaubte, dass er mir nicht folgte. Irgendwann konnte ich nicht mehr länger und blieb stehen. Ich krallte die Hände in meine Haare und seufzte entnervt gen Himmel. Was war das nur für ein Tag gewesen? Was zum Geier stimmte mit Luca nicht und wieso um alles in der Welt war ich sowieso nach Hause zurückgekehrt? Ich schüttelte den Kopf wild umher und versuchte mich endlich zu beruhigen. So konnte ich doch nicht zu Kyria zurück, sie würde mich doch als völlig durchgeknallt einstufen. Meine Sinne klärten sich schlagartig, als etwas auf mich zuraste. Ich wollte ausweichen, doch der Brunnen, an dem ich stand, hinderte mich daran. So fiel ich halb ins Wasser, entkam aber einer größeren Verletzung. „Was zum Teufel war das?“, entfuhr es mir lauter als ich wollte. Die Frage beantwortete sich von selbst, als vier Katzenyajuu vor mir landeten. „Wir haben die Order die Exile zu eliminieren, die mit der Nummer 2 der schwarzen Liste, Kyria, die Stadt betreten hat.“, rasselte einer von ihnen seinen Text hinunter. Sayo wusste also bereits, dass wir da waren. Das konnte ja nur bedeuten, dass auch Kyria gerade in einen Kampf verwickelt wurde. Ich musste so schnell wie möglich hier fertig werden und ihr helfen. Ich ließ einen Teil meiner Aura frei, meine Augen begannen zu glühen und meine Haare wogten fast schon lebendig umher. „Dann kommt doch!“, forderte ich sie auf. Die Katzen sprangen los und auch ich startete meinen Angriff. Ich sah zu, wie sie mitten in der Luft stehen blieben und wütend fauchten. Im faden Mondlicht konnte man auch den Grund dafür erkennen. Ich war in der Lage einzelne Haare ähnlich wie hauchdünnen Drahtfäden zu spannen. Sie konnten fast alles durchtrennen, was ich wollte und gehorchten meinen Befehlen. Eigentlich hatte ich geplant, dass die Drähte die Katzen einfach bewusstlos würgen sollten, doch ich hatte mich verrechnet. Es gab kaum Dinge, die meine Haare durchtrennen konnten, denn sie hielten, ähnlich Spinnenfäden, ein Vielfaches meines Gewichtes aus. Die Krallen der Katzen vermochten es jedoch die Fäden zu durchtrennen, als sie bemerkt hatten, worin sie sich verfangen hatten. Ich knirschte mit den Zähnen. Jetzt hatte ich wohl doch ein kleines Problem. Der nächste Angriff folgte sofort. Dieses Mal konnte ich aber ausweichen. Ich sprang in die Luft und landete auf der Spitze des Brunnens. Zum Glück war das Teil stabil genug, um mich auszuhalten. Ich wurde dazu gezwungen wieder zur Seite auszuweichen, als die nächste Katze auf mich zu sprang. Sie waren wie eine gut abgestimmte Maschine. Immer wenn ich auswich, griff eine andere sofort die neu entstandene Lücke an und zwang mich so immer weiter in die Defensive. Das machte mich zornig, zumal mir die Zeit davon lief. Ich befand mich gerade in der Luft, als sie mich auf einmal von allen Seiten attackierten. Irgendwie fehlte mir hier eindeutig der Fluchtweg. In letzter Sekunde gelang es mir, mich von der Katze vor mir abzustoßen und ein Stück weiter zu kommen, doch zwei andere Katzen folgten meinem Beispiel und so war ich sofort wieder unter Beschuss. Lange konnte ich diesen Tanz unmöglich noch weiterführen. Ich hätte mich zwar verwandeln können, aber ein Gefühl in mir sagte mir, dass dies nur noch mehr schaden würde. Nun benutzte ich eines der Haare und stieß mich von diesem ab, um dem nächsten Angriff auszuweichen. Dies funktionierte einige Male bis die Katzen abermals ihre Taktik wechselten. Schlau waren sie, dass musste ich zugeben. Ich landete gerade auf einem Draht, so nannte ich die gespannten Haare meist, als dieser zerriss und ich unsanft auf den Boden knallte. Die Katzen kappten nun alles, was ich als Hilfe benutzen konnte. Mir gingen die Optionen aus. Ungeschickt tappte ich einige Schritte nach hinten, als die Katze vor mir mich beinahe mit ihren Klauen erwischt hätte, nur um festzustellen, dass auch hinter mir eine stand. Es war echt schwer die einzeln zu orten, da ihre Auren irgendwie das gesamte Areal einnahmen. Ich sah die Klaue auf mich zurasen, doch ich hatte mein Gleichgewicht noch nicht wieder gefunden und daher war auch ausweichen unmöglich. In Gedanken nahm ich die Verletzung schon hin. Umbringen würde sie mich eh nicht. Auf einmal zog mich etwas mit Leichtigkeit zur Seite weg und fing mich dann auf, als ich zu fallen drohte. Noch bevor ich ihn sah, erkannte ich, wer mir da geholfen hatte. Ich stieß mich reflexartig von ihm ab und starrte ihn fassungslos an. „Luca, was machst du hier! Du musst hier abhauen, die haben keine Skrupel auch Menschen zu töten.“, versuchte ich ihm klarzumachen, doch er blickte die Katzen nur eiskalt an. Er analysierte die Lage. „Dein Glück, dass du dich nicht verwandelt hast, Lua. Sonst hättest du hier weitaus mehr Probleme als nur vier von denen. Eine Horde ist nämlich grad Richtung Brücke aufgebrochen.“, sagte er plötzlich. Meine Intuition hatte mich also wirklich nicht getäuscht. „Da du hier im Moment recht nutzlos bist, werde ich mich mal um die hier kümmern.“, erklärte er mir beifällig. Ich wollte gerade protestieren, da schob er mich schon nach hinten weg. Die Katzen griffen ihn, wie ich erwartet hatte, ohne darüber nachzudenken an, auch wenn er ein Mensch war. Die Sorge um ihn brachte mich fast um und ich plante schon, wie ich ihn retten könnte, doch dann bot sich mir ein Schauspiel, sodass mir jegliche Mimik entglitt. Luca ging auf direkten Konfrontationskurs mit den Katzen. Als er genau vor der Nase der einen Katze stand, hielt er plötzlich an. Ein kaltes Lächeln zog sich durch sein Gesicht, welches ich so noch nie zuvor gesehen hatte. Die Provokation wirkte und die Katze baute sich vor ihm auf. Sie streckte den Hals und fletschte die Zähne, da glitt aus seinem Ärmel blitzschnell ein Wurfmesser in seine Hand und bevor ich blinzeln konnte, hatte er die Kehle der Katze durchtrennt. Entsetzt röchelte jene, denn auch die Luftröhre war hinüber. Am Rand begann die Wunde zwar zu heilen, doch Luca ließ ihr nicht die Zeit dazu. Zunächst schlug er gegen das Kinn der Katze und beförderte sie somit auf die Hinterpfoten. Dann rammte er das Messer in dessen Brust. Die Katze taumelte einige Schritte zurück, aber das Messer war nicht tief genug, um es zu töten. Das setzte Luca einen gekonnten Tritt nach und ich sah nur noch, wie das Messer vollkommen in der Brust der Katze versenkt wurde. Leblos knallte die Katze zu Boden. „Nummer 1.“, zählte Luca eiskalt. Kapitel 10: Ein Blick in den Abgrund ------------------------------------ Zornig geworden, stürmten nun die anderen drei auf ihn zu. Dem konnte er unmöglich ausweichen, aber er tat ja auch nicht dergleichen. Stattdessen schien er an der Luft zu zerren und das Messer in der Katze kam herausgeschleudert. Es blitzte kurz auf und da erkannte ich, dass es an einem hauchdünnen Draht befestigt war. Es hatte einen solch großen Schwung drauf, dass es alle drei Katzen streifte und lange Schlitze sich über ihre Gesichter zogen. Nein, nicht ihre Gesichter, er hatte genau ihre Augen getroffen. Fasziniert schaute ich dem Spektakel zu. Wie hatte ich auch nur eine Sekunde glauben können, dass Luca meine Hilfe brauchen könnte? Gleichzeitig schockierte mich diese Erfahrung aber auch, als ich sah mit welcher Gleichgültigkeit er eine nach der anderen Katze regelrecht abschlachtete. Manchmal trat ein eiskaltes Grinsen an die Stelle der Gleichgültigkeit, aber dann war es auch schnell wieder verschwunden. Nun hatte Luca mehrere Messer im Umlauf, die er alle umherwirbeln ließ, als wäre er ein Marionettenspieler. Ich bewunderte, dass keines der Messer ihn zu treffen vermochte. Er musste wirklich ein Meister darin sein. Eine Katze nach der anderen starb vor meinen Augen, noch ehe ich es so recht realisierte und schließlich stand nur noch Luca in der Mitte der vier Körper und blickte ins Nichts. Kein Blutstropfen hatte ihn erwischt und trotzdem wirkte er irgendwie befleckt. „Luca… was ist nur aus dir geworden?“, entfuhr es mir traurig. Ihn so zu sehen, zerriss mich, so wie er zerrissen schien. „Ein Mörder.“, war seine schlichte Antwort. Auch diese sagte er gleichgültig, so als würde er über das gestrige Wetter reden. Tränen traten in meine Augen. Dazu hatte ich ihn getrieben? Es war alles meine Schuld. Ganz. Allein. Meine. Noch ehe ich mich besann, schlang ich meine Arme um ihn und ich lehnte mich an seinen Rücken. Vielleicht hoffte ich ja so, ihn wieder zusammenflicken zu können. „Es tut mir so schrecklich Leid.“, schluchzte ich und das war nichts als die volle Wahrheit. Ich wusste nicht, wie lange ich so verharrte, aber auch Luca bewegte sich nicht. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Das einzige Geräusch im Moment war mein Schluchzen. Doch zu jenem Zeitpunkt konnte ich noch nicht mal ansatzweise den Abgrund einschätzen, in den ich in ihn gerissen hatte… Erst die Sorge um Kyria brachte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie war noch nicht in Sicherheit. Ich musste so schnell wie möglich zu ihr. Langsam löste ich mich von Luca und das Schluchzen versiegte. Ich trat einige Schritte herum, bis ich nun vor ihm stand. Zögerlich legte ich ihm eine Hand auf die Brust. Erst jetzt fiel mir erst so richtig auf, dass er über einen Kopf größer war als ich. Er beäugte mich mit der üblich kühlen Miene und sagte kein Wort. Ich war kurz davor wieder in Tränen auszubrechen, riss mich dieses Mal aber zusammen. „Danke.“, brachte ich heraus. Dann zog ich von dannen. Dieses Mal folgte Luca mir wirklich nicht, dass wusste ich. Meine Sorge um Kyria jedoch, war unbegründet, denn als ich an der Brücke ankam, lagen dort zwar eine Menge toter Katzen rum, aber Kyria stand unbeeindruckt am Geländer und rauchte. Sayo schien nicht gekommen zu sein. Musste wohl nur ein Begrüßungskomitee gewesen sein. Wie grausam, einfach so den Tod der eigenen Leute in Kauf zu nehmen. Als Kyria mich bemerkte, schaute sie sofort auf. „Du siehst ja furchtbar aus. Was ist denn passiert?“, fragte sie ernsthaft besorgt. Bevor ich es realisierte, liefen mir bereits neue Tränen über die Wangen. Kyria schmiss ihre Zigarette fort und kam zu mir herüber. So aufgelöst hatte sie mich noch nie erlebt. Behutsam nahm sie mich in den Arm. „Lass uns erst einmal an einen schöneren Ort gehen.“, schlug sie beruhigend vor. Alles was ich fertig brachte, war zu nicken. Eine Weile später fanden wir uns in einem nahe gelegenen Waldstück wieder. Kyria reichte mir eine Packung Taschentücher, die ich dankend annahm. „Also und jetzt erzähl mir in aller Ruhe, was genau passiert ist.“, forderte sie mich in sanftem Ton auf. Ich blickte sie kurz an und dann erzählte ich ihr alles, was heute geschehen war. Ich begann mit dem Besuch zu Hause und mit dem Treffen mit Luca. Dann führte ich fort mit dem zweiten Treffen in der Gasse, dem Kuss, wie er mich gerettet hatte und vor allem, was ich aus ihm gemacht hatte. Kyria lauschte mir aufmerksam. Besorgt blickte sie mich an. „Das klingt gar nicht gut.“, sagte sie schließlich, als ich geendet hatte und bezog sich damit auf Luca´s Zustand. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Kyria. Einerseits bereue ich es nicht, dir zu helfen, ganz und gar nicht, aber andererseits hätte ich nicht solange warten dürfen, um zurückzukommen. Ich habe ihn zerstört!“, schluchzte ich erneut. Kyria zog die Augenbrauen zusammen. „Lua, niemand hätte ahnen können, dass so was geschehen würde. Auch du nicht.“ „Aber meine Intuitionen stimmen doch auch sonst immer. Wieso haben sie gerade da versagt?“ Dies war eher ein Vorwurf, den ich an mich selbst richtete, als eine Frage. „Du warst kurz vor dem Erwachen und dein ganzer Verstand war durcheinander. Es ist verständlich, dass deine Intuitionen dich da einmal im Stich lassen können.“, entgegnet mir Kyria ruhig. Ich ließ verzweifelt die Schultern hängen, da zog Kyria mich plötzlich an ihre Seite. Ich spürte ihre Wärme und realisierte erst jetzt, dass ich fror, da ich ja vorhin im Brunnen gelandet war und meine Sachen noch immer nicht getrocknet waren. „Ich kann dich gut verstehen, Lua. Ich habe mir auch oft Vorwürfe gemacht, dass ich einfach weggegangen bin und Roona deswegen sterben musste. Rückblickend betrachtet, weiß ich, dass ich wahrscheinlich nichts hätte ändern können, aber wenn es um die Liebe geht, denkt niemand mehr rational.“, sagte sie leise. Liebte ich Luca? Aber er war doch fünf Jahre jünger als ich. Nicht, dass es jetzt noch etwas bedeutete, da ich eh viel länger leben würde als er und somit zeitlos war. „Lass den Kopf nicht hängen. Ich bin mir sicher, dass du ihm helfen kannst, Lua.“, munterte Kyria mich auf, „Ich war ja auch lange Zeit ein Eisklotz und Seraphis hat es trotzdem irgendwie geschafft, mich wieder zur Besinnung zu bringen. Wenn sie das geschafft hat, dann schaffst du das erst recht.“ Müde blickte ich zu ihr auf. Kyria lächelte mir aufmunternd zu. „Voraussichtlich sind wir doch sowieso noch eine ganze Weile hier, also kannst du dich doch nebenbei um deine kleine Familie kümmern. Was spricht schon dagegen.“ Ihre Worte vermochten es tatsächlich mir ein wenig Hoffnung zu geben. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren und ich konnte wieder reparieren, was ich zerstört hatte. „Ich danke dir.“, flüsterte ich müde zu Kyria. „Keine Ursache.“, flüsterte sie liebevoll zurück und binnen weniger Minuten war ich, an ihre Seite gelehnt, eingeschlafen. Kapitel 11: Allein gegen Sayo ----------------------------- Ok… an dieser Stelle muss gesagt sein, dass ich vollkommen überfordert war. Es war nicht mehr weit bis zu Morgendämmerung und ich war im Park auf der kleinen Insel mitten im See. Sie war über einen kleinen Steinpfad, den wohl ein paar übereifrige Kinder gebaut hatten, erreichbar, wenn man sich nicht allzu blöd anstellte. Ich saß auf dem Kies und auch wenn ich besorgt war, hatte ich wieder die Farbe eines Hydranten angenommen. Luca´s Kopf ruhte auf meinem Schoss. Sein Gesichtsausdruck war gequält, während ihn das hohe Fieber plagte. „S… Sollte ich dich nicht doch lieber ins Krankenhaus bringen?“, fragte ich ihn unsicher. „Nein, ich hab doch schon gesagt, dass das bald vorüber ist…“, stöhnte er angestrengt. Wie ich überhaupt in diese Lage gekommen war? Dazu musste ich etwas ausholen. Kyria und ich waren nun schon mehrere Wochen in der Stadt. Wir hatten das Labor ausfindig gemacht in dem wir Seraphis vermuteten und seitdem wühlte Kyria munter in Bauplänen und ähnlichen, um herauszufinden, wie man am besten in dieses Hochsicherheitsgefängnis hineinkam. Ehrlich, das Teil war besser geschützt, als alle Ämter im Umland zusammen. Da ich Kyria bei ihrer Recherche von keinerlei Nutzen war, hatte sie mir unterdessen aufgetragen in meiner kleinen Familie nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich hatte ich ja gar nicht wiederkommen wollen, aber Kyria hatte mich regelrecht dazu gezwungen. Zugegeben, ich war wohl auch nicht besonders gut auszuhalten, da meine Gedanken oft um die vier schweiften und ich dann permanent ein besorgtes Gesicht aufsetzte. So besuchte ich nun also regelmäßig, ja fast schon jeden Tag mein altes zu Hause, zur überschwänglichen Freude Tiara´s. Auch Yara und Seth empfanden mein Erscheinen wohl als angenehm, was mich wirklich erfreute. Luca bekam ich eigentlich nie zusehen, da er fast immer bis spät in Nacht arbeitete oder schlief, wenn er mal daheim war. Gesprochen hatten wir seit dem Vorfall im Park auch nicht mehr miteinander. Oft kochte ich nun abends das Essen, da ich ja eh nichts Besseres zu tun hatte und das verschaffte mir einerseits Linderung für mein Gewissen und andererseits fühlte ich ein Stück der alten Zeiten wieder. Auch wenn Luca nie zum Essen da war, deckte Tiara immer seinen Platz mit ein. Sie schien sehr an ihm zu hängen. Ihr war die eher frostige Stimmung zwischen uns natürlich nicht entgangen, aber sie überspielte das Ganze immer und ich wusste, dass sie insgeheim hoffte, dass sie alles wieder normalisierte. Leider würde dieser Wunsch nie in Erfüllung gehen können. Eines Abends kam Luca erstaunlich früh nach Hause zurück. Sein Anblick schockierte mich, denn er sah irgendwie furchtbar krank aus, war blasser als sonst und seine Augen trüb. Im ersten Moment befürchtete ich schon, dass er infiziert war und überprüfte sofort seine Aura, aber da war nichts, was auch nur im Ansatz auf Yajuu oder Exile hinwies. Das beruhigte mich ein wenig. Na ja, Menschen konnten ja auch wirklich an Grippe erkranken. Ich wollte ihm meine Hilfe anbieten, da er wirklich sehr mitgenommen aussah, aber er blickte mich nur reglos an und verschwand auf sein Zimmer. „Oh nein… er hat es schon wieder.“, flüsterte Tiara besorgt neben mir. Ich wurde hellhörig. „Kommt denn so was öfter vor?“, fragte ich sie bestürzt. „Naja das erste Mal war vor zwei Jahren oder so. Manchmal kommt er so nach Hause und ihm geht’s dann nicht gut. Er weigert sich aber zum Arzt zu gehen, denn am nächsten Morgen geht’s ihm dann eh immer wieder blendend. Aber immer wenn das wieder auftritt, ist es schlimmer als beim letzten Mal.“, erklärte sie mir. Das klang gar nicht gut. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht, aber ich konnte mich da nicht einfach einmischen, denn Luca würde mich dafür noch mehr hassen, als eh schon. Tiara hatte Recht behalten. Als Luca am nächsten Morgen runter kam, deutete nichts mehr daraufhin, dass er gestern noch so aussah, als wäre er kurz vor dem Umfallen. In den Wochen, die ich nun immer mal daheim war, erlebte ich noch zwei weitere Mal diesen Zustand mit und tatsächlich schien es jedes Mal etwas schlimmer zu sein. Luca selbst äußerste sich dazu natürlich nicht. Auch für Tiara und die Zwillinge war dieses Thema absolut tabu, wie ich erfuhr und so blieb mir nichts anderes übrig, als es einfach hinzunehmen. Einmal fragte ich Kyria, ob sie schon von solchen Phänomenen gehört hatte, doch sie schüttelte nur verwundert mit dem Kopf und meinte, dass das neu für sie wäre. Allerdings war auch ihr das nicht ganz geheuer. Tja, und dann kam der heutige Tag. Wie üblich war ich den Abend über daheim gewesen und war nun auf dem Rückweg. Ich schlenderte gerade durch den Park, als ich nicht weit von mir entfernt einen Schatten bemerkte, der auf der kleinen Insel vor dem See hockte. Erst wollte ich ihn ignorieren, dann erkannte ich jedoch Luca´s Aura. Zusammengesunken saß er da und atmete angestrengt ein und aus. Er bemerkte erst, dass ich da war, als ich wenige Meter neben ihm stand, was ebenfalls sehr ungewöhnlich war. Zunächst erkannte er mich nicht. Reflexartig sprang er auf die Knie und zog ein Messer. Schließlich bemerkte er, dass ich es war und dass von mir keine Gefahr ausging. Sofort sackte er wieder zusammen und drohte nach vorne umzukippen. Bevor ich wusste, was ich tat, fing ich ihn auf. Sein Oberkörper lehnte schlaff gegen meinen und sein Kopf hing über meiner Schulter. Er strahlte eine unheimliche Hitze aus. „Luca, was ist mit dir?“, fragte ich besorgt. „Nichts.“, gab er schwach zurück. „Klar, erzähl das deiner Oma. Im ernst, du musst zu einem Arzt.“, klagte ich. „Du bist so schön kühl.“, sagte er plötzlich. Auf einmal klang er nicht mehr wie ein gefühlsloser Klotz, sondern kam dem Luca sehr nahe, den ich einst kennen lernen durfte. „Hör auf rum zu spinnen. Du hast hohes Fieber und fantasierst rum.“, sagte ich ihm ernst. Doch er tat nichts dergleichen. Ich seufzte. „Dann leg dich wenigstens hin.“, wies ich ihn an. Und so war es gekommen, wie es jetzt war. Luca´s Kopf ruhte in meinem Schoss. Manchmal war er für einige Minuten weggetreten, kam aber immer schnell wieder zu sich. Wir redeten jedoch kaum miteinander. Ich starrte gerade gedankenverloren in den See, als er plötzlich zu zucken begann. Er war nicht ganz bei Bewusstsein, aber trotzdem packte er mit seiner linken Hand reflexartig seine rechte Armbeuge. Seine Hand zuckte noch einmal, dann schien der Schmerz nachzulassen und er ließ sie wieder los. Das hatte mich stutzig gemacht. Da Luca noch immer nicht wieder bei vollem Bewusstsein war, nutzte ich die Gunst der Stunde und zog vorsichtig seinen Ärmel nach oben. Dann riss ich die Augen auf. Mal davon abgesehen, dass unzählige kleine silberne Narben sich über seinen Arm zogen, die wohl alle Tribute seines Jobs waren, brachte mich seine Armbeuge so aus der Fassung. Ein riesiger Bluterguss war zu sehen und in dessen Mitte erkannte ich mehrere kleine Einstichlöcher. Luca nahm Drogen?, schoss es mir sofort durch den Kopf. Fassungslos starrte ich auf die Stelle, da zog er seinen Arm weg. Luca starrte mich mit einem Blick an, der mich innerlich auffraß. Doch ich erkannte auch Scham in seinem Blick, nur ganz leicht, aber sie war da. „Es ist nicht das, was du denkst.“, sagte er schlicht. „Ach nein? Und was ist es dann?“, fragte ich ihn mit einem Anflug von Zorn. Luca richtete sich plötzlich auf und zog seinen Ärmel wieder nach unten. Es fiel ihm sichtlich schwer, das Gleichgewicht zu halten. „Misch dich nicht in Dinge ein, die du nicht verstehst.“, raunte er. „Was gibt es denn daran nicht zu verstehen?“, rief ich zurück und begegnete seinem Blick. Jetzt war dort nur eines, Schmerz. Meine Wut verpuffte im Nichts, als ich ihn ansah. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich aufgesprungen war. Nun schämte ich mich für meine Reaktion. Ich ließ ihn ja nicht mal eine Erklärung dazu machen, obwohl ich bezweifelte, dass er mir eine liefern würde. „Luca, es tut mir Leid.“, sagte ich und wollte mich nun vor ihm hinknien. Mitten in der Bewegung hielt ich jedoch inne. Ich realisierte erst gar nicht warum und mein Blick fiel nur auf Luca, der seinerseits plötzlich noch bleicher zu werden schien. Dann riskierte ich mal einen Blick nach unten und starrte auf die Klinge, die aus meiner Brust ragte. „Im Vergleich zu Kyria, bist du wirklich nur ein bedeutungsloser kleiner Fisch.“, spottete es hinter mir. Ich riss den Blick herum und sah dort Sayo stehen. Sie hatte die Hände selbstsicher in die Hüften gestemmt. Neben ihr befanden sich zwei Hunter. Einer hatte sich in eine Katze verwandelt und mich soeben mit seiner Klinge durchbohrt. „Ich meine, du hast ja nicht einmal unsere Anwesenheit gespürt.“, lachte Sayo nun noch gemeiner. „Was willst du?“, fragte ich sauer. Ihre Worte ärgerten mich noch mehr, denn durch die Sache mit Luca hatte ich tatsächlich meine Aufmerksamkeit schleifen lassen. „Tja, Ich habe beschlossen, dass ich mich erst einmal um dich kümmere, bevor ich zu Kyria gehe und der kleine Auftragsmörder hinter dir, kann bei der Gelegenheit auch gleich das zeitliche segnen. Scheint ja eh nicht mehr viel zu fehlen, wenn ich mir den so betrachte.“ Luca starrte Sayo gleichgültig an, obwohl, nein, wenn ich ihn mir so genau betrachtete, erkannte ich tatsächlich auch so etwas wie Wut in seinem Gesicht. Das verwunderte mich. Nun richtete ich mich wieder zu voller Größe auf. Ich stand noch immer mit dem Rücken zu Sayo, aber ich spürte, wie sie mich beobachtete. „Ich gebe zu, meine Aufmerksamkeit hätte wirklich besser sein können, aber du glaubst doch nicht im ernst, dass ich so einfach das zeitliche segne?“, fragte ich Sayo nun. Natürlich hatte ich bis jetzt noch keinen Grund gehabt ernsthaft zu kämpfen, also war mir klar, dass Sayo mich für extrem schwach halten musste. Zwar war ich mir ziemlich sicher, dass ich gegen sie keine Chance haben würde, aber ich würde es zumindest versuchen. Luca würde ich so bestimmt nicht sterben lassen, nicht durch die Hand dieser selbstgefälligen Halbvampirin. Ich zog den Mantel, den ich trug, aus und ließ ihn neben Luca in den Kies fallen. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, aber im Moment konnte ich mich darauf nicht konzentrieren. Meine Augen glühten auf und meine Haare wirbelten los. Blitzschnell durchtrennten sie die Verbindung der Katze zu der Klinge und ich sprang hoch in die Luft. Ich machte einen Salto nach hinten und schwebte nun hinter Sayo. Dann zerrte ich die Klinge aus meiner Brust und schleuderte sie ihr entgegen. Doch Sayo reagierte sofort und stieß die Klinge mit ihrem Stab beiseite. Sie flog in Richtung der Katze davon und so nutzte ich meine Chance. Eines meiner Haare schnellte der Klinge hinterher, nicht sichtbar für die anderen, schlang sich darum und lenkte diese nun quer über das Gesicht der Katze. Zugegeben, diesen Trick hatte ich mir von Luca´s Wurfmessern abgeschaut, aber der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel. Ich brauchte die Klinge nicht länger und ließ sie in den See fallen. Zur gleichen Zeit schnellte mir Sayo´s Stab entgegen. Reflexartig machte ich eine Rolle in der Luft, um mich schließlich mit der Klinge an den Zehenspitzen davon abzustoßen. Von den Füßen aufwärts, veränderte sich meiner Gestalt noch bevor ich wieder auf dem Boden angekommen war. „Sieh an, ausweichen kannst du wohl ganz gut.“, raunte Sayo genervt, „Aber das wird dir auch nichts nützen!“ Nun verwandelte sich auch der andere Hunter in so eine Katze und die beiden griffen mich an. Die Wunde von der Verletzten war sowieso schon fast wieder verschwunden. Ich lächelte, als ich sie auf mich zukommen sah und sprang abermals ab. Sayo machte große Augen, als ich plötzlich zu schweben schien. Es war, als würde ich mich in der Luft abstoßen. In Wahrheit hatte ich nur meine Haare aufgespannt und bewegte mich blitzschnell darüber. In meiner jetzigen Gestalt bot mir die dünne Klinge bzw. die „Kufen“ eine ideale Standfläche dafür. Selbstsicher grinste ich Sayo an, was sie nur wütender machte. Mit ihrem Stab wollte sie eines der Drähte durchtrennen, aber es klappte nicht, was mir einige Genugtuung verschaffte. Nun ging ich zum Angriff über. Über die Drähte hinweg steuerte ich auf die erste Katze zu. Sie wollte aus weichen, doch ich war schneller. Eine Seitenklinge meiner Rüstung verlängerte sich, schlitzte die halbe Seite der Katze auf, die nun bewusstlos zu Boden ging. Die andere stürmte wutentbrannt auf mich zu, doch ich drehte mich nur einmal um mich selbst und riss dann ein Bein nach oben, sodass die Klinge von meinem Knie den Unterkiefer durchbohrte. Es brachte die Katze aber nicht um. Schmerzverzehrtem Gesichtes sackte sie zusammen. Blut rann aus ihrem Mund. Ich stand über ihr und die Klingen über meinen Händen funkelten sie bedrohlich an. Ich spürte die andere Katze auf einmal neben mir, doch sie blieb wenige Zentimeter in der Luft hängen, denn ich fesselte sie mit mehreren Drähten. Sanft lächelte ich die Katze an, die mich hasserfüllt anstarrte. Dann fuhr ich mit meinen Fingerspitzen über die feine Narbe, die noch von meinem ersten Angriff geblieben war. „Ich mag kämpfen nicht besonders, es tut mir Leid.“, sagte ich zu ihr, „Ihr mögt es auch nicht, aber werdet dazu gezwungen. Welch trauriges Schicksal.“ „Was weißt du denn schon!“, schrie Sayo auf einmal und attackierte mich direkt. Ich wich gekonnt aus und landete nach einer Drehung wieder einige Meter entfernt von ihr. Sayo`s rote Augen glühten mich bedrohlich an. „Du bist noch schlimmer als Kyria.“, fauchte sie plötzlich. Ich hob fragend eine Augenbraue. „Denn du kämpft wie er.“, fügte sie rätselhaft hinzu. Ich hatte keine Ahnung auf wen sie sich bezog, aber wer es auch war, er musste ihr wohl was bedeuten… oder eher bedeutet haben. Ich beschloss der Sache aber nicht weiter nachzugehen und machte mich eher auf den nächsten Angriff bereit. Sayo erschien plötzlich hinter mir und hätte es beinah geschafft mir den Stab durch den Körper zu jagen. So streifte er aber nur meine Haare. Ich nutzte diese Gelegenheit und schlang einige um sie. Kurz darauf blieb sie reglos stehen. Zornig funkelte sie mich an. „Glaub nicht, dass ich so schwach bin wie die anderen Hunter!“, fauchte sie und begann sich dagegen zu sträuben. Die Drähte schnitten sich tief in sie hinein, aber sie dachte nicht daran aufzuhören. Erstaunt weiteten sich meine Augen, als ich erkannte, dass meine Haare rissen. Sayo hatte selbst für einen Halbvampir übernatürliche Kräfte. Sie nutzte den Moment meiner Verwunderung und bohrte mir den Stab mitten durch den Körper. Ich spuckte Blut. Mein Blick fiel plötzlich auf Luca. Er hatte das ganze Spektakel mit angesehen und starrte mich nun mit undefinierbarer Miene an. Es strengte ihn sichtlich an aufrecht sitzen zu bleiben und sein Gesicht war vom Fieber stark gerötet. Ich durfte hier nicht sterben. Vorsichtig hob ich meine Arme und stemmte sie gegen Sayo´s Schulter. Langsam entfernte ich mich von ihr und zog so den Stab aus mir heraus. Sayo beobachtete mein Treiben mit einem bösartigen Lachen, denn der Stab hatte weiter oben zahlreiche Widerhaken, die sich tief in mich hinein schnitten. Wollte sie sehen wie weit ich kam, bevor ich aufgab? Diese Genugtuung ließ ich ihr sicher nicht. Ich biss die Zähne zusammen und sprang mit einem Satz zurück. Er verkniff mir den Schmerzensschrei, als ich wieder landete. „Sieh an, hätte nicht gedacht, dass du das fertig bringst. Aber du wirst schon bald merken, dass dir das nicht viel nützen wird.“, lachte Sayo. Ich bemerkte recht schnell, was sie damit meinte, denn meine Wunde heilte viel langsamer, als sie eigentlich sollte. „Die Hunter haben sich stark weiterentwickelt, Exile. Die Spitzen meines Stabes sind mit einem speziellen Gift getränkt, dass die Regenerationskräfte der Yajuu und Exile auf ein Minimum reduziert.“, erklärte sie mir selbstgefällig. Kurz strich ich über die Wunde und betrachtete das Blut in meiner Handfläche. Erneut biss ich die Zähne zusammen und stellte mich wieder aufrecht hin. „Du gibst noch nicht auf?“, fragte Sayo belustigt, doch ich gab ihr keine Antwort. Ich winkelte meine Arme vor meinem Körper an und ließ die Klingen ausfahren, dann stieß ich mich nach vorn ab. Wie ich es geplant hatte, hielt Sayo mir genau die Spitze ihrer Klinge entgegen. Sie verkeilte sich dort, wo sich meine Arme kreuzten und ich nutzte den Schwung um mich nach oben zu befördern. Nun befand ich mich kopfüber in der Luft und war senkrecht über Sayo. Sie funkelte mich finster an, konnte aber nicht schnell genug reagieren. Obwohl dabei mein Blut ziemlich unästhetisch umherspritzte, drehte ich mich in der Luft, als ich nach unten fiel und es gelang mir tatsächlich Sayo der Länge nach einen Schnitt zu verpassen, als die Klinge, die sich mein Bein entlang zog, sie streifte. Sayo taumelte erschrocken einige Schritte zurück. Leider verheilte die Wunde schneller, als ich gehofft hatte. Ich keuchte angestrengt aus und sackte kurz vorn über, als ich wieder landete und noch mehr Blut zu Boden tropfte. Dann straffte ich mich wieder und atmete einmal tief ein. Doch mein Ablenkungsmanöver hatte gefruchtet. Während Sayo noch mit sich beschäftigt war, stürmte ich an ihr vorbei und auf Luca zu. Ich riss ihn vom Boden hoch und warf seinen Arm um meine Schulter. Als Sayo sich wieder gefangen hatte, fluchte sie wutentbrannt. „Dieses kleine Miststück ist mir doch tatsächlich entkommen!“, schrie sie zornig. Ich war zu schnell, um mich einholen zu können, zumal die beiden Katzen noch immer nicht einsatzfähig waren. Sayo musste sich für heute wohl geschlagen geben, aber sie schwor sich, dass sie mir das nächste Mal höchstpersönlich das Leben aushauchen würde… wenn ich nicht sowieso starb. Kapitel 12: Erinnerungen ------------------------ Angestrengt keuchend, landete ich in der Nähe unseres Hauses. Wir waren in einer abgeschiedenen, breiteren Gasse nur wenige Meter weiter. Die Wunde schmerzte höllisch und ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Schmerz zu schreien. Außerdem stellte ich fest, dass meine Rüstung anfing Risse zu bekommen, was nicht gerade ein gutes Zeichen war. So umsichtig wie ich konnte, ließ ich Luca zu Boden, den das Fieber noch immer peinigte. Aber zumindest ein bisschen besser schien es ihm mittlerweile zu gehen. „Wieso hast du mir geholfen?“, fragte er mich. Seine Augen durchbohrten mich wie üblich und seine Miene war mal wieder unergründlich für mich. Ich seufzte traurig: „Auch wenn das vielleicht nicht mehr auf Gegenseitigkeit beruht, aber mir bedeutest du nach wie vor sehr viel. Zumal du mir auch schon das Leben gerettet hast.“ Als mich ein weiterer Schwall Schmerzen durchzuckte, ging ich kurz in die Knie. Luca, der an eine Wand gelehnt, saß, beobachtete mich argwöhnisch. „Die Wunde schließt sich wirklich nur sehr langsam.“, stellte er nüchtern fest. Ich lachte deprimiert: „Scheint wohl so, aber keine Sorge, dass wird schon.“ Ich log, denn in Wahrheit war ich mir selbst kein bisschen sicher, ob ich das überleben würde. Schließlich versuchte ich mich aufzuraffen. „Nun, ich sollte wohl langsam zu Kyria zurück, sonst macht sie sich noch Sorgen.“ Ich setzte eine möglichst heitere Miene auf, doch meine Beine wollten weniger gehorchen, als mir lieb war. Ich vernahm ein leises Knarzen, als sich die Risse der Rüstung weiter vertieften. „Machs gut, Luca…“, wollte ich gerade sagen, auch um das Geräusch zu übertönen, da ich mir nicht sicher war, ob er es auch hören könnte, als ich plötzlich das Gleichgewicht verlor und ganz auf die Knie fiel. Luca hatte mich zu sich gezogen. Er war noch immer unerträglich heiß durch das Fieber, wie ich feststellen musste. „Du bist immer noch eine schlechte Lügnerin.“, sagte er plötzlich schwach. Irgendwie kam mir die Situation lächerlich vor. Wir hockten beide in einer Gasse und waren nur halb bei Bewusstsein und redeten deswegen nur Schwachsinn. Ich hatte nicht länger die Kraft aufzustehen. Die Rüstung begann zu zerbröckeln und abzufallen. „Du siehst aus, als würdest du tanzen, wenn du kämpfst.“, stellte er nüchtern fest. Ich musste kichern: „Das hat mir Kyria auch schon oft gesagt.“ „Die Exile mit der du umherreist.“ Es war keine Frage, sondern mehr eine Feststellung. Aber ich konnte nicht mehr antworten, denn da war ich schon ohnmächtig geworden. Ich hatte einfach zu viel Blut verloren. Alles wurde mir schwarz vor Augen. … Als ich erwachte, öffnete ich nicht gleich die Augen, sondern genoss viel mehr das Gefühl dieses weichen, warmen Bettes. Irgendwie kam mir der Geruch hier bekannt vor, mir fiel jedoch nicht gleich ein woher. Schließlich entschloss ich mich, doch mal die Augen zu öffnen, nur um in das Antlitz meines alten Zimmers zu blicken. Ich hätte nicht gedacht, dass sie hier alles unverändert gelassen hatten, so als käme ich jeden Moment nach Hause zurück. Ich trug sogar einen meiner eigenen Schlafanzüge. Darunter konnte ich eine Bandage fühlen. Dann hörte ich, wie sich langsam die Tür öffnete. „Du bist wieder wach!“, rief eine altbekannte, fröhliche Stimme. Tiara kam hereingehüpft, doch ich war überrascht zu sehen, wen sie hinterher zerrte. Mit sehr verlegenem Gesichtsausdruck zog sie Kyria hinter sich her. „Schön, dass es dir wieder besser geht.“, sagte sie ruhig. „Was machst du denn hier?“, fragte ich sie verwundert. Kyria wurde kurz rot und kratzte sich verlegen am Kopf. „Naja… ich schätze ich bin hier wohl einfach reingeplatzt.“ Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Wieso hast du Tante Kyria bis jetzt nie mitgebracht, Lua? Sie war ganz besorgt um dich.“, schaltete sich nun Tiara ein, „Aber mal ehrlich wir waren alle krank vor Sorge, als dich Luca hier halbtot reingeschleppt hat!“ Auf einmal standen ihr Tränen in den Augen. „Aber Tante Kyria hat dich gerettet, denn sie kann nämlich zaubern.“ Jetzt strahlte sie Kyria an, die nur wieder rot wurde. So hatte ich sie noch nie erlebt und das amüsierte mich. Ich ahnte schon, was Kyria getan hatte. Vor schon längerer Zeit hatte sie mir erzählt, dass sie mittels der Impulse die sie senden kann, mitunter auch Zellen dazu anregen konnte, ihre Regenerationsfähigkeit zu erhöhen. „Keine Ursache.“, sagte sie nun peinlich berührt, „Aber wie oft denn noch, ich kann nicht zaubern.“ „Oh doch!“, bestand Tiara und Kyria gab ihren Widerstand auf. „Wie geht es Luca?“, fragte ich nun, da mir sein Zustand von gestern wieder einfiel. „Dem geht’s prima, ist schon wieder arbeiten gegangen.“, schaltete sich plötzlich Seth von draußen ein. Er und sein Bruder standen neugierig an der Tür und blickten herein. „Verstehe.“, war meine geistreiche Antwort. Trotzdem machte ich mir noch Sorgen um ihn. Ich würde natürlich nicht meine Entdeckung bezüglich seines Arms verraten, aber ich musste da dringend ein Auge drauf haben. Zumal ich ja nicht einmal wusste, was genau er sich da spritzte, wenn es ihn so umhauen konnte. Eine Weile redete Tiara noch auf mich ein, dann lockten die Zwillinge sie aber aus dem Zimmer, sodass Kyria und ich ungestört reden konnten. „Das war echt knapp, Lua.“, sagte sie nach einiger Zeit. „Ich weiß.“, war meine knappe Antwort. „Ich hätte nicht gedacht, dass es solch ein Gift mittlerweile gibt.“, bemerkte sie aufgewühlt, „Und ich hätte nicht gedacht, dass Sayo dich direkt angreifen würde. Ich hab erst bemerkt, was geschehen war, als es schon fast zu spät war. Ich bin dann deiner Aura gefolgt und bin letztendlich hier gelandet.“ „Danke dafür.“, sagte ich ihr. „Kein Ding, zumal ich gehört hab, dass du dich ziemlich gut geschlagen hast. Sayo ist außer sich vor Wut.“ Nun zuckte kurz ein spitzbübisches Lächeln durch ihr Gesicht, was aber gleich wieder verflog. „Noch nichts Neues, huh?“, fragte ich sie, als ich ihr betrübtes Gesicht sah. „Leider… es scheint unmöglich in dieses Gebäude rein zu kommen. Und zu zweit können wir einen direkten Angriff auch vergessen.“ Ich seufzte, „Du wirst schon einen Weg finden, da bin ich mir ganz sicher.“, und ich legte eine Hand auf ihre. Traurig lächelte sie mich an. „Ich lass dich jetzt wieder allein. Du solltest dich noch ein wenig ausruhen. Ich werde unterdessen weiterforschen.“, verkündete sie nun, „Tja und wie es scheint werde ich wohl heute Abend wieder herkommen.“ Ich lachte: „Tiara kann sehr überzeugend sein, nicht wahr?“ „Oja.“, stimmte sie mir zu. Dann lächelte sie sanft: „Du hast wirklich eine tolle kleine Familie, Lua. Ich kann verstehen, dass sie dir so viel bedeuten.“ „Du hast sie wohl auch schon ins Herz geschlossen?“, fragte ich neckisch. „Vielleicht.“, war ihre Antwort, aber sie lächelte dabei und daher war es für mich ein ja. Dann verließ sie wirklich den Raum, damit mich weiter erholen konnte. … Luca kratzte sich am Arm. Diese verdammte Stelle juckte furchtbar und die Tatsache, dass er immer wieder dran rumkratzte, trug nicht gerade dazu bei, dass sich die Wunde besserte. Sie hatte es also entdeckt. Ihm war das peinlich und das machte ihn wütend. Er hasste es Schwäche zeigen zu müssen. Der ganze gestrige Tag war doch nur ein Ausdruck von Schwäche gewesen. Nicht nur das ausgerechnet Lua ihn hatte finden müssen, nein, sie war es auch noch gewesen, die sein Leben gerettet hatte. Dabei hatte er es sich doch schon vor Jahren abgewöhnt Hilfe anzunehmen. Wobei er zugeben musste, das Lua so kämpfen zu sehen schon irgendwie beeindruckend gewesen war. Das klingende Geräusch, welches der Aufzug stets von sich gab, wenn er das gewünschte Stockwerk erreicht hatte, riss ihn aus den Gedanken. Mit seiner gleichgültigen Miene trat er heraus, straffte die Schultern und näherte sich der großen schwarzen Tür. Er musste nicht klopfen, denn er wurde bereits hereingebeten, als er nur davor stand. Entspannten Schrittes trat er ein und durchquerte den Raum, bis er vor dem großen Schreibtisch seines Chefs stand. „Welch Freude dich zu sehen, Luca.“, frohlockte dieser, „Wie schön, dass du auch deinen letzten Auftrag wieder mit solch einer Bravur gemeistert hast.“ Luca sparte sich die Mühe ihm zu antworten. Er wusste ohnehin, dass gleich das nächste Übel folgen würde. „Siehst du, ich hatte doch Recht, als ich sagte, du hättest Talent. Mittlerweile bist du einer meiner besten Leute, wenn nicht sogar der Beste.“, sagte Lucius fröhlich. „So etwas in der Art erwähnten sie bereits mehrfach.“, gab Luca kalt zurück. Er mochte diesen Mann einfach nicht, hatte es nie getan und würde es wohl auch nie. „Ich hörte Gerüchte, dass die Hunter neuerdings die Jagd auf dich eröffnet haben. Du musst denen ja ganz schön ein Dorn im Auge sein.“ Der alte Mann war gerissen und mindestens so gefühllos, wie Luca es vorgab zu sein. „Ich muss dir leider sagen, dass ich nicht länger die Mittel habe, dich vor ihnen beschützen zu können.“ „Das war mir klar.“, gab Luca gleichgültig zurück. „Gut, dass das dann geklärt ist. Der nächste Auftrag wartet nämlich schon.“, sprang sein Chef einfach zum nächsten Thema, während er ihn mit seinem Blick durchlöcherte. Aber Luca gab sich keine Blöße. Ihm wurde ein schwarzer Briefumschlag zugeschoben, in welchem wie üblich die Daten für sein nächstes Ziel standen. Es handelte sich um irgendeinen gut bewachten Geschäftsmann, nichts Besonderes also, stellte Luca gelangweilt fest. „Wo ist der Haken?“, fragte er kühl. „Du bist schlau, mein Lieber, wirklich schlau.“, murrte Lucius, „Die Wachen des Opfers sind Halbyajuu, habe ich gehört. Aber für jemanden wie dich, dürfte das ja kein Problem sein.“ Diese schlangenhafte Stimme widerte Luca an, doch er ließ sich das äußerlich nicht anmerken. Allerdings fragte er sich, wieso van Serenberg seit einiger Zeit versuchte ihn umzubringen. Luca war schon länger aufgefallen, dass seine Aufträge immer komplizierter und schwieriger wurden. Meist waren es Sachen, die ein Einzelner kaum lebend schaffen konnte. Doch Luca war dem Tod bis jetzt immer von der Schippe gesprungen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, steckte er den Briefumschlag ein und kehrte um. Irgendwie wartete sein Chef wohl auf eine Reaktion, aber Luca würde ihm keine geben. Er war schon fast bei der Tür angekommen, als Lucius plötzlich ein weiteres Mal die Stimme erhob: „Sag mal, wie viele Spritzen sind denn eigentlich noch übrig?“ Luca erstarrte, bevor er es bemerkte. „Du kennst die Regeln.“, fügte sein Chef hinzu. Luca war sich dessen vollkommen bewusst, wieso musste er jetzt noch darauf herumreiten. „Vielleicht hast du ja Glück und du bist einer der 2%“, lachte Lucius zynisch. Das war es also. Nun wusste Luca was er für ihn war, ein Versuchskaninchen. Er würdigte seinen Chef keines Blickes und verließ wortlos den Raum. Dann erfüllte er seinen Auftrag. Es gab keine erwähnenswerten Zwischenfälle. … Nach nun einer Woche des Nichtstuns hatte ich es daheim nicht mehr ausgehalten. Auch wenn Tiara es nicht gutgeheißen hatte, hatte ich trotzdem darauf bestanden einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Die Wunde war sowieso schon komplett verheilt und ich fühlte mich wieder vollkommen fit. Ohne Ziel streifte ich umher und genoss einfach mal die entspannte Zeit für mich. Irgendwann realisierte ich, wo ich war. Ich stand auf einer Wiese. Da es gerade erst der Beginn des Frühlings war, blühte hier noch nichts, außer ein paar vereinzelte Schneeglöckchen, aber auch so war dieser Ort irgendwie schön… so vertraut. Dann wusste ich wo ich war. Hinter mir erstreckte sich auf dem kleinen Hügel das Labor. Ruhig lag es da und nichts deutete darauf hin, dass hier irgendjemand wäre. Mein Gedächtnis erkannte diese Wiese wieder, auch wenn ich sie eigentlich im Sommer gekannt hatte. Ich sah mich selbst als kleines Kind, wie ich mit einer männlichen Person Blumen sammelte und eine Frau die an einen Baum gelehnt, zuschaute. Mein Blick schweifte umher, bis er an eben diesem Baum hängen blieb. Er war größer geworden, aber dennoch war ich mir sicher, dass nur er es sein konnte. Andächtig stand ich vor dieser alten Pflanze und berührte vorsichtig die Rinde. Sie war kalt und hart. Hier fühlte ich mich meinen Eltern, an die ich mich nur noch schemenhaft erinnerte, viel näher als sonst. Eine traurige Stimmung legte sich auf mein Gemüt. Wieso konnte ich mich nur so schlecht erinnern? Hatte ich alles verdrängt? Da flackerte ein mir völlig neues Bild auf. Es überwältigte mich so sehr, dass ich mich an den Baum lehnen musste und angestrengt zu atmen begann. Ich hörte laute Stimmen und wir rannten. Meine Mutter zerrte mich hinter sich her, doch meine kurzen Kinderbeine konnte einfach nicht mit ihr Schritt halten. Kurzerhand nahm sie mich Huckepack, während sie in der freien Hand eine schwere Aktentasche trug. Meine Mutter war zwar schlank, aber eigentlich nicht besonders sportlich und so war sie ziemlich schnell außer Puste. Das Adrenalin in ihren Adern half ihr jedoch über sich hinaus zu wachsen. Leider war ich nicht in der Lage zu verstehen, was meine Mutter so in Angst versetzte, aber allein die Tatsache, dass sie panisch war, versetzte auch mich in Angst. „Wo ist Papa?“, hörte ich mich fragen. „Keine Sorge, Papa geht’s gut.“, redete sich außer Atem auf mich ein. Nun betrachtete ich erstmals unsere Umgebung. Wir rannten durch einen Tunnel. Alles war dunkel und nass und roch fürchterlich muffig. Die alten Lieferschächte sagte mir mein Bewusstsein. Hier hatte ich manchmal heimlich gespielt, was meine Eltern nie gutgeheißen hatten. Heutzutage konnte ich verstehen warum. Nun erreichten wir eine massive Stahltür. Meine Mutter stellte die Aktentasche kurz ab und wühlte unruhig in ihrer Manteltasche herum. Plötzlich rutschte ihr die Karte aus der Hand und fiel auf den Boden. „Mist!“, fluchte sie leise, bückte sich und schnappte sich die Karte. Sie zog diese durch einen Schlitz und gab dann schnell eine Nummer ein, woraufhin sich die Tür mit einem lauten Klicken öffnete. Danach packte meine Mutter wieder den Koffer und rannte weiter. Die Sonne ging gerade unter und das Licht blendete mich, als wir aus dem Tunnel kamen. Ich hob eine Hand vor das Gesicht, um besser sehen zu können und das erste worauf mein Blick fiel, war die große Brücke, die fast schon majestätisch in den Himmel aufragte. Daher kam also meine innere Anziehung zu ihr, stellte ich fest. Plötzlich stolperte meine Mutter über einen der spitzen Steine und fiel hin. Sie versucht mich noch abzuschirmen, damit ich mir nicht wehtat. „Mama du blutest!“, rief ich erschrocken aus und Tränen kamen in meine Augen. „Das ist nichts, meine Kleine. Ich hab mir nur das Bein ein wenig angeschlagen.“, tröstete sie mich und stand wieder auf. Sie klopfte sich etwas Staub von den Sachen, schnappte sich den Koffer und nahm mich wieder an die andere Hand. Dann hechtete sie weiter. Meine Erinnerung verschwand und ich kehrte in die Gegenwart zurück. Da traf mich die Erkenntnis. Ich hatte gerade denn idealen Weg gefunden, um unbemerkt ins Labor zu kommen, denn schon damals war der Schacht abgeschaltet worden, da ein moderner und besser geschützter gebaut worden war. Wenn wir Glück hatten, existierte er noch, auch wenn er in den Karten nicht eingezeichnet war. Eilig kehrte ich nach Hause zurück, um Kyria meine Idee mitzuteilen und sie war begeistert. Kapitel 13: Sein Geheimnis 1 ---------------------------- Kyria war seit einigen Tagen verschwunden, um letzte Vorbereitungen für unseren Angriff auf das Labor zu planen. Unter anderem untersuchte sie den Eingang des Versorgungsschachtes und versuchte herauszufinden, ob er überhaupt noch begehbar war. Schließlich konnte er ja auch zugeschüttet sein, was ich nicht hoffte. Daher nutzte ich die Zeit und brachte das Haus auf Vordermann. Nicht dass es hier dreckig war, aber ich wollte einfach, dass hier alles Mal in einem freundlicheren Glanz erstrahlte. Während die anderen außer Haus waren, strich ich also die Wände neu. Kyria hatte mir das Geld dazu einfach gegeben, auch wenn ich es erst nicht annehmen wollte. Nachdem ich die Möbel beiseite gerückt, verdeckt und alles andere abgeklebt hatte, machte ich mich an die Arbeit. Wenn Tiara von der Schule kam, half sie dann kräftig mit und so kamen wir gut voran. Selbst Yara und Seth legten ab und zu mal mit Hand an, wenn sie denn mal zu Hause waren, denn sie waren viel unterwegs, was mich aber nicht störte, da sie ja alt genug waren. Außerdem wurden sie seit meinem kleinen Intermezzo mit der Gang auch schön in Ruhe gelassen und so hatte ich eigentlich keinen größeren Grund mich zu sorgen. Klar gab es hier eine Menge Yajuu, aber die gab es schon immer, man war irgendwie daran gewöhnt. Nur Luca hielt sich aus allem raus. War vielleicht auch besser so. Heute widmete ich mich der Stube. Tiara war noch in der Schule und so war ich allein daheim. Irgendwoher hatte ich eine von diesen typischen, blauen Arbeiterlatzhosen und trug jetzt darunter ein mir eigentlich viel zu großes Holzfällerhemd. Ich strich gerade die Decke, was ziemlich anstrengend war, da man überkopf arbeiten musste. Die klapprige Leiter, die ihre Glanzzeit schon lange hinter sich hatte, war dabei auch nicht gerade hilfreich. Da ich zu faul war permanent hinunter zu steigen, um das Teil ein Stück weiter zu schieben, vollführte ich regelrechte Verrenkungen, um so viel wie möglich von der Decke auf einmal erwischen zu können. Doch dieses Mal überstrapazierte ich die Tragkraft der Leiter und sie begann zu kippen. Ich versuchte gerade das Gleichgewicht wieder zu finden, als jemand die Leiter packte und wieder stabilisierte. „Äh, danke Luca.“, stotterte ich, als ich ihn sah. Wie zum Teufel schaffte er es nur sich immer so lautlos an mich anzuschleichen. Gleichgültig wie immer blickte er mich an. Mittlerweile hatte ich mich aber daran gewöhnt. „Du hast Farbe im Gesicht.“, bemerkte er schlicht. „Oh.“, zuckte ich zusammen und wischte mit dem Ärmel drüber. „Ist es weg…?“, wollte ich gerade fragen, doch da war er natürlich schon wieder verschwunden. Ich seufzte und kehrte dann zu meiner Beschäftigung zurück. Am heutigen Abend war das Haus so leer wie nie zuvor. Tiara übernachtete bei einer Freundin, da Freitag war und sie morgen nicht früh raus müsste und die Zwillinge waren feiern. Kyria war sowieso nicht da und Luca, der zwar eigentlich im Haus anwesend war, ließ sich nicht weiter blicken. Als ich gerade dabei war etwas zu essen, kam er aber kurz in die Küche gestapft, holte sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank und verschwand sogleich wieder. Es wurde spät, bis ich schließlich mit allem fertig war. Da es eh schon dunkel war und ich eine Pause brauchte, warf ich mir meinen Mantel über und verließ das Haus. Ich roch nach Farbe und überall waren kleine Kleckse zu sehen, aber ich nahm das als Beweis, dass ich hart gearbeitet hatte. Heute ging ich mal in den Westen der Stadt. Dort ging ich eigentlich sonst nie hin, aber mir war einfach mal danach. Hier gab es auch eine Brücke, die sogar ein Stück höher war, als die andere und im Gegensatz zu der anderen über einen Fluss und nicht über eine Felsenküste führte. Wieso kam ich hier eigentlich nicht öfter her? Hier war reine Fußgängerzone, aber um diese Tageszeit war hier absolut nichts los. So hatte ich wenigstens meine Ruhe. „Es ist viel zu einfach dich aufzuspüren.“, ertönte mir eine altbekannte Stimme. Ich fuhr sofort herum, denn in dem Moment in dem sie zu sprechen begann, hatte ich auch ihre Aura gespürt. „Bist du ein Stalker oder so was?“, fragte ich gereizt, denn ich wollte Sayo nicht schon wieder ertragen müssen. Nun fiel mir auf, dass ich umzingelt war. Ich blickte mich um und erkannte die Schatten von gut einem Dutzend Katzen über mir, die sich auf den Seilen der Brücke befanden. Ihre gelben Augen funkelten in der Nacht. „Damit du mir nicht wieder davonläufst.“, gab Sayo zu verstehen, „Wie es scheint, hast du also überlebt. Ob du das auch noch ein weiteres Mal schaffst?“ Da mir der Ernst der Lage schmerzlich bewusst war, verwandelte ich mich dieses Mal sofort. Mit finsterem Blick starrte ich Sayo an. „Hey, wenn du mir verrätst wo Kyria abgeblieben ist, verschon ich dich vielleicht sogar.“, sagte sie plötzlich. Ich musste kichern. „Wenn ihr euch zu blöd anstellt sie zu finden, dann werde ich euch ganz bestimmt nicht noch helfen.“ Sayo knirschte wütend mit den Zähnen. „Falsche Antwort.“ „Ach bitte, als hättest du auch nur einen Moment darüber nachgedacht mich am Leben zu lassen.“, zischte ich sie böse an. Ihre ständigen Sticheleien gingen mir tierisch auf die Nerven. … Irgendetwas stimmte nicht. Lua war selbst für ihre Verhältnisse schon lange weg, stellte Luca fest. Er hatte seinen freien Tag dafür genutzt ein paar Bücher zu lesen, die schon lange auf seiner Liste gestanden hatten. Es war ihm nicht entgangen, dass sie irgendwann das Haus verlassen hatte, für einen ihrer üblichen Spaziergänge, aber diese dauerten nie länger als eine Stunde… im Normalfall. Mittlerweile war sie aber schon fast drei Stunden verschwunden. Er seufzte. Was kümmerte es ihn schon, schließlich war sie über 20 Jahre alt und damit alt genug auf sich selbst aufzupassen. Außerdem war sie eine Exile, was sollte da schon passieren? Gerade blätterte er die letzte Seite des Buches auf, was er gerade las. Dann schmiss er wütend das Buch auf das Bett und verließ ebenfalls das Haus. Wahrscheinlich würde sie eh nur wieder gedankenverloren an der alten Brücke rumhängen und hatte dabei schlicht und ergreifend die Zeit aus den Augen verloren. Umso mehr überraschte es ihn, als sie nicht da war. Auch im Park war keine Spur von ihr zu finden. Er wurde stutzig. Sonst hatte sie doch keine üblichen Plätze, die sie aufsuchte. Luca zückte sein Telefon und wählte schnell eine ihm nur zu gut bekannte Nummer. Es dauerte einige Male, bis jemand genervt abnahm. „Ey, weißt du wie spät es ist, Luca?! Ich hoffe es ist wichtig.“, herrschte ihn eine Männerstimme an, die nicht viel älter war als er selbst. „Hör zu, ich will nur ´ne Info haben, dann lass ich dich weiterpennen. Läuft in der Stadt grad irgendwo was ab?“, fragte Luca unbeeindruckt. Er sprach gerade mit einem Informanten seiner Arbeitsstelle. Jeder unter Lucius kannte seine Nummer und konnte sie bei Bedarf wählen. Manche nutzten dies um sich ein paar Extranervenkitzel zu holen. Luca fiel auf, dass er nicht einmal den Namen von ihm kannte, er wurde von allen nur Pik genannt, wie im Kartenspiel. Es gab noch drei weitere Informanten, jeder war für einen anderen Distrikt verantwortlich, aber die mochte Luca nicht sonderlich. Die Informanten hingegen kannten jeden, der für Lucius arbeitete. Müde und noch immer genervt, antwortete Pik endlich: „Ja, hab grad gehört, dass auf der Westbrücke ´nen paar von den Huntern ne Exile eliminieren. Haben da echt ein paar Geschütze aufgefahren, sag ich dir.“ Dann gähnte er, bevor er hinzufügte: „Wieso fragst du? Bist doch sonst keiner, den so was interessiert.“ „Schon gut, hat sich erledigt.“, gab Luca knapp zurück und legte auf. Lua schien wirklich Talent dafür zu haben, sich Ärger einzuhandeln. Ihm war das nun schon mehrfach aufgefallen und er konnte nicht fassen wie viel Unglück eine einzelne Person nur haben konnte. Was aber trieb sie denn heute an der Westbrücke? Dort ging sie doch sonst nicht hin. Luca seufzte erneut und streckte sich, bis seine Gelenke knackten. Zumindest wusste er jetzt wo sie war. … Der Kampf lief, milde ausgedrückt, suboptimal für mich. Ich hatte bereits mehrere kleine Wunden einstecken müssen und auch wenn diese schnell wieder verheilten, da sie von den Katzen stammten, kam ich nie zum Angriff. Verteidigen war alles, was ich zu tun vermochte und auch das würde ich nicht ewig aufrechterhalten können. Fieberhaft durchforstete ich meinen Kopf nach einem guten Plan, nur leider fiel mir nichts Passendes ein. Gerade wehrte ich den nächsten hieb einer Katze ab, als sich Sayo dazwischenschaltete und mich ihrerseits angriff. Ich rettete mich auf das Geländer der Brücke und stolperte von Angriff zu Angriff. Kyria war definitiv der bessere Kämpfer von uns beiden. Aber sie war auch mal erfolgreicher Hunter gewesen und ich nicht mal ansatzweise. Auch wenn ich von Natur aus einen Hang zum Kämpfen, wohl väterlicherseits, geerbt hatte und Kyria mir auch den ein oder anderen Kniff gezeigt hatte, reichte meine Erfahrung bei weitem nicht aus, um so was hier zu überstehen. Außerdem wusste ich von Kyria, dass Sayo schon damals eine begnadete Kämpferin gewesen war. Die Katzen konnte ich zur Not überwältigen, aber bei ihr hatte ich keine Chance. „Was ist los? Schwächelst du schon?“, provozierte Sayo mich. Aber ich ließ mich nicht darauf ein. „Weißt du was mich wundert, für einen noch recht jungen Exile bist du extrem beherrscht.“, sagte sie plötzlich. Klang ja fast schon nach einem Kompliment, doch sie machte das sogleich wieder zunichte, als sie hinzufügte: „Und genau das ist dein Problem, das macht dich erbärmlich schwach.“ Ich sprang vom Geländer hinunter und landete in der Mitte der Brücke. Sofort erwartete mich eine neue Angriffswelle, der ich jedoch ausweichen konnte, ohne größere Probleme dabei zu bekommen. Ich fuhr einige Klingen aus und tanzte, wie Luca oder Kyria sagen würde, durch sie hindurch. Daraufhin stürzten einige Katzen bewusstlos zu Boden. Zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber immerhin etwas. Meine Freude währte jedoch nicht lange, denn nun bekamen sie mich doch zu fassen. Die verbliebenen Katzen verbissen sich in meinen Armen und Beinen und machten mich so bewegungsunfähig. Ich biss die Zähne zusammen, damit ich nicht vor Schmerz aufschrie. Dass sie meine Rüstung mit ihren Zähnen durchbrechen konnten, war wohl darin begründet, dass diese sowieso geschwächt war, nachdem mich Sayo bereits einmal mit diesem Stab erwischt hatte und sich meine Kräfte nun darauf konzentrierten diese Areale zu regenerieren. Siegesgewiss näherte sich mir Sayo nun. Ein breites Grinsen durchzog ihr Gesicht und ihr Stab funkelte hell auf. An ihm klebte ja bereits mein Blut. „Sayonara.“, flüsterte sie mir entgegen und stieß dann zu. Aber Sayo erwischte mich nicht. Verwirrt hielt sie inne, als der Stab zur Seite weggezogen wurde. Verwundert blinzelte ich und erkannte, dass ein Messer daran herabhing. Dieses war an einem dünnen Draht befestigt und führte zu dem Besitzer des Messers zurück. „Sieh an, einer von Lucius Hunden ist also auch gekommen.“, sagte Sayo finster. Sie funkelte Luca bösartig an, welcher sie jedoch nur gleichgültig betrachtete. „Was machst du denn hier?“, entfuhr es mir. „Wie süß, er will dich retten. Nur leider wird ihm das nicht gelingen.“, lachte Sayo, „Schließlich ist er nur ein schwacher Mensch.“ Ich zappelte und versuchte die Katzen abzuschütteln, aber es gelang mir nicht. Nun musste ich hilflos mit ansehen, wie sich Luca ihr entgegenstellte. Seine Miene war starr und ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Dann begann der Kampf. Ich wusste ja, dass Luca überaus talentiert in solchen Dingen war, dass er sich aber besser gegen Sayo machte, als ich, fand ich schon fast befremdlich. Da hatte ich wohl dringend Nachholbedarf. Luca zog ein Messer nach dem nächsten und ließ sie durch die Luft schwirren. Sayo hatte sichtlich Probleme alle abzuwehren und nach einiger Zeit, traf er auch ein paar Mal. Das förderte zuweilen ihren Argwohn und sie kämpfte noch verbissener… und unfairer. Luca trat gerade einen Schritt zur Seite, um einen Faustschlag ihrerseits parieren zu können, als sie mit der anderen Hand den Stab packte und nach ihm ausholte. Es gelang ihm aber auszuweichen indem er sich halb nach hinten fallen ließ, sich mit den Händen am Boden abstützte und dann seinen Schwung nutzte, um sie zu treten. Er erwischte Sayo am Kinn und diese taumelte wutentbrannt einige Schritte nach hinten. „Was fällt dir ein du widerlicher Mensch.“, fauchte sie plötzlich. Ab diesem Augenblick erinnerte sie mehr an einen Vampir als an einen Menschen und das ließ sie nur noch gefährlicher werden. Luca zeigte sich jedoch in keiner Weise beeindruckt. Beinahe hätte ihn ein Faustschlag erwischt, doch da er in letzter Sekunde ausgewichen war, bestaunte ich nun stattdessen den kleinen Krater, den sie in die Brücke geschlagen hatte. Würde sie ihn nur einmal erwischen, würde das wohl seine Knochen regelrecht zerbröckeln. Ich schluckte nervös. Sayo wurde immer schneller, sodass selbst Luca langsam Probleme bekam, dem zu folgen. Sie holte zum nächsten Schlag aus, doch ihm gelang es diesen abzuleiten, indem er gekonnt gegen ihren Ellenbogen schlug. Nun setzte sie einen Tritt nach, welcher von seinem Oberarm pariert wurde. Kurz verzog Luca daraufhin das Gesicht und ich ahnte, dass das unheimlich wehgetan haben musste. Aber dieser Moment einer Gefühlsregung war so kurz und banal, dass er Sayo nicht mal aufgefallen war. Doch ewig konnte selbst Luca ihr nicht standhalten. Die Minuten vergingen und ich musste hilflos mit ansehen, wie er durch die zunehmende Erschöpfung immer langsamer und damit angreifbarer wurde. Sayo, die keine Spur von Erschöpfung zeigte, nutzte dies natürlich erbarmungslos aus. Ein Tritt erwischte ihn und beförderte ihn zu meinem Entsetzen in die Luft. Luca prallte gegen das Geländer und landete dann unsanft auf dem Boden. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was das für Schmerzen für ihn sein mussten. Bevor er jedoch wieder stehen konnte, setzte sie gleich einen nach und er flog abermals hoch. Dieses Mal nutzte er seine Wurfmesser jedoch, wickelte sie um eines der Stahlseile und schwang so hin und her. Mit diesem Schwung versuchte er Sayo zu erwischen, jedoch wich sie mühelos aus. Als er sich nun wieder dem Zenitpunkt näherte, zuckte sie plötzlich zusammen. Um ihren Hals hatten sich zwei weitere Drähte mit Messern gewickelt und je höher er schwang, desto mehr zogen diese sich um Sayo´s Hals zusammen. „ Na warte“, fauchte sie erstickt und stemmte sich nun extra dagegen. Die Drähte um die Brücke rissen und ließen Luca genau auf Sayo zufallen, während die Messer um ihren Hals schlaff zu Boden gingen. Luca fiel nun haltlos zu Boden und hatte keine Chance sich abzufangen. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass all seine Messer aufgebraucht waren oder Sayo dafür gesorgt hatte, dass er sie nicht mehr nutzen konnte. Während er noch fiel zückte sie ihren Stab und holte damit aus. Geschockt riss ich die Augen auf. „Nein!“, schrie ich, noch bevor ich es realisierte und stemmte mich gegen die Katzen, die sich noch immer in mir verkeilt hatten und mich durch meinen neuen Aufstand nun wütend anknurrten. Dünne Rinnsale aus Blut flossen aus den Bissstellen, aber das war mir egal. Würde dieser Angriff gelingen, dann wäre Luca Geschichte. Der Zorn darüber, dass sich die Katzen so sträubten, ließ meine Augen hell aufflackern. „Lasst mich los verdammt!“, knurrte ich und meine Haare wirbelten wie von selbst auf. Ich wusste nicht mal, dass ich so was konnte, aber nun drehten sie sich wie von selbst um mich, schlangen sich dabei um die Katzen und schleuderten sie davon. Auch wenn sie nicht weit von mir entfernt wieder landeten, schenkte mir das genug Zeit um zu reagieren. Ehe ich mich versah, spuckte ich einen Schwall Blut. Vor mir sah ich Sayo´s vor Überraschung geweitete Augen, während sich der Stab einmal quer über meinen gesamten Körper zog und dabei tiefe Furchen hinterließen. Klar war das für mich dumm gewesen, denn das Gift das an ihm haftete würde meinem Körper nicht gestatten die Wunden wieder zu schließen. Auch wenn sie nicht sofort tödlich war, würde ich so wohl verbluten. Doch soweit würde es wohl gar nicht kommen. Der Fall dauerte länger als ich angenommen hatte. Langsam wurde mir auch klar wieso, denn ich war so weit gesprungen, dass ich über das Geländer hinweg gefallen war und nun die Wasseroberfläche immer näher kam. Ein lautes und hartes klatschen, verkündete mir, dass ich im kühlen Nass angekommen war und drückte mir auf einen Schlag jegliche Luft aus den Lungen. Sofort begann ich hinunter zu treiben. Der Fluss war mehrere Meter tief, würde sich also lohnen. Meine schwere Rüstung beschleunigte diesen Vorgang zunehmend, aber mir fehlte die Kraft dagegen anzukämpfen. Schemenhaft erkannte ich, wie sich das Wasser über mir rot färbte und alles immer dunkler wurde. Das kalte Wasser betäubte meine Glieder und damit auch meinen Schmerz, während ich immer tiefer sank. Dann nahm ich nichts mehr wahr. Kapitel 14: Sein Geheimnis 2 ---------------------------- Als Luca landete, hatte er die Situation noch gar nicht komplett verarbeiten können. Was war soeben geschehen? Er war nicht aufgeschlitzt worden… stattdessen hatte sich Lua dazwischen geworfen. Moment… Und wo war sie nun? Kurz blickte er sich um. Er sah die Katzen, er sah Sayo, die nicht minder erstaunt schien, aber Lua konnte er nirgendwo erspähen. Ein dumpfes Platschen riss ihn aus seinen Gedanken heraus und er drehte sich schon fast mechanisch zum Geländer um. Das Wasser schlug noch Wellen und färbte sich rot, während der Schatten unter seiner Oberfläche immer mehr verschwand. Noch ehe er es selbst bemerkte, sprang sein Körper hinterher, auch wenn ihm durch diese Halbvampirin alles wehtat. Ihre Schläge waren echt nicht ohne, wahrscheinlich hatte er sich auch die eine oder andere Rippe gebrochen. Das eiskalte Wasser trug auch nicht gerade dazu bei, dass er sich besser fühlte. Zum Glück holte er Lua schnell ein, auch wenn sie durch ihre Rüstung rascher sank, als ihm lieb war. Sie rührte sich nicht mehr und ihre Augen waren halb geschlossen. Daraufhin beeilte er sich noch mehr. Endlich hatte er sie erreicht und zerrte sie nun zurück an die Wasseroberfläche. Wie üblich staunte er darüber, dass sie eigentlich sehr leicht war. Er hatte schon viele Yajuu und Exile gesehen, aber noch nie war ihm eine so zärtlich gebaute begegnet. Ihm war immer so, als wäre Lua in Wahrheit nur ein verkleideter Mensch, statt einer Bestie, wenn sie ihre wahre Gestalt preisgab. Dankbar sog er die Luft ein, als sie wieder oben ankamen. Lua war zwar noch immer nicht bei Bewusstsein, aber ihr Körper fing von ganz allein wieder an zu atmen, was ihn beruhigte. Allerdings war sie bereits extrem verkühlt und das nach nur so kurzer Zeit im Wasser. Musste durch den hohen Blutverlust nur begünstigt worden sein. Irgendwie musste er sie hier raus bekommen und dann auch noch die Blutung stillen. Das Problem war nicht das hinzubekommen, sondern eher sich um Sayo und die anderen Hunter zu kümmern, die oben immer noch lauerten. Im Moment hielt Luca sich im toten Winkel auf, aber diesen würde er bald verlassen müssen. Luca seufzte. Ihm blieb nur noch eine Alternative, ein Ausweg. „Vielleicht gehörst du ja zu den 2%“, hallte plötzlich die Stimme von Lucius in ihm wieder nach. Luca knirschte mit den Zähnen. „Ja klar.“ Vorsichtig stützte er Lua mit einem Arm ab und lehnte sich gegen den Brückenpfeiler. Es war umständlich, aber nach einiger Fummelei gelang es ihm schließlich den Ärmel seines rechten Armes nach oben zu ziehen. Dann kramte er in der Innentasche seines Hemdes herum und griff nach dem Gegenstand, der sich darin befand. Dann holte er den zweiten Gegenstand hervor. Mit den Zähnen riss er die Kappe von der Spritze herab und warf sie ins Wasser. Die brauchte er eh nicht mehr. Während er Lua behutsam abstützte, setzte er die Nadel an. Er merkte gar nicht, als sie in ihn eindrang und er sich das Serum hineinspritzte. Mittlerweile war er es wohl einfach nur schon gewohnt… leider. Da bewegte sich Lua plötzlich. Erst war sie noch benebelt, aber ihr erster Blick fiel natürlich sofort auf die Spritze in seinem Arm. Na toll. Nun riss sie geschockt die Augen auf. „Luca, was…?“, wollte sie fragen, doch da war er schon fertig und ließ die Spritze einfach ins Wasser fallen und versinken. Dann entspannte er sich und ließ auch den Arm ins Wasser sinken. Er gab ein müdes Lachen von sich. „Ich hab dir doch gesagt, es ist nicht so wie es aussieht.“, sagte er fast schon bitter. Er spürte bereits wie sein Körper innerlich Feuer zu fangen schien, was Lua noch kälter wirken ließ, als sie wirklich war. Sie blickte ihn nur aus großen, verzweifelten Augen an, verstand nichts mehr. Bevor er wusste was er tat, zog er sie näher an sich heran und legte seine Stirn auf ihre. Blitzartig wurde sie rot. „Luca…“, flüsterte sie geschwächt. Er konnte nicht anders. Das Zeug zwang ihn einfach die Wahrheit preiszugeben. Dann küsste er sie. Sie war verwirrt, wie auch schon beim letzten Mal, aber ihm blieb wahrscheinlich eh keine Zeit mehr. Als er sich von ihr löste, starrte sie ihn mit großen Augen an, die, trotz ihrer unnatürlichen Farbe, gerade menschlicher aussahen, als alles andere, was er seit Jahren gesehen hatte. „Was ist mit deinen Augen?“, flüsterte sie plötzlich. … Eigentlich war ich ja durchgefroren, aber nach der Aktion von eben glühte mein Kopf, als hätte ich Fieber. Luca war wirklich ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Aber darum konnte ich mir im Moment keine Gedanken machen, denn nicht nur, dass er sich gerade irgendwas gespritzt hatte und dass seine Körpertemperatur wieder sprunghaft anstieg, nein, das eigentlich befremdliche war, dass seine tiefblauen Augen nun auf einmal immer heller wurden. So ein frostiges Eisblau hatte sie noch nie gesehen, es ließ ihn regelrecht dämonisch wirken. Auch seine Pupillen zogen sich katzenartig zusammen. Und dann geschah es. Luca zuckte plötzlich zusammen. Sein Kopf sackte nach vorn, sodass seine Haare im Wasser hingen. „Was ist mit dir?“, fragte ich ernsthaft besorgt, erhielt aber keine Antwort. Luca verkrampfte immer mehr. Die Hand, die den Brückenpfeiler festhielt, krallte sich regelrecht hinein und mit der anderen streifte er sich die Haare aus dem Gesicht. Gefühle. Wann hatte Luca jemals so intensiv eine Gefühlsregung gezeigt. Was ich jetzt sah, war jedoch nur eins, Schmerz. Er sah so aus, als würde ihn von innen etwas zerreißen. Er biss die Zähne zusammen, während seine Augen weit aufgerissen waren und nun intensiv zu glühen begannen. Er löste den Arm mit der er die Brücke umklammert hielt und zusammen mit der anderen krallte er sie nun in seine Brust. Da ich mich selbst an dem Pfeiler halten konnte, war es kein Problem, dass er mich losgelassen hatte. Plötzlich tauchte er ab und war einfach verschwunden. Was nur wollte er vor mir verbergen? Die Sekunden vergingen und alles war totenstill. Hätte ich meinen durchgefrorenen Körper auch nur ein Stück bewegen können, wäre ich wohl auch wieder untergetaucht, um nach ihm zu sehen. Gerade begann ich mir auch wieder Sorgen darum zu machen, was ich wegen Sayo anstellen sollte, als vor mir eine Wasserfontäne emporkam. Während die Wassertropfen umherspritzten, wurden meine Augen immer größer. Dort wo vorhin sein Arm den Pfeiler berührt hatte, um mich damit zu stützen, griff nun wieder etwas danach... und riss tiefe Rillen in den Stahl. Eisblaue Augen spiegelten sich im Wasser wieder und ein markerschütternder Schrei durchbrach die Nacht. Ich erblickte eine tiefschwarze Mähne, wie die von einem Löwen. Der Rest des Fells hatte das typische orange eines Tigers, hatte aber ein viel filigraneres Streifenmuster als üblich, welches mich mehr an Tribals erinnerte. Seine Vorderbeine waren unheimlich muskulös und endeten ihn großen Pranken mit noch schärferen Krallen. Der Kopf wiederum ähnelte in seiner Gestalt mehr einem Schakal und war schmal geschnitten, doch die scharfen Zähne ließen dieses zart geschnittene Gesicht nicht minder gefährlich wirken. Direkt hinter der Nase erhob sich eine kleine Zacke und auf der Stirne erhoben sich zwei längere, leicht nach hinten Geschwungene, die nun gefährlich funkelten. Das einzige was mich jetzt noch an Luca erinnern konnte, waren die Piercings in seinen Ohren und die lange Narbe, die sich noch immer quer über das Gesicht zog. Luca fletschte bedrohlich die Zähne und starrte nach oben auf die Brücke. Blitzschnell schob er seinen Kopf unter meinen Oberkörper und verfrachtete mich so auf seinen Rücken. Wohlgemerkt war sein Kopf allein schon größer als mein Brustkorb. Ich hatte kaum Zeit die Situation zu verarbeiten, da landeten wir schon auf der Brücke. Luca´s Fell war angenehm warm, wie ich feststellte. Sayo und die Katzen erwarteten uns bereits und mit unserem Erscheinen rissen sie die vor Schreck die Augen auf. „Eine Chimäre…“, fluchte Sayo leise und brachte sich in Angriffsstellung. Chimäre? Luca setzte mich nun ab und knurrte unsere Gegner an. Die Katzen waren bis zur Schwanzspitze etwa 5 Meter lang, manche waren ein wenig größer oder kleiner. Ihre Schulterhöhe betrug in etwa 1, 50 m bis zu 1, 80 m. Dann betrachtete ich Luca. Er war mindestens noch mal zwei Meter länger und um die 50 cm größer als die Katzen. Nun wusste ich auch, wieso sie ihn Chimäre nannten. Neben dem was ich im Wasser schon gesehen hatte, stellte ich fest, dass sein Körperbau dem eines Tigers sehr ähnelte. Er war muskulös, aber trotzdem stromlinienförmig gebaut. An den Fersen und Ellenbogen zeigten sich jeweils kleine Zacken, die spitz empor stachen. Am Ende seiner Wirbelsäule erhoben sich mehrere Zacken, die ein Bogen machten und mit hauchdünner Haut verbunden waren, welche aber bereits beschädigt war. Die größte der fünf Zacken bildete außerdem den Anfang seines Schwanzes, welches definitiv von einer Schlange stammen musste. Er endete in einem Skorpionsstachel. Beides war ebenfalls tiefschwarz. Tränen liefen mir das Gesicht herab. Jetzt also kannte ich Luca´s Geheimnis und wusste woher die Stiche kamen. Plötzlich streifte mich sein Skorpionsstachel. Sofort bemerkte ich, wie auf einmal die Blutung von meinen Wunden stoppte. „Luca…“, flüsterte ich deprimiert. Doch er schaute mich nicht an. Stattdessen durchschnitt sein tiefes Grollen die Nacht. Die Katzen fauchten ihm zur Antwort zurück. Dann war er verschwunden. Ich blinzelte kurz und als ich die Augen wieder öffnete, stand er auf der anderen Seite der Brücke und zerriss eine der Katzen mit seinem Maul. Ich sah in ihr schmerzverzerrtes Gesicht, während überall das Blut umherspritzte. Die anderen Katzen wollten der Kameradin helfen, aber er wehrte sie alle mit dem Schwanz ab, der wie eine Peitsche fungierte. Eine Katze traf er mit dem Stacheln, woraufhin sie verzerrt zusammenbrach. Er konnte das Gift also verändern. Nun hielt er sich nicht mehr mit seinem Opfer auf und stürmte direkt auf Sayo zu, die ihm mit finsterem Blick entgegenhielt. „Wie ich euch Viecher hasse!“, fauchte sie und Luca knurrte zurück. Wütend durch seinen Angriff geworden, umzingelten die verbliebenen Katzen ihn, doch er wehrte alle ab, ohne auch nur hinsehen zu müssen. Ich rätselte erst, wie er in einem Winkel von 360° alles wahrnehmen konnte, aber dann erkannte ich den Grund. Sowohl auf Höhe seiner Rippen, als auch unter den Zacken am Anfang seines Schwanzes zogen sich je drei Striemen entlang. Sie waren unscheinbar, aber ich vermutete, dass sie ähnlich wie bei Fledermäusen als Sonar arbeiten mussten. So hatte er fast ein uneingeschränktes Wahrnehmungsfeld. Sayo stieß Luca den Stab entgegen, dieser stellte sich derweil auf die Hinterpfoten und stemmte dann seine Vorderpfoten gegen selbigen. Dann versuchte er sie mit seinem Maul zu erreichen, aber sie drückte zu stark dagegen. Seine Zunge war gespalten, wie die einer Schlange, als er wenige Zentimeter vor Sayo zum Halten kam. Blitzschnell attackierten ihn mehrere Katzen von hinten, doch er wich in rasender Geschwindigkeit aus. Plötzlich schien er durch die Luft zu gleiten. „Mist!“, fluchte Sayo weiter, „Auch noch einer mit Luftaffinität.“ Leichtfüßig landete die riesige Bestie wieder vor ihr, während neben ihr mehrere Katzen bewusstlos zu Boden gingen. Seine Klauen leuchteten rot durch das Blut der Katzen und auch an seiner Schnauze sah ich die verräterischen Spuren. Erstaunlich, dass Luca in dieser Gestalt mehr Emotionen zeigen konnte, als ich sonst je von ihm zu sehen bekam. Bald schon war Sayo als einzige noch am Leben. Die letzte Katze glitt gerade tot zu Boden. Sie war von oben auf ihn zugesprungen und da hatte er sie einfach mit den Hörnern auf seinem Kopf aufgespießt. Sayo wich einen Schritt zurück und knirschte mit den Zähnen. „Glaub nicht, dass ich vor dir kneife!“ Der nächste Angriff folgte. Wie lange ging das nun schon so? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber keiner der beiden schien einen großartigen Vorteil zu haben. Ich bewunderte wie leichtfüßig Luca sich bewegte, wobei er gar nicht danach aussah. Aber Sayo hatte einfach den Vorteil der Erfahrung, die sie mithalten ließ. Manchmal hatte er sie fast, aber dann entkam sie doch noch im letzten Moment und drehte den Spieß beinahe um. Die Brücke war ziemlich demoliert. Überall waren Blut, Katzen, Wurfmesser, Krater, alles Mögliche. Irgendwann stoppte Luca plötzlich. Obwohl Sayo ihn gar nicht getroffen hatte, riss er plötzlich schmerzverzehrten Gesichtes den Kopf nach oben. Sayo stemmte die Hände in die Hüften und lachte. „Na endlich, wurde aber auch Zeit. Hab mich schon gefragt, wann es seine Wirkung verliert. Das ist eben der Nachteil wenn man sich solch ein Zeug spritzen muss.“ Ich war verwirrt. Die Spritze verlor ihre Wirkung? Dann würde er wohl wieder ein Mensch werden… Da gefror mir das Blut in den Adern und ich erkannte endlich den Zusammenhang mit seinen plötzlichen Krankheitsfällen. Das waren wohl die Nebenwirkungen… und sie wurden jedes Mal heftiger. Panik durchflutete mich. Jetzt würde Sayo doch leichtes Spiel haben. Luca war wieder verkrampft und sackte kurz zusammen. Doch plötzlich riss er wieder den Kopf nach oben und setzte sich in Bewegung. Blitzschnell tauchte er vor mir auf und packte mich, sodass ich wieder auf seinem Rücken hing. „Nein! Nicht schon wieder.“, schrie Sayo, doch da hatte er schon alle Tragseile der Brücke gekappt und sie begann einzufallen. Luca schien unterdessen zu schweben. Das musste die Luftaffinität sein, von der Sayo gesprochen hatte. In Wahrheit jedoch, hatte er sich nur von den Bruchstücken der zerfallenden Brücke abgestoßen und glitt nun, unterstützt durch einen günstigen Wind, nahezu durch die Luft. Während Sayo sich von der einstürzenden Brücke retten musste, nahm er mich mit… in Sicherheit. Kapitel 15: Das Geistermädchen ------------------------------ Wir endeten auf einer Hochwiese am Rande der Stadt. Sie war schon ziemlich grün geworden in den letzten Wochen und auch das Wetter war um einiges wärmer. Erleichtert stellte ich fest, dass sich meine Wunde nun endlich zu schließen begann. Allgemein ging es mir von Minute zu Minute besser, seit Luca mir dieses Gegengift verabreicht hatte. Er hatte mich kaum auf der Wiese abgesetzt, da brach er zusammen. Die große, gefährliche Chimäre wirkte nun klein und zerbrechlich. Aber wieso verwandelte er sich nicht zurück? „Ich kann nicht mehr…“, stöhnte es in meinem Kopf. Er konnte telepathisch mit mir kommunizieren? „Luca, was ist mit dir?“, fragte ich besorgt, „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Einen Moment war Ruhe, dann ertönte es wieder: „Nein… Das war das letzte Mal.“ „Was meinst du damit…?“ „Das ist die Strafe für die 13.te Spritze.“, erklang plötzlich eine mir völlig fremde Stimme. Ruckartig fuhr ich herum und erblickte einen fremden Mann, der in etwa so alt wie Luca sein musste. Er hatte lange hellblonde Haare, die er als Zopf zusammengebunden hatte. Seine Augen hatten ein helles Orange und schienen hinterlistig zu sein. Ansonsten trug er einfach einen langen schwarzen Umhang mit einem Pik drauf. „Wer sind sie?“, fragte ich und stellte mich schützend von Luca. Er hob beschwichtigend die Hände und zeigte, dass sie leer waren. „Nur die Ruhe, ich will ihm nichts tun. Ich bin nur neugierig. Sehr erfreut dich kennen zu lernen. Du musst Lua sein. Nur für dich würde er so leichtfertig sein Leben wegwerfen, musst du wissen. Aber zugegeben, du bist wirklich eine bezaubernde Exile.“ Da ertönte ein schwaches Knurren hinter mir. Luca hatte zwar den Kopf auf den Boden gelegt, aber starrte den Neuankömmling finster an. „Man nennt mich einfach nur den Informanten, aber mein Spitzname ist Pik, wie im Kartenspiel.“, stellte sich der schräge Typ schließlich vor. Ich nickte einfach nur zustimmend. Er war also ein Arbeitskollege von Luca. Auch wenn ich ihm nicht wirklich traute, schien er die einzige Person zu sein, die ich im Moment fragen konnte, was hier ablief: „Was meinst du damit, dass er sein Leben weggeworfen hat?“ „Nun das hängt mit dem Serum zusammen, dass er sich gespritzt hat. Unser lieber Chef gibt jedem seiner Assassine zum ersten Arbeitstag genau 13 Spritzen mit dem Serum mit. Diese machen die Menschen für einige Zeit zu den Chimären. Im Übrigen hat jede irgendeine Affinität zu etwas. Luca hier zum Beispiel mit dem Element Luft.“ Das erklärte, wieso er sich immer so an mich heranschleichen konnte, stellte ich fest. „Jedenfalls hat das ganze natürlich einen Haken. Das Serum ist eigentlich ein starkes Gift für den menschlichen Körper. Mit jeder Anwendung zerstört sie ihren Träger mehr und nach der 13. Anwendung erholt sich dieser davon nicht mehr.“, erklärte er nun. Der Informant, wie er sich ja selbst nannte, klang genauso kalt wie Luca zu seinen Glanzzeiten. War das bei allen ihrer Sparte so? Allerdings glaubte ich darin zu erkennen, dass auch er, ähnlich wie Luca, das meiste nur vortäuschte. Doch die Härte dieser Aussage war wie ein Faustschlag ins Gesicht für mich. Luca würde sterben? „Verwandelt er sich deswegen nicht mehr zurück?“, hörte ich mich fragen. Meine Stimme begann bereits zu beben. „Na nicht traurig sein, ich kann keine Mädchen weinen sehen!“, raunte Pik plötzlich und blickte dabei irgendwie überfordert drein. Dann kehrte er wieder zu seinem kühlen Ich mit dem noch kühleren Lächeln zurück. „Technisch betrachtet, besteht eine 2%ige Chance, dass er das überlebt und wenn das der Fall wäre, würde er sogar dauerhaft die Fähigkeit behalten sich in eine Chimäre zu verwandeln. Wäre echt cool, nicht wahr?“ „Und wie oft kam das schon vor?“, fragte ich ihn. Er kratzte sich verlegen am Kopf und blickte zur Seite. „Tja bisher… hat es leider noch niemand geschafft. Das sind eh alles nur Hochrechnungen.“ Meine Schultern sackten erschöpft nach vorn. 2%. Das war nichts. Plötzlich hob Luca unter sichtlich großer Anstrengung den Kopf und knurrte leicht. „Verschwinde endlich!“, raunte er und obwohl es sicherlich nur an ihn gerichtet war, konnte auch ich es hören. „Na, na, da Sorge ich mich um dich und so wird es mir gedankt. Ich hab mir schon gedacht, dass du sowas Dummes anstellen würdest, nach deinem Anruf vorhin.“, tadelte der Fremde ihn. Ich ging neben Luca in die Knie und berührte vorsichtig sein Fell. Die Gewissheit, dass ich nichts mehr tun konnte, traf mich hart. Aber ich zwang mich nicht zu weinen. Ich hatte bereits genug geheult. Luca´s Kopf sank auf meinen Schoss. „Deja vu.“, bemerkte er schwach und ich lächelte gequält. „Ja, aber beim letzten Mal warst du nicht so flauschig.“, erwiderte ich laut. Der komische Typ ließ sich plötzlich auch neben uns nieder. „Eine Chimäre und eine Exile? Hab ich auch noch nicht erlebt, ist ja wirklich herzzerreißend.“, bemerkte er. Ich wusste nicht, ob man ihn schlagen oder das als Kompliment auffassen sollte. Aber Luca schien ihm wirklich nicht völlig egal zu sein, auch wenn er es hinunterspielte. Irgendwie freute es mich, dass Luca doch nicht ganz allein war. Er hatte die Zwillinge, Tiara und ihn gehabt, während meiner Abwesenheit. Mehr als ich angenommen hatte. Dieses Mal wurde Luca nicht heiß. Sein Körper hatte den Kampf gegen das Gift wohl wirklich aufgegeben. Stattdessen spürte ich mit schmerzhafter Erkenntnis, dass sein Puls immer langsamer wurde. „Du bist wirklich eine wunderschöne Exile.“, hallte plötzlich eine Stimme in meinem Kopf, „Scheint wohl, als würde ich auf ältere Frauen stehen.“ „Du Idiot.“, schluchzte ich, „Damit rückst du jetzt raus?“ „Kann nichts dafür… das Zeug zwingt mich die Wahrheit zu sagen… sieh´s lieber so, besser spät als nie.“, flüsterte seine Stimme in meinem Kopf. Die Kälte war verschwunden. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten, war die eisige Gleichgültigkeit zerbröckelt und gab den wahren Luca preis. Plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis ihm mein Geheimnis zu verraten. Ich fand, dass ich ihm das schuldete… „Luca, ich habe dich angelogen. Ich war eigentlich nie ein Mensch.“, begann ich unsicher. Er sagte zwar nichts, aber ich spürte die Verwunderung in meinem Kopf. „Ich wusste es ja selbst vorher nicht, aber wie es scheint war mein Vater wohl ein Exile und nur meine Mutter ein Mensch.“ Ich spürte, dass auch Pik mich mit großen Augen ansah, aber ignorierte das geflissentlich. „Du steckst echt voller Überraschungen. Aber das wusste ich ja schon vorher… Mir ist egal, was du bist…“, hallte es schwach wider. Entsetzt stellte ich fest, dass Luca´s Augen nur noch einen Schlitz weit geöffnet waren. Sie leuchteten nicht mehr, sondern waren ganz trüb geworden. Fast schon mechanisch streichelte ich sein Fell. „Es wird wohl Zeit.“, stellte Pik nüchtern, aber auch mit einem Anflug Traurigkeit fest. Im Gegensatz zu Luca schien er doch mehr Gefühle zuzulassen, was ihn mir doch ein wenig sympathischer machte, als zu Beginn. Gerade bemerkte ich, dass die Sonne langsam aufging. Was für eine Ironie, dass sein Ende der Beginn eines neuen Tages sein würde. „Ich werde bleiben.“, stellte ich fest. Pik sah mich unergründlich an und auch er machte plötzlich keine Anstalten mehr gehen zu wollen. Luca schwieg nun völlig. Sein Atem wurde flach und sein Puls war kaum noch wahrnehmbar. Ich wusste nicht einmal mehr, ob er noch bei Bewusstsein war oder nicht. Die ersten Sonnenstrahlen wärmten die Luft auf, während ich in eine Traumwelt abdriftete. Der Tag war anstrengend gewesen und nun erst kam meine ganze Erschöpfung zum Vorschein. Ich sank gegen Luca´s Flanke, während sein Kopf immer noch auf meinem Schoss ruhte. … Irgendetwas ließ mich erwachen. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, aber was ich wusste, war, dass wir uns auf dieser Wiese befanden und das Luca im Sterben lag… oder war er bereits tot? Ich spürte nichts mehr von ihm. Nicht mal mehr seine Aura. Was hatte mich dann aufgeweckt. Zu meinem Erstaunen war Pik noch da, aber auch er schlief neben uns, zumindest machte es den Anschein. Warum war er wohl geblieben? Dann zerrte etwas an meiner Aufmerksamkeit und ich richtete den Blick auf die Wiese vor uns, die sich abfallend Richtung Stadt bewegte. Ich konnte nicht so lang geschlafen haben, denn die Sonne war noch nicht komplett aufgegangen. Ein dichter Nebel hatte sich über die Gegend gezogen, der uns regelrecht einhüllte. Auf einmal sah ich einen Umriss im Nebel. So schnell er jedoch erschienen war, so schnell verschwand er auch wieder und ich fragte mich bereits, ob ich mir das nur eingebildet hatte. Schließlich war ich immer noch sehr erschöpft und halluzinierte vielleicht. Nein, da war es schon wieder. Ich war mir ganz sicher. Vorsichtig richtete ich mich auf, aber nicht zu sehr, da Luca´s Kopf noch auf mir war. Geisterhaft wirbelte etwas um die Gestalt herum. Es war, als würde der Nebel leben. „Sieh an, du hast mich also bemerkt.“, hallte es plötzlich aus dem Nebel. Es war die Stimme eines jungen Mädchens. Langsam löste sie sich aus dem Nebel und kam auf uns zu. „Wer bist du?“, fragte ich und starrte sie gebannt an. „Im Moment… nur ein Schatten meiner Selbst fürchte ich…“, war ihre rätselhafte Antwort. Wenige Meter vor mir blieb sie schließlich stehen. Das Mädchen hatte fast weiße Haut und trug dazu noch ein einfaches weißes Kleid, sodass sie wirklich wie ein Geist wirkte. Ihre Haare waren silbern und sie waren es, die wie der Nebel umherwirbelte und sich an den Spitzen aufzulösen schienen. Ihre Augen waren ebenfalls fast weiß, auf ihnen lag jedoch ein Perlmutglanz. Ihrem Aussehen nach musste sie etwa Tiara´s Alter haben. Aber ich ahnte, dass das nicht stimmen konnte. „Was möchtest du?“, fragte ich nun. „Ich weiß es nicht mehr…“, hallte sie zur Antwort. Sie schien so verloren und irgendwie nicht ganz anwesend, auch wenn sie sich auf mich zu konzentrieren versuchte. „Du bist wie ich.“, stellte sie plötzlich fest und fixierte mich mit ihrem Blick, „Du bist auch die erste einer neuen Art.“ „Auch?“, fragte ich. Wer war sie nur? Aber sie würde mir eh nicht antworten, sie hätte wahrscheinlich nicht einmal gekonnt, wenn sie gewollt hätte. „Aber du bist schwach.“, ertönte es auf einmal und ich zuckte zusammen. „Ich weiß…“, erwiderte ich, denn sie hatte ja recht. Da schüttelte sie den Kopf. „Deswegen bist du es… du versuchst zu sein, was du nicht sein kannst. Wer kein Exile ist, kann keiner sein. Wer kein Mensch ist, kann keiner sein.“, summte sie rätselhaft, „Du hast dein Innerstes noch nicht wiedergefunden.“ Ich seufzte. Wie sollte mir das denn helfen? Das Mädchen war ein einziges Rätsel für mich. Plötzlich stand sie genau vor mir. Sie musste sich ein kleines Stück bücken, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. Dann berührte sie mit beiden Händen mein Gesicht. Ein Lichtblitz durchflutete mich und unzählige Bilder rasten durch mich hindurch. Es waren so viele, dass ich nicht eines wirklich erkennen konnte. „Du wirst viele Opfer bringen müssen…“, flüsterte sie mir ins Ohr. Was sollte das denn nun wieder bedeuten? Mir erschloss sich nun aber, wieso das Mädchen so abwesend wirkte. Sie war zerrissen… unvollständig, nur ein Schatten ihrer Selbst, wie sie gesagt hatte. Was hier vor mir stand, war nur eine Facette der eigentlichen Person. Plötzlich starrte sie an mir vorbei zu Luca. Ihre Miene war mir unergründlich, doch sie schien unendlichen Schmerz auszudrücken. Erneut zwang sie mich in ihre Augen zu blicken: „Ich helfe dir.“ Jetzt fiel meine Aufmerksamkeit auf Pik, der auch aufgewacht war und das seltsame Mädchen mit aufgerissenen Augen anstarrte. Doch er traute sich nicht das Wort zu erheben. „Ich werde dich vor den Stimmen bewahren.“, sagte sie jetzt auf einmal. Nichts von dem was sie sagte, schien auch nur irgendwie Sinn zu ergeben. Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht einmal, was sie da sagte, aber sie ließ dem Taten folgen. Plötzlich ging sie vor Luca auf die Knie und umfasste mit ihren zarten Händen seine Schnauze… und dann begann sie zu leuchten. Einige Sekunden dauerte dieses Schauspiel, dann löste sie sich wieder von ihm. War sie gerade geschrumpft? Plötzlich musste das Mädchen sich nicht mehr leicht bücken, um mir in die Augen zu sehen, sondern sie tat es, wenn sie aufrecht stand. Auch ihr Kleid schien schlaffer als zuvor zu hängen, wobei es eh schon zu groß gewesen war. „Meine Kraft ist aufgebraucht…“, stöhnte das Mädchen leise und wandte dann ihren Blick wieder zu mir, „Es ist nicht mehr viel übrig.“ „Was geschieht mit dir?“, fragte ich sie besorgt. „Mein Bewusstsein schwindet. Ich werde nicht länger herauskommen können.“ Sie wirkte niedergeschlagen. Zumindest hatte ich nun eine Ahnung, wer da vor mir stand. „Das nächste Mal werden wir zu dir kommen und dann werden wir uns wirklich gegenüberstehen.“, sagte ich entschlossen. Ihre Augen weiteten sich und Tränen glitzerten darin. „Gib die Hoffnung nicht auf.“, fügte ich noch hinzu und lächelte sie liebevoll an. Nun begann das junge Mädchen zu schluchzen. Sie zog die Schultern nach oben und wischte sie mit den viel zu langen Ärmeln über das Gesicht. Vorsichtig nahm ich sie in den Arm. Sie wirkte so furchtbar zerbrechlich. „Mach dir keine Sorgen mehr. Alles wird gut. Man hat dich nicht vergessen.“ Während ich sie noch im Arm hielt, begann sie sich aufzulösen. Sie wurde zu dem Nebel aus dem sie gekommen war. Ein letztes Mal hob sie den Blick und starrte mich mit Kinderaugen an. „Es tut weh… ich habe Angst.“ Sanft strich ihr eine Träne aus dem Gesicht. „Ich weiß, du warst sehr tapfer. Es wird nicht mehr lange dauern.“ Da strahlte für einen kurzen Moment ein wirklich reines und aufrichtiges Lachen auf ihrem Gesicht, was man wirklich nur selten zu Gesicht bekam. So an mich gelehnt, verschwand sie schließlich völlig. Pik blickte mich mit erstauntem Gesicht an, doch ich konnte ihn nur mit demselben sanften Lächeln anschauen, was ich auch dem Mädchen entgegengebracht hatte. Beschämt blickte er zur Seite und legte sich dann wieder schlafen. Kapitel 16: Im Nichts --------------------- Eigentlich hatte er sich an die Finsternis bereits gewöhnt. Hier hatte er keine Schmerzen mehr. Hier konnte er alles hinter sich lassen. Seine Erinnerungen waren bereits zum Großteil verblasst. Nicht einmal an seinen Namen konnte er sich noch erinnern, aber das störte ihn auch nicht. Ziellos trieb er im Nichts umher und schien nur noch tiefer in es einzutauchen. Ihm war das Recht. Er brauchte kein Ziel. Er brauchte gar nichts. Plötzlich blendete ihn etwas. Vergeblich versuchte er sich vor dem unangenehmen Licht abzuschirmen, welches immer näher kam. Je länger er hinsah, desto mehr nahm dieses eine Form an. Zunächst nur vage, erkannte er später die Silhouette einer erwachsenen Frau. Sie schien von innen heraus zu erstrahlen. Silberne Haare wogten schleierhaft um sie herum und ihre Augen leuchteten mit einem Schimmer von Perlmut. Sie sah wirklich gut aus, musste er zugeben. Das Licht, dass sie ausstrahlte war paradoxerweise warm und kalt sogleich. Mit unergründlicher Miene blickte sie ihn an. „Du darfst sie nicht allein lassen.“, hallte es plötzlich in dieser Leere ohne dass sie den Mund bewegte. „Lass sie nicht so enden wie es mir widerfuhr, denn es würde sie schwächen, so wie es mich schwach gemacht hat.“ „Wen meinst du?“ Luca wusste nicht von wem sie sprach. Er wusste gar nichts mehr. Doch die Gestalt war geduldig. „Ich ging den Menschen in die Falle, wegen meiner Schwäche. Du kannst sie davor bewahren. Doch dazu musst du dich auch an sie erinnern wollen.“ „Ich kann mich aber an nichts erinnern!“, rief Luca gereizt aus, „Ich weiß ja nicht mal wer ich bin!“ Die Frau lächelte sanftmütig. „Weißt du dann noch, was du bist?“ Da musste er nicht lange zögern. „Natürlich ein Mensch.“ „Nicht länger.“, erwiderte sie. „Was soll das heißen? Natürlich bin ich einer. Ich bin nie zu einem dieser Yajuu oder Exile geworden, keine dieser Bestien!“ Warum machte ihn das so wütend? „Nein, das bist du wahrlich nicht, doch die Menschen würden dich sehr wohl als Bestie bezeichnen.“ „Red keinen Unsinn!“, zürnte er. Da erschien hinter ihr plötzlich der Schatten eines anderen Wesens. Es war viel größer als sie und erinnerte ihn gleich an mehrere Tiere. Tiger, Schlange, Schakal… und es hatte eisblaue Augen, die ihn innerlich einfrieren zu drohten. „Das bist du.“, dröhnte es in seinem Kopf. Entsetzt riss er die Augen auf. „Nein!“ „Den Menschen in dir gibt es nicht mehr.“ „Nein!“ „Aber ein Teil von ihm steckt auch in der Bestie.“ „Nein! Hör auf!“ Die Frau sollte endlich still sein und ihn wieder in Ruhe lassen. Er wollte nichts mehr hören. „Warum?“ Luca riss die Augen auf, als eine Flut von verschollen geglaubten Erinnerungen in überfiel: „Weil die Bestien es waren, die seit jeher mein Leben zerstört haben! Wären sie nicht gewesen, hätten meine Eltern mich nicht so gequält! Wären sie nicht gewesen, wäre ich nicht permanent beinahe gestorben! Wären sie nicht gewesen, dann wäre ich kein Mörder geworden! Und wären sie nicht gewesen, dann…“ Plötzlich stockte er. „Dann was?“, fragte sie Frau ihn sanft. Luca senkte den Blick und biss die Zähne zusammen. „Wären sie nicht gewesen, dann… hätte Lua uns nicht verlassen müssen.“ Wie hatte er sie nur vergessen können? Von allen Wesen auf der Welt hatte er nicht damit gerechnet, dass er ausgerechnet sie vergessen würde. Schließlich war sie doch die letzte Person, die wirklich bis in sein Innerstes das Eis durchbrechen konnte. Natürlich bedeuteten auch Tiara und die Zwillinge ihm was. Ja sogar Pik war ihm nicht vollkommen egal, war er doch sein bester Freund, aber nur sie, nur bei ihr konnte er wirklich noch fühlen, wie er eigentlich war. Erst hatte er die eiserne Maske nur benutzt, um sich verstellen zu können, doch im Laufe seines Lebens hatte sie ihn immer mehr gefesselt und hatte sich regelrecht immer tiefer in ihn hinein gebohrt. Daher war Lua ja auch stets solch eine große Stütze für ihn gewesen. „Wie ich sehe, erinnerst du dich.“, sprach die Frau und ein glückliches Lächeln zog sich über ihre Lippen. Luca blickte sie nur an. „Was ist nun also? Lässt du sie einfach im Stich? Sie wird sich weiterhin in Gefahr begeben. Viel schlimmere Dinge erwarten sie jenseits der alten Versorgungsschächte. Entweder wird sie dabei sterben… oder aber so zerbrechen wie ich.“ Luca schüttelte den Kopf. „Nein, ich will nicht, dass ihr das widerfährt. Aber was kann ich schon tun? Ich bin tot. Die letzte Spritze hat mich wie erwartet, getötet.“ Diese Tatsache war unveränderlich, dessen war er sich bewusst. Doch die Frau schenkte ihm nur weiterhin das warme Lächeln. „Willst du den Grund wissen, wieso du gestorben bist? Es war nicht das Gift selbst, dass deine DNA zu dem der Chimäre hat werden lassen, sondern vielmehr die Abwehrreaktion deines Körpers gegen sich selbst. Der menschliche Geist kann sehr hartnäckig sein, wenn es um solche Dinge geht.“ Luca konnte ihr nicht recht folgen: „Willst du damit sagen, ich bin selbst schuld, weil ich einfach ein Mensch bleiben wollte?“ „So kann man es natürlich auch formulieren.“, gab sie zu verstehen. „Meine Menschlichkeit aufgeben…“, flüsterte er vor sich hin. „Nein, nicht die Menschlichkeit nur das Menschsein. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Hüte dich, das je zu vergessen.“, erklärte sie ihm. Luca blickte sie durchdringend an. „Lua hat ihre Menschlichkeit auch nicht verloren… selbst wenn sie seit jeher nur zur Hälfte einer war.“ Er dachte nur laut nach, aber die Frau vor ihm gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er richtig lag. „Selbst die Exile, die sie begleitet… Kyria, wenn ich mich recht erinnere, auch sie scheint noch menschlich zu sein.“ Luca fuhr sich durch die Haare und seufzte, so wie er es immer tat, wenn er eine schwierige Entscheidung fällte. „In Ordnung. Wenn es für mich wirklich noch eine zweite Chance gibt, dann werde ich sie auch nutzen.“ Die Entscheidung war gefallen. Da erbebte der Raum, in dem sie sich befanden. „Danke…“, hauchte die Frau, die auf einmal zu verschwinden begann. „Warte, wer bist du überhaupt?“, rief er ihr nach. Bis jetzt war es ihm völlig egal gewesen, doch nun plagte ihn doch die Neugier. Mit einem traurigem Lächeln auf den Lippen, hauchte sie: „Seraphis…“, und dann verblasste sie völlig. Luca wollte ihr noch etwas nachrufen, doch das Beben wurde immer stärker. Obwohl er sich jetzt wieder in völliger Dunkelheit befand, erschien der Schatten der Bestie vor ihm als noch finsterer und noch bedrohlicher. Vorhin hatte er sich in dieser Leere noch wohl gefühlt, aber nun wirkte alles erdrückend und einschüchternd. Luca starrte direkt in die kalten Augen der Chimäre. Als der letzte Funke von Seraphis´ Licht erlosch, schien sie nur noch bedrohlicher zu werden und da stürmte ihr Schatten plötzlich auf ihn zu. Er sah ihr Maul immer näher kommen und riss reflexartig die Arme schützend vor das Gesicht. „Nein“, rief er laut, während die Bestie immer näher kam. Auch wenn sein Körper instinktiv flüchten wollte, zwang er sich die Arme wieder zu senken. „Ich habe keine Angst vor dir. Nur ein Mensch hätte das!“, rief er in die Finsternis. In dem Moment verschlang ihn der Schatten und riss Luca mit sich, fort aus dieser Leere, fort aus dieser unwirklichen Zwischenwelt. Zurück ins Reich der Lebenden. … Es war ein merkwürdiges Gefühl wieder da zu sein. Das Erste, was er wahrnahm, war die frische Morgenluft, die sich in seinem Fell verfing und dieses leicht umherwirbeln ließ. Dann wanderte seine Aufmerksamkeit zu der Wärme, die seine Flanke durchflutete. Dort lehnte jemand. Seine Sinne verrieten ihm, dass es Lua war, seine Lua. Bisher hatte er seine Umgebung als Chimäre nie so wirklich wahrgenommen, was wohl daran lag, dass er bisher auch immer hatte kämpfen müssen, wenn er sich das Serum in die Adern gejagt hatte. Nein, trotzdem war das Gefühl anders. Er war von Grund auf einfach viel entspannter und ausgeglichener. Luca wusste nicht, wann er sich das letzte Mal so gefühlt hatte, wenn das überhaupt schon mal der Fall gewesen war. Für den Moment genoss er einfach mal die Ruhe. Es war ziemlich still hier. Er hörte nur Lua´s leisen Atem. Sie schien zu schlafen. Dann nahm er auch Pik wahr, der auf der anderen Seite liegen musste. Sie waren also tatsächlich bei ihm geblieben. Luca musste in sich hineinlächeln, nur um sich dann über sich selbst zu wundern. Wo war die eiserne Maske hin verschwunden? Sie war weg, verschwunden. Er konnte zwar noch immer seine Gefühle, wenn er es wollte, hinter einem Pokerface verstecken, aber da war nicht dieser übliche Zwang, der ihn so kontrollierte. Kein Wunder, dass er so entspannt war. Plötzlich bewegte sich Lua, musste wohl träumen. Als sie wieder still lag, atmete er einmal tief durch. „Ich sag´s dir, irgendwann dreh ich dir den Hals um, wenn du mich weiterhin immer aufweckst.“, flüsterte es plötzlich neben ihm. Luca blickte zur Seite, aber ohne dabei den Kopf zu bewegen und blickte direkt in das Gesicht eines genervten Pik. „Oder du gewöhnst dir einfach ab mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln.“, fügte er hinzu. „Auch schön dich wieder zu sehen, Pik.“, seufzte Luca in Gedanken. Dieses Mal würde aber nur Pik diese Worte auch hören können. Er sah nun wie der gespielte Ärger verflog und stattdessen ein gewitztes Lächeln auf sein Gesicht trat. „2%, huh?“, sagte er, „Unkraut vergeht echt nicht.“ „Scheint wohl so.“, gab Luca zurück. „Hätte aber ehrlich gesagt nicht mehr dran geglaubt, warst schon zu weit drüben.“ „Ich hatte Hilfe.“, bemerkte Luca ruhig, „Du hast recht, ich selbst hatte schon abgeschlossen mit allem.“ „Achja das Geistermädchen… so was hab ich echt noch nicht gesehen.“ Pik wirkte noch immer verwundert über ihre Erscheinung. „Sie war bei euch?“, fragte Luca neugierig. „Ja, hat mir Lua geredet und ist irgendwann einfach verschwunden.“ „Verstehe.“ Dann entstand eine kurze Pause. „Was hast du nun vor?“, fragte ihn Pik schließlich. „Tja, ich werde Lua helfen, aber da ja auch irgendwie Geld reinkommen muss, werde ich auch weiter arbeiten… würdest du…?“ „Natürlich sag ich Lucius nichts davon. Nur weil ich ein Informant bin, heißt das nicht, dass ich gleich alles ausplaudere was ich so erfahre. Es gab keine besonderen Vorkommnisse diese Nacht.“ Dann zwinkerte er ihm frech zu. „Auf dich ist eben Verlass.“, seufzte Luca dankbar. „Kein Ding… aber die Sache mit dem aus dem Bett klingeln, musst du echt in den Griff bekommen.“, grummelte er nun wieder und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Die dunklen Augenringe unterstrichen das dazu perfekt. „Ich kann nichts garantieren.“, war Lucas unbekümmerte und überaus galante Antwort darauf, woraufhin Pik aufgebend seufzte. Dann ließ er sich ins Gras zurückfallen. Kapitel 17: Schlechte Nachrichten --------------------------------- Luca genoss weiterhin die Atmosphäre, die sie umgab. Es konnte natürlich auch zu seiner Affinität zur Luft liegen, dass er alles so extrem wahrnahm, aber er fühlte sich wohl dabei. Lua begann sich wieder zu bewegen, sodass die zerfetzte Malerkleidung, die sie nun wieder trug, da sie sich zurückverwandelt hatte, raschelte. Ihr eben noch friedlicher Gesichtsausdruck begann sich plötzlich zu verziehen. Ihre Brauen zogen sich schmerzhaft zusammen und ehe er sich versah, liefen die ersten Tränen über ihr Gesicht. Tja, im Schlaf konnte sie sich eben doch nicht zwingen, nicht zu weinen, dachte er sich. Die ersten Tränen fielen auf ihre Kleidung und sie klammerte sich instinktiv fester in das Fell seiner Mähne. Leise begann sie zu schluchzen. Musste ja ein bösartiger Albtraum sein. Luca war nicht in der Lage, dies länger zu ertragen. Vorsichtig hob er den Kopf von ihrem Schoss und bewegte eine Vorderpfote. Behutsam legte er sie nun über ihre Beine und schloss sie so schützend zwischen sich ein. Dann schmiegte er seinen Kopf an ihre Wange und ließ das Ende seiner Schnauze auf ihrer Schulter ruhen. Sie war ziemlich ausgekühlt, stellte er fest. Wie lange verharrte sie wohl schon so? Fast schon instinktiv zog er sie noch enger an sich. Das war dumm gewesen, denn diese neue Bewegung, weckte sie schließlich auf. Lua öffnete nur langsam die nassen Augen. Es dauerte einige Sekunden bis sich die Informationen, die gerade auf sie einstürmten, ordneten und einen Sinn ergaben. Dann veränderte sich ihr Blick und fokussierte ihn. Ungläubig flüsterte sie seinen Namen. Ihre Stimme bewirkte bei ihm, dass sein Innerstes einen Sprung machte. Bevor sie noch irgendetwas anderes sagen konnte, fiel sie schon um seinen Hals und vergrub ihr Gesicht in seiner Mähne. Schützend legte er die Vorderpfoten um sie, als sie in sein Fell zu schluchzen begann. „Du lebst! Ich dachte schon, ich hätte dich verloren…“ Den Rest konnte er nicht mehr verstehen, weil das Schluchzen alles andere verschluckte. „Ich lasse dich nicht mehr allein.“, sandte er ihr telepathisch zu. Lange genug hatte er versucht sie zu ignorieren und zu vergessen, doch nun würde Schluss damit sein. Seraphis hatte ihm eine neue Perspektive gegeben und er würde sie nicht enttäuschen, dass schwor er sich. Von nun an würde er versuchen mit offeneren Karten zu spielen. Minutenlang verharrte sie noch so. Pik, der etwas peinlich berührt daneben lag, betrachtete sich unterdessen die Wolken. Luca war ihm schon immer sympathisch gewesen, um einiges mehr als die anderen Mörder unter Lucius. Er wusste nicht, wann es begonnen hatte, aber mit der Zeit hatte er angefangen in Luca einen treuen Freund zu sehen, auch wenn sie sich eigentlich nur von der Arbeit kannten. Pik empfand das Leben als Informant schon lange als langweilig und vom ersten Tag an, hatte Luca eine Aura ausgestrahlt, die ihn anders machte, interessanter. Das war wohl auch der Grund, weswegen er heute gekommen war. Schon nach seinem Anruf hatte Pik geahnt, dass irgendetwas geschehen würde. Und als er schließlich von einer Chimäre und einer Exile hörte, da musste er sich das einfach selbst anschauen. Wahrlich, mit diesen Leuten wurde einem nie langweilig und das war wohl auch der Grund, weswegen er beschlossen hatte, dass er ihnen von nun an helfen würde… auch wenn ihm seine eigentliche Position als einer der vier Informanten wohl bewusst war. In Zukunft musste er gut aufpassen, dass die anderen drei nichts erfuhren oder nur das, was er auch gutheißen konnte. Pik seufzte. Den Schlafmangel würde er wohl so schnell nicht hinter sich lassen können. … Gehetzt rannte sie durch die finstere Nacht. Es nieselte leicht, was dazu führte, dass der schlammige Boden noch rutschiger wurde. Ihre nackten Füße rutschten immer wieder weg und sie taumelte. Schwer atmend versuchte sie das Ende des Ödlandes zu erreichen, doch es kam und kam einfach nicht näher. Nun schlidderte sie endgültig weg und landete der Länge nach im Schlamm. Neben ihr ragten überall die Spitzen Steine empor und über ihr thronte drohend die große Brücke, die den Eingang zur Stadt markierte. Erschöpft versuchte sie sich wieder aufzustemmen, doch ihre Arme gaben nach und sie landete nur erneut im Schlamm. Ihre Haare klebten im Gesicht und verrieten nicht mehr die Farbe, die sie eigentlich hatten. „Flucht ist zwecklos. Egal wohin du gehst, wir finden dich überall.“, ertönte die dunkle Männerstimme hinter ihr. Wie ein Geist erschien er auf dem Stein, der sich nur wenige Zentimeter neben ihr erstreckte. „Sag Lucius er soll sich zur Hölle scheren.“, fluchte sie schwer atmend zurück. „Wenn man bedenkt, was du ihm alles zu verdanken hast, bist du ganz schön respektlos.“, gab er ihr tonlos zurück, „Aber du musstest ja diesen riesigen Fehler machen, der einfach nicht zu tolerieren ist.“ Noch ehe sie sich versah, hob er sie am Kragen ihres Hemdes empor. Sie bekam kaum Luft und so stieg Panik in ihr auf. „Du hast dich lange gehalten, aber gegen uns hast du keine Chance.“ „Kreuz… du warst es… oder? Du hast uns verraten.“ Er lachte sie an. „Natürlich. Glaubst du im ernst, dass ich es toleriere, wenn du einen unserer Informanten von der Arbeit ablenkst? Pik können wir nicht bestrafen, aber dich sehr wohl. Er wird gar nicht erfahren, was geschehen ist. Du bist einfach bei einem ganz normalen Auftrag ums Leben gekommen, Yari.“ „Ich verfluche dich. Dafür wirst du noch büßen.“, keuchte sie. „Wohl kaum.“, lachte er und stieß sie gegen einen der spitzen Felsen. Yari sackte zusammen, wie ein Kartenhaus. Nach tagelanger Flucht war sie am Ende ihrer Kräfte. Kreuz kam erneut zu ihr herüber und packte sie. Dann schleuderte er sie gegen den nächsten Felsen. Ihr Körper brannte vor Schmerz, doch sie war nicht in der Lage sich zu wehren, geschweige denn zu bewegen. Als er sie nach minutenlangen Martyrien endlich liegen ließ, da wusste sie, dass ihr Ende gekommen war. Mit letzter Kraft hielt sie sich aufrecht an den Felsen gestützt. Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. Wenigstens diesen Blick sollte er nie im Leben mehr vergessen können. Aber sie ahnte, dass es ihn kalt lassen würde, so wie es auch sie während fast all ihrer Aufträge ergangen war. Kreuz zückte einen Revolver aus seinem Mantel hervor. Sie erkannte sein Gesicht nicht, da er es unter der Kapuze seines Mantels verbarg. Yari´s hellviolette Augen durchbohrten ihn, aber das ließ ihn natürlich nicht einen Moment zögern. Kreuz war sadistisch. Er zielte nicht auf ihren Kopf, um ihr ein schnelles Ende zu gewähren, nein, er entleerte das gesamte Magazin seiner Waffe in ihrer Brust. Dabei verfehlte er bewusst die akut lebenswichtigen Stellen. Yari spuckte Blut, als einige der Kugeln ihre Lunge durchbohrte. Röchelnd versuchte sie zu atmen, aber nur ein Bruchteil der benötigten Luft erreichte sie noch. Yari fiel zur Seite um. Am Stein erkannte man das verschmierte Blut. Langsam floss ein wenig gen Boden. Kaum noch bei Bewusstsein, sah sie nur noch schemenhaft, wie Kreuz ihr den Rücken zudrehte und verschwand. „Pik…“, formte sie wortlos. Ihr Körper fühlte sich taub und leer an und auch ihre Gedanken beruhigten sich langsam. … Als Luca heute nach Hause kam, war er irgendwie merkwürdig drauf. Seitdem er zur Chimäre geworden war, waren etwa 5 Wochen vergangen. Es ging ihm gut, auch wenn er ab und zu das Verlangen danach hatte irgendetwas zu jagen. Aber ansonsten konnte ich mich echt nicht beklagen. Auch wenn er nach wie vor in der Öffentlichkeit sein gleichgültiges, kühles Gesicht aufsetzte, so war er privat viel offener geworden. Auch wirkte er viel entspannter und ausgeglichener, was mich immer glücklich machte, wenn ich ihn ansah. Pik hatte sein Wort gehalten. Niemand hatte von dem Vorfall erfahren und so ging Luca nach wie vor ganz normal seiner Arbeit nach, auch wenn ich es nicht unbedingt guthieß. Tatsächlich besuchte uns Pik manchmal. Tiara und die Zwillinge kannten ihn schon länger und freuten sich immer wenn er da war. Aber heute war alles anders. Luca kam hinein und ich spürte sofort die bedrückte Stimmung, die von ihm ausging. Die anderen waren noch in der Schule, also waren wir allein. „Was hast du?“, fragte ich ihn besorgt, als er sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ. „Yari ist gestorben.“, sagte er bedrückt. „Yari?“, fragte ich ihn. Bisher hatte ich diesen Namen noch nicht gehört. „Ja… sie war eine Kollegin von mir. Sie hat ihren letzten Auftrag nicht überlebt, das wurde heute bekannt gegeben.“, seufzte er. „Das ist ja schrecklich.“, sagte ich ernsthaft betrübt. Ich wusste, dass ihr Beruf nicht ungefährlich war und jederzeit der Tod hinter der nächsten Ecke lauern konnte, aber dennoch war es schmerzlich so etwas zu erfahren. „Standet ihr euch nahe?“, fragte ich nun, nicht aus Eifersucht, sondern einfach nur aus Anteilnahme. „Naja irgendwie schon… indirekt. Sie kam zwei Jahre nach mir zu Lucius und ich war eine Zeit lang so was wie ihr Mentor.“ „Verstehe…“, antwortete ich. Fühlte er sich, versagt zu haben, weil sein ehemaliger Schützling gestorben war? Jedoch brauchte ich nicht länger darüber zu grübeln, als Luca aussprach, was das Ganze eigentlich so tragisch für ihn machte. „Aber eigentlich bin nicht ich derjenige, dem das am meisten zusetzt.“, raunte er. „Wie meinst du das?“ „Yari war Pik´s Geliebte, musst du wissen oder besser gesagt, sie war sein ein und alles. Jetzt da sie von uns gegangen ist, mache ich mir echt Sorgen um ihn.“ „Pik´s Geliebte? Oh nein, wie hat er reagiert, als er es erfahren hat?“, fragte ich besorgt. „Nun vor den Augen aller Anwesenden und vor Lucius hat er sich zwar keine Blöße gegeben, aber ich kenne ihn. Seinem Verhalten nach zu urteilen, muss er kurz vor einem Zusammenbruch gestanden haben.“ Luca blickte mich nun tiefgründig an, „Ich glaube, ich kann ihn verstehen. Yari hat ihn damals aus der Finsternis gezogen und jetzt da sie weg ist, befürchte ich, fällt er nur tiefer wieder hinein.“ „Wie meinst du das?“, fragte ich ihn verwirrt. „Weißt du, ich kenne ja Pik schon ziemlich lange. Wir haben uns schon immer gut verstanden, aber anfangs war er echt schwer für andere auszuhalten. Wenn du dachtest, dass ich gefühlskalt war, dann musst du dir ihn noch zehnmal schlimmer vorstellen. Morden war für ihn kein Beruf, sondern seine Lebensaufgabe und wenn einer seiner Untergebenen ihm nicht gehorchte, dann machte er oft kurzen Prozess. Der Pik von heute ist ein sanftes Unschuldslamm dagegen. Yari hat ihn so geändert. Ich weiß nicht wie, aber sie war die einzige auf die er gehört hat, wenn sie ihn zurecht gestutzt hat und so hat er sich mit der Zeit allmählich verändert.“ Das war also der gleichgültige Ausdruck gewesen, den ich bei unserem ersten Treffen bei ihm gesehen hatte. Es musste ein Hinweis auf sein früheres Ich gewesen sein. Pik tat mir ernsthaft Leid. „Vielleicht sollten wir ihn besuchen?“, schlug ich vor. Es konnte nicht gut für seine Psyche sein, wenn er ausgerechnet jetzt allein war. Luca blickte mich skeptisch an. „Also ich weiß nicht recht… er hat klar und deutlich gesagt, dass er niemanden sehen will. Ich glaube wir sollten ihn erst einmal ein paar Tage seine Ruhe lassen, dann können wir ihm ja mal einen Besuch abstatten.“ Ich war nicht wirklich zufrieden mit dieser Antwort, denn ich wusste, was mein Verschwinden mit Luca gemacht hatte und da ich Pik in den letzten Wochen wirklich als guten Freund lieb gewonnen hatte, wollte ich nicht, dass ihm dasselbe geschah. Doch ich vertraute auf Lucas Entscheidung, hoffend, dass er Recht behalten würde. Leider behielt ich Recht. Kapitel 18: Blutige Rosen ------------------------- Zwei Tage nach unserem Gespräch, erhielt Luca nachts einen dringenden Anruf. Er kam von einem Kollegen. Plötzlich saß er neben mir aufrecht ihm Bett und blickte fast schon panisch drein. „Sag das noch mal!“, schrie er schon fast ins Telefon. Das veranlasste mich dazu, mich auch aufzusetzen. Eine Weile beobachtete ich, wie sich durch Lucas Gesicht tiefen Furchen zogen, dann sagte er schließlich: „Ist gut. Ich kümmere mich darum. Seht ihr nur zu, dass keiner der anderen was mitbekommt.“ Dann legte er auf. „Was ist los? Wer war das?“, fragte ich ihn leise. „Das war einer von Piks direkten Assistenten. Sie haben sich Sorgen gemacht, weil sie Pik seit zwei Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen haben und sind daher in sein Büro gegangen, auch wenn er es eigentlich verboten hatte. Er hat mir erzählt, dass Pik dort vorgestern Nacht ziemlich rumrandaliert haben muss. Jedenfalls sieht das Büro nicht nur so aus, als hätte eine Bombe dort eingeschlagen, nein, Pik ist auch verschwunden.“ „Verschwunden?“ „Ja, aber niemand hat ihn verschwinden sehen oder hören, sprich niemand weiß wo er sein könnte.“ Luca erhob sich nun und begann sich anzuziehen. „Was hast du jetzt vor, fragte ich und stand ebenfalls auf.“ „Piks Assistenten wissen, dass sie mir vertrauen können. Von so einem Zusammenbruch darf Lucius nicht erfahren, aber die Assistenten können nicht selbst auf die Suche gehen, weil das zu auffällig wäre. Daher haben sie mich um Hilfe gebeten.“ Auch ich begann mich anzuziehen. „Ich werde dir helfen.“, sagte ich entschlossen, „Und ich dulde kein Nein.“, fügte ich gleich noch hinzu. Luca seufzte nur und gab jegliche Versuche mich abzuhalten sofort auf. Sein Glück. Glücklicherweise schliefen alle, daher kamen wir unbemerkt hinaus. „Wo können wir anfangen zu suchen?“, fragte ich Luca und hackte mich bei ihm unter. Das Wetter in den letzten Tagen war nicht besonders gut. Es war kühl und es regnete oft. Auch jetzt nieselte es leicht. Luca überlegte eine Weile, bis er antwortete: „Ab und zu sind wir mal was trinken gegangen in der Bar in der du früher gearbeitet hast. Vielleicht ist Pik dort ja aufgetaucht.“ „Gut, dann lass uns dahin zuerst gehen.“, erwiderte ich. Mir behagte der Gedanke zwar nicht sonderlich, dorthin zu gehen, da ich ja dann meinen Chef wieder sehen würde, bei dem ich im Prinzip nie gekündigt hatte, sondern einfach verschwunden war, doch das musste jetzt sein. Wir machten uns also auf den Weg. Als wir die kleine Kneipe betraten, stieß mir sofort der Geruch von Nostalgie in die Nase. Es saßen dieselben Leute wie immer da und alles sah wirklich einfach so wie immer aus. Der Chef hatte die Türklingel gehört und blickte zu uns herüber, denn er saß gerade bei einer Gruppe anderer Gäste und unterhielt sich mit ihnen. Als er mich erblickte, weiteten sich seine Augen. „Na sieh mal einer an, bist ja wieder in der Stadt.“, raunte er. Sofort stieg mir die Röte ins Gesicht, denn nun drehten sich mir auch die anderen mir bekannten Gesichter zu. „Oi Lua, hast dich ja ganz schön rumgetrieben was.“, jauchzte einer der Gäste. Der Chef erhob sich nun und kam zu uns an den Tresen. Finster blickte er mich an und ich wünschte augenblicklich im Boden zu versinken. Einen Moment lieferten wir uns diesen Anstarrwettbewerb, dann begann er plötzlich zu lachen und knallte eine Flasche guten Schnaps auf den Tresen. „Komm, trink erstmal einen. Auf die guten alten Zeiten.“ Mit einer seiner großen Hände wuschelte er durch meine Haare und ein Lächeln der Erleichterung breitete sich in meinem Gesicht aus. Wenige Minuten später saßen Luca und ich am Tresen und unterhielten uns mit meinem ehemaligen Boss. Er erzählte mir, dass er sich Sorgen gemacht hätte, als ich verschwunden war und dass er froh war, dass ich nun wieder da war. Vorwürfe machte er mir keine und tat das Ganze als „jugendliche Rebellion und Eifer ab“. Ich war froh, dass er so reagierte, was mich daran erinnerte, weshalb ich hier eigentlich so gern gearbeitet hatte. „Nun, ich nehme mal an, dass ihr nicht wegen eines Drinks mitten in der Nacht hier aufgeschlagen seid.“, raunte er schließlich nach einer Weile. Nun ergriff auch Luca das Wort: „Ja, eigentlich sind wir hier, weil wir eine Frage haben. Pik ist verschwunden und ich würde gerne wissen, ob er in den letzten beiden Tagen hier aufgetaucht ist.“ Der Boss runzelte kurz die Stirn. „Hab mir schon gedacht, dass mit dem Jungen was nicht stimmt. Er war tatsächlich hier. Tauchte vor zwei Tagen mitten in der Nacht hier auf und sah ziemlich fertig aus. Hat aber nicht viel gesprochen und nur ´ne Menge in sich reingebechert, dann ist er wieder verschwunden.“ Er war also wirklich hier gewesen. „Hast du eine Ahnung, wo er danach hingegangen sein könnte?“, fragte Luca nun, froh, dass seine erste Spur richtig gewesen war. Da zögerte mein Boss kurz und senkte die Stimme: „Naja… wissen tu ich nichts direkt, aber ich hab gesehen, dass er sein komplettes Waffenarsenal mithatte, als er hier aufgeschlagen ist… und seitdem höre ich einige Gerüchte.“ „Gerüchte?“, platzte es aus mir heraus. Er sprach nun noch leiser: „In den letzten beiden Tagen sollen in der Stadt scharenweise Exekutionen ausgeführt worden sein, aber richtig brutal und blutig. Hat alles Mögliche erwischt, Menschen, Yajuu, auch ein paar Hunter waren wohl dabei.“ „Das klingt gar nicht gut.“, raunte Luca finster. „Meinst du Pik läuft jetzt Amok? Warum sollte er das tun?“, flüsterte ich. „Schon möglich… Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich hörte, dass Pik früher immer so drauf war. Bevor er Yari kennenlernte hatte er absolut null Respekt vor dem Leben anderer. Man könnte sagen, töten war für ihn eine Art Hobby um sich abzureagieren. Sag mir, weiß man denn, was die Leute umgebracht hat?“, wandte sich Luca an meinen Boss. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie man Töten als Hobby ansehen konnte und ich fragte mich ernsthaft woher Pik kam, wenn er so seine Jugendzeit verbracht hatte. Aber laut Luca hatte niemand eine Ahnung, wie Piks Vergangenheit war. Nun riss mich mein ehemaliger Boss wieder aus den Gedanken, als er meinte: „Glaubt man den Gerüchten, so muss es etwas Scharfes gewesen sein, ein Schwert oder so.“ Augenblicklich stand Luca auf. „Das war kein Schwert. Ohne Zweifel muss das Pik gewesen sein. Komm, wir müssen los.“ Luca zog mich hoch. „Danke für deine Hilfe, dafür hast du einen gut bei mir.“, sagte er zu meinem Boss und dann verließen wir auch schon die Bar. Er schien es nun eilig zu haben. „Was ist denn in dich gefahren, Luca?“, beschwerte ich mich, da ich mich nicht einmal ordentlich verabschieden hatte können. Luca blickte finster vor sich hin. „Das war kein Schwert.“ „Was?“, fragte ich verwirrt. „Das waren Sensen. Pik war früher bekannt für seinen Kampfstil mit Doppelsensen, aber seitdem Yari aufgetaucht war, hatte er sich zurückgehalten. Das kann kein gutes Zeichen sein, dass er sie mitgenommen hat und jetzt wieder benutzt.“ Sensen? Ich hatte noch nie davon gehört, dass man damit gut kämpfen könnte, aber offensichtlich log Luca nicht. „Und wohin gehen wir jetzt?“, fragte ich ihn nach einer Weile. „Zum Friedhof…“, seufzte er. Bitte was? Es war also nachts, es war kalt, nass und absolut ungemütlich. Und doch waren Luca und ich nun hier. Da die Tore um diese Zeit normalerweise geschlossen waren, hob er mich hinüber und sprang dann hinterher. Ich fand es echt bemerkenswert, wie er sich verändert hatte, seit er kein Mensch mehr war. Nicht dass ich das jemals laut ausgesprochen hätte. Luca und ich liefen nun immer tiefer in den Friedhof hinein. Der Boden war ganz schlammig von dem vielen Regen, was das Laufen ein wenig erschwerte. Luca schien das irgendwie gar nicht zu stören. Ich war kurz davor ihn zu fragen, ob er sich sicher war, dass wir Pik hier finden würden, als ich vor uns einen Schatten sah. Dort hing doch irgendetwas im Baum… Ich entließ ein wenig meine Aura und meine Augen veränderten sich. Nun konnte ich endlich scharf sehen, was ich auch sogleich wieder bereute. Dort hing eine Leiche, die nicht mehr kenntlich war. Lange konnte die Person noch nicht tot sein, denn das Blut tropfte noch zu Boden. Als ich meinen Blick schweifen ließ, erkannte ich voller Schrecken, dass dies nicht der einzige Körper war, der hier hing. Tatsächlich war das ganze Gebiet hier übersät mit Toten. Als ich dann den Körper eines Katzenyajuu sah, wurde mir klar, dass alle Toten hier ausschließlich Hunter waren. „Hat Pik das angerichtet?“, fragte ich erstickt. Wenn er so was fertig brachte, musste er wohl ziemlich gut sein. „Schätzungsweise.“, flüsterte Luca zur Antwort. Ihn schien der Anblick zwar nicht so sehr zu schocken, wie mich, aber glücklich war er darüber nun auch nicht gerade. „Wieso tut er das?“ Das war lauter gedacht, als geplant. Luca kam jedoch nicht dazu, mir zu antworten. Stattdessen hielt er mich mit einer Handbewegung zurück. Ein paar Meter vor uns stand Pik mit dem Rücken zu uns. „Hab mir schon gedacht, dass sie dich schicken würden.“, erhob Pik das Wort und ich erkannte ihn nicht wieder. Seine Stimme war kalt und ausdruckslos, fast wie eine Maschine. Selbst Luca in seinen Glanzzeiten konnte da nicht mithalten. In seiner Hand war zu meiner Überraschung ein Blumenstrauß, auch wenn einige Blutflecken auf den Blüten glänzten. „Ok, ich kann verstehen, dass du außer dir bist, aber bitte reiß dich wieder zusammen. Deine Assistenten haben jetzt schon Probleme das zu verbergen, aber wenn du hier weiter Amok läufst, wird Lucius das früher oder später erfahren. Ich hoffe dir ist das bewusst.“, redete Luca auf ihn ein. „Wen kümmert das noch?“, war Pik´s schlichte Antwort, „Zumal er doch froh sein kann, wenn ich der Welt ein paar lästige Hunter nehme oder Yajuu oder sonst was.“ Luca seufzte: „Das kann ich aber nicht einfach so durchgehen lassen.“ Nun wandte sich Pik uns endlich zu. Seine Haare verdeckten fast sein gesamtes Gesicht, dennoch erkannte ich den toten Blick in seinen Augen. Außerdem waren sie blutunterlaufen. Ein eiskaltes Lächeln zog sich über sein Gesicht. „Meinst du, du hast eine Chance gegen mich? Selbst als Chimäre ist sie nicht besonders gut.“, erklärte Pik unbeeindruckt. Ich wollte gerade auch mal was sagen, als Luca mich ziemlich unsanft zur Seite wegstieß. Instinktiv wollte ich mich beschweren, bemerkte dann aber, dass er mir gerade das Leben gerettet hatte. Dort wo wir eben noch gestanden hatten, war nun eine tiefe Schneise im Boden. Wie konnte Pik nur so schnell sein? Von Luca wusste ich ja, dass er Sensen benutzte, aber ich sah sie nicht. „Lua, halt dich bitte da raus.“, rief Luca mir zu. Und wieder war ich nur ein Klotz an seinem Bein, traf mich die Erkenntnis seiner Worte. Zu oft hatte ich mich nun schon auf ihn verlassen und war selbst allenfalls ein sehr mittelmäßiger Kämpfer. Ich konnte nicht auf ihrem Niveau mithalten. Pik schmiss den Blumenstrauß in die Luft und die einzelnen Blumen stoben auseinander. Mitten hindurch bewegte sich Luca auf Pik zu. Seine Augen hatten wieder dieses eisblau angenommen, was mir zeigte, dass es ihm ernst war. Er entließ seine Wurfmesser und diese stießen auf Pik zu. Mit blitzschnellen Bewegungen wehrte er die Messer mithilfe einer Sense ab, die er unter seinem Mantel versteckt gehalten hatte. Er trennte die Messer von den Drähten, sodass sie davon flogen. Nun zückte er plötzlich auch die andere Sense und hätte beinahe Luca geköpft. Doch dieser duckte sich in letzter Sekunde weg und kam so endlich in den inneren Kreis von Pik. Seine Sensen waren gut auf Entfernungen, aber in der Nähe relativ nutzlos. Luca nahm nun je drei Dolche zwischen seine Finger und attackierte Pik direkt. Dieser wehrte die Dolche jedoch mit den Stäben seiner Sensen ab und brachte Luca aus dem Gleichgewicht. Er taumelte kurz, sprang dann aber reflexartig von Pik weg, um seinem Angriff zu entgehen. Nun schien Luca wieder in der Luft zu schweben. Er bediente sich der Luftaffinität, die er besaß. Pik setzte ihm sofort nach. Mir wurde mehr und mehr bewusst, dass Pik tatsächlich die Oberhand hatte. Plötzlich weckte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Es war nur ein kurzer Augenblick, aber ich spürte für einen Moment eine mir fremde Aura. Sie lag in einiger Entfernung, aber zog meine Aufmerksamkeit magisch an. Die beiden Kämpfenden jedoch, schienen nichts zu bemerken. Da ich Luca sowieso im Moment nicht helfen konnte, beschloss ich der Sache nachzugehen. Weil mich die beiden eh nicht mehr wahrnahmen, machte ich mich sofort auf den Weg. Kapitel 19: Shinigamis Warnung ------------------------------ Zu meiner Überraschung kam ich bei der alten Brücke raus… wieso nur zog es mich immer wieder dorthin? Erst war mir nicht ganz klar, was nun die Quelle der seltsamen Aura war, aber dann erspähte ich in einiger Entfernung eine Gestalt. In weiße Umhänge gehüllt, erschien sie mir fast wie ein Geist. Viel mehr erschreckte mich jedoch die Tatsache, dass sie auf dem Geländer der Brücke hockte, nur wenige Zentimeter vom Abgrund entfernt. Vorsichtig näherte ich mich ihr. Ihre Hände ruhten auf ihrem Schoss und ich erkannte, dass sie in Bandagen gehüllt war. Was anderes schien sie gar nicht zu tragen, von den Umhängen natürlich abgesehen. Die Tatsache, dass selbst ihre Haut nahezu weiß war, machte sie noch geistähnlicher. Aber irgendwie war es unheimlich. Ihre Haut schien fast wie Pergament, so als könnte man durch sie hindurchschauen. Schließlich entschloss ich mich die seltsame Gestalt anzusprechen. „Wer bist du?“, fragte ich vorsichtig. Da schien die Gestalt aus ihrer Art Trance zu erwachen und sie drehte den Kopf zu mir. Trotzdem sah ich ihr Gesicht nicht, da sie ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte und außerdem ihre Haare zusätzlich einen Großteil verdeckten. Diese mussten schwarz sein, was einen wirklich akuten Gegensatz zum Rest ihrer Erscheinung darstellte. „Wer bist du?“, wiederholte ich meine Frage leise. Doch sie antwortete nicht. Stattdessen begann sie traurig zu lächeln und ich spürte, wie die Luft um mich herum schlagartig mehrere Grad abkühlte. Es wurde so kalt, dass ich sogar meinen Atem sehen konnte und der Niesel gefror augenblicklich. Noch im selben Moment erhob sich die Gestalt und ließ sich vornüber vom Geländer fallen. So schnell konnte ich gar nicht blinzeln, wie sie gefallen war. Entsetzt stürmte ich zum Geländer und starrte nach unten, aber ich erkannte nichts. War das womöglich wirklich ein Geist gewesen? Jedenfalls erwärmte sich die Luft langsam wieder, so als wäre nichts geschehen. Kurz überlegte ich, ob ich hinterher springen sollte, um nach dem Rechten zu sehen. Sterben würde ich davon schließlich nicht mehr, doch gerade als ich im Begriff war über das Geländer zu steigen, ertönte neben mir eine Stimme. „Wow, ich dachte die Phase hätten wir schon hinter uns gelassen.“ Erschrocken zuckte ich zusammen. „Mensch, Kyria, du hast mich erschreckt!“, fauchte ich sie an. Sie lachte nur amüsiert. „Und nein, ich wollte mich nicht umbringen, aber hast du eben auch diese Gestalt hier gesehen?“, fragte ich sie nun ruhiger. „Nein, ich habe nichts gesehen, aber ich habe etwas gespürt. Vielleicht meinst du ja das.“, gab sie mir zur Antwort. Da erinnerte mich mein Gedächtnis an Luca und sofort kam die Sorge zurück. „Kyria!“, rief ich nun aus. Sie zuckte verwirrt zurück. „Ja?“, fragte sie. „Ein Glück das du wieder da bist. Du musst ganz schnell mitkommen. Ich brauche gerade echt deine Hilfe.“, erzählte ich ihr und zerrte sie schon mit zum Friedhof. Nachdem das mit Luca alles passiert war, hatte sie uns zweimal besucht und in der Zeit hatte ich sie immer auf dem Laufenden gehalten. Pik hatte sie noch nicht getroffen, aber sie hatte schon von ihm gehört. In wenigen Worten schilderte ich ihr die Lage. „Jedenfalls bist du glaube ich gerade die einzige, die Pik zur Besinnung bringen kann.“, endete ich meine Erzählungen, während wir zum Friedhof zurückhechteten. „Hm, ich verstehe. Klingt nach einer echt blöden Situation.“, stimmte sie mir zu, „In Ordnung, auf mich könnt ihr zählen.“ „Ich danke dir.“, sagte ich ernsthaft gerührt. Als wir ankamen, bot sich mir ein Bild des Schreckens. Mehrere tiefe Wunden überzogen Lucas Haut und seine Kleidung war ziemlich stark zerfetzt. Außerdem hatte er von seinen Messern nur noch eines übrig. Pik hingegen wirkte nicht sonderlich mitgenommen. Kyria analysierte blitzschnell die Lage neben mir. „Scheint so, als bräuchte Luca eine Ablösung.“ Dann war sie auch schon verschwunden. Unterdessen griff Pik gerade an. Mit dem ersten Angriff hatte er Luca aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass dieser nicht mehr ausweichen konnte, als der nächste Angriff erfolgte. Die Sense raste unerbittlich auf ihn zu, doch in dem Moment ging Kyria zum Glück dazwischen. Mit einer Hand stützte sie den fallenden Luca, mit der anderen wehrte sie die Sense ab. Ich war beeindruckt von ihr. Gerne hätte ich auch so kämpfen können. „Wer bist du?“, fragte Pik sichtlich erstaunt, „Es hat noch niemand geschafft meine Sense einfach festzuhalten.“ Kyria lächelte ihn kampflustig an. „Ich bin hier die Ablösung, sozusagen.“ Luca blickte sie dankbar an und entfernte sich aus dem Kampfgeschehen. Lange hatte er ohnehin nicht mehr stehen können, also stützte ich ihn nun ab, während Kyria das Ruder jetzt übernahm. Ihr zuzusehen war immer wieder bewundernswert und hinzukam, dass sie mit Pik mithalten konnte, ohne ihre Gestalt als Exile zu erwecken. Ich hatte Gerüchte gehört, dass sie wohl die Beste unter den Huntern gewesen war, aber die Beste in etwas zu sein, war immer relativ zu betrachten. Wenn man sie dann aber im echten Leben sah, dann konnte man an dieser Aussage gar nicht mehr zweifeln. Mit einer spielend leichten Drehung wich sie genau zwischen den beiden Sensen aus. Sie stand nun wenige Zentimeter vor Pik, der sie verdattert anblickte. Kurz lächelte sie ihn an, dann ließ ein gezielter Tritt in die Magengrube ihn taumeln. Blitzschnell hechtete sie nun an ihm vorbei und pflückte eines von Lucas Wurfmesser vom Boden. Einige Sekunden später hielt sie noch drei weitere in der Hand. Pik, der sich in der Zwischenzeit wieder erholt hatte, blickte sie finster, aber auch mit einem Hauch Respekt an. Unwillkürlich begann ich mich zu fragen, wie treffsicher Kyria eigentlich war. Eigentlich war sie mal eine Schwertmeisterin gewesen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie je erwähnt hätte etwas mit Wurfmessern oder ähnlichen zu tun gehabt zu haben. Pik startete nun eine neue Taktik. Mit der einen Sense deutete er immer Angriffe an, während er mit der anderen eigentlich zuschlug. Kyria durchschaute diesen Trick jedoch binnen Sekunden und wich allem aus oder wehrte es mit den kleinen Messern ab. Ich glaubte, dass sie nicht einmal Gebrauch von ihrer Fähigkeit machte, seine Impulse zu lesen. Piks Blick konnte ich ablesen, dass er sich fragte, woher sie diese Kraft nahm, bis ihm ein Licht aufging. „Offensichtlich bist du kein Mensch.“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Kyria lächelte ihn nur amüsiert an. Sie, im Gegensatz zu ihm, sah nicht im Geringsten angestrengt aus. Natürlich hatte sich Pik vorher schon mit Luca rumschlagen müssen, aber das schien ihn bei weitem nicht so gefordert zu haben, wie der Kampf mit Kyria. „Du hast recht.“, antwortete sie ihm schlicht. Gerade wollte Pik sie wieder attackieren, als sie drei der Messer auf ihn warf. Alle verfehlten ihn. Ich fragte mich schon, was das sollte, als ich prompt die Antwort bekam. Kyria wich der Sense vor sich aus indem sie nach vorne sprang. Als sie landete, musste ich kichern. Sie hatte nicht daneben geworfen, sondern den Baum hinter Pik angepeilt. Die Messer steckten nun so in ihm, dass sie darauf stehen konnte. Das letzte Messer hielt sie jedoch noch fest. „Ich frage dich noch einmal. Wer bist du?“, erhob Pik erneut das Wort. Einerseits schien er frustriert einen besseren Gegner vor sich zu haben, andererseits schien ihn das aber auch von seiner Depression abzulenken. Kyria stützte sich entspannt an den Baum. „Mein Name ist Kyria. Ich hörte, du seist ein Informant, dann müsstest du ja eigentlich wissen, wer ich bin.“ Pik blickte sie kurz verwirrt an, doch dann ging ihm ein Licht auf. Plötzlich senkte er die Sensen und stützte sich auf ihnen ab. Seufzend sagte er: „Hm, wie mir scheint, habe ich wohl keine Chance gegen die Nummer 2 der schwarzen Liste. Ich habe wohl verloren.“ Dann sackte er zusammen und begann zu schluchzen. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass jemals zu erleben. Ich hatte das Bedürfnis irgendetwas zu sagen oder zu tun, aber mein Kopf war leer und mir fiel absolut nichts Sinnvolles ein. Da sprang Kyria vom Baum herab und blieb genau vor Pik stehen. „Für einen Menschen hast du dich wirklich sehr gut geschlagen, das soll vorneweg gesagt sein. Doch das ist nicht, was ich dir mitteilen möchte. Ich weiß zwar nicht, wie viel dir die Worte einer Exile bedeuten, aber ich kenne deinen Schmerz nur zu gut. Wenn man jemanden verliert, der einem alles bedeutet hat, dann bleibt einem nichts als Leere und Verzweiflung, welche sich nur allzu schnell in Hass verwandelt. Man verliert den Respekt vor dem Leben, nicht nur vor dem eigenen, sondern auch vor dem anderer.“ Als ich Kyria so sprechen sah, erkannte ich, wie verletzt sie in jenem Moment aussah. Das war einer der wenigen Momente, in denen sie ihr unbesiegbares Ich verlor und zu dem Menschen wurde, der sie einmal gewesen war. Plötzlich begann Kyria zu lachen. „Aber weißt du, du hast nur 2 Tage gewütet, ich hab das Spiel ganze 50 Jahre durchgezogen. Glaub mir, das war nicht gerade meine Glanzzeit und am liebsten würde ich sie aus meinem Leben tilgen, aber als ich dann wirklich die Spitze des Eisberg erreicht hatte, da kam jemand und hat mir gehörig die Leviten gelesen. Sie hat mich solange zerfetzt, und das meine ich wörtlich, bis ich wieder bei Besinnung war. Dieses Schicksal würde ich dir gerne ersparen, denn Menschen sind nicht unbedingt dafür bekannt, ihre Gliedmaßen und inneren Organe wieder regenerieren zu können. Also tu dir und denen, die sich um dich Sorgen den Gefallen und reiß dich künftig zusammen. Ansonsten komme ich persönlich wieder und beende, was ich heute begonnen habe.“ Kurz trat ein Moment völliger Stille ein. Pik hatte aufgehört zu schluchzen, aber die Tränen liefen immer noch über sein Gesicht. Langsam hob er den Kopf, als Kyria ihm eine Hand entgegen streckte. Was er wohl gerade dachte? Ich konnte es mir nicht im Geringsten ausmalen, aber er schien wohl zu einer Entscheidung zu gelangen. Er schloss die Augen für einen Moment und runzelte die Stirn. Mir kam es so vor, als erinnere er sich an etwas und als er seine Augen dann wieder öffnete, war diese Leere aus ihnen endlich wieder verschwunden. Mit einem Ärmel wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, mit der anderen ergriff er Kyria´s Hand, welche ihn spielend hochzog. „Ich danke dir.“, gab er schließlich zurück, „Mir persönlich ist es völlig egal, was du bist, zumal du dich mit der menschlichen Psyche besser auszukennen scheinst, als die meisten Menschen, die ich so kenne. Daher gebe ich dir das Versprechen, dass ich mich zusammenreißen werde und sollte ich mich nicht daran halten, dann darfst du mich persönlich zerfleischen.“ Kyria blickte ihn zufrieden an. Ihre Arbeit war getan. Pik steckte seine Sensen wieder weg und die beiden kamen zu uns herüber. Etwas verlegen blickte er uns an. „Ähm… wie es scheint, habe ich euch eine Menge Ärger beschert. Tut mir Leid.“, nuschelte er uns zu und lachte verlegen. Luca starrte ihn finster an. „Ich hoffe du bist zufrieden. Denn dieses Mal warst du es, der mir eine schlaflose Nacht beschert hat.“ Pik starrte ihn fassungslos an und ich musste kichern. Luca machte ihm nicht mal Vorwürfe wegen seines Verhaltens, sondern meckerte lediglich über genau das, was sonst Pik immer anbrachte. „Dafür klingel ich dich jetzt wieder öfter raus, darauf kannst du wetten.“ Pik schüttelte nur den Kopf. „Wenn du das machst, dann komm ich persönlich vorbei und kette dich ans Bett.“ Ich seufzte. Na zumindest schien das ja geklärt. Kurze Zeit später informierte Luca Piks Assistenten, dass er ihn gefunden habe und alles wieder in Ordnung sei. Um das Aufräumen würden sie sich kümmern und so würden all die Morde der letzten beiden Tage auf die Kappe eines durchgedrehten Exile gehen, der jedoch bereits unschädlich gemacht worden war. Ob ich mich wohl je daran gewöhnen würde, wie alltäglich für Pik und Luca der Tod zu sein schien? Mir taten Piks Opfer, seien es zum Teil auch Yajuu und Hunter gewesen, immer noch leid. Trotzdem kam es nicht wieder zur Sprache. Kyria begleitete Luca und mich nach Hause. Sie hatte nun mein Zimmer, während ich mir das mit Luca teilte. Wie ich von Pik erfuhr, hatten ihn seine Assistenten wohl auch noch mal gehörig die Leviten gelesen, als er wieder nach Hause gekommen war, aber trotzdem hätten sie ihn niemals an Lucius verraten. So war ja alles noch mal gut ausgegangen, aber eine Sache ging mir dennoch nicht aus dem Kopf… diese Gestalt von der Brücke. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass das keine Einbildung gewesen war. Schließlich hatte Kyria ja auch etwas gespürt, wenn auch nicht gesehen. Das Ganze machte mich neugierig und so fasste ich mir zum Ziel, dass ich bei Gelegenheit noch mal nachsehen würde. … Sayo war stinksauer. Nicht nur, dass innerhalb von zwei Tagen über zwei duzend Hunter ermordet worden waren, nein, auch in Bezug auf Kyria war sie noch keinen Schritt weiter gekommen. Selbst das Mädchen, das unter ihrer Obhut stand, war ihr bisher nicht mehr begegnet. Es grämte sie, dass sie jetzt schon zum wiederholten Male ihrer Exekution entgangen war, obwohl sie doch so erbärmlich schwach war. Seufzend lehnte sie sich in den Stuhl ihres Schreibtisches zurück. Egal, die Hunter konnte man leicht ersetzen. Die gab es wie Sand am Meer, wenn sie es so wollte und ihre Chance käme bestimmt bald, was das mit Kyria betraf. Jetzt jedoch hatte etwas anderes erst einmal Priorität. Denn Sayo hatte Durst. Schnell zog sie sich ihren Mantel über und verließ das Büro. Es war mitten in der Nacht und Arbeit stand für heute nicht mehr an. Gut so. Sayo durchkämmte die Straßen in der Nähe der Bars und Kneipen. Irgendeinen Betrunkenen würde sie schon aufgabeln, der den Fehler gemacht hatte, sich in einer Gasse schlafen zu legen. Man würde ihn nie wieder sehen. Im Prinzip hätte sie auch einfach Blut aus den Blutkonserven nehmen können, die ihr zur Verfügung standen, aber sie bevorzugte einfach lebende Beute. Einst war das anders gewesen. Da hatte sie sich noch gegen den Vampir in ihr gewehrt, aber vieles hatte sich verändert. Sie war über 120 Jahre älter geworden. War doch nur verständlich, dass da nicht alles beim Alten blieb… Sayo musste gar nicht lange suchen. Schnell hatte sie ein passendes Opfer gefunden und ebenso schnell, war er auch tot gewesen. Nun musste sie ihn nur noch unbemerkt verschwinden lassen. Ohne Kraftaufwand schnappte sie sich den leblosen Körper und warf ihn sich über die Schulter. Dann trottete sie Richtung Brücke. Niemand suchte je nach Jemandem im Ödland, weshalb dort, wie sie vermutete, mehr Leichen liegen mussten, als auf dem örtlichen Friedhof. Zeugen begegneten ihr auch nicht, was ihr nur recht war, da sie sich sonst um die auch hätte kümmern müssen. Als sie dann die passende Stelle gefunden hatte und die Leiche mit einem gezielten Wurf über das Geländer befördert hatte, verharrte sie noch einen kurzen Moment und genoss die kühle Nachtluft. Eigentlich war das Wetter ja nicht besonders schön. Es war kühl und ständig regnete es, aber sie mochte diese Nächte, weil da nicht so viel los war. Zumindest meistens. Auf einmal erstarrte Sayo. Wie aus dem Nichts saß nicht weit neben ihr eine Person auf dem Geländer der Brücke. Sayo war sich sicher, dass sie da eben noch nicht gewesen war. Kurz blickte sie sich um, dann schaute sie direkt zu der merkwürdigen Gestalt, welche im weißen Mantel und völlig einbandagiert war. Obwohl dieses Wesen keine besondere Aura verströmte, fragte sich Sayo, ob ihr Gegenüber menschlich war. Unschlüssig stand sie da und starrte weiterhin zu der der Person. „Wer bist du?“, fragte Sayo schließlich, als sie die Neugier nicht mehr unterdrücken konnte und erst jetzt schien die Gestalt auch von ihr Notiz zu nehmen. Nur einen Moment hatte Sayo geblinzelt, doch im nächsten stand das Wesen auf dem Geländer vor ihr. Sie war ziemlich schmal und zierlich gebaut, stellte sie fest. „Wie schwer ist es seine Moral zu überwinden?“, fragte sie plötzlich. Die flüsternde Frauenstimme jagte Sayo Schauer über den Rücken. „Was redest du da?“, fauchte sie gereizt. Auch etwas anderes bemerkte Sayo. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde es immer kälter und kälter. Die Tropfen auf dem Geländer gefroren bereits. „Ich habe furchtbaren Hunger, aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen jemanden zu töten. Was hat dich zum Umdenken gebracht?“, fragte sie nun präziser und Sayo erschrak noch mehr. Wieso konnte diese Frau in ihr lesen wie in einem Buch? Das war ihr nicht suspekt. Sayo seufzte, um ihre Unsicherheit zu überspielen: „Ich bin nun mal zur Hälfte Vampir, je älter ich werde, desto stärker wird er eben und da ist es ganz natürlich so zu handeln.“ „Du lügst.“, war die schlichte Antwort. Sayo biss die Zähne zusammen. „Wieso soll ich einer Wildfremden mein Herz ausschütten? Ich weiß nicht was du zu wissen glaubst, aber lass mich in Frieden damit.“ Kurz schwieg die Gestalt, dann raschelte ihre Kapuze ein bisschen, sodass eines ihrer Augen zum Vorschein kam. Die Iris war einfach nur gespenstig weiß. Nicht wie bei Seraphis, ihre Augen hatten immer diesen Perlmutschimmer, nein, diese waren so kalt, dass es Sayo fast von innen gefror. Sie wich einen Schritt zurück. „Hör zu, ich hab keine Ahnung wer oder was du bist und es ist mir auch egal. Lass mich einfach in Frieden, kapiert?“, fauchte Sayo und drehte sie demonstrativ zum Gehen um. Einige Schritte kam sie vorwärts, bis die Frau ein weiteres Mal zu sprechen begann. „Du hast Angst und deswegen lügst du. Pass auf, sonst erwischt dich noch ein Shinigami.“ Sayo zuckte zusammen. Shinigami? Aber sowas gab es doch nicht. Oder doch? Sollte das eine Metapher für den Tod sein? Doch als sie sich umblickte, war die Frau verschwunden und mit ihr auch diese furchtbare Kälte. Obwohl Sayo eine mächtige Kämpferin war, fühlte sie sich hier auf einmal wie ein wehrloses Kind. Diese Frau hatte nichts getan, aber dennoch hatte sie große Angst vor ihr. Sayo konnte nicht einschätzen, ob all das nur leeres Geschwätz gewesen war oder ob ihr gerade ein mächtiges Wesen gegenüber gestanden hatte. Vielleicht war es ja ein Neueinsteiger auf der schwarzen Liste. Schon länger hatte sie sich nicht mehr damit befasst, aber sie wusste, dass es viele Dämonen gab und auch einige sehr talentierte unter ihnen. Im Moment hatte Sayo aber Wichtigeres zu tun. Ihre Aufmerksamkeit lag voll und ganz auf Kyria und dieser kleinen Exile. Sie würde diesen Vorfall heute einfach verdrängen. Darin war sie ja schon seit Jahren ein Profi. Kapitel 20: Mission Labor ------------------------- „Also, was ist der Plan?“, fragte ich, als sich unsere kleine Runde um den Küchentisch versammelt hatte. Kyria hatte vor uns eine alte Karte ausgebreitet und darauf mehrere Punkte eingezeichnet. Sie begann zu erklären: „Nun, nach dem Tipp mit dem alten Versorgungsschacht bin ich zum Ödland runter und hab mir das Ganze mal genau angeschaut. Wir haben Glück, er ist nicht zugeschüttet, wie ich erst vermutet habe. Im alten Archiv habe ich mir dann ein paar der Konstruktionspläne angeschaut und bin daher auch zuversichtlich, dass ich da durchkommen kann mit meinen Klingen. Da der ganze Komplex aber schon seit Jahren still gelegt ist, kann ich nicht vorhersagen, wie es innerhalb des Schachtes aussieht. Da müssen wir aufpassen. Von dort aus habe ich dann mit alten Plänen verglichen und diese Route hier ausfindig gemacht. Sie sollte uns über einige Umwege zu Seraphis führen. Zumindest dorthin wo ich vermute, dass sie ist.“ Kyria fuhr mit einem Finger den Plan entlang. Eine lange Zeit würden wir die alten Schächte nutzen, aber ab dem Zeitpunkt an dem wir in das Laborinnere vordringen würden, konnten wir jederzeit entdeckt werden. Das würde schwieriger werden. Der Raum in dem sich Seraphis wohl vermeintlich befand, lag im Zentrum des Labors, aber auch unterirdisch. Von früher wusste ich, dass direkt darunter ein unterirdischer Fluss seinen Lauf nahm, der oft zum entsorgen alter Proben genutzt worden war. Ich bezweifelte, dass das gut für die Umwelt gewesen war, aber darum machte sich da oben ja eh keiner Gedanken. Meiner Meinung nach hatte Kyria sich aber den besten Weg herausgesucht. Die wochenlange Arbeit hatte sich bezahlt gemacht. „Wann soll es denn losgehen?“, fragte ich. „So bald wie möglich. In genau drei Tagen wird dazu die ideale Gelegenheit sein, denn da ist wohl so eine Art Jubiläumsfeier für die Mitarbeiter, welche jedoch nicht im Labor stattfinden wird, sondern woanders in der Stadt. Das heißt an dem Tag werden nur wenige Leute zugegen sein.“ „Gut.“, antwortete Luca, der bis jetzt geschwiegen hatte. „Allerdings gibt es noch eine unbekannte Konstante, die ich nicht mit einplanen kann.“, zögerte sie plötzlich. „Und das wäre?“ „Die Hunter sind für die Sicherheit dort verantwortlich, habe ich gehört. Ich kenne Sayo und ich weiß, dass sie an diesem Tag irgendein Ass parat hat, um mögliche Eindringlinge abzuwehren. Und auch das Labor selbst hat einen Sektor für interne Sicherheit. Aber egal wie sehr ich versucht habe mehr darüber zu erfahren, es ist mir nicht gelungen. Was auch immer sie da verstecken, soll auf keinen Fall ans Tageslicht kommen.“ Luca hob skeptisch eine Augenbraue. „Mit anderen Worten das kann genauso gut eine Selbstmordmission werden.“ „Ja…“, seufzte sie bedrückt. Einen Moment schweiften meine Gedanken zu Tiara und den Zwillingen. Was würde aus ihnen werden, wenn Luca und ich nicht wiederkämen? Konnte ich ihnen das wirklich zumuten? Jedoch hatte ich Kyria mein Wort gegeben sie dabei zu unterstützen und das wollte und konnte ich auch nicht brechen. So viel Ehre hatte selbst ich. Luca verschränkte plötzlich die Arme hinter dem Kopf. „Na gut, dann in drei Tagen. Wird schon nicht so schlimm werden.“ Zweifelnd blickte ich ihn an. Ich wollte gerade sagen, dass er das nicht tun müsse, aber da erntete ich von ihm schon einen bösen Blick und verkniff mir daher jegliche Einwände. Was dachte ich auch? Allein würden meine Kampffähigkeiten sowieso nicht ausreichen. Da war es doch wahrscheinlicher, dass ich lebend wiederkam, wenn er mich begleitete. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. … Sayo seufzte genervt. Sie brütete über verschiedenen Unterlagen. Sie mochte das überhaupt nicht. Viel lieber ging sie aktiv auf die Jagd, doch das ging heute nicht. Bald würde die Jubiläumsfeier des Labors stattfinden und die wollten bis heute Abend Sayo´s gesamtes Sicherheitskonzept für jenen Tag vorgelegt bekommen. „Die sollen mich einfach meine Arbeit machen lassen, verdammt!“, fluchte sie, „Die haben doch sowieso keine Ahnung davon.“ Außerdem wüsste sie viel lieber, was Kyria gerade trieb. Seit Tagen war sie untergetaucht und alles in der Stadt war so verdächtig still und friedlich. Zwar hatte sie einige Hunter ausgesandt, um nach dem Rechten zu sehen, aber niemand hatte irgendwelche besonderen Vorkommnisse gemeldet. Genervt packte sie die nächsten Unterlagen und las sie durch. Da weiteten sich ihre Augen. „Oha, wieso erfahre ich eigentlich jetzt erst, dass die da seit Jahren einen Spezialgast haben?“ Das Foto auf dem Wisch war zwar nicht besonders gut zu erkennen, aber Sayo wusste dennoch sofort, wer da abgebildet war. „Na dann weiß ich ja auch endlich, weshalb Kyria wieder in der Stadt ist.“ Ein selbstzufriedenes Lächeln zog sich über ihr Gesicht. „Aber ich überlasse dir Seraphis nicht.“, lachte sie. Plötzlich war ihre Laune um hundert Prozent besser geworden. So ging ihr der Papierkram doch gleich viel leichter von der Hand. In drei Tagen würde sie Kyria wieder sehen, dessen war sie sich sicher und wenn es soweit war, dann würde sie ein ganz besonderes Schauspiel erwarten. Dieses Mal würde Kyria ihr nicht entkommen. … Drei Tagen gingen schneller rum als gedacht, dachte ich gerade, als wir den Rand des Ödlands erreichten. Das Wetter war wie üblich nicht das Beste, aber es war zumindest auszuhalten. Die Sonne war bereits seit einiger Zeit untergegangen, weshalb wir ganz schön aufpassen mussten, wohin wir traten. Mir war zwar bewusst, dass ich hier schon mal mit meiner Mutter gewesen war, doch mir kam nichts bekannt vor. Dies blieb eine fremde Welt für mich. Aber auch Kyria und Luca schienen sich hier nicht gerade behaglich zu fühlen. Zumal überall Knochen herum lagen. Ich fragte mich, wie viele als verschollen geltende Personen hier gestrandet oder entsorgt worden waren. Manche mussten hier schon seit Jahrzehnten liegen. Der Abschied von Tiara und den Zwillingen war mir schwer gefallen. Irgendwie hatten sie uns wissend beäugt, aber sie hatten zum Glück nichts gesagt. Vielleicht ahnten sie ja, dass wir vielleicht nicht wiederkommen würden. Mein schlechtes Gewissen plagte mich, doch es gab kein Zurück mehr. Kyria führte uns zielsicher zum Eingang des Versorgungsschachtes. Das Tor war aus massivem Stahl und sah so aus, als ob es schon seit Jahren nicht mehr geöffnet worden war. Wahrscheinlich sah das nicht nur so aus. „Und du bist dir sicher, dass du da durch kommst?“; fragte ich skeptisch, aber Kyria lächelte mich nur selbstbewusst an. „Geht zur Seite.“, bat sie uns und wir folgten ihrer Bitte. Kyria stellte sich genau vor die Mitte des Tores. Es überragte sie ein ganzes Stück. Daher schätze ich, dass es wohl um die drei Meter hoch sein musste. Einen Moment geschah gar nichts, doch dann schlug mir Kyria´s Aura entgegen wie eine Wand. Luca musste das auch merken, denn er versteifte sich unwillkürlich. Dann kamen die Klingen aus ihrem Rücken, welche ich bis jetzt nur einmal zu sehen bekommen hatte. Sie rammten sich in den Schlitz zwischen den Torflügeln und fraßen sich hindurch. Ungläubig starrte ich auf die Stelle. Ich sah, dass Kyria jeden Muskel im Körper angespannt hatte. Sie trat näher an das Tor heran und hob die Arme, welche bis eben noch unter ihrem Umhang geruht hatten. Das Paar Klingen, das um sie geschlungen waren, löste sich nun und schlug ebenfalls in den kleinen Zwischenraum. Millimeter für Millimeter öffnete sich das Tor. Als es schließlich einige Zentimeter waren, verwandelte Kyria ihre Arme komplett und grub auch ihre Klauen in den Spalt. Ihre Schuhe gruben sich in den Schlamm. Ich sah, wie sich ihre Haare aufstellten und ihre Aura strömte wie Schwerthiebe von ihr. Einen Moment schien es, als ob vor uns eine Bestie stand. Ihre Klauen gruben sich in den Stahl und hinterließen tiefe Rillen. Doch tatsächlich gelang es ihr, dass Tor weiter zu öffnen. Einige Sekunden später war es dann weit genug offen, dass man hindurch gehen konnte. Kyria ließ los und verschnaufte einen Moment. Luca und ich tauschten verwunderte Blicke. Sicherlich waren Exile ziemlich stark, aber das war selbst für ihre Verhältnisse nicht mehr normal. Die Klingen aus Kyria´s Rücken und Armen zogen sich zurück und schon bald stand wieder eine völlig normal wirkende Person vor uns. „Ok, wir können dann weiter.“, lächelte sie uns zu und ging bestimmt voran. „Lua, erinnere mich daran sie niemals zu einem Kampf herauszufordern.“, flüsterte Luca mir zu, als wir ihr durch das Tor folgten. Ich rollte kichernd mit den Augen. „Stell dir dann lieber nicht vor, was die Nummer 1 der Liste so machen kann.“, flüsterte ich zurück. Dabei lief mir selbst ein Schauer über den Rücken. Die Mitglieder der schwarzen Liste waren wirklich nicht zu unterschätzen. Die Gänge waren stockdunkel und auch nicht in besonders gutem Zustand, wie wir schon bald feststellen mussten. Doch unsere Augen waren alle in der Lage in dieser Finsternis zu sehen und so bahnten wir uns unseren Weg durch die kühle Grotte. Es war ziemlich stickig und feucht hier unten. Gleichzeitig kamen aber auch Gefühle in mir hoch, die ich vage kannte. Sie erinnerten mich an jenen Tag, an dem ich mit meiner Mutter von hier geflohen war. Noch immer lag jedoch im Dunkeln, weshalb wir eigentlich so übereilt geflohen waren. Mir war zwar bewusst, dass irgendetwas an jedem Tag vorgefallen sein musste, doch ich konnte mich beim besten Willen nicht entsinnen, was das gewesen war. Plötzlich stupste mich Luca an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er besorgt. „Äh ja, natürlich. Wieso fragst du?“ „Naja du bist ziemlich blass, seit wir hier unten sind.“, stellte er fest. „Keine Sorge. Das ist nichts.“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Doch das war gelogen. Tatsächlich regten sich in mir immer mehr dieser Gefühle, die ich noch nicht einordnen konnte und einige davon machten mir ziemlich Angst. Wieso nur regte sich in mir auf einmal das Verlangen nach Blut? Das hatte ich bisher noch nie erlebt. Doch ich schob diese Gedanken von mir und konzentrierte mich stattdessen darauf nicht den Anschluss zu Kyria zu verlieren. Je weiter wir kamen, desto verwinkelter wurde alles, aber gleichzeitig kam mir immer mehr bekannt vor. „Hier müssen wir rechts.“, sagte Kyria nach einer langen Gesprächspause. „Ist gut.“, antworteten wir und folgten ihr den schmalen Gang entlang. Es war zeitweilig so eng, dass wir nicht mehr nebeneinander laufen konnten. Ich lief in der Mitte und versank in der Stille, die nun folgte, wieder in meinen Gedanken. Lediglich das Hallen unserer Schritte verriet uns. Hier unten war aber sowieso niemand, der uns hätte hören können. Irgendwann kamen wir an eine Stelle an der sich der Weg in drei weitere Wege aufgabelte. „Wo lang nun?“, fragte ich Kyria. „Der linke Gang.“, sagte sie und ging voran. Ich hingegen, verharrte noch einen Moment, sodass Luca mich überholte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er mich mit leicht besorgtem Unterton. „Klar.“, log ich, „Geh ruhig schon weiter ich bin direkt hinter dir.“ Luca blickte mich noch einen Moment skeptisch an, doch dann ging er weiter. Er war bereits in der Finsternis verschwunden, als auch ich mich wieder auf den Weg machen wollte. Wie gesagt, ich wollte. Gerade setzte ich mich in Bewegung, da zog mich fast schon eine unsichtbare Macht in den mittleren Gang hinein. Zwar war mir bewusst, dass ich da nicht lang sollte, aber ich tat es dennoch. Meine Beine schienen von allein zu laufen. Gleichzeitig war mir, als würde ich ohnmächtig werden. Irgendwas stimmte mit mir nicht, aber es war zu spät um umzukehren. Also lief ich unbeirrt weiter. Je weiter ich kam, desto bekannter kam mir alles vor. Eine kleine warnende Stimme gebot mir Vorsicht, aber der Rest meines Körpers ignorierte selbige geflissentlich. Von der Decke tropfte Wasser herab und binnen kurzer Zeit war ich völlig durchnässt. Die Kälte machte meinen Körper taub und dennoch ging er ohne zu zögern weiter. … Luca stoppte abrupt. „Wo ist Lua abgeblieben?“, fragte er sich besorgt. Nun blieb auch Kyria stehen und drehte sich um. „Keine Ahnung, bis vor kurzem war sie doch noch hinter mir.“ Luca knirschte mit den Zähnen. „Na toll, jetzt ist sie hier also irgendwo und wir haben keine Ahnung wo. Und ich hab sie noch gefragt, ob auch wirklich alles in Ordnung ist. Ich meine, findest du nicht, dass sie sich merkwürdig benimmt, seit wir hier rein gegangen sind?“ „Nun…“, begann Kyria, „Du hast wohl recht. Bisher dachte ich allerdings nur, dass sie nervös ist.“ „Wie müssen sie suchen.“, seufzte Luca. Kyria wirkte ein wenig zerknirscht, aber sie stimmte zu. „Gut, lass uns erstmal diesen Weg wieder zurückgehen.“, schlug sie vor und setzte sich in Bewegung, als die obere Decke einbrach. Gerade noch rechtzeitig sprangen beide zur Seite, um nicht zerquetscht zu werden. „Was zum?!“, fluchte Kyria bereits, als sie erkannte, wer sie da begrüßte. „Hunter…“, stellte sie düster fest. Gleichzeitig ertönte ein Lautsprecher. „Willkommen, meine verehrten Gäste. Ich hoffe mein Empfangskomitee sagt euch zu.“ „Sayo…“, seufzte sie. „Es war dumm von euch hier her zu kommen. Nun sitzt ihr in meiner Falle.“, ertönte es aus dem Lautsprecher. „Ich schätze die Suche nach Lua muss noch warten.“, knirschte sie mit den Zähnen und Luca stimmte nur ungern zu. Doch hier hatten sich bestimmt um die 30 Hunter versammelt. Die konnte man nicht einfach ignorieren. „Beeilen wir uns.“, knirschte er und im selben Moment veränderte sich bereits seine Gestalt. Kyria schloss sich ihm an. Jetzt war nicht die Zeit für lange Spielchen. Auch die Hunter verwandelten sich und so stürmten die Kontrahenten aufeinander zu. Luca schnellte in die Luft und schnappte sich einer der Katzen. Seine Zähne vergruben sich in dessen Genick und schon kurz darauf ertönte das verräterische Knacken. Dann sank die Katze leblos zusammen. Wutentbrannt stürmten nun mehrere andere auf ihn zu. Er stellte sich auf die Hinterpfoten und schlug mit seinen Pranken nach den herannahenden Yajuu. Kyria wich allen Angriffen spielerisch aus und sobald sich die Gelegenheit bot, schoss eine ihrer Klingen hervor und durchbohrte einen unvorsichtigen Gegner. Gerade wollte sich einer aus ihrem toten Winkel nähern, doch sie spürte den Angriff schon vorher und packte die Katze daher an der Kehle. Dann schnellte ihre andere Hand hervor und durchbohrte den Brustkorb ihres Opfers. Es wehrte sich, aber im Endeffekt hatte es keine Chance. Nichtsdestotrotz waren die Katzen nicht untalentiert. Immer wieder gelang es welchen die Verteidigungslinien zu durchbrechen und Luca oder Kyria anzugreifen. Natürlich heilten die Wunden sehr schnell wieder, aber auch ihre Energie war begrenzt. Kyria machte gerade einen Salto nach hinten und schlug dann zwei ihrer Klingen in die Wand, sodass sie an selbiger hocken blieb. Dann entließ sie ihre anderen Klingen in Richtung Boden. Unglücklicherweise lernten die Katzen schnell dazu und wichen immer besser aus. Sie waren miteinander verbunden. Was eine sah, sah auch die andere und was eine erfuhr, lernte auch die andere sofort. So war der Tod mancher Katzen gleichzeitig eine Warnung an die anderen, sodass sie nicht dieselben Fehler machten. Zugegeben, Sayo hatte ihre Katzen gut trainiert. Kyria seufzte genervt. Zu schade, dass ihre Fähigkeiten, die sie von Roona erhalten hatte, bei diesen Wesen nicht gut funktionierten. Kurz ließ sie den Blick schweifen und blieb dabei einen Moment an Luca hängen. Er hatte Talent und er schlug sich sehr gut. Obwohl er noch nicht sehr lange eine Chimäre war, schien es, als könnte er sich bereits voll und ganz kontrollieren. Wenn es ihm gelang eine der Katzen zu vergiften, dann war sie definitiv des Todes und dazu genügte nur ein kurzer Kratzer. Natürlich hatten sie längst begriffen, dass dies sehr gefährlich war und so wichen sie primär seinem Skorpionsstachel aus. Es grämte ihn, doch er ließ sich davon nicht beirren. Mit einer schnellen Drehung wich Kyria dem nächsten Angriff aus, der vom Boden her gekommen war. Sie hatte die Klingen noch immer in der Wand versenkt und nutzte diese nun, um durch die Luft zu schweben. Von dort aus setzte sie wieder mehrere Klingen ein, um die Angreifer zu erwischen. Allerdings bekam sie im Endeffekt nur zwei zu fassen. Schließlich durchtrennte ein anderer Hunter ihre Klingen und sie fiel zu Boden. Mit einer Rolle vorwärts federte sie den Aufprall ab und nutzte den Schwung daraus, um eine nahe stehende Katze aufzuschlitzen. Sie begriff gar nicht wie ihr geschah, bis es zu spät war. Zufrieden stellte sich Kyria wieder in Angriffsposition auf. Kapitel 21: Todesschreie ------------------------ Ehe ich mich versah, war ich im Labor angekommen. Es war jedoch nicht der Raum in den Kyria gewollt hatte. Trotzdem ahnte ich, dass ich in der Nähe von Seraphis sein musste. Allerdings fiel mir das Denken schwer, denn in meinem Kopf tobte noch immer ein Tornado, der auch meine Sicht trübte. Also steuerte ich einfach auf die Nächstbeste Tür zu, die ich sah. Ich trat auf einen langen Gang, der mir sehr bekannt vorkam. Wie so vieles hier. Ich war erst wenige Schritte gegangen, als aus einem Seitengang eine Person hervortrat. Sie schien es eilig zu haben und hatte nicht damit gerechnet auf jemand anderen hier zu stoßen. Doch als sie mich sah, stoppte sie sofort und starrte mich mit großen Augen an. „Du?! Wieso bist du nicht unten bei den anderen beiden?“, fauchte Sayo verwirrt und gereizt. Bei den anderen? Waren Luca und Kyria in Schwierigkeiten? Aber sie ließ mir keine Zeit, um zu antworten. Stattdessen zog sie ihren Stab heraus und blickte mich finster an. „Na auch egal. Dann erledige ich das eben schnell persönlich. Das ist sowieso schon längst überfällig, kleine Exile.“ So ein Mist. Gegen Sayo hatte ich nicht die geringste Chance. Bevor ich wusste was ich tat, hetzten meine Beine bereits von ihr davon. „Du versuchst zu fliehen? Dieses Mal nicht!“, schrie Sayo mir hinterher. Ein kleines bisschen war ich schneller als sie, aber sie würde mehr Ausdauer haben als ich, also musste ich mir schnell etwas einfallen lassen. Noch immer dröhnte mein Kopf und das ließ mich langsamer werden. Sayo holte viel zu schnell auf. Also versperrte ich ihr den Weg in dem ich aus meinen Haaren eine Art Barriere hinter mir aufstellte. Sayo musste wohl oder über stehen bleiben und sie erst durchtrennen, bevor sie weiterkonnte. Andernfalls hätte sie wohl einen Arm oder ein Bein dabei verloren. Als ich es bemerkte, war es bereits zu spät. Ich war in einer Sackgasse. Vor mir lag nur noch ein Raum und irgendetwas sagte mir, dass dahinter kein neuer Gang lang führen würde. Trotzdem rannte ich weiter. Was blieb mir auch anderes übrig? Hinter mir hörte ich Sayo laut stark fluchen, als sie ein weiteres Mal stoppen musste. Bereits außer Atem riss ich die Tür auf, die sich vor mir erhob. Zum Glück war sie nicht abgeschlossen. Ich betrat den Raum und stemmte das erstbeste gegen die Tür, was ich zu fassen bekam. Ich blickte mich gehetzt um, dann erstarrte ich. Hier war ich schon einmal gewesen, vor vielen Jahren. In der Mitte des Raumes war eine Laborliege aufgebaut und rund herum waren Messgeräte, Skalpelle und viele weitere Werkzeuge für Operationen und Experimente. Ich rang zwar immer noch nach Atem, aber nun stand mir kalter Schweiß auf der Stirn. Die Bilder in meinem Kopf waren wirr und ohne rechten Sinn, doch ich wusste, dass hier einst etwas geschehen war, was ich tief in mir verbannt hatte. Dann erspähte ich ein massives Stahltor. Vage erinnerte ich mich, dass dahinter ein langer Gang lag, der zu mehreren Zellen führte. In diesen Zellen hatten die Experimente vor sich hin vegetiert, bis sie dann immer wieder in diesen Raum geführt wurden, nur damit sie weiter litten. Allerdings schienen die Gegenstände hier ein wenig eingestaubt. Wahrscheinlich gab es mittlerweile einen neuen Raum für so etwas. Das Zentrum, dort, wo auch Seraphis sein würde. Die Panik kam zurück. Ich saß immer noch in der Falle. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wie man das Stahltor öffnen konnte, auch wenn mir so war, als hätte ich es schon mal gesehen. Wenn die Bilder in meinem Kopf doch nur etwas genauer sein könnten. Verzweifelt suchte ich den Raum nach einem Schalter ab. Da wurde die Tür aufgestoßen und Sayo trat ein. „So, jetzt sitzt du in der Falle. Ich weiß zwar nicht, wo du uns da hingelenkt hast, aber das hier ist definitiv der letzte Ort an den du kommen konntest.“ Sie wirkte echt zornig und mir liefen kalte Schauer über den Rücken. Mir blieb nichts anderes mehr übrig, also verwandelte ich mich. Kampflos würde auch ich hier nicht sterben. Sayo zögerte nicht und stürmte auf mich zu. Sie war so schnell, dass ich nicht ausweichen konnte, aber meine Rüstung schützte mich zum Glück. „Ah der defensive Exile schlägt wieder zu.“, lachte Sayo höhnisch. Aber sie hatte Recht. Ich war wirklich nicht besonders für den Angriff ausgelegt. Wobei genau das jetzt das Richtige wäre. Blitzschnell sprang ich in die Luft und balancierte auf einem der dünnen Drähte zu denen meine Haare auf Kommando wurden. Natürlich kannte Sayo den Trick mittlerweile und sie zögerte nicht die Drähte zu durchtrennen, aber sie halfen mir dennoch beim Ausweichen. Als ein günstiger Zeitpunkt eintrat, fuhr ich eine Klinge aus der Rüstung aus und startete meinerseits auch mal einen Angriff. Mir gelang es mich Sayo zu nähern und beinahe hätte ich ihren Rumpf durchbohrt. In letzter Sekunde war es ihr jedoch gelungen den Stab schützend zu erheben und so verpasste ich ihr nur einen etwas größeren Kratzer, der sofort wieder verheilte. Wütend starrte sie mich an. „Nicht schlecht. Aber das war auch dein einziger Treffer.“, zischte sie und erschien noch im selben Moment hinter mir. Ich war nicht schnell genug, um zu reagieren, da hatte sie mich schon am Genick gepackt und schleuderte mich gegen die Wand. Das hinterließ eine ziemlich tiefe Schneise und mir tat alles weh. Ein paar Rippen mussten wohl gebrochen sein. Bevor ich mich wieder aufrappeln konnte, hatte sie mich erneut geschnappt. Sie versuchte mich aufzuspießen, doch ich hielt mich an dem Stab fest und drückte dagegen. Einen Moment behielten wir diesen Kampf bei, dann schnappte sie sich plötzlich den Stab, wirbelte ihn nach hinten weg, sodass ich hinterher flog und rücklings auf der Laborliege landete. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und es fühlte sich so an, als würde in mir drinnen irgendetwas zerreißen. Ich sah nur verschwommen, doch ich erkannte ihre Silhouette über mir und wie sie abermals versuchte, mich aufzuspießen. Verzweifelt packte ich die Spitze des Stabs und versuchte ihn von mir fern zu halten. Er schnitt sich tief in meine Handflächen, aber ich ließ dennoch nicht los. Also nahm Sayo eine Hand vom Stab und packte mich mit der nun frei gewordenen an der Kehle. „Mal sehen wie lange du mich davon abhalten kannst, dich aufzuspießen.“, grinste sie mich an. Doch ich konnte nichts mehr tun. Auch wenn sie jetzt nicht mehr ganz so fest den Stab drückte, war es immer noch stark genug, dass ich beide Hände brauchte, um ihn wenige Zentimeter von mir schweben zu lassen. Aber je länger sie mich würgte, desto mehr schwanden meine Kräfte. Ich brauchte Luft. Sayo drückte meine Beine gegen den Rand der Liege, sodass ich so keine Chance hatte mich zu wehren. Ich kämpfte bereits mit dem Bewusstsein und merkte, wie der Stab immer näher kam. Meine Rüstung begann zu bröckeln und dann geschah es… meine Hände erschlafften und der Stab durchbohrte meine Brust. Erstickt keuchte ich auf, aber als ich versuchte zu atmen, kam nur Blut. Sayo nahm selbstzufrieden die Hand von meiner Kehle. Ihre andere Hand ruhte noch immer auf dem Stab in meiner Brust. „Das war es dann wohl endlich mit dir.“, grinste sie. Ich blickte sie an, aber am Rand meiner Sicht wurde bereits alles schwarz. Ehe ich mich versah, hatte ich mich in einen Menschen zurückverwandelt. Der Stab war mit diesem Gift getränkt, welches verhinderte, dass ich mich regenerieren konnte und selbst wenn ich es gekonnt hätte, Sayo machte ja keine Anstalten ihn aus mir heraus zu ziehen. Ich gab auf. Langsam tränkte mein Blut die Laborliege. Ich erkannte Sayo nur noch vage und da verlor sich meinen Sinn für die Realität. Wieder kamen die Bilder. Ja, ich hatte schon mal auf dieser furchtbaren Liege gelegen und ich hatte auch damals gelitten. Nur wieso? Daran konnte ich mich immer noch nicht erinnern. Mehr Bilder kamen. Sie schnitten mich auf und ich war dabei bei Bewusstsein. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Mein eigenes Blut quoll aus mir heraus, mit jedem Schnitt mehr und mehr. Mir wurde übel und wollte mich wehren, aber ich war festgebunden. Spritzen. Ich hatte schon viele verabreicht bekommen, doch nun zückten sie eine weitere. Sie sah so bedrohlich aus. Sie stachen das Teil in mich hinein und da begann ich zu schreien und bäumte mich auf, sodass sich meine Wirbelsäule unnatürlich bog. Ich schrie vor Angst, vor Verzweiflung und vor Hass. In diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als diese Personen dasselbe durchleben zu lassen, wie ich es zu durchstehen hatte. … Sayo blickte verwundert auf die Exile unter ihr. Urplötzlich begann sie zu schreien. Es war ein markerschütternder Schrei und bei Sayo stellten sich die Haare am Nacken auf. Gleichzeitig quoll dabei eine Unmenge von Blut aus dem Mund der Exile und sie bäumte sie auf. Sayo rechnete schon damit, dass ihre Wirbelsäule jeden Moment brechen würde, aber das geschah nicht. Ihre Augen waren glasig und wirr. Ganz offensichtlich war sie nicht mehr bei Bewusstsein. Da begann sich Sayo zu fragen, ob sie so etwas ähnliches schon einmal erlebt hatte und das sie das nun einholte. Um dem ganzen Treiben ein Ende zu setzen, drückte Sayo Lua wieder zurück auf die Liege. Es überraschte sie mit welcher Kraft sie sich dagegen stemmte. Letztendlich ebbte dieser merkwürdige Anfall aber ab und Sayo gelang es das Mädchen wieder ruhig zu stellen. Sayo dachte gerade, dass es nun endlich vorüber war, da erschütterte ein weiterer Anfall den Körper des Mädchens vor ihr. Ein weiterer Schrei ertönte und noch mehr Blut spritzte umher. Einiges davon bekam Sayo ab, was sie ärgerte. Genervt zog sie den Stab aus der Brust des Mädchens heraus und ließ das Blut mit einer schnellen Bewegung an die Wand spritzen. Zwar bäumte sich Lua immer noch auf, aber Sayo war sich sicher, dass sie nichts mehr tun würde. Ihr Leben war ausgehaucht und die Tatsache, dass sie gerade so eine Show abzog, beschleunigte ihr Ableben nur noch. Sie verlor sehr viel Blut. Es begann bereits auf den Boden zu tropfen. Als Lua dann aber ein drittes Mal zu schreien begann, reichte es Sayo. Eigentlich war sie gerade dabei zu gehen, doch nun drehte sie um. Ein schneller Stoß ins Herz und das ganze wäre endlich vorbei. Sie hob ihren Stab in Position und stieß ein weiteres Mal zu. Kapitel 22: Kurz vor dem Ziel ----------------------------- Luca hechtete durch die dunklen Gänge. Er und Kyria waren voneinander getrennt worden und so bahnte sich nun jeder selbst seinen Weg. Vor nur wenigen Minuten jedoch war plötzlich ein furchtbarer Schrei durch die Anlage gehallt. Luca hatte ihn sofort erkannt. Das war Lua gewesen. Nun zerriss ihn die Sorge um sie förmlich. Weitere Schreie waren erfolgt, doch nun war es wieder totenstill. Es war ihm gelungen alle Hunter vorerst abzuhängen und nun suchte er verzweifelt eine Spur von Lua. Auf einmal bemerkte Luca die Präsenz einer anderen Person nicht weit vor ihm. Wahrscheinlich wieder ein Hunter. Doch mit dem würde er sich nicht lange aufhalten. Ohne zu verlangsamen stürmte er weiter auf das Ziel zu. Mit ausgefahrenen Klauen sprang er los… und stoppte in letzter Sekunde. „Hey, ganz ruhig Brauner.“, keuchte die Person vor ihm erschrocken aus. Luca stoppte schuldbewusst. „Was machst du denn hier?“ „Nun, meine Informanten haben mir gemeldet, dass ein Überfall auf das Labor im Gange ist und dass ganz zufällig ein guter Bekannter von mir da mir drin steckt.“, gab sein Gegenüber lässig zurück. „Pik, ich hoffe dir ist bewusst, dass das hier nicht ungefährlich ist.“, teilte Luca ihm per Telepathie mit. „Wäre ich nie drauf gekommen.“, verschränkte Pik die Arme, „Aber wie mir scheint, seid ihr nicht mehr zusammen unterwegs. Wo sind denn die anderen?“ „Kyria ist selbst unterwegs zum Labor. Eine Wand ist eingekracht und wir wurden getrennt. Im Moment bin ich auf der Suche nach Lua. Irgendwas muss ihr zugestoßen sein.“, erklärte Luca so schnell wie möglich. Pik schüttelte nur den Kopf. „Du meinst die Schreie, oder? Die klangen gar nicht gut. Ich werde dir helfen, mein Freund.“, sagte er bestimmt. „Aber… was ist wenn Lucius davon erfährt?“, sorgte sich Luca. „Lass das mal meine Sorge sein. Ich komme schon zurecht. Nun lass uns schon gehen. Wir verlieren wertvolle Zeit.“, drängte er. „In Ordnung…“ Damit setzten sie ihren Weg ins Labor gemeinsam fort. Luca war insgeheim froh, dass Pik ihn unterstützte. Er war ein guter Kämpfer und er ahnte, dass sie jeden Helfer gut gebrauchen konnten. … Kyria fluchte. Alles lief schief. Erst war Lua verschwunden, dann der plötzliche Angriff und nun hatte Sayo auch noch den Alarm im gesamten Labor ausgelöst. Die Folge dessen war, dass nun die speziellen Wachhunde des Labors losgelassen wurden, die zusätzlich zu den Huntern jagt auf die Eindringlinge machten. Kaum einer dieser Wesen schien noch bei Verstand zu sein. Das machte sie unberechenbar. Zwar versuchte Kyria ihr Bestes, um allen auszuweichen, aber sie wusste, dass sie früher oder später einem dieser Wesen über den Weg laufen würde. Vorsichtig schlich sie durch die Flure und lauschte gebannt. Im Moment war es hier ruhig, also ging sie weiter. Endlich kam jene Tür in Sicht, die sie solange gesucht hatte. Seraphis war ganz nah. Leise schlich sie sich heran und betrachtete die massive Tür vor sich. Ein Passwort und eine ID-Karte wurden benötigt, um sie zu öffnen. War ja klar. Mit viel Kraftaufwand würde es ihr sicherlich gelingen diese Tür auch mit Gewalt zu öffnen, aber dann würde sicherlich ein neuer Alarm losgehen und das wollte sie nicht riskieren. Also musste so eine Karte her. Von den unzähligen Plänen, die sie in den letzten Wochen durchforstet hatte, wusste sie noch, dass ganz in der Nähe ein Erholungsraum für Mitarbeiter lag und gleich daneben ein Raum, wo solche Karten aufbewahrt wurden. Vielleicht waren dort auch die Passwörter zu finden. Eigentlich ließ Kyria Seraphis nur ungern warten, aber im Moment blieb ihr nichts anderes übrig. Ohne Zwischenfälle gelangte sie zu dem Erholungsraum, welcher zum Glück nicht verschlossen war. Hier standen einige Sofas und Tische rum, dann eine kleine Küchenzeile und eine ziemlich teuer aussehende Kaffeemaschine. Irgendwie passte dieser Raum nicht zum Rest der Einrichtung. Von der Kaffeemaschine aus wanderte Kyrias Blick weiter zu der unscheinbaren Tür, die dahinter lag. Das musste das Büro sein, was sie suchte. Kyria rüttelte am Türknauf, aber sie war abgeschlossen. Genervt seufzte sie. Was soll´s. Diese Tür war nicht besonders stabil, also trat sie sie einfach ein. Leider machte dass mehr Lärm, als sie gewollt hatte. Nicht weit entfernt hörte sie ein Knurren, was sich nun näherte. Schnell betrat Kyria den Raum und überflog die Aktenordner und schaute sich die Spinde an. Irgendwann gab sie auf und riss einfach alle Schließfächer auf und es zahlte sich aus. In einer der Fächer lag eine ID-Karte und noch anderer Papierkram. Schnell zerrte Kyria diese heraus und überflog alle Blätter. Wenn sie Glück hatte, stand auf einem das Passwort der Karte. Ein kleiner Zettel rutschte zwischen den Papieren hervor und segelte zu Boden. Kyria hob ihn auf und grinste zufrieden. Wenn das kein Passwort war, dann wusste sie auch nicht weiter. Nun verstaute sie die Karte und machte sie auf den Weg aus dem Büro heraus. Allerdings kam sie nicht weit, denn im Türrahmen zum Erholungsraum erwartete sie bereits jemand. Vor ihr erhob sich ein ziemlich zerfleddert aussehender Exile. Er hatte die Zähne gefletscht und knurrte sie an. Seine Augen jedoch schienen leer zu sein. So als hätte er keinen eigenen Willen mehr. Ohne auf ihre Reaktion zu warten, stürmte er los. Kyria jedoch reagierte blitzschnell und schlug mit ihren Klingen die große Fensterscheibe ein. Man hatte sie mit einer Landschaft bedruckt, sodass man sich gemütlicher fühlen sollte. Doch dahinter lag auch nur einer dieser sterilen, kalten Gänge, wie alles andere hier auch. Wütend brüllte ihr der Exile hinterher und stürmte ebenfalls aus dem Fenster. Doch er war zu groß und seine Stacheln blieben stecken. Daraufhin knurrte er noch zorniger. „Ich habe leider keine Zeit für dich.“, rief Kyria ihm zu und flüchtete bereits. Wenn sie Glück hatte, würde er ihre Spur verlieren. Der Schlauste schien er ja nicht zu sein. Es dauerte nicht lange, da erreichte sie wieder die Tür zu dem Labor, in dem Seraphis war. Schnell zog Kyria die Karte durch den Schlitz und tippte das Passwort ein. Es klappte. Die Tür öffnete sich. Sie trat in den Raum ein und verschloss die Tür wieder. So würde der Exile sie nicht finden und selbst wenn, er käme hier nicht so einfach rein. Dann erstarrte sie. Seraphis war an die Wand gekettet und mit mehreren Drähten und Schläuchen verbunden. Sie sah furchtbar aus. Der schützende Nebel, der sie sonst immer umgab, war fast völlig verschwunden und so sah sie absolut schutzlos und verletzlich aus. „Sie sieht ganz schön jämmerlich aus, nicht wahr?“, ertönte plötzlich eine Stimme aus einer dunklen Ecke des Labors. Kyria zuckte erschrocken zusammen. „Sayo…“ „Na? Überrascht mich zu sehen? Ich wusste sofort was du vorhast, nachdem ich sah, wer hier so einquartiert ist. Aber du wirst sie nicht mitnehmen.“ „Dir ist also völlig egal, dass sie dir auch das Leben gerettet hat.“, sagte Kyria finster. „Naja was soll ich sagen, sie ist nun mal eine Exile und es ist mein Job euch aufzuhalten. Persönliche Gefühle haben da keinen Platz.“ „Das ich nicht lache.“, raunte Kyria. Sayo wusste, worauf sie anspielte, aber ignorierte es. „Nun denn, wollen wir loslegen?“, fragte sie stattdessen und zückte ihren Stab. Aber Kyria reagierte nicht. „Was hast du mit Lua gemacht?“, fragte sie finster, als sie den Blutgeruch am Stab vernahm. „Ach die kleine Exile? Sie ist tot. Hab die kleine Exile auf eine der Laborliegen gespießt.“, erklärte sie trocken. Kyria knirschte mit den Zähnen. Das durfte jetzt nicht wahr sein! „Was ist nun? Ich dachte, du willst Seraphis befreien?“, rief Sayo ungeduldig aus. Unwillig nahm Kyria die Gestalt als Exile an. Ihr blieb keine andere Wahl, als zu kämpfen. Davon ab, dass Kyria im Moment sowieso sehr ungehalten wurde. „Na endlich!“, rief Sayo und stürmte los. Kyria wich ohne Probleme aus. Aber sie war dennoch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, da der Raum relativ klein war, durch die Anwesenheit Seraphis´. Schließlich hatte sie nicht vor diese zu verletzen. In letzter Sekunde konnte sie einen Angriff mit einer Klinge aus ihrem Rücken abwehren. Dann stieß sie Sayo einige Schritte nach hinten und holte mit ihrer Klaue aus. Sie erwischte Sayo, aber diese wich noch rechtzeitig zurück, sodass sie nicht ernsthaft verletzt wurde. Die Wunde begann bereits zu verheilen, da griff sie erneut an. Doch nun packte Kyria den Stab und zog Sayo mit Absicht näher an sich heran. Sie taumelte und da durchbohrte Kyria sie blitzschnell mit mehreren Klingen. „Ah, heute machst du also ernst.“, stellte sie außer Atem fest. Mit einem Tritt riss sie sich von Kyria los und taumelte nach hinten weg. Kyria ließ ihr aber keine Zeit sich zu sammeln und stürmte nun auf sie zu. Die ersten Klingen verfehlten Sayo knapp, aber sie hatten auch eher einen anderen Zweck gehabt, denn sie schränkten Sayo´s Bewegungsradius immer mehr ein, bis sie in der Falle saß. Da erschien Kyria bereits und entließ mit glühenden Augen die beiden Klingen an ihren Armen. Sayo wollte ihren Stab heben, um sich zu wehren, aber ihr Arm rührte sich nicht. Kyria nutzte nun auch Roona´s Macht. Das war der Moment an dem Sayo klar wurde, dass sie töricht gewesen war. Immer hatte sie angenommen mit Kyria auf einer Stufe zu stehen, aber sie hatte sich geirrt. Kyria hatte ihren Rang nicht umsonst und auch damals war sie schon die Beste unter den Huntern gewesen. Das konnte Sayo nicht aufholen. Nicht heute und auch in Zukunft nicht. Nun hatte sie sich in die Ecke gespielt und war völlig ausgeliefert, während Kyria sie malträtierte. Sayo gab auf. Sie war nie so stark gewesen, wie sie es sich eingeredet hatte. Das hatte sie schon gemerkt, als sie das merkwürdige Wesen auf der Brücke getroffen hatte. Sie war nicht schwach, aber sie musste sich eingestehen, dass es zu viele Wesen gab, die stärker als sie waren. Plötzlich schlugen laute Geräusche von außen gegen die massive Stahltür, hinter der Kyria und Sayo gerade kämpften. Beide hielten in ihren Bewegungen inne und schienen irritiert. Da flog die Tür jedoch bereits aus den Angeln und als sich der aufkommende Rauch verzogen hatte, blickten beide Kontrahenten in das Antlitz einer seltsam entstellten Kreatur. „Was… ist das denn?“, fragte Sayo laut. Noch nie zuvor hatte sie in den Unterlagen des Labors von so etwas gelesen. Aber da stand dieses Wesen nun, dass im Aussehen irgendwo zwischen Mensch und einer Gottesanbeterin lag. Es starrte sie beide an und gab seltsam klickende Geräusche von sich. Im nächsten Moment war das Wesen verschwunden und stand auf einmal nur Zentimeter von Sayo entfernt. Selbst Kyria schien überrascht und Sayo wusste eines: Diese Kreatur würde sie töten. Noch im selben Moment in dem sie sich in Bewegung setzte, durchbohrte es sie bereits. Ihr Blut spritzte umher und traf Kyria, die auch noch damit kämpfte dem allem zu folgen. Sayo taumelte ein paar Schritte zurück und spuckte sofort Blut. Sie fluchte innerlich, als sie schon wieder eine Klinge auf sich zurasen sah, die sich nur noch Millimeter vor ihrem rechten Auge befand. Doch dieses Mal ging Kyria dazwischen und schlug das Teil weg. Die Kreatur wirkte irritiert, dass es aufgehalten worden war und sprang in sichere Distanz, um sich neu zu ordnen. „Was ist das für ein Wesen?“, fragte Kyria nun. Sayo, die mittlerweile taumelte, keuchte: „Keine Ahnung… davon hat mir niemand was gesagt… Aber wieso… greift es mich an? Ich bin doch die Chefin der Hunter?!“ Da seufzte Kyria. „Mir scheint, die Menschen sehen das ein wenig anders.“ „Niemals. Sie würden mich nicht hintergehen!“, fluchte Sayo und zückte ein Funkgerät. Sie versuchte ihre Hunter zu erreichen. Doch niemand antwortete ihr. „Was soll denn das jetzt?“, fragte sie sich, während sie die Kreatur nicht aus den Augen ließ. Doch diese begann nun verächtlich zu grinsen. „Boss meinte, dass wir dich jetzt nicht mehr brauchen.“, gab es mit kratziger Stimme zu verstehen. „Was?“ „Die Hunter haben dir nie unterstanden.“ Sayo war sprachlos. „Aber wie kann das denn…“ Da versagten ihre Beine ihr den Dienst und sie knallte zu Boden. „Gift…“, stellte sie fest, denn ihre Wunde wollte sich einfach nicht schließen. Neben ihr stand noch immer Kyria und blickte ernst drein. „Ich hab ja keine Ahnung, was hier gerade abgeht, aber ich bin wegen Seraphis hier und vorher verschwinde ich hier sicher nicht.“, meinte sie bestimmt. Sayo seufzte. Das war wohl ihre Strafe, huh? Sie stemmte sich an ihrem Stab wieder auf die Beine und spuckte Blut aus. „Man hat mich also reingelegt, ja? Wie ihr wollt, das Spiel kann ich auch spielen.“, grollte sie und hob den Speer dem Experiment entgegen. „Kyria.“, sagte sie nun, „Glaube nicht, dass ich dir aus Sympathie helfe. Ich habe nur etwas dagegen, betrogen zu werden. Also nimm Seraphis und verschwinde. Ich kümmere mich um das hier.“ Kyria blickte sie unschlüssig an. „Bist du dir sicher? Du siehst nicht gerade aus, als hättest du gute Chancen.“ Da grinste Sayo nur wieder. „Weiß ich selbst. Aber du solltest mich kennen. Mich wird man so schnell nicht los.“ Kyria seufzte. „Glaube nicht, dass ich vergessen habe, was du alles getan hast, Sayo. Du hast schließlich Chrona und Rui auf dem Gewissen und natürlich auch Lua. Mir ist ein Rätsel, wieso du so geworden bist, aber du hast deine Wahl vor langer Zeit getroffen.“ „Schweig einfach und geh.“, meinte Sayo verärgert. Sie wusste das ja selbst. Sie hatte alles ruiniert, hatte aus schierer Eifersucht ihre Freunde umgebracht und ehe sie sich versehen hatte, war sie in diesem Teufelskreis gefangen gewesen. Für Reue war es zu spät und sie war auch viel zu stolz dafür. Kapitel 23: Erinnerungen ------------------------ Sayo hatte nur zwei Leute je wirklich als ihre Freunde erachtet. Beide waren wie sie Hunter gewesen. Als Kyria, die neben ihrer besten Freundin auch gleichzeitig ihre größte Rivalin war, zum Exile wurde, hatte sich Sayo entschieden, zu ihr zu stehen und sie zu verteidigen. Obwohl sie wusste, dass dem Hochverrat gleichkam, befand sie diese Entscheidung als die einzig Richtige zu jener Zeit. Unterstützt wurde sie dabei von Rui. Auch er war Hunter und damals Sayos Partner bei der Arbeit. Zusammen hatten die drei viel durchgemacht, doch nach dem Tag der Schatten, ging jeder seiner Wege. Kyria, die durch die Trauer um ihre Geliebte, jeglichen Halt im Leben verloren hatte, verschwand in der Welt und sorgte für ziemlich viel Chaos, was ihr auch einen Platz auf der schwarzen Liste einbrachte. Zu dieser Zeit wagte niemand sie aufzuhalten. Rui hingegen ging mit Chrona, seiner Kindheitsfreundin, die ebenfalls ein Exile war, auf Reisen und quittierte somit seinen Dienst als Hunter. Sayo war allein zurückgeblieben. Sie hatte versucht die letzten treuen Hunter um sich zu scharen, um eine neue Organisation ins Leben zu rufen. Ihr war das auch gelungen, nur war das Problem, dass sie keinen Nachwuchs ausbilden konnten. Und so starben Sayo die Leute im Laufe der Zeit weg. Sie selbst alterte ja nicht, da sie ein Halbvampir war. Irgendwann stand sie ganz allein da. Sie fühlte sich einsam und verraten, denn ihre besten Kollegen und Freunde, hatten sie beide im Stich gelassen, wie sie meinte. Dann bekam sie eines Tages ein Angebot von einem Labor. Sie würden ihr neue, bessere Hunter zur Verfügung stellen, damit sie ihr Werk fortführen konnte. Sayo wusste ja nicht, dass viele ihrer Opfer spätere Versuchsobjekte werden würden. Die neuen Hunter waren in der Tat stärker, denn sie waren keine Menschen. Kontrolliert wurden sie über die Male auf ihrer Stirn. Um dazuzugehören tätowierte sich auch Sayo das Zeichen ein. Es sollte das Symbol der neuen Hunter werden. Eines Tages bekam sie dann den Auftrag einen ehemaligen Hunter zu finden, der mittlerweile ein Exile geworden war. Bei ihm sollte eine weitere Exile sein, die einst durch Experimente modifiziert worden war. Gemeint waren Rui und Chrona. Sayo war hin und her gerissen. Aber sie machte sich wirklich auf die Suche nach den beiden. Es gelang ihr sie aufzuspüren. Kyria war gerade bei ihnen. Erst kurz zuvor hatte sie sich durch Seraphis´ Hilfe wieder gefangen und hatte aufgehört Amok zu laufen. Dieser Anblick entfachte jedoch Eifersucht in Sayo. Ihre beiden alten Freunde gingen miteinander um, wie in alten Zeiten, aber sie schienen sie dabei völlig vergessen zu haben. Kurz darauf verschwand Kyria wieder. Aus dem Affekt heraus, gab Sayo den Angriffsbefehl. Chrona und Rui waren völlig überrumpelt und unterlagen schließlich im Kampf. Eigentlich wollte Sayo die beiden leben lassen, doch dann geschah es. Einer der Hunter widersetzte sich ihrem Befehl und griff erneut an. Sein Angriff galt eigentlich Rui, doch Chrona warf sich in letzter Sekunde dazwischen und so versetzte er ihr den Todesstoß. Sayo hatte das nicht gewollt, aber Rui packte der Zorn und begann wieder anzugreifen, obwohl seine Energie bereits aufgebraucht war. Kyria war zurückgeeilt, als sie den Angriff bemerkt hatte, aber sie kam zu spät. Das letzte was sie sah, war, dass Rui einen Hunter zerriss, dann aber kraftlos neben Chrona zu Boden sank. Er hielt sie voller Trauer im Arm, da durchstieß der tot geglaubte Hunter ihn mit seinem letzten Atemzug und nahm Rui mit sich. Sayo schrie vor Verzweiflung, aber sie konnte es nicht verhindern. Die Hunter hörten nicht mehr auf sie. Sie töteten jene, die nach dem Angriff auf Rui und Chrona noch lebten, aber es war bereits zu spät. Sayo war hinterher nie mehr dieselbe. Sie sperrte ihre Schuldgefühle weg und wurde zunehmend kälter und stumpfte ab. Sie bekam neue Hunter zugeteilt, aber sie benutzte diese nur wie Spielzeuge. Sie begann gnadenlos alle Exile zu jagen, auch Kyria stand auf ihrer Liste. Kyria wusste, dass alles ein Unfall gewesen war, aber Sayo versperrte sich der Wahrheit und ließ dem Vampir in ihr die Oberhand. So kam es, dass die beiden zu Feinden wurden. Kyria wollte nicht kämpfen, aber wenn sie es musste, so tat sie es auch. Sayo hingegen versuchte mit der Jagd auf Exile und Mitglieder der schwarzen Liste ihre Schuld zu vergessen. Wenn keine Exile mehr existierten, dann würde ihr all das nicht mehr real vorkommen. Dann würde es auch den Mord an Rui nie gegeben haben. Um ihre Ziele zu verwirklichen, gab sie zunehmend ihren menschlichen Teil auf. Sie begann Blut zu trinken, was sie vorher nie gewagt hätte. Sie wollte kein Mensch mehr sein. Als Vampir hoffte sie, alles vergessen zu können. Über 50 Jahre hatte sie sich so immer wieder dieselben Lügen eingeredet und zuletzt hatte sie auch daran geglaubt. Es war ihre Wahrheit geworden. Jetzt war aber der Zeitpunkt gekommen, da sich all ihre Fehler anscheinend an ihr rächen würden. Doch es war ihr sogar recht. So wie sie ihre Freunde verraten hatte, war sie jetzt von den Menschen verraten worden. Bevor sie jedoch verschwinden würde, würde sie es noch ein letztes Mal richtig krachen lassen. Kyria, die nicht ganz so glücklich über die Situation aussah, befreite unterdessen Seraphis, die bewusstlos zu Boden ging. Als das Experiment sie daran hindern wollte, ging Sayo dazwischen. „Nun verschwinde endlich.“, rief sie genervt aus und wehrte die Klingen der Kreatur ab, dass sie grimmig beäugte. Einen letzten Moment hielt Kyria noch inne. Ein leises „Danke“, war alles, was sie ihrer ehemaligen Kollegin und guten Freundin noch sagen konnte, bevor sie mit Seraphis verschwand. … Ich trieb in dieser unwirklichen Dunkelheit umher und fühlte… nichts. Es war schwer zu beschreiben, aber je länger ich hier war, desto weniger fragte ich mich, wieso und ließ es einfach geschehen. Irgendwie war mir bewusst, dass ich gerade starb… vielleicht auch schon tot war. Das konnte ich nicht unterscheiden. Irgendwo lag ich auf dieser Laborliege, blutüberströmt und von diesem Speer durchstoßen, doch Schmerzen fühlte ich hier nicht. Der Kampf mit Sayo kam mir mehr wie eine weit entfernte Erinnerung vor oder wie ein Traum und auch alles andere… unsere Mission, mein bisheriges Leben… es war wie ein verblassender Traum. Ich wandte den Kopf ein bisschen zur Seite, während ich weiter durch das Nichts trieb, als wäre ich auf Wasser und erblickte schwache Bilder. Waren das auch nur Träume? Nein… diese Bilder waren anders. Schmerzhaft und irgendwie sehr real. Und mir wurde allmählich bewusst, dass es sich um jene Erinnerungen handelte, die mir bisher vorenthalten geblieben waren. Jene Bilder, die selbst bei meinem Erwachen als Exile… oder was auch immer ich eben war… trotzdem nicht wiedergekehrt waren. Das war der Beweis, dass es wirklich zu spät für mich war. Sagte man denn nicht, dass das Leben an einem vorbeizog, wenn man starb? Nun… das waren sie also. Die fehlenden Jahre meiner Kindheit. Meine Mutter war eine angesehene Wissenschaftlerin gewesen. Rika war ihr Name und sie hatte schon in jungen Jahren Karriere gemacht. Letztlich hatte sie eine Stelle in eben diesem Labor angenommen. Sie arbeitete parallel an mehreren Projekten, doch ihr Hauptprojekt war mein Vater gewesen. Ein gefangener Exile, der wie viele seiner Kollegen, modifiziert und damit kontrollierbar, aber auch "verbessert" werden sollte. Mehrere Wissenschaftler versuchten sich daran, jeder mit anderen Ansätzen. Ausschließlich alle, außer meiner Mutter, hantierten dafür an Seraphis herum und nutzten ihre Gene, um diese Modifizierungen vorzunehmen. Meine Mutter hatte jedoch als einzige einen alternativen Weg eingeschlagen, der sich der Macht animalischer Dämonen bediente. Und sie hatte Erfolg. Ihr Experiment gelang und erschuf somit die Urchimäre. Doch meine Mutter zeichnete noch eine andere Eigenschaft aus. Im Gegensatz zu all den anderen Wissenschaftlern, sah sie in den Testpersonen noch immer die eigentliche Person, die Gefühle hatte und durchaus Schmerzen und Angst empfinden konnte. Ihr war bewusst, dass nahezu niemand hier freiwillig an den Tests teilnahm, welche sie mit Wunsch durchführte, der Welt zu helfen. Meine Mutter arbeitete dort nicht, um Waffen zu erschaffen. Sie wollte ein Mittel finden, Exile wieder menschlicher zu machen, um ein Zusammenleben dauerhaft zu ermöglichen. Da Dämonen im allgemeinen eine deutlich bessere Selbstbeherrschung besaßen, als Exile, hoffte sie, diese Fähigkeit übertragen zu könne. Dass sie damit letztlich Wesen erschuf, die noch gefährlicher als Exile waren, hatte sie nie geplant... Auch wenn sie am Schicksal der Insassen des Labors nichts ändern konnte, so behandelte sie jeden an dem sie forschte doch stets mit Respekt, was wahrscheinlich auch der Grund gewesen war, dass mein Vater sich in sie verliebt hatte. Es war eine verbotene Liebe schlechthin, die nie unter einem guten Stern gestanden hatte. Wie auch? Und dann wurde meine Mutter schwanger und wenig später kam ich also zur Welt. Die größten Befürchtungen meiner Mutter wurden wahr, als sie kurz nach meiner Geburt ein paar Tests mit meinem Blut durchführte und feststellen musste, dass ich kein Mensch war. Der Virus der Exile war durch ihre Experimente weiter mutiert und hatte sich vererbt. Was genau ich war, konnte sie nicht sagen. Kein Mensch… Kein Exile. Als Jahre später ihre Forschungsergebnisse genutzt wurden, um die heutigen Chimären zu erschaffen, existierte längst eine ganz andere Form von Chimäre, die Urchimäre. Das, was ich von meinem Vater geerbt hatte. Als ich schließlich fünf war, flog alles auf. Und dabei hatte ich niemals meine Fähigkeiten eingesetzt, hatten meine Eltern mir doch stets eingebläut, mich wie ein Mensch zu benehmen. Papa durfte ich nie Papa nennen, was ich damals noch nicht vollends verstehen konnte und doch akzeptierte. Ja, die ersten Jahre meines Lebens sah ich kaum etwas von der Welt außerhalb des Labors, da meine Mutter sehr viel arbeitete und mich nicht allein lassen wollte und konnte. Nicht unbedingt der beste Ort für ein Kind, aber da ich es eh nicht Anderes kannte, war ich damit nie unzufrieden. Ich hatte sogar einen sehr guten Freund im Labor. Sein Name war Valentin und er war ebenfalls ein Experiment. Er entstammte einem ähnlichem Projekt wie mein Vater, aber als der Forscher, der daran gearbeitet hatte, plötzlich verstarb, hatte meine Mutter ihn übernommen. Anfangs mochte er mich nicht wirklich. Immerhin war er ein erwachsener Exile, der über 70 Jahre alt war und ich nur ein kleines Kind. Aber wir teilten ein entscheidendes Geheimnis: Seraphis. Damals wusste ich natürlich nicht, wer sie effektiv war, doch ich spürte, dass sie eine mächtige Exile sein musste, die jedoch sehr geschwächt war. Doch manchmal, wenn sie etwas Kraft gesammelt hatte, konnte sie durch ihre Fähigkeiten Kontakt zu mir aufnehmen und dann redeten wir viel miteinander. Natürlich behielt ich das für mich, aber Valentin hatte eine ganz ähnliche Verbindung zu ihr. Er verriet mir, dass es an den Experimenten lag, die mit ihm gemacht worden waren und dass er deswegen eine enge Verbindung zu ihr hatte. Und irgendwie schweißte uns dieses Geheimnis um Seraphis zusammen. Ich wusste, dass Vale, so nannte ich ihn stets, mächtig genug war, jederzeit zu fliehen, es aber wegen ihr nicht tat. Aber wie gesagt… eines Tages änderte sich alles. Es war der Tag an dem meine Mutter wegen einer Sitzung nicht da war und mich einer Arbeitskollegin anvertraute. Doch diese nutzte ihre Chance und durchstöberte die Unterlagen meiner Mutter, bis sie fündig wurde. Offenbar hatte sie schon lange geahnt, dass mit mir Etwas nicht stimmte. Und ehe ich mich versah, fand ich mich an eine Laborliege gefesselt wieder und musste bei vollem Bewusstsein miterleben, wie sie mich aufschnitten, mir Spritzen injizierten und mich stundenlang quälten. Schließlich war ich ja kein Mensch… Was machte es also aus? Und dann brach ich mein Versprechen, dass ich meinen Eltern gegeben hatte und wehrte mich. Ich tötete sie alle… ohne einen Funken Reue zu empfinden. Als jedoch der Alarm im Labor losging, bekam ich es mit der Angst zu tun. Die Welt schien im Chaos zu versinken und alles was ich wollte, war, bei meinen Eltern zu sein. Meine Mutter kehrte in jenen Momenten zurück, als alles anfing den Bach runter zu gehen. Sie fand mich bei meinem Vater, zu welchem ich mich geflüchtet hatte und schnell mussten Entscheidungen gefällt werden. Sie schnappte sich alle ihre Unterlagen, dann mich und wir flohen aus dem Labor. Mein Vater blieb zurück… Er gab sein Leben, um uns die Flucht zu ermöglichen. Ich hörte die Schreie, als er die Wissenschaftler und Wachen zerfetzte, die uns aufhalten wollten und hörte ihn Knurren, als sie ihn ebenfalls verletzten. Mama weinte und ich tat es ebenfalls. Irgendwie entkamen wir durch die alten Versorgungsschächte und ich verbannte all diese schrecklichen Erinnerungen aus meinem Kopf… wobei… das war nicht ganz richtig. Meine Mutter half da wohl nach. Ich konnte mich erinnern, dass sie mir noch in derselben Nacht eine Spritze verabreicht hatte. „Du musst tapfer sein, Lua. Ich weiß, das alles war schrecklich für dich, aber du musst jetzt noch diese eine kleine Spritze für mich ertragen. Kannst du das tun?“, fragte sie mich trauriger Stimme und widerwillig nickte ich. „Was ist das, Mama?“, hörte ich mich fragen. „Nur eine kleine Sache, damit es dir wieder besser geht. Glaub mir, du wirst gleich erstmal müde werden und wenn du wieder aufwachst, wird alles wieder viel besser sein.“ „Ok Mama…“, gab ich etwas skeptisch zurück und ließ es geschehen. Und sie behielt Recht. Binnen weniger Sekunden wurde ich unheimlich müde, aber ich spürte noch etwas anderes. Es war, als würde mir ein Teil meiner selbst entrissen werden. Weggesperrt. Vergessen. Viele, viele Jahre bis das Serum seine Wirkung verloren hatte. Ich begann zu lachen. „Deswegen also.“, stellte ich fest, „Mama wollte ja immer, dass ich wie ein Mensch lebe. Scheinbar hatte sie keine Zeit mehr das Serum zu perfektionieren, huh? Sonst wäre ich wahrscheinlich nie wieder erwacht.“ Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielte, dass ich wieder wusste, wer ich eigentlich war. Ich machte ihr ja nicht mal einen Vorwurf. Sie hatte es nur gut gemeint, hatte bis zu ihrem Tod nur mein Bestes gewollt. Kurz nach meinem zwölften Geburtstag war sie jedoch an einer Krankheit gestorben und hatte mich allein gelassen. Ich konnte mich erinnern, dass wenig später Männer kamen und all ihre Forschungsergebnisse mitnahmen. Sie hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, sie zu vernichten. War es doch alles, was als Andenken an meinem Vater noch existierte. Ich selbst war für einige Jahre in ein Waisenhaus gekommen, bis ich mit 16 auszog und in das Haus zurückzog, in dem ich mit meiner Mutter gewohnt hatte. Es war ein einsames Leben, doch es war mir lieber, als im Waisenhaus zu bleiben. Das kleine Erbe meiner Mutter reichte die erste Zeit, um über die Runden zu kommen, bis ich gezwungen war, mir einen Job zu suchen. Einige Zeit später hatte ich dann Luca gefunden und kurz darauf auch die Zwillinge und Tiara. Ich war wirklich glücklich gewesen mit dieser neuen Familie. Mein wahres Ich hätte dieses Leben nie führen können, das war mir klar. Denn mein wahres Ich hätte dieses Leben nicht so einfach akzeptiert. Nun, jetzt gab es aber Menschen, die mir etwas bedeuteten und ich wusste, dass die Menschen nicht allesamt schlecht waren, doch das änderte nichts daran, dass ich diesen tiefen Schmerz von damals nicht vergessen konnte. Und doch kam das schlechte Gewissen zurück. Ich war tot. Ich hatte meine Familie erneut im Stich gelassen und dieses Mal für immer. Wie Luca das wohl verkraften würde? Ich machte mir Sorgen, denn ich wusste ja, was mein erstes Verschwinden aus ihm gemacht hatte. Aber er war ja nicht allein. Er hatte den Rest unserer Familie, dann natürlich Pik und jetzt auch noch Kyria als enge Freunde. Er würde da schon drüber wegkommen. Das Kino war nun jedoch vorbei. Mein Leben war an mir vorbeigezogen und nun war ich wieder ganz allein in der endlosen Leere, die mich immer tiefer in sich zog. Ich ließ es einfach geschehen. Kapitel 24: Im Labyrinth ------------------------ Endlich hatten sie es geschafft. Nach elend langer Suche war es Luca gelungen mit Piks Hilfe den Weg zum Labor zu finden. Aber als sie endlich ankamen, herrschte nur Chaos vor. „Offenbar weiß man bereits, dass ihr hier seid.“, stellte Pik fest. „Scheint so.“, brummte Luca. Er war noch immer in Gestalt einer Chimäre, es kam ihm so einfach sicherer vor. Ja selbst Pik hatte seine Sensen wieder dabei, die doch sonst die meiste Zeit nur die Wände seines Büros zierten. Schnell spürte Luca, dass es hier nur so von Exile und Yajuu wimmelte. Und da war auch noch etwas anderes, was zwar ähnlich, aber nicht gleich war. „Wir müssen uns in Acht nehmen. Die Wesen aus diesem Labor sollte man nicht leichtfertig unterschätzen.“, knurrte Luca. Dabei wollte er doch einfach nur schnell Lua wieder finden. Da nahm er plötzlich etwas anderes wahr. Von weit entfernt hörte er Kampfgeräusche, die Pik offenbar nicht wahrnehmen konnte. Nunja… er war ja auch noch ein Mensch. „Ah… da ist sie.“, meinte er und erhaschte einen verwunderten Blick von Pik. „Wen meinst du? Lua? So schnell?“ „Nein… der Grund warum wir sind. Kyria scheint sie gefunden zu haben, doch sie wird gerade echt von vielen merkwürdigen Kreaturen verfolgt.“ Jetzt seufzte er kurz aus. „Hör zu. Ich werde gehen und ihr helfen. Du suchst nach Lua, ok?“ „Kein Problem.“, gab Pik zu verstehen, „Krieg ich schon hin, kein Sorge. Hilf du Kyria, ich komme auch allein zurecht. Wir treffen uns dann draußen, ja?“ Luca nickte schnell und machte sich davon. In Momenten wie diesen war er einfach nur froh, dass es Pik gab. Er war einfach unkompliziert in solchen Dingen, wusste, wann es ein schlechter Zeitpunkt war, Fragen zu stellen und handelte einfach. Bei Gelegenheit musste er ihn mal wieder in die Bar einladen. Doch jetzt warteten noch einige Kämpfe und er beeilte sich noch mehr. Mit Seraphis im Schlepptau war Kyria schließlich sehr eingeschränkt. … Pik kratzte sie leicht verlegen am Kopf. „Gut… aber wo fange ich zu suchen an? Ich hab ja keine Ahnung wo ich gerade bin.“ Egal, irgendwann würde er schon jemanden treffen, dessen war er sich sicher. Bald schon hatte er einen größeren Gang erreicht, der nun in mehrere kleine Gänge abzweigte. Pik seufzte genervt. Wer fand sich denn hier bitte zurecht? Er suchte seine Umgebung nach einem Anhaltspunkt ab, aber wirklich alles sah hier absolut gleich aus. Schon vor längerem hatte er aufgehört mitzuzählen wie oft er schon in Sackgassen geendet war. Als er sich für einen Gang entschieden hatte und ein Stück gegangen war, fiel ihm eine Tür auf. Ein Schild gab zu verstehen, dass es sich hier um einen Aufenthaltsraum handeln musste. Vielleicht fand er ja da eine Karte von diesem Labor… na ja oder zumindest einen Anhaltspunkt wo er war. Aber als er eintrat, kam auch gleich die Ernüchterung. Es hieß zwar Aufenthaltsraum, aber gemütlich war es hier nicht. Pik blickte sich seufzend um. Da waren ein paar Stühle, einige Tische und eine Kaffeemaschine… eine Mikrowelle gab es auch, den Minikühlschrank nicht zu vergessen, aber das war es dann auch schon. Kurz ließ sich Pik auf einem der Stühle nieder. Ihm als Informanten passte es gar nicht, dass er etwas nicht wusste. Das war für ihn ein absolutes No-Go. Nun zückte Pik sein Handy hervor. Er überlegte, ob er einen seiner Assistenten anrufen und ihn bitten sollte, ihm ein paar Pläne des Labors zu schicken. Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Eigentlich durfte ja niemand wissen, dass er gerade hier war. Gedankenversunken starrte er auf das Display des Handys. Bald schon wurde es schwarz und der Raum begann sich darin zu spiegeln. Da riss Pik erstaunt die Augen auf. An der Tür hing tatsächlich ein Plan dieser Etage. Vom Handy aus konnte er es erkennen. Schnell stand er auf und schaute sich den Plan ganz genau an. Pik hatte ein eidetisches Gedächtnis. Er würde sich also merken, was er hier sah und brauchte es sich nicht mehrmals anschauen. Deswegen war er als Informant ja auch so gut. Zumindest wusste er jetzt wo er war und wie diese Etage weiter aufgebaut sein würde. Auch war ihm klar, dass sich Lua hier nicht befinden würde. Hier gab es nur einige Labore und noch einen weiteren Aufenthaltsraum. Pik vermutete, dass Lua entweder in einem Büro oder einfach direkt in einem Gang anzutreffen sein würde. Das sagte ihm seine Intuition und diese ließ ihn selten im Stich. Mit besserer Laune machte er sich wieder auf den Weg. Pik befand sich gerade im Treppenhaus, als ein furchtbarer Knall die Wände erzittern ließen. Eine Explosion? Aber von wo genau kam sie? Jeder normale Mensch wäre jetzt in die entgegengesetzte Richtung gegangen, aber Pik hielt genau darauf zu. Wenig später hatte Pik den Gang erreicht, von dem die Explosion gekommen war. Dicker Qualm versperrte die Sicht, aber Pik war sich sicher, dass da hinten ein riesiges Loch klaffen musste. Er kniff die Augen zusammen und hoffte so etwas mehr sehen zu können. Plötzlich erkannte er schemenhaft die Umrisse einer Frau. Geradezu zögerlich kam sie aus dem Rauch heraus und blickte Pik überrascht an. Dann lächelte sie schüchtern, aber freundlich. „Bist du verletzt?“, fragte sie ihn. Bevor Pik antwortete, betrachtete er sie kurz. Die Frau trug einen Kimono in einem sehr dunklen blau, welcher schöne silberne Verzierungen hatte. Sie hatte welliges, langes dunkelbraunes Haar. Es leuchtete im Licht wie Kupfer und schien daher in Flammen zu stehen. Zwei Strähnen ihrer Haare hatte sie hinten zusammen geflochten und diese hingen ihr nun nach vorne über die Schulter. Das Mädchen war auf jeden Fall kein Mensch. Ihre Augen leuchteten in einem intensiven Smaragdgrün und oberhalb beider Augenbrauen war je ein seltsamer dunkelroter Punkt zu sehen. Geduldig blickte sie ihn an, bis er schließlich antwortete. „Nein, mir geht es gut.“, gab Pik ebenso freundlich zurück. „Das freut mich.“, flüsterte sie. Da näherte sich von hinten eine weitere Gestalt. Dieses Mal war es ein Mann. Er sah der Frau sehr ähnlich, hatte dieselbe Haarfarbe, aber seine Haare waren recht kurz und zackig nach oben abstehend. Er trug schwarze Kleidung, die ihrem Stil nach chinesisch aussahen. Auch hatte er dieselben dunklen Punkte oberhalb der Augenbrauen, aber seine Augen leuchteten wie Lava. Sein Gesichtsausdruck war kühl und ernst. Pik ließ sich nichts anmerken. Er wusste, dass er diese beiden auf keinen Fall unterschätzen durfte. „Wer seid ihr?“, fragte die Frau nun. Aufmerksam beobachtete sie ihn und der Mann neben ihr tat es ihr gleich. „Ich bin Pik.“, sagte dieser ohne zu zögern, „Und wer seid ihr, wenn ich fragen darf?“ Warm lächelte die Frau ihn an. „Mein Name ist Shirai und das ist mein Zwillingsbruder Sarir. Nett dich kennen zu lernen, Pik. Was führt dich hierher?“ Pik gab sich weiterhin furchtlos. „Ich kam, um einen Freund bei etwas zu helfen. Heute scheint die ideale Gelegenheit dafür zu sein. Unglücklicherweise habe ich ihn aus den Augen verloren und dieses Gebäude hier ist das reinste Labyrinth.“ Das entsprach ja zumindest teilweise der Wahrheit. Shirai lächelte mitfühlend. „Oja, das kann ich verstehen. Ich hab mich hier auch noch nie zurechtfinden können. Daher bevorzuge ich es zuweilen mir die Wege einfach zu erschaffen.“ Sie hatte also die Explosion verursacht, dachte Pik, verzog aber immer noch keine Miene. „Du bist ein guter Kämpfer, das merke ich. Ich möchte dich nur ungern töten. Aber unglücklicherweise hast du uns gesehen und jetzt können wir dich nicht einfach ziehen lassen.“, sagte Shirai nun freundlich. Sie meinte es wirklich ernst. Ihr Bruder sah ihn nur weiterhin kühl an. Pik atmete laut aus. „Ah ich verstehe. Ihr solltet also auch nicht hier sein. Aber mir ist eigentlich total egal, was ihr hier wollt. Wieso vergessen wir nicht einfach, dass wir uns je über den Weg gelaufen sind und gehen einfach unserer Wege.“ Er ahnte ja schon, was die Antwort werden würde. Aber er hatte immerhin versucht, das hier friedlich zu lösen. Shirai blickte ihn lange an. Ihren Blick konnte man nicht deuten. Dann raschelten ihre Ärmel und ihre Hände kamen zum Vorschein. Auf beiden waren jeweils auf dem Handrücken Male zu sehen. Es waren drei schmale Ellipsen, die mittlere war die längste und die anderen beiden waren leicht nach außen gebogen. Plötzlich begannen jene zu leuchten und auch die Punkte über ihren Augenbrauen taten es. Die Male in ihrem Gesicht erweiterten sich und zogen sich über ihre Augen hinweg und über die Stirn. Aus den Punkten selbst kamen plötzlich Hörner hervor, die sich leicht nach hinten bogen. Traurig blickte Shirai ihn an. Dann schnippte sie mit den Fingern und direkt links und rechts neben Pik erfolgten zwei kleinere Explosionen. Sie dienten nur zur Warnung. „Wir dulden keine Zeugen, Mensch. Also entweder wehrst du dich und versuchst wenigstens deine Haut zu retten oder du stirbst sofort. Deine Wahl.“, gab Shirai unmittelbar zu verstehen und taxierte ihn mit ihren Augen. Nun folgte ein sadistisches Lächeln. „So, Zeit ist um. Und nun: Stirb.“ Ein weiteres Schnippen war zu hören, dann riss es Pik von den Füßen. Es dröhnte ihn in den Ohren, doch er nahm trotzdem das Geräusch war, was nun noch mehrmals ertönte. Shirai schnippte weiter und er zerfetzte ihn regelrecht in der Luft. Seine Waffen waren nutzlos. Wie sollte er sich auch dagegen wehren? Unsanft knallte Pik auf. Seine Kleidung war zerfetzt und überall war Blut. Angestrengt rang er nach Atem. „Unglaublich, schau Sarir, er lebt noch.“, hörte er Shirai dumpf und seltsam fern sagen. Durch die Explosionen hörte er alles so, als wäre er unter Wasser. Mit zitternden Armen versuchte er sich aufzurappeln. Pik war es nicht gewohnt so zu verlieren. Aufstehen konnte er vergessen, also ließ er sich zurücksinken und kramte stattdessen vorsichtig etwas aus seiner Manteltasche hervor. Seine Stimme klang abgebrochen, dennoch erhob er das Wort und sprach zu den Zwillingen: „Wenn ihr denkt, dass ich so einfach den Löffel abgebe… dann habt ihr euch geschnitten.“ Dann rammte er sich die Spritze in den Arm. „Kaum zu fassen… ist schon Jahre her, seit ich die letzte nehmen musste, aber ich hasse solch einseitige Kämpfe.“ Shirai zog verwirrt eine Augenbraue nach oben. „Was hast du vor?“ Pik grinste sie selbstbewusst an, auch wenn er von den Verletzungen Schmerzen hatte. Doch er wappnete sich bereits auf das, was gleich kommen würde und was noch schlimmer werden würde. Kapitel 25: Der Karakal ----------------------- Schon kam die Hitze. Augenblicklich verkrampfte sein ganzer Körper und Pik begann sich zu krümmen. Shirai´s Augen wurden immer größer. Aus dem schwer verletzten Menschen vor ihren Augen wurde eine Bestie, dessen Augen je nach Licht mal bernsteinfarben, mal golden leuchteten. „Wieso gibt es mehr von ihnen? Ich dachte es gäbe nur die eine Chimäre hier?“, fragte Shirai aufgeregt und Panik stieg auf. Pik verlor sich in den Instinkten dieser Bestie. Er sah anders aus als Luca. Sein Fell war sandfarben und verlief nach außen hin schwarz. Auch hatte er keinen Skorpionsstachel, stattdessen hatte er zwei Schwänze, die relativ schlank waren. Neben dem normalen Fell befanden sich dort auch besondere, fast durchsichtige, längere Härchen, welche ähnlich wie Spinnenfäden klebten. Pik hatte sich daraus eine besondere Taktik entwickelt. Seine Schwänze umgriffen je eine der Sensen und hoben sie in die Luft. Nun konnte er sie als zusätzliche Waffen nutzen. Alles in allem ähnelte er in seiner Gestalt stark einem Karakal. Die Kerben über seinen Rippen, die jede Chimäre hatte, um ihre Umgebung wahrzunehmen, leuchteten wie seine Augen intensiv bernsteinfarben. Das war seine vorletzte Spritze gewesen und daher schrie die Chimäre in ihm lauter denn je. Für den Moment waren ihm die Konsequenzen egal. Jetzt brannte erst einmal alles in ihm nach Jagd. Shirai hob erneut die Hände. Sie knirschte mit den Zähnen und dann geschah es. Dieses Mal sah Pik genau, was sie machte. Die Explosionen kamen nicht etwa einfach aus dem Nichts. Vielmehr lösten sich aus ihrem Schatten kleinere Schatten in derselben Farbe wie ihre Male heraus und diese kleinen Punkte bewegten sich blitzschnell dorthin, wo Shirai die Explosion haben wollte. Jetzt konnte Pik aber nicht nur sehen, wo es als nächstes explodieren würde, er war auch schnell und wendig genug, dem auch auszuweichen. Blitzschnell wich er aus und rannte auf die beiden Fremden zu. Shirai hatte damit nicht gerechnet und so gelang es ihm, sie mit seiner Pranke zu erwischen. Mit einem lautem Knall schmetterte sie gegen die nahe gelegene Wand. Sarir, der bisher keinen Laut von sich gegeben hatte, stand der Zorn jetzt ins Gesicht geschrieben. Wie bei seiner Schwester aktivierten sich seine Male und die Hörner erschienen. Pik blieb stehen. Überall neben ihm waren plötzlich Striche auf der Wand. An diesen Stellen begann nicht nur das Material vor Hitze zu schmelzen, nein, überall kamen nun spitze Klingen aus der Wand und wollten Pik durchbohren. Für den Moment kam er nicht weiter voran und das machte ihn aggressiver. Die ersten Funken luden sich auf und dann ging ein Blitz durch den Gang und hätte Sarir beinahe erwischt, wäre Shirai nicht dazwischen gegangen. „Eine Affinität für Elektrizität.“, stellte sie erschrocken fest. Pik fand es schnell heraus. Er konnte diese Signalgeber, die die beiden entsandten unschädlich machen, indem er seine Elektrizität hindurch jagte. Das dauerte zwar einen Moment, aber zumindest war er ihnen damit nun überlegen. Mit einem lauten Knurren bahnte er sich seinen Weg vorwärts. Doch als er schließlich ankam, waren die beiden verschwunden. Sarir hatte heimlich ein Loch in die Wand fressen lassen und nun waren sie ins Ödland geflüchtet. Er durfte seine Beute nicht entkommen lassen! Obwohl es mehrere Meter nach unten ging, sprang Pik hinterher. Ihm geschah so leicht nichts. Aber er hatte Pech. Die beiden Geschwister hatte er zwar schnell eingeholt, aber als sie sahen, dass er sie verfolgte, da spürte er schon ihre Aura. Im nächsten Moment veränderten die beiden ihre Gestalt vollständig. Beide Exile sahen sich sehr ähnlich und ähnelten irgendwie der Darstellung von sehr makabren und gefährlichen Engeln. Aus ihren Rücken kamen große, halbtransparente Schwingen und sofort fanden sich die beiden in der Luft wieder. Die beiden wollten sich aus dem Staub machen und das passte Pik, der gerade voll und ganz im Bann der Chimäre war, gar nicht. Für den Moment war Lua komplett vergessen. Es zählte nur die Jagd, die zu scheitern drohte, wenn die beiden entkamen. „Tut uns ja sehr Leid, Chimäre, aber wir haben gerade keine Lust uns mit einem deiner Sorte herumzuschlagen. Wir haben eh, weshalb wir herkamen, als was soll´s. Man trifft sich ja eh immer zweimal im Leben!“ Und mit diesen Worten verschwanden die beiden. Pik brüllte wütend hinterher, doch verfolgen konnte er sie hier nicht. Schließlich hatte er keine Flügel und besonders schnell kam man im Ödland einfach nicht voran. Bereits jetzt konnte er ihre Aura kaum noch wahrnehmen und er wusste, dass er verloren hatte. Frust machte sich breit. Er hatte seine Beute verloren. Sie war ihm einfach davon geflogen. Zornig war die Chimäre, der Jäger, in ihm. Chimären, die nicht wie Luca vollends zum Teil des Menschen geworden waren, hatten ihren Jagdtrieb kaum unter Kontrolle, aber selbst Luca hatte nach wie vor Probleme damit. In dem Sinne waren sie nicht viel anders, als es die Yajuu oder Exile waren. Wenn sie ihre Beute verloren, dann mussten sie sich Ersatz suchen. Automatisch richtete sich sein Blick Richtung Stadt. Dann setzte er sich bereits in Bewegung. Einige Zeit hielt er auf die Stadt zu, als sich ihm plötzlich jemand entgegen stellte. Dort stand jemand, eingehüllt in einen weißen Umhang und voller Bandagen. Er bemerkte die Überraschung, die von der Gestalt ausging. Im nächsten Moment aber, veränderte sich ihre Gestalt und es wurde spürbar kälter. Pik fletschte die Zähne. Vor ihm stand eine Chimäre. Sie hatte weißes Fell, doch was sonderbar war, dort, wo Lichtstrahlen auf sie trafen, wirkte die Gestalt vor ihm fast durchsichtig. Er konnte im wahrsten Sinne des Wortes die Knochen der Chimäre durchschimmern sehen. Die weißen Augen seines Gegenübers durchbohrten ihn regelrecht. Es provozierte ihn und so ging er sofort zum Angriff über. Zunächst versuchte er, sie mit seinen Sensen zu erwischen. In diesem Moment fragte er sich nicht woher sie kam, was eine Chimäre, die offenbar wie Luca frei ihre Gestalt verändern konnte, hier her kam. All das war unter seinem Jagdtrieb vergraben. Daher fiel ihm auch nicht auf, dass die andere Chimäre nur mit ihm zu spielen schien. Sie lenkte ihn einfach nur ab, bis die Wirkung der Spritze endlich nachlassen würde. Pik wollte gerade auf sie zu springen, doch er kam nicht vom Fleck. Seine Pfoten waren am Boden festgefroren. Knurrend versuchte er das Eis zu brechen, doch es gab nicht nach. Die andere Chimäre saß ihm ruhig gegenüber. Sie wirkte nicht angriffslustig, sondern beobachtete ihn nur. Der Strom, der durch Pik´s Körper strömte, brachte das Eis langsam zum Schmelzen. Leider dauerte es für ihn unerträglich lange. Unruhig stemmte er sich gegen die Kälte bis das leise Knacken ankündigte, dass es bald brechen würde. Nun rammte er die Spitze einer Sense in einen der Eisklumpen. Tief bohrte sie sich hinein und gab ihn schließlich frei. Die Sense steckte zwar noch fest, aber er machte sich nicht die Mühe sie heraus zu ziehen. Mit ausgefahrenen Krallen stürmte er auf die andere Chimäre zu. Plötzlich begann sich vor ihm eine Eiswand aufzutürmen. Blitzschnell sprang er vom Boden ab und auf das Eis. Dann schlidderte er seitlich an der Chimäre vorbei und sprang im besten Winkel ab, um sie zu erwischen. Er war sich sicher, jetzt hatte er sie. Einen Moment wunderte er sich noch, wieso sie sich nicht rührte, doch im nächsten packte ihn etwas am Nacken und riss ihn zu Boden. Knurrend sträubte er sich gegen den Druck, doch sein Gegenüber hatte die Oberhand. Als er schließlich aufblickte, starrte er ihn die eisblauen Augen einer weiteren Chimäre. Sein Verstand war gerade noch aktiv genug, um ihn zu vermitteln, dass es Luca war. Ein bisschen beruhigte sich sein Gemüt nun, besonders als er sah, dass dort wo er oben noch auf die fremde Chimäre zugesprungen war eine riesige Eisklinge aus dem Boden ragte. Er wäre genau dort hinein gesprungen, hätte Luca ihn nicht weg gefangen. Luca vermittelte Pik, dass er liegen bleiben solle. Die unzähligen Wunden an Pik´s Körper zerrten stark an seiner Wahrnehmung. Luca bezweifelte, dass Pik überhaupt bemerkte, dass sein Fell bereits blutbedeckt war, ja dass es sogar von ihm herabtropfte. Allerdings stammten diese Verletzungen nicht von der merkwürdigen Chimäre dort hinten. Sie schien relativ friedlich gestimmt, trotzdem musste Luca vorsichtig sein. Die Eisklinge hätte Pik nicht umgebracht, aber den Kampf wohl schmerzhaft beendet. Luca ging einige Schritte auf die weiße Chimäre zu, dann setzte er sich so hin, wie sie. Ruhigen Blickes beäugte sie ihn. „Wer bist du?“, fragte sie schließlich telepathisch. „Mein Name ist Luca, darf ich auch deinen erfahren?“, antwortete er freundlich. „Ich… kann mich nicht erinnern, wie ich heiße.“, gab sie stockend zurück. Luca wurde hellhörig. „Du hast dein Gedächtnis verloren?“, fragte er. „Ja.“ „Also weißt du auch nicht, wieso du eine Chimäre bist?“, fragte Luca nun weiter. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass, als ich aufwachte, ich wusste, dass ich eine bin.“ „Interessant.“, gab Luca zurück, „Darf ich fragen, was hier vorgefallen ist?“ „Dein Freund hier verfolgte zwei Exile… sie haben ihn so zugerichtet.“ „Zwei Exile?“, fragte Luca verwirrt, denn er hatte deren Anwesenheit nicht gespürt. Wobei das kein Wunder war. Im Labor war die Hölle losgewesen. Kyria und er hatten echt Mühe gehabt da raus zu kommen. Kyria stand in einiger Entfernung mit Seraphis in den Armen und beäugte Pik, der mittlerweile ruhiger geworden war. „Ja, aber sie sind weg.“, bemerkte sie nun schlicht. „Wieso hast du ihm überhaupt geholfen?“, wunderte sich Luca nun. „Naja, ich konnte deinen Freund da nicht einfach ins Verderben rennen lassen, daher habe ich eingegriffen. Aber jetzt da du da bist, kann ich mich ja wieder verabschieden.“, erklärte sie leise. Ein merkwürdiges Wesen, dachte er. Ein kurzes Stöhnen, ließ ihn zur Seite blicken. Die Wirkung des Serums ließ langsam nach. Dementsprechend würde es Pik bald noch schlechter gehen. Luca musste ihn schnell nach Hause schaffen und versorgen. Hinzu kam, dass Pik möglichst schnell wieder auf den Beinen sein musste, damit seine Abwesenheit nicht auffiel. Also raffte sich Luca auf. Er wollte eigentlich noch weitere Fragen an die Chimäre stellen und auch die Sorge um Lua bohrte sich tief in ihn hinein. Pik hatte sie offenbar nicht finden können, doch wo war sie dann? Luca und Kyria hatten das Labor nach ihrer Aura abgesucht, sie war aber nirgends finden können. Selbst im schlimmsten Fall, dass Lua etwas zugestoßen wäre, hätte man ihre Aura noch bemerken müssen, aber es war, als wäre Lua nie da gewesen. Als hätte sie sich einfach in Luft aufgelöst. Auch Kyria hatte dafür keinerlei Erklärung und auch ihr sah man die Sorge deutlich an. Doch sie konnten nicht noch länger hier bleiben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis neue Verfolger auftauchen würden und sowohl Seraphis, als auch Pik mussten versorgt werden. Für den Moment musste Luca warten. Auch wenn es ihm unendlich schwer fiel. Er hievte seinen Freund, der mittlerweile mehr ohnmächtig, als bei Sinnen war, auf den Rücken und wandte sich dann noch einmal zu der weißen Chimäre um. „Ich hoffe man sieht sich mal wieder.“, sagte er, „Und ich danke dir, für deine Hilfe.“ Sie nickte nur zustimmend mit dem Kopf. „Gern geschehen.“, hauchte sie und im nächsten Moment war sie bereits verschwunden. Luca und Kyria tauschten einige Blicke aus, dann machten sie sich ebenfalls auf den Rückweg und achteten darauf, dass Niemand sie verfolgte. Kapitel 26: An der Schwelle --------------------------- Einige Stunden waren vergangen. Unruhig lief Luca auf und ab. Pik ging es furchtbar. Er hatte hohes Fieber und war durch seine Verletzungen immer noch nicht wieder bei Bewusstsein. Luca fragte sich, ob er damals auch so fertig gewesen war, als er kurz vor der letzten Spritze gewesen war… wahrscheinlich ja. Aber um Seraphis stand es auch nicht viel besser. Nur das sie, im Gegensatz zu Pik, eiskalt dalag. Sie war auch immer noch bewusstlos, aber zumindest schien sie stabil. Luca saß am Küchentisch und klopfte ungeduldig mit den Fingern auf der Platte. Die Sorge um Lua machte ihn halb wahnsinnig, aber im Moment konnte er nichts anderes tun als warten. Gerade kam Kyria von oben. Sie hatte nach Seraphis gesehen und gesellte sich nun zu ihm. „Schau nicht so finster. Ihr geht es bestimmt gut.“, versuchte sie ihn aufzumuntern, sah aber selbst nicht gerade optimistisch aus. „Woher willst du das wissen?“, sagte er schroffer, als er wollte, „Sie ist einfach verschwunden. Das einzige was wir ja von ihr finden konnten, war diese riesige Blutlache und du meintest ja selbst, dass diese Hunterchefin meinte, sie hätte Lua getötet. Da stimmt doch was nicht.“ Kyria runzelte die Stirn und stützte den Kopf auf die Hände. „Du hast ja Recht. Sayo machte nicht den Eindruck, dass sie gelogen hat. Angenommen Lua lebte noch, als Sayo sie verließ… selbst schwer verletzt hätte sie nicht einfach verschwinden können. Nur leider hab ich keine Ahnung, wie wir sie finden sollen. Schließlich kann keiner von uns ihre Aura spüren.“ Ihre Worte sorgten für noch mehr Unbehagen. Luca weigerte sich einfach zu glauben, dass diese Sayo Lua tatsächlich getötet hatte. Das konnte er einfach nicht glauben und genehmigte sich auch nicht, so etwas auch nur in Betracht zu ziehen. Denn würde er das tun, hätte er wohl den Verstand verloren. Immerhin war sie das einzige, was die Bestie in ihm gezähmt halten konnte. Er fürchtete sich davor, sich auch nur vorstellen zu müssen, wie er wohl werden würde, wenn sie tatsächlich nicht mehr zurückkehren würde. Da meldete sich erschöpft und fiebrig eine Stimme: „Ich könnte da vielleicht… weiterhelfen.“ An den Türrahmen gelehnt und aussehend wie ein Untoter, stand Pik am Eingang zur Küche und atmete angestrengt. „Pik, was machst du denn hier. Du solltest dich lieber ausruhen, anstatt hier schwer verletzt herum zu laufen.“ Schnell stürmte Luca zu ihm und stützte ihn ab. Pik war wirklich noch sehr schwach und das Fieber schien auch noch nicht gesunken zu sein. „Ja… gleich, aber lass mich vorher noch etwas erledigen.“, meinte Pik leise. Nun zückte er eine kleine schwarze Karte mit vier kleinen Rauten heraus und überreichte sie Luca. „Bring die bitte zu einem meiner Assistenten. Sie werden wissen, was sie dann zu tun haben.“ „Und was macht diese Karte?“, fragte Luca verwirrt, denn diese hatte er noch nie gesehen. „Das ist ein kleines Geheimnis unter uns Informanten. Jeder hat so eine, denn damit ruft man den Joker.“, lächelte Pik müde. „Was denn für einen Joker?“, fragte Luca nun ungläubig, denn bisher wusste er nur, dass es die Ränge Pik, Herz, Kreuz und Karo gab. „Den Joker können wir rufen, wenn wir einen Auftrag haben, der in absoluter Geheimhaltung ausgeführt werden soll. Also Aufträge von denen weder die anderen Informanten, noch Lucius etwas erfahren sollen. Außerdem ist er darauf spezialisiert Leute zu finden. Wenn jemand Lua aufspüren kann, dann er.“ Luca nahm die kleine Karte entgegen und steckte sie weg. „Ok, deine Assistenten leiten die Karte dann also an diesen Joker und was dann weiter?“ „In den nächsten Tagen wird er mich dann aufsuchen und sich anhören, was ich zu sagen habe…“, meinte Pik, aber er klang nicht besonders glücklich darüber. „Was ist der Haken an der Sache?“, fragte Kyria ernst. „Ich selbst habe ihn noch nicht häufig zu Rate gezogen, denn er ist ein etwas schwieriger Zeitgenosse. Außerdem verlangt er manchmal unheimliche Bezahlungen für seine Dienste, macht nicht das was er soll oder verweigert es gleich, wenn ihm der Auftrag zu langweilig erscheint. Trotzdem ist er die einzige Chance, die sich uns im Moment bietet…“, erklärte Pik. Luca seufzte erneut. „In Ordnung, einen Versuch ist es Wert… Solange Lucius nichts davon erfährt, ist alles gut. Den Rest bekommen wir auch noch hin. Und nun wirst du dich erst einmal richtig ausruhen.“ Immerhin. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es also doch noch und Luca klammerte sich sofort an diesen kleinen Strohhalm. Er wollte nicht wieder in Verzweiflung ertrinken. … Allmählich fragte ich mich nun doch, wie lange ich hier noch umhertreiben würde. Es gab hier kein Zeitgefühl, von daher konnte es gleichermaßen sein, dass ich schon Wochen hier war, aber auch erst Sekunden. Doch ich merkte, dass ich zu verschwinden begann. Ich löste mich regelrecht auf, denn meine Erinnerungen verschwanden langsam. Sie wurden regelrecht von der Leere zerfressen. Die jüngsten Ereignisse verschwanden zuerst. So hatte ich zum Beispiel keine Ahnung mehr, wie ich überhaupt hier gelandet war. Seltsamerweise störte es mich aber auch nicht. Ich nahm es hin und wartete darauf, dass ich gänzlich verschwand. Doch nun weckte doch etwas meine Aufmerksamkeit. Ein kleines Licht war wie aus dem Nichts erschienen. Warm und Kalt zugleich erhellte es schwach die Dunkelheit und ich wusste sofort, zu wem dieses Licht gehörte. „Seraphis…“, flüsterte ich leise, woraufhin das Licht etwas heller wurde. Trotzdem entging mir nicht, wie geschwächt sie war. Woran lag das wohl? Mir war, als hätte ich den Grund mal gewusst. „Lua, du musst wieder zurückkommen.“, sagte sie unvermittelt und fordernder als sie sonst sprach. Wie ungewöhnlich. „Mach dir keine Sorgen.“, gab ich ruhig zurück, „Ich habe mich damit abgefunden. Aber schön, dass ich mich noch von dir verabschieden kann.“ „Nichts da!“, ertönte es plötzlich und ihre Gestalt wurde etwas deutlicher. „Hör zu. Ich habe nicht viel Zeit, denn ich bin selbst noch sehr geschwächt, aber du musst jetzt genau zuhören, was ich sage.“ Sie pausierte einen Moment und vergewisserte sich scheinbar, dass ich noch da war. „Wenn du jetzt stirbst, dann wird die Welt bald einer ungeahnten Katastrophe gegenüberstehen. Die Dinge haben sich leider nicht so entwickelt, wie ich gehofft hatte und die Stimmen verraten mir, dass in nächster Zeit viele schlimme Dinge geschehen werden. Ich brauche deine Hilfe.“ Das war ja wirklich mal ein seltenes Ereignis. Seraphis bat sonst nie um Hilfe. „Ok…“, meinte ich langsam, denn ihre Sorge ließ mich nun doch nicht kalt, „Was wird denn so Schlimmes passieren, dass du nicht damit klarkämst?“ „Es hängt mit den Forschungen an mir zusammen. Die Menschen haben etwas geschaffen… ein parasitäres Wesen, dem bei dem Aufruhr heute die Flucht ebenfalls gelang. Im Moment ist es nahezu machtlos, aber das wird nicht ewig so bleiben. Das Problem ist, dass es unmöglich ist, es jetzt aufzuspüren. Solange es inaktiv bleibt, ist es unantastbar. Doch ich weiß ganz genau, dass es nur auf den richtigen Zeitpunkt warten wird, zuzuschlagen und dann werden die Konsequenzen furchtbar sein.“ „Und wann soll das sein?“, fragte ich sie. „Das kann ich nicht sagen. Vielleicht morgen, vielleicht in Jahrzehnten. Fakt ist einfach, dass ich absolut machtlos dagegen bin und alle Kreaturen, die mit mir zu tun haben, werden es ebenfalls sein. Es wurde immerhin aus mir geschaffen und ich bin die erste Exile überhaupt. Sowohl die Yajuu, als auch die Exile von heute würden ohne mich nicht existieren, deswegen: Wenn ich es nicht bekämpfen kann, dann können sie es auch nicht.“ „Das verstehe ich ja, aber wozu brauchst du mich?“ „Ist das nicht offensichtlich? Du bist anders. Sozusagen eine Evolutionsstufe nach mir. Gegen dich und alle Wesen, die aus deiner Blutlinie kommen ist es nicht immun.“, erklärte sie mir ruhig. „Du meinst die Chimären oder?“, wollte ich mich bestätigt wissen. „Genau.“ Ich seufze aus. „Gut. Ich verstehe das Problem. Doch es gibt auch viele Dämonen auf dieser Welt. Wieso lässt du sie das nicht erledigen?“ „Das geht auch nicht.“, meinte Seraphis bedrückt, „Auch dagegen ist der Parasit immun. Die Menschen haben sich große Mühe gegeben, ihn gegen alles zu wappnen, was ihnen bekannt war. Von Dämonen ist es nicht schwer Proben zu bekommen, doch von dir gab es keine.“ „Seraphis… was ist denn überhaupt der Sinn von so einem Parasiten? Und woher weißt du das alles überhaupt?“, wollte ich wissen. Schließlich hatte ich mit meinem Leben doch abgeschlossen. Wieso sollte ich noch einmal zurückkehren, zumal ich nach wie vor weiter verschwand. Es fehlten bereits Jahre meines Lebens an Erinnerungen… „Ich weiß das alles, weil ich ihn spüren kann. Doch was genau seine Aufgabe ist, weiß ich nicht, da er noch nie aktiv war. Alles was ich dir sagen kann, ist folgendes: Was auch immer seine Aufgabe letztlich sein wird, es darf nicht gelingen, denn die Person, die den Parasiten entwickelte, war durch und durch verdorben. Wenn dieses Wesen in die falschen Hände gerät, kann man damit wer weiß was anstellen. Ich wünschte, ich könnte dir mehr sagen, aber mehr weiß ich nicht. Fakt ist, du bist die einzige Trumpfkarte, die wir haben.“ Ich überlegte einen Moment bevor ich ihr antwortete: „Ich glaube dir und ich würde dir ja wirklich gerne helfen, aber… ich wüsste nicht, wie ich hier wieder rauskommen soll. Mein Bewusstsein schwindet bereits und ich sehe keinen Ausweg.“ Seraphis begann nun sanft zu lächeln. „Ich danke dir. Hör zu, ich hole dich hier raus. Danach werde ich wohl für eine Weile K.O. sein, aber dafür reicht meine Macht noch aus. Greif einfach meine Hand, wenn du bereit bist, Lua. Alles Weitere klärt sich dann früher oder später von selbst.“ Ich seufzte müde aus und lächelte. Dann trat ich also doch noch nicht ab. Nun, ich beschwerte mich nicht. Immerhin bekam ich nicht nur eine zweite Chance… ich war auch endlich wieder ich selbst. Sprich, ich hatte meine Macht wieder. Und so ergriff ich ihre Hand, es wurde schlagartig hell um uns herum und ich wurde hinfort gerissen. Seraphis verschwand und ich kehrte zurück in die Welt der Empfindungen… Als ich die Augen öffnete, blendete mich zunächst das Mondlicht. Ich ertastete das weiche Gras und die Decke auf der ich lag. Es war eine schöne Nacht, doch ich hatte keine Ahnung, wie ich hierhergekommen war. Es dauerte noch ein paar Minuten bis ich wieder völlig zu mir kam und mein Körper mir wieder richtig gehorchte. Meine Kleidung war sehr mitgenommen und hatte mehrere große Löcher. Es war voll getrockneten Blutes und auch wenn ich nicht wusste, wieso ich so aussah, war mir schon klar, dass mich das ursprünglich wohl umgebracht hatte. Jetzt aber waren meine Wunden längst verschwunden. Schmerzen hatte ich ebenfalls keine. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Noch in jenem Moment, da ich realisierte, dass ich Unmengen an Energie in meine Regeneration gesteckt haben musste, streckte mich der Hunger nieder. Sofort begann sich alles um mich herum zu drehen und mein Kopf begann zu dröhnen. Meine Kehle fühlte sich staubtrocken an und ich hätte alles gegeben, jetzt irgendetwas Lebendiges hier zu haben. Da realisierte ich die Aura einer weiteren Person. Sie war unmittelbar vor mir, nur Zentimeter entfernt und ich zögerte keinen Augenblick. Ich packte die Person und drückte sie an den Schultern zu Boden. Merkwürdigerweise kam absolut keine Gegenwehr, doch darum machte ich mir im Moment am wenigsten Gedanken. Stattdessen war es einfach nur erlösend, meine Fangzähne in die Halsschlagader zu jagen und als Augenblicke später das erlösende Blut meine Kehle hinunterfloss, fühlte ich mich gleich viel besser. Recht gierig schluckte ich das Blut hinunter und als ich schließlich genug hatte, löste ich mich wieder von meinem Opfer, das sich noch immer nicht rührte. Hatte ich ihn umgebracht? Immerhin hatte ich nicht gerade wenig Blut genommen. „Wow, bist ja wirklich erwachsen geworden. Hast echt ´nen Zug drauf.“, lachte mein Gegenüber belustigt und setzt sich auf. Mir gegenüber saß ein Mann, der Mitte bis Ende 20 wirkte und einen südländischen Teint besaß. Seine kurzen und wild verstrubbelten Haare waren kupferfarben in mehreren Facetten, je nachdem wie das Licht darauf traf und seine schmalen Augen hatten die Farbe eines warmen Brauns, dass ins Grüne überging. Allgemein war er ziemlich muskulös und strahlte einen wilden Charakter aus. Arme und Nacken waren mit diversen Tattoos versehen, die das ganze nur noch unterstrichen. Doch das Wichtigste war, dass ich ganz genau wusste, wer da vor mir saß. Sofort begann mich zu freuen, dass ich wiedersah und umarmte ihn herzlich. „Vale!“, lachte ich. Valentin oder eben Vale, wie ich ihn immer nannte, erwiderte die Umarmung und schien sich ebenso zu freuen. Als ich mich wieder von ihm löste, schaute er mich jedoch ernst an. „Ich hatte echt befürchtet, dass du nicht mehr zurückkommst. Als Seraphis mich rief, war es schon fast zu spät.“ Auch ich wurde wieder ernst. „Achja… ich bin wohl fast gestorben, was?“ „So ziemlich. Hatte echt Schwierigkeiten dich da unbemerkt herauszubekommen. Aber hey, in sowas bin ich schließlich Experte. Aber sag, wie geht es dir? Seraphis warnte mich, dass du wahrscheinlich schon so lange drüben warst, dass du einen Teil deiner Erinnerungen verloren haben könntest.“ „Ja… das ist wohl tatsächlich so.“, meinte ich betrübt, „Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung mehr, warum ich fast gestorben bin.“ „Hm… was ist denn das letzte woran du dich noch erinnern kannst?“, fragte Vale nun vorsichtig. Ich überlegte einen Moment und durchforstete meine Erinnerungen. Erschreckt stellte ich fest, wieviel tatsächlich schon fehlte. „Ich fürchte, das letzte was ich noch weiß, ist das meine Mutter vor etwa zwei Wochen gestorben ist… Sei ehrlich, Vale. Wie viele Jahre fehlen mir?“ Vale sah mich nicht an, als er meinte: „Etwa 12.“ Ich biss die Zähne zusammen. „Die Hälfte meines Lebens ist also weg? Kommt das denn je wieder?“ Vale legte eine Hand auf meine Schulter und lächelte mir aufmunternd zu. „Seraphis meinte ja, dass das passieren könnte. Doch es fehlt wirklich viel. Es könnte Monate, gar Jahre dauern, bis alles wieder hergestellt ist. Dabei kannst du noch froh sein. Hättest du nicht so eine gute Regeneration, dann wären sie wahrscheinlich für immer weg.“ „Aber 12 Jahre… was ich wohl alles vergessen habe?“, fragte ich laut. „Das weiß ich auch nicht… bin erst seit kurzem wieder hier. Du wirst dich wohl gedulden müssen, bis es von allein zurückkommt.“ Vale versuchte mich irgendwie aufzumuntern, aber das war einfach nicht so leicht zu verdauen. Letztlich beschloss ich jedoch, mich am Riemen zu reißen. „Achja, wie bist du überhaupt damals aus dem Labor rausgekommen? Ich dachte, du wärst wegen Seraphis dageblieben?“, fragte ich ihn nun verwundert. „Ist eigentlich schnell erzählt,“, meinte Vale gelassen, „Als deine Mutter und du geflüchtet sind und dein Vater für ordentlich Chaos im Labor gesorgt hat, bat mich Serpahis, auch zu verschwinden. Sie meinte, ich solle lieber ihre Augen und Ohren in der Welt sein, als im Labor zu versauern. Tja und dann habe ich den Tumult eben genutzt und bin abgehauen.“ „Mein Vater…“, erinnerte ich mich schmerzlich an den Abschied zurück, „Haben sie ihn getötet?“ Für einen Moment schwieg Vale. „Ich fürchte ja. Eigentlich wollte ich ihm noch helfen, aber als ich es versuchen wollte, schickte er mich weg. Aber eines kannst du mir glauben. Er hat einen Kampf geliefert, den die Chefetage dort niemals vergessen wird.“ Die nächsten Sekunden schwiegen wir nun beide, während durch meinen Kopf Bilder zogen, wie mein Vater gegen die Wachen des Labors kämpfte und letztlich sein Leben dort aushauchte. Doch dann raffte ich mich wieder auf und schüttelte kurz den Kopf, um die Gedanken davon zu blasen. „Na gut…“, begann ich, „Es bringt ja ohnehin nichts, Trübsal zu blasen. Davon kommen meine Erinnerungen sicher auch nicht schneller zurück. Dann kann ich auch genauso gut auf die Suche nach diesem Parasiten gehen. Ich nehme an, du bist bereits im Bilde?“ Vale nickte. „Jup, ich bin hier, um dir dabei zu helfen. Meine Fähigkeiten gehören ganz dir.“ Da setzte er ein spitzbübisches Lächeln auf und ich begann zu lachen. „In Ordnung. Sobald ich mich richtig erholt habe, machen wir uns auf die Suche. Da wir keine Ahnung, wo wir anfangen könnten, schlage ich vor, wir unternehmen eine kleine Reise. Ich wollte sowieso schon immer die Welt sehen. Ich meine… vielleicht habe ich das ja mittlerweile, nur kann ich mich ja nicht erinnern.“ „Ist gut. Was Besseres würde mir auch nicht einfallen. Aber unsere Abreise wird noch warten müssen. Ich will noch warten, bis Seraphis wieder aufwacht, bevor wir verschwinden.“, erklärte Vale und ich ahnte bereits, wieso. Nun war ich es, die spitzbübisch grinste. „Klar doch. Habt euch ja ewig nicht gesehen.“, sagte ich grinsend und Vale wurde leicht rot. „Du bist ganz schön doof, Lua.“, meinte er und streckte mir die Zunge raus, „Ist doch logisch, dass sie mir wichtig ist. Immerhin sind wir seelisch miteinander verbunden. Das kann man nicht einfach ignorieren.“ Tatsächlich war ich sogar ein wenig neidisch auf ihn. Vale und Seraphis standen sich wirklich nahe, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob Seraphis so etwas wie Liebe wirklich genauso empfand, wie andere. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob es so jemanden in meinem Leben auch gab oder gegeben hatte. Ich hoffte nein, denn sollte es anders sein, dann war mir klar, dass es schwer sein musste. Immerhin war ich einfach verschwunden und ich konnte ja sogar durch Zufall der Person in der Stadt begegnen und würde sie nicht erkennen. Da war die Alternative, dass ich niemanden hatte, doch irgendwie angenehmer für mein Gewissen. Schon lustig. Die Jahre als vermeintlicher Mensch hatten mich wirklich verändert. Früher hatte ich nicht so viel Empathie empfunden. Aber ich befand, dass dies nicht unbedingt das Schlechteste war und akzeptierte diese mir ungewohnte Seite vorerst. Kapitel 27: Der Vertrag ----------------------- Es war kurz vor Sonnenaufgang, als sich Luca erschöpft auf das Dach des Hauses begab, um dort nachzudenken. Über eine Treppe im Dachboden kam man nach oben und er nutzte diesen Ort oft, wenn ihn Probleme oder Sorgen plagten. Schon wieder hatte er Lua verloren und jetzt waren im Haus auch noch lauter fremder Leute. Wie sollte er das den Kleinen nur wieder erklären. Da räusperte es sich hinter ihm. Langsam entglitt ihm alles und das wirkte sich nicht gerade positiv auf seine Psyche aus. „Luca, ich glaube, du bist uns langsam echt eine Antwort schuldig.“, raunte es ungeduldig hinter ihm. Die Zwillinge waren schon lange keine kleinen Kinder mehr, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie all dies nicht mehr übersehen würden. „Wo ist Tiara?“, fragte Luca. Wenigstens sie sollte noch ein bisschen friedlich leben können. Sie war noch so jung. „Wir haben sie ins Bett gebracht, aber jetzt wollen wir keine Ausflüchte mehr hören. Die letzten Wochen und Monate haben wir über alles großzügig hinweg gesehen, aber all diese fremden Leute in unserem Haus und diese Geheimnistuerei, wir wollen jetzt endlich wissen, was hier eigentlich los ist.“, erklärte ihm Seth. „Richtig.“, stimmte ihm sein Bruder zu. Luca seufzte und drehte sich zu den beiden um. „Hört zu, dass ist alles ziemlich kompliziert. Ich habe euch deswegen nichts verraten, weil wir wollten, dass ihr in all das nicht mit hinein gezogen werdet.“ „Luca, wir sind nicht mehr neun. Außerdem sind wir doch eine Familie oder?“, beklagte sich Yara und Luca bescherte das sogleich ein schlechtes Gewissen. Er wünschte sich, dass Lua jetzt hier wäre, denn sie wusste immer die richtigen Worte in solchen Situationen zu finden. Aber sie war nicht hier. Er musste da jetzt allein durch. „Also gut…“, seufzte er und fühlte sich plötzlich unendlich müde. Zwar hatten ihn die Kämpfe ausgelaugt und nach seinem schnellen Ausflug zu Piks Assistenten hätte er sich noch müder fühlen sollen, aber all diese Empfindungen kamen erst jetzt, da Yara und Seth ihn konfrontierten. „Die Wahrheit ist, dass außer Pik niemand unserer Gäste ein Mensch ist, ok? Wir haben schon lange mit diesen Übernatürlichen zu tun.“ „Also auch Kyria, nicht wahr?“, fragte Seth bestätigend. „Richtig, sie ist eine Exile und… Lua ist es auch.“ Diese Worte kamen ihm nur schwer über die Lippen. Natürlich war ihm bewusst, dass Lua eigentlich auch keine Exile war, aber er hatte jetzt nicht vor das auszuweiten. „Hat sie… uns deswegen damals verlassen?“, fragte Yara kleinlaut. Trotzdem reagierten die beiden um einiges ruhiger, als er erwartet hatte. Offensichtlich hatten sie sich das Meiste schon selbst gedacht, es nur noch nicht bestätigt gefunden. Jetzt wussten sie es. „Ja.“, war Lucas schlichte Antwort. „Sie wollte euch beschützen.“, fügte er dann jedoch noch an. „Wieso kam sie dann zurück? Nicht, dass wir uns nicht gefreut hätten, aber das alles muss doch einen Grund haben.“ „Nun, in dieser Stadt gehen sehr viele Dinge vor, die normale Menschen nicht wissen sollten. Lua kam zurück, weil sie hier etwas zu erledigen hatte.“ Er versuchte es so leicht wie möglich zu erklären, ohne lügen zu müssen. „Und wo ist sie jetzt?“, fragte Seth und durchbohrte ihn mit einem tiefgreifenden Blick. „Ich weiß es nicht… Sie ist spurlos verschwunden.“, gab Luca zurück. Was hätte er hier lügen sollen. Natürlich sah er den beiden an, dass sie sich instant zu sorgen begannen und versuchte die Sache so gut es ging herunterzuspielen. „Aber macht euch keine Sorgen, wir sind bereits an der Sache dran.“ Er sah den beiden an, dass sie das nicht großartig beruhigte. „Sag Luca, bist du auch ein Exile?“ Diese Frage überraschte ihn. „Nein.“, platzte es aus ihm heraus. Nun tauschten die Zwillinge wieder vielsagende Blicke, die aber nur die beiden deuten konnten. „Entschuldige diese Frage, aber irgendwie hast du dich in letzter Zeit auch verändert und daher dachten wir… naja, aber anscheinend ist dem nicht so.“ „Ich verstehe, naja, ich an eurer Stelle hätte wohl dasselbe gedacht.“, brummte Luca nun. „Wieso hast du uns eigentlich nie verraten, als was du arbeitest? Seit dem umgibt dich immer so eine finstere Aura. Erst als Lua wiederkam, ist das wieder besser geworden. Auch du verbirgst etwas vor uns.“ Die Zwillinge hatten ja Recht. Sein Geheimnis war ja auch nicht gerade ohne. Schließlich war er immer noch ein Auftragsmörder für Lucius und ein Mensch war er auch nicht mehr. Aber konnte er ihnen jetzt nicht erklären, was eine Chimäre war. Zumal ja sowieso niemand davon erfahren durfte, was aus ihm geworden war. „Jungs, es gibt die Dinge, die kann man einfach nicht leichtfertig aussprechen. Es tut mir Leid, dass ich euch nicht alles erzählen kann, aber eines Tages sage ich es euch…“ Nun ging er in Richtung Treppe, blieb zwischen den beiden stehen und legte je eine Hand auf ihre Schulter. „Ich mag kein Exile sein, mein Blut hat sich dennoch verändert.“ Damit ging er zurück ins Haus und ließ die Zwillinge zurück. … Drei Tage waren vergangen, seit sie das Labor gestürmt hatten. Seraphis war noch immer nicht aufgewacht, dafür ging es Pik jedoch wieder gut genug, um zu seinem Job zurück zu kehren. Luca begleitete seinen Freund in sein Büro, während Kyria auf Seraphis achtgab. Noch bevor sie das Büro betraten, vernahm Luca jedoch eine fremde Aura. Sie stand nur vage in der Luft und war weder einer Person noch einem Ort zuzuordnen. Auch Pik schien es zu bemerken, reagierte darauf aber gelassen. Kaum hatte sich die Bürotür hinter den beiden geschlossen und sich Pik in seinen Sessel gesetzt, da erschien praktisch aus dem Nichts eine Person. „Sei gegrüßt Pik, du hast mich rufen lassen?“, fragte die seltsame Frau mit honigsüßer Stimme. Ihr Aussehen war ziemlich schräg. Ihre Kleidung erinnerte an eine Mischung aus Punk und Harlequin und alles war nach den Farben rot und schwarz abgestimmt. Selbst ihre kurzen, gewellten Haare waren nach diesem Stil. „Du bist ja ganz schön schnell in Erscheinung getreten, Joker.“, meinte Pik unbeeindruckt und mit seinem geschäftsmännischem Lächeln. „Na, es ist solch eine Seltenheit, dass du mich rufen lässt. Daher dachte ich mir, dass es sich ja nur um etwas Interessantes handeln muss. Ich meine, wie oft hast du mich schon gebraucht? Zweimal?“, antwortete sie galant. „Bisher ergaben sich eben keine Gelegenheiten, in denen ich dich hätte rufen können.“, gab Pik trocken zurück. Er schien sie nicht besonders zu mögen, aber Luca teilte seine Meinung. Da war einfach etwas an in dieser Person, die seine Alarmglocken läuten ließen. Dabei hatte sie nicht einmal eine Waffe dabei. „Wieso hast du eigentlich diesem Köter da erlaubt, dabei zu sein? Du kennst doch die Regeln. Nur die obersten Vier dürfen überhaupt von meiner Existenz wissen.“ Eine gewisse Kälte schlich sich in ihre Stimme, doch ihr Lächeln blieb unbeirrt bestehen. „Ich schätze es nicht, wenn du meine Freunde Köter nennst.“, gab Pik nun ebenso kühl zurück, „Das ist Luca und ich habe ihm erlaubt hier zu sein, weil die Angelegenheit, wieso ich dich herbat, unmittelbar mit ihm zu tun hat.“ „Ah ich wollte dich nicht verärgern, Pik. Entschuldige mein Verhalten. Ich hätte wissen sollen, dass du gute Gründe dafür hast.“, entschuldigte sich das Mädchen plötzlich und klang dabei ernsthaft betroffen. Anscheinend hatte sie etwas für Pik übrig oder sie spielte das nur sehr gut. „Also, worum geht es nun?“, fragte sie schließlich. „Ich möchte, dass du Jemanden für uns findest.“, damit zückte Pik ein Bild von Lua und schob es auf den Tisch vor Joker, „Ihr Name ist Lua und sie ist spurlos verschwunden. Ich bin mir sicher, dass du schon weißt, was in dem Labor neulich ist, also spare ich mir die Erklärungen.“ Joker nahm das Bild an sich und betrachtete es kurz. „Hm, ein hübsches Mädchen, eine Schande, dass sie weg ist. Und du hast richtig vermutet. Ich bin über die Geschichte bereits gut im Bilde. Eine merkwürdige Sache, die für viel Wirbel gesorgt hat. Wusstest du zum Beispiel schon, dass die Hunter plötzlich einen neuen Chef bekommen haben und die Halbvampirin von vorher ebenfalls unauffindbar ist?“ Luca begann sich zu fragen, wer genau dieser Joker war. Ein Mensch war sie offensichtlich auch nicht, aber was sie war, blieb ihm ein Rätsel. Jedenfalls schien sie sehr viele Dinge zu wissen. Dinge, die sie nicht wissen konnte. „Aber egal. Darum geht es ja jetzt nicht oder die Tatsache, dass du dabei geholfen hast ein wichtiges Forschungsobjekt zu stehlen.“, lachte Joker unschuldig. Luca beobachtete Pik und sie ganz genau. Pik war in voller Alarmbereitschaft, gab sich aber gelassen. Vor ihr durfte man sich scheinbar nicht zu sicher fühlen. „Also, hilfst du uns nun?“, fragte Pik sie offen. Joker blickte noch einmal auf das Bild. „Nun, ich vermute, dass Mädchen ist etwas ganz besonderes, wenn du mich schon fragst, sie zu finden. Ich nehme an, ich soll mich nicht zeigen?“ „Richtig. Vorerst sollst du nur ihren Standort ausfindig machen und uns darüber informieren. Es kann sein, dass ich noch weitere Schritte anordne, das kann ich aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.“ Pik wirkte nun wirklich wie ein Geschäftsmann. Kaum zu glauben, dass er so ernst sein konnte. „Gut, ich mach´s. Doch was wirst du mir als Bezahlung anbieten?“ Joker begann wieder zu Lächeln und blickte Pik tief in die Augen. Stille kehrte ein. Luca begann sich zu fragen, ob Pik ihr wirklich die Stirn bieten konnte, da sich keiner die Blöße zu geben schien. Es war wie ein Katz und Mausspiel. Der, der als erste einen Fehler machte, verlor. Nur war es schwer zu sagen, wer nun die Katze und wer die Maus war. Pik setzte nun ebenfalls ein Lächeln auf, auch wenn es eiskalt wirkte. „Wie ich dich kenne, hast du bereits ganz klare Vorstellungen deiner Bezahlung. Wie wäre es, wenn du sie mir einfach verrätst?“ „Reserviert, wie eh und je, mit dir macht das Spielen keinen Spaß, Pik. Nun gut, ich sage dir, was ich fordere. Vor einiger Zeit bat mich jemand um einen Gefallen, doch es ist schwer diesen zu erfüllen. Da kommst du ins Spiel. Es gibt eine Akte in euren Archiven, in die ich gerne Einblick hätte. Sie trägt die Bezeichnung XC70.“ „Das ist alles?“, wunderte sich Pik und auch Luca wunderte sich im Stillen, denn was sie verlangte, war jetzt nicht besonders schwer zu bewerkstelligen. „Ja, das ist alles. Du weißt, dass ich als Joker keinen Zutritt zu den Archiven habe.“, erklärte Joker ruhig und bestimmt. Pik schien zu überlegen, ob es einen Haken an der Sache gab, fand ihn jedoch nicht und so stimmte er schließlich ihren Forderungen zu. „Super, dann mache ich mich gleich auf den Weg, um eure Lua zu finden. Vergiss die Akte nicht, Pik!“, lachte sie fröhlich und ebenso plötzlich wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. „Und du meinst, dass sie das alleine schafft?“, zweifelte Luca nun, nachdem er sicher war, dass sie wieder allein waren. „Sei unbesorgt. Joker ist zwar etwas merkwürdig, aber was ihre Aufträge betrifft absolut zuverlässig. Du musst wissen, Joker ist eine waschechte Hexe und ihr Pendel findet so ziemlich alles, was man suchen könnte. Glaube mir, wenn jemand Lua finden wird, dann sie.“ Pik klang überzeugend und so beruhigte es Luca ein bisschen. Allerdings hatte er in seinem Leben noch nie eine echte Hexe gesehen. Er wunderte sich, wie viel von den Legenden nun wirklich auf sie zutraf. Kapitel 28: Familientag ----------------------- Als Tiara Luca am Hemdzipfel zog, da wusste er bereits, was ihn erwarten würde. Das zierliche, kleine Mädchen mit den Rehaugen blickte ihn mit trauriger Miene an. „Wann kommt Lua wieder?“, fragte sie und runzelte leicht die Stirn. Luca, der am Küchentisch saß und gerade Zeitung las, schaute sie an und seufzte innerlich. Was sollte er ihr jetzt nur wieder erzählen? Allmählich war er die Lügen leid und er ahnte, dass auch Tiara schon längst nicht mehr glaubte, was er ihr erzählte. Wahrscheinlich überspielte sie all das nur, um den Schein zu wahren. Luca hingegen hoffte, dass sie tatsächlich noch naiv genug war, seinen Lügen zu vertrauen. „Ihr Boss hat sie für ein paar Wochen zu einer Weiterbildung geschickt.“, brachte er schließlich heraus. Innerlich lachte er selbst über diese absurde Ausrede. Tiara senkte nun den Blick. „Ich vermisse Lua… Immer seid ihr so beschäftigt.“, klagte sie leise. Das stimmte wohl. Luca war da ja selbst nicht besser, denn auch wenn er immer in der Stadt blieb, so war er doch selten zu Hause. Die Zwillinge machten außerdem selbst ihr eigenes Ding, schließlich waren sie alt genug dafür. Da blieb Tiara oft auf der Strecke, was ihm sehr leidtat. Das war nicht gerade seine Vorstellung von einer schönen Kindheit. Luca legte die Zeitung nun endgültig zur Seite und legte Tiara die Hände auf die Schultern. „Hey, wie wäre es, wenn wir mal wieder einen Nachmittag zusammen verbringen. Du darfst auch aussuchen, wohin wir gehen.“, schlug er vor. Eigentlich wollte er das nicht, da er viel lieber Lua suchen wollte, aber da er wusste, das Joker an der Sache dran war und er eh nichts machen konnte, sprach formal nichts dagegen. Tiaras Laune schien augenblicklich anzusteigen. „Das wäre schön!“, rief sie und setzte ein breites Lächeln auf. „Kommen Yara und Seth auch mit?“ „Natürlich werden sie das.“, antwortete Luca selbstsicher. Er würde die beiden schon überzeugen. Schließlich hatte er viel Übung darin. „Super, dann würde ich gerne in den Tiergarten gehen!“, meinte sie nun und begann herum zu hüpfen. Das war abzusehen gewesen. Tiara liebte diesen kleinen Ort sehr. Er lag etwas abseits der Stadt und wurde privat von einem alten Herrn betrieben, der seine Welt der Öffentlichkeit zugänglich machte. Er kannte Tiara bereits seit langem und ließ sie daher manchmal auch für umsonst hinein. Der Garten selbst hatte noch mehrere ehrenamtliche Mitarbeiter, die sich immer abwechselten. Insgesamt gab es vier Areale dort, deren Herrichtung bestimmten Themen unterworfen waren. Da gab es den japanischen Garten mit viel Kies und Wasserspielen, dann einen englischen Garten, den Regenwald und eine Art Feldwiese, wo wilde Blumen und Kräuter wuchsen. Dort befand sich speziell für Kinder auch ein großer Spielplatz. Außerdem gab es in dem Park einige kleine Tiergehege. Es waren nicht viele, aber trotzdem waren sie ein fester Bestandteil des Gartens. So gab es im japanischen Garten Koi-Fische und ein Fuchsgehege. In anderen Arealen gab es auch Eulen, Stachelschweine, Schlangen und noch einiges mehr. Luca gefiel es dort auch, nur kam er viel zu selten dorthin. Der Ort hatte einfach von Grund auf etwas Beruhigendes an sich. So begab es sich also, dass sie noch am selben Nachmittag alle unterwegs dorthin waren. Die Zwillinge waren nicht gerade von Grund auf begeistert gewesen, aber wie gesagt, Luca konnte sehr überzeugend sein und nun saßen auch die beiden recht gut gelaunt mit im Bus, der zum Rand der Stadt fuhr. Tiara war in Höchststimmung, was auch Luca etwas von seinen Sorgen ablenkte. Der alte Herr lächelte sie bereits fröhlich an, als sie um die Ecke gebogen kam. „Hallo Herr Takato!“, begrüßte sie ihn überschwänglich. „Heute mal mit Familie unterwegs. Na dann wünsche ich euch viel Spaß.“, gab der gütige alte Herr zurück. Mit einem Kopfnicken gab er zu verstehen, dass Luca dieses Mal nicht bezahlen bräuchte und auch wenn es ihm etwas unangenehm war, so nahm Luca dankend an. Es war ja nicht gerade so, als würde er im Geld schwimmen. Während sie durch den Garten streiften, fühlte sich Luca in der Zeit zurückversetzt. Auch Lua war mit ihnen oft hier her gekommen. Sie war es ja erst gewesen, die diesen Ort entdeckt hatte. Anfangs, als Tiara und die Zwillinge noch nicht bei ihnen wohnten, waren die beiden daher oft allein hergekommen. Dass man hier so schnell melancholisch wurde, dachte Luca mit Verwunderung. Aber es hatte nichts Schlechtes an sich, auch einen Tag mal etwas Abstand von seinen Problemen zu bekommen. Den Park selbst hatte man in etwas über einer Stunde durchquert, aber Tiara wollte unbedingt noch auf den Spielplatz. Wer sollte es ihr verdenken. Sie war ja schließlich noch ein Kind. Luca ließ sich auf einer Bank nieder und schaute den Zwillingen dabei zu, wie sie sich mit ihrer kleinen Schwester, auch wenn sie nicht wirklich verwandt waren, beschäftigten. Gerade war sie auf einer Schaukel und Seth stieß sie so hoch wie möglich, während Yara auf der anderen Schaukel versuchte, ohne Hilfe noch höher zu kommen. Binnen kurzer Zeit entbrannte da ein regelrechter Wettkampf, über den Luca innerlich schmunzeln musste. Er selbst hatte das ja nie gehabt, war er in komplizierten Verhältnissen aufgewachsen, bis er zu Lua kam. Doch er dachte darüber nie nach, wenngleich das sehr wohl einen Grund hatte. Stattdessen freute er sich lieber, zuzusehen, wie seine kleine Familie einmal harmonisch beisammen war. Auch wenn eine Person fehlte. Die Zeit verging schnell, doch niemand achtete darauf. Die Zwillinge halfen Tiara gerade dabei ein vierblättriges Kleeblatt zu finden, als sich die ruhige Atmosphäre zu ändern begann. Luca bemerkte, wie die Eulen aus der nahe gelegenen Voliere unruhiger wurden und auch die anderen Tiere taten dies. Mal davon abgesehen bemerkte Luca auch selbst, dass etwas nicht stimmte und er verstärkte seine Aufmerksamkeit. Noch war es vage, aber irgendetwas würde bald geschehen. Die Zwillinge und Tiara bemerkten davon jedoch nichts und suchten unterdessen unbeirrt weiter nach dem Kleeblatt. Plötzlich war es totenstill. Selbst die Aura von eben war komplett verschwunden. In dem Moment sprang Tiara freudig in die Luft, in ihrer Hand triumphierend ein vierblättriges Kleeblatt. Die Jungs waren gerade in begriff aufzustehen, da ging es ganz schnell. Wie aus dem nichts sprang eine Kreatur hinter dem Gebüsch hervor und hielt genau auf die drei zu. Luca reagierte blitzschnell und ging dazwischen. Gerade noch rechtzeitig riss er die Zwillinge nach hinten weg und hielt den Arm vor Tiara, als eine spitze, lange Klinge durch seinen Arm bohrte. Wäre er zu spät gekommen, dann hätte diese Klinge Tiara genau an der Stirn erwischt. Die Drei brauchten einen Moment, um zu realisieren, was gerade geschah. „Luca!“, rief Tiara geschockt aus, als sie die Klinge in seinem Arm erblickte. Dann erst wanderte ihr Blick weiter zu dem Wesen, der die Klinge gehörte. Luca rümpfte die Nase. Das dort musste ein wirklich sehr ausgehungerter Exile sein. Er kannte diese Art der ausgewilderten Aura bereits. Mit Exiles war nicht zu spaßen, besonders nicht, wenn sie so hungrig waren, wie dieser dort. Der Exile stieß nun einen schrillen Schrei aus. „Yara, Seth, schnappt euch Tiara und verschwindet von hier. Sofort!“, herrschte Luca die beiden an. „Aber…“, wollte Tiara einwerfen und auch die Zwillinge standen unschlüssig da. „Ich sagte, SOFORT!“, wiederholte Luca. Er war zornig. Nicht wegen der langsamen Reaktion der drei, sondern, weil er zu spät bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Quälend langsam, so kam es Luca vor, begannen die drei aus dem Knick zu kommen. Der Exile versuchte unterdessen die Klinge aus Lucas Arm zu bekommen, doch Luca hielt sie mit der anderen Hand fest, um ihn an der Verfolgung zu hindern. Als der Exile sah, wie seine vermeintliche Beute langsam verschwand, wurde er noch wütender und plötzlich begannen die beiden Male über den Augenbrauen zu leuchten. Luca traute seinen Augen kaum, aber urplötzlich wurde aus einem Exile ein zweiter. Jeder hatte nur noch je einen dieser Punkte auf der Stirn und der zweite sprang blitzschnell die paar Meter nach hinten und schon waren Luca, die Zwillinge und Tiara eingekesselt. Bevor der zweite Exile angreifen konnte, stieß Luca den ersten mit einem Tritt von sich, sodass die Klinge aus seinem Arm kam und stellte sie so, dass er genau in der Mitte der beiden Exile war. Tiara und die Zwillinge waren nun wieder dicht bei ihm. „Was machen wir nur?“, fragte Seth mit einem Anflug der Verzweiflung, während sich Tiara kreidebleich an ihrem Rock klammerte. Luca blieben jetzt nicht gerade viele Optionen. Zum Glück hatte er immer seine Messer dabei. Ohne sie verließ er nie das Haus. „Rührt euch nicht vom Fleck.“, wies er die drei nun ruhig an. Dann setzte er jene Miene auf, die er immer trug, wenn er einen Auftrag zu erfüllen hatte. Die Miene eines kaltblütigen Mörders, der sein Handwerk verstand. Ein kurzes Rasseln war zu hören, als je ein Messer in seine Hände glitten. Um die Wunde an seinem Arm kümmerte er sich jedoch nicht. Sie würde ohnehin bald heilen und auch wenn sie höllisch brannte, so war er schon schlimmeres gewohnt. Je eine Klinge mitsamt ihrem Draht wickelte sich nun um die Hälse der beiden Exile. Grimmig blickten sie ihn an und versuchten sich dagegen zu stemmen, was natürlich nur dafür sorgte, dass sich der Draht tiefer in sie hineinschnitt. Nun setzte sich Luca in Bewegung. Zeitgleich sprangen auch beide Exile in die Luft. Sie schienen miteinander verbunden zu sein, sodass sie absolut synchron handeln konnten. Luca trennte einen Draht ab und warf nun weitere Messer zu diesem Exile, während er den anderen noch immer an der Leine hielt. Die Messer trafen zwar, doch der Exile war so ausgehungert, dass er sich davon nicht ablenken ließ. Stattdessen waren beide nur auf die drei Kinder fokussiert. Sie versuchten irgendwie an Luca vorbei zu kommen bzw. ihn so schnell wie möglich loszuwerden. So blieb ihm nichts anderes übrig als jeden Schlag einzustecken, der an die Drei gerichtet war. Schon bald zierten unzählige Wunden Luca und er sah ziemlich zerfleddert aus. Er musste einsehen, dass seine Messer ihm bei diesem Gegner nicht halfen. Immer weiter drängte sich die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass er sein Geheimnis nicht länger würde geheim halten können. Lieber sollten die Zwillinge und Tiara wissen, dass er kein Mensch mehr war, als das sie Futter für einen ausgehungerten Exile wurden. Der nächste Angriff war hinterhältig. Während ein Exile vortäuschte sie frontal zu attackieren, bereitete der Zweite den eigentlichen Angriff vor. Luca gelang es mit einem Draht die Klaue des ersten Exiles abzulenken, sodass dieser nicht traf, da schoss aus dem Boden eine weitere lange Klinge. Sie hatte so viel Geschwindigkeit drauf, dass ein ablenken nicht möglich war und so blieb ihm nichts anderes übrig als sich genau dazwischen zu werfen. Tiara schrie so, als hätte die Klinge sie selbst erwischt, als sie sah, wie die Spitze selbiger, aus Lucas Rücken ragte. Es hatte ihn komplett durchbohrt. Der Schrei schmerzte ihm in den Ohren, da sein Gehör ja um einiges besser war, als das von Menschen. Luca drehte den Kopf leicht und blickte nach hinten. Alle drei hatten die Augen weit aufgerissen und waren kreidebleich geworden. Tiara lief ein Bach von Tränen die Wangen hinab, wovon ihre Augen schon ganz gerötet waren. Luca war mehr als nur schlecht gelaunt. Man bedrohte seine Familie, sie hatten damit diesen Nachmittag ruiniert und Tiara zum Weinen gebracht. Für Lucas Nerven war das eine ganz schöne Belastung, denn er hörte bereits, wie die Chimäre in ihm vor Groll brüllte. „Ok, jetzt habt ihr es echt geschafft.“, flüsterte er eiskalt. Es war so leise, dass man es kaum noch verstand. Er drehte sich wieder zu den beiden Exiles, die ihn plötzlich verwirrt anstarrten. Vermutlich wunderten sie sich, wieso er noch lebte. Luca packte nun die Klinge und zog sie ganz langsam heraus, sodass sich nun die Augen der Exile weiteten. Ein normaler Mensch wäre dazu nämlich nicht in der Lage, das wurde ihnen nun klar. Während Ströme von Blut aus der Wunde zu Boden liefen, strich sie Luca genervt die Haare aus dem Gesicht. Dann wandte er das Wort an die Zwillinge und Tiara. „Verzeiht, ich wollte nicht, dass ihr sowas miterleben müsst. Und ich will mich auch dafür entschuldigen, dass ich euch angelogen habe. Ich hoffte ja eigentlich, dass es nicht so weit käme, aber mir bleibt keine andere Wahl.“, dann machte er eine kurze Pause. „Yara, Seth, wisst ihr noch, worüber wir neulich gesprochen haben? Tja, scheinbar erhaltet ihr doch noch eure Antwort. Es tut mir leid.“ Dann konnte er die Chimäre nicht mehr in Zaum halten. Kapitel 29: Der Zorn einer Chimäre ---------------------------------- Es war befreiend, wie der Schmerz der Wunden praktisch verpuffte, als er seiner Macht endlich erlaubte sich des Problems anzunehmen. Auch die Gesichter der Exile gaben ihm eine gewisse Genugtuung. Aber das änderte trotzdem nichts an der Tatsache, dass er gerade sein größtes Geheimnis vor jenen preisgeben musste, die es unter keinen Umständen hätten erfahren sollen. Allerdings verbat er sich für den Moment, sich darüber Gedanken zu machen. Nun konzentrierte er sich voll und ganz darauf diese Exile zu vernichten. Erst jetzt bemerkte er, wie ausgehungert die Chimäre in ihm eigentlich war. Das barg eine gewisse Gefahr in sich, denn er durfte sich davon nicht mitreißen lassen. Ansonsten konnte er nicht mehr für die Sicherheit derer garantieren, die er doch eigentlich schützten wollte. Doch die Chimäre dürstete wie die Bestien die er jagte, nach Blut und Verzweiflung. Logisch, wenn man bedachte, dass sie ja denselben Ursprung hatten. Luca packte einen der Exile blitzschnell und riss ihn in die Luft. Jetzt waren sie seine Spielzeuge. Während er auf den Hinterpfoten stand, rammte er dem anderen Exile mit voller Wucht die Klauen seiner vorderen Pranke durch die Brust und auch, wenn die Wunden wieder zu heilen begannen, so war das dennoch keine Wunde, die einfach zu regenerieren war. Gleichzeitig taumelte besagter Exile von der Wucht des Aufpralls. Luca hatte die zweite Hälfte dieses Wesen noch zwischen seinen Zähnen gefangen, da setzte er der taumelnden Hälfte nach und rammte ihm, wie ein zorniger Stier, seine Hörner durch den Körper und spießte den Exile auf. Nun wirbelte er wild herum, so wie es Haie oder Krokodile taten, um ihre Beute zu erlegen. Der Exile auf seinen Hörnern fiel schließlich ab und landete einige Meter entfernt auf dem Boden. Der andere Exile kam jedoch nicht so einfach frei. Erst als Luca sein Maul öffnete, flog er durch den Schwung heraus und landete dicht neben seiner anderen Hälfte. Beide Hälften waren schwer verletzt und hatten sichtbar Mühe ihre Wunden zu heilen. Wobei man dazu natürlich noch sagen musste, dass Luca auch Gebrauch von seinem Gift machte und Selbiges die beiden gerade von innen zerfraßen. Die zwei Exile verbanden sich nun wieder zu einem. Möglicherweise konnte er sich so besser wieder zusammenflicken. Wenn er denn die Gelegenheit dazu bekommen würde. Luca leckte sich das Blut von den Zähnen. Die Exile schmeckten merkwürdig, aber irgendwie auch vertraut. Und irgendwie auch unglaublich lecker. Allerdings kam Luca nicht darauf, woran ihn das erinnerte. Dies war im Moment aber auch nebensächlich. Der Exile hatte es zuweilen wieder auf die Beine geschafft. Zornig, aber auch eingeschüchtert blickte er Luca an. Seine Wunden schlossen sich fast gar nicht, was Lucas Werk war. „Lass mich gehen. Ich gebe auf.“, krächzte es plötzlich in Lucas Gedanken. Er knurrte als Erwiderung: „Wieso sollte ich das zulassen? Du hast meine Familie bedroht, jetzt musst du den Preis dafür zahlen.“ „Ich habe lediglich gejagt!“, regte er sich nun auf, „Die Menschen jagen doch auch oder sie halten ihre Beute gefangen, nur um sie dann zu töten, wenn die Zeit dafür reif ist. Du bist da doch auch nicht anders. Du jagst uns. Eigentlich bist du ja noch viel schlimmer, denn wenn du uns nicht bekommst, jagst du auch die Menschen, die du angeblich zu beschützen versuchst!“ Diese Worte waren nicht besonders klug gewählt, denn Luca gefielen sie gar nicht: „Vergleich mich nicht mit euch! Ich jage keine Menschen!“ Da verzerrte der Exile das Gesicht zu einer grotesken Fratze. Er lachte. „Euch Chimären sollte es gar nicht geben. Du denkst vielleicht, dass du dich unter Kontrolle hast, aber das ist eine Lüge. In Wahrheit seid ihr viel mehr Bestie, als wir es sind. Hör meine Warnung. Selbst wenn du mich tötest, wird es nichts daran ändern, dass du dich irgendwann nicht mehr gegen den Jagdtrieb wehren kannst. Das zeichnet eure Rasse aus. Ihr verliert euch bei der Jagd viel mehr in euren Instinkten als die Yajuu, nur dass ihr natürlich um einiges stärker seid, als diese und damit viel gefährlicher. Auch du wirst irgendwann von ganz allein aufhören deine wahre Gestalt in die Gestalt der Menschen zwängen zu wollen.“ „Sei still!“, grollte Luca den Exile an, sodass dieser leicht zusammenzuckte. Da fiel Lucas Blick im Augenwinkel auf Tiara und die Zwillinge, die noch immer kreidebleich und fassungslos dastanden. Allerdings sah er in ihren Blicken noch etwas anderes: Furcht. Doch diese war ganz und gar nicht gegen den Exile gerichtet, sondern nur gegen Luca, der noch immer aufgebäumt und blutbefleckt mit gefletschten Zähnen dastand und hin und wieder knurrte, da seine Worte ja nur in den Gedanken seines Gegners zu hören waren. Die Erkenntnis war bitter für ihn. Sie fürchteten sich vor ihm, dabei wollte er sie doch nur beschützen. Luca zwang sich, sich ein wenig zu beruhigen, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Exile. „Du wirst doch den Nächstbesten jagen, sollte ich dich gehen lassen. Wieso sollte ich das zulassen?“, fragte er nun. Der Exile wusste, dass er Recht hatte. „Wir könnten einen Pakt schließen. Ich schwöre, dass ich keine Menschen jage und dafür bekomme ich mein Leben.“ Konnte man denn einem Exile trauen? Auch wenn Luca die Gedanken nicht mit dem Exile geteilt hatte, so hatte dieser trotzdem verstanden, wie er dachte und reagierte daraufhin leicht verärgert. „Nur weil ich kein Mensch bin, heißt das nicht, dass ich nicht auch so etwas wie Ehre besitze!“ Jetzt hatte Luca schon fast Schuldgefühle, weil er so voreingenommen war. Noch einmal zügelte er sein Temperament und meinte dann genervt: „In Ordnung. Ich nehme dich beim Wort. Sollte mir aber zu Ohren bekommen, dass du es gebrochen hast, so werde ich dich höchst persönlich zerfetzen. Deine Aura werde ich ganz sicher nicht vergessen. Und noch etwas. Ich mache das nicht deinetwegen, sondern nur, weil ich nicht möchte, dass die drei dort hinten mit ansehen müssen, wie ich dich zerreiße.“ Der Exile schien erleichtert zu sein, auch wenn ihm die Drohung nicht entgangen war. „Ich danke dir.“, meinte er schlicht und verschwand dann schwerfällig. Luca hatte ihm doch mehr zugesetzt, als er gedacht hatte. Langsam verschwand der Exile aus seinem Sichtfeld. Luca beobachtete aufmerksam, ob er nicht doch sofort ein nächstes Opfer suchen würde, aber tatsächlich schien sich der Exile an sein Wort zu halten. Die Minuten vergingen und Luca traute sich nicht mehr sich zu rühren. Er wusste, dass Tiara und die Zwillinge noch immer hinter ihm standen und auch sie wagten es nicht, sich zu rühren. Am liebsten wäre er jetzt geflohen. Egal wohin, einfach nur weg von hier. Er konnte ihnen einfach nicht ins Gesicht sehen. Aber es nützte ja nichts. Unendlich langsam drehte er sich um und ging langsam und bedächtig zu den Dreien herüber. Er konnte ihre Blicke nicht so recht deuten. Sie schienen schockiert, eingeschüchtert, aber trotzdem flohen sie nicht vor ihm. Etwa zwei Meter von ihnen entfernt, blieb Luca schließlich stehen. Er überragte sie um ein ganzes Stück und von ihrer Perspektive aus musste er wirklich furchteinflößend wirken. Luca setzte sich hin und dann schwiegen sie sich weiterhin an. Es war schwer zu sagen, wie lange das nun so ging, aber schließlich war es ausgerechnet Tiara, die das Wort ergriff. „Du hast uns gerettet… Danke Luca.“, meinte sie kleinlaut und blickte mit ihren Rehaugen zu ihm auf. Innerlich seufzte Luca. Er hatte nie gewollt, dass ausgerechnet sie Angst vor ihm haben musste. Natürlich würde er ihnen nie etwas tun, aber wie sollte man ihm das nun glauben. „Ich würde nie zulassen, dass man euch verletzt.“, meinte Luca schließlich und er sah wie die Drei kurz zusammenzuckten, als sie seine Stimme in ihren Köpfen hörten. „Wie… Wie lange bist du denn schon so?“, fragte Tiara nun weiter. „Ein paar Monate.“, gab er zurück. Dann folgte wieder Stille. „Vielleicht sollte ich wohl für eine Weile verschwinden. Ich kann verstehen, dass ihr euch in meiner Gegenwart nicht gerade wohl fühlt.“, seufzte Luca. Dann erhob er sich wieder und machte Anstalten zu verschwinden. Er war schon einige Meter gekommen, als Yara plötzlich „Halt!“, schrie. Luca blieb sofort stehen und drehte seinen Kopf zurück. Die Zwillinge kamen ihm hinterher und in einiger Entfernung auch Tiara. Verwundert blickte Luca die Drei an. Yara und sein Bruder Seth bauten sich vor Luca auf. Sie reichten ihm gerade mal bis zu den Schultern, aber ihre Blicke waren ernst, so als wäre es ihnen egal, dass da vor ihnen eine riesige Chimäre stand. Kurz tauschten die beiden Blicke aus, die nur sie verstehen konnten und dann verpassten sie Luca gemeinschaftlich einen gekonnten Kinnhaken. Nicht das das wehtat, aber Luca war so überrascht, dass sein Kopf trotzdem ein Stück nach oben schnellte. „Das ist dafür, dass du uns angelogen hast.“, schrie ihn Seth nun an. Dann verschränkten die Zwillinge beide die Arme vor der Brust. „Wie jetzt?“, wunderte sich Luca laut. Da tauschten die Zwillinge einen weiteren Blick und begannen dann zu feiern. „Man, wer hätte gedacht, dass du so dämlich aus der Wäsche schauen kannst. Hätte der Exile von eben das gesehen, hätte er sich dir sicher nicht ergeben.“ Luca begriff noch immer nichts. Was bitte geschah hier gerade. Nun drückte Tiara die beiden zur Seite und stand nun auch vor Luca. „Du darfst nicht gehen. Was sollen wir denn machen, wenn du auch noch verschwindest?“ Da begann sie zu schluchzen und auch die Zwillinge hörten auf zu lachen und blickten betrübt drein. „Aber… ich dachte, ihr würdet euch vor mir fürchten…“ Luca war hin und her gerissen. Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. „Bitte versprich mir, dass du bleibst.“, schluchzte Tiara nun noch lauter und Tränen liefen ihr in Bächen über das Gesicht. Damit war Luca überfordert. Es war ihm nicht klar, wieso sie noch immer so an ihm hingen, obwohl sie gerade gesehen hatten, was er wirklich war. Allerdings konnte er sich nicht gegen sie durchsetzen. Er mochte ein erstklassiger Kämpfer sein, aber gegen Tiara und die Zwillinge war er machtlos. Lua war es da nie anders ergangen. „Wenn ihr es wirklich wollt… dann bleibe ich.“, gab er nach einer Weile zurück. Tiara schluchzte noch lauter und kam noch näher. Sie krallte sich in das Fell seiner Mähne und weinte hinein. „Wir hatten solche Angst, dass du stirbst.“, verstand er zwischen ihrem Schluchzen, was ihn tief bewegte. Sie hatten Angst, dass er stirbt? Was für eine verdrehte Welt es doch war, wunderte er sich. Kapitel 30: XC70 ---------------- Pik war wir so oft an seinem Schreibtisch eingeschlafen. In letzter Zeit hatte er so viele Überstunden schieben müssen, dass das für seinen Schlafrhythmus eine wahre Katastrophe gewesen war. Neben ihm lag ein riesiger Stapel Papiere. Vieles davon hatte er schon abgearbeitet, aber die Arbeit schien einfach kein Ende nehmen zu wollen. Das Klopfen an seine Tür ließ ihn jedoch erwachen. „Herein.“, brummte er müde und genervt von dieser Unterbrechung. „Mensch, deine Augenringe scheinen ja jedes Mal tiefer zu werden, wenn ich dich besuche.“, meinte der Mann höhnisch als er eintrat. Er war etwas größer als Pik und auch kräftiger. Er hatte seine Haare stets ganz kurz geschoren, was ihm einen noch härteren Ausdruck verlieh. Außerdem hatte er recht schmale grau-blaue Augen, welche den Eindruck verliehen, dass es sich hierbei um einen sehr erfahrenen Kämpfer handeln musste. „Ah, Kreuz, was willst du denn?“, fragte Pik nun etwas höflicher. Kreuz und er waren schon seit Jahren gut befreundet. Eine ganze Zeit lang waren sie berüchtigt dafür gewesen, sehr grausam und unbarmherzig zu sein. Doch dann hatte Pik Yari kennengelernt und hatte sich von da an zum wohl besseren gewandelt. Nun galt Kreuz als der härteste Informant, aber trotzdem verstanden sich die beiden noch sehr gut. „Ich wollte nur mal nachsehen, wie es dir geht.“, meinte Kreuz und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch von Pik. Er lehnte sich zurück und ließ einen Arm über die Lehne baumeln. „Ich konnte dich ja leider nicht besuchen, als das mit Yari passiert ist. Hatte zu viel zu tun. Weißt ja, wie das ist, aber ich wollte dich nun endlich mal wieder besuchen. Hab mir Sorgen gemacht, wie du das alles aufnimmst.“ Pik stützte seinen Kopf auf einer Hand ab spielte mit der anderen an einem Stift rum. „Ich danke dir mein Freund. Aber mir geht es gut soweit. Meine Assistenten haben es ganz gut hinbekommen mich wieder aufzubauen.“ „Verstehe, das ist gut. Scheinst ja dann echt fähige Assistenten zu haben. Meine sind da nutzlos wie eh und je, deshalb wechseln sie ja auch so oft.“, brummte Kreuz und verzog die Miene, als er an seine Assistenten dachte. „Naja, sie würden sich sicher länger halten, wenn du sie nicht immer sofort erschießen würdest, wenn sie mal was falsch machen.“, spottete Pik und gähnte danach. „Haha, da ist wohl was dran. Aber hey, früher warst du da nicht einen Deut besser als ich.“, lachte Kreuz. „Stimmt, aber die Zeiten sind vorbei.“, lächelte Pik, „Yari zuliebe.“ Innerlich verdrehte Kreuz die Augen. Eigentlich hatte er ja gehofft, dass Pik wieder so werden würde, wie er gewesen war, bevor er Yari kennengelernt hatte, aber offenbar war dem nicht so. Auch wenn er Gerüchte gehört hatte, dass dieser Amoklauf kurz nach ihrem Tod nicht durch einen Exile, sondern durch einen Menschen verübt worden war. Kreuz hatte angenommen, dass es vielleicht doch Pik gewesen sein konnte, der das getan hatte, aber wenn er ihn nun so vor sich sah, da verschwanden seine Zweifel. Pik war so verweichlicht wie eh und je. Das ärgerte ihn. „Ach Kreuz, ich wollte mich aber bei dir bedanken.“, meinte Pik plötzlich. „Wofür denn?“, fragte er verwundert. Pik hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. „Naja, dafür das du die Sache mit Yari und mir so gut geheim gehalten hast. Ich will gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn Lucius davon Wind bekommen hätte.“ „Achso, na das ist doch selbstverständlich, dass ich dir da geholfen habe. Wofür sind Freunde denn da.“, meinte er freundlich, „Ist wirklich Schade, dass sie nicht mehr da ist. Aber du kennst ja Lucius. Seine Aufträge sind oft nicht ohne. Da kann jederzeit etwas schief gehen.“ „Leider.“, brummte Pik. „Lass uns lieber das Thema wechseln.“, schlug Kreuz nun vor. Pik wirkte plötzlich so niedergeschlagen und er zog es vor, das Thema zu wechseln. „Herz ist grad echt nicht zu beneiden. Muss noch mehr Überstunden schieben, als du, seit die Sache in dem Labor passiert ist. Ich meine, wer ist denn bitte so bescheuert und versucht da einzubrechen?“ Pik gähnte erneut und lachte kurz auf. „Tja, die Dummen werden nicht alle auf dieser Welt. Herz tut mir Leid, ist sicher ´nen Haufen Papierkram für sie.“ Wenn er da an seinen Berg von Arbeit dachte, dann war Herz echt nicht zu beneiden. „Allerding. Aber Karo geht ihr wohl ein wenig zur Hand. Die beiden sind ja so dicke miteinander.“, meinte Kreuz und wedelte dabei mit der Hand umher. „Wär doch schlimm, wenn nicht. Sind schließlich Geschwister.“, lachte Pik nun. „Da ist was dran.“, stimmte Kreuz ihm zu. Kreuz blieb noch eine ganze Weile und die beiden unterhielten sich über dieses und jenes. Pik freute sich über den Besuch seines alten Freundes. Neben Luca war Kreuz nun noch der einzige in der Organisation, dem er vertrauen konnte. Schließlich aber war es für Kreuz wieder Zeit zu gehen. „Hat mich echt gefreut, dass du da warst.“, sagte Pik und das war sein voller ernst. Kreuz lächelte ihm freundlich zu. „Keine Ursache. Nächstes Mal, kannst du ja mal wieder bei mir vorbeischauen.“ „Mach ich.“, winkte Pik ab und damit verließ Kreuz sein Büro. Eine Weile später erhob auch Pik sich von seinem Platz. Für heute hatte er keine Lust mehr den Papierkram weiter zu bearbeiten, also würde er nun Jokers Bitte nachgehen und ins Archiv fahren, welches im Keller des Hauptquartiers lag. Als Pik eintrat blickte die Dame vom Empfang kurz auf und nickte beiläufig zur Begrüßung. Er hielt sich damit aber nicht weiter auf und fuhr schnurstracks mit dem Lift in die letzte Etage. „Oh, seid gegrüßt, Pik. Euch habe ich ja schon lange nicht mehr hier unten gesehen.“, meinte der Mann, der bewachte, wer das Archiv betrat. „Stimmt, aber manchmal kommt man nicht drum herum.“, antwortete Pik. „Scheint so.“, brummte die Wache und ließ ihn eintreten. Pik war wirklich lange nicht mehr hier gewesen. Er hatte ja auch keinen Grund dazu gehabt, bis jetzt. Hier fanden sich alle Unterlagen zu den Aufträgen, die Lucius verteilte. Wirklich jeder Auftrag war hier zu finden. War ziemlich beeindruckend hier entlang zu gehen, wenn man bedachte, wie riesig die Anlage war. Lucius konnte sich definitiv nicht über Geldsorgen beschweren. Schnell schritt Pik durch die Reihen, bis er in der richtigen angelangt war. Er suchte kurz, bis er die richtige Akte gefunden hatte, aber dann hielt er sie in der Hand, die Akte mit der Bezeichnung „XC70“. Pik fragte sich zwar noch immer, weshalb dass das einzige war, was Joker von ihm verlangte, aber er würde sich nicht darüber beschweren. Pik verstaute die Akte und verließ das Archiv wieder. Dann fuhr er zurück in sein Büro. … Luca war gerade auf dem Heimweg, als sein Handy klingelte. Eben hatte er einen Auftrag erledigt, welche nun, wohl gemerkt, um einiges einfacher waren, seit er eine Chimäre geworden war. Seit dem Vorfall im Tiergarten waren gut zwei Wochen vergangen und irgendwie war wieder alles so wie vorher. Die Zwillinge und Tiara gingen normal ihrer Wege und auch benahmen sie sich nicht anders als vorher. Luca war froh darüber. Er hatte sich schon riesige Sorgen darüber gemacht, wie er das sonst wieder in Ordnung hätte bringen sollen. Nun wussten die Drei also, dass auch ihre Gäste nicht normale Menschen waren, aber offenbar, machte es ihnen nichts weiter aus. Kyria war ganz überrascht gewesen, als Tiara sie danach gefragt hatte, wie es denn wäre, als Exile zu leben. Luca hatte ihr dann alles erklärt und so hatte Kyria zumindest ein paar Fragen von ihr beantwortet. Vielleicht lag es einfach an dieser Zeit, dass die Menschen schon so lange mit dem Übernatürlichen zu tun hatten, dass es für sie gar nichts mehr so besonderes war oder aber die Drei hatten das einfach schon viel zu lange geahnt, sodass es für sie nun lediglich die Bestätigung dessen war, was sie eigentlich schon lange wussten. „Hey, was gibt’s?“, fragte Luca nun, als er an sein Handy ging. Es war Pik. „Joker hat alle Informationen gesammelt, die sie zu Lua finden konnte. Du findest sie auf meinem Schreibtisch.“, antwortete es reserviert. Luca wunderte sich. Irgendetwas an Pik war heute anders. Normalerweise war er nur Fremden gegenüber so kalt und reserviert. „Ich kann sie dir leider nicht persönlich bringen, die anderen Informanten und ich müssen zu Lucius.“, ergänzte er nun noch. Luca wurde hellhörig. „Hey, ist alles in Ordnung? Du klingst so merkwürdig.“; fragte er, doch da hörte er nur noch ein kurzes „Bye.“, und dann hatte Pik schon aufgelegt. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Luca versuchte ihn zurückzurufen, doch nun war Piks Handy ausgeschaltet. Sehr merkwürdig, wunderte sich Luca. Sofort machte er sich auf zum Büro. Piks Assistenten wussten bereits Bescheid und ließen ihn hinein. „Sagt mal, was ist denn heute mit Pik los?“, fragte Luca, als er eintrat, doch diese wussten genauso wenig wie er. „Wir wissen es auch nicht. Er kam vor einigen Stunden wieder, da war er noch normal und vorhin ist er dann plötzlich losgestürmt und meinte, dass er zu Lucius müsse.“, erklärte ihm eine junge Frau, die für Pik arbeitete. „Hm…“, brummte Luca und ging in sein Büro. Etwas schien nicht zu stimmen, aber wenn Pik es ihm nicht sagte, dann konnte er sich auch nicht einfach einmischen. Pik hatte nicht gelogen. Die besagt Akte ruhte auf dem chaotischen Schreibtisch. Doch was darin stand, war äußerst merkwürdig. Joker hatte in den Bericht geschrieben, dass jegliche Aura, die je von Lua existiert hatte, verschwunden war. Besser gesagt, war es eher so, als hätte sie nie existiert. Dementsprechend hatte Joker sie auch nicht finden können. Luca war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Was sollte das nur bedeuten? Seine Aufmerksamkeit fiel nun auf den letzten Satz, den Joker scheinbar erst später noch handschriftlich ergänzt hatte. „Es ist nicht so, dass die Person, die ihr sucht, gestorben ist. Wäre sie das, dann hätte ich auch das gefunden. Vielmehr ist es ein Paradox, dass selbst eine Hexe nicht zu lösen vermag. Ich nehme jedoch sehr stark an, dass diese Person früher oder später von selbst wieder auftauchen wird. Ich empfehle Geduld.“ Luca knirschte unbewusst mit den Zähnen. Bei diesen Worten konnte man fast annehmen, dass Lua in eine andere Dimension entführt worden sei und sie irgendwann wohl mal wieder frei kommen würde. Doch natürlich war dem nicht so. Geduld also? Sicher beruhigte es Luca ein Stück weit, dass Joker zumindest ausschließen konnte, dass Lua gestorben war… aber wirklich glücklich war er damit nicht. Wie lange würde es denn dauern, bis er Lua je wieder sehen konnte? Er vermisste sie mehr, als er je zugegeben hätte und nach diesen ersten Wochen ohne sie, merkte er bereits, wie sich sein seelischer Zustand zunehmend verschlechterte. Noch merkte das niemand, aber er war sich nicht sicher, wie lange er die Fassade aufrecht erhalten konnte. War er sauer auf Lua? Er wusste es nicht, war sich uneinig darüber. Letztlich seufzte er entnervt aus und beschloss, die Sache in Ruhe mit Kyria zu bereden, sobald er zurückkam. Luca steckte die Papiere weg und wollte gerade das Büro verlassen, als er in seinem Blickwinkel etwas sah. Neben dem großen Schreibtisch stand ein Papierkorb. Da Pik sehr viel an Papierkram wegschmiss, musste dieser jeden Tag geleert werden, doch heute befand sich darin nur eine Sache. Es war eine Akte. Luca war verwundert. Sie schien aus dem Archiv zu sein und so etwas wurde normalerweise nicht einfach weggeschmissen. Dann fiel ihm auch die Bezeichnung der Akte auf, „XC70“. „Moment mal, das ist doch die Akte, die Joker haben wollte.“, dachte er laut und ging hinüber zu dem Papierkorb. Eigentlich war Luca nicht so neugierig. So etwas hatte man auch nicht zu sein, wenn man als Assassine arbeitete. Doch diese Sache hatte ihn stutzig gemacht. Es passte nicht zu Pik, so etwas einfach wegzuwerfen. Sonst ging er mit solchen Sachen viel gründlicher um. Luca lehnte sich an den Schreibtisch und öffnete die Akte. „Bericht über die Vorfälle vom 14.Mai bis zum 29.Mai 3056, Verfasser: Informant Kreuz, Auftraggeber: Lucius van Serenberg.“ Luca glaubte nicht, was er da las. Wenn das wirklich stimmte, dann war Pik gerade im Begriff den größten Fehler seines Lebens zu begehen. Er musste sich beeilen. Vielleicht konnte er das Schlimmste ja noch verhindern. Kapitel 31: Fehler ------------------ 2 Stunden zuvor. Pik saß gelangweilt in seinem Stuhl und wackelte hin und her. Er hatte keine Lust zu arbeiten. Er fand, er hätte mal einen Tag Auszeit verdient. Doch obwohl er nicht arbeiten wollte, langweilte er sich. Vor ihm lag die Akte, die er aus dem Archiv mitgebracht hatte. Bisher hatte er sie sich nicht angeschaut, schließlich wollte ja nur Joker sie haben, aber nun war er doch neugierig geworden. Musste ja unheimlich wichtig sein, wenn ihr das als Bezahlung genügte. Er setzte sich ordentlich hin und schlug die Akte auf. … 1 Stunde zuvor. „Du hast sie also gelesen.“, waren ihre ersten Worte, als sie im Büro von Pik erschien. Die Akte lag vor ihm, war aber wieder geschlossen. Pik hatte sein Gesicht in einer Hand vergraben und es war unmöglich zu sagen, wie er gerade drauf war. „Die Akte war also gar nicht für dich.“, flüsterte er. Seine Stimme klang eiskalt, so als konnte er sich nur mühevoll beherrschen. Joker seufzte. Sie wusste, dass das passieren würde, aber das hatte sie nicht verhindern können. Nicht, dass sie das auch gewollt hätte. So waren nun mal die Regeln. „Wer hat dir denn diesen Auftrag erteilt?“, fragte er nun verbissen. „Das kann und darf ich dir nicht sagen, Pik. Du kennst die Regeln. Der Joker übt höchste Geheimhaltung aus.“, gab sie monoton zurück, „Aber eigentlich kam ich auch hierher, um dir die Informationen zu bringen, um die du mich gebeten hast.“ Damit schob die eine Akte auf den Tisch, die die Daten zu Lua enthielt. „Gut. Ich werde sie weiterleiten.“, war seine Antwort. Dann folgte kurz Stille, bis Joker erneut etwas sagte. „Was hast du jetzt vor?“ Pik schnaufte und lachte dabei lieblos auf. „Ich habe die anderen Informanten angerufen und ihnen gesagt, dass Lucius sie sprechen will. Nach unserem Gespräch werde ich auch dorthin gehen.“ Joker schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist Wahnsinn. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass du es gegen sie alle aufnehmen könntest. Ich weiß, dass du nicht schwach bist, aber du würdest Lucius nicht einmal berühren können, da hätten sie dich schon erwischt.“ Nun hob Pik den Kopf und starrte Joker tiefgründig an. Seine Augenringe schienen noch dunkler geworden zu sein und in seinen Augen lag wieder nur diese Leere und auch Gleichgültigkeit vor seinem eigenen Leben. Erst da fiel ihr auf, dass neben seinem Tisch bereits seine Sensen lagen. „Sie wollten, dass der alte Pik wiederkommt, als tue ich ihnen diesen Gefallen auch.“, knurrte er schon fast. Joker wusste, dass mit ihm nun nicht mehr zu spaßen war. Sie wusste, was Lucius getan hatte und seitdem sie es wusste, hatte sie vorhergesehen, dass dies geschehen würde. Pik würde sich gegen die Organisation stellen und würde dabei sein Leben verlieren. Ihre Worte waren für ihn bedeutungslos. „Das ist es, wovor ich meine Kunden stets zu warnen versucht habe. Ich werde gebeten Dinge zu erledigen, wobei sich die Leute nicht der Konsequenzen bewusst sind, die darauf folgen. Aber das ist nun mal das Geschäft der Hexen. Wir erfüllen Wünsche, deren Preise eigentlich viel zu hoch sind.“, seufzte Joker müde, „Schon viel zu oft habe ich die Menschen in ihr Verderben gehen sehen, aber sie sind blind und taub für Worte. Leb wohl.“ Mit diesem Worten verschwand sie so geisterhaft, wie sie auch immer erschien. Pik war sich der Konsequenzen bewusst, die aus seinen Taten resultieren würden, aber es war ihm schlichtweg egal. Wenn er auch nur einen Informanten mit sich nehmen könnte, wäre er zufrieden. Besonders, wenn es Kreuz wäre. Dann zog er sein Handy hervor und wählte die Nummer von Luca. Irgendwo, tief in ihm, tat es ihm leid, dass er ihn im Stich lassen würde, aber er hatte ja auch noch die Hilfe von Leuten, die um einiges mächtiger waren, als er selbst. Von daher war es für das Vorhaben kein allzu großer Verlust. Wie er es erwartet hatte, bemerkte Luca sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte, aber er hütete sich davor, etwas zu verraten. Luca wollte er da nicht mit hereinziehen. Das war allein sein Problem. Pik legte auf und schaltete dann sein Handy aus. Brauchen würde er es eh nicht mehr. Danach schnappte er sich seine Sensen und verließ das Büro. … Pik betrat mit kühler Miene das Hauptquartier. Die anderen Informanten standen bereits im Foyer und warteten auf ihn. Als er sie sah, hätte er sie am liebsten sogleich aufgeschlitzt, aber er musste sich noch eine Weile beherrschen. Nur noch wenige Minuten, redete er innerlich auf sich selbst ein. „Da bist du ja endlich, Pik. Hast wohl wieder verschlafen, so wie du aussiehst.“, neckte ihn Kreuz, als er ihn kommen sah. Er benahm sich so wie immer. Herz und Karo nickten jeweils nur zur Begrüßung, so wie sie es immer taten. Die beiden waren Geschwister. Herz war jedoch ein Jahr älter als ihr Bruder Karo. Beide hatten rote Haare, grüne Augen und Sommersprossen, was sie relativ harmlos wirken ließen. Herz hatte ihre Haare, so wie immer eigentlich, auf eine Seite gekämmt und dort festgesteckt, sodass sie wellig auf ihrer Schulter hingen. Ihr Bruder hatte kurze Haare, die er sich immer nach oben gelte. Außerdem hatten beide mehrere Piercings. Auch die beiden trugen die typische schwarze Uniform mit Mantel, auf dem jeweils ihr Symbol aufgedruckt war. „Ich habe nicht geschlafen, hatte noch was zu erledigen.“, antwortete Pik Kreuz schließlich. „So, naja ist auch egal. Lasst uns endlich hoch gehen. Lucius wartet ja bekanntlich nicht gern.“, erwiderte er und sie setzten sich in Bewegung. Die Vier betraten den großen Lift und dieser setzte sich langsam in Bewegung. Während der kurzen Fahrt schwiegen alle. Die Sekunden kamen Pik ewig vor, doch endlich erreichte der Lift das oberste Stockwerk. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf den riesigen Schreibtisch frei, an dem ein etwas verwunderter Lucius saß. „Nanu, was habt ihr denn hier zu suchen?“, fragte dieser, als sie in das Büro getreten waren. Das löste Verwirrung unter den anderen Informanten aus. „Na, sie haben uns doch rufen lassen, Lucius.“, antwortete Karo verwirrt. „Ach habe ich das? Nun, dann sollte ich mich wohl daran erinnern können, nicht wahr?“ Lucius hob eine Augenbraue und blickte Karo vernichtend an. „Aber Pik hat doch extra angerufen und gesagt, dass wir kommen sollen.“, erwiderte Karo darauf. Da schwiegen alle. „Pik, was hat das zu bedeuten?“, fragte Lucius nach einer Weile mit einem gefährlichen Unterton. Der Moment war gekommen. Pik stand ganz hinten, als er das Wort ergriff und aus der Akte zu zitieren begann, die er gelesen hatte. „Bericht über die Vorfälle vom 14.Mai bis zum 29.Mai 3056, Verfasser: Informant Kreuz, Auftraggeber: Lucius van Serenberg. […] Die Verbindung zwischen Informant Pik und der Assassine Yari, Distrikt Herz, stellt eine Bedrohung unbekannten Ausmaßes dar, die nicht weiter toleriert werden kann. Es wird befürchtet, dass es Pik von seinen Pflichten als Informant abhält und sie wiederrum Informationen erhält, für die sie nicht autorisiert ist. Von oberster Stelle wurde daher beschlossen, dass diese Verbindung gelöst werden muss. […] 14. Mai 3056 Zielperson bekam von Lucius einen Auftrag über die Ausschaltung eines Zielobjektes. Herz hat dafür Sorge getragen, dass das gewählte Areal ohne jegliche Zwischenfälle genutzt werden kann. Kreuz und Karo werden am vereinbarten Treffpunkt warten und die Zielperson bei Eintreffen zu eliminieren. […] 15. Mai 3056 Zielperson ist eingetroffen. Es gab Probleme. Offenbar hat sie die Falle durchschaut und befindet sich derzeit auf der Flucht. Sie wurde leicht verletzt, ist aber weiterhin kampffähig. Kreuz hat die Verfolgung aufgenommen. […] 22. Mai 3056 Zielperson wurde im Ödland lokalisiert, ist aber weiterhin flüchtig. Hat offenbar versucht Kontakt mit Pik aufzunehmen, wurde aber erfolgreich unterbunden. […] 23. Mai 3056 Zielperson wurde von Kreuz gefangen genommen und bei Kampfhandlungen verletzt. […] 26. Mai 3056 Zielperson ist erneut flüchtig. Verfolgung stellt jedoch kein Problem dar. […] 29. Mai 3056 Zielperson wurde erfolgreich durch Kreuz eliminiert. Gewähltes Medium: Revolver. Leiche auf Genehmigung im Ödland zurückgelassen. […] Leicht fassungslos starrten sie ihn an. Er hatte vielleicht zwei Minuten gesprochen, aber hatte offenbar einen tiefen Eindruck hinterlassen. Lucius seufzte und lehnte sich dann großspurig zurück. „Ach mein lieber Pik, wer hat dir die Akte gegeben?“ „Das spielt doch keine Rolle.“, antwortete dieser kalt, „Ihr alle habt mich hintergangen, das spielt eine Rolle und dafür werdet ihr bezahlen.“ Lucius lachte. „Denkst du denn allen Ernstes, dass du hier eine Chance hast? Denk lieber noch einmal nach. Hör zu, vergessen wir die ganze Sache doch einfach und gehen wieder unseren Tätigkeiten nach, hm? Das alles ist doch Schnee von gestern. Denn wenn du dich entschließt, jetzt eine Dummheit zu begehen, dann komme ich leider nicht umhin, dich dafür bestrafen zu lassen. Damals habe ich es vorgezogen, dich unbehelligt zu lassen. Dich konnten wir nicht so einfach zur Rechenschaft ziehen, aber Yari schon. Sie hat für deinen Fehler mitbezahlt. Also lass es gut sein.“ Pik brodelte. Es war für ihn kaum mehr möglich sich noch in Zaum zu halten, aber das musste er ja auch nicht länger. Bevor er jedoch zur Tat schritt, musste er eine letzte Sache noch loswerden. „Kreuz, du warst es, nicht wahr? Von dir wusste Lucius erst, dass zwischen Yari und mir etwas lief. Wir haben es niemandem sonst verraten, haben nur dir vertraut.“ Er blickte Kreuz nun tief ins Gesicht und erkannte, dass dieser keinerlei Reue zeigte. Es war ihm vollkommen egal. „Ganz recht. Ich konnte nicht länger mit ansehen, wie du immer weiter verweichlichst und den Ruf der Informanten in den Schmutz ziehst. Ich habe nur unsere Ehre gerettet, ebenso die deine.“ Pik biss die Zähne zusammen und spannte die Muskeln an. „Ehre? Was weißt du denn davon? Du hattest sie noch nie. Aber ich werde dir deinen Wunsch erfüllen. Du wolltest mein altes Ich zurück? Bitte schön, jetzt bekommt ihr es!“ Dann zog er blitzschnell seine Sensen und griff an. Kapitel 32: Die 13. Spritze --------------------------- Luca rannte so schnell wie er konnte, jedoch ahnte er, dass es bereits zu spät war. Als er dann sah, wie die große Fensterscheibe von Lucius Büro zerbrach und die Splitter tödlich zu Boden rieselten, wandelte sich seine Ahnung in eine bittere Erkenntnis um. Er beschleunigte abermals und rannte in das Hauptquartier hinein. Viele Menschen kamen ihm entgegen, die nun panisch das Gebäude verließen. Luca steuerte geradewegs auf die Rezeption zu. Die Dame saß noch da, schien aber auch ernsthaft zu überlegen, ob sie nicht lieber abhauen sollte. „Funktioniert der Lift noch?“, rief Luca ihr außer Atem zu. Sie blickte erschrocken zu ihm auf. „N… Nein, aber du willst da doch jetzt nicht ernsthaft rauf!“ Luca achtete nicht weiter auf sie und rannte schon an ihr vorbei zur Treppe. So schnell war er noch nie sechs Stockwerke hochgerannt. Er hechtete den Flur entlang und sah schon von weitem, dass der Kampf in vollem Gange war. Die Tür zum Büro war aus den Angeln gerissen und hatte mehre tiefe Furchen im Holz. Pik war in Höchstform. Obwohl die anderen Drei ihn unablässig attackierten, hielt er dennoch ganz gut mit. Jeder hatte so seine spezielle Waffe, die er nutzte. Pik bevorzugte seine Sensen, während Kreuz mehrere Schusswaffen bei sich trug. Herz hatte zwei Dolche, die extra für sie geschmiedet wurden waren und Karo benutzte ein ebenfalls speziell für ihn gemachtes Nunchaku, welches länger war, als die Üblichen und bei bestimmten Bewegungen kleine Klingen ausfahren konnte. Pik stand solange gut da, wie er die anderen im Radius seiner Sensen halten konnte, doch besonders Herz, versuchte oft durchzubrechen und ihn mit den Dolchen zu erwischen. Kreuz suchte eher die Distanz, während Karo relativ mittig blieb. Er konnte aber auch am besten die Sensen abwehren. Obwohl der Kampf unerbittlich lief, saß Lucius noch immer unbeeindruckt an seinem Schreibtisch, als könnte er nicht getroffen werden. Diese Selbstsicherheit war fast schon unheimlich. „Sieh einer an. Was machst du denn hier?“, bemerkte Lucius ihn, „Du willst dem Verräter hoffentlich nicht helfen.“ Lucius blickte ihn tief an und ein sadistischen Grinsen fuhr über seine Lippen. Luca biss die Zähne zusammen. Er war sich ja selbst nicht ganz sicher, ob er denn eine Chance hatte. Gegen Pik hatte er schon kaum bestehen können, auch wenn er gegen ihn nicht die Gestalt der Chimäre angewandt hatte. Allerdings wollte er darauf nur im äußersten Notfall zurückgreifen, würde er denn sonst Lucius verraten, dass er zu den 2% gehörte. Andererseits schuldete er ihm viel. Pik hatte Luca schon so oft aus der Patsche geholfen, er konnte ihn jetzt nicht einfach in sein Verderben rennen lassen. „Wie es scheint, kündige ich wohl heute.“, gab Luca zurück und zog dann zwei Messer hervor. Er warf sie und es gelang ihm damit Karos Nunchaku zu umwickeln. Dieser hob verwirrt den Blick, analysierte aber blitzschnell die Lage und schüttelte Lucas Messer wieder ab. „Was zum Teufel machst du hier?“, rief Pik, nachdem er gerade einem Hieb von Herz ausgewichen war. „Ich versuch dir deinen Arsch zu retten, du Idiot!“, gab Luca zurück und wich seinerseits einem Angriff von Karo aus. „Ich hab dich nicht darum gebeten.“ „Ist mir bewusst.“, erwiderte Luca. Dann schwieg Pik wieder. „Hm, du bist gut für einen einfachen Assassinen.“, stellte Karo plötzlich fest, „Hätte nicht gedacht, dass Lucius so fähige Leute hat.“ Luca lächelte grimmig: „Wunderbar, danke für das Kompliment.“ „Oh, versteh mich nicht falsch. Ihr habt trotzdem keine Chance. Stattdessen hast du in dem Moment in dem du deine Waffen gezogen hast, dein Leben verwirkt. Es wird mir eine Freude sein, es aus dir heraus zu quetschen.“ Ok, jetzt war es amtlich, alle Informanten waren anscheinend nicht ganz normal, dachte sich Luca, ließ sich aber nicht beirren. Gegen solche Gegner durfte er sich keine Unaufmerksamkeit erlauben. Durch den relativ engen Raum, war kämpfen nicht gut möglich. Besonders nicht, wenn so viele Personen beteiligt waren. Also beschlossen die Informanten das Kampffeld zu verlegen. Jetzt würden sie ernst machen. Während das eine Fenster des Büros einen schönen Ausblick über die Stadt ermöglichte, befand sich das andere auf der Seite, unter der sich das Ödland erstreckte. Auch die große Brücke konnte man von hier aus sehen. Plötzlich ließen Kreuz, Karo und Herz von ihren Angriffen ab und sprangen ein Stück zurück. Alle zückten zeitgleich eine Spritze und Luca wusste, was jetzt folgen würde. „Hab das Zeug schon lange nicht mehr benutzt.“, seufzte Herz. „Aber ihr habt es euch verdient so zerfetzt zu werden.“, ergänzte Karo und blickte ebenso finster wie sie. „Ach Luca, ich hab gehört, dass du bereits 12 hinter dir hast. Würde mir also überlegen die letzte zu nutzen.“, lachte Kreuz höhnisch. Die Drei zuckten zusammen, als das Serum zu wirken begann und binnen weniger Sekunden standen drei riesige Chimären im Büro, welches nun ausgeschöpft schien. Lucius betrachtete das ganze fasziniert, rührte sich aber kein Stück. Herz, eine rötliche Chimäre, die ähnlich einem Exile ausziehbare Klingen hatte, packte sich Pik am Mantel und sprang mit ihm aus dem Fenster ins Ödland. Kreuz, welcher dunkelbraun und grau gemustert war und in seiner Statur einem Bär ähnelte, sprang ebenfalls hinterher. Karo hingegen sah seiner Schwester relativ ähnlich in dem roten Fell mit weißer Musterung. Dort wo sein Schweif beginnen hätte müssen, war nur eine Zacke. Er packte sich Luca und folgte den anderen ins Ödland. Noch während des Fluges gelang es Pik sich von Herz zu befreien, wobei sein Mantel zerriss. Aus der Innentasche zog er blitzschnell ebenfalls eine Spritze. „Was ihr könnt, kann ich schon lange.“, rief er und rammte sich das Teil in den Arm. Luca riss vor Schreck die Augen auf. Das war die letzte Spritze für Pik, er durfte sie nicht nehmen. „Nicht!“, schrie er, doch es war bereits zu spät. Bevor sie landen konnten, verzerrte sich auch Piks Gestalt, welche die zwei Sensen packte und dann krachend auf dem Boden aufkam. Das hinterließ regelrecht einen Krater. Karo sorgte dafür, dass Luca nicht durch den Aufprall starb. Aber das war natürlich Absicht, denn sie wollten ja nicht zulassen, dass er so sanft das zeitliche segnete. Trotzdem war die Wucht schlimm genug, sodass Luca einen Schmerzensschrei unterdrücken musste. Da meldete sich die Chimäre in ihm das erste Mal zu Wort, aber er zwang sie, sich wieder zu beruhigen. Plötzlich kam er sich so klein und unbedeutend vor. Schließlich war er nun der einzige, der noch in menschlicher Gestalt war, während er von vier Chimären umzingelt war. Kreuz war ein ganzes Stück größer als die anderen, dafür aber nicht ganz so schnell und wendig. Schnell zeigte sich, wer eine Affinität für was hegte. Pik sprang mit gefletschten Zähnen auf Kreuz zu, während er mit den Sensen auf Herz zielte, durch die er eine Menge Strom jagte. Kreuz hatte offensichtlich eine Affinität zur Erde, denn als er seine Pranke erhob, um Pik eine zu verpassen, wurde diese plötzlich zu Stein und somit war die Wucht des Aufschlags um einiges heftiger. Benommen taumelte Pik ein Stück zurück. Herz hatte, wie auch Luca, eine Affinität für die Luft und wich den Sensen daher spielend aus. Ihr Bruder, der sich vornehmlich mit Luca beschäftigte, hatte hingegen eine Affinität für das Feuer. Luca wusste nun, warum er keinen normalen Schweif hatte, denn sobald Karo auf seine Fähigkeiten zurückgriff, erschien ein flammender Schweif, der an dem Zacken am Ende seiner Wirbelsäule begann. Auch seine Klauen konnten Feuer fangen und das war ein Problem für Luca, denn diese waren so heiß, dass sie seine Messer schmelzen konnten oder die Drähte, an denen sie befestigt waren. Gerade hatte Luca es geschafft mehrere dieser Drähte um den Hals von Karo zu wickeln, da schmolzen sie ihm einfach weg. Karo verpasste Luca einen Hieb, dem er nicht komplett ausweichen konnte und so streiften ihn die Klauen, die höllisch heiß waren und brannten sich tief in ihn hinein. Zumindest blutete die Wunde so nicht. Luca knickte unmerklich ein, aber das nutzte sein Widersacher um ihn mit den Hörnern auf dem Kopf aufzuspießen und gegen den nächsten Stein zu schleudern. Die Chimäre in Luca schrie ein weiteres Mal auf, lauter als zuvor, aber abermals unterdrückte er sie. Dadurch konnte er aber auch seine Wunden nicht heilen. Karo stand nun vor ihm und fletschte belustigt die Zähne. „Wie langweilig du doch bist. Ich glaube ich kümmere mich erst einmal wieder mit um Pik. Du haust in diesem Zustand sowieso nicht mehr ab.“ Dann brüllte ihn Karo einschüchternd an und schloss sich den anderen an. Luca blieb im Moment nichts weiter übrig, als zuzusehen, was ihn sehr ärgerte. Pik gab sein bestes, doch er musste wohl einsehen, dass er keine Chance gegen die Drei hatte. Sie waren gut abgestimmt, mussten sich wohl telepathisch miteinander unterhalten. So war es nicht verwunderlich, dass er schon einige tiefe Wunden davongetragen hatte. Aber ans Aufgeben war nicht zu denken. Zumal er auch Herz bereits einmal erwischt und ihr eine gehörige Furche verpasst hatte und auch Kreuz hatte zumindest eine kleine Schramme davongetragen. Nun schloss sich aber Karo wieder an und das machte alles noch schwieriger. Gerade spürte Pik wie sich unter sich die Erde zu rühren begann. Dann stieß wie aus dem Nichts ein spitzer Felsen hervor. Pik gelang es daran abzuspringen, um sich vor weiteren Schaden zu bewahren, aber in der Luft wartete bereits Herz. Als sie ihre Klauen in ihn grub, ließ er einen großen Schwall Elektrizität frei, welche sich sofort auf Herz übertrug und sie mit schmerzverzerrter Miene von ihm abließ. An der Stelle, wo er landen wollte, wartete aber bereits ihr Bruder mit grimmiger Miene. Eine Stichflamme schoss Pik entgegen und auch wenn er sich noch von ihr wegdrehen konnte, so landete er so dicht bei Karo, dass dieser ihm mit einem Prankenhieb die Seite zerfetzte. Pik knurrte, um den Schmerz zu überspielen, aber das gelang ihm nur so halb. Er musste in Bewegung bleiben, sonst hätten sie ihn, also versuchte er sofort den nächsten Angriff zu starten, als ihn eine Woge des Schmerzes durchzog. „Nein! Noch nicht!“, rief er innerlich verzweifelt aus. Das Serum würde bald abklingen und dann war es aus mit ihm. Eine Tatsache, die sich nicht leugnen ließ. Dieser Moment hatte ihn jedoch zögern lassen. Da stand Kreuz über ihm und packte ihn am Genick, wirbelte ihn erst nach oben und schlug ihn dann so kräftig wie möglich auf die raue, harte Erde. Dann hob er Pik wieder an und schleuderte ihn seitwärts gegen einen Felsen. Pik sackte zusammen und Blut tropfte aus seinem Maul. Angestrengt versuchte er wieder zu Atem zu kommen, aber sein Körper wollte nicht so recht wie er. Alles drehte sich um ihn. Irgendwie gelang es ihm wieder aufzustehen und schemenhaft nahm er einen seiner Gegner wahr. Er schleuderte ihm einen Stromstoß entgegen, der aber absolut am Ziel vorbeiging. Karo hatte nicht einmal ausweichen müssen. „Tja Pik, das ist nun mal der Preis für Verrat und Selbstüberschätzung. Welch ein Narr du doch bist.“, tönte es in seinem Kopf und er erkannte, dass Kreuz es war, der zu ihm sprach. „Du bist hier doch der Verräter.“, gab er zornig zurück. „Mag sein, aber ich muss dafür nicht sterben!“, lachte Kreuz sadistisch auf. Die Drei umkreisten Pik langsam wie hungrige Haie. Gleich würden sie sich auf ihn stürzen und ihn dann langsam zerreißen, dass wusste Luca und das konnte er nicht zulassen. Wenn er nach Lua jetzt auch noch seinen besten Freund verlor… nein, daran durfte er gar nicht erst denken. Immerhin war Pik die zweite große Stütze in seinem Leben gewesen. Luca bezweifelte ein wenig, ob er das verkraften würde. Da er seine Wunden noch immer nicht heilen ließ, war es für ihn echt ein Krampfakt aufzustehen, aber schließlich gelang es ihm. Er warf sie zwischen Pik und die anderen und hob das letzte Messer an, was ihm noch geblieben war. „Du kannst aufstehen?“, hallte es verwundert und zugleich amüsiert in seinem Kopf wieder. „Bemerkenswert für einen Menschen.“, lachte Karo, „Aber das wird dir nichts nützen. Wir werden euch jetzt beide zerreißen. Seht euch doch an. Ihr seid am Ende. Jämmerlich schwache Menschen. Hättest du mal das Serum nicht so verschwendet, dann hättest du vielleicht heute noch eine nehmen können. Es sei denn, du willst sie nehmen und stirbt sowieso.“ Luca ging dieser Großkotz nun tierisch auf die Nerven. Die Instinkte der Chimäre fingen langsam an in ihm die Oberhand zu gewinnen und dieses Mal ließ er sie gewähren. Für seinen besten Freund würde er in Kauf nehmen, dass Lucius von seinem Geheimnis erfuhr. Luca ließ das Messer zu Boden fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr wollt uns zerreißen? Ihr könnt es ja gern versuchen, aber ich warne euch. Das werde ich sicher nicht einfach zulassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einen von euch mitnehmen werde.“, meinte er laut und deutlich, sodass sie es nicht überhören konnten. Wie erwartete provozierte das die Drei gehörig. „Du wagst es?!“, schrie Karo und knurrte ihn lauthals an, „Dann zeig mir doch mal, wie du das fertig bringen willst!“ Dann sprang er nach vorn und schleuderte Luca hinter eine Felsformation, die daraufhin nachgab und Luca unter sich begrub. „Tse, was für ein Idiot.“, brummte Karo noch immer gereizt und umkreiste Pik wieder mit den anderen beiden. Da kicherte Pik erschöpft. „Was ist denn so komisch? Ich hab grad deinen besten Freund getötet und du lachst?“, fragte Karo gereizt. „Vielleicht hat er ja den Verstand verloren.“, meinte Herz mit biestiger Zunge. „Hey, kann es sein, dass das deine letzte Spritze war, mein Lieber?“, schaltete sich nun Kreuz ein. Pik schwieg, doch sie kannten die Antwort bereits. „Was für ein Narr du doch bist. Hätte ich nicht für möglich gehalten.“, knurrte Kreuz genervt. Mit so jemand war er also mal befreundet gewesen. Das war inakzeptabel. „Mag sein, dass ich ein Narr bin, aber ihr seid es auch. Karo, ich hab gerade gelacht, weil du gerade einen ziemlichen dummen Fehler begangen hast. Aber seht zu, wie ihr damit fertig werdet.“ Pik trugen seine Beine nicht mehr und er knickte ein. Um ihn war es geschehen, aber er spürte, wie Luca brodelte. Er kannte Luca gut und es war ihm nicht entgangen, wie sehr die Chimäre in ihm schrie. Nun hatten die Drei ein Problem. Kapitel 33: Showdown -------------------- „Jetzt ist aber gut!“, keifte Karo Pik an und sprintete auf ihn zu. Er hatte Pik auch schon fast erreicht, als mehrere Dinge gleichzeitig geschahen. Erst ertönte ein lauter Knall, dann fegte ein heftiger Luftzug durch ihre Reihe hindurch und dann schrie Karo entsetzt aus, als ihn etwas an der Kehle packte und nach hinten warf, als wäre er ein Stofftier. Die riesige schwarze Chimäre warf ihn umher und schleuderte ihn gegen den nächsten Felsen, wo Karo benommen liegen blieb. Die anderen beiden erstarrten. Luca war noch größer, als es Kreuz war, aber trotzdem schlanker und daher sowohl schneller, als auch wendiger. Das war er nicht immer gewesen, aber seitdem er vollends zur Chimäre geworden war, hatte sich seine Gestalt als solche auch verändert. Schützend stand Luca vor Pik und visierte Herz und Kreuz an. „Was für ein Narr, jetzt hast du auch noch die letzte Spritze genommen oder was?“, meinte Kreuz genervt. Zugegeben, Luca beeindruckte ihn, aber da er jetzt sein Todesurteil unterschrieben hatte, war er nichts weiter als ein ebenso erbärmlicher Narr, wie Pik es war. Pik lachte derweil erneut auf. „Find es doch heraus.“ „Was meinst du damit?“, fragte Kreuz verwirrt. Da stand Luca plötzlich vor ihm und riss ihn mit seinen Pranken um. Kreuz taumelte ein Stück zurück. Als Luca nachsetzen wollte, ging Herz jedoch dazwischen. „Kreuz, sei vorsichtig. Er ist nicht so wie wir!“, ermahnte sie ihn. „Was meinst du denn damit?“, fragte Karo noch immer benommen, als er sich wieder aufrappelte. Luca fletschte die Zähne, als würde er grinsen. „Wie war das mit den 2 Prozent?“, stellte er diese Frage in den Raum. Er hatte es also geschafft und sie ziemlich geschickt aus dem Konzept gebracht. Doch lange würde sie das nun auch nicht beeindrucken. Also ging er zum Angriff über. „So nicht!“, rief Herz und erschien hinter ihm. Sie war schnell und schien in der Luft zu schweben, aber er war schneller. Luca sprang noch höher, als sie es war, wirbelte herum und stemmte sich auf ihren Rücken. Er packte ihren Nacken und ließ sie zu Boden knallen. Erstickt stöhnte sie auf. „Du hast auch eine Luftaffinität.“ Sie klang geschockt darüber, denn normalerweise überbot sie niemand in punkto Schnelligkeit. Lediglich Pik hatte bisher mit ihr mithalten können. „Geh von meiner Schwester runter!“, knurrte Karo unterdessen und stürmte auf Luca zu. Dieser wich jedoch noch rechtzeitig aus und landete ein Stück weiter hinten. Karo knurrte ihn an und half seiner Schwester wieder hoch. „Vergisst du da gerade nicht etwas?“, stichelte es plötzlich. Luca drehte sich um und sah, wie Kreuz über Pik stand, welcher nur noch halb bei Bewusstsein zu sein schien. Sah nicht gut aus. Obwohl es ihm nicht gefiel, dass er genau das tat, was Kreuz von ihm wollte, so blieb ihm doch nichts anderes übrig, als einzugreifen. „Lass ihn los.“, knurrte Luca und baute sich vor Kreuz auf, „Du warst es also, der Pik verraten hat.“, stellte er nun fest. Luca bemerkte es nicht, aber allmählich gewann der Zorn in ihm die Oberhand. Der Exile hatte wohl recht gehabt, er war schon längst mehr Chimäre als noch Mensch. Einerseits machte ihn das um einiges stärker, andererseits war das aber auch gefährlich. „Pik hat es doch darauf angelegt.“, meinte Kreuz nun gelangweilt, „Er hat mich enttäuscht und Leute, die mich enttäuschen, müssen dafür nun mal bestraft werden.“ Luca knurrte erneut. „Nun gut, dann werde ich für ihn zu Ende bringen, was er begonnen hat.“ Er wich dem nächsten Angriff von Herz aus und packte gleichzeitig ihren Bruder am Nacken, warf ihn ihr entgegen, sodass die beiden in einer Felsformation landeten. Dann schickte er eine unmissverständliche Warnung: „Haltet euch aus dem Kampf raus oder ihr werdet sein Schicksal teilen. Ich habe nur vor den Verräter zu töten!“ Luca konnte sehr überzeugend sein, nicht nur in menschlicher Gestalt. Karo wollte wieder aufstehen, doch seine Schwester war klüger und hielt ihn zurück. „Hör auf, das Serum wird eh nicht mehr lange halten. Dann sind wir aufgeschmissen.“ „Ihr wollt mich also auch verraten?“, grollte Kreuz, der sah, dass die beiden sich offenbar dazu entschlossen, nicht mehr zu kämpfen. Ihm war zwar bewusst, dass Herz Recht hatte, dass das Serum schon sehr bald seine Wirkung verlieren würde, aber noch hatte er Zeit und die würde er nutzen. „Es ist mir völlig egal, was du bist. Ich werde dich zerquetschen.“, drohte er Luca, ließ Pik zu Boden knallen und sprang dann auf ihn zu. Beide Chimären stellten sich auf ihre Hinterpfoten und versuchten sich mit ihren Pranken zu erwischen. Da spürte Luca, wie von hinten ein Felsen auf ihn zugeschossen kam. Erst tat er so, als würde er es nicht bemerken, doch dann sprang er im letzten Moment in die Luft, das Kreuz seinem eigenen Angriff ausweichen musste. Luca drehte sich in der Luft, stieß sich von einem Felsen ab und kam nun direkt auf Kreuz zu. Mit diesem Angriff riss er ihn zu Boden. Kreuz versuchte aufzustehen, aber Luca umgriff ihn so, dass ihm das nicht gelang. In jenem Moment fand er es Schade, dass sein Gift bei Chimären nicht wirkte. Stattdessen packte Luca abermals das Genick von Kreuz und verstärkte ganz allmählich den Druck. „Na, was meinst du. Wie lange hält dein Genick das durch, ohne zu brechen?“; fragte Luca ihn. „Finds doch heraus.“, meinte Kreuz unbekümmert. Sofort schnellte Luca zurück, als es so hart wurde wie Stein. Er wollte ja nicht gerade, dass seine Zähne dabei draufgingen. Kreuz schien komplett zu Stein zu werden, sodass Luca nichts anderes übrig blieb, auch seine Krallen aus ihm heraus zu ziehen. Da wirbelte Kreuz herum und kam frei. Luca aber war nicht weiter beeindruckt, denn im selben Moment zuckte Kreuz von ganz allein zusammen. „Na, lässt das Serum nach?“, fragte Luca amüsiert. Kreuz keuchte und richtete sich wieder auf. „Noch bin ich nicht am Ende.“ Luca brummte: „Sieh´s ein, du hast verloren.“ Ein letztes Mal sprintete er auf Kreuz zu und riss ihn in die Luft, obwohl er jetzt um ein vielfaches schwerer war. „Das ist für Yari!“, grollte Luca tief in das Bewusstsein von Kreuz hinein. Er rammte ihm seine Hörner unter das Kinn und hob ihn so auf seine Hinterpfoten, dann setzte er einen blitzschnellen Hieb seiner Klauen nach und erwischte Kreuz der Länge nach am Bauch, den er unvorsichtiger Weise nicht zu Stein hatte werden lassen. Kreuz schrie vor Schmerz auf und kippte dann nach hinten um. Doch es hatte ihn nicht umgebracht. Luca stand über ihm und sah zu, wie die Chimäre zu schrumpfen schien, nur um wieder zu der Gestalt zu werden, die sie eigentlich war. Luca´s eisblaue Augen brannten sich tief in Kreuz Verstand ein. Er blutete furchtbar und rang nach Luft. Neben den üblichen Nebenwirkungen war er zusätzlich schwer verwundet und nun war es Kreuz, der um sein Leben rang. Luca setzte ihm eine Pfote auf den Brustkorb. „Hältst du es nicht für angebracht, dich für das zu entschuldigen, was du Pik angetan hast? Und vor allem, was du Yari angetan hast.“, meinte Luca. „Pah.“, stöhnte dieser und Blut floss ihm dabei aus dem Mund, „Darauf kannst du lange warten.“ Dann zuckte er zusammen, weil Luca seinen Druck auf den Brustkorb verstärkte. „Tse.“, grollte Luca genervt, „Ich habe gelesen, dass du Yari nicht einfach erschossen, sondern regelrecht zu Tode hast bluten lassen. Ich will gar nicht daran denken, was das für Schmerzen für sie gewesen sein müssen. Daher bin ich der Meinung, dass du aus erster Hand erleben solltest, wie sich das anfühlt, langsam und qualvoll zu sterben.“ Jetzt da Kreuz wieder ein Mensch war, wirkte auch Luca´s Gift wieder. Vor seinen Augen injizierte ihm Luca ein Gift, welches bewirken würde, dass Kreuz langsam und qualvoll sterben würde. Seine Zellen würden ganz langsam absterben, unwiderruflich. Luca rechnete damit, dass er dies in seinem jetzigen Zustand wohl noch zwei Stunden überleben würde. Das fand er angemessen als Bestrafung. Kreuz begann sich bereits vor Schmerz zu winden, da ließ Luca von ihm ab und ging zu Pik hinüber. Dieser lag reglos am Boden und atmete kaum noch. Aus dem Schatten sah er, wie Herz, während sie Karo abstützte, hervorkam. Auch die beiden waren wieder in menschlicher Gestalt. „Ich danke dir, dass du unsere Leben verschont hast. Auch für meinen Bruder, wenngleich er es nicht zugeben wird. Wir stehen tief in deiner Schuld, daher hoffen wir, dass du es annimmst, wenn wir versprechen, dass wir Lucius nichts davon erzählen, was du bist. Wir werden berichten, dass Pik Kreuz hingerichtet hat und dann leblos zusammenbrach, weshalb wir den Rückzug angetreten haben. Dich haben wir ebenfalls bewusstlos liegen lassen, weil wir dachten, dass du tot bist.“, erklärte Herz erschöpft. Auch ihr Körper war jetzt, da die Nebenwirkungen einsetzen, am Ende. Trotzdem schien es ihr noch besser zu gehen, als ihrem Bruder. Luca blickte sie kurz an und nickte als Zustimmung. „Es tut mir Leid um Pik. Wir haben nur Befehle ausgeführt, aber wir beide haben nie gewollt, dass er derart verraten wird.“, und das war auch die Wahrheit. Damit zogen die beiden von dannen. Nun waren sie also allein. Luca war tief betrübt. Er wollte Pik nicht verlieren. Seit so vielen Jahren waren sie gute Freunde gewesen und nun lag er da, reglos, halbtot. Luca wusste, dass er es nie geschafft hätte, wenn Seraphis nicht gewesen wäre und es war töricht zu glauben, dass sich ein solches Wunder wiederholen könnte. Sicher, es bestand immer noch die Möglichkeit, dass Pik es von allein überlebte, aber so verletzt wie er war, glaubte Luca das nicht. „Pik… wenn du mich noch hören kannst, ich habe Yari für dich gerächt. Kreuz wird sterben. Dein Opfer war also nicht umsonst.“, schickte er seine Gedanken an Pik, auch wenn er nicht wusste, ob er noch weit genug bei Bewusstsein war, um ihn verstehen zu können. Die Zeit schien still zu stehen, während Luca einfach nur bei Pik saß und ihm dabei zusehen musste, wie dieser starb, als es plötzlich spürbar kälter wurde. Luca schaute auf und erblickte die eingehüllte Gestalt, die offenbar im Ödland ziellos umherstreifte. Das einbandagierte Mädchen blieb vor den beiden stehen und sagte eine ganze Weile nichts. „Ich… erkenne ihn.“, flüsterte sie auf einmal. Luca war verwundert. „Was meinst du damit?“, fragte er sie. Da hob sie die Hände und zog sich die Kapuze aus dem Gesicht. Luca blickte sie sprachlos an. „Yari? Aber wie…“ Dieses Mädchen, was aussah wie ein Geist, war also sie. Wenn Pik das nur sehen könnte. „Du bist es, Luca, oder?“, fragte sie und wirkte dabei hilflos, wie ein verlorenes Kind. „Mein Kopf ist so wirr und meine Erinnerungen sind nur vage.“, dann drehte sie sich um und erblickte den am Boden liegenden Kreuz. Sein Gesicht war schmerzverzogen, weil das Gift sich unaufhaltsam durch ihn fraß. „Und dort ist Kreuz… er hat Pik verraten… er hat mich… umgebracht.“ Es war mehr, als würde sie laut denken. Luca versuchte so behutsam wie möglich mit ihr zusprechen, denn offenbar war sie in einem äußerst fragilem Zustand. „Yari, wieso bist du hier? Oder besser gesagt, wie kannst du leben?“ Plötzlich schien ihr Verstand für einen Moment völlig klar zu sein und in ihren Augen stand die pure Schuld. „Oh nein. Es ist meine Schuld, nicht wahr? Wegen mir stirbt er.“ Da fiel sie vor Pik auf die Knie und legte ihm eine Hand auf den Kopf. „Luca, ich habe eine Dummheit begangen.“ „Was denn für eine Dummheit?“ Luca verstand einfach nicht, was hier gerade abging. „Immer wieder versuche ich meine Kunden zu warnen, dass ihre Wünsche Konsequenzen mit sich tragen, die schlimmer sein könnten, als das, was sie zu beheben versuchen. Aber die Menschen sind oft blind.“, ertönte es plötzlich neben Yari und auf einmal stand sie dort, Joker. Sie sah die Verwirrung auf Luca´s Gesicht, also erklärte sie es ihm. „Wenn ich gerufen werde, dann ist es meine Pflicht bei demjenigen zu erscheinen und mir sein Anliegen anzuhören. Tja und ich wurde gerufen.“ Yari schien sich gefangen zu haben und erzählte weiter: „Weißt du, ich hatte durch Zufall bei Pik diese Karte liegen sehen und hatte sie dann ausversehen mitgenommen, weil sie zwischen ein paar meiner Unterlagen geraten war. Ich recherchierte ein wenig über sie und fand daher die Existenz von Joker heraus. Als ich dann auf der Flucht war, dachte ich, dass sie mich irgendwie retten könnte, also habe ich sie gerufen. Aber ich war so dumm. Sie hat mich gewarnt, aber ich wollte ja nicht hören.“ „Was genau habt ihr denn vereinbart?“, fragte Luca ruhig. Langsam ergab das für ihn alles einen Sinn. „Yari lag bereits im Sterben als ich ankam. Sie wollte aber unbedingt, dass Pik die Wahrheit erfährt, über das war geschehen war. Ich wusste, dass das keine so gute Idee war, doch sie bestand darauf.“ „Deswegen sollte er also die Akte holen.“, meinte Luca zustimmend, „Aber das erklärt noch nicht, wieso Yari dann hier ist.“ Jetzt war sie es, die den Rest erklärte: „Weißt du, Hexen erfüllen „Wünsche“, aber es ist ihre Pflicht dafür einen Preis zu verlangen, der angemessen für die Konsequenzen sein werden, die wir nicht ahnen, wenn wir unsere Wünsche aussprechen. Man könnte es auch als Strafe betrachten und je unvorsichtiger der Wunsch, desto größer die Strafe. Die meine war, dass ich gefangen wurde. Im Moment bin ich weder tot, noch lebendig. Ich schwebe in einer Art Zwischenwelt. Man fühlt sich dort hin und her gerissen und das lässt einen wohl auch den Verstand verlieren…“ „Verstehe.“, war alles, was Luca darauf erwidern konnte. Es klang alles so unwirklich, aber er hatte ja den Beweis gerade vor sich sitzen. „Joker, könnte ich dann auch einen Wunsch an dich richten?“, fragte er nach einiger Zeit. „Du weißt, dass du das nicht tun solltest. Und obwohl du gerade siehst, was der Preis sein kann, willst du mich wirklich darum bitten, nicht wahr?“, seufzte Joker. Sie wusste, dass er nicht zurücktreten würde und sie wusste bereits, was das für ihn bedeuten würde. Kapitel 34: Graveyard --------------------- „Aber ich muss dich enttäuschen. Ich kann Pik nicht retten.“, sagte sie kühl und handelte sich sowohl von Yari, als auch von Luca geschockte Blicke ein. „Was? Aber warum nicht?“, fragte Luca aufgebracht und da fiel Joker das erste Mal so richtig auf, welch riesiger Abgrund in der Seele dieser Person ruhte. Er war quasi eine tickende Zeitbombe und sie spielte hier neben ihm mit Feuer. Nach einem Moment antwortete sie: „Sein Tod ist die letzte Konsequenz ihres Wunsches. Ich kann Konsequenzen nicht ändern.“ Eigentlich war es ihr ja auch egal. Hexen empfanden ohnehin kein Mitleid. Dazu waren sie gar nicht fähig. Weiterhin beobachtete sie Luca eingehend. Seine Miene wurde immer finsterer und Joker sah, wie der Abgrund von eben noch dunkler wurde. Die Verzweiflung und scheinbar auch die Angst vor dem alleingelassen werden waren ihm ins Gesicht geschrieben. Sie ahnte, dass diese Lua, die sie vorher hatte suchen müssen, auch nur für ihn gewesen war. Jetzt war ihr Interesse geweckt. Er barg ein riesiges Potential für sie. Denn was natürlich niemand wusste, war die andere Seite der Hexen, die an ganz anderen Dingen interessiert war… Nun wandelte sich jedoch die Angst ihres Gegenübers in eine neue Empfindung. Zorn. Luca war es leid, dass konnte sie klar und deutlich erkennen. Egal was er auch versuchte, ständig scheiterte er. Er konnte niemandem helfen, niemanden retten. Vielleicht verließen ihn ja deswegen alle, die ihm etwas bedeuteten. Ja, er war es leid. Sein Leben lang hatte er immer versucht, das Richtige zu tun. Wollte ein guter Mensch sein, aber selbst das hatte er ja nicht mal ansatzweise geschafft. Erst war er ein Assassine geworden und mittlerweile war er nicht mal mehr ein Mensch. Vor seinem inneren Auge tauchten Szenen aus seiner Kindheit auf, die er eigentlich längst begraben glaubte. … Er sah sich wieder in diesem Hundezwinger eingepfercht und hörte die höhnischen Worte seines Peinigers: „Du bist nur ein Köter. Eine wertlose Kreatur. Sieh es ein, Kleiner, dein Schicksal war es nie, dass du ein glückliches Leben würdest führen dürfen… Oh? Wieder dieser kalte Blick, huh? Lass mich dir eines sagen. Willst du wissen, warum ich dir all das antue? Weil ich es liebe, wenn meine Opfer voller Finsternis sind, wenn ich sie fresse. Und du mein Lieber wirst ein wahres Festmahl sein.“ Damals hatte Luca das einzige Mal wirklich mit dem Exile gesprochen, der ihn mit Freuden besuchte. „Wieso tust du das? Du musst doch mal ein Mensch gewesen sein… Deine Menschlichkeit muss doch noch irgendwo sein?“ Da hatte der Exile gelacht. „Ach Kleiner, du glaubst noch an Menschlichkeit nachdem deine Eltern dich an mich verkauft haben und das für ein bisschen Geld und Macht? Du glaubst noch an Menschlichkeit, obwohl sie dich in ihrem eigenen Hundezwinger einsperren, wo doch über dir diese riesige Villa ist? Glaubst du auch noch an Menschlichkeit, wenn ich dir verrate, dass du nur deswegen geboren wurdest, um als das zu enden, was du sein wirst? Eine Mahlzeit!“ Da schwieg der Exile und starrte belustigt zu dem kleinen Jungen im Käfig, der ihn hasserfüllt anstarrte, während sich diese Worte bis in sein Unterbewusstsein fraßen. … „Wenn du meine Meinung zum Thema Menschlichkeit wissen willst, Kleiner: Menschlichkeit ist unnötig und überbewertet. Ich lebe lange genug, dass ich dir eine Sache bestätigen kann. All diese Gutmenschen, die immer alles richtig machen wollen… die leiden am meisten und sterben als erstes…“ Während er Yari leise schluchzen hörte, drohte Luca von seinen Gedanken verschlungen zu werden. Er hatte Lua verloren. Jetzt war auch Pik verloren. Blieben also noch die Zwillinge und Tiara. Sieh es ein, hörte er eine Stimme aus seinem Unterbewusstsein flüstern, die verdächtig wie der Exile von damals klang. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du auch diese Menschen verlieren wirst. Wäre neulich ja auch schon fast geschehen, erinnerst du dich? Erinnerungen vom Tiergarten kamen hoch. Am einfachsten wäre es ja, wenn du dich einfach von ihnen lossagen würdest, dann würde dich das auch alles nicht mehr quälen können. Luca seufzte laut aus und starrte direkt in die grauen Augen von Joker. „Wenn du Pik nicht retten kannst… Dann habe ich einen anderen Wunsch.“ Joker hob fragend eine Augenbraue und war gespannt, was denn jetzt kommen sollte. „Ich will Macht. Ich will genug Macht, damit ich Lucius und seine ganze verrottete Organisation zerschmettern kann. Und wenn ich einmal dabei bin, dann kümmere ich mich auch gleich noch um diese dämlichen Hunter.“ Luca meinte es todernst. Noch nie im Leben hatte er wirklich Macht gewollt, doch jetzt schon. Jetzt war er an einen Punkt gelangt, an dem er es leid war, zu verlieren. Joker hingegen verzog keine Miene. „Aha. Praktisch willst du alles zerstören, was dir in Vergangenheit mal geschadet hat. Ich nehme an, du machst die Hunter verantwortlich dafür, dass deine Lua verschwunden ist, was? Und Lucius ist natürlich für Piks Misere verantwortlich. Aber du verlangst viel. Das wird dich viel kosten.“ „Tu es nicht, Luca!“, brachte sich Yari nun aufgebracht ein, „Du machst einen gewaltigen Fehler, wenn du dich darauf einlässt. Sieh mich doch nur an.“ „Ist mir egal.“, gab Luca schlicht zurück, „Ich bin bereit alles zu zahlen, solange ich bekomme, was ich will.“ Yari schüttelte nur ungläubig den Kopf, als ein heller Schimmer von ihr ausging. „Ah, es ist wohl Zeit.“, stellte Joker fest, „Pik hat aufgehört zu atmen… Die Konsequenzen sind vollendet. Yari, jetzt darfst du endlich gehen.“, bemerkte Joker recht lieblos, woraufhin Yari ein letztes Mal über Pik strich, während ihr ein Bach aus Tränen über die Wangen lief. „Ich verstehe… Dann lass mich nur noch eine Sache sagen, bevor ich verschwinde. Luca, Ich habe Pik wirklich geliebt und ich werde mir nie verzeihen können, dass er wegen mir sterben musste. Ich kann dich natürlich nicht daran hindern, einen Vertrag mit Joker abzuschließen, aber ich warne dich: Früher oder später holt es dich ein. Und du wirst es unendlich bereuen. Du warst mein Mentor und stets ein guter Freund für mich… ich will nicht, dass dir dasselbe widerfährt, wie mir.“ Mit diesen Worten löste sich Yari auf und verschwand in die klare Nachtluft. Luca blickte ihr mit traurigem, aber auch leerem Blick nach. Nach einer Weile senkte er den Blick zu Pik und begann lieblos zu lachen. „Sag Joker, glaubst du eigentlich an Schicksal?“, fragte er sie leise. „Natürlich. Es ist nur nicht immer so in Stein gemeißelt, wie alle glauben.“, verkündete Joker gelassen. „Ich für meinen Teil glaube ja, dass mich irgendjemand schon bei meiner Geburt verflucht haben muss. Anders kann ich mir dieses beschissene Leben nicht mehr erklären.“, sagte Luca und verwandelte sich wieder in menschliche Gestalt. „Ich will einen Vertrag mit dir. Noch heute.“ Jetzt setzte sich Joker in Bewegung und kam auf Luca zu. Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, blieb sie stehen und beäugte ihn eingehend. „Ich hoffe dir ist bewusst, dass es kein Zurück gibt, sobald der Vertrag besteht.“ „Ist mir schon klar.“ „Gut. Dann sage ich dir jetzt, welchen Preis du für die Macht bezahlen musst.“ Joker kam Luca nun noch näher und flüsterte ihm ins Ohr: „Deine Menschlichkeit wird es sein. Je mehr du davon aufgibst, desto mächtiger wirst du werden, das garantiere ich. Ist es dir das wirklich wert? Immerhin sollte dir bewusst sein, dass es bedeutet, dass Alles, was dir jetzt wichtig ist schon sehr bald egal sein wird. Und sind die Zuneigung, Mitgefühl und Liebe erst einmal verschwunden, werden nur noch Gier, Hass und Triebe übrig bleiben.“ Dieses Mal lachte Luca ziemlich laut, denn diese Ironie war geradezu unerträglich. Joker schwieg und wartete auf seine Antwort. „Wenn du mich fragst“, begann er letztlich, „Dann ist Menschlichkeit doch ziemlich unnötig und überbewertet, nicht wahr?“ Joker begann zu lächeln. Dieser Mann versprach vielversprechend zu werden. Das hatte sich schon lange nicht erlebt und sie freute sich diebisch darüber. Eigentlich hatte sie ähnliches ja von Pik gehofft, aber der hatte letztlich nie den Fehler gemacht, ihr zu Vertrauen. Und so legte sie ihre Arme um Luca und schaute ihm in die Augen. „Dann ist es abgemacht. Du sollst die Macht bekommen, die du dir so sehr wünschst.“ Sie legte eine Hand auf seine Wange und überbrückte die letzten Zentimeter. Als sie ihre Lippen auf seine presste, wurde der Vertrag besiegelt. Als sie sich wieder von ihm löste, blickte er sie etwas unschlüssig an. Er fühlte sich nicht anders als vorher. „Der Vertrag gilt.“, sagte sie nun, „Aber es wird etwas dauern, bis du die Effekte spüren kannst. Aber so viel sei verraten: Deine zweite Affinität wird sicherlich sehr praktisch werden. Nun denn… Man sieht sich. Ich freue mich schon.“ Grinsend verschwand sie im Nichts, unaufspürbar und Luca blieb allein zurück. Er war etwas verwirrt. Was denn für eine zweite Affinität? Letztlich beschloss er jedoch, einfach geduldig zu sein, bis er es herausfand. Für heute hatte er genug und beschloss zu Kyria und den anderen zurückzukehren. Er war sich noch nicht sicher, was er in Zukunft tun würde. Die Suche nach Lua konnte er sich ja offenbar sparen, aber die Rachepläne würde er auf jeden Fall weiterverfolgen. Doch dafür musste er sich erstmal ordnen und Pläne schmieden. Ein letztes Mal blickte er zu seinem besten Freund herab, der leblos dalag und erstaunlich friedlich wirkte. Weiter entfernt lag noch immer Kreuz, der sich vor Schmerzen hin und her wandte und von seiner Umgebung kaum etwas mitbekam. „Lebe wohl, Pik.“, flüsterte Luca betrübt und schnappte sich die beiden Sensen, die neben Pik lagen. Mit Wucht rammte er die beiden in den harten Boden, sodass sie eine Art Kreuz bildeten. Mehr konnte er für seinen besten Freund nicht mehr tun. Ein richtiges Begräbnis war in dieser Zeit einfach nicht möglich. Ein letztes Mal kniete sich Luca zu Pik herab und legte eine Hand auf die Flanke, die noch immer warm war. Ein paar Minuten verharrte er so schweigend, doch dann erhob sich Luca und verließ das Ödland. Kapitel 35: siebter Sinn ------------------------ „Und warum sind wir jetzt nochmal hier?“, fragte Vale etwas missmutig, während ich weiter voran stürmte. „Ich sagte doch, dass es so ein Gefühl ist und ich es nicht erklären kann.“, gab ich ungeduldig zurück. „Wäre aber schon nett, wenn das etwas genauer ginge. Immerhin schleppst du mich gerade mitten in der Nacht ins Ödland.“ Vale folgte mir langsamer als es mir lieb war und mir war bewusst, dass ich ihn gerade etwas zu sehr damit auf die Nerven ging. Doch ich konnte dieses Gefühl wirklich nicht erklären. Irgendetwas war vorgefallen und ich musste unbedingt sehen was es war. Endlich erreichten wir den Ort, der mich so magisch anzog. Es war das reinste Schlachtfeld. Überall waren Flecken getrockneten Blutes und diverse Krater zierten das Feld. „Hm… muss wohl ein Kampf stattgefunden haben.“, bemerkte Vale unbeteiligt, als er mich endlich eingeholt hatte. „Naja kann noch nicht so lange her sein.“ Ich stimmte ihm zu. Ich sah nicht weit von uns eine Gestalt am Boden liegen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie gen Himmel und sah so aus, als wäre sie unter grausamen Schmerzen gestorben. Der ganze Oberkörper war aufgeschlitzt und eine riesige Blutlache war um die Leiche. Es war nicht so, dass ich Mitleid mit dem Menschen hatte, aber doch fiel mir auf, mit welchem Zorn er umgebracht worden war. „Hier liegt noch einer.“, verkündete Vale in einiger Entfernung und ich erhob mich. „Oh man. Ich wusste ja, dass die die Chimärenforschung weit gebracht haben… aber das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Vale betrachtete sich die tote Chimäre am Boden. „Wieso ist er tot? So schwer verletzt sieht er gar nicht aus.“, fragte ich mich. „Genau weiß ich das jetzt auch nicht, aber ich hörte, dass es daran liegt, dass man es noch nicht perfektionieren konnte. Die Menschen sterben wohl, wenn sie das Serum zu oft benutzen. Ist dem hier wohl auch passiert, nehme ich mal an.“ Warum machte mich der Anblick dieser Chimäre eigentlich so unsagbar traurig? Ich bemerkte erst, dass ich weinte, als die ersten Tränen zu Boden fielen. „Was ist denn los?“, fragte mich Vale besorgt, als auch er es bemerkte. „Ich… ich weiß es nicht.“, gab ich zu verstehen, „Aber irgendwie habe ich einfach das Gefühl, dass ich diese Person kenne. Oder besser gesagt: kannte. Und jetzt da ich sie tot vor mir sehe, bricht es mir das Herz. Ich weiß… klingt dämlich, wenn ich doch nicht mal weiß, wer das eigentlich ist.“ Da schlang Vale einen Arm um mich und zog mich näher an sich heran, um mich zu trösten. „Das ist nicht dämlich. Vielmehr zeigt es doch nur, dass deine Erinnerungen doch nicht komplett verschwunden sein können. Es tut mir Leid, dass es dich so betrübt.“ Nun ging ich auf die Knie und streichelte über das weiche Fell der Chimäre, die irgendwie an einen Karakal erinnerte. Die goldenen Augen waren nur halbgeschlossen, hatten jedoch all ihren Glanz verloren. In unmittelbarer Nähe erblickte ich zwei Sensen, die wohl zu ihm gehörten. Jemand hatte sie als eine Art Kreuz für ihn hergerichtet, fiel mir auf. Und da wusste ich plötzlich was zu tun war. Ich zog meinen linken Ärmel in einer schnellen Bewegung nach oben und schnitt mir über mein Handgelenk. Sofort kamen einige schimmernde Blutstropfen zum Vorschein. „Was hast du denn vor?“, fragte mich Vale skeptisch, aber machte auch keine Anstalten, mich davon abzuhalten. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich etwas tun muss.“, versuchte ich mich zu erklären, „Ich spüre diese komische Verbindung zwischen uns. Die Chimären stammen doch von mir ab, nicht wahr? Vielleicht ist es ja mit mir dasselbe Phänomen, was Seraphis mit allen Exile hat.“ „Kann schon sein.“, antwortete Vale noch immer skeptisch klingend. Nun drehte ich den Kopf der Chimäre etwas und ließ ein wenig meines Blutes in das offene Maul tropfen. Als ich befand, dass es genug war, ließ ich die Wunde wieder verschließen und legte meine Hand nun auf die Flanke des Toten. Die geisterhafte, silberne Substanz, die mich immer verfolgte und die zu mir gehörte, wie der Nebel zu Seraphis, reagierte sofort. Meine Augen glühten silbern auf. Vale meinte immer, dass das Silber so aussah, als würde es sich ständig bewegen und in deren Mitte lagen goldene Pupillen. Außerhalb der Iris wurden meine Augen dann dunkelrot, was in der Nacht schon schwarz wirkte. Die silbernen Fäden schlangen sich meinen Arm entlang, bis sie sie an meiner Hand angekommen waren und ein filigranes Muster bildeten. Dann ging eine Art Impuls durch mich hindurch und übertrug sich auf die tote Chimäre. Für einen Bruchteil der Sekunde strömten plötzlich unzählige Erinnerungen, Gedanken und Gefühle auf mich ein, sodass es mich beinahe überforderte. Sie rasten so schnell an mir vorbei, das ich kaum etwas davon richtig wahrnehmen konnte. So schnell wie sie gekommen waren, ebbten sie aber auch wieder ab. Damit war das Spektakel schon vorbei und ich nahm die Hand wieder von ihm weg. Vale und ich starrten beide neugierig zu der Chimäre, hatten wir beide keine Ahnung, was jetzt geschehen würde. „Was genau hast du denn gemacht?“ fragt Vale nach einiger Zeit in der nichts geschah. „Naja mir fiel irgendwie auf, dass diese Chimäre „Unfertig“ wirkt. So als ob das Serum der Menschen die Verwandlung nur so halb schafft und das es das wohl auch ist, was ihn umgebracht hat. Ich hab versucht, die Verwandlung zu Ende zu bringen.“, versuchte ich zu erklären, doch allmählich zweifelte ich daran, ob ich damit richtig lag. Doch noch im selben Moment begann die Chimäre zu zucken. Die Luft lud sich binnen Sekunden elektrisch auf, sodass mir schon die Haare zu Berge standen. Die Chimäre bewegte sich und stand langsam auf, schien aber immer noch bewusstlos. Die Spannung in der Luft stieg weiterhin und man konnte schon kleine Funken um ihn entstehen sehen. Die Chimäre schien furchtbare Schmerzen zu haben und ich bereute schon, dass ich ihm das angetan hatte. Trotzdem fühlte es sich richtig an. Er wand sich hin und her und seine Hörner streiften mich beinahe. „Pass auf Lua.“, warnte mich Vale, doch ich winkte ab. Stattdessen stand ich auf und ging zu der leidenden Chimäre heran. Instinktiv schlang ich die Arme um den Hals der großen Bestie und drückte mich an das warme Fell. „Alles wird gut.“, redete ich auf ihn ein, „Du hast es gleich geschafft. Halte nur noch einen kleinen Moment durch, ja?“ Tatsächlich wurde die Chimäre etwas ruhiger und Vale konnte seine Verblüffung nicht verbergen. Während Lua ihn noch immer liebevoll umarmte und auf ihn einredete, begann sich die Gestalt der Chimäre tatsächlich zu verändern. Es veränderte sich nicht grundlegend, doch Vale verstand nun, was Lua mit unvollständig gemeint hatte. Als erstes veränderten sich die beiden Schweife. Die Enden, die vorher einfach ganz normal gewesen waren, sahen nun irgendwie ein bisschen aus, wie kleine Mäuler. Vielleicht ein bisschen wie Schlangenköpfe nur ohne Augen. Dann wechselten die Furchen an den Rippen. Das goldene Glühen wurde richtig intensiv und begann sich über ein filigranes Muster miteinander zu verbinden. Als die Furchen dann über jenes filigrane Netz verbunden waren, breitete sich davon ausgehend ein ebenso feines, goldenes Muster über das gesamte Fell aus. Ein wenig erinnerte Vale das Muster ja an Blitze, die sich erstaunlich symmetrisch auf beiden Körperseiten verteilten und dann am Rücken zusammenliefen. Die schwarzen Spitzen des sandfarbenen Fell blieben bestehen, aber die schwarz gefärbten Vorder- und Hinterbeine bildeten zusätzlich zum Körper auch ein paar dieser goldenen Muster aus. Immer zwischen zwei Mustern kamen spitze Zacken zum Vorschein, die fast nicht auffielen, aber im Kampf sicher unangenehm werden konnten. Das Gesicht hingegen war wohl das einzige was sich gar nicht veränderte. Das einzige, was Vale noch bemerkte, war, dass die Pupillen von innen heraus zu Glühen begannen und nun nicht mehr schwarz, sondern weißlich-rot schimmerten. Mehrere Blitze entluden sich um die Chimäre und Lua herum, dann war alles ganz still. Als sich die Chimäre wieder beruhigt hatte, brach sie zusammen. Lua stützte sie ein wenig ab und wartete bis sie sich in ihre menschliche Gestalt zurück verwandelt hatte. Vale hatte diesen Mann noch nie gesehen und hatte deswegen auch keine Ahnung wer er war. Die langen, weißblonden Haare verdeckten ohnehin sein Gesicht. „Was ist mit ihm?“, fragte Vale nun. „Keine Sorge, es geht ihm gut. Muss sich nur eine Weile ausruhen.“, meinte Lua gutgelaunt und stand auf. Vale ging zu ihr herüber und nahm ihr den Fremden ab. Er konnte ja nicht zulassen, dass sie ihn tragen musste. Dann packte er noch die beiden Sensen und zog sie aus dem Boden, da Lua darauf bestand, dass er sie auch mitnahm. „Gut, dann gehen wir zurück zum Lager. Ist immer noch schöner, als weiterhin im Ödland zu bleiben. Zumal ich nicht weiß, ob es so gut ist, wenn wir zu lange hier bleiben. Wir haben schließlich keine Ahnung, was genau hier vorgefallen ist.“, erklärte Vale und setzte sich bereits in Bewegung. Lua schlenderte fröhlich lächelnd neben ihm her und summte irgendein Lied, das er nicht kannte. Aber wenn er sie so zufrieden und glücklich sah, dann war auch er zufrieden. Sie steckte immerhin voller Überraschungen und er war ein Stück weit stolz, dass Seraphis ihn beauftragt hatte, auf Lua aufzupassen. … Ich wartete geduldig bis der Mann endlich erwachte, den ich eben noch gerettet hatte. Ich saß neben ihm auf einer schönen Wiese in unserem Lager und beobachtete die Sterne gedankenversunken. In meinem Kopf verarbeitete ich, was ich vorhin bei der Chimäre gesehen hatte. Der mir so seltsam bekannte, fremde Mann hatte offenbar ein bewegtes Leben gehabt, doch ich hatte nicht all seine Erinnerungen gesehen. Ich schätzte ihn auf etwa 25/26 Jahre und war demnach nur ein bis zwei Jahre älter als ich. Aber der Strom der Erinnerungen war abgebrochen, als er laut letzter Erinnerung 21 Jahre alt gewesen war, sodass ich keine Ahnung hatte, warum er letztlich hier im Ödland gestorben war. Vale war kurz verschwunden, um jagen zu gehen und der fremde Mann lag neben mir auf einer Decke. Es war knapp zwei Stunden her seit wir ihn gefunden hatten, als er wieder zu sich kam. Noch bevor er die Augen öffnete, bemerkte ich den Wandel in seiner Aura und wappnete mich. Irgendwie war ich nervös. Kannte ich ihn wirklich? Wie würde er auf die ganze Situation reagieren? Dann öffnete er langsam die bernsteinfarbenen Augen und blickte einen Moment ratlos und offensichtlich verwirrt in den Sternenhimmel. Einen Augenblick später saß er bereits aufrecht und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine rechte Hand an der noch immer ein bisschen getrockneten Blutes war. Erst dann bemerkte er mich und drehte den Kopf zu mir herum. Er erstarrte. „Lua? Was machst du denn hier? Was mache ich hier? Ich müsste doch tot sein.. Ich… Was?...“, stotterte er und versuchte offenbar seine Gedanken zu ordnen. Doch er hatte eindeutig meinen Namen gesagt. Er kannte mich. Ich wurde noch nervöser, was er ebenfalls bemerkte. So zügelte er sich etwas und fragte nun etwas ruhiger und geordneter. „Lua… wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Was machst du denn hier?“, beschloss er als erstes zu fragen. Etwas ratlos blickte ich ihn an und lächelte nervös. „Ähm… Ich schätze, ich habe dir das Leben gerettet.“ Da hob er fragend eine Augenbraue. „Du hast was? Moment… Fühle ich mich deswegen so… komisch?“, fragte er und dabei glühten die Augen kurz auf. Dieser Mann erschien mir sehr intelligent. Binnen weniger Sekunden reimte er sich die Dinge offenbar zusammen soweit er konnte. „Ich bin eine Chimäre geworden oder?“, stellte er mehr fest, als zu fragen. Ich nickte. „Ok… und wie bitte hast du das angestellt?“, wunderte er sich, „Hast du es genauso gemacht wie das Geistermädchen damals?“ Geistermädchen? Meinte er eventuell Seraphis? Sie hatte auch mal einen Menschen zur Chimäre gemacht? Ich hasste es, dass ich all das nicht mehr wusste. „Naja ich bin immerhin sowas wie eine gebürtige Chimäre, wenn du so willst. Da war ich mir ziemlich sicher, dass ich das hinbekomme.“, erklärte ich schließlich. Wenn ich auch vieles nicht mehr wusste, wie meine Kräfte funktionierten, wusste ich ganz genau. Doch der Mann blickte mich nur noch verwirrter an. „Irgendwie bist du so anders Lua.“, stellte er fest. „Ist fast, als wärst du eine ganz andere Person. Nicht unbedingt vom Charakter her, aber… deine Aura wirkt anders. Ok, die hab ich vorher eh nie wahrgenommen, aber solche Macht hattest du doch früher nicht.“ „Was meinst du damit?“, fragte ich nun meinerseits verwirrt, „Das konnte ich schon immer.“ „Aha das hat in den bisherigen Kämpfen aber nie danach ausgesehen. Immerhin hättest du Luca ja selbst retten können, wenn du es könntest.“ Luca? Wer war das schon wieder? Die andere Chimäre die Seraphis gerettet hatte vielleicht? Offenbar fiel meinem Gegenüber auf, dass ich keine Ahnung, worüber er sprach und das machte ihn stutzig. Kritisch schaute er mir in die Augen und suchte scheinbar nach Antworten. Ich hatte den Eindruck, dass er mir plötzlich misstraute. Aber wieso? „Sag mir eines.“, begann er letztlich, „Wieso bist du aus dem Labor verschwunden und hast all deine Spuren so verwischen können?“ Jetzt steckte ich in der Klemme, denn ich hatte keine Ahnung, was ich ihm antworten sollte. Ich wollte nicht, dass er mich für einen Feind hielt, aber er erschien mir wie jemand, der sehr empfindlich dem Thema Verrat gegenüber stand. Dachte er etwa, dass ich ihm irgendwie schaden wollte? Mein Zögern ließ ihn aber offensichtlich zornig werden. Seine Aura schwang langsam um und seine Augen begannen wieder zu glühen. „Was ist?“, fragte er mit mehr Nachdruck, „Ist heute wohl Tag der Verräter, was? Zwing mich nicht, dich auch noch hassen zu müssen.“ Seine Stimme war so voller Wut, Bitterkeit und Enttäuschung, dass ich unheimliches Mitleid bekam. Was war ihm nur zugestoßen? Da bewegte er sich und hatte mich bereits am Kragen meiner Robe gepackt. Doch ich wehrte mich nicht, sondern schaute ihm nur in die leuchtenden Augen. „Ich… weiß nicht…“, war alles, was ich herausbekam und da knirschte er verärgert mit den Zähnen. Ich bemerkte, dass sein Zorn aber auch dadurch gefördert wurde, dass die Chimäre unglaublich ausgehungert war. Doch das war ihm selbst noch gar nicht bewusst. Irgendwie musste ich ihn wieder beruhigen, nur wie? Ich zweifelte, dass er mir glauben würde, egal was ich als nächstes sagte. „Wenn Luca sein Leben für dich damals umsonst weggeworfen hat, dann solltest du es besser jetzt sagen.“, drohte er mir, „Oder ich werde später noch ungemütlicher!“ Schon wieder dieser Name. Musste ja eine Person sein, die ihm am Herzen lag. Vielleicht ein bester Freund oder sowas? Da wurde der Fremde nach hinten weggerissen und ein ganzes Stück weggeschleudert. Elegant wie eine Katze landete er jedoch sofort auf den Füßen und knurrte. Plötzlich funkte es um ihn herum wie wild. Vor mir stand nun ein ebenfalls schlecht gelaunter Vale, der unseren Besuch zornig beäugte. Kapitel 36: Klartext -------------------- „Sie rettet dir das Leben und so bedankst du dich?“, fragte Vale mit mühsam unterdrückter Wut. „Wer bist du denn? Etwa ihr Komplize oder was?“, fragte unser Gegenüber gereizt. „Komplize?“ Da begann Vale zu lachen. „Um Himmels willen was ist denn mit dir kaputt? Nein, ich bin ihr Beschützer.“ „Beschützer? Seit wann braucht sie denn den?“, fragte der Fremde nun etwas gezügelter, „Wir haben eigentlich auch immer gut auf sie aufgepasst. Natürlich bis sie entschlossen hat, einfach abzuhauen.“ Da tauschten Vale und ich einige Blicke, woraufhin Vale laut seufzte. „Ok, Pause. Kann ich mit dir mal unter vier Augen reden?“, fragte er unseren Gast ruhig und etwas widerwillig stimmte dieser schließlich zu. Ich sah zu, wie die beiden in einiger Entfernung hinter ein paar Bäumen verschwanden. Sie waren außer meiner Hörweite und so blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. „Also, was willst du?“, fragte Pik genervt. Er traute dem Fremden, der offensichtlich ein Exile war, nicht über den Weg. „Das du dich wieder einkriegst, du Idiot. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr du Lua damit gerade verletzt hast.“, schimpfte Vale und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso? Sie ist mir eindeutig ein paar Antworten schuldig. Das ist alles.“, verteidigte sich Pik, als Vale ihm am Kragen packte und an den Baum tackerte. „Jetzt hör mir mal gut zu, Kleiner. Du hast doch eben noch behauptet, dass ihr auf sie aufgepasst habt, wer auch immer das sein soll. Nun, offenbar habt ihr da auf ganzer Linie versagt, denn als ich sie aus dem Labor rausgeschleppt habe und sie mir noch in den Armen blutüberströmt weggestorben ist, da hatte ich nicht den Eindruck, dass man sie beschützt hat.“, knurrte Vale sodass seine braungrünen Augen ebenfalls zu glühen begannen und sich zur Hälfte rot färbten. „Seraphis hat sie beinahe nicht mehr zurückholen können und jetzt erzählt mir so ein Pimpf wie du, dass ihr sie beschützt habt und sie einfach abgehauen ist?! Nenn mir nur einen guten Grund, wieso ich dich für dein Benehmen nicht aufschlitzen sollte!“ Jetzt war Pik auf einmal ganz ruhig. „Lua… ist gestorben?“, fragte er mit einem Hauch Entsetzen in der Stimme. „Aber wie?“ „Woher soll ich das wissen? Ihr habt doch das Labor überfallen und wurdet von ihr getrennt. Fakt ist, hätte mich Seraphis nicht rechtzeitig gerufen, dann würde sie noch immer auf dieser Laborliege liegen.“ Jetzt schämte Pik sich. Er hatte überreagiert und hätte ihr zuhören sollen. Er war einfach noch zu gereizt von den Ereignissen des Tages, dass er es auf sie übertragen hatte. Er atmete einmal tief durch und fragte dann: „Ist sie deswegen so anders? Ihre ganze Aura und die Sache mit ihren Kräften?“ Vale hatte scheinbar beschlossen Pik wieder zu Boden zu lassen und beruhigte sich ebenfalls wieder ein ganzes Stück. „Wie gesagt, sie war schon sehr weit drüben. Als Seraphis sie endlich zurückholen konnte, ging das auf Kosten vieler Erinnerungen.“ „Wie viele Jahre fehlen ihr denn?“ „Um die 12.“, erklärte Vale und sah, wie sich Piks Gesichtsausdruck zu Entsetzen änderte. „Doch sie kann sich dafür daran erinnern, wer sie ursprünglich mal war. Ich nehme an, dass sie sich vorher nur noch einen Bruchteil ihrer Kräfte bewusst war, was sie für dich wohl so schwach erscheinen ließ. Aber das ist sie ganz und gar nicht, das kannst du mir glauben.“ Pik schüttelte ungläubig den Kopf und runzelte die Stirn. „12 Jahre… sie hat also keine Ahnung mehr, dass sie sich eine Familie aufgebaut hat. Keine Ahnung, dass es viele Leute gibt, die sie suchen. Kommen die Erinnerungen denn zurück?“ „Werden sie, aber es wird dauern. Mitunter Jahre, wenn sie Pech hat.“ „Ich könnte ihr doch erzählen, was ich über ihr Leben weiß. Ich kenne sie zwar verhältnismäßig noch nicht so lange… aber es ist doch besser als nichts oder?“, dachte Pik nun laut nach. Doch Vale wirkte skeptisch. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre. Ich habe mit Seraphis auch schon darüber gesprochen, was man machen könnte, wenn ich jemanden fände, der sie kennt. Aber sie meinte, dass es wohl besser wäre, wenn sie sich von selbst erinnert.“ „Wieso das?“, fragte Pik verwundert. „Nun, wie würdest du reagieren, wenn ich dir jetzt erzählen würde, dass du… sagen wir, der Vater von 3 Kindern bist, die hier in dieser Stadt auf dich warten. Und dann hättest du noch eine Frau, die scheinbar psychisch instabil ist und von mir aus noch Eltern, die vor dem Bankrott stehen. Was würdest du da machen?“ „Nun, zunächst mal… Wow, was für ein übertriebenes Beispiel, aber ich versteh schon, worauf du hinaus willst. Man könnte es ihr erzählen, aber es hätte in dem Sinne keine Bedeutung, da sie sich an diese Menschen nicht erinnert. Und selbst wenn sie deswegen zu diesen Leuten zurückkehren würde… es wäre nicht dasselbe. Ich fürchte besonders Luca käme damit wohl nicht klar, wenn sie nicht mehr wüsste, wer er ist und sie würde wohl an den Schuldgefühlen deswegen zu Grunde gehen. Ok… ich halte meine Klappe über ihre Vergangenheit…“ Pik knirschte wieder mit den Zähnen. „Verdammt noch mal. Was für ein Scheiß Tag. Was mach ich denn jetzt…“ „Was uns zu der Frage bringt, wer du eigentlich bist.“, bohrte Vale nach. „Ich bin Pik und ich bin… war bis heute ein Informant unter van Serenberg…“ Vale entging nicht, wie sich dabei sein Gesicht vor Wut und Hass verzog. „Sagen wir es so… ich wurde reingelegt und habe mich zu rächen versucht. Dafür habe ich mit meinem Leben bezahlt. Tja hatte nicht damit gerechnet wieder aufzuwachen…“ Pik war hin und her gerissen. Einerseits spürte er die neue Macht in sich und da war die Verlockung groß sofort zu Lucius zu marschieren und ihm den Kopf abzureißen. Dann war da noch Luca, der jetzt Gott weiß was machte und sicherlich nicht in bester Verfassung war. Immerhin war Pik nicht entgangen wie labil die Psyche seines besten Freundes war, speziell nach der Sache mit Lua. Aber dann war da natürlich noch Lua selbst. Sie hatte ihm das Leben gerettet und jetzt stand er so tief in ihrer Schuld, dass er das nie wieder gutmachen würde können. Es war offensichtlich, dass sie seine Hilfe gebrauchen konnte und irgendwo betrachtete er sie mittlerweile auch als wirklich gute Freundin. Es war schon komisch. In den letzten Jahren waren ihm so viele Leute ans Herz gewachsen, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Natürlich hatte auch genau das letztlich zu seinem Tode geführt und Yaris Tod… Vale beobachtete Piks inneren Monolog eine Weile schweigend, bis Pik wieder das Wort erhob. „Was habt ihr denn eigentlich jetzt vor?“, fragte er nachdenklich. „Wir sind bald im Auftrag von Seraphis unterwegs. Da gibt es etwas, was wir verhindern müssen, aber ins Detail werde ich dazu nicht gehen, solange ich dir nicht trauen kann.“, meinte Vale und Pik konnte ihn verstehen. Ein Auftrag von dem Geistermädchen also. Musste ja wirklich wichtig sein, wenn sonst niemand was davon erfahren durfte. Und da fällte Pik seine Entscheidung. Er hatte abgewogen und letztlich kam er zu dem Schluss, dass er Lua helfen wollte. Was auch immer sie suchten, ein ehemaliger Informant war da sicher hilfreich und außerdem wollte er seine Dankbarkeit zeigen, nachdem er sich eben schon so daneben benommen hatte. Was van Serenberg anging, beschloss er, dass er es irgendwann zu Ende bringen würde. Aber das hatte keine Eile. Selbst wenn es noch 20 Jahre dauern sollte. Pik würde zurückkommen und Lucius seiner gerechten Strafe zukommen lassen. Das größere Problem war da Luca. Pik machte sich wirklich Sorgen, wie es seinem besten Freund wohl ergehen würde ohne ihn und Lua. Ihm war jetzt klar, dass er Lua niemals würde finden können. Pik kannte den Bericht von Joker selbst und wusste, dass sie Recht hatte. Er hoffte einfach, dass Kyria und der Rest seiner Familie genug Halt bieten würde, um ihn vor größeren seelischen Abgründen zu bewahren. Er hoffte wirklich auf das Beste. „Also gut.“, sagte Pik schließlich, „Ich werde euch helfen. Was auch immer ihr vorhabt, ich bin dabei.“ Da begann Vale zu grinsen und schlug Pik auf die Schulter. Dieser zuckte zusammen, weil er das nicht hatte kommen sehen. „Das wollte ich hören.“, grinste Vale und meinte dann: „Lua wird es sicher auch freuen. Sie hat zwar keine Ahnung mehr, wer du bist, aber trotzdem hat sie dich gerettet, weil sie irgendwie gespürt hat, dass du ihr mal wichtig warst. Ich bin froh, dass sie nicht gleich so enttäuscht wird. Sie wurde schon zu oft enttäuscht.“ Pik wusste nicht, was Vale meinte. Immerhin kannte er kaum etwas aus ihrer Vergangenheit, was ja auch daran lag, dass sie sich bisher nie wirklich daran erinnert hatte. Zusammen kehrten die beiden nun zu Lua zurück, die noch immer geduldig wartete. Pik hockte sich vor sie auf die Decke und lächelte etwas verlegen. „Es tut mir Leid.“, begann er, „Ich habe vorschnell geurteilt eben und ich wollte dich damit echt nicht verletzen. Tatsächlich werde ich wohl nie wieder gut machen können, was du heute für mich getan hast und ich schwöre dir, dass ich alles tun werde, was ich kann, um dir bei deiner Mission zu helfen. Egal wie lange es dauert.“ Lua bekam leichte Tränen in den Augen, als sie das hörte. „Ist das dein ernst? Und ich dachte schon, du hasst mich.“, schluchzte sie leise. „Um Himmels Willen, nein!“, unterbrach Pik sie schnell, „Das habe ich noch nie. Ich hatte nur einen… beschissenen Tag und war etwas gereizt. Hab das leider an dir ausgelassen, aber das hat nichts mit dir zu tun. Ehrlich.“ „Was ist denn geschehen… wenn ich fragen darf.“, fragte Lua vorsichtig und Pik sah ihr an, dass sie diese Frage sogleich bereute. Pik seufzte und erzählte ihr letztlich von den Ereignissen des heutigen Tages. Er erzählte ihr von Yari, von seiner Arbeit und der Tatsache, dass man Yari wegen ihm hatte umbringen lassen. Dann erklärte er, dass er jedoch die Wahrheit über die Vorfälle erfahren hatte und sich dafür hatte rächen wollen, was letztlich in seinem Tod geendet hatte. Während er redete, hörte Lua ihm aufmerksam zu und blickte traurig drein. Sie hatte echt zu viel Empathie, dachte er und schmunzelte bei dem Gedanken innerlich. Als er geendet hatte, überraschte sie ihn jedoch mit der Nachricht, dass neben ihm eine weitere Leiche gelegen hatte. Ein Mann mit Mantel, auf dem ein Kreuz gewesen war. Das verschaffte Pik eine gewisse Genugtuung und beruhigte seine Seele etwas. Luca hatte sich also für ihn gerächt. Kreuz hatte wenigstens bekommen, was er verdiente. Irgendwann würde sich Pik dafür bedanken, aber das musste noch warten. Jetzt war Lua erst einmal wichtiger. Kapitel 37: Ashara ------------------ Seltsam zufrieden lag ich in meine Decke eingekuschelt und beobachtete den Sternenhimmel. Vale und Pik schliefen bereits, aber mich ließen weiterhin diese Erinnerungen von vorhin nicht los. Letztlich stand ich also leise auf und ging einige Schritte vom Lager weg. Ich wollte mir einfach die Beine vertreten und versuchte das Gesehene zu verarbeiten, denn aus irgendeinem Grund ließ es mich nicht mehr los. Letztlich ließ ich mich auf einem großen Stein nieder und beobachtete den Horizont. Einige Minuten verharrte ich so, bis ich es leise hinter mir rascheln hörte. Ich drehte mich um und erkannte Pik, der noch immer sehr mitgenommen und fertig aussah. „Kannst du nicht schlafen?“, fragte ich leise. Er nickte nur betrübt. Ich rutschte ein Stück zur Seite und machte ihm Platz. Einen Moment schien er zu überlegen ob er wirklich neben mich sollte, tat es dann aber doch. Offenbar war er so viel Nähe nicht gewöhnt. „Wie geht es dir?“, fragte ich nach einer Weile. Piks Blick wirkte irgendwie müde und überanstrengt und ich fühlte mich verpflichtet, ihm irgendwie zu helfen. „Ist alles ein bisschen viel auf einmal glaube ich.“, gab er kleinlaut zu, „Irgendwie scheinen meine Sinne so überspannt zu sein. Ich meine, es ist tiefste Nacht und trotzdem sehe ich so, als wäre helllichter Tag und ich höre Dinge, die ich sonst nie hören konnte…“ „Daran wirst du dich schnell gewöhnen.“, versuchte ich ihn aufzubauen. „Hm…“, brummte er nachdenklich, „Hat ja auch eigentlich was für sich. Wenn ich früher mit Hilfe der Spritzen zur Chimäre wurde, habe ich meine Umgebung eigentlich nie wahrgenommen, aber jetzt ist das alles anders. Aber irgendwie sind da auch Dinge in mir, die ich vorher noch nie gespürt habe.“ Scheinbar wusste er nicht, wie er es genau ausdrücken sollte, aber ich wusste, worauf er hinaus wollte. „Dir macht Angst, dass du nicht mehr nur wie früher denkst, oder?“, sprach ich es aus, „Vermutlich hast du in Wahrheit sogar ziemlichen Hunger und du weißt nicht wohin damit. Du hast zwar schon oft getötet, aber es macht schon einen Unterschied aus welchem Grund man das getan hat.“ Pik schwieg nur, doch ich sah ihm an, dass ich Recht hatte. „Weißt du, von Vale weiß ich, dass es ihm in seiner Anfangszeit als Exile auch so ging. Das ist glaube ich normal. Vielleicht solltest du ja mal mit ihm darüber reden, da ich nicht viel dazu sagen kann. Ich wurde schon nicht menschlich geboren und kenne das nicht wirklich anders. Trotzdem verstehe ich die Menschen plötzlich viel besser, als früher. Schätzungsweise habe ich wohl lange unter ihnen gelebt.“ „Ja hast du.“, bestätigte Pik, „Ich weiß natürlich nur einen Bruchteil davon, aber das kann ich zumindest bestätigen.“ Ich verstummte kurz und versuchte mir das Leben unter den Menschen vorzustellen. Doch es gelang mir nicht wirklich. „Jedenfalls… Um auf das Thema zurück zu kommen: Irgendwann wird das Leben als Chimäre auch zur Normalität werden. Alles ist am Anfang schwer und ungewohnt. Wenn du jedoch die ersten Tage nicht jagen gehen willst, kannst du auch was von meinem Blut haben. Wird nicht ewig helfen, aber es sollte den Hunger, den du gerade verspürst, doch lindern.“ Nun starrte mich Pik mit großen Augen an. „Aber das kann ich doch nicht machen.“, meinte er entsetzt, wenngleich sein hungriger Blick anderes sagte. Sein Körper war ehrlicher, als sein Verstand. Ich lächelte ihn freundlich an und erwiderte: „Du hast die Wahl. Ich, ein Exile oder ein Mensch, auch wenn es mir Leid tut, das es keine Alternative gibt. Nur bitte hungere nicht…“ Da war die Reue wieder da. Ich hatte ihn zu etwas gemacht, was kein Mensch mehr war und ich hatte ihn nicht um Erlaubnis bitten können. Ob er mich dafür nun zumindest ein wenig verabscheute? Da seufzte er neben mir, strich sie die Haare aus dem Gesicht und lehnte sich zurück. „Hör auf dieses gequälte Gesicht zu machen.“, meinte er plötzlich ernst, „Du hast mir das Leben gerettet, also nein, ich bin nicht sauer, dass ich deswegen jetzt eben eine Chimäre bin. Und ich verabscheue dich auch nicht oder was du sonst noch so denken könntest. Klar ist es ungewohnt, aber ich hab schon Schlimmeres durchgestanden, als das. Vielleicht liegt es daran, wie ich aufgewachsen bin, aber ich schätze, die Menschen haben mir ohnehin noch nie viel bedeutet. Oder vielleicht spricht auch einfach die Chimäre aus mir, wer weiß.“ Jetzt lachte er kurz auf und ich war überrascht, wie ehrlich es klang. „Außerdem weiß ich von Vale, dass du für mich schon genug Blut gelassen hast, von daher: Wenn er nachher wieder wach ist, frage ich ihn danach, mir dabei unter die Arme zu greifen.“ Seine Worte überraschten mich schon. Er nahm es doch erstaunlich gelassen, wenngleich es ihn natürlich schon beschäftigte. Aber ich glaubte, dass er sich wirklich schnell daran gewöhnen würde und das ließ das schlechte Gewissen in mir etwas verstummen. So saßen wir einige Minuten wieder schweigend beieinander, bis ich vor Neugier eine Frage nicht mehr zurückhalten konnte. „Hey Pik…“, begann ich zögerlich, „Kann ich dich vielleicht etwas fragen? Aber du musst nicht antworten, wenn du nicht willst.“ „Worum geht es denn?“, fragte er mich mit aufmerksamem Blick. „Naja weißt du, als ich dich vorhin zurückholte, da… wie soll ich sagen… da sah ich einiges aus deiner Vergangenheit und ich…“ Da hörte ich Pik seufzen und er sah mich mit einem undeutbaren Blick an. „Du willst wissen, wie genau das zusammenhängt, nicht wahr?“ „Ja… ich habe immer nur Ausschnitte gesehen und irgendwie waren die… befremdlich.“, gab ich beschämt zu. Es behagte mir nicht, das gesehen zu haben. Ich fühlte mich fast wie ein Spion. „Schon in Ordnung…“, meinte Pik langsam zurück, „Tatsächlich habe ich noch nie darüber gesprochen. Ich weiß, dass meine Vergangenheit etwas speziell ist. Besonders für einen Menschen.“ „Du musst nicht…“, wollte ich schon abwehren, aber er winkte nur lächelnd ab. „Du hast es doch ohnehin schon gesehen und wie ich dich kenne, wird es dir auch keine Ruhe lassen, also erzähle ich dir, was du wissen möchetst. Frag einfach.“ Es war echt schlimm, wenn dich dein Gegenüber wahnsinnig gut kannte und du kaum eine Ahnung hast, wer da vor dir ist. Trotzdem fühlte ich eine Art Verbindung zu ihm und ich vertraute Pik, als kenne ich ihn schon längere Zeit. „Na gut…“, seufzte ich etwas unschlüssig, „Du scheinst ja nicht gerade den besten Start im Leben gehabt zu haben. Wieso warst du so lange allein und das als Kind?“ Nun war es Pik den Horizont betrachtete, als versuche er sich zu erinnern, was eigentlich kein Problem für jemanden darstellte, der sich an alles erinnern konnte. Und doch schien er diese Erinnerungen nicht sonderlich zu mögen. „Hast Recht. Was ich heute weiß ist, dass meine Mutter wohl noch vor meiner Geburt durch einen Yajuu starb. Die Hunter haben sie wohl noch halbtot da raus geholt, aber schon auf dem Weg ins Krankenhaus ist sie gestorben und das einzige was die Ärzte noch machen konnten, war mich zu retten. Aber da ich sonst keine Verwandten hatte, kam ich ziemlich schnell in ein Waisenhaus. War ein schrecklicher Ort. Zu viele Kinder, zu wenig Mittel sie zu versorgen und die Erzieher waren schnell überfordert. Die älteren Kinder haben deswegen den Jüngeren sehr schnell das Klauen und Betrügen beigebracht, um über die Runden zu kommen. Ich war da auch keine Ausnahme.“ Nun stoppte Pik einen Moment und lächelte dann traurig. „Ich war glaube ich 7 als man doch noch einen Verwandten von mir fand. Die große Schwester meiner Mutter war lange im Ausland gewesen und wusste nicht mal, was passiert war. Die Frau hatte aber auch nicht gerade viel Glück im Leben. Sie selbst konnte keine Kinder kriegen, weshalb sie ursprünglich mit ihrem Mann auf Reisen gegangen war. Aber dieser war wohl bei einer Exkursion verunglückt. Da war sie in ihre Heimat zurückgekehrt und wollte wohl bei meiner Mutter Trost suchen. Stattdessen fand sie nur mich. Ein verwahrlostes, kriminelles Kind mit null Respekt vor Niemanden.“ Pik lachte auf und schüttelte amüsiert den Kopf, sodass sein Zopf von der Schulter rutschte und nun in der Luft baumelte. „Ihr Name war Mariel und trotz allem nahm sie mich ohne zu zögern auf. Kannst dir sicher denken, dass ich anfangs nicht gerade nett zu ihr war. Ich wollte eigentlich nichts von ihr wissen. Zumal sie mir all die Dinge verbat, die ich bisher gedurft hatte. Stattdessen brachte sie mir Lesen, Schreiben und Rechnen bei und tat ihr Bestes mich irgendwie zu erziehen. Rückblickend bewundere ich sie ja dafür. Auch wenn es sicherlich nicht ganz so funktioniert hat, wie sie es sich gewünscht hatte. Immerhin bin ich später ja doch noch ein Auftragsmörder geworden.“ „Stimmt.“, meinte ich nachdenklich, „Wie konnte das denn passieren? Bisher klang es eigentlich, als hätte sie gut auf dich Acht gegeben.“ „Hat sie auch. Sie hat mir sogar einen Namen gegeben, nachdem ich meine Kindheit zuvor nur mit einer Nummer für die Akten gelebt hatte.“ „Du heißt also gar nicht Pik?“, fragte ich naiver Weise, woraufhin Pik laut loslachte. „Tatsächlich nein.“, grinste er amüsiert, „So heiße ich erst, seit ich Informant geworden bin. Allerdings stimmt es, dass ich den Namen, den mir meine Tante gab, nicht mehr verwende.“ „Warum?“ „Ich will sie nicht beleidigen. Weißt du, sie nannte mich Ashara. Dort wo ich herkomme, ist das der Name eines Schutzgeistes und sie meinte damals zu mir, dass sie ihn mir gab, in der Hoffnung, dass ich immer auf dem rechten Pfad bleiben würde. „ „Ok… verstehe was du meinst.“ Jetzt fühlte ich mich echt dumm, aber Pik schien sich daran nicht zu stören. „Ja… Aber hey. Kannst dich glücklich schätzen. Du bist die erste die jetzt weiß, wie ich eigentlich heiße. Wobei ich bei Pik bleibe.“ „Keine Sorge. Ich werde es niemanden verraten.“, versprach ich daraufhin und Pik nickte mir dankbar zu. „Ich trau mich ja fast nicht zu fragen… Aber wie wurdest du denn, was du heute bist?“ „Weil Mariel starb.“ Ich konnte deutlich einen Anflug von Trauer, aber auch Abscheu in Piks Blick sehen, als er erklärte. „Ich mache ihr nicht einmal einen Vorwurf. Du weißt ja, dass sie schon viel durchgemacht hatte, als ich zu ihr kam. Immerhin war ich ja genauso ihr letzter Verwandter, wie sie für mich. Ich lebte fast zwei Jahre bei ihr. Sie hatte von ihren Eltern ein Haus am Waldrand geerbt. Eigentlich ein netter und ruhiger Ort, aber auch abgeschieden. Das war letztlich auch das Problem. Mariel hatte drei Hunde mit denen ich verdammt viel Zeit verbrachte. Waren mir irgendwie lieber, als Menschen. Oft war ich mit ihnen stundenlang im Wald oder auf den Feldern spazieren. Mariel störte das nicht so sehr, weil sie mir mittlerweile vertraute. Doch eines Tages kam ich heim… und die Eingangstür stand sperrangelweit offen. Mir war gleich klar, dass was nicht stimmte, denn auch die Hunde benahmen sich plötzlich ganz anders.“ Auch wenn Pik es nicht merkte, ich spürte, wie seine Aura zorniger wurde und in seine Augen trat ein goldener Schimmer. „Ein paar Banditen hatten mitbekommen, dass Mariel allein lebte. Keine Zeugen, leichtes Spiel. Sie wollten sie wohl ausrauben, aber vorher „vergnügten“ sie sich noch mit meiner Tante. Ich höre heute noch ihre Schreie, als ich ins Haus kam. Ich hab sie dann gesehen. Die beiden Typen, die über ihr hingen und Mariel, die auf Bett lag, den Blick voller Verzweiflung.“ Da ging ein kleiner Blitz neben Pik nieder, sodass ich ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legte. Auch er bemerkte nun, was er gerade ausversehen getan hatte und beruhigte sich wieder etwas. „Verzeih… hab das noch nicht so unter Kontrolle, fürchte ich.“ „Schon gut.“, sagte ich ruhig, „Du musst nicht weiterreden, wenn du nicht willst…“ „Nein. Ich hab dir Antworten versprochen, also gebe ich sie dir auch. Als ich meine Tante so sah, da schaltete bei mir ein Schalter um. Anders kann ich es nicht beschreiben. Ich weiß noch, dass ich ohne zu zögern, die Hunde auf die Banditen gehetzt habe. Die beiden haben wie am Spieß geschrien, als sie zerfetzt wurden, aber ich stoppte die Hunde nicht. Weißt du, das komische ist, dass ich dabei nichts spürte. Ich war zwar unendlich wütend auf die Männer, dass sie sich an der einzigen Person vergangen hatten, die mir etwas bedeutet und der es nicht egal war, dass ich existierte, aber der Tod der beiden ließ mich absolut kalt... Später in der Nacht haben Mariel und ich jedenfalls die Leichen oder das was davon übrig war, im Wald entsorgt. Was hätten wir auch die Polizei verständigen sollen für ein paar Banditen? Die vermisste ohnehin niemand. Ich dachte ja, dass danach alles wieder den normalen Gang gehen würde, aber ich irrte mich. Meine Tante erholte sich von dieser Attacke nicht mehr. Körperlich schon… aber ihr Geist war gebrochen. Einen Monat nach dem Überfall brachte sie sich um.“ Ich stockte. Wie alt war Pik da gewesen? Vielleicht 9 Jahre, aber nicht älter. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie das für ihn gewesen sein musste. „Sie hinterließ mir einen Abschiedsbrief in dem sie sich für alles entschuldigte. Ihr letzten Worte waren die Bitte, dass ich sie bitte nicht hassen möge und ich verzeihe. Aber wie gesagt. Ich habe es ihr nie übel genommen. Tatsächlich war ich glaube ich einfach nur traurig. Und das war ich vorher noch nie gewesen. Ein komisches Gefühl.“ Nun schwiegen wir beide eine Weile. Mir fehlten die Worte und Pik brauchte offenbar auch einen Moment, bis er fortfahren konnte. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Doch schließlich raffte er sich wieder auf und schob die trüben Gedanken scheinbar davon. „Der Rest ist eigentlich schnell erzählt. Die ersten Wochen blieb ich im Haus meiner Tante. Immerhin waren ja noch die Hunde bei mir. Ohne sie wäre ich wohl heute nicht mehr hier. Erst als alles Vorräte im Haus aufgebraucht waren und ich auch kein Geld mehr fand, verließ ich mit den Hunden das Haus und ging an den Rand der Stadt. Da ich ja schon längst gelernt hatte, wie man ohne Mittel überlebte, war es nicht sonderlich schwer, dort wieder hinein zu finden. Und mit meinen treuen Begleitern wurde es sogar noch einfacher. Die Jahre zogen dann irgendwie an mir vorbei, aber irgendwann kam der Moment an dem ich nicht mehr auf der Straße leben wollte. Zwei der Hunde waren zu diesem Zeitpunkt auch schon sehr alt und ich wollte, dass sie für ihre letzten Monate nachts nicht mehr draußen schlafen mussten. Eine Geldquelle musste also her.“ „Wie alt warst du denn da, wenn ich fragen darf?“, unterbrach ich ihn neugierig. „Lass mich überlegen… als ich die Entscheidung traf, effektiv eine Art Job zu suchen, war ich 15. Aber schon mit 11 hab ich dann und wann mal irgendwie Geld verdient, wenn sie die Gelegenheit bot. Es war einfach. Wer mir im Weg stand, dem hetzte ich die Hunde auf den Hals. Auch Jahre später fühlte ich dabei keine Reue. Als ich dann 15 wurde, hatte ich deswegen schon einen gewissen Ruf weg. Man nannte mich Sense. Einerseits lag es auf der Hand warum. Sensen waren einst die ersten „Waffen“ gewesen, an die ich dank des Gartens meiner Tante herangekommen war. Und ich blieb dabei auch als ich später die Möglichkeit hatte, an alle Arten von Waffen zu kommen. Immerhin kommt kaum einer mit Sensen als gegnerische Waffe klar. Ein deutlicher Vorteil für mich. Hat mich aber auch einige Zeit gekostet, bis ich sie überhaupt zum Kämpfen nutzen konnte.“ „Mit anderen Worten, du bist schon mit 15 Auftragsmörder geworden?“, fragte ich stutzig. „Ist das nicht verdammt jung?“ „Schon möglich aber es hat super funktioniert. Meine Bekanntheit stieg stetig und schon sehr bald hatte ich keine Geldsorgen mehr. Mit 19 zählte ich schließlich zur Elite, die man so anheuern konnte. Leider lebten zu diesem Zeitpunkt meine Hunde nicht mehr. Sie waren mir mit der Zeit an Altersschwäche gestorben, also trieb ich nun allein mein Unwesen. Das Problem an Bekanntheit war natürlich auf der Hand.“ „Lass mich raten. Man hat Leute darauf angesetzt, dich zu töten?“ Das war das erste, was mir in den Sinn kam und ich hatte wohl genau ins Schwarze getroffen. „Bingo.“, stimmte Pik mir zu, „Anfangs war es kein Problem. Als ich noch unterschätzt wurde, kamen nur Schwächlinge. Keine Herausforderung. Doch irgendwann heuerte jemand eine Organisation an. Die schwarze Rose… Eine Organisation lauter Auftragsmörder unter der Führung von Lucius van Serenberg. Ich sag dir, das ist der intriganteste und bösartigste Mensch, der mir je begegnet ist und das mag aus meinem Mund schon was heißen.“ „Glaub ich dir.“ Wenn ein Mörder jemand anderen als bösartig bezeichnete, dann konnte das wirklich nichts Gutes heißen. „Auch Lucius machte anfangs den Fehler, mich zu unterschätzen. Hat drei Leute an mich verloren, bis er einen Informanten auf mich ansetzte. Kreuz.“ Und wieder merkte ich ein zorniges Ausschlagen in seiner Aura, noch schlimmer als beim ersten Mal. Nur das Pik sich selbst wieder beruhigen konnte. „Kreuz hätte mich fast gehabt. Erst waren wir ja etwa gleich auf, aber dann wurde er zur Chimäre. Ich hatte ja bis dato keinen Plan, dass solche Wesen überhaupt existierten. Kannst dir sicher vorstellen, dass er mich dann rund gemacht hat. Ich dachte echt, dass ich sterben würde.“ Jetzt war ich gespannt, wie er sich darauf hatte befreien können. „Kreuz hatte nur einen Fehler gemacht. Er hatte mich die Spritzen in der Innentasche seines Mantels sehen lassen, den er vor seiner Verwandlung bei Seite geschmissen hatte. Also hab ich ihm so ein Teil geklaut und Himmel… diese Schmerzen vergesse ich ein Lebtag sicher nicht.“ „Moment.“, platzte es aus mir heraus, „Du bist auch zur Chimäre geworden, obwohl du keine Ahnung davon hattest, was genau aus dir wird?“ „So sieht´s aus. Wollte einfach nicht draufgehen.“, erklärte Pik achselzuckend, „Es endete in einem unentschieden. Kreuz musste irgendwann aufgeben und fliehen, weil das Serum bei ihm nachließ und wäre er geblieben, hätte nämlich ich ihn zur Strecke gebracht. Danach folgte eine echte Horrornacht für mich. Als das Serum abklang, wünschte ich mir schon fast, dass ich mich einfach hätte umbringen lassen sollen. Am nächsten Morgen hatte ich den Kater meines Lebens. Kreuz ging es zum Glück auch nicht besser, aber er suchte mich erneut auf. Dieses Mal friedlich. Er hatte ein Angebot von Lucius dabei. Dieser war offenbar so beeindruckt, dass Kreuz mich nicht hatte töten können, dass er nun wollte, dass ich den Platz von Pik einnahm, welcher wohl kurz zuvor verstorben war. Eigentlich hatte ich darauf keine Lust, aber ich wusste, dass ich keine Ruhe vor Auftragsmördern gegen mich finden würde, wenn ich nicht zustimmte. Also nahm ich das Angebot an und wurde der neue Informant, legte den Namen Sense ab und wurde Pik. Tja… so war das. Lief ja auch alles gut, bis ich Yari kennenlernte. Aber den Rest kennst du ja schon.“ Damit endete Pik und ich sah einen Schmerz in seinem Blick, der mich ebenfalls traurig stimmte. Ich wusste, dass er sich die Schuld an ihrem Tod gab, auch wenn ich fand, dass er es nicht hätte verhindern können. Von dem, was ich über van Serenberg wusste, war mir klar, dass er so oder so einen Weg gefunden hätte, Yari aus dem Weg zu räumen. Trotzdem hasste sich Pik für seine Naivität. Er hatte Kreuz vertraut, weil er dachte, er wäre sein Freund gewesen. Einst mochten sich die beiden auch mal sehr ähnlich gewesen sein. Beide ruchlose Mörder ohne Reue oder Mitleid. Aber während Kreuz wohl dort stehen geblieben war, hatte Pik es doch irgendwie geschafft, sich zum Besseren zu verändern. Auch wenn ich keine Zweifel daran hegte, dass er noch immer ein gefährlicher Mörder war, so hatte er doch etwas Wichtiges dazu gewonnen. Er tötete nicht mehr wahllos und ohne jegliche Reue. Und ich war verdammt froh, dass wohl Mariel als auch Yari geschafft hatten, dass er nicht wie Kreuz geworden war, welcher aus reinem Sadismus getötet hatte. „Weißt du was?“, fragte ich in die Stille hinein und lehnte mich gegen ihn, „Auch wenn dein Leben sicherlich voller Tiefen war, so bin ich doch froh, dass du heute hier bist.“ Pik schwieg einen Moment verblüfft. Scheinbar wusste er nichts darauf zu sagen. Doch schließlich sagte er dann doch leise: „Ich bin auch froh. Danke, dass du mir diese Chance gegeben hast.“ „Gern und jeder Zeit wieder.“ Kapitel 38: das falsche Lächeln ------------------------------- Es war ein schöner Tag gewesen, sonnig und relativ warm, doch die Stimmung daheim war einfach getrübt. Luca war nicht wiederzuerkennen, nachdem nun auch Pik nicht mehr da war. Kyria tat zwar ihr bestes, ihn aufzuheitern, aber es gelang ihr kaum. Yara und Seth hatten neben der Sache mit Luca ihre eigenen Probleme und so blieb Tiara immer öfter auf der Strecke. Früher hatte sie Luca noch zum Lachen bringen können, selbst wenn er schlecht drauf war, aber heute funktionierte es gar nicht mehr. Da sie die anderen nicht auch noch belasten wollte, versteckte sie ihre wahren Gefühle und überspielte sie stets mit Heiterkeit und Ausgelassenheit. Kyria hatte neben Luca ja auch noch alle Hände voll zu tun, sich um die andere Exile zu kümmern, die in Luas Zimmer einquartiert war und nun schon seit Wochen ohnmächtig dalag. Tatsächlich hatte Tiara vor zwei Tagen ihren 12. Geburtstag gehabt, doch eine Feier hatte es nicht gegeben. Die Umstände erlaubten es einfach nicht. Zwar hatten Yara, Seth und Kyria ihr bestes versucht, den Geburtstag so schön wie möglich zu gestalten, aber ein Blick auf Luca hatte gereicht, um die Stimmung zu kippen. Sicher hatte er sich bemüht, den Tag nicht zu ruinieren, aber im Moment war er einfach ein seelisches Wrack. Also hatte Tiara es vorgezogen auf Geschenke und einen Kuchen zu verzichten. Ein kleiner Muffin mit Kerze war alles, was sie zugelassen hatte. Seit einiger Zeit hatte sie daher angefangen, allein zum Tiergarten zu fahren, wenn mal wieder ein besonders schlimmer Tag gewesen war. Auch sie vermisste Lua sehr und sie trauerte ebenfalls um Pik, der sich bei seinen Besuchen oft stundenlang mit ihr beschäftigt hatte. Bei Yara und Seth stand der Abschluss vor der Tür und sie waren im Prüfungsstress, sodass sie kaum Zeit für Tiara hatten. Wann immer sie sich also traurig und einsam fühlte, kam sie hierher und beobachtete die Eulen in ihren Gehegen. Sie mochte diesen Platz am liebsten, denn direkt dahinter lag ein großer Wald, der Naturschutzgebiet war und da dieses Areal etwas abgelegener lag, hatte sie hier ihre Ruhe vor anderen Leuten. Es war schwer immer die Naive zu mimen, die nicht mitbekam, was daheim ablief. Sie wusste, dass Lua damals gegangen war, weil sie selbst krank gewesen war und die Pillen für alle nicht hatte bezahlen können. Heute war Geld kein Problem mehr, denn seit Kyria da war, bezahlte sie alles. Tiara fragte sich daher öfter, ob sie reich war. Es war klar, dass Lua eine Exile sein musste, aber das hatte Tiara nicht gestört. Sie war einfach nur froh gewesen. Doch dann war da auch die Sache mit Luca und seinem dubiosen Job. Noch lange vor den Zwillingen hatte sie geahnt, was für eine Art Arbeit er nachgegangen war und ihr war auch früh bewusst geworden, dass Luca kein Mensch mehr sein konnte. Sie wusste zwar nicht, was er war, aber auch das war für sie nebenrangig. Hauptsache er ging nicht auch noch, aber genau das befürchtete sie nun. Ihre Familie brach langsam auseinander und als ein Waisenkind, das das erste Mal in ihrem Leben eine gehabt hatte, war das eine Katastrophe. Tiara hatte ihre Eltern durch die Yajuu verloren, woran sie sich aber nicht erinnerte, weil sie damals noch zu jung gewesen war. Danach kam sie in ein Waisenhaus und galt schon sehr bald als schwer vermittelbar, denn sie war infiziert. Mit vier Jahren galt sie schließlich als hoffnungsloser Fall und sie rannte davon. Da war sie Lua begegnet, die bereits einen Jungen bei sich aufgenommen hatte und nahm sich auch ihrer an. Einige Monate später waren auch die Zwillinge hinzugekommen und ab da war Tiara wirklich glücklich gewesen, wenn auch nur für relativ kurze Zeit. Da musste Tiara husten, was sie aus den Gedanken riss. Achja, sie hatte ganz vergessen heute die Tabletten gegen den Virus zu nehmen. Sie kramte die kleine Dose, die sie immer dabei hatte, heraus und drehte sie zwischen den Fingern hin und her. Warum nahm sie die Dinger überhaupt noch? Ihr war, als würde nach und nach sowieso jeder zur Bestie mutieren, warum also nicht auch sie? Doch sie verwarf den Gedanken wieder. Sie wollte ein Mensch bleiben, denn sie wusste, dass es die anderen sehr enttäuschen würde, wenn sie das einfach wegwarf, nachdem sowohl Lua, als auch Luca so hart dafür gearbeitet hatten, damit sie und die Zwillinge immer die Tabletten bekamen. Immerhin waren die Dinger ja nicht gerade billig. Da landeten die ersten Tropfen auf der Pillendose. Es hatte zu regnen begonnen, doch Tiara machte das nichts aus. Das Wetter unterstrich ihre Stimmung nur noch und so war sie binnen Minuten vollkommen durchnässt. Plötzlich hörte sie Schritte, die sich ihr langsam näherten. Als sie aufschaute, sah sie einen der ehrenamtlichen Mitarbeiter des Tiergartens, der mit einigen Eimern mit Tierfutter unterwegs war. Sie hatte ihn hier schon oft gesehen, seit sie regelmäßig herkam. Er kümmerte sie um die Eulen. So spät war es schon? Sie hatte ganz die Zeit aus den Augen verloren. Es dämmerte ja auch schon. „Nanu? Was machst du denn hier so ganz allein?“, fragte er und stellte die Eimer, die er vor dem Regen abgedeckt hatte, auf den Boden. Sofort setzte Tiara wieder ihre heitere Miene auf und lächelte: „Hab einfach die Zeit vergessen fürchte ich.“ Ihr Gegenüber hob skeptisch eine Augenbraue. Kei, so war der Name auf seinem Namensschild, musste Mitte bis Ende 20 sein und hatte ein recht auffälliges Aussehen. Jedes Mal wenn sie ihn sah, trug er Kontaktlinsen in anderer Farbe, manchmal waren die Augen auch unterschiedlich. Seine strubbeligen Haare waren immer nach hinten gekämmt und wurden von einem schlichten, schwarzen Haarreif gehalten. Aber auf der linken Seite hatte er eine ziemlich lange Strähne, die er immer geflochten trug und außerdem waren seine Haare blaugrün gefärbt. Mehrere Tattoos und Piercings hatte er auch, sodass er immer etwas einschüchternd wirkte. Tiara ließ das aber immer kalt. Sie war einfach schon schlimmeres gewohnt. Dazu stand seine typische grüne Arbeiterkleidung im krassen Gegensatz zum Rest des Aussehens. Kei war von recht schmaler Statur und so wirkte die Kleidung an ihm ein bisschen zu weit. Tiara fiel auf, dass seine Kontaktlinsen heute mal blau waren. Aber die linke Seite hatte ein viel helleres Blau, als die andere Seite. Sie fragte sich ja, was wohl seine originale Augenfarbe war. „Soso, Zeit vergessen also.“, riss Kei sie nun wieder aus den Gedanken, „Passiert dir in letzter Zeit öfter, huh? Ich sehe dich hier regelmäßig sitzen. Du wirkst immer ziemlich depri, wenn du mich fragst.“ Tiara wollte es gerade herunterspielen, als er sagte: „Mach dir nicht die Mühe mir was vorzuspielen, Kleine. Hab dich längst durchschaut. Also, wie wär´s wenn wir stattdessen versuchen, dich etwas aufzumuntern?“ Irgendwie war Tiara richtig erleichtert darüber, dass er wusste, wie sie wirklich drauf war. So zwang sie sich nicht mehr zu lächeln und steckte dafür die Tablettendose weg, die sie noch immer in den Fingern hielt. „Mein Name ist Tiara.“, stellte sie sich nun vor. „Ok. Ich bin Kei.“, lachte er nur belustigt und nahm einen Deckel von den Eimern. Es regnete nur noch schwach und sobald die Eulen das Futter sahen, wurden sie gleich ganz aufgeregt. „Kümmerst du dich nur um die Eulen?“, fragte Tiara neugierig und sah dabei zu wie Kei ein paar tote Mäuse in den Volieren verteilte. „Jup, sind irgendwie die einzigen Tiere, die mich zu mögen scheinen.“, lachte Kei daraufhin und hielt eine Hand in die Voliere hinein. Ein riesiger Uhu landete auf dem Arm und ließ sich brav mit nach draußen nehmen. Er machte zu Tiaras Erstaunen keine Anstalten wegzufliegen. „Das ist Lica.“, stellte Kei den Uhu vor, „Er ist sehr zahm. Wenn du möchtest, kannst du ihn gern streicheln.“ Etwas zögerlich streckte Tiara eine Hand aus. Die leuchtenden Augen des Tieres beeindruckten sie, wie sie in der Dämmerung funkelten und alles zu sehen schienen. Vorsichtig strich Tiara über die Federn an der Brust und der Uhu hielt tatsächlich still. „Ist ja richtig weich.“, stellte Tiara beeindruckt fest und begann ohne es zu merken, zu lächeln. Dieses Mal war es endlich mal wieder ein ehrliches Lachen. „Freut mich dich kennenzulernen.“, sprach sie zu dem Vogel, „Du bist wirklich toll.“ „Hm, er scheint dich zu mögen.“, stellte Kei fest, „Sonst hätte er sich schon längst von dir abgewandt, weißt du?“ „Cool.“, freute sich Tiara und grinste noch breiter. „Hab noch nie eine Eule gestreichelt.“ „Na dann hast du wohl was verpasst.“, neckte Kei sie. Nach einer Weile ließ er den Uhu wieder in seine Voliere zurück und verstaute die Eimer. Mittlerweile war es dunkel geworden und allmählich begann Tiara zu frieren. Immerhin war sie noch immer durchnässt und auch der Regen wurde langsam wieder stärker. Gepaart mit einem lästigen Wind wurde das langsam unangenehm. Der Tiergarten machte eh gleich zu und so wurde es wohl höchste Zeit zu gehen. Da spürte sie bereits den Hustenreiz aufkommen und konnte es nur spärlich unterdrücken. Kei fiel das natürlich auf und sagte: „Du hast dich doch wohl nicht erkältet bei dem Wetter? Komm mit, bei uns im Aufenthaltsraum mach ich dir eine Tee oder ´nen Kakao, damit du dich wieder aufwärmen kannst. Natürlich nur, wenn du willst.“ Tiara war perplex. Warum war er denn so nett zu ihr? Eigentlich wollte sie ablehnen, aber nach Hause wollte sie auch noch nicht und so stimmte sie letztlich doch zu. „Ok… dann hätte ich gern einen Kakao.“, sagte sie schüchtern. „Gut, dann folge mir. Ich bringe nur noch schnell die Eimer weg.“, freute sich Kei und setzte sich in Bewegung. Wenige Minuten später saßen er und Tiara im Aufenthaltsraum. Vor ihr stand wie versprochen eine große Tasse Kakao und sie genoss die Wärme sehr. Gerade kam auch Herr Takato, der Besitzer des Tiergartens, herein. „So hab abgeschlossen, ihr könnt dann Feierabend machen, wenn ihr noch nicht weg seid.“, verkündete er und bemerkte dann erst Tiara. „Oh Hallo Tiara. Was machst du denn noch hier?“, fragte der alte Mann freundlich. Er kannte sie ja schon seit Jahren und ließ sie immer kostenlos in den Tiergarten kommen. „Sie hat wohl im Regen die Zeit vergessen, Chef. Da hab ich sie kurz mit her gebracht. Hoffe das ist ok.“, erklärte Kei schnell. Doch Herr Takato winkte nur lachend ab. „Ach ist doch kein Problem. Sie und ihre Familie sind hier stets willkommen. Aber bist du denn allein hier?“ Tiara nickte schüchtern. „Ja, die anderen hatten leider keine Zeit mitzukommen.“ „Das ist schade. Mir scheint, sie haben in letzter Zeit alle viel zu tun, was?“, fragte der alte Mann nach. „Leider…“, gab Tiara betrübt zurück, aber setzte sogleich wieder ihr überspielendes Lächeln auf und meinte: „Aber ist doch nicht schlimm. Bin ja alt genug, um auch mal was allein zu machen.“ Kei warf ihr seitlich einen Blick zu, den sie zwar bemerkte, aber nicht deuten konnte. „Das mag ja stimmen, aber es ist schon ziemlich spät.“, mahnte Takato sie, „Soll Kei dich nicht lieber nach Hause fahren? Er ist ein guter Kerl, der macht sicher keinen Blödsinn.“ Takato lachte über seine eigene Aussage und auch Kei konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Was sollte er auch mit einer 12 Jährigen anfangen? „Aber das kann ich doch nicht annehmen.“, protestierte Tiara., „Ich meine, das ist voll weit weg.“ „Eben deswegen ja. Ich habe ja kein Auto, sonst hätte ich es dir selbst angeboten.“, gab Takato zurück, „Besonders Nachts sind viele Yajuu und Exile unterwegs. Ich denke nicht, dass du da allein herumlaufen solltest.“ Tiara seufzte. „Na gut…“ „Na geht doch. Dann mal noch was anders“, meinte Takato zufrieden und strubbelte ihr im Vorbeigehen durch die dunkelbraunen Haare. „Alles Gute noch nachträglich zum Geburtstag.“, lachte er und stellte ein kleines Päckchen mit Schleife vor ihr auf den Tisch. „Sie haben wirklich daran gedacht?“, wunderte sich Tiara und ihre Augen begannen zu glänzen. „Aber sicher doch. Du bist doch schließlich eine unserer besten Stammgäste. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich hoffe es gefällt dir.“ „Danke schön.“, freute sich Tiara und strahlte vor Freude. Takato lächelte zufrieden und nickte. „Ich werde mich dann auch verabschieden. Ich hoffe man sieht sich bald wieder. Ach und Kei? Schließ dann bitte hier ab, wenn du gehst, ja?“ „Mach ich, Chef.“, gab jener sofort zurück. Mit einem Nicken verließ Herr Takato den Aufenthaltsraum und damit waren Tiara und Kei wieder allein. Tiara hielt das Geschenk, was kleiner als ihre Hände war, wie einen Schatz und wagte nicht, es zu öffnen. „Wollen wir dann?“, fragte Kei nachdem sie mit ihrem Kakao fertig war. „Und das macht dir wirklich nichts aus? Ich meine, Herr Takato hat das ja jetzt irgendwie bestimmt, ohne dich wirklich zu fragen, ob das in Ordnung ist.“, erwiderte Tiara etwas zurückhaltend. „Ne ist kein Problem.“, winkte Kei ab, „Ich fahr gern Auto.“ „Na gut…“, gab sie nach und packte ihre Sachen zusammen. Als sie gerade den Aufenthaltsraum verließ, sah sie, dass es noch stärker regnete als vorhin. Sie war gerade erst wieder halbwegs trocken, aber da musste sie wohl durch. Sie trat gerade unter dem schützenden Dachvorsprung hervor, als ein Schirm aufschnellte. Kei stand neben ihr, in der einen Hand den großen Schirm, in der anderen die Autoschlüssel, die er lässig hin und her schwang. „Damit du nicht gleich wieder nass wirst.“, verkündete er und machte sich auf den Weg. Tiara folgte ihm langsamen Schrittes, das Geschenk immer noch zwischen den Händen. „Von mir übrigens auch alles Gute nachträglich.“, sagte Kei, um die Stille zu brechen. „Oh, danke schön.“, lächelte Tiara ihm zu. Sie erreichten gerade den Parkplatz, welcher bis auf ein Auto leer war. Kurz bevor sie das Auto aber erreichten, hörte Tiara plötzlich ein Knacken, das ganz aus der Nähe kam. Auch Kei hatte es offenbar gehört. „Was war das?“, fragte Tiara leise. Sofort kamen die Erinnerungen vom Exile im Tiergarten wieder hoch, den Luca beinahe getötet hatte. Aber jetzt war gerade niemand da, der es mal eben mit so einem Vieh aufnehmen konnte und ihr wurde mulmig zumute. Da knackte es erneut und in einiger Entfernung erschien eine Gestalt aus dem Unterholz. Von hier aus sah es auf jeden Fall wie ein Mensch aus. „Halt den mal bitte.“, sagte Kei und reichte Tiara den Schirm. „Warte am Auto, bin gleich wieder da.“ Kei wirkte jetzt nicht sonderlich besorgt, dennoch war Tiara sich unsicher. Sie blieb brav am besagten Auto stehen und sah zu, wie Kei zu der Gestalt herüberging, welche ihm entgegenkam. „Huh? Ich dachte hier ist niemand mehr?“, wunderte sich sein Gegenüber. Es war ein Jugendlicher, der vermummt und mit Rucksack auf dem Rücken durch die Nacht zog. Bei jedem Schritt klapperte es verdächtig, als hätte er eine Menge Sprühdosen dabei. „Wir haben geschlossen.“, verkündete Kei gelassen und positionierte sich ihm gegenüber. „Ich an deiner Stelle würde es ohnehin sein lassen.“ Die Drohung war nicht zu überhören. Kei wusste genau, was der Junge hier wollte. Sie hatten schon oft genug Graffiti im Tiergarten gehabt, manchmal auch Randale, die sie dann hinterher immer den halben Tag beseitigen mussten. Kei hatte darauf keinen Bock. Doch sein Gegenüber sah das ein wenig anders. „Hey man, jetzt sei doch mal locker. Ist schließlich ein freies Land hier.“ „Das schon, aber das schließt nicht mit ein, alles zu verwüsten.“, gab Kei leicht genervt zurück. „Also verschwinde einfach wieder von hier, Junge.“ Doch dieser fand das gar nicht komisch. Er begann verärgert zu grinsen uns setzte den Rucksack ab. „Weißt du was, ihr geht mir mit euren Regeln echt auf die Nerven.“, verkündete er und positionierte sich in kämpferischer Haltung. Da veränderte sich sein rechter Arm zu einer Klaue und er drohte. „Du verschwindest jetzt von hier oder du kannst froh sein, wenn du es noch in ein Krankenhaus schaffst, kapiert? Ich kann´s nicht ausstehen, wenn man mir Vorschriften machen will.“ Kei schien das aber immer noch nicht zu beeindrucken. Stattdessen seufzte er entnervt aus. „Schon wieder so ein Halbyajuu? Was findet ihr nur so toll daran zu so was zu werden, wenn ihr doch eine ganz andere Wahl habt?“ „Tse, sei still.“, meinte sein Gegenüber und spuckte vor ihm auf den Boden. „Hältst dich wohl für was Besseres, weil du gesund bist, was? Dabei solltest gerade du dich fürchten, Mensch. Schließlich steht ihr in der Nahrungskette weit unter uns.“ Nun verdrehte Kei genervt die Augen. „Kinder heute…“, seufzte er, woraufhin der Junge zum Angriff überging. Zugegeben, er war schon recht schnell, aber ein miserabler Kämpfer. Mit den Händen in den Hosentaschen wich Kei ohne Probleme aus. Der Junge holte mit der Klaue aus, doch Kei lehnte sich einfach ein Stück nach hinten weg. Dann trat er den Halbyajuu, sodass dieser nach hinten taumelte. Wütend fauchend rannte dieser wieder auf Kei zu, doch dieses Mal wich er zur Seite aus. Man sah Kei an, dass er sich nicht sonderlich anstrengen musste, um dem Jungen auszuweichen. Irgendwann zog Kei seinem Gegner die Füße mit einem schnellen Tritt weg und er knallte unsanft zu Boden. „Na warte!“, schrie der Junge nun zornig, sprang wieder auf und rannte wie ein wilder Stier auf Kei zu. Tiara beobachtete das ganze besorgt. Doch Kei sprang im richtigen Moment ab, auf den Rücken des Jungen und daraufhin weiter hinter ihn. Der Junge war wieder aus dem Gleichgewicht geraten und versuchte sich noch im Rennen wieder umzudrehen. Da zog Kei eine Hand aus der Hosentasche, packte den zur Klaue gewordenen Arm und drehte ihn auf den Rücken. Unter Schmerzen ging sein Gegenüber auf die Knie und steckte in der Falle. Wollte er sich nicht den Arm brechen, dann steckte er fest. Kei hingegen seufzte nur wieder genervt. „Bist du jetzt endlich fertig?“, fragte er ungeduldig. „Ich hab heute noch andere Dinge zu erledigen, als mich mit dir herumschlagen zu müssen. Also wenn du nicht willst, dass ich DICH ins Krankenhaus befördere, dann verschwindest du jetzt lieber ganz schnell und lässt dich hier nicht mehr blicken. Kapiert?“ Tiara musste zugeben, dass Kei in diesem Moment wirklich furchterregend aussah. Eigentlich hatte er ja kaum etwas gemacht, aber trotzdem hinterließ er wirklich Eindruck. Dem Jungen ging es offenbar genauso und er gab nun klein bei. „Ist ja gut, ist ja gut.“, rief er recht wimmernd, „Ich hau ja schon ab. Aber bitte brich mir nicht den Arm, ja?“ Kei ließ ihn nun los und steckte die Hand zurück in die Hosentasche. „Geht doch.“, sagte er und sah zu, wie der Junge seinen Rucksack schnappte und ganz schnell das Weite suchte. Als Kei zu Tiara zurückkam, sagte er: „Tut mir Leid, dass es so lang gedauert hat. Haben hier nur leider öfter mit solchen Typen zu tun. War es ein wenig Leid, ständig hinter denen sauber machen zu müssen. Aber jetzt komm. Du musst bestimmt schon frieren. Ab ins Auto.“ Er öffnete ihr die Tür und nahm den Schirm ab. Tiara war froh ins trockene zu kommen und als Kei Momente später die Heizung anstellte, ging es ihr auch gleich viel besser. Nachdem sie ihre Adresse verraten und er losgefahren war, kamen die beiden wieder ins Gespräch. „Du kannst wohl gut kämpfen, was?“, fragte Tiara neugierig. Kei lachte. „Ach quatsch. Nur ein bisschen, aber für solche Typen reicht es allemal.“ „Also ich fand es cool.“, meinte Tiara ehrlich fasziniert. „Ach hör auf. Du machst mich noch ganz verlegen.“, erwiderte Kei grinsend. Während der restlichen Fahrt unterhielten sie sich über dieses und jenes. Tiara genoss die Zeit sehr. Es war wirklich mal erfreulich mit jemanden zu reden, der nicht total von Sorgen zerfressen war. Als sie einige Zeit später ihr Haus erreichten, war sie regelrecht traurig darüber. Kei parkte nicht weit entfernt. „So da wären wir.“, verkündete er und streckte sich gähnend. „Das ging ja echt schnell.“, staunte Tiara und blickte verträumt durch die Frontscheibe auf die Laterne vor ihnen. Sie wollte noch nicht aussteigen und gehen. Noch im selben Moment musste sie wieder husten. Dieses Mal konnte sie es nicht mehr unterdrücken und als sie wieder atmen konnte, sah sie, dass Kei sie kritisch beäugte. „Du solltest die Tabletten lieber nehmen.“, sagte er ernst, „Halbyajuu braucht die Welt nicht noch mehr.“ Er wusste es? Offenbar durchschaute er ihren geschockten Blick sofort und ergänzte: „Ich hab die Tabletten vorhin gesehen. Aber ist doch nichts dabei. Sei froh, dass du die Chance hast, sie zu nehmen. Früher gab es sowas ja noch nicht. Da war man zum Tode verurteilt, sobald man infiziert war.“ „Ich weiß…“, sagte Tiara kleinlaut, „Ich hab auch nicht vor ein Halbyajuu zu werden, ehrlich.“ Sie kramte die Pillendose aus der Jackentasche und nahm eine der weißen Tabletten heraus. „Ich wünschte nur, dass ich sie gar nicht brauchen würde.“, sagte sie traurig und schluckte sie herunter. „Kann ich verstehen.“, meinte Kei einfühlsam, „Lass dich davon aber nicht unterkriegen, ja?“ Tiara nickte. „Wenn du mal ein offenes Ohr brauchst, du weißt ja, wo du mich finden kannst.“, sagte er nun und das war zu viel für sie. Es war einfach die Tatsache, dass jemand, den sie kaum kannte, so unheimlich nett zu ihr war. Die Tatsache, dass er es geschafft hatte für kurze Zeit so etwas wie Normalität in ihr Leben zu bringen. Diese Art der Zuneigung vermisste sie sehr und da begann sie zu schluchzen. Sie versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten, zumindest bis sie wieder im Haus war, aber es klappte nicht. „Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte Kei sie besorgt, woraufhin Tiara energisch den Kopf schüttelte. Kei schien zu verstehen und legte eine Hand auf ihren Rücken. „Das wird schon wieder, ok?“ Kapitel 39: Der Startschuss --------------------------- Kyria merkte den Wechsel in der Aura sofort und war alarmiert. Schnell begab sie sich nach oben in Luas altes Zimmer, in dem Seraphis nun untergebracht war. Sie lag hier schon seit Wochen bewusstlos, was kaum verwunderlich war, denn Seraphis Zustand war bei ihrer Ankunft katastrophal gewesen. Endlich jedoch erwachte sie, was einen kleinen Energiestoß ihrer Aura zur Folge hatte. Langsam öffnete sie die Augen und blickte sich etwas um. „Wow… ich muss lange weg gewesen sein.“, war das erste, was sie sagte und klang dabei so gefasst wie immer. „Kann man so sagen.“, antwortete Kyria ihr freundlich und setzte sich auf einen Stuhl neben das Bett. „Wie geht es dir?“, fügte sie dann noch an. „Ganz gut denke ich.“, gab Seraphis zögernd zurück, „Nur verdammt hungrig.“ War logisch. Wie lange hatte sie wohl schon nichts mehr bekommen? Mussten schon viele Jahre sein. „Wenn du willst, kann ich dir schnell was besorgen.“, bot Kyria an, doch Seraphis schüttelte den Kopf. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern allein jagen. Keine Sorge, ich lasse mich schon nicht gleich wieder einfangen.“ „Wie du willst.“, meinte Kyria nicht gerade glücklich. Doch sie wusste, dass Seraphis sich da nicht umstimmen lassen würde. Sie musste sie wohl oder übel gewähren lassen. „Du wirkst geknickt.“, bemerkte Seraphis plötzlich. Sie hatte sich ein wenig aufgesetzt und blickte Kyria nun direkt in die grünen Augen. „Ach naja, läuft eben grade nicht alles so rund.“, meinte sie daraufhin. „Ist es wegen Lua?“ Da wurde Kyria hellhörig. „Du weißt von ihr? Ok… was wundert es mich eigentlich. Du weißt ja irgendwie immer alles.“ „Nicht alles, aber viel.“, berichtigte Seraphis sie, „Aber du musst dir keine Sorgen machen. Lua geht es gut.“ „Aha und woher willst du das wissen?“, unterbrach ein übel gelaunter Luca sie. Er stand an den Türrahmen gelehnt und blickte grimmig drein. So wie immer eigentlich in letzter Zeit. Kyria hatte schon bemerkt, dass etwas mit ihm ganz und gar nicht stimmte, doch sie konnte nicht greifen, was es war. Zumindest hatte sich seine Aura verändert. Sie war viel gefährlicher geworden und das binnen weniger Wochen. Eigentlich seit Pik verstorben war. Da er aber natürlich nicht mit sich reden ließ, hatte sie aufgegeben, sich darum direkt zu kümmern. „Ich weiß es einfach.“, antwortete Seraphis nun auf seine Frage und ging nicht auf den grimmigen Unterton ein. „Aha.“, meinte er brummig, „Wie schön, dass du das weißt.“ Er klang echt biestig und verbittert und Kyria hätte ihm für diesen Tonfall gerne eine reingehauen, aber Seraphis vermittelte ihr, ruhig zu bleiben. Stattdessen sagte sie nun folgendes: „Du hast deinen Weg also gewählt, was? Nun, Fehler macht jeder.“ Kyria wusste nicht, was Seraphis da meinte, Luca schien es dafür umso genauer zu wissen. Seine Stimmung sank augenblicklich noch tiefer und ein bösartiges Funkeln trat in seine Augen. Dann schnaufte er genervt aus, drehte sich um und stapfte davon. „Was war denn das?“, wunderte sich Kyria über diesen Auftritt. „Die Karten wurden neu geordnet.“, sagte Seraphis, „Die Zeit wird erst zeigen, wie sich hier die Dinge entwickeln werden. Hör zu. Ich möchte dich gern um noch einen Gefallen bitten, wenn ich darf.“ „Na klar, was gibt´s?“, fragte Kyria verwirrt. Seraphis war einfach niemand, der sonst Gefallen einforderte. „Ich möchte, dass du weiterhin ein Auge auf die Zwillinge und Tiara wirfst, ja? Lua kann das ja im Moment nicht und ich kann ihre Familie hier nicht unbeaufsichtigt lassen, während sie nicht da ist.“ „Du weißt also tatsächlich, wo sie ist.“, stellte Kyria fest. „Ja, das weiß ich. Keine Sorge, ihr geht es gut soweit. Doch sie erledigt etwas sehr wichtiges für mich und daher kann sie jetzt nicht hier sein. Ich hoffe du verstehst.“, erklärte Seraphis ruhig. „Ok, ich verstehe schon. Wenn du sagst, dass es ihr gut geht, dann bin ich beruhigt und frag nicht weiter nach.“, seufzte Kyria müde, „Ich werde auf jeden Fall hierbleiben, bis das erledigt ist, versprochen. Kannst dich auf mich verlassen, Seraphis.“ Diese begann nun dankbar zu lächeln. „Das erfüllt mich wirklich mit Freude. Ich danke dir.“ „Hey dafür sind Freunde doch da.“, lächelte Kyria und Seraphis wurde ein ganz kleines bisschen rot. „Freunde…“, wiederholte sie das Wort leise und schien sich darüber unheimlich zu freuen. … Ich hatte als erstes bemerkt, dass Seraphis in Begriff war, aufzuwachen. Als es wenig später auch meine beiden Begleiter merkten, war Vale sofort aus dem Häuschen. Wir wussten, dass Seraphis uns wahrscheinlich schon sehr bald besuchen kommen würde und das bedeutete, dass unsere Mission bald beginnen würde. Einige Stunden später erschien sie dann. Seraphis war noch nicht wieder völlig bei Kräften, sah aber schon deutlich besser aus, als in den letzten Visionen. In Gestalt eines kleinen Mädchens mit langen weißen Haaren und einem schlichten hellem Kleid erschien sie wie aus dem Nichts. So zeigte sie sich meistens und eher selten in ihrer wahren Gestalt als erwachsene Frau mit diesen geisterhaften Haaren, die flüssig in den Nebel übergingen. Pik und ich saßen auf einem Stein, während Vale gleich zu ihr herüber ging und sie freudestrahlend begrüßte. Ich merkte, wie Seraphis leicht rot wurde, sich aber offensichtlich auch freute, ihn endlich wiederzusehen. „Hallo ihr.“, begrüßte uns Seraphis letztlich auch. „Hey.“, gab ich lächelnd zurück und Pik nickte zustimmend. „Ich danke euch für eure Geduld mit mir.“, begann Seraphis nun. „Wie ich sehe habt ihr Verstärkung bekommen.“ Sie blickte damit zu Pik. „Die Dinge haben sich einfach ergeben.“, meinte dieser gelangweilt. Plötzlich hörte er ihre Stimme in seinem Kopf. Eine Nachricht, die nur für ihn gedacht war und besagte: „Pass gut auf sie auf. Sie kann eine verlässliche Chimäre an ihrer Seite gut gebrauchen.“ Pik fragte sich, ob sie darauf irgendwie auf Luca anspielen wollte, fragte aber nicht weiter nach und meinte einfach: „Werd ich machen.“ „Gut.“, sagte sie nun wieder laut in die Runde, „Dann halten wir Kontakt über den Verlauf eurer Reise. Sobald ich etwas herausfinde, teile ich es euch natürlich mit. Wenn wir gemeinsam suchen, werden wir diesen Parasiten schon finden und dann könnt ihr ihn vernichten.“ „Klar doch.“, lachte Vale selbstbewusst, „Das wird ein Klacks.“ Ich kicherte leise und tauschten einen vielsagenden Blick mit Pik aus, der wohl gerade dasselbe dachte: Vale versuchte hier eindeutig gerade Seraphis zu beeindrucken. Ob es wohl funktionierte? Schwer zu sagen jedenfalls. Aber auf jeden Fall war dies der Startschuss für alles. Nachdem wir noch einige Details besprochen hatten, machten wir uns allmählich abreisebereit. Noch heute würden wir uns auf den Weg machen. Wohin? Das würde sich noch zeigen. Ich für meinen Teil freute mich bereits wahnsinnig die Welt zu sehen und konnte es kaum noch erwarten. Wer konnte schon ahnen, dass unsere Reise uns letztlich genau wieder hierher zurück führen würde? … Luca streifte ziellos durch die Nacht. Er war in letzter Zeit so rastlos, was ihn ziemlich nervte. Sie wusste es also, stellte er für sich fest. Seraphis hatte ihn angesehen und sofort gewusst, was Sache war. Ein bitteres Lachen ging von ihm aus. An eine Wand gelehnt starrte Luca in die kalte Nacht und wunderte sich, dass er die Kälte überhaupt nicht mehr wahrnahm. Dafür merkte er aber etwas anderes umso mehr. Die Chimäre in ihm hatte mal wieder Hunger. Seit er den Vertrag mit Joker hatte, war das viel schlimmer geworden und er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. Immerhin fand er ja auch nicht immer gleich einen Exile oder Yajuu wenn er Hunger hatte. „Warum dann nicht mal Menschen?“, kreuzte ein Gedanke seinen Weg. Gern hätte Luca behauptet, dass das eine Ausnahme war und er dies nie in Betracht gezogen hätte, aber das stimmte nicht mehr. Vor ein paar Wochen hätte er sich vehement dagegen gewehrt, Menschen als Beute zu sehen, aber mit jedem Tag der verstrich, wurde die Gegenwehr, das schlechte Gewissen, schwächer. Ein wenig fürchtete Luca ja den Tag an dem es ganz geschah und doch ahnte er, dass es früher oder später geschehen würde. Zumal er auch ahnte, dass er deswegen nie satt wurde, eben weil er keine Menschen jagte. In gewissermaßen saß er in einer Zwickmühle fest, aus der es aber auch keinen Ausweg mehr gab. Aber es war letztlich seine eigene Schuld und er musste damit leben. Er hatte ja nicht nur Nachteile durch den Vertrag mit Joker. Im Gegenteil. Er konnte bereits seit Tagen spüren, dass er tatsächlich mächtiger wurde. Noch war es nicht so auffällig für die anderen, aber irgendwann würde es das wohl werden. Wenn dieser Tag kam, so beschloss Luca, würde er gehen. Wohin war da erstmal egal, hauptsache weg von Tiara und den Zwillingen. Kyria kümmerte sich ja um sie, da brauchten sie ihn nicht unbedingt. Denn den Pfad, der er eingeschlagen hatte, war finster und würde sehr blutrünstig werden. Da wollte er sie auf keinen Fall mit hinein ziehen. Die drei waren Menschen und sollten es auch bleiben. Und auch wenn sie sich eines Tages wohl von ihm abwenden würden, weil er genau wusste, was er tun würde, dann wäre es ihm hoffentlich schon längst egal. Noch schmerzten die Gedanken daran, dass sich auch noch der Rest seiner Familie von ihm abwenden würde, aber Joker hatte ihm ja in Aussicht gestellt, dass diese Gefühle eines Tages verschwinden würden. Bis dahin würde er das schon noch aushalten. Hoffentlich würde dann auch die Sache mit Lua nicht mehr schmerzen. Ein Teil von ihm wollte zwar auf keinen Fall, dass er sie vergaß oder das sie ihm gar egal wurde, aber ein anderer Teil wünschte sich genau das. Immerhin war sie der größte Auslöser für seine seelischen Schwankungen und das wollte eben jener Teil seines Seins gern behoben sehen. Und so zog er weiter seiner Wege, weiterhin auf der Suche nach einer geeigneten Beute und philosophierte über die Zukunft. Epilog: Kaffee, Blut und Bestien -------------------------------- Wie so oft in letzter Zeit war die Nacht regnerisch und stürmisch. Kei saß, wie so viele Nächte, vor den Volieren seiner geliebten Eulen, Lyra ruhte entspannt auf seinem Arm und putzte sich, während Kei einfach nur in die Ferne schaute. Veränderung lag in der Luft. Schon seit Monaten änderten sich die Dinge in dieser Stadt gewaltig und das wahrlich nicht zum Besseren. Vor einiger Zeit hatte sich eine Gang gegründet, die nur aus Yajuu, Halbyajuu und Exile bestand und glaubte man den Gerüchten war ihr Anführer ein Wesen, das von allen nur Chimäre genannt wurde. Noch unterschätzten die Hunter und auch Lucius diese neue Gruppierung, aber Kei war nicht so naiv. Schon seit er das erste Mal von ihnen gehört hatte, wusste er, dass sie diese Stadt in den Abgrund reißen würden und genau das geschah momentan auch. Die Übergriffe auf Menschen nahm immer mehr zu. Ganze Viertel wurden so allmählich ausradiert und zum Gebiet der Gang und doch unternahm niemand so recht etwas dagegen. Es würde nicht mehr lange dauern und das Leben in der Stadt, so wie es jetzt war, würde zusammenbrechen. Das würde auch das Ende des Tiergartens bedeuten. Schon jetzt kamen kaum noch Gäste und Gelder gingen aus. Es reichte kaum noch, um überhaupt alle Tiere hier versorgen zu können und auch viele der Ehrenamtlichen hatten ihre Arbeit niedergelegt, weil das abseits gelegene Grundstück einfach zu gefährlich wurde. Die wenigen die noch geblieben waren, schoben Nachtschichten und passten auf, dass nicht noch mehr zerstört wurde aber Kei war klar, dass auch das sehr bald ein Ende finden würde. So lange es ging, würde er hier bei seinen Eulen bleiben, aber wenn es zu gefährlich wurde, würde er sie wohl frei lassen müssen. Immerhin hatten sie so noch eine kleine Chance zu überleben, wenngleich die Tiere das Leben in der Wildnis nicht gewohnt waren und Kei sich bewusst war, dass nicht alle seiner Tiere, den kommenden Winter überleben würden. Dabei hatte er dieses Leben wirklich genossen. Für heute jedoch war er nur zufrieden, eine weitere Nacht bei den Eulen verbringen zu können. Als es zu dämmern begann und damit seine Nachtschicht sich dem Ende entgegen neigte, setzte er Lyra zurück und schlenderte dann gemütlich zu seinem Auto. Da es noch immer sehr bewölkt war und mittlerweile auch die ersten Tropfen gen Boden fielen, war der Tagesanbruch kaum erkennbar. Lediglich die Uhrzeit gab einen Hinweis darauf. Es war kurz nach sechs Uhr morgens als er seinen Wagen startete und zu seiner Wohnung fuhr, die durch die aufkommende Bande in einem der ungemütlicheren Viertel lag. Es wunderte ihn kaum, dass immer mehr Menschen versuchten, von hier fort zu ziehen. Er selbst plante momentan aber noch keinen Umzug. Da es Sonntag war und noch so früh am Morgen, lag die Straße totenstill da. Eigentlich war er ja müde, aber auch sein Magen meldete sich gerade, also sah er davon ab, schon in seine Wohnung zu gehen. Nicht weit von hier gab es einen Laden, der rund um die Uhr offen hatte und da Keis Kühlschrank ohnehin gähnend leer war, wollte er sich nun dort zumindest einen Kaffee holen. Dass der Regen immer stärker wurde, störte ihn dabei nicht. Allein unterwegs war er dennoch nicht, wie er schließlich feststellen musste. Unweit von ihm hörte er plötzlich laute Geräusche. Eine Mischung aus Fauchen, Knurren und Geschrei war zu hören und war schwer zu ignorieren. Kei tat es trotzdem und ging weiter. Er hatte jetzt echt keine Lust irgendwo hinein zu geraten. Als er jedoch wenig später mit einem Kaffee in der Hand den Rückweg antrat, war es wieder still. Im ersten Moment dachte Kei, dass sich der Kampf wohl gelegt hatte, als er unfreiwillig mitten hinein geriet. Vor einer Sackgasse konnte er deutlich eine Blutspur erkennen, die tiefer hinein führte. Jemand musste dort entlang geschleift worden sein und das gerade eben erst. Einen Moment blieb Kei stehen und überlegte, ob er doch einmal nachsehen sollte, ob da hinten nun jemand lag, der eventuell Hilfe gebrauchen konnte oder nicht. Eigentlich war Kei schon lange nicht mehr sonderlich hilfsbereit, doch seit er Tiara kannte und sie ihn regelmäßig besuchte, begann sich seine Einstellung wieder etwas zu wandeln. Letztlich seufzte er genervt aus und betrat die Gasse. Sie war länger als er zunächst angenommen hatte und endete in einer Art Hinterhof von mehreren leer stehenden Gebäuden. Zwischen Gerümpel entdeckte Kei auch schließlich eine Gestalt, die zusammengekrümmt am Boden lag. Der junge Mann blutete schwer und das Zeichen auf seiner Stirn identifizierte ihn sehr eindeutig als Hunter. Ausgerechnet. Als dieser Kei bemerkte, versuchte er sich gequält aufzusetzen. Offensichtlich hatte er große Schmerzen und mit leidenden Blick krächzte der Sterbende: „Hilfe… Ich… will noch nicht… sterben.“ Kei hob verwundert eine Augenbraue. „Und ich dachte, dass sie euch alle Emotionen genommen haben, Hunter.“, bemerkte er sarkastisch. Daraufhin gab sein Gegenüber einen gequälten Laut von sich. „Ich bin noch… nicht…“ Jetzt bemerkte es auch Kei. Das Zeichen dieses Hunters war noch unvollständig. Er war also noch in der Ausbildung und folglich noch ein Mensch. Das erklärte auch, warum seine Wunden nicht regenerierten. Kei hockte sich nun vor den Hunter und betrachtete die Wunden genauer. „Sorry Kleiner.“, meinte er kühl, „Aber das kann ich auch nicht mehr flicken. Als ich noch als Arzt gearbeitet hab, hatte ich Fälle wie dich oft auf dem Tisch. Du wirst wohl verbluten.“ Ein Wimmern ging nun von dem Menschen auf und Kei begann sich zu wundern, wo der Angreifer abgeblieben war. Den Wunden nach zu urteilen, war das wahrscheinlich ein Exile gewesen und diese ließen ihre Beute im Allgemeinen nicht einfach zurück. Immerhin gab er eine passable Mahlzeit für jeden Exile ab. Trotzdem bekam Kei etwas Mitleid bei dem Anblick, der sich ihm bot. Verbluten war ein Tod auf Raten und davon war Kei noch nie begeistert gewesen. „Ich kann leider nichts für dich tun.“, sagte er daher, „Aber ich kann die Sache abkürzen.“ Der Hunter schluckte angsterfüllt. Kei konnte ihm deutlich ansehen, dass er auch so nicht sterben wollte. „Deine Entscheidung.“, meinte Kei nur gelangweilt und schlürfte weiter an seinem Kaffee. „Aber es wird niemand kommen, der dich auf magische Weise wieder zusammenflickt. Besonders nicht in diesem Viertel.“ Plötzlich bemerkte Kei einen Luftzug hinter sich und gleichzeitig sah er, wie der Hunter vor Angst die Augen aufriss. Instinktiv griff er nach seiner Waffe und fixierte den Neuankömmling, während Kei sich nur langsam umdrehte und die Lage analysierte. Dort stand ein ebenfalls blutverschmierter Mann mit schwarzem Haar und eisblau glühenden Augen. Eine finstere Aura ging von ihm auf und man musste kein Experte sein, um zu erkennen, dass das Blut an ihm von dem Hunter stammte. Und noch etwas wurde Kei klar. Er hatte sich nun wahrlich oft genug mit Tiara über diese Person unterhalten, dass er meinen konnte, ihn schon persönlich zu kennen. Luca war genau das, was Kei sich von ihm erwartet hatte. Ein jähzorniger und hasserfüllter Blick schlug ihm entgegen und gleichzeitig erkannte er das diebische Funkeln im Blick der Chimäre, die ihre Beute wiedergefunden hatte. „Hab ich dich.“, zischte Luca zornig, „Dachtest wohl, du könntest fliehen? Und wie ich sehe, hat sich noch ein Mensch dazugesellt. Wie schön.“ Eines musste man dem Hunter lassen. Obwohl er Angst hatte, nahm er seine Pflicht als angehender Beschützer der Menschen sehr ernst. Wenn auch schwächlich auf den Beinen, rappelte er sich auf und positionierte sich schützend vor Kei. „Lass den Zivilisten da heraus, Chimäre.“, keuchte der Hunter wenig überzeugend. „Soll das etwa eine Drohung werden?“, meinte Luca zynisch, „Wer will mich denn davon abhalten, euch beiden die Kehlen rauszureißen? Du etwa? Du kannst ja kaum noch stehen, geschweige denn kämpfen.“ Der Hunter biss die Zähne zusammen und hob seine Pistole höher, als wolle er zielen. Kei war sich nicht einmal sicher, ob die Waffe überhaupt noch geladen war. Luca setzte nun ein belustigtes und auch herablassendes Grinsen auf, sodass sich die Fangzähne deutlich zeigten. „Wie niedlich.“, zischte er und tauchte dann blitzschnell vor dem Hunter auf. Er schlug ihm mit nur einer Bewegung die Waffe aus der Hand. Diese landete mehrere Meter entfernt auf dem Boden und schlidderte dann unter das Gerümpel. Mit der nächsten Bewegung schlitzte Luca dem wehrlosen Hunter den Oberkörper auf, doch er tötete ihn damit nicht. Er spielte mit ihm, wie die Katze mit der Maus. Der Hunter schrie schmerzerfüllt auf und wurde gleichzeitig von Luca mit einem Tritt mehrere Meter zur Seite weggeschleudert. Für den Moment dachte Kei schon, dass dies nun die Erlösung für den Schwerverletzten gewesen wäre, doch dieser war wider Erwarten noch immer am Leben und stand sogar, zu Keis Verwunderung, wieder auf und humpelte zurück an seinen Platz. „Was versuchst du zu beweisen?“, fragte Luca nun nach und rümpfte die Nase, „Du bist so gut wie tot und du wirst es nicht schaffen, den „Zivilisten“ zu retten. Er hätte eben einfach weitergehen sollen, dann hätte er diese Nacht überlebt.“ Der Hunter keuchte laut. Seine Beine drohte unter ihm nachzugeben, als er flüsterte: „Dafür… wollte ich… Hunter… werden. Es ist meine… Pflicht…“ „Nun halt aber mal die Luft an.“, unterbrach Luca ihn genervt, „Deinesgleichen seid weder besser als die Yajuu oder Exile, noch Lucius Hunden noch sonst wem. Also spiel dich hier nicht so auf!“ Luca ging nun mehrere Schritte zurück und Kei begann sich zu fragen, was er nun vorhatte. Offenbar plante er etwas besonders Fieses. Der Hunter vor ihm war ja schon jetzt kaum noch bei Bewusstsein, als sich zu Keis Überraschung ein Eiszapfen in den Oberschenkel des Hunters bohrte. Gleichzeitig spürte Kei wie die Lufttemperatur immer weiter absank. Er hatte ja schon gehört, dass Chimären irgendwie Affinitäten zu Elementen haben konnten, allerdings hatte er bisher nur gehört, dass es sich in Lucas Fall wohl um die Luft handeln sollte. Das hier war aber eindeutig Eis. Konnte es also sein, dass er zwei Affinitäten besaß? Während Kei noch darüber nachgrübelte, schrie der Hunter ein weiteres Mal auf, als sich ein zweiter Eiszapfen in seinen Bauchraum bohrte. Dabei entging Kei nicht, dass Luca bewusst tödliche Punkte verfehlte. Allmählich wurde Kei das Ganze zu blöd. Diese ganze Situation war einfach nur absurd. „Du musst einfach nur den Weg freimachen.“, erklärte Luca dem Hunter und schien seine Überlegenheit regelrecht zu genießen. Der Hunter röchelte nur noch irgendetwas und Blut tropfte dabei aus seinem Mund. „Dann eben nicht.“, zuckte Luca mit den Schultern und Kei sah, wie sich ein weiterer Eiszapfen materialisierte. Dieser war besonders groß und da reichte es Kei endgültig. Luca holte gerade aus, als der Hunter vor ihm zusammenzuckte. Im nächsten Moment spuckte dieser noch kurz Blut und kippte dann einfach leblos zu Boden. Es ging so schnell, dass dieser nicht mal realisiert hatte, dass er starb. Dahinter kam nun Kei zum Vorschein. In der einen Hand hielt er noch immer den Kaffee, die andere war jedoch blutig und die rote Flüssigkeit tropfte etwas zu Boden. „Hat man dir denn nicht beigebracht, dass man mit seinem Essen nicht spielt?“, fragte Kei genervt. „Ich werde nie verstehen, warum manche es vorziehen, die Beute so leiden zu lassen, anstatt es einfach kurz und schmerzlos zu machen. Findest du das nicht etwas grausam, selbst wenn das ein Hunter war?“ „Wer… bist du?“, fragte Luca nun vorsichtig, „Bist du ein Exile?“ „Kannst du das etwa nicht erkennen?“, fragte Kei nun amüsiert nach und leckte sich das Blut von den Fingern. Er hatte ja schon vorher Hunger gehabt, aber durch den ganzen Blutgeruch in der Luft, war es nun fast unerträglich geworden. Im nächsten Moment wich Luca instinktiv einen Schritt zurück, als ihm eine Welle bedrohlicher Aura entgegenschlug. Wie hatte er das vorher nicht bemerken können? Luca wusste, dass vor ihm ein mächtiger Exile stand, der sogar seine Aura perfekt verbergen konnte. Bis eben hatte Luca ihn wirklich für einen Menschen gehalten. Das war verrückt. Selbst Kyria konnte ihre Aura nicht so vollständig verbergen. „Du bist die Chimäre, die hier allmählich in aller Munde ist.“, meinte Kei nun gelangweilt, „Ich wusste nicht, dass du mittlerweile auch Menschen jagst. Nicht, dass es mich wirklich interessiert.“ „Wieso hast du dem Hunter geholfen?“, fragte Luca plötzlich nach und ignorierte dabei die letzte Aussage bewusst. Kei zuckte mit den Schultern. „Zum einen mag ich es nicht, wenn man mit dem Essen spielt, sagte ich ja bereits. Außerdem musste ich ihm durchaus anrechnen, dass er versucht hat, mir zu helfen. Unnötig… aber durchaus lobenswert. Dabei habe ich sicher mehr Hunter auf dem Gewissen, als irgendjemand sonst. Wirklich ironisch.“ Ein Exile, der Hunter jagte? Da fiel Luca eine Geschichte ein, die dazu passte. Während seiner Ausbildung musste er auch die Ränge der schwarzen Liste auswendig lernen. Ein Exile war dabei unter zwei Namen bekannt geworden. Nokogiri oder der Hunter-Jäger. Wenn er das tatsächlich war, musste sich Luca in Acht nehmen. Dieser Exile war um die 200 Jahre alt und dazu noch auf Rang 11 der schwarzen Liste. Kein Gegner, dem er unvorsichtig gegenübertreten durfte. Doch Kei wirkte nicht wie jemand, der auf einen Kampf aus war. Im Gegenteil, er schien regelrecht gelangweilt. „Hör mal,“ meinte Kei plötzlich und riss Luca aus den Gedanken, „Mir ist voll egal, was du hier treibst und ich hab auch nicht vor, jetzt hier einen Kampf anzuzetteln. Ich bin müde und hungrig. Also wenn du mir den Hunter hier überlässt, vergesse ich das Ganze und lass dich deiner Wege gehen. Luca wusste, dass es ein einmaliges Angebot war und es wäre töricht gewesen, es auszuschlagen. Ihm war selbst klar, dass er noch lange nicht bereits war, um gegen solch einen Gegner anzukommen und auch wenn das für ihn bedeutete, dass er sich selbst eine neue Beute suchen musste, willigte er ein. „In Ordnung.“, meinte Luca also, „Du kannst ihn haben.“ „Gut.“, gab Kei zufrieden zurück. Luca wollte sich nun, da alles geklärt war, wieder auf den Weg machen, zögerte aber noch kurz. Der Exile war sehr interessant, wie Luca empfand, also meinte er nach kurzer Pause: „Offenbar hast du von mir schon einiges gehört, Exile. Mein Name ist übrigens Luca. Vielleicht läuft man sich ja mal wieder über den Weg.“ Kei musste kurz grinsen. „Na dann. Ich bin Kei. Allerdings bin ich seit einiger Zeit im „Ruhestand“. Momentan ziehe ich es vor, die Dinge einfach nur zu beobachten, als mich irgendwo einzumischen. Ich weiß, dass du große Pläne hast. Die Truppe, die sich um dich scharrt, macht kaum ein Geheimnis daraus, dass du einiges in dieser Stadt ändern willst. Die Leute nennen euch sogar schon eine Gang.“ „Ich weiß.“, meinte Luca und wirkte dabei etwas genervt, „Ich habe niemanden darum gebeten mir zu folgen, aber offenbar haben hier Viele nur auf solch eine Gelegenheit gewartet. Eigentlich habe ich kein Interesse an so etwas, aber wenn sie unbedingt eine Gang gründen wollen, soll es mir recht sein. Ob nun Yajuu, Exile oder Mensch, letztlich sind sie doch alle gleich. Wenn wir Pläne haben, für deren Durchführung wir selbst zu schwach sind, schließen wir uns eben Leuten an, die dafür die nötige Stärke besitzen.“ „Und du meinst, du hast diese Stärke? Du machst dir gleich zwei mächtige Organisationen zum Feind, wenn ich das richtig sehe. Ich habe mich wenigstens nur mit einer angelegt. Und zu meiner Zeit waren die Hunter noch Menschen und keine modifizierten Yajuu.“ „Keine Sorge.“, lachte Luca nun, „Ich arbeite noch daran.“ Kei überkam eine merkwürdige Vorahnung. Da braute sich mehr zusammen, als es bis jetzt den Anschein hatte. Er konnte die Vorahnung nicht wirklich greifen, aber ihm Stich hatte sie ihn noch nie gelassen. Immerhin wusste Kei, dass auch eine Hexe in der Stadt war und immer wenn diese Wesen sich irgendwo aufhielten, war Chaos quasi vorprogrammiert. „Aber genug geredet.“, meinte Luca nun, „Ich verschwinde jetzt wirklich, hab noch einiges zu tun.“ Mit diesen Worten machte er sich davon und ließ Kei nun allein zurück. Dieser warf sich nun den toten Hunter über die Schulter gähnte kurz. „Ich werde echt zu alt für solche Spielchen.“, seufzte er müde. Vor Jahren war er extra hierhergekommen, weil damals diese Stadt so friedlich gewesen war und er einfach seine Ruhe haben wollte. Doch nun änderte sich alles. Ihm war bewusst, dass er nicht mehr ewig den ehrenamtlichen Mitarbeiter spielen konnte. Sein Leben als Mensch neigte sich dem Ende entgegen, wie sich heute gezeigt hatte. Was die Zukunft wohl bringen mochte? Kei war sich nicht sicher. Die Chimäre würde auf jeden Fall alles verändern. Und dann hatte Kei noch ganz andere Gerüchte gehört, die ihn wesentlich mehr beunruhigten. Offenbar hatten die Hunter heimlich etwas erfunden, was Potential besaß, sie alle auszurotten. Glaubte man den Gerüchten, handelte es sich dabei um irgendeine Art Parasit. Doch es gab dafür keinerlei Beweise und aufgetaucht war bisher auch nichts dergleichen. Aber er wusste, dass Seraphis befreit worden war. Er konnte ihre Aura diffus in der Stadt spüren und die Tatsache, dass sie diese Stadt nicht verließ, konnte nichts Gutes bedeuten. Kei wusste aus Erfahrung, dass Seraphis immer dann auftauchte, wenn sich eine Katastrophe anbahnte. So war es zum Tag der Schatten gewesen und so ähnlich fühlte es sich auch jetzt wieder an. Scheinbar tickte der Countdown bereits. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)