On the Rise von Votani ================================================================================ VI. Der gesuchte Tempel. Meuterei. Die Lüge. -------------------------------------------- 16 „Hast du die alle gesehen, B?“ Faiths Stimme war laut und energisch. Diese Leute sollten ruhig hören, was sie über sie dachte. „Ein ganzes Schiff voller Feiglinge!“ Buffy und Tom gingen vor ihr her, als sie die kahlen Gänge des Raumschiffes durchquerten. Tom warf ihr einen Blick über seine Schulter zu, ein Schmunzeln auf den Lippen tragend. „Ach, sie sind gar nicht so schlecht drauf, wenn man sie näher kennen lernt.“ Faith hob eine Augenbraue, als sie den Piloten von hinten musterte. Er trug eine einfache Leinenhose und ein buntes Hawaiishirt. Zudem hatte er eine Schürfwunde an der Stirn. „Wenn du meinst. Wenigstens haben sie ein paar gutaussehende Kerle hier. Da ist es leicht, deinen Schmusevampir zu vergessen, oder, B?“ „Schmusevampir?“, wiederholte Tom, wandte sich diesmal jedoch an Buffy. „Doch nicht Spike, oder?“ „Faith...“, mahnte Buffy. Sie starrte stur geradeaus anstatt Tom anzusehen, der neben ihr herging. „Nein, nicht Spike. Niemals Spike.“ Sie beließ es dabei und ging nicht auf Angel ein. Faith grinste. Natürlich erzählte Buffy nicht von ihrem geliebten und inzwischen sehr staubigen Angel. Wenn Faith jemals den Fehler begehen und sich in eine lebende Leiche verlieben würde, würde sie es auch keinem erzählen. Dann würden sie schließlich dahinterkommen, dass Miss Perfekt eben doch nicht so unbefleckt war, wie sie gern vorgab. Nicht so unschuldig und mutig und stark. Die Wahrheit sah ganz anders aus und Faith kannte sie. Sie wusste, dass Buffy alles in den Schoß gefallen war. Sie hatte eine liebende Mutter gehabt und einen vernünftigen Watcher, sie hatte Freunde und ein Zuhause. Buffy besaß alles, wovon man nur träumen konnte und war trotzdem nicht zufrieden. Tom hakte nicht weiter nach, sondern führte sie über eine kleine Treppe in das Cockpit der Serenity. Es war klein und hatte zwei Pilotenstühle mit vielen Konsolen und einer breiten Fensterfront, hinter der sich das All mit seinen unzähligen Sternen auftat. „Wow“, stieß Buffy bei dem Anblick aus und blieb vor Faith angewurzelt stehen. Tom sackte in den Pilotenstuhl und drehte sich mit diesem zu ihnen um. „Ihr seid nicht oft auf Raumschiffen unterwegs, was?“ „Ich stehe eigentlich lieber mit beiden Beinen auf festem Boden.“ Buffy zwang sich ein Lächeln auf, als sie zu Tom hinübertrat. Seine Finger flogen mit einer Eleganz über die Konsole, die ihn für Faith uninteressant machte. Die Sanftheit, mit der er jeden einzelnen Knopf berührte, sagte ihr, dass er im Bett genauso sein würde. Ein langweiliger Liebhaber, der vermutlich nur eine einzige Stellung kannte. „Okay“, sagte Tom nach einigen Minuten und stand auf, um Buffy seinen Stuhl anzubieten. „Ihr müsst nur noch eure Koordinaten eingeben, auf diesem Knopf drücken und abwarten, bis sich eurer Watcher oder wer-auch-immer meldet.“ „Giles“, erwiderte Buffy, als sie mit dem Adlersuchsystem die Koordinaten auf der kleinen Tastatur eingab. „Unser Watcher heißt Giles. Watchers sind die, die Slayers ausbilden und ihnen alles beibringen.“ Ihre Stimme wackelte bei diesen Worten. „Giles also“, antwortete Tom. Die Freundlichkeit in seiner Stimme drohte Faith den Magen umzudrehen. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und verdrehte die Augen. „Du kannst ihn auch Brillenschlange, Bücherwurm oder alten Mann nennen. Es läuft auf dasselbe hinaus“, rief sie dem Piloten hinterher, als dieser aus dem Cockpit schlenderte, um ihnen etwas Privatsphäre zu gönnen. Faith bettete die Arme auf der Rückenlehne des Pilotenstuhls, um Buffy über die Schulter zu sehen. „Er will dich, B.“ Anstatt sie anzusehen, gab Buffy die letzte Koordinate ein und drückte den gezeigten Knopf. Der Bildschirm wurde schwarz. „Nein, tut er nicht. Das tut auch gar nichts zur Sache.“ „Du kannst nicht ewig hinter Angel hertrauern. Eine Frau hat Bedürfnisse und—“ „Faith!“ „Schon gut, schon gut“, lenkte Faith an, die Lippen zu einem vollen Grinsen verzogen. „Wer nicht will, der hat schon.“ Bevor sie diesen Satz komplett ausgesprochen hatte, erhellte sich der Bildschirm vor ihnen. Willows Gesicht tauchte auf. Ihre roten Haare waren in ihrer Abwesenheit länger geworden, was als einziges auf den Zeitraum schließen ließ, den sie tiefgefroren verbracht hatten. „B-Buffy...“, presste Willow hauchzart hervor und ihre Augen weiteten sich. Zaghaft berührten ihre Finger den Bildschirm, als wollte sie durch ihn hindurchfassen. Fast so, als müsste sie Buffy anfassen, um zu glauben, dass sie es auch wirklich war. Buffy erwiderte diese Geste mit einem schmalen Lächeln, welches sie neuerdings für ihre Freunde aufhob. Faith wurde beinahe schlecht. „Oh Buffy, wir dachten, dass ihr...“ Willow brach ab und Buffy nickte. „Ich weiß. Ist Giles da? Und Xander?“ „Ja... Ja, natürlich!“ Mit einem Mal sprang Willow auf. Ihr Ruf gellte durch das Haus, welches seit dem Tod ihrer Mutter Buffy gehörte. Im Laufe der Zeit hatte es sich jedoch in das reinste Hotel verwandelt, in dem sie alle zusammenwohnten. Alle, bis auf Faith und Spike, denn sie passten nicht in diese perfekte Familie hinein, die sich Buffy kreiert hatte. Durcheinander klingende Schritte schallten durch die Verbindung, während sich Stimmen vermischten, bis man kein Wort mehr verstehen konnte. Buffy und Faith tauschten einen Blick aus. „Verändert haben sie sich jedenfalls nicht“, sagte Faith und rümpfte die Nase. Sie waren noch immer Buffys Anhängsel, die über ihre eigenen Füße stolperten, um Buffys Befehle auszuführen. Lächerlich. Drei Personen drängelten sich vor den Bildschirm. Giles nahm auf dem Stuhl Platz und richtete seine Brille ungläubig, als er seine Slayer beäugte. Willow tauchte rechts von ihm auf und Xanders schwarzer Haarschopf schob sich von der linken Seite ins Bild. Er hatte etwas an Gewicht zugenommen, seit er und Faith damals eine Nacht zusammen verbracht hatten. „Geht es euch gut?“, fragte Giles, nachdem er für einige Sekunden nach passenden Worten gesucht hatte. „Wir dachten, der Master hätte euch erwischt.“ „Nicht der Master, sondern diese Initiative, die uns schon ewig hinterhergeschnüffelt hat“, antwortete Faith mit einem Zucken der Schultern. „Sie haben uns auf Eis gelegt. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ Das Erstaunen wich nicht von den drei Gesichtern vor ihnen, als Buffy ihnen die gesamte Geschichte erzählte. Es schien sie auch nicht zu beruhigen, dass sie sich auf einem Schiff befanden, auf dem illegale Geschäfte gemacht wurden, obwohl Faith darin nun wirklich kein Problem sah. Wären sie nicht von dieser Mannschaft aufgegabelt worden, wären sie nicht so schnell aus ihrem eisigen Gefängnis herausgekommen, das konnte sich selbst Faith eingestehen. Sie mochte stolz sein, aber sie war nicht dumm. Das hatten Buffy und ihre kleinen Freunden nur noch nicht verstanden. Man unterschätzte sie, dabei war sie um ein Vielfaches besser als Buffy. Ihre mitleidigen Blicke waren bei ihr an der falschen Adresse, die man ihr seit dem sogenannten Unfall schenkte. Plötzlich war Faith in ihren Augen nicht mehr der Slayer, der Vampire in Staub verwandelte, sondern das böse Mädchen, das man im Zaum zu halten versuchte. Als ob irgendjemand das konnte. Niemand sagte Faith, was sie zu tun und zu lassen hatte. „Wenn sie uns nicht helfen wollen, sollten wir das Schiff einfach übernehmen“, schlug Faith vor, als Buffy sich mit Giles, Willow und Xander über ihre weitere Vorgehensweise unterhielt. Soweit Faith das beurteilen konnte, wussten sie noch immer nicht genau, auf welchem Planeten sich diese bescheuerte Sichel aufhalten sollte, die sie finden mussten. Sich willkürlich auf einem absetzen zu lassen und auf einem anderen Schiff um Transport zu bitten, obwohl sie kein Geld mehr bei sich trugen, war Verschwendung von Zeit, die sie nicht hatten. Wenn sie dieses Schiff übernehmen würden, hätten sie sofort ein Transportmittel. „Sie haben uns gerettet“, sagte Buffy, „und du willst es ihnen gleich danken, in dem wir ihnen ihr Schiff klauen?“ „Hast du eine bessere Idee, B?“, forderte Faith und schob die Brauen gereizt zusammen. „Nein“, gestand Buffy und senkte den Blick. „Nachdem ihr schon meinen ersten Vorschlag abgeschmettert habt, uns einfach diesen Master vorzuknöpfen, könntest du ruhig mal kooperativ sein“, setzte Faith nach. „Niemand hat dich zur Chefin ernannt.“ „Eine Meuterei ist nicht nötig. Wir können euch Geld schicken und euch einen Transport buchen“, unterbrach Giles. „Außerdem haben wir seit eurem Verschwinden weiter geforscht und sind auf ein paar interessante Dinge gestoßen, was den Aufenthaltsort der Sichel betrifft. Willow?“ „J-Ja.“ Das Rascheln von Papieren und das Umschlagen von Seiten war zu vernehmen, als Willow den Bücherstapel, der sich neben dem Bildschirm befand, durchsuchte. Es war ein Wunder, dass Giles’ wohlgehütete und antike Kollektion in ihrem Eifer nicht ebenso wie Vampire zu Staub zerfiel. „Ah, hier ist es.“ Willow tauchte mit einem Buch im Arm wieder auf, während ihr Finger über die Seite wanderte. „Wenn wir es richtig übersetzt haben, besagt die Legende, dass sich die Sichel in einem Höhlenkomplex befindet, der nicht natürlich entstanden ist. Der Orden der Beschützer hat einen Tempel über ihn errichtet und der stellt den einzigen Eingang dar.“ „Wir haben nachgeforscht“, sagte Xander. „Ihr glaubt gar nicht, wie viele Tempel es im Universum gibt und wie viel man über ihre Geschichte in den Datenbänken findet.“ Er wischte sich mit der Hand theatralisch über die Stirn. „Wir haben die Tempel auf Planeten mit natürlichen Höhlensysteme rausgestrichen. Ich meine, rein vom Logischen her, würde es keinen Sinn ergeben, einen Hohlraum auszuheben, wenn man eine Höhle eine Meile entfernt zur Verfügung hat“, erklärte Willow. „Wir haben auch nur Tempel auf der Liste der Möglichkeiten gelassen, die zeitlich zu den Informationen passen, die wir über den Orden haben. Danach haben wir—“ „Willow, die Kurzfassung...?“, unterbrach Buffy und der Mund der rothaarigen Hexe öffnete und schloss sich wieder, ohne dass ein Wort über ihre Lippen drang. „R-Richtig“, presste sie schließlich hervor. Giles räusperte sich. „Es sind drei Tempel übrig geblieben. Einer davon, der sich auf einem Core-Planeten befunden hat, steht allerdings schon seit Jahrzehnten nicht mehr. An seiner Stelle wurde ein Anwesen dahingesetzt. Das Höhlensystem müsste sich theoretisch aber noch immer unter ihm befinden.“ „Und ihr glaubt, dass sich dort diese Sichel befindet?“, fragte Faith, um den Austausch der Neuigkeiten zu beschleunigen. Sie brauchten alle so furchtbar lange, um mit der Sprache herauszurücken und auf den Punkt zu kommen. Bis dahin hätten sie den Planeten schon zehnmal erreicht. „Genau“, erwiderte Giles. „Es wäre nicht unklug, die Geschichte des Tempels zu vertuschen, wenn man sich vor Räubern oder eben Vampiren schützen will. Und es war schwer, überhaupt etwas über diesen Tempel zu erfahren.“ „Nun...“, begann Buffy und atmete tief durch. „Das ist zumindest ein besserer Hinweis, als wir ihn bisher hatten. Es ist ein Anfang. Am besten ihr gebt uns gleich die Koordinaten durch. Ich weiß nicht, ob wir euch noch mal kontaktieren können, bevor wir das Schiff verlassen.“     17 Das Echo seiner Schritte begleitete Simon, als er der Krankenstation den Rücken kehrte. Doch es stellte nicht das beruhigende Geräusch dar, zu welchem es in all seiner Zeit auf der Serenity geworden war. Nun lauschten seine Ohren unweigerlich nach anderen Lauten in seiner Umgebung, als würde sich jemand an ihn heranschleichen wollen. Doch nur weil Vampire plötzlich doch keine Ausgeburten der menschlichen Fantasien waren, bedeutete das noch lange nicht, dass sie nun überall auf dem Schiff auf ihn lauern würden. Der einzige Vampir hier war Spike, der jedoch an einen Stuhl gefesselt war. Das wollte immer noch nicht richtig in Simons Kopf hinein. Er hatte nach einem Puls gefühlt, doch es hatte keinen gegeben. Die Haut war kalt und blass gewesen, selbst jetzt noch. Bedeutete das, dass alle fiktiven Merkmale der Wahrheit entsprachen? Sollte er sich mit Knoblauch eindecken? Hatten sie den überhaupt an Bord? Irgendwie bezweifelte Simon es. Das Skalpell hatte er auch nur unfreiwillig in der Krankenstation zurückgelassen. Allerdings hatte er noch nie jemanden ein Skalpell in das Herz gerammt, geschweige denn irgendjemanden schon mal mutmaßlich verletzt. Verfehlen würde er das Herz bei seinem Wissen um die Anatomie wohl nicht, aber... würde er überhaupt zustechen können? Auch diese Antwort lag auf der Hand, da machte er sich nichts vor. Seine Weste glatt streichend, als könnte er damit auch diese unangenehmen Gedanken fortwischen, folgte Simon den aufgeregten Stimmen, die aus den gemeinschaftlichen Räumlichkeiten drangen. Was war nun wieder geschehen? Simon war sich nicht sicher, ob er es überhaupt in Erfahrung bringen wollte. Diese Vermutung bestätigte sich, als sein Blick auf Jayne fiel. Er saß an dem langen Tisch und nahm einen der Stühle vor sich auseinander. Die Stuhlbeine lagen abgeschraubt neben ihm, als Jayne das Messer zückte, welches an seinem Gürtel hing. „Das ist besser der erste und letzte Stuhl, den du anrühren wirst, Jayne.“ „Oder was?“, brummte dieser, als er anfing, an dem ersten Stuhlbein herumzuschnitzen und eines der Enden zu spitzen. „Du lässt mich Bekanntschaft mit der Luftschleuse machen? So wie du es bei diesem Vampir auch tust, Mal?“ Beide Männer tauschten einen finsteren Blick aus. Simon räusperte sich. „Störe ich?“ „Ja“, sagten Jayne und Mal wie aus einem Mund. Simon hob die Brauen, auf der Stelle festgefroren und nicht ganz sicher, ob er sich vor- oder rückwärts bewegen sollte. „Oh. Dann... geh ich wohl wieder?“ Anstatt ihn anzusehen klebte Mals Blick auch weiterhin auf Jayne, als könnte er Jayne mit seinem Willen allein dazu zu bewegen, den Stuhl wieder zusammenzusetzen. Allerdings hatte Simon wenig Hoffnung, dass dieser stumme Befehl bei dem anderen ankam. Jayne schnitzte weiter stur an dem Stuhlbein herum, während Holzsplitter nach links und rechts flogen und verloren am Boden liegen blieben. Langsam setzte Simon einen Schritt zurück, doch Mals Stimme ließ ihn erneut innehalten. „Schläft River noch?“ „Ja...“, erwiderte Simon langsam. „Ich habe ihr gestern noch das Beruhigungsmittel gegeben und seitdem ist ihr Schlaf friedlich.“ Dass ihr Zustand sich sofort gebessert hatte, nachdem sie die Kisten geöffnet hatten, sprach Simon nicht aus. Es war genauso wie damals auf dem Planeten Miranda. Wahrscheinlich war es nicht einmal nötig, Mal das mitzuteilen. So undurchschaubar wie ihr Captain manchmal wirken konnte, so intuitiv war er bei anderen Gelegenheiten. Es erstaunte Simon immer wieder aufs Neue. „Gut“, sagte Mal und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann können wir—“ „Mal!“, rief Tom, seine Stimme atemlos. Er kam in den Gemeinschaftsraum gestolpert und sah über seine Schulter zurück, als würde er nach jemandem Ausschau halten. „Mal, ich muss mit dir sprechen.“ Mal fuhr herum. „Was ist nun wieder? Ich weiß nicht, ob ich es wissen will, wenn es noch mehr schlechte Nachrichten sind.“ Daraufhin hielt selbst Jayne in seinem Tun inne, um den Piloten zu beäugen. Tom blieb wie angewurzelt stehen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bevor sie seine Stirn empor kletterten. „Es sind keine guten, soweit ich das beurteilen kann. Jedenfalls klang das, was ich von dem Gespräch zwischen den Slayern und ihren Leuten mitbekommen habe, ein bisschen danach, als wollen sie das Schiff übernehmen. Und wenn ich an die Stärke denke, mit der Buffy vorhin den Stuhl mit Spike rübergezogen hat, sind sie nicht zu unterschätzen.“ Trotz der Umstände fehlte dem Piloten die Ernsthaftigkeit und die Besorgnis, die Simon in diesem Moment fühlte. Jayne war mit einem Mal auf den Beinen. In der einen Hand hielt er sein Messer, in der anderen das spitze Ende des Stuhlbeins, als wollte er Tom damit erstechen. „Ist das dein Ernst?“ Tom streckte die Hände in unschuldiger Manier in die Höhe. „Warum sollte ich lügen?“ „Warum solltest du die Wahrheit sagen?“, konterte Jayne, woraufhin Tom nichts mehr zu sagen wusste. Diesen Effekt hatte Jayne auf Simon auch gelegentlich, was nichts mit dem überragenden Intellekt zu tun hatte, den Jayne sich einredete. Der Arzt zuckte mit den Schultern, als Tom fragend zu ihm herüberschaute. Hinter ihnen ertönte ein kehliges Lachen von Spike. Der Vampir war noch immer an seinen Stuhl gefesselt. Simon konnte jedoch sein Gesicht nicht sehen, da er mit dem Rücken zu ihnen saß. „Ihr seid echte Helden, was? Faith hat recht, ihr macht euch in die Hosen, dabei habt ihr das Schlimmste bisher noch gar nicht erlebt.“ Spike wandte den Kopf in ihre Richtung und präsentierte ihnen das Seitenprofil eines selbstgefälligen Grinsens, welches eine Reihe blitzender, wenn auch recht stumpfer Zähne preisgab. Simon bezweifelte, dass er damit jemanden effektiv das Blut aus den Adern saugen konnte. Die Zähne des anderen Vampirs, der Jayne angefallen hatte, hatten anders ausgesehen. Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als Mal an ihm vorbeistürmte. Er packte den alten Waschlappen, mit dem sie stets den Tisch abwischten, und marschierte zu Spike hinüber. Dieser grinste und tat es noch so lange, bis Mal sein Kinn packte, seinen Mund aufzwang und den Lappen als Knebel hineinschob. „Da ich den Verdacht habe, dass es keinen Unterschied macht, ob ich dich nett darum bitte oder nicht, hältst du jetzt den Mund.“ Gedämpfte Proteste kamen von Spike. Unter Mals Blick verstummten sie jedoch, während Simon sich zwang seine Gesichtsmuskeln zu lockern, die sich bei dem Gedanken an all die Bakterien angespannt hatten. Spike war tot. Ein bisschen Schmutz von einem Lappen mochte widerlich sein, aber war nicht schädlich für ihn. Zufrieden gab sich Mal mit der plötzlichen Ruhe nicht. Noch im selben Atemzug zog er seinen Revolver hervor und hob den Hammer geräuschvoll zurück. „Und wenn jemand denkt, sich die Serenity so einfach unter den Nagel reißen zu können, hat er sich gewaltig geschnitten.“ Mal ging davon und in Richtung des Cockpits. Simon und Tom tauschten einen weiteren Blick aus und selbst Jayne grunzte fragend. Mit den Waffen bereits in der Hand folgte er seinem Captain mit energischen Schritten. Ein ekliges Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht. Allein das war schon genug, damit sich Simon Sorgen machte. Zusammen mit Tom joggte er hinter den beiden Männern her. „Ist das wirklich weise, einfach mit den Waffen reinzustürmen?“, fragte Simon atemlos. „Wie Tom bereits gesagt hat... sie sind physisch stärker als wir.“ So zerbrechlich wie die beiden Frauen aussahen, waren sie jedenfalls nicht, das stand fest. Er würde das zu gern einmal testen, auch wenn es für diesen Wunsch der vollkommen falsche Augenblick war. Mal drehte sich nicht zu ihm, sondern marschierte weiter. Nur Jayne nahm sich die Zeit, um Simon unsanft von sich zu schubsen. „Das regeln jetzt die Erwachsenen.“ Der Pilot hielt Simon aufrecht, als dieser rückwärts in seine Arme taumelte. „Sie wissen schon, was sie tun. Bisher hat Mal immer die Kurve gekriegt, soweit ich das beurteilen kann.“ „Aber nicht, weil er besonders vorausschauend ist“, bemerkte Simon. Er schüttelte Tom ab und achtete nicht darauf, ob der blonde Mann ihm folgte, als er ein weiteres Mal hinter Mal und Jayne herlief. Sein Herz klopfte wild in seiner Brust und erinnerte Simon daran, dass er für solche Dinge nicht gemacht war. Selbst nach all der Zeit war er nicht gut in den ganzen Kriminalitätssachen, in die sie laufend verstrickt waren. Schießereien und Schlägereien lagen ihm einfach nicht, waren bei dieser Mannschaft jedoch praktisch an der Tagesordnung. Und nun mussten sie sich auch noch mit sogenannten Superfrauen und toten Menschen auseinandersetzen, wobei letztere das Universum zu zerstören versuchten. Das war doch alles ein bisschen zu viel auf einmal. Mal und Jayne erreichten das Cockpit vor Simon und der Lauf von Mals Revolver richtete sich bedeutungsschwer auf Faiths Stirn, als diese sich zu ihnen umdrehte. „Die Serenity ist mein Schiff. Sie bleibt mein Schiff“, verkündete Mal. Buffy blieb auf dem Pilotenstuhl sitzen und reckte den Kopf in ihre Richtung, der Bildschirm vor ihr schwarz. Ihre Augen wanderten von einer Person zur anderen, anschließend von einer Waffe zur nächsten. „Okay...?“ Keiner von ihnen schien den Arzt auch nur wahrzunehmen, der schwer atmend im Türrahmen stehen blieb. Den Kopf schieflegend zog Mal die Augenbrauen zusammen. Seine Wut verpuffte. „Was heißt ihr ‚okay’?  Warum klingt das wie eine Frage?“ „Die Monsterfrauen werden das sowie nicht zugeben. Dazu fehlt es ihnen an Mumm“, entrann es Jayne, dessen Messer auf Buffy zeigte, während das angespitzte Fußbein ebenfalls auf Faith gerichtet war. „Bringen wir sie zur Luftschleuse und sagen ihnen auf Wiedersehen.“ „Oh ja?“ Faith stemmte eine Hand in die Hüfte. „Ihr könnt gern versuchen uns irgendwo hinzubringen. Ob euch das gelingt, nun... das steht auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Nicht wahr, B?“ Ihre freie Hand ballte sich zu einer Faust, doch Buffy schnellte vor und packte ihr Gelenk, bevor sie etwas tun konnte. Vermochten sie auch eine Pistolenkugel zu überleben oder war Faith lediglich bereit gewesen, das Risiko einzugehen? „Das reicht jetzt“, sagte Buffy. „Sie hat recht“, fügte Simon hinzu. Er schob sich mit erhobenen Händen und mit zittrigen Knien zwischen Mal und Jayne und den beiden Slayer. „Wir sollten in Ruhe darüber reden. Ich bin sicher, dann finden wir auch eine Möglichkeit uns zu einigen und eine Meuterei zu verhindern.“ „Reden?“, spuckte Jayne ihm entgegen. „Es ist zu spät zum Reden. Aus dem Weg!“ Er packte Simon unwirsch am Oberarm, um ihn beiseite zu stoßen, als ein helles Piepen das Cockpit erfüllte. Die Blicke aller Anwesenden wanderten durch den engen Innenraum herüber zu den Konsolen. Ein Licht blinkte im Takt des Geräuschs. Mal biss die Zähne aufeinander. Simon konnte es anhand seines Kiefers sehen, erkennen wie er mit sich rang. Letztendlich beugte er sich vor, ohne die Pistole von Faith abzuwenden. Er verschob den Bildschirm, so dass Buffy und Faith nicht zu sehen waren und gab ihnen mit einem Finger an den Lippen zu verstehen, dass sie ruhig bleiben sollten. Erst danach betätigte er einen Knopf und der schwarze Bildschirm wurde mit einem braungebrannten Gesicht mit wildabstehenden Haaren ersetzt, das Simon nicht kannte. Die fremde Stirn legte sich in Falten, als der Mann die Szene betrachtete, die sich ihm zeigte. Er musterte Jayne und Mal mit ihren erhobenen Waffen. Simon konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie absurd das von seiner Seite aus wirken mochte. Letztendlich breitete sich ein verwundertes Lächeln auf den Lippen des Mannes aus. „Scheint so, als hätte ich mir ein schlechtes Timing ausgesucht, um dich zu kontaktieren, Mal“, verkündete er. „Das kann mal wohl sagen, Boyd.“ Mal wedelte mit dem Revolver herum. „Wir sind hier gerade etwas beschäftigt.“ „Das habe ich mir fast ein wenig gedacht, mein alter Freund“, erwiderte Boyd Crowder, der Geschäftsmann, mit dem Mal und die anderen auf Harlan aneinander geraten waren. Er stellte auch den Grund war, weshalb sie die Kisten an Bord genommen hatten, wenn sich Simon nicht irrte. Also war er verantwortlich für das Auftauchen von Buffy, Faith und Spike – und Mal wollte offensichtlich nicht, dass er sah, dass seine Lieferung sich frei auf dem Schiff bewegte. „Eigentlich lag es mir auch nur am Herzen, nach meinem geliebten Cousin zu sehen“, fuhr Boyd im geselligen Ton fort. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verhakte die Finger beider Hände miteinander. „Immerhin muss ich sichergehen, dass du Johnny gut behandelst. Dass es ihm an nichts fehlt. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er nur noch aus Haut und Knochen bestehen würde, weil eure Rationen bei diesem langen Flug nicht für alle Mitglieder reichen würden. Das wäre ja nun wirklich ein Dilemma.“ Mals Mundwinkel hoben sich. „Ich bin sicher, Johnny wird gerührt sein, dass du so viele Gedanken an ihn verschwendest.“ „Nun, das werden wir wohl nur herausfinden, wenn ich meinen Cousin zu sehen bekomme, nicht wahr?“ Die aufgesetzte Freundlichkeit Boyds war fest mit der Bestimmtheit, die in seinen Worten mitschwang, verankert. Ein Blick aus den Augenwinkeln zu Mal herüber genügte, damit Simon sichergehen konnte, dass auch Mal sich ihm nicht entziehen konnte. Obwohl der Arzt noch nie ein Fan von Metaphern gewesen war, so traf das einer Spinne, die ihre Beute in ihrem Netz fing und dann schnell in einen Kokon einwickelte, ziemlich genau auf Boyd Crowder zu. Er musste nicht viel von diese Art von Geschäften verstehen, um zu wissen, dass Mal diesen Auftrag von ihm nicht angenommen hätte, wenn er eine andere Wahl gehabt hätte. Boyd hatte sie vollkommen in der Hand. „Einen Moment. Ich glaube, er besucht gerade die Herrentoilette“, sagte Mal. „Du weißt ja, Johnny ist nicht mehr der Schnellste...“ Boyd hob die Hände. „Ob du es glaubst oder nicht, ich habe alle Zeit der Welt zur Verfügung.“ Ein Nicken war Mals Antwort, als er den Bildschirm auf Standby schaltete und Boyds Gesicht kurzzeitig verschwand. Widerwillig steckte er seine Waffe weg und stemmte die Hände in die Hüften. „Das war der Mann, der geholfen hat, euch einzufangen“, richtete Mal das Wort an Faith und Buffy. „Wenn ihr nicht wollt, dass er darauf aufmerksam wird, dass ihr nicht mehr in den Truhen im Laderaum liegt, würde ich vorschlagen, dass ihr euch ruhig verhaltet. Was ich damit meine ist, dass es keine Meuterei geben wird. Verstanden?“ „Natürlich“, antwortete Buffy und rammte Faith den Ellenbogen in die Seite, als die braunhaarige Slayer nicht reagierte. „Schon gut, okay. Ich bin es ja eh gewohnt, dass man meine Ideen abschmettert.“ Faith schnaubte verächtlich und marschierte davon. „Es tut uns leid“, sagte Buffy und folgte ihr mit einem Zögern. „Wir sind wieder in unseren Kajüten.“ „Simon, hol Johnny und sag Zoe, dass sie besser ihre Schrotflinte parat hält“, wandte sich Mal an den Arzt, bevor er bereits zu Jayne überging. „Jayne, du passt auf, dass unsere zwei Damen keinen Ärger machen und sich tatsächlich ruhig verhalten.“ Das Grinsen, welches bei Boyds Unterbrechung mehr und mehr verblasst und von einer Grimasse ersetzt worden war, kehrte auf Jaynes bärtiges Gesicht zurück. „Kein Problem, Mal.“ Mit hocherhobenen Messer und dem Pflock folgte er den Slayern. „Ohne Gewalt, wenn es geht“, rief Mal ihm hinterher und massierte sich die Schläfe. „Ist das möglich?“, fragte Simon. Bisher hatte er sich nicht von der Stelle bewegt. Er wusste auch gar nicht genau, ob er sich nun auf Buffy und Faith bezog oder nicht doch auf Boyd und Johnny. Oder auf die Vampire im Allgemeinen und sogar auf den Master, der irgendeinen Dämon aus seinem Gefängnis befreien wollte. Es gab eine Menge Dinge, die zur Besorgnis einluden. Mal sah ihn für einen Moment an, bevor er nonchalant mit den Schultern zuckte. Fast so, als glaubte er, dass Simon blind war und seine Resignation nicht bemerkt hätte. „Ich schätze, das werden wir früher oder später herausfinden, Doktor. Ob wir wollen oder nicht. Und jetzt geh, einen Mann wie Boyd lässt man nicht warten, wenn man kein allzu großes Aufsehen erregen will.“     18 Johnny wusste, warum er Raumschiffe im Normalfall mied. Die klimatisierte Kälte war pures Gift für seinen Rücken. Das ging schon seit heute Morgen so, obwohl er eigentlich keine Ahnung mehr hatte, wann es hier Morgen oder Abend war. Woher sollte man das auf dieser verfluchten Blechbüchse auch wissen? Er war vollkommen verspannt und bereits mit steifem Rücken aufgewacht. Zudem hatte er es kaum aus dem Bett geschafft, als zusätzlich ein stechender Schmerz durch seine Hüfte gefahren war. Dieser machte sich auch jetzt noch als ein dumpfes Pochen bemerkbar, welches bis in sein rechtes Bein hinunter gezogen war. Seine Hand verkrampfte sich um die Tasse, die Inara ihm vor einigen Minuten in die Kajüte gebracht hatte. Ungefragt, verstand sich. Johnny war kein Fan von Tee und ganz besonders nicht von süßlichem Beerengeschmack. Er bevorzugte den Whiskey, den es in seiner Bar stets gegeben hatte. Er vermisste seine Bar, Punkt. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass der Tee ihn wieder etwas aufwärmte und die konstante Kälte, die auf dem Schiff herrschte, zum ersten Mal seit dem Aufstehen in seine Schranken wies. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass wieder Blut in seinen Arterien floss und keine Eisklumpen. Er war für das Leben auf einem Raumschiff einfach nicht gemacht. Niemand war das, der den Großteil davon auf einem wüstenähnlichen Mond verbracht hatte. Sich seinen Oberschenkel massierend leerte er den Rest der Tasse in einem Zug, bevor er sich wieder nach hinten in den Stuhl lehnte. Viel hatte diese Kajüte, die man ihm vorübergehend zugeteilt hatte, nicht zu bieten. Sie enthielt ein schmales Bett, eine einklappbare Toilette, ein Waschbecken und einen winzigen Tisch mit einem unbequemen Stuhl, der bei jeder Gewichtsverlagerung knarrte. Das Schlimmste waren jedoch all die rotbraunen und violetten Tücher, welche an die Wände festgemacht waren, um den Raum... was, Atmosphäre zu geben? Wenn dem so war, hatte der Verantwortliche jedenfalls komplett daneben gegriffen. Johnny besah sich die Dekorationen zum wiederholten Male mit verzogenem Gesicht, als erneut ein Klopfen zu vernehmen war. Sein Blick ging zu der Leiter, die den einzigen Ausweg darstellte. Niemand zeigte sich. „Komm rein“, brüllte Johnny mit einem Augenrollen. Das war nicht Inara, so viel stand fest. Sie war zwar höflich gewesen, aber hatte nicht dort oben gewartet, bis er geantwortet hatte. Ansonsten wäre der Tee vermutlich kalt gewesen. Der Eingang mit der montierten Leiter wurde quietschend aufgezogen und zwei polierte Schuhe tauchten auf, die einige Sprossen herunterstiegen. Zu ihnen gesellte sich eine feine Stoffhose und ein seidenes Hemd, das mit einer Weste abgerundet war. Johnny wusste bereits wer es war, bevor Simons Kopf sichtbar war, als er in die Kajüte herunterkletterte. Was wollte der Arzt von ihm? Hatte Inara ihm etwa Bescheid gegeben? Sie hatte auch ohne sein Zutun auf seine körperlichen Beschwerden geschlossen. Generell wusste diese Frau etwas zu viel für seinen Geschmack – und bestimmt auch weitaus mehr als Malcolm Reynolds. „Ich hoffe, ich störe nicht“, entrann es Simon, der an der Leiter festhielt, ansonsten jedoch einen unleserlichen Ausdruck auf dem Gesicht trug. „Mal sucht nach dir. Es betrifft deinen... Cousin? Einen gewissen Mann namens Boyd.“ Sein Blick huschte durch den kleinen Raum, als erwartete er etwas Ungewöhnliches zu entdecken, blieb letztendlich jedoch an Johnnys Gehstock hängen, der neben ihm am Tisch lehnte. Typisch Doktor eben. Doch dass Simon ihm noch immer nicht vertraute, wurde ebenfalls deutlich. Kein Wunder, dafür hatte Boyd gesorgt, als er diese eingefrorenen Menschen an Bord der Serenity geschafft hatte. Sein Cousin war nicht so blauäugig, um zu glauben, dass das niemanden auffallen würde. Oder doch? Nun, wer rechnete schon mit einem Mädchen, das scheinbar eine ausgeprägte Intuition hatte, wenn sie nicht gerade verrückt in der Gegend herumlief und unsinniges Zeug von sich gab? Jayne hatte ihm nach einem Gläschen bereits zu viel davon erzählt, dass das Gör sein Gehirn zum Platzen bringen konnte, doch Johnny hatte sich nur mit dem Heben einer Augenbraue begnügt. Das war etwas zu albern, als dass er das glauben würde. Allerdings war Jayne nicht der hellste Stern im Universum – und warum sollte es diese Art von Kraft nicht geben, wenn sie sich schon mit Fabelwesen und dem Ende von allem herumschlagen mussten? Das machte es wohl nicht komplett unmöglich. „Mein geliebter Cousin kann ruhig ein bisschen warten“, sagte Johnny, als er sich mit zwei Anläufen aus dem Stuhl hievte. Er biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen und stützte sich am Tisch ab. „Vielleicht holt ihn das von seinem hohen Ross herunter.“ Ein freudloses Lächeln huschte über seine Lippen. „Andererseits hat das noch nichts geschafft. Boyds Ego ist so groß wie diese Galaxie. Mindestens. Wo ist er?“ „Im Cockpit. Ich kann mir bei Gelegenheit deinen Rücken ansehen“, erwiderte Simon. „Ich bin immerhin Arzt. Dafür bin ich da.“ Johnny schob sich humpelnd an ihm vorbei und zog sich an der Leiter hoch. „Du siehst fähiger aus, als unser Doktor auf Harlan, dass muss ich dir lassen.“ Mit diesen Worten ließ er Simon in seiner Kajüte stehen und kletterte hinaus. Nicht nur, dass er überhaupt irgendwo im Weltall für Boyd herumfliegen musste, es musste ausgerechnet ein Kahn sein, der Leitern anstatt normale Stufen hatte. Der Weg zum Cockpit war nicht allzu weit, doch ließ sich nur schleppend hinter sich bringen. Allgemein kam Johnny die einzelnen Strecken von einem Ort zum anderem zunehmend länger vor. Als er Mal im Pilotenstuhl sitzen sah, fühlte sich sein Bein bereits an, als hätte es Feuer gefangen und der Schweiß war auf seiner Stirn ausgebrochen. Mal drehte sich nur langsam mit dem Stuhl zu ihm um. „Boyd ist um dich besorgt.“ Ein Schnauben seitens Johnny folgte. „Er hat Angst um seine Ladung. Um die ist er besorgt.“ „Was wirst du ihm sagen, Johnny?“ Darum ging es hierbei also. Mal wollte nicht, dass Johnny ausplauderte, was sich in den letzten Tagen auf der Serenity so alles zugetragen hatte. Am liebsten hätte er aufgelacht, aber schon das Heben der Mundwinkel kostete Mühe. „Keine Ahnung, Mal. Das werde ich sehen, wenn ich meinem Cousin gegenübersitze.“ Beide starrten sich an. Doch wer mit einem Menschen wie Boyd Crowder und dessen Vater aufwuchs, der zu seinen Lebzeiten auf seine Art genauso schlimm gewesen war, der lernte diesen intensiven Blick zu ertragen, ohne sich von ihm die Seele durchleuchten zu lassen. „Ich hoffe, du erzählst ihm nicht, dass du dich unwohl unter meinem Kommando fühlst“, sagte Mal. Er erhob sich ruckartig und bot ihm den Stuhl mit einer Handgeste an. „Das würde mir das Herz brechen.“ Johnny antwortete nicht, als er sich setzte. Trotzdem nahm er im Augenwinkel wahr, dass Mal im Türrahmen zum Cockpit innehielt, anstatt zu gehen. Johnny schaltete den Bildschirm ein und fand einen gelangweilt aussehenden Boyd am anderen Ende der Übertragung vor. Das Leben kehrte erst wieder in das Gesicht seines Cousins ein, als er Johnny entdeckte. Ein Zähne zeigendes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er öffnete die Arme, als wollte er Johnny durch den Bildschirm hindurch an seine Brust ziehen. Als ob sie sich jemals so etwas wie freundschaftlich umarmt hätten, lachhaft. „Johnny, mein Lieblingscousin. Du siehst erstaunlich gut aus, obwohl du eine gewisse Blässe auf dem Gesicht trägst.“ „Das ist das künstliche Licht auf einem Raumschiff, falls du weißt, was das ist, Boyd.“ Johnnys Finger trommelten auf dem Griff seines Gehstocks, der zwischen seinen Beinen ruhte. „Was willst du?“ „Was ich möchte? Ich möchte mich nach deinem Wohlbefinden erkundigen“, erklärte Boyd. Seine gute Laune ließ sich nicht vertreiben, aber das tat sie äußerst selten. Dennoch erwischte sich Johnny zum wiederholten Mal dabei, wie er seinem Cousin gern dieses Lächeln aus dem Gesicht wischen würde. Permanent. „Mich um dein Wohlbefinden zu erkundigen - und das meiner Ware natürlich“, fügte Boyd hinzu. „Wenn ich die Tage in meinem Kalender nicht unregelmäßig abgestrichen habe, dann sollte der Weg zur Raumstation nicht mehr allzu weit sein. Wie viele Tage werdet ihr ungefähr noch unterwegs sein? Zwei oder vielleicht drei?“ Johnny zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen? Ich bin hier weder Pilot noch Captain, wie du dich sicher erinnerst.“ „Ich hoffe, dass du wenigstens ein Auge auf die Lieferungen hast.“ Es war keine Frage oder gar Bitte, aber Johnny bezweifelte sowie, dass Boyd auch nur im entferntesten die Bedeutung von dem Wort ‚Bitte’ kannte. Johnnys Mundwinkel zuckten ein Stückchen nach oben, sackten im selben Augenblick jedoch wieder. „Sicher. Die Kisten sind alle ordentlich im Laderaum gestapelt. Der ist so kalt, dass da kaum jemand freiwillig einen Fuß hineinsetzt.“ Im Grunde galt das für das ganze Schiff, wenn es nach Johnny ging, aber das konnte Boyd nicht wissen. Er tat stets so, als wüsste er über alles am besten Bescheid, doch Johnny hatte seinen Cousin schon vor Jahren durchschaut. Boyd wusste rein gar nichts. Er war gut darin zu improvisieren und Leute um seinen Finger zu wickeln, aber damit konnte er nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er genauso wenig Kontrolle über das Universum hatte wie jeder andere. Dieses Wissen über Boyd gab Johnny Macht, auch wenn dieser zu erhaben war, um es zu erkennen. „Das bedeutet also, dass alles ganz genau so abläuft, wie es geplant war?“, fragte Boyd und lehnte sich in seinem Stuhl vor. Er starrte Johnny ohne ein Blinzeln an. „Oder kannst du gerade nicht offen reden, Cousin Johnny?“ Mals Blick von der Seite kitzelte genauso auf Johnnys Haut, wie der Boyds. „Selbst wenn, würde meine Antwort nicht anders ausfallen. Ich hab lieber eine zweite Kugel im Rücken, als ewig auf diesem Kahn festzusitzen. Ich will die Ware nur abliefern und nach Harlan zurückkehren.“ Zum ersten Mal blitzte ein vielsagendes Lächeln über seine Lippen, als er sich den grauen Bart kratzte. „Ich vermisse mein Mädchen.“ Dieses Geständnis schien Boyd zufrieden zu stellen, denn er sackte lachend nach hinten in seinen Stuhl. „Sie bringt Audrey’s eine Menge Profit. Ava ist zufrieden mit ihr“, erwiderte er, als war es das, was Johnny hören wollte. Als wollte er wissen, mit wie vielen Männern am Tag sie ins Bett stieg und wem sie alles Liebesgeständnisse ins Ohr säuselte. Zugegeben, obwohl er anfangs nur etwas mit Teri angefangen hatte, weil sie gut aussah und um seinen Frust abzubauen, hatte er sich inzwischen trotzdem an sie gewöhnt. Zeit mit ihr zu verbringen, stellten ein paar entspannte Stunden dar, die Johnny nirgends sonst auf Harlan fand. „Vielleicht gibt Ava ihr dann einen Tag mehr in der Woche frei, wenn ich wieder da bin.“ „Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, werde ich ein gutes Wort bei meiner atemberaubenden Verlobten einlegen. Da Audrey’s jedoch ihr gehört, möchte ich keine Versprechen machen, die ich eventuell nicht einhalten kann.“ Boyd neigte den Kopf zur Seite und gestikulierte mit den Händen. „Schon klar.“ Johnny erhob sich ächzend. „Wie dem auch sei, ich melde mich, wenn es erledigt ist.“ Ohne Abschiedsworte brach Johnny die Verbindung ab. Ein paar Sekunden lang starrte er den nun schwarzen Bildschirm an, bevor er zu Mal herübersah. Dieser lehnte noch immer mit der Hüfte am Türrahmen, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. „Zufrieden?“, fragte Johnny. „Warum hast du gelogen?“ Natürlich stellte ihm Mal eine Gegenfrage. In dieser Hinsicht ähnelte er Boyd, auch wenn ihm dieser Gedanke wahrscheinlich nicht gefallen würde. Allerdings unterschätzten ihn beide Männer gleichermaßen. Boyd ging davon aus, dass Johnny ihn nicht hintergehen würde, weil dasselbe Blut in ihren Adern floss und er der Meinung war, dass Johnny nicht genug Mumm besaß. Mal dagegen traute ihm nicht über dem Weg, weil er ein Mitglied der Crowder-Familie war. Es war immer das Blut, welches Johnny in Schwierigkeiten brachte. „Boyd hat es verdient. Um ganz ehrlich zu sein, ist das schon eine lange Zeit überfällig.“ Johnny hielt das Grinsen nicht zurück, als er das sagte. Dazu gab es keinen Grund mehr, denn Boyd hatte nicht mehr den längeren Arm. Hier draußen im All wurde nach anderen Regeln gespielt. Hier gab es größere Probleme, als seinen popeligen Cousin, der dachte, dass er der das Zentrum des Universums war. „Soll sich Boyd bloß in Sicherheit wiegen. Vielleicht haben wir Glück und ein paar Vampire laufen ihm über den Weg.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)