Die Freiheit zu weinen von Xylune (Naruto x Sasuke) ================================================================================ Kapitel 4: Gleich und gleich gesellt sich gern ---------------------------------------------- Sasuke hatte keinen Mühen gescheut, sich diverse Szenarien auszumalen in Hinblick auf das, was das kommende Wochenende mit sich bringen würde. Hinterher hatte er sich lediglich über seine eigenen Gedanken geärgert und seine Ideen wieder verworfen. Schließlich führten sie ihm vor Augen, dass er ein gewisses, diffuses Vertrauen in ihm unbekannte Personen hatte, die ihn, selbst wenn sie ihre Ansage wahr werden ließen, in eine Position brachten, die keinerlei Vorteile mit sich zog. Im Gegenteil, er hoffte inständig, dass man ihn vergessen hatte. Ein stürmisches Klopfen holte Sasuke in die Gegenwart zurück und er blickte zu Tür, die aufschwang und laut gegen die dahinterliegende Wand schlug. Er kannte nur eine Person, die derart ungestüm Türen öffnete. Sein Bruder. "Sasuke", rief dieser fröhlich, ignorant gegenüber dem frostigen Blick, den er sogleich erntete, "unten ist Besuch für dich!" "Was?", entfuhr es ihm. Danach verstummte er wieder, schließlich konnte er sich denken, wer dort unten auf ihn wartete. "Mama serviert ihr gerade Kuchen", fügte Itachi noch hinzu und verließ das Zimmer seines Bruders ohne jedoch die Tür wieder zu verschließen. Sasuke hingegen stand grummelnd auf und ging mit langsamen, zögerlichen Schritten die Treppe herab, um unten angekommen durch den Flur in die angrenzende Küche und schließlich auf die Terrasse des Einfamilienhauses zu treten. Dort angekommen erblickte er das Mädchen, deren Name ihm entfallen war, und seine Mutter am Tisch sitzend mit Kuchentellern. "Sasuke, da bist du ja", sagte sie mit fröhlicher Miene und winkte ihn zu sich heran. Zumindest ertappte er sich dabei, wie er darüber nachdachte, was seine Mutter nun denken mochte über das Mädchen, das nun bei ihnen am Tisch saß. Auf der anderen Seite war es ihm beinahe lieber, die Antwort nicht zu kennen. "Hallo", begrüßte nun auch die junge Frau ihn mit einem breiten Lächeln, "Sasuke." Sie hatte lange gezögert, bevor sie ihm beim Namen genannt hatte, kein Wunder, schließlich hatte sie ihn bis eben überhaupt nicht gekannt. Seine Mutter schien dies jedoch nicht bemerkt zu haben und fragte stattdessen, ob er auch etwas haben wolle, was er jedoch mit einem stumpfen Kopfschütteln verneinte. "Ihr Kuchen ist wirklich wunderbar", lobte das Mädchen seine Mutter nach einer Weile. "Danke, es freut mich immer, wenn es schmeckt. Aber nenn' mich doch bitte Mikoto", bot sie ihr an und in Sasuke erhärtete sich der Verdacht, dass seine Mutter die junge Frau für seine Freundin hielt. Was für eine absurde Idee. Dass er bisher nichts gesagt und auch niemanden begrüßt hatte, schien niemandem aufzufallen. Weder seiner Mutter, die in der Hinsicht bereits abgehärtet war und vermutlich so oder so nicht mehr damit rechnete, noch der jungen Frau, die unter Umständen sowieso nur das wahrzunehmen schien, was ihr gerade ins Bild passte. Dieser Gedanke ließ sich jedenfalls recht gut mit ihrem letzten Auftritt vereinbaren, den sie gegenüber Sasuke gehabt hatte. Nach einer Weile blickte sie auf ihre Armbanduhr und ihre Augen weiteten sich: "Oh, wie dumm von mir, es ist schon so spät, wir sollten langsam los." Letzteres sprach sie zu Sasuke gewandt, der nicht merklich darauf reagierte, sondern einen Ausweg aus der Situation suchte. Bisher hatte er nur leider keinen gefunden. Er wagte es nicht, aufzustehen und die Szene zu verlassen. "Ach ja, die Feier", erwiderte Mikoto, die scheinbar im Vorfeld informiert worden war, "ich wünsche euch natürlich viel Spaß. War nett dich kennenzulernen, Sakura." So lautete also ihr Name. Sasuke glaubte sich nun tatsächlich dunkel daran zu erinnern. Er sah zu, wie seine Mutter die Teller ins Haus trug und blickte dann zur Seite, feststellend, dass Sakura ihn nachdenklich musterte. "So willst du losgehen?", fragte sie ohne eine ernstzunehmende Antwort zu erwarten. Wie immer - oder zumindest wie sooft trug Sasuke einen dunklen Hoodie in Kombination mit irgendeiner dunklen Jeans, die er morgens aus dem Wäschekorb gefischt hatte. Beides erfüllte seinen Zweck und ließ sich auch bequem tragen, entsprechend konnte er nicht so recht nachvollziehen, weshalb Sakura ihn nun danach fragte. Da er sich jedoch sowieso entschlossen hatte, ihr die Antwort schuldig zu bleiben, hob er lediglich seine Umhängetasche von der Bank und ging an ihr vorbei zum Tor, wo er wie erwartet Sakuras Auto vorfand, das sich zugleich mit einem lauten Klicken öffnete. "Steig ein", forderte ihn Sakura überflüssigerweise auf und er ließ sich kurz darauf seufzend auf dem Beifahrersitz nieder. Erst jetzt fiel ihm das alberne Spielzeug in Form eines Pokémons auf, das am Rückspiegel baumelte. Ebenso vermutete er, dass Sakura nicht zu den ordenlichsten Personen gehörte - im Getränkehalter stapelte sich Eispapier. Sakura ihrerseits setzte sich auf den Fahrersitz, schnallte sich an und drehte den Schlüssel herum, um kurz darauf scharf anzufahren, sodass Sasuke gegen die Rückenlehne gedrückt wurde und sich dabei ertappte, ein wenig besorgt über den weiteren Verlauf der Fahrt zu sein. Im Gegensatz zur letzten Woche fuhr die junge Frau nämlich deutlich hektischer und es kam nicht selten vor, dass die Ampelfarbe bereits auf kirschgelb umgesprungen war, als der Wagen daran vorbeibrauste. Sasuke selbst sah sich als recht umsichtiger Fahrer, wenn er auch recht selten persönlich fuhr. Zwar hatte er vor fast zwei Jahren die Prüfungen bestanden, die ihm die Eltern finanziert hatten, jedoch hatte er seitdem nur wenig Interesse gezeigt, von dieser Errungenschaft Gebrauch zu machen. Den Grund konnte er nicht so genau benennen. Vielleicht hatte er einfach keinen Anlass öfter zu fahren, da er sich kaum weiter vom Haus entfernen musste als die wenigen Minuten, die er benötigte, um in die angrenzende Einkaufsstraße, Madame Yukimuras Café oder auch in den nahen Supermarkt zu gelangen. Die Fahrt an sich verlief schweigt bis auf Sakuras Monologe, wenn sie einen frechen Drängler oder die Farbe der Ampeln leise beschimpfte. Ihr Beifahrer starrte stur aus dem Fenster und selbst ihr fiel es nun schwer, ein Gespräch zwischen ihnen aufzubauen. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte er die ganze Zeit über nicht mit ihr kommuniziert und sie dachte nun in den ruhigen Minuten darüber nach, wie sie Sasuke eigentlich einschätzen sollte. Eine unauffällige Person in unauffälliger Kleidung mit einer abweisenden Haltung ihr gegenüber. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? So ganz genau wusste sie das nicht, jedoch vermutete sie, dass es mit seinem zugegebenermaßen ganz 'ansehnlichem' Gesicht zusammenhing, das ihr von vorneherein aufgefallen war. Würde er sich etwas mehr Mühe geben, wäre Sasuke wohl wirklich als gutaussehend durchgegangen - und Sakura hatte eine Schwäche für gutaussehende Männer. Nicht immer im Sinne einer potenziellen Beziehung, teils fühlte sie sich auch einfach nur auf platonischer Basis zu ihnen hingezogen. Sasuke war wohl einer dieser Fälle, wie sie sich letztendlich etwas resigniert eingestand. Darüber hinaus benahm sie sich in Begleitung von Naruto oft noch aufgedrehter und ignoranter gegenüber anderen als sonst schon. Wahrscheinlich verstand sie deshalb erst jetzt, dass ihr Beifahrer vermutlich ganz einfach nicht gewusst hatte, wie er sich aus der Misere ziehen sollte. Beinahe tat es ihr Leid. Aber auch nur beinahe. Stumm grinste sie. Vielleicht ergab sich auch doch noch etwas. Wer wusste das schon vorher. Als sie nach etwa einer halben Stunde das Mietshaus erblickte, in dem Naruto derzeit wohnte, sah sie sich nach einem Parkplatz um, feststellend, dass der einzig vertretbare in der Gegend mit fünf Minuten Fußweg verbunden war. Wortlos fluchte sie, nicht nur, dass sie länger laufen mussten, nein, Narutos Wohnung befand sich auch noch im vierten Stock - und sie verfügte nicht über einen Fahrstuhl. Nicht, dass Sakura unsportlich gewesen wäre, sie ging regelmäßig Squash spielen, dennoch lief sie nicht gerne Treppen, vor allem nicht mit den Pumps, die sie sich zuvor angezogen hatte. Nachdem sie angehalten hatten, schloss Sasuke daraus bereits, dass sie wohl ihr Ziel erreicht hatten. Von daher zögerte er nicht, die Tür zu öffnen und auszusteigen. Danach wartete er geschlagene drei Minuten, die Sakura benötigte um ihre Stöckelschuhe gegen - so dachte Sasuke zumindest - bequemere Chucks auszutauschen und folgte ihr mit einem Abstand von etwa einem Meter bis zu einem ehemals wohl weißgestrichenen Mietshaus, das irgendwer mit zahlreichen Graffiti verschönert hatte. Zahlreiche belanglose Tags reihten sich an antifaschistische Sprüche und die Frage nach dem Weltfrieden. Sasuke hatte sich schon öfter dabei ertappt, wie er nachdenklich beschmierte Fassaden angestarrt hatte um den Sinn und Ursprung der Bilder und Aussagen zu verstehen, die selbsternannte Künstler dort für ihre Umwelt hinterlassen hatten. Er selbst war jedoch noch nicht auf die Idee gekommen, es auszuprobieren. Wozu auch? Er hatte den Menschen nichts mitzuteilen. Langsam stiegen sie die zahlreichen Stufen des Altbaus hinauf, um nach einer Weile, die einem beim Treppensteigen oft als Ewigkeit vorkommt, vor einer Tür Halt zu machen, an der Sakura energisch die Klingel betätigte. Kaum hatte sie den Knopf losgelassen, wurde auch schon schwungvoll die Tür aufgerissen und jetzt konnten sie auch deutlich die Musik vernehmen, die im Hintergrund lief. Zu leise, um zu bestimmen, worum es sich handelte, zu laut, um ernsthaft darüber nachzudenken, ob sie einer erträglichen Musikrichtung angehörte. Sasuke tippte auf House oder etwas Ähnliches, doch im Grunde kannte er sich damit kaum aus. Schließlich hörte er 'diesen Kram' nicht. Ebenso registrierte er, dass nicht Naruto ihnen die Tür geöffnet hatte, sondern eine blondhaarige, junge Frau mit langen Haaren, die sie zu einem Zopf gebunden hatte, der hin- und herwippte, als sie bei Sakuras Anblick euphorisch zu werden schien und dieser auch um den Hals fiel. "Sakura, lang nicht gesehen", quietschte sie in einer etwas zu hohen Tonlage. Sasuke widerstand dem Drang, die Hände auf seine Ohren zu pressen. "Ino", erwiderte Sakura in einer etwas tieferen Stimmlage, jedoch nicht minder fröhlich, "schön dich mal wieder zu sehen. Wie läuft der Laden?" "Gut, gut", erwiderte die junge Frau, die scheinbar Ino hieß und ihr Blick fiel auf Sasuke, der hinter Sakura stand, "und wer ist das? Dein Neuer? Der ist ja schnuckelig." Der als 'schnuckelig' bezeichnete Sasuke zuckte angewidert zusammen, erwiderte jedoch nichts und verzog auch keine Miene. "Nein, nein", lachte Sakura als habe Ino ihr soeben einen guten Witz erzählt, "das ist Sasuke, ein guter Bekannter von mir und Naruto." Seit wann hatte er sich eigentlich zu einem 'guten Bekannten' avanciert? Sasuke nahm an, dass sie so lästigen Fragen aus dem Weg gehen wollte, ebenso, wie er bemerkt hatte, dass ihr Lachen recht aufgesetzt klang, beinahe, als wäre ihr die Situation und die Frage peinlich gewesen. Wirklich zu deuten wusste er diese Erkenntnisse nicht und er zog es auch vor, darauf zu verzichten. Sakura drängte sich schließlich an Ino vorbei, den überraschten Sasuke am Arm packend und kämpfte sich durch eine Flut unterschiedlichster Menschen bis ins vermeintliche Wohnzimmer vor, in dem einige der Jugendlichen vor einer Konsole hockten und irgendetwas gemeinsam spielten, während dahinter einige zusammenstanden und sich unterhielten. Das Sofa, eine der wenigen Sitzmöglichkeiten im Zimmer, war hingegen erstaunlich frei und Sasuke bemerkte beim Hereinkommen, dass dort nur ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren in gebeugter Haltung saß, das angestrengt ihre Fingerspitzen musterte. "Warte hier", rief derweil Sakura ihm zu und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf die freie Seite des Sofas, um anschließend von ihm abzulassen und laut "Naruto" rufend aus dem Zimmer zu laufen. Weg war sie. Sasuke wusste nicht zu bestimmen, ob ihn das nun erleichtern oder eher beunruhigen sollte. Die Vorstellung, dass sich die lärmenden Unbekannten mit ihm beschäftigen könnten, sagte ihm ebenso wenig zu wie weiteren Monologen der aufgedrehten Sakura zu lauschen. Die Musik war hier drinnen besonders laut und wurde nur von den ächzenden Kampfgeräuschen des Beat 'em ups übertönt, das nach wie vor auf dem breiten Fernsehbildschirm flimmerte. Ebenso unterhielten sich einige, es war jedoch unmöglich auszumachen worüber eigentlich. Auf einem Tisch rechts von dem merkwürdigen, schwarzhaarigen Mädchen neben ihm standen zahlreiche Getränke und Sasuke überlegte, ob er aufstehen und sich etwas von den Flaschen nehmen sollte. Nicht nur, dass er ein wenig durstig war, das Getränk würde ihm auch helfen, sich ein wenig nebenbei zu beschäftigen, wenn er schon in dieser unkomfortablen Situation verweilen musste. Bevor er sich jedoch hatte erheben können, hatte plötzlich das Mädchen ihren Kopf angehoben und ihn leise gefragt, ob er eine Flasche haben wolle. Beinahe hätte er ihre leise Stimme nicht verstanden. Für einen kurzen Moment streifte er auch ihre Augen und stellte fest, dass sie an ihm vorbeisah. Dennoch schien sie aus den Augenwinkeln sein langsames Nicken zu registrieren und so griff sie auch zu der Fantaflasche auf die er zuvor gedeutet hatte. "Danke", murmelte er leise, sodass Sasuke es selbst kaum noch verstehen konnte. Die Schwarzhaarige nickte nur freundlich in seine Richtung und blickte dann angestrengt auf den Bildschirm, auf dem gerade der Protagonist im Kampfanzug gegen eine freizügig gekleidete Schönheit im Kimono verlor. Eine gewöhnliche Person, wobei sich Sasuke nicht sicher war, wie er gewöhnlich eigentlich im Einzelnen definierte, hätte vermutlich irgendein belangloses Gespräch vom Zaun gebrochen. Er selbst hatte kein Interesse sich mit der jungen Frau zu unterhalten, es verwunderte ihn lediglich, dass sie derart zurückhaltend auftrat. Der Kampf auf dem Bildschirm zog sich hin - oder war es bereits der nächste? Sasuke starrte auf den verschwimmenden Schlagabtausch und gähnte unter vorgehaltener Hand. Die Musik, die Aussicht, die Menschen - wie erwartet langweilte er sich. Vermutlich hatte das nervtötende Mädchen, das ihn hierhergeschleppt hatte, ihn längst wieder vergessen und befand sich nun knutschend in der Besenkammer mit irgendeinem Jüngling. Oder so etwas in der Art. Plötzlich versperrte ihm jemand die Sicht auf den Bildschirm. "Sasuke?", fragte ihn eine weibliche Stimme und nach einer Weile sah er auf, um ins Gesicht der Blondhaarigen zu blicken, die ihnen zuvor die Tür geöffnet hatte. Ino oder so hatte ihr Name gelautet. Er verzichtete darauf ihr zu antworten, bemühte sich jedoch, einen fragenden Gesichtsausdruck aufzusetzen, der sie scheinbar animierte nach einer Kunstpause fortzufahren. "Möchtest du was essen? Wir haben diverse Häppchen da", ausladend wies sie auf einige, silberne Tabletts, die auf einem etwas weiter entfernten Tisch gerade abgestellt wurden. Einen Augenblick dachte er nach und nickte dann schließlich. Es war generell keine schlechte Idee etwas zu essen, wenn man sich langweilte und vermutlich wurde er sie auch schneller wieder los, wenn er einfach zustimmte. "Was möchtest du? Käse? Oder ein Mettbrötchen?", rief sie über die Musik hinweg und sah zu, wie sich der Angesprochene erhob, zum Tisch hinüberging und mehr oder minder zielgerichtet nach einem Salamibrötchen griff. Tatsächlich aß Sasuke recht selten Brötchen, ab und an hatte er jedoch nichts dagegen einzuwenden. Beispielsweise auf spannenden Partys dieser Art. Noch war es jedoch nicht vorbei. "Rück mal", wies Ino das schwarzhaarige Mädchen auf dem Sofa an und ließ sich selbst zwischen ihr und Sasuke nieder. Danach wandte sie sich ihrem männlichen Sitznachbarn zu, der gerade damit beschäftigt war, das Brötchen zu verspeisen und festzustellen, dass der männliche Charakter auf dem Bildschirm soeben die vollbusige Kimonoschönheit besiegt hatte. "Sag mal, Sasuke, woher kennst du eigentlich Sakura?", erkundigte sie sich und lehnte sich dabei an seine Schulter. Dieser war von der unverholenen Annährung nicht allzu begeistert und überlegte, wie er Abstand gewinnen konnte. Bis er einen Geistesblitz hatte. "Ino?", fragte er und erntete ein aufgeregtes Nicken, "Wo finde ich das Bad?" Das war nun nicht unbedingt die Antwort oder die Frage, die die Blondhaarige in der Situation erwartet hatte, sie überspielte jedoch ihr Erstaunen und erklärte ihm mit unbestimmten Gesten, dass er einfach auf dem Flur die letzte Tür rechts aufsuchen müsse, woraufhin sich Sasuke erhob und langsamen Schrittes den Raum verließ. Es hatte funktioniert. Ihn erwarteten einige Kleingruppen, die sich zwischen den Türen angesammelt hatten und die ihm den einen oder anderen Blick zuwarfen, während er sich den Weg hindurchbahnte und schließlich die letzte Tür links öffnete. Dort erwartete ihn jedoch kein Bad, sondern eine Art Schlafzimmer mit breitem, satinbezogenen Bett, Kleiderschrank und angrenzenden Balkon. Die beiden, die bei offener Balkontür draußen standen, schienen sein Hereinkommen nicht bemerkt zu haben und fuhren fort mit ihrer andauernden Unterhaltung. "Hat sie eigentlich angerufen?" "Nein", erwiderte Naruto geradeheraus, "aber das wäre auch merkwürdig gewesen, oder?" "Du findest es seltsam, wenn deine Mutter dich anruft?", seufzte Sakura und stützte ihre Ellenbogen auf dem Geländer ab. "Das ist in etwa so als würde deine Mutter von morgen an als Topmanagerin arbeiten", sinnierte er, wohlwissend, dass Sakuras Mutter im nahen Supermarkt als Kassiererin tätig war. "Das war gemein", erboste sich Sakura ohne es jedoch zu ernst zu nehmen, "es ist eben nicht leicht, wenn man mit zwanzig ein Kind bekommt und alleinerziehend ist, weil der Vater sich bereits mit der nächsten Schnepfe eingelassen hat." "Das habe ich auch nicht gesagt", antwortete er und blickte hinüber zum Park, dessen Rasenflächen sich teils hinter den inzwischen blühenden Bäumen versteckten, "aber du weißt, wie ich das meine." "Sicherlich." Als sich Sakura umdrehte, erblickte sie Sasuke, der in der Tür erstarrt zu sein schien. Die ganze Zeit hatte er überlegt, ob er die Tür einfach wieder schließen sollte, jedoch war ihm dies ebenso abstrus vorgekommen, wie das schweigende Herumstehen im Zimmereingang, sodass er schlussendlich keinen Millimeter vorangekommen war mit dieser inneren Debatte. "Oh Sasuke", sagte sie, "das hätte ich fast wieder vergessen." Immerhin war Sakura ehrlich. "Hi Sasuke, wie geht's deinen Händen?", wollte Naruto wissen, der sich an den Zwischenfall zurückerinnerte. "Gut", erwiderte Sasuke und hob zur Bestätigung die Hände - es war nicht mehr allzu viel zu erkennen. "Sag bloß du hast ihn mit Ino und so alleingelassen?", Naruto warf einen nachdenklichen Seitenblick auf Sakura, die beinahe schon schuldbewusst den Boden musterte. Der ausgelegte Teppich hatte eine undefinierbare Farbe, irgendeine Mischung aus rot, gelb und orange, die auch Sasuke nicht eindeutig zuzuweisen wusste. "So schlimm ist Ino auch nicht", brachte sie letztendlich hervor und erntete ein lautes Lachen von Seiten Narutos. "Ino ist ein personifizierter 'Maneater' - außerdem hat sie dem letzten erst vor einer Woche den Laufpass gegeben." "Look who's talking", lachte Sakura und tänzelte mit dem Finger auf Naruto zeigend durch den Raum. "Nun, das war nicht meine Entscheidung, wenn sie mir auch gelegen kam." Naruto hob abwehrend die Hände und Sasuke, der nur grob begriff, worum es eigentlich ging, verzichtete auf jeglichen Kommentar. "Gegen euch bin ich eine Heilige", sagte Sakura nur, schlich sich hinter Sasuke und legte ihre Hände unvermittelt auf seine Schultern. Sie erntete den verwirrten Blick beider Männer. "Und was ist mit dir Sasuke?" Wahrscheinlich ging es ihr um das Thema der wechselnden Partner, jedoch verzichtete Sasuke darauf, ihr eine passende Antwort zu geben. "Ich suche das Bad." "Das ist direkt gegenüber", antwortete Naruto fast schon automatisch und sah zu, wie sich Sasuke von Sakura löste und das gegenüberliegende Badezimmer betrat. Er und Sakura bewegten sich erst wieder, als die Tür hinter ihm zufiel. "Sehr gesprächig", kommentierte Naruto tonlos und Sakura nickte nur, unsicher, was sie dazu noch sagen sollte. Zäh bewegten sich die Zeiger seiner Armbanduhr. Sekunden, Minuten und letztendlich auch Stunden zogen vorüber ohne dass die Blicke sie beschleunigt hätten. Zeit ist einerseits beständig und andererseits ist es eine Frage des Gefühls, wie schnell sie eigentlich vorübergeht. Das Gefühl des Wartens kannte Sasuke nur zu gut und es erstaunte ihn immer wieder, wenn diese vermeintliche Ewigkeit doch irgendwann ein Ende fand. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Halb zehn war es laut Uhr. Oder auch neun Uhr und sechsundzwanzig Minuten und sechzehn Sekunden. Oder siebzehn, so genau konnte er das auch nicht bestimmen. Einige hatten sich bereits verabschiedet und der verbleibende Rest der Gäste, die nach wie vor zahlreich waren, hatte sich zum Großteil im Wohnzimmer versammelt. Noch immer besetzten Sasuke und das schwarzhaarige Mädchen das Sofa, während sich andere auf dem Boden und den wenigen, ungeordnet stehenden Stühlen niedergelassen hatten. Den Fernseher hatte soeben jemand ausgemacht und Ino, die neben der Musikanlage stand, drehte am Volumenrad. "Lass uns tanzen", rief sie und tänzelte zur Musik von Katy Perry quer durch den Raum. Erstaunlich viele folgten diesem Aufruf kurz darauf und das Wohnzimmer wurde zur Tanzfläche, auf der sich größtenteils ungelenkige Jungerwachsene zum Rhythmus der Musik bewegten und bei erhöhtem Alkoholpegel teils lächerlich wirkende Bewegungen durchführten. Titel um Titel folgte, manche tanzten gemeinsam, andere allein und einige standen am Rand und tranken etwas, um eine Pause zu machen. Sasuke und das schwarzhaarige Mädchen beobachteten das Treiben ungerührt. Während ersterer ungerührt seinen Kopf auf die Hände stützend in Leere starrte, nestelte die junge Frau nervös am Stoff ihres Rockes herum. Aus dem Augenwinkel nahm Sasuke diese Bewegungen ebenso wahr wie den verstohlenen Blick, den sie dem jungen, blonden Mann zuwarf, der mit Ino im Kreis herumhüpfte ungeachtet der Schlagzeugklänge. Naruto. Aller Wahrscheinlichkeit nach bemerkte dieser nichts von den Blicken, die ihm zugeworfen wurde und auch nichts von der Sehnsucht, die die Schwarzhaarige so treffend verkörperte. Überhaupt schien niemand etwas davon zu bemerken. In all den Stunden, die er hier saß, hatte niemand mit der jungen Frau gesprochen oder sie ernsthaft angeschaut. Sie war ebenso überflüssig wie er selbst, nur dass sie zum unsichtbaren Inventar gehörte, während er noch ab und an ein wenig Neugierde erntete. Zudem war es offensichtlich, dass sie hier war, weil sie es wollte und nicht, weil man sie dazu genötigt hatte. So wie sie sich auch ähnelten, so unterschiedlich waren sie doch letztendlich. Sasuke hatte nicht das Verlangen aufzustehen und mitzutanzen oder überhaupt mit diesen Leuten zu sprechen. Das Mädchen neben ihm hingegen wünschte sich offensichtlich nichts sehnlicher als aufzustehen, zu tanzen und dazuzugehören. Vielleicht auch in Hinsicht auf Naruto. Das verstand er durchaus. Irgendwann, vor längerer Zeit hatte er ähnlich gedacht und hatte ab und und zu so etwas wie Einsamkeit verspürt, wenn er in Menschenmengen stand. Diese Frau hatte die Phase der Einsamkeit noch nicht überstanden und würde das unter Umständen auch nie. Zumindest vermutete er das. Wie mochte das sein? Nie dazugehören obwohl man sich nichts sehnlicher wünschte? Maybe we're victims of fate Remember when we'd celebrate We'd drink and get high until late And now we're all alone* Wie sollte man das, was er empfand beschreiben oder definieren? War es Mitleid? Verständnis? Es gab nichts zu sagen, keinen Trost, nichts, was es hätte ausdrücken können. In einem romantischen Film hätte er sie vermutlich angesprochen oder einfach gestoßen, damit der strahlende Held ihr aufhalf und in einem immerwährenden Kreis mit ihr durch den Raum tanzte. Die Realität sah jedoch anders aus. Hier wird man nicht plötzlich Prinzessin oder von der grauen Maus zum Filmstar. Man steht nicht auf und findet Liebe und Anerkennung auf der Straße. Es ist schwer aufzustehen. Es ist schwer zu leben. Es ist schwer angesehen zu werden. Und es ist ebenso schwer, diese Veränderungen zu wollen und diese Träume zu bewahren. Vielleicht zollte ihr Sasuke auch ein wenig Respekt. Dafür, dass es ihr noch nicht so gleichgültig war wie ihm selbst. Es dauerte eine Weile, bis sich Sakura zur Musikanlage durchgekämpft und die Laustärke heruntergestellt hatte. Die meisten waren bereits erschöpft und verschwitzt. Und angeheitert. Auf jeden Fall. "Lasst uns etwas spielen", forderte sie die Menge auf, die zustimmend gröhlte. Was spielt man auf sinnlosen Feiern? Zumeist alberne Trinkspiele, Verrenkungen oder auch das allseits beliebte Flaschendrehen. Vermutlich kennt ein jeder dieses peinliche Spiel, das in erster Linie zur allgemeinen Belustigung dient. Sasuke erinnerte sich an eine Klassenfahrt, an der er mit dreizehn oder vierzehn teilgenommen hatte. Dort versammelten sich eines abends auch neun oder zehn Jugendliche im Zimmer der Mädchen und drehten die Flasche. In erster Linie resultierte dies darin, dass sich die Mädchen und Jungen gegenseitig küssten, Kleidung auszogen, sich Liebesgeständnisse machten oder mit Unterwäsche auf dem Kopf schreiend durch den Flur rannten. Er selbst hatte damals nicht daran teilgenommen, sondern zugesehen mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination. Sakura hielt eine Weinflasche aus rotem Glas in der Hand und schwenkte damit in der Luft herum: "Wer macht mit?" Es fanden sich einige Freiwillige und Unfreiwillige. "Hinata und Sasuke machen auch mit", bestimmte Sakura und während zweiterer seufzte, erstarrte die junge Frau neben ihm. Hinata, das war also ihr Name, dachte er sich. In schlechten Filmen fanden sich während dieser Spiele immer die künftigen Liebespaare oder Skandale wurden losgetreten. Warum auch nicht? Immerhin war es ein Spiel, das moralische Grundprinzipien weit über Bord warf und die Teilnehmer wussten oft selbst nicht so recht, ob sie den Verlauf bereuen oder bejubeln sollten. Ein Spiel der unbedarften Jugend. Sasuke seufzte unhörbar. Ihm gefiel der Verlauf des Abends nicht. ------ * Placebo - Protect me Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)