Jemand von Ur ("1 neue Mitteilung erhalten") ================================================================================ Kapitel 17: Gefühlsausbrüche ---------------------------- Zu meinem größten Erstaunen ist es tatsächlich so, wie Lelo gesagt hat. Ich habe ein Sexmonster aus ihm gemacht. Nicht, dass mich das stören würde – das wäre sehr gelogen. Aber ich wundere mich darüber, wie dieses eine erste Mal Sex anscheinend einen Knoten in ihm gelöst hat. Während ich ihn am Anfang auch mit ausgiebigem Knutschen und Fummeln nicht dazu bringen konnte, die Beherrschung zu verlieren, reicht jetzt ein aufreizendes Grinsen oder eine zweideutige Bemerkung und zack, hat Lelo meine Handgelenke auf die Matratze oder die nächstbeste Wand gepinnt und angefangen mich besinnungslos zu knutschen. Bislang hatten wir noch keinen Analsex, aber das stört mich nicht. Ich bin definitiv so sexuell ausgelastet wie noch nie zuvor in meinem zugegebenermaßen recht kurzen Leben. Lelo scheint das alles recht peinlich zu sein, aber ich werde es nicht müde ihm zu versichern, wie hingerissen ich von seiner maßlosen Begeisterung bin. Ich meine, wer würde sich nicht davon geehrt fühlen, dass Lelo allein davon, dass ich mir anzüglich auf die Unterlippe beiße, einen Ständer bekommt? Manu sagt, ich würde noch mehr leuchten als am Anfang, als ich mit Lelo zusammen gekommen bin. »Notgeiler Rammler«, sagt sie brummend. Ich falle fast lachend vom Stuhl und scheitere kläglich dabei, sie angesichts ihrer Wortwahl entrüstet anzuschauen. »Manchmal denke ich mir schon, dass es einfacher wäre, wenn ich so eine winzige Libido hätte wie du«, sage ich seufzend, nachdem ich mich von meinem Lachanfall beruhigt habe. Manu hebt die Brauen. »Nur, solange man nicht in einer Beziehung mit jemandem ist, der Sex wichtig findet. Dann hat man den ganzen Stress an der Backe«, gibt sie zurück und ich weiß natürlich, dass sie vollkommen Recht hat. Nicht, dass ich schon mal in einer Beziehung mit einer asexuellen Person gewesen wäre – und auch Manu hatte bislang noch keine richtige Beziehung – aber ich kann mir vorstellen, dass dieser Interessenunterschied doch ziemlich nervenaufreibend für alle Beteiligten sein kann. Ich denke kurz darüber nach, ob ich Manu bezüglich Pia erst einmal eine Weile in Ruhe lassen sollte, aber dann siegt doch die Neugier und das Mitleid mit Pia. »Glaubst du, Pia würde sich sehr daran stören, dass du asexuell bist?« »Hmpf«, sagt Manu, was ich als nicht besonders aufschlussreich empfinde. Wir liegen in ihrem Zimmer auf ihrem breiten Bett und hören uns ein Album von Schandmaul an. Nebenbei schiebt Manu abwechselnd mir und sich selbst Weintrauben in den Mund. »Ist das eine der Sachen, die dich von einer Beziehung mit ihr abhalten?«, erkundige ich mich weiter und werde prompt mit einer Weintraube beworfen. »Kim«, brummt sie warnend. Ich hebe abwehrend die Hände in die Luft, ehe ich nach der verloren gegangenen Weintraube angele. »Ich sorge mich nur um dein Wohlergehen! Und ein bisschen um das von Pia, wenn ich ehrlich bin.« Manu schweigt ein ganzes Lied lang und ich denke schon, dass sie gleich einfach das Thema wechseln wird, aber stattdessen dreht sie den Kopf zu mir um, stopft mir unsanft eine weitere Weintraube in den Mund und sagt: »Ich war noch nie verknallt, ok? Es ist einfach gruselig.« Ich sehe in ihren Augen wie viel Überwindung sie diese Worte gekostet haben müssen und deswegen rutsche ich zu ihr herüber und schmiege mich an sie. Sie knurrt leise, legt aber einen Arm um mich und seufzt leise in meine Haare. »Ich weiß. Aber es ist wirklich super! Du solltest dieser ganzen Beziehungssache mal eine Chance geben!« »Du klingst wie ein Staubsaugervertreter«, klagt Manu in meine Haare hinein und ich kichere leise und drücke sie ein wenig an mich. »Pia ist eindeutig besser als jeder Staubsauger.« * Das nächste Mal, als Lelo bei uns in der Wohnung zu Besuch ist, ist Tom da. Ich war nicht besonders erpicht darauf, dass die beiden sich kennen lernen, aber ich habe mir auch nicht aktiv Mühe gegeben, ein Treffen zu verhindern. Was ich allerdings bereue, als ich Toms verwirrte Miene sehe, nachdem ich ihm Lelo vorgestellt habe. Theoretisch weiß Tom natürlich, dass ich auch auf Männer stehe, aber praktisch hat er mich noch nie mit einem gesehen. Ich gebe ihm keine Gelegenheit dumme Fragen zu stellen und bugsiere Lelo aus der Küche und in mein Zimmer. »Das war… interessant«, sagt Lelo und kratzt sich am Hinterkopf. Vermutlich hat er angesichts den anderen Mitgliedern meiner Familie eine etwas offenere und herzlichere Begrüßung erwartet. Aber Tom ist eben einfach nicht so der herzliche Typ. Was er hier überhaupt unter der Woche macht, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Meistens taucht er nur sonntags auf. Wie der Spießer, der er ist. »Mach dir nichts draus. Tom ist zu spießig, um mit irgendwas umgehen zu können, was nicht hetero ist«, erkläre ich schulterzuckend und lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen, um Lelo meinen neusten Dragon Age Charakter zu zeigen. »Aber wie kann das sein? Ich meine… deine Eltern…?« Ich muss lachen. »Das fragen Laura und ich uns auch. Entweder er ist im Krankenhaus vertauscht worden, oder das ist seine Art rebellisch zu sein und sich von uns anderen abzuheben«, sage ich amüsiert. Tom ist mir ziemlich gleichgültig. Er war früher schon anstrengend und hat sich seitdem eigentlich nur noch gesteigert. Ich bin jetzt schon gespannt darauf, wie steif er als alter Mann sein wird. Vermutlich verteilt er Schläge mit seinem Spazierstock und beobachtet den ganzen Tag seine Nachbarn, um nach Sittenverstößen Ausschau zu halten. »Wenn er erfährt, dass ich Muslim bin, kriegt er vielleicht einen Herzinfarkt«, mutmaßt Lelo nachdenklich und ich nicke ernst. »Vielleicht. Aber ich würde es dir nicht vorwerfen, keine Sorge.« »Deine Gnade wird mir ewig nachschleichen.« Tatsächlich bleibt Tom bis zum Abendessen und ich vermute beinahe, dass er Stunk mit seiner Freundin Lisbeth hat und deswegen keine Lust hat bei sich zu Hause rumzuhocken. Lisbeth ist eigentlich viel zu gut für Tom und ich frage mich schon ewig, was sie eigentlich mit ihm will. Aber wer weiß, was für versteckte Qualitäten er noch hat, von denen ich keine Ahnung habe. Und auch keine Ahnung haben möchte, versteht sich. Alle unterhalten sich sehr angeregt und Lelo versteht sich offensichtlich besser mit dem Rest von uns als Tom. Traurig, wirklich. Ich merke, wie Tom Lelo dauernd anstarrt und das macht mich doch zunehmend unzufrieden, weil es unhöflich ist und ich genau weiß, dass Tom ihn nicht so anschaut, weil Lelo entzückend aussieht. Mehr als einmal werfe ich Tom ungnädige Blicke über den Küchentisch hinweg zu, aber mein Bruder lässt sich selbstredend nicht davon beeindrucken. Beinahe bereue ich es, dass ich heute kein Kleid und kein Makeup trage. Eventuell habe ich zu viel Spaß daran, Tom zu ärgern. In mir steckt wohl doch auch ein kleiner Sadist. Und dann passiert es natürlich. »Und, Lelo? Wo kommst du her?«, will Tom wissen. Ich muss mich mit aller Macht davon abhalten mir die Hand vor die Stirn zu schlagen. Lelo blinzelt verwirrt. »Ähm… ursprünglich aus Hamburg«, sagt er. Tom runzelt ein wenig die Stirn. Ich wünschte, er würde es dabei belassen, aber natürlich… »Naja, ich meine… woher genau?« »Möchtest du seine genaue Adresse wissen, oder was?«, zische ich Tom ungehalten zu und funkele ihn wütend über mein belegtes Brötchen hinweg an. Meine Eltern werfen sich einen vielsagenden Blick zu und sehen angesichts von Toms Manieren etwas beschämt aus. Laura schüttelt den Kopf. Natürlich weiß ich genau, dass Tom eigentlich hören wollte »Ich bin aus Pakistan«, am besten noch in einem dicken entsprechenden Akzent. Als könnte man kein Deutscher sein, wenn man keine weiße Haut hat. Ugh, mein Bruder. »Nein, ich wollte nur wissen–« »Du wolltest nur mal raushängen lassen, dass du ein Trottel bist. Hat geklappt«, gebe ich ungehalten zurück und beiße von meinem Brötchen ab. Tom hat seine »Du spinnst wohl, Kim«-Miene aufgesetzt, aber ich gebe ihm keine Gelegenheit weiter über das Thema zu reden, sondern erkundige mich bei Laura über ihr letztes Date. Lelo wirkt gleichzeitig betreten und dankbar über das Eingreifen und ich schaffe es, eine normale Unterhaltung mit allen Leuten am Tisch – abgesehen von Tom natürlich – zu führen, bevor ich mich am Ende meines Brötchens hastig erhebe und Lelo mit mir aus der Küche schleife. »Immerhin wird Sophia dich nicht fragen, wo genau du herkommst«, sagt Lelo und tätschelt mir die Schulter, als ich rauchend vor Empörung meine Zimmertür hinter mir schließe und ihn entschuldigend ansehe. Unweigerlich muss ich lachen. »Aber vielleicht prüfen deine Eltern mein Wissen über eure Religion!«, gebe ich zurück. Lelo schnaubt amüsiert. »Eher nicht. Keine Sorge«, meint Lelo beruhigend und streicht mir mit den Fingern durch die Haare. Wir setzen uns ohne Absprache vor meinen Schreibtisch und ich starte meinen Computer. Ich schwanke ein bisschen zwischen Angst vor diesem bislang nur vage geplanten Treffen mit Lelos Familie und dem Wunsch, dass es am besten gleich morgen stattfinden möge, damit die Aufregung endlich ein Ende hat. Ich betrachte Lelo von der Seite, der alle meine engsten Freunde und meine Familie kennt und begeistert hat und den ich am liebsten der ganzen Welt als meinen festen Freund vorstellen möchte. Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten jeden Tag Händchen haltend durch die Stadt laufen und allen Leuten demonstrieren, dass Lelo zu mir, mir, mir und nur mir gehört. Ich erinnere mich daran, wie nervös er auf dieser Schaukel gesessen hat und wie wir uns zum ersten Mal geküsst haben. Es scheint immer noch alles so unwirklich zu sein und wenn man mir vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich mit Lelo aka unserem Jahrgangsprinzen aka dem Objekt meiner schmachtenden Gedanken zusammen kommen würde, hätte ich sehr laut und ungläubig gelacht. Bislang habe ich mich noch nicht so richtig getraut Lelo zu sagen, dass ich in ihn verliebt bin. Ich meine, eigentlich weiß er das natürlich und wir haben uns gesagt, dass wir uns gut finden und dass wir den jeweils anderen mögen… aber das ganze Ausmaß meiner Gefühle habe ich definitiv noch nicht laut ausgesprochen. Dabei will meine ganze Zuneigung zu Lelo immer aus jeder winzigen Pore meines Körpers heraus fluten, wenn ich auch nur an ihn denke oder ihn ansehe. Lelo startet Dragon Age und summt leise ein Lied, das ich nicht kenne und ich frage mich, ob wir hier auch noch zu unserer Abizeit sitzen und Computer spielen und reden und knutschen und braune Apfelspalten essen werden und mein Herz schwillt vor lauter Begeisterung auf die doppelte Größe an, als ich mir das vorstelle. Seltsam, dass ich ihn in den ersten Jahren unserer gemeinsame Schullaufbahn beknackt fand, einfach nur weil er mit fast allen Leuten gut auskommt und so beliebt bei allen ist. Ich Dödel. Ich höre die Wohnungstür zugehen und denke, dass Tom gerade gegangen ist. Gut. Jetzt, da er weg ist, ist der Moment eindeutig perfekt. Ich würde dieses Bild von Lelo gerne einfrieren. Ihm fällt auf, dass ich ihn eindringlich betrachte und dreht den Kopf, um mich mit schief gelegtem Kopf leicht fragend anzusehen. »Alles ok?«, fragt er. Ich nicke hastig. »Alles bestens!« Lelo mustert mich und stupst schließlich meine Nase mit seinem Finger an. Mein Herz stottert und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen Samba. »Was geht in deinem hübschen Kopf vor?«, will Lelo schmunzelnd wissen. Wenn ich es ihm nicht gleich sage, platze ich wahrscheinlich. Ich hole tief Luft. »Dass ich ganz schrecklich verliebt in dich bin und auch schon ewig bin und ich dass ich ein riesiger Glückspilz bin und dass ich noch ganz lange mit dir zusammen sein will und dass deine Locken das entzückendste sind, was ich in meinem Leben je gesehen habe, mit Ausnahme vielleicht von Babykatzen und–« Lelos Wangen sind knallrot angelaufen und er blinzelt sehr schnell und ich sehe ihn schlucken und verhaspele mich mitten in meinem Liebeserklärungsausbruch und verschlinge ein wenig peinlich berührt meine Finger ineinander, während mein Herz von innen ein Tattoo auf meine Rippen graviert. »Sag’s noch mal«, flüstert Lelo und ich glaube, ich sterbe gleich von einem Überschuss an Glückshormonen. Ich befeuchte meine Lippen mit der Zunge und sehe Lelos Augen hinunter zu meinem Mund huschen. Sein Blick folgt der kleinen Bewegung, bevor er mich wieder mit hochroten Wangen anschaut. Ich schlucke. »Ich… ähm…« Ich schwöre, gerade war es noch einfacher, als Lelo mich nicht so großen Telleraugen erwartungsvoll angesehen hat. Wenn ich jetzt einfach ohnmächtig werden würde, könnte ich es einfach später noch mal sagen… »Ich bin sehr… verliebt in dich«, krächze ich peinlich berührt über meinen Ausbruch und Lelo zieht zischend die Luft ein. Dann werde ich sehr innig auf den Mund geküsst und gebe ein ersticktes Japsen von mir. Die nächste halbe Stunde werde ich beduselig geküsst und bin eigentlich schon bereit für alle möglichen schmutzigen Dinge, weil Lelo wirklich wie ein Weltmeister küsst, aber dann löst Lelo sich von mir und schaut mich aus großen, braunen Augen an. Und sagt sehr leise und heiser: »Ich bin auch sehr verliebt in dich.« Meine Erregung verpufft in einer Wolke aus Zärtlichkeit und Glücksgefühlen, die sich von meinem Magen durch meinen Brustkorb in den ganzen Körper verteilen und dazu führen, dass ich mich wie eine Brausetablette in Wasser fühle. Zu meiner grenzenlosen Verlegenheit spüre ich meine Augenwinkel brennen und reibe hastig mit dem Handballen über meine Lider. »Ah! Bitte wein nicht!«, sagt Lelo entsetzt und ich muss lachen. »Es sind ja keine traurigen Tränen, du Dödel!« Jetzt muss Lelo auch lachen und er zieht mich ganz dicht an sich heran und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. Und wenn zwei Tränchen sich tatsächlich einen Weg meine Wange herunter bahnen, dann sieht er das so nicht, weil sie einfach sehr diskret in seinen wuscheligen Locken verschwinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)