Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 3: Der Kessel --------------------- Die bodennahe Drachenperspektive verstörte Luca im ersten Moment. Aber er gewöhnte sich sehr schnell an die hoch über ihm aufragenden Personen, die Felsen, die wie kleine Bergmassive aussahen und den noch weiter entfernten Himmel, der sich wie ein schwarzes Leichentuch über sie breitete. Mit Tambrens kurzen Beinchen dauerte der Weg durch das Lager ungewöhnlich lange. Aber schließlich ließ er die Männer, den scharfen Geruch nach Schweiß und Dreck, die Geräusche von Rüstungen und die gemurmelten Gespräche hinter sich. Die samtene Nacht umfing den Drachling und damit Luca. Mit Hilfe der mentalen Fähigkeiten seines Vertrauten entdeckte Luca nun auch ihren Beobachter, der sich zwanzig Meter vom Lager entfernt einen Posten gesucht hatte; noch immer unsichtbar. Aber die Angst war verschwunden. Er schien sich in Sicherheit zu wiegen. Tam umrundete seine Position und betrachtete ihn von hinten. Das was Luca durch die goldenen Drachenaugen wahrnahm, konnte nur ein Mensch sein. Er war nicht sonderlich groß, muskulös, schmutzig und er stank nach altem Fett, Urin, Schweiß und Sperma. Scheinbar merkte der Mann die Blicke der Drachenechse, denn seine schattenhaft verschwommene Gestalt fuhr herum. Allerdings bemerkte er Tam nicht. Der Drachling kauerte unter einem Felsvorsprung, tief in den Schatten. Als der Mann nichts Gefährliches entdeckte, drehte er sich, immer noch leicht irritiert zum Lager zurück. Die Drachenechse huschte aus ihrem Versteck und suchte im nächsten Schatten Schutz und Zuflucht. Zweimal sah sie sich noch um, konzentrierte sich dann aber auf die Gegend und die Gegebenheiten der Berglandschaft. Das eine oder andere Mal blieb Tambren stehen, lauschte, richtete sich auf und spähte die Felsen hinauf. Das feine Gehör des Drachlings nahm entfernte Atemzüge wahr, allerdings bemerkte noch zuvor Tam den scharfen Menschengeruch, der herabwehte. Anhand der Windrichtung ließ sich leicht feststellen wo eine Wache stand. Luca registrierte es zufrieden. Tam duckte sich tiefer in die Schatten der Überhänge und huschte weiter. Es verging eine geraume Zeit bevor er zwei weiteren Wachen begegnete. Leider erkannte er diese fast zu spät. Sie standen windabgewandt und sie fielen ihm erst auf, als er ihnen sehr nah war. Aber scheinbar bemerkten die Männer, die nicht weniger widerlich und abstoßend waren als die anderen beiden, den Drachling gar nicht. Dennoch war Tam gezwungen ein Stück weit den Weg zurück zu gehen, um unbemerkt und in einem weiten Bogen um die Männer herum zu kommen. Weitere endlose Momente wanderte die Echse auf auskühlendem Felsgestein und glitschigem Moos durch wildes unwegsames Gebiet, bis an eine lange, steil abfallende Geröllhalde heran, die am oberen Ende von einem schmalen Pfad gesäumt war und wo weitere Wachen partroulierten. Aber Tam konnte von seinem Versteck zwischen den Steinbrocken auch den Eingang der Höhle und das weite Plateau davor erkennen. Dieser Felsentor war gut geschützt, das musste auch Luca zugeben. Wenn sie unbemerkt bis hier her kamen, mussten sie sich ab da auf Schwierigkeiten einstellen. Er war sich fast vollkommen sicher, dass er dann seine Magie einsetzen musste, um die Wachen auszuschalten. Aber er konnte leider die Männer vom reinen Beobachten schwer in ihrer Kampfkraft einschätzen. Dafür waren sie zu inaktiv. Luca wollte seinen kleinen Freund nun nicht weiter gefährden. Er rief Tam zu sich zurück. Dieses Mal war die Drachenechse auch folgsam genug ihr bisheriges Glück nicht herauszufordern. Bis jetzt hatte ihn niemand entdeckt. Er würde den geplanten Überfall gefährden, wenn er sich nun noch weiter vorwagte und entdeckt wurde. Vorsichtig trat er den Rückweg an und suchte sich einen stillen, unbemerkten Platz von dem aus er sich in die Lüfte erheben und zum Lager zurück fliegen konnte. Luca erwartete Tambren bereits als dieser zwischen den ganzen schlafenden Männern zu seinem Meister zurück huschte. Er lag selbst ruhig da, ausgestreckt auf seiner Lagerstatt, den Kopf auf dem Unterarm gebettet und unter Decken verborgen. Er fror erbärmlich und sehnte sich Tam herbei. Die innere Hitze des Drachenechse würde ihn ein wenig aufwärmen. Allerdings dachte er zugleich an ein schönes, heißes Bad. Seit Tagen hatte es sich weder baden noch waschen können. Er fühlte sich schmutzig und unwohl. Sein eigener Körpergeruch stieß ihn ab. Tam schien das weniger zu stören. Er mochte Lucas Geruch offenbar sehr. Nun krabbelte er sofort unter Lucas Decken und schmiegte sich eng an seinen Meister. „Vielen Dank, mein Freund.“, flüsterte Luca ihm in das Ohr und begann ihn zu kraulen. Sanft küsste er den warmen, schuppigen Drachkopf und ließ es zu, dass Tam den Kuss erwiderte, indem er ihm mit seiner rauen Zuge über die Wange fuhr und eine feine, unangenehme Schleimspur auf der Haut des Magiers zurück ließ. Mit einer Hand tastete Luca nach seiner Tasche und dem Wasserschlauch. Er konnte den brennenden Hunger und vor allem den Durst seines Drachen spüren. Als sich Tam des Trockenfleisches und eines Stückes Käse gewahr wurde, wäre er am liebsten sofort aufgesprungen und hätte sich das Essen gepackt um es herunter zu schlingen, aber er versuchte sich zu gedulden. Mit hungrig hervorquellenden Augen verfolgte er jeden Handgriff Lucas und fraß ihm sofort alles aus den Fingern, was ihm der Magier reichte. Mit der gleichen Gier trank er und kuschelte sich dann noch enger an Luca. Tam fragte ihn erst im Anschluss ob er nicht auch etwas essen wolle. Der Magier verneinte, nahm aber einen Schluck Wasser. Schuldbewusst rollte sich der Drachling zusammen und verkroch sich tiefer in den Armen seines Meisters. Er konnte Lucas brennenden Hunger spüren, aber er wusste auch, dass die Vorräte immer weiter abnahmen und Luca eher verhungern würde, als anderen etwas wegzuessen. „Mach Dir keine Gedanken, mein Kleiner. Morgen oder übermorgen werden wir in Gebieten sein, in denen die Männer jagen können. Dann wird es für dich sicher einen Festbraten geben.“ Tam sah ihn an. „Du machst mir Sorgen. Seit zwei Tagen isst du fast nichts mehr. Deine Konzentration wird schwächer und damit auch deine Wahrnehmung und deine Kampfbereitschaft.“ Luca drückte ihm einen sanften Kuss auf den Kopf und schmiegte sich seinerseits um den Drachenleib um die schöne Wärme zu genießen. Im Moment versuchte eine Woge von unbändiger Müdigkeit ihn nieder zu zwingen. Er konnte sich in seinem erschöpften Zustand kaum dagegen wehren. Schließlich sank er gegen seinen Willen in einen unruhigen, leichten Schlaf. Ein unsanfter Tritt gegen Lucas Stiefelsohle weckte ihn. Sofort schrak er hoch und sah schuldbewusst den höhnisch grinsenden Thorn vor sich stehen. Die massige Gestalt deren Gesicht von wirren Haaren und dem verfilzen Bart eingerahmt wurde, starrt auf ihn herab. Er hatte bis auf Dolch und Kurzschwert nichts bei sich. Auch seinen Harnisch und die Arm und Beinschienen hatte er abgelegt. Allerdings hielt er Luca etwas entgegen. Der Magier konnte erst auf den zweiten Blick die Fellummantelte Feldflasche erkennen. „Zwergengeist?“ fragte er verwundert, schalt sich aber in der gleichen Sekunde einen Narren, hatte er selbst doch Orpheu und seine Männer aufgefordert zu ihm zu kommen., Und Thorns Alter zeigte seine Findigkeit und seine Weisheit zu deutlich. Ein Trinkgelage bei einem der Männer mit billigem Fusel würde sicher nicht auffällig sein, schon weil es nun wirklich bitter kalt war und Luca leichte Atemwölkchen vor seinen Lippen sah. Mangels Holz konnten auch keine Feuer entfacht werden. Davon abgesehen so kurz nach Ende eines Krieges, und noch halb im Feindesland wäre es auch eine sträfliche Dummheit gewesen. „Schnaps wärmt von Innen, Lysander“, begründete Thorn sein Handeln, schob gleichmütig die langen Beine des Magiers zur Seite und ließ ich auf den warmen Decken nieder. Luca musste grinsen. „Ideen hast Du, muss ich zugeben, mein Freund.“ Thorn entkorkte die Flasche. „Hey, die saufen!“ rief ein anderer Söldner. „Ohne uns! Thorn gib was davon her!“ Luca sah über die Schulter. Raven, ein weiterer Halbzwerg, kleiner als Thorn und der geschickteste Dieb des Heeres, ein Spieler und Charmeur vor dem Herren, erhob sich, strich sein Wams glatt und winkte seinen menschlichen Freund Jaquand mit sich. Luca wurde bewusst, dass Orpheu eine sehr genaue und gute Auswahl an Kriegern getroffen hatte. Jaquand war groß, fast so groß wie Orpheu und Luca, muskulös und leise. Seine Bolzen trafen immer. Er schwieg über seine Vergangenheit, aber Luca kannte die Geschichten, die über ihn kursierten. Angeblich war hatte er sich in den Diensten Prinz Mesallas in Valvermont als Attentäter verdingt. Luca zweifelte keine Sekunde daran. Aber er hatte Jaquand auch schon in einer Situation erlebt bei dem ein kleines Mädchen zu schaden gekommen war. Der Söldner weigerte sich mit dem Tross weiter zu ziehen. Zuvor wollte er sie bestatten und ihr eine würdiger Ruhestätte geben. Damit hielt er die Krieger zwar auf, aber nachdem Luca sich für ihn eingesetzt hatte, gab Orpheu nach. Ihm sah sich Luca sehr verbunden, auch wenn er es nie aussprach. Raven ließ sich auf den Sattel fallen. Das alte Leder ächzte unter seinem massiven Gewicht. Er klopfte Luca auf die Schulter. „Na Schönchen, wollen wir uns etwas aufwärmen?“ Dabei langte er nach Thorns Feldflasche, setzte sie an die Lippen und nahm einen tiefen Zug. Thorn knurrte ihn an und die Unterkieferhauer schoben sich durch den Bart. Luca wurde zum ersten Mal bewusst dass die andere Hälfte von Thorns Eltern wohl orcischer Natur gewesen sein musste. Tambren arbeitete sich aus Lucas Decken hervor und kuschelte sich schlaftrunken an seinen Herren. „Ist er noch da?“ fragte der Drachling, wobei seine Zunge so schwer schien, als habe er den Zwergengeist allein getrunken. Luca rieb sich den Nacken und sah sich unauffällig um, während er einen Zauber flüsterte, der die ganze Umgegend auf magische Auren untersuchte. Hinter einem großen Felsbrocken verborgen leuchtete es, allerdings auch an drei Stellen direkt im Lager, zwischen einigen der schlafenden Männer. Die Wachen saßen alle etwas weiter von den jeweiligen Positionen ihrer Gegner entfernt und unterhielten sich teilweise miteinander. „Freut euch“, flüsterte er. „Unser unsichtbarer Freund hat Verstärkung bekommen. Drei von diesen stinkenden Schlächtern schleichen hier umher. Strengt eure Nasen an und ihr könnt sie sicher auch wahrnehmen, wenn sie uns zu Nahe kommen.“ Jaquand ließ sich nun im Schneidersitz Luca gegenüber nieder und nahm Raven die Flasche aus der Hand. Ein weiteres Mal drückte Thorn seinen Unmut durch knurren aus. Der große Krieger ließ sich davon so wenig beeindrucken wie Raven zuvor. Als er das Teufelzeug geschluckt hatte, reichte er die Flasche an Luca weiter. Der Magier nahm sie, betrachtete den von Speichel feuchten Trinkstutzen und überlegte für eine winzige Sekunde, ob er seinen Ekel davor bezwingen konnte. Allein der Geruch des Schnaps sorgte dafür, dass sich Lucas Magen zu einem steinharten Klumpen zusammen zog. Zudem vertrug er Brände dieser Art gar nicht. Der Alkohol war weniger sein Problem dabei, aber die Tatsache dass er danach für Tage Magenkrämpfe hatte. Auch besorgte ihn der Gedanke dass er seit einer ganzen Zeit nichts mehr gegessen hatte. „Na kommt, Lysander“, forderte Raven ihn auf. „Ihr seid doch immer der Erste, der steifgefroren vom Pferderücken kippt.“ Luca nutzte die Chance Zeit zu gewinnen, in dem er ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. „Du schadest meinem Ruf als böser, zaubernder Finsterling“, gab er zurück, grinste aber dabei. Thorn und Raven brachen in schallendes Gelächter aus, worauf hin der Söldner neben ihnen sich herumdrehte und etwas murmelte, was verdächtig nach „Ruhe!“ klang. Jaquand legte den Kopf schräg, versuchte mit seinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen und lächelte dann. „Ich kann mir euch so richtig als den Bösen vorstellen, allein, in seiner finsteren Burg, in der es kuschelig warm ist und umgeben von lauter kleinen, lieben und niedlichen Tieren. Aber wegen eures Rufes alle untot.“ In Lucas Vorstellung erschien ein Bild einer dunklen, alten, halbverfallenen Festung, in der er auf einem steinernen Thron saß, an einem gemütlichen Kamin und lauter kleine, leicht verweste weiße Häschen um ihn herum saßen, mümmelten und um vergammeltem Salat bettelten. Scheinbar schwebte allen etwas in der Art vor, denn jeder lachte. Luca beruhigte sich als erster wieder, grinste vergnügt und deutete auf Jaquand. „Dann weißt Du ja, auf was ich hinarbeite.“ Raven hob die Hände und warf ein, dass er solch gemütliche Hallen sicher nicht aufsuchen wolle, Luca sich also gar nicht dem Glauben hingeben dürfe, dass er eines Tages zu Besuch käme. „Darauf lagt auch keiner Wert, der nicht später entweder Arm sein will oder sein Weib vermissen möchte“, warf Thorn den Ball zurück. Raven sah ihn an, grinste breit und hob die Schultern. „Bevor wir in Valvermont sind, habe ich dir deinen Sold ohnehin schon beim Spiel abgenommen. Und dass du ein schönes Weib daheim hast, kann ich mir kaum denken.“ Thorn schnappte sich die Feldflasche aus Lucas Händen und nahm einen tiefen Schluck. Der Magier war dankbar darum, denn es hatte ihm die Entscheidung abgenommen doch davon trinken zu müssen. Nachdem Thorn einen Schluck daraus genommen hatte, deutete er auf Raven. „Lass uns um mein Weib spielen. Gewinne ich, behalte ich sie, verliere ich, schenke ich sie Dir!“ Luca sah zu Tam, der sich vorsichtshalber wieder im Schoß seines Herren zusammengerollt hatte und tat als würde er schlafen. „Die arme Frau tut mir schon jetzt leid“, murmelte der Magier. „Ich kenne sie“, merkte Jaquand an. „Die hat Haare auf den Zähnen. Ein tolles Weib, feurig, heiß und schön, aber Thorn ist nicht umsonst immer fort von Haus und Hof.“ „Woher weißt du, wie meine Vivianne aussieht?!“ brüllte Thorn plötzlich. Jaquand bemerkte dass er zu viel gesagt hatte und schien zu überlegen, ob er Thorn beruhigen oder weiter reizen sollte. „Na ja“, begann er lachend. „Einmal, als Du nicht da warst kam ich vorbei Dich zu sehen. Da war sie allein...“ Thorns Augen funkelten böse. „Und was weiter?“ fragte er lauernd. Jaquand hob die Schultern. „Sie bot mir Wein, Brot und Bett. Allerdings war sie es, die es mir wärmte!“ Er lachte laut. Raven, der gespannt zugehört hatte grinste auch und feixte. Thorns Wangen verfärbten sich rot. „Du dreckiges Schwein hast meine Tochter gehabt?!“ Jaquand und Raven verstummten augenblicklich. Innerlich beschwor Luca alle Götter ein Wunder geschehen zu lassen, dass Thorn wieder unter Kontrolle brachte. Thorn war kurz davor Jaquand die Flasche Zwergengeist ins Gesicht zu werfen. Allerdings ging Luca rasch dazwischen, ergriff mit beiden Händen Thorns Arm und drückte ihn sanft nieder. Der Halbzwerg starrte ihn hasserfüllt an und wollte sich losreißen, sah so aus, als würde er Luca am liebsten ebenfalls töten. Der Blick Thorns verfing sich in dem Lucas. Die ruhige, sanfte Aura des Magiers, seine Ausstrahlung, setzte er nun gezielt ein Thorn zu beruhigen. Er spürte wie sich etwas in den Gefühlen Thorns änderte, wie er dem machtvollen Zauber, den Luca wie ein Aroma um sich trug erlag und nachgab. Die Barriere aus Zorn und Wut brach ein. Luca atmete erleichtert auf und ließ Thorn los. Als er seine anderen beiden Gefährten ansah, erschrak er leicht. Scheinbar hatten sie zu deutlich diese Woge seiner gesamten Persönlichkeit mitbekommen. Auch sie starrten ihn nur still an. Raven fing sich als erster wieder. „Was war das für eine Magie, Lysander?“ „Gar keine“, antwortete der Magier leise. „Ich kann es nicht erklären.“ Raven nickte nachdenklich. „Schönchen, ihr seid wie ein Weib, verführerisch und mächtig. Das ist gar nicht gut in einem Heer.“ Luca schluckte hart und senkte den Kopf. Er sah zur Seite. „Thorn, Jaque, wenn ihr eure Streitigkeiten später austragen wolltet, wäre es mir lieb.“ Langsam erhob sich Thorn. „Das können wir auch jetzt...“ Er sah zu Luca. „Vor dem Lager. Meister, Raven, ihr seid unsere Sekundanten!“ Seine Stimme klang hart und entschlossen. Das einzige was das Bild etwas störte war sein Zwinkern. Erst jetzt begriff Luca dass das ganze Theater war. In dem Moment wehte der unangenehme Geruch getrockneten Blutes zu ihnen herüber. Jaquands Blick glitt zu Luca hinüber; wissend. Sie erhoben sich still. Fast wie ein Trauerzug gingen sie durch das Lager, mit gemessenen Schritten. Einige neugierige Blicke folgten ihnen, aber alle blieben liegen und genossen die Möglichkeit ihre müden Glieder auszustrecken. Luca sah sich still um. Die schimmernden Schatten der Beobachter gingen noch immer durch die Reihen schlafender Männer und sondierten scheinbar für sich, inwieweit sie Gefahr bedeuten mussten. Tambren saß in Lucas Arm. “Sind wir ungestört?” fragte Raven leise. Luca nickte. „Der nächste von ihnen ist etwa da, wo wir zuvor gesessen haben.“ „Gut. Könnt ihr die Illusion eines Kampfes erschaffen, Schönchen?“ Der Zwerg sah sich unbehaglich um. „Wir wollen die Aufmerksamkeit von den Kerlen auf diesem Kampf haben.“ Vorsichtig schüttelte Luca den Kopf. „Illusionsmagie beherrsche ich nicht.“ Raven ächzte. „So ein Mist!“ fluchte er leise. Der Drachling sah ihn an. „Aber ich kann es ihren Geistern vorgaukeln. Dazu müssen sie nur nah genug beieinander stehen.“ Nun atmete Raven auf. „Damit ist unser Plan doch nicht so unsinnig gewesen. Aber ich dachte wirklich ihr würdet diese Art der Zauber beherrschen.“ Luca schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich muss dich enttäuschen, Raven. Ich beherrsche nicht alle Schulen der Zauberei.“ „Deswegen ergänzen sich Lysander und ich“, warf Tam ein. Raven streichelte im Laufen dem Drachling über den Kopf. „Danke Dir kleiner Freund.“ Zufrieden gluckste die Drachenechse und schmiegte sich wieder in Lucas Arme. „Das bedeutet allerdings auch, dass ich hier bleiben muss um die Kerle weiter unter meinem Einfluss zu halten.“ „Dann sorge dafür, dass sie den Wachen im passenden Moment auffallen, damit sie festgenommen werden können. „, flüsterte Luca. „Am besten, wenn wir unsere Gegner in der Höhle überwältigt haben.“ „Warum holen wir uns die Kerle nicht jetzt?“ Raven sah fragend zu Luca hoch. „Wenn uns einer davon entkommt, schafft er es vielleicht andere Wachposten zu alarmieren. Dann können wir uns auch in einen offenen Kampf begeben. Allerdings wissen wir nicht, was uns wirklich erwartet.“ Die Erklärung missfiel Raven sichtlich, aber er nahm sie hin. Luca sah ihn aus den Augenwinkeln an. Für den Moment bedurfte es keiner weiteren Worte. Außerhalb des Lagers suchten sich Thorn und Jaquand einen passenden Platz aus, um ihren Kampf auszutragen. Luca sah sich unauffällig um und gewahrte zwei der vier Männer als schimmernde Schatten in der Finsternis. Sie standen ohne Deckung, wenige Fuß entfernt. Einer von ihnen war groß, viel großer als ein einfacher Mensch, fettleibig und Luca konnte ihn riechen. Behutsam ließ er Tambren zu Boden und verkündete, dass der Kampf kein Duell bis zum Tode sein dürfe sondern nur bis zum ersten Blut. Als Thorn und Jaquand ihre Waffen zogen, blitzte reine Mordgier in den Augen des Halbzwerges auf. Für einen Moment war Luca sich sicher, dass Thorn es ernst meinte und Jaquand am liebsten gevierteilt hätte. Mit einem fast tierhaften Aufschrei warf sich Thorn in den Kampf und ließ Jaquand gerade noch Zeit genug die Klinge zur Abwehr hochzureißen. Mit der Gewalt, die Thorn einsetzte, trieb er den menschlichen Söldner mit einem Hieb zurück. Der Mann konnte sich nur taumelnd fangen, nutzte aber den Rückschwung aus, um einmal um seine Achse zu wirbeln und einen eigenen Angriff von unten herauf zu führen. Wütender als zuvor schrie nun Thorn auf, parierte den Schlag in letzter Sekunde und lenkte die Klinge ab, gleichzeitig zog er mit der Rückhand seinen Doch nach und stach nach seinem Gegner. Aber Jaquand hatte sich gut genug im Griff um geschickt zurückzufedern und unter dem Dolch hinweg nach Thorn zu treten. Der Vorteil seiner langen Beine machte sich bemerkbar. Allerdings scheiterte der Plan an der Masse und Standfestigkeit des Halbzwerges, der sicher mehr als das Dreifache des sehnigen Jaquands wog. „Sag’ mal, da ist aber nicht wirklich etwas zwischen den beiden vorgefallen, oder Raven?“ erkundigte sich Luca sehr leise und mit tiefer Sorge in der Stimme. Sein Mitsekundant sah aus den Augenwinkel zu dem Magier, wiegte den Kopf und entgegnete: „Doch, aber das ist einige Jahre her. Vivianne ist indes siebenfache Mutter und mit Jaque verheiratet.“ Luca hob überrascht die Brauen. „Oh“, war allerdings das einzige, was ihm als sinnvolle Entgegnung einfiel. Er sah sich noch einmal kurz um und gewahrte einige Söldner, die dem Schauspiel fasziniert folgten. Allerdings auch dem dritten ihrer Gegner. Tam, mein Freund, wo ist der vierte von Ihnen? fragte Luca wortlos. Er konnte nicht riskieren, dass Jaquand und Thorn all ihre Kraftreserven in einem Schaukampf aufgaben. Außerdem würde bald der größte der Monde aufgehen. Wollte er bis dahin den Wechsel zwischen Realität und Illusion zusammen mit Tammy vollzogen haben, mussten sie sich beeilen. Der Drachling huschte unter einem Felsen hindurch an den Rand des Lagers. Luca sah durch seine Augen den vierten Mann. Er war die Kräfte des Drachlings wesentlich zu weit entfernt. Innerlich verfluchte Luca das Desinteresse dieses Mannes an dem Kampf. Nun musste er sich etwas einfallen lassen, um ihn hier her zu treiben. Aber außer einem Wunder schien nichts das Interesse dieses Postens umzulenken. Er schien wohl grob zu überschlagen wie groß das Heer Orpheus war, denn seinen Bewegungen nach zählte er. Und nun? fragte Tam ihn. Luca dachte fieberhaft alle seine Optionen durch und verwarf jede einzelne Idee gleich wieder. Der Zufall in Gestalt Orpheus, der sich erhob und nun ebenfalls zu dem Kampfplatz hinüber schritt, kam ihnen zu Hilfe. Scheinbar erregte der schwarze Hauptmann das Interesse des vierten Mannes. Er folgte Orpheu. Nun haben wir unsere Chance, merkte Tam an. Luca reagierte sofort und webte seinen Zauber. Gleichzeitig erschuf Tambren von den Männern Abbilder, die sich in der Wahrnehmung eines jeden Beobachters manifestierten. Beide Zauber griffen so effektiv ineinander, dass es keinerlei Verzerrung der Wirklichkeit für die Beobachter und einige der Söldner gab. Thorn, Jaquand, Raven, Orpheu und Luca aber wurden zu gestaltlosen Schemen, die einander zwar noch erkennen konnten, aber nun unsichtbar für jeden zufälligen Beobachter erschienen. Schwiegervater und Schwiegersohn ließen die Waffen sinken. Schweiß rann über ihre Gesichter in die Krägen ihrer Hemden und die Brust beider Männer hob und senkte sich schnell. Ihre Gesichter glühten noch von der Anstrengung und ihre Leiber strahlte die Hitze des Kampfes aus. Sie traten aus dem Kreis heraus, betrachteten ihre Abbilder, die weiter in verbissener Wut aufeinander einschlugen und versuchten binnen einer Minute wieder halbwegs zu Atem zu kommen. Orpheu nickte ihnen zu und machte eine Handbewegung sich nun zu entfernen. Eilig setzte Luca sich an ihre Spitze. Der vermeintliche Kampflärm blieb hinter ihnen zurück und gliederte sich in die Geräusche des Windes, der Nachtvögel und der kleinen Tiere, die sich zwischen den Felsen bewegten. Die Wachen zu umgehen stellte kein Problem dar, bis auf die Männer, die auf dem Steilweg patrouillierten. Sie zu umgehen war schlicht unmöglich, stellte Luca fest. Zwei von ihnen standen recht weit vorne auf dem Weg und versperrten ihn. Zwei weitere flankierten den Eingang der Höhle und Luca vermutete weitere Männer außerhalb ihrer Sichtweite. „Irgendwelche Ideen?“ fragte Raven seine Gefährten. Jaquand hob die Schultern. „Die beiden vorne sind kein Problem. Die würde Thorn mit zwei seiner Dolche lautlos schaffen. die Beiden am Höhlentor kann ich mit dem hier erledigen.“ Er ließ aus seinem Ärmel eine winzige Armbrust heraus schnellen, eine klassische Attentäterwaffe. „Aber es müsste gleichzeitig gesehen und keinem darf ein Laut entfahren, wenn ihr versteht was ich meine.“ „Und wie willst Du so schnell nachladen?“ erkundigte sich Luca. „Nein. Außerdem sind wir sichtbar, wenn wir einen Angriff starten.“ „Oh“, murmelte Jaquand überrascht. „Das wusste ich nicht.“ Darauf entgegnete Luca besser nichts. Dennoch warf er ein: „Ich kann euch ungesehen hinüber zu dem Plateau bringen. Wenn wir Pech haben, fallen uns diese Wachen vom Eingang allerdings drinnen in den Rücken.“ Thorn knurrte leise. „Dann würde ich sagen trennen wir uns an dem Punkt. Ihr lasst mir die Wachposten hier draußen und geht ohne mich weiter. Ich alleine würde dann sichtbar.“ Orpheu wollte etwas dagegen sagen, aber Luca schnitt ihm mit einer schnellen Handbewegung das Wort ab. „Er hat recht. Wenn er uns den Rücken frei hält, müssen wir uns nur noch um das sorgen, was vor uns liegt.“ Nach einigen Sekunden Überlegens nickte Orpheu wiederwillig. „Meinetwegen, Lysander.“ Luca nickte. „Dann kommt Nähe zu mir“ Nähe zu einem Magier war scheinbar fast eine unüberwindlicher Barriere für Thorn und Orpheu als alles sonst. Sehr zögernd drängten sich die Männer um den Zauberer. Luca hatte das Gefühl als würde er körperliche Übelkeit in ihnen auslösen und es schmerzte ihn das zu sehen. Raven hingegen hatte keine Probleme damit. Vertraut schlang er einen Arm um Lucas Taille und ließ es sich auch nicht nehmen ihn sehr genau zu befühlen. In der Sekunde hätte Luca selbst am liebsten etwas gesagt. Aber dann legte sich die große und schwere Hand Jaquands auf seine Schulter und drückte vertraut zu. Der Magier fühlte etwas wie Erleichterung, denn diese beiden Männer vertrauten ihm und seiner Zauberei blind. Nun blieb ihm nichts anderes mehr als seinen Zauber zu formulieren und in letzter Sekunde, damit sie nicht zu lange mit ihm in Kontakt kamen, nach Thorn und Orpheu zu greifen, um sie mit sich zu nehmen. Er hörte deutlich wie Luft an dem Ort nachfloss, von dem sie entmaterialisierten und einen Herzschlag später die Verdrängung von Luft auf dem Plateau. Begünstigend für sie allerdings war der ständige leichte Wind, der sich im Höhleneingang fing und immer leicht heulte. Dennoch schrak eine Wache hoch. Er hatte sie gehört. Die kleinen, tieflegenden Schweinsaugen des Mannes bohrten sich in die Dunkelheit des Gebirges. Luca hatte das Gefühl die Augen der Wache auf sich zu spüren. Unheimlich. Eisige Schauer rannen ihm über den Rücken. Dennoch stand er reglos da, mit angehaltenem Atem um nur keinen Laut zu verursachen. In der Sekunde wanderten die ersten silbrigen Mondstrahlen über den Gebirgskamm und tauchten das Plateau in unnatürlich farbloses Licht. Der Wachposten sah offenbar nichts, was ihn allerdings nicht zu beruhigen schien, denn er löste sich von seinem Platz und schritt in die Richtung aus der er das Geräusch gehört hatte. „Was ist?“ fragte sein Gefährte nun auch alarmiert. Obgleich er in dieselbe Richtung spähte wie sein Schweinsäugiger Freund, sah auch er nichts außer dem irrealen Licht und dem grauen Stein. Aber er spannte einen Bolzen in seine Armbrust. Keiner von Orpheus Kriegern regte sich. Sie drängten sich dicht aneinander. Der Posten ging an ihnen vorüber, so dich, das er Lucas Schulter fast berührte. „Ich weiß nicht. Da war etwas“, murmelte der Mann. Er sah den Geröllhang hinab und blickte zu seinen Gefährten auf dem Weg. Er zögerte. Aber schließlich trat er den Rückweg an und nahm seinen Platz am Höhleneingang wieder ein. Sein Freund entspannte sich sichtlich. „Das alles ist langsam etwas zu viel, oder?“ fragte er. Der Mann mit den Schweinsaugen nickte nur still. Luca konnte ihm genau ansehen, dass sein Misstrauen nicht besänftigt war. Er löste sich als erster von seinem Platz. Orpheu und die anderen drei folgten ihm. Bevor er den Hohleneingang, der einzig von dem Mondlicht des langsam aufsteigenden silbernen Mondriesen erhellt wurde betrat, zögerte er noch einen Herzschlag lang. Der Gestank, der aus dem Inneren des Berges drang verschlug ihm schon hier draußen fast den Atem. Verwesung, Schweiß, Blut, Kot und Urin mischten sich in Dämpfe von Alkohol und Erbrochenem und etwas dass er gar nicht einzuordnen vermochte, allerdings auch dem Geruch brennenden Holzes und gebratenen Fleisches. Thorn hatte sich hinter dem Eingang von ihnen getrennt. Nun wanderten sie schweigend durch einen schmalen, kaminartigen Schacht weiter hinab. Wenn ihnen einer Ihrer Gegner hier entgegen kam, würden sie kaum ausweichen können. Aber sie erreichten das Ende des Ganges ohne auf eine Person zu treffen. Ein Felsdom, der unendlich weit nach unten abzufallen schien, öffnete sich vor ihnen. Galerien säumten den Kessel, über den sich lächerlich kleine, labil aussehende Brücken spannten. Einzelne Wachen gingen Patrouille, aber die beiden Männer waren noch zu weit entfernt, um den Gefährten gefährlich zu werden. Außerdem machten die Männer nicht den Eindruck sonderlich aufmerksam zu sein. Sie redeten miteinander, achteten kaum auf ihre Umwelt und gestikulierten wild umher. Luca betrachtete sich die Balustrade aus rostigem Eisen. Sie war kaum mehr als eine moralische Unterstützung, sich von dem Abgrund fern zu halten. Absturzsicher sah sie nicht aus. Der Weg, die Galerie selbst, viel sanft ab. Luca überlegte, ob sie sich in Serpentinen hinab wand. Treppen sah er keine. Allerdings konnte er auch kaum das andere Ende des Kessels erkennen. „Zwergenarbeit“, murmelte Raven nachdenklich. „Aber hier leben keine mehr. Dafür ist der Komplex zu vergammelt.“ „Ja, wie der Kadaver eines Madenzerfressenen Rindes“, fügte Jaquand unbehaglich hinzu. „Hier riecht es nach Tot!“ „Es ist wie eine gewaltige Gruft“, gestand auch Orpheu. „Furchtbar!“ Seine Stimme klang tonlos und der leise Hauch erwachender Panik war nicht zu überhören. Luca verstand sie alle bestens. Er selbst hatte das Gefühl in einem Grab gefangen zu sein. „Wir vier sind eindeutig zu wenig um den Männern hier zu trotzen“, murmelte Raven leise. „Es ist eher die Frage, mit wie vielen Soldaten wir es hier zu tun haben“, erwiderte Luca. „Wir sollten lieber zurückgehen und in Valvermont Bericht erstatten, vielleicht einen Boten nach Sarina senden und es dem Kaiser melden. Es ist ja seine Sache etwas dagegen zu tun“, sagte Raven. Strafend sah Luca ihn an. Insgeheim verstand er den Halbzwerg. Er wusste selbst dass er, sollte es zu einem Kampf kommen, keine Chance haben würde, aber etwas zog ihn, trieb ihn tiefer in die Höhlen hinab. „Geht, wenn es euch beliebt“, sagte er, bedauerte auch sofort seinen scharfen Tonfall, als Raven zusammen zuckte. Orpheu schloss die Augen. Seine Kiefer mahlten wieder. Er überlegte. Nach Sekunden, in denen die beiden Wachen näher an die Freunde herangekommen waren, sagte er leise: „Wer Lysander und mir folgen will, soll das tun, ansonsten geht zurück zu Thorn und sammelt die Männer. Wartet nicht auf uns sondern zieht nach Valvermont weiter.“ Verblüfft sah Luca den Elf an. Raven blickte ebenfalls aus großen Augen zu seinem Hauptmann. „Jaquand, geh zurück zu Thorn. Du bist Vater. Ich habe nichts zu verlieren wenn ich mitgehe“, sagte er leise. Der Söldner zögerte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. „Entweder alle oder keiner!“ In der gleichen Sekunde zog er zwei Stilette aus seinem Gürtel unterhalb der Schwertscheide und schritt an Luca vorbei den beiden Wachen entgegen. Seine lautlose Art bestätigte Luca darin, dass der menschliche Söldner ein Assassine war. Er hatte beiden Soldaten mit vollkommener Zielsicherheit die feinen Stilette zwischen ihren Brauen gerammt. Die Männer begriffen ihren Tot nicht, sahen ihn nicht und spürten offenbar nichts. Lautlos glitten die Leichen zu Boden. Im gleichen Moment fiel die Unsichtbarkeit von dem Assassinen ab. Jaquand reinigte seine Waffen an den Kleidern der Toten, verbarg sie wieder und schleifte die Leichen in den Schacht. Raven half ihm dabei. Die Zeit nutzte Luca um sich nach oben und unten zu orientieren. Nun wo Jaquand sichtbar war konnte er den Zauber fallen lassen und sich auf andere Dinge konzentrieren. Ein schwarzer Schmetterling stieg aus seinen Haaren auf und zerfaserte, als Luca einen Zauber aktivierte, um besser sehen zu können. Der Felsdom fiel gar nicht so weit unter ihnen ab - vielleicht nur zwanzig Meter - aber graue Dunstschwaden vernebelten ihm immer noch die Sicht auf den Boden. Weitere Schwarze Schmetterlinge erhoben sich von dem Magier. Dank der verstärkten Zauberkraft, gelang es ihm endlich die Sichtbehinderung zu durchdringen. Unten erkannte er eine bizarre Konstruktion aus Eisen und Stein; Ketten, ein rostiges Räderwerk und ein Richtblock. Es war eine Pendelkonstruktion, die wie ein Fallbeil über dem Steinaltar hing. Er schloss die Lider. Ihm war bewusst, dass das ein Pendelbeil war, das seine Opfer zerteilte. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er hob den Blick. Jetzt bemerkte er die aufsteigernden Sitzreihen rund um die Richtstätte. Es war wie in einem Theater. „Was habt ihr, Zauberer?“ fragte Orpheu besorgt. Luca wendete sich ihm zu. „Das ist die gewaltigste Folterkammer, die ich je gesehen habe.“ Seine Stimme zitterte leicht. Der Elf nickte nur schwach. Sie schritten schnell aus. Die Galerien machten sie in ihren endlosen, gedehnten Windungen wahnsinnig. Graue, schimmlige Wände, blakende Fackeln, und der Gestank, steigerte bei ihnen allen Ekel und Zorn. Vor allem gab es keine Gänge die Abzweigten, keine Alkoven, nur diesen einen Weg hinab. Gerade als Luca seiner Verzweiflung Luft machen wollte, drangen gellende, vielstimmig Angstschreie aus dem Kessel hinauf. Es waren die Stimmen von Männern, Frauen und Kindern. Luca war mit einem Schritt an der Balustrade und sah hinab. Sie hatten gerade erst ein Drittel des Weges hinter sich gebracht, auch wenn ihn das Gefühl beschlich, schon seit Stunden zu laufen. Seine Gefährten folgten seinen Blicken, allerdings wusste er, dass nur noch Orpheus Sicht bis in den Kessel hinein reichte. Wenn sich die Dunstschwaden kurz lichteten, gaben sie den Blick auf eine Gruppe von vielleicht zehn Personen frei. Sie wurden mit Peitschen in die Richtstätte getrieben. Wachen und Folterknechte waren allesamt nur mit ledernen Lendenschurzen bekleidet. Sie schienen Luca das furchtbarste Menschenpack zu sein, was er je gesehen hatte. Viele von ihnen waren fette, amöbenartige Geschöpfe, fast Formlos in ihrer unsäglichen Masse. Sie hatten haarlose Schädel, die von Fett- und Schweiß glänzten. Bei einigen schien das Gewebe die Leibesfülle kaum zu halten. Adern lagen deutlich sichtbar und schimmerten durch die kränklich gelbe Haut. Wunden und Narben zierten ihre Leiber. Aber schlimmer als das war die Gruppe schmutziger, nackter, unterernährter Personen. Es waren zwei Frauen dabei, die ihre Kinder – kleine Kinder – eng an sich pressten. Man hatte ihnen Haken in die Haut getrieben und die an Ketten fest gemacht. Eines der Kinder, ein Mädchen wohl, schrie besonders laut. Sie ließ sich nicht beruhigen, so sehr ihre Mutter sie beschwor still zu sein. Orpheu fuhr entsetzt zurück, als einer der Folterknechte das Kind aus den Armen der Frau riss und dem Mädchen mehrfach heftig in den Leib trat. Einige Sekunden röchelte das Kind noch, dann blieb es reglos liegen. Die Mutter der Kleinen krümmte sich in tiefer Qual zusammen und begann lautlos zu schluchzen. Nun schlug einer der Männer um sich. Er befreite sich aus dem griff seiner Bewacher. Die Haken rissen aus seinem Fleisch. Scheinbar nahm er den Schmerz nicht wahr. Zornerfüllt stürzte er sich auf den Mann, der das Kind getötet hatte. Der blanke Hass verliehen ihm übermenschliche Kräfte. Luca blieb das Herz fast stehen. Der Mann dort unten, der die Ketten, die ihn eben noch gehalten hatten, nutzte um damit seinen Peiniger zu erwürgen, war der Elf, von dem Luca fast besessen war. Ein andere Folterknecht zog ihm mehrfach eine Dornenpeitsche über den Rücken, aber davon schien der Elf nichts wahr zu nehmen, nicht einmal als ihm das rostige Eisen Fleischstücke aus dem Körper riss. Etwas in Luca zerbrach in dieser Sekunde endgültig. Seine Seele akzeptierte plötzlich den Gedanken töten zu wollen, um das Morden zu beenden. Seine Lider schlossen sich. Schwarze Schmetterlinge stoben hinauf und bildeten eine dichte Wolke finsterer Magie. Er ballte die Fäuste und einen Herzschlag später stand er unter seinen Gegnern. Ein einziges Wort kam ihm über die Lippen. Die Wände schienen Tot auszuatmen. Für einen winzigen Herzschlag blieb alles reglos. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Dann füllte sich der gesamte Kessel mit einer eisigen Welle uralter Zauberei. Der Tot selbst breitete sein Leichentuch aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)