Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 12: Lucas Geheimnis --------------------------- Der Duft von Blumen und frischem Brot wehte um ihn und lockte ihn aus seiner Ohnmacht, seinem Schlaf, seine Tot? Luca wusste es nicht. Aber Sonne wärmte seine Haut und langsam vernahm er auch die Laute seiner Umwelt wieder. Ein Hund bellte. Das Echo wurde von den Hauswänden zurückgeworfen, er hörte Geräusche aus einer Waschküche, das Kratzen einer Wurzelbürste auf Stoff und dem Metall eines Waschbrettes. Kinder lachten entfernt und der Wind verfing sich in den Wipfeln der Bäume. Luca seufzte leise und hob die Lider. Noch bevor er etwas wahrnehmen konnte, stürzte sich Tam auf sein Gesicht und nahm ihm kurz die Luft zu atmen. Der Drachling schleckte Lucas gesamtes Gesicht ab und wuschelte glücklich durch seine Haare. Luca bekam den wuselnden Körper gar nicht schnell genug zu fassen, um ihn endlich von seinem Kopf herunterzuheben. Dazu waren seine Bewegungen immer noch zu schwerfällig und zu schlaftrunken. Irgendein mitleidiges Wesen hob den Drachling von seinem Gesicht herunter und legte ihn in Lucas Arme. Der Magier lächelte sanft und spürte, wie sich Tambren in seinen Armen zusammenrollte. Dann überfiel Ayco Luca. Er kniete neben dem Bett und umklammerte seinen Gefährten so heftig, dass Luca erneut nach Luft rang. Ihn störte es offenbar in keiner Weise, dass Lucas Gesicht feucht von Tams Küssen war. Viel mehr erstickte er jeden Ansatz Lucas auch nur ein Wort sagen zu können in seinem intensiven Zungenspiel. Abgeneigt zeigte sich Luca nicht wirklich. Mit einem Arm umschlang er den Nacken des Elfs und intensivierte den Kuss seinerseits noch. Sein Blut begann zu kochen. Keuchend löste er sich. In den Augen Aycos glitzerte Lust, die der Elf ausleben wollte. Zu gerne wäre Luca dieser stummen Aufforderung nachgekommen, wenn nicht plötzlich jemand von innen an den Türrahmen gepocht hätte. „Keine Sauereien zwischen zwei Kerlen in meinem Haus, klar?!“, donnerte Thorn. Der Elf zuckte erschrocken zusammen und verkrampfte sich in Lucas Armen, als erwarte er Schläge. Allerdings beließ Thorn es bei seinen strengen Worten und trat noch einen Schritt tiefer in den kleinen Raum. Luca barg Ayco sanft in seinen Armen und richtete sich, so weit es ihm möglich war in den Laken auf. „Verzeih, Thorn“, lächelte er verlegen und trocknete sich das noch immer feuchte Gesicht mit dem Handrücken. „Das ist mein Haus, Magier. Ihr und euer seltsamer Freund genießt Gastrecht. Das solltet ihr nicht vergessen.“ Die deutliche Drohung entging Luca nicht. Aber Ayco reizte der Tonfall Thorns offenbar bis auf das Blut. Er befreite sich aus Lucas Armen und erhob sich in einer fließenden, eleganten Bewegung vom Bett. „Wenn du etwas gegen meine Rasse und meine Person hast, Rotbart, dann sag’ es offen!“, forderte Ayco ihn wütend auf. Luca konnte nachvollziehen, dass diese still vor sich hin gärende Stimmung der Beiden gegeneinander, das Zusammensein bis Valvermont unerträglich machen würde. Ayco versuchte dem Ganzen nur etwas Nahrung zu geben, damit Thorn sich nicht immer wieder in seine aggressive, angstgeprägte Abwehrhaltung zurückzog. Luca seinerseits hatte niemals den Mut aufgebracht, sein Geheimnis zu offenbaren. Allein schon weil die Integrität in diesem Heer wichtig war. Jeder musste sich auf seine Kameraden bedingungslos verlassen können und das Wissen, dass ein Seraph, ein Unglücksbote, an ihrer Seite kämpfte, würde den Zusammenhalt kaum stärken. Dennoch musste er auch hier einschreiten. „Thorn, Ayco, bitte hört auf“, sagte er leise. Seine Stimme war noch brüchig und seine Zunge schwer von Justins blutigen Kuss in den Höhlen. „Ein friedvolleres Miteinander wäre wünschenswert.“ Ayco führ herum und starrte Luca aus flammenden Augen an. „Bist Du irre?!“, rief er fassungslos. „Der Kerl hasst uns!“ Insgeheim hoffte Luca, Thorn bezog die Worte Aycos auf ihre Homosexualität, anstatt auf ihre Rasse. Allerdings hielt er Thorn auch nicht für dumm genug diesen Kommentar nicht als Signal aufzufassen, dass es etwas gab, was er nicht wusste. Vorsichtig sah er an Ayco vorüber zu dem Halbzwerg und registrierte sofort das misstrauische Funkeln in den tiefliegenden Augen. „Ich gewähre euch Gastrecht, Magier. Euren Schoßhund dulde ich, weil ihr eine Persönlichkeit seid, der ich nichts abschlagen würde.“ Er klang absichtlich herablassend und boshaft. Scheinbar kalkulierte er mit der leichten Reizbarkeit Aycoléns und seiner unbedachten Zunge. Zu Lucas Leidwesen fand sich Thorn prompt bestätigt. Ayco wirbelte herum. „Schoßhund?!“, zischte er. „Ich bin Aycolén Amaro, Goldschmiedemeister des hohen Adels und ein ehemaliger Kriegsmagier aus Lucas Orden! Ihn kannte ich schon, als er noch ein kleines Kind war! Schoßhund...!“, wiederholte er wütend, breitete dann die Arme aus und ballte die Fäuste. „Ich bin niemandes Schoßhündchen!“ Luca saß nun aufgerichtet in dem Bett und beobachtete mit zusammengezogenen Brauen die Situation. Thorn hatte gewonnen, auch wenn Aycolén das nicht begriff, oder zumindest noch nicht. Der Elf wusste nicht, dass Thorn Rotbart einst ein recht bekannter und guter Schauspieler und Barde an den großen Höfen Sarinas und insbesondere am Prinzenhof Mesallas war, zwar abergläubisch bis ins Letzte, aber geschickt, verschlagen und bestens vertraut mit dem höfischen Intrigenspiel und dem Kampf mit Worten. Er hatte, ohne die geringste Anstrengung, Ayco nieder gerungen und ihm Dinge entlockt, die ihm viele nützliche Hinweise lieferten; zukünftige Munition gegen den jungen Mann. Thorns Augen funkelten listig. Bei seinem wilden, finsteren Aussehen unterschätzte man schnell die Intelligenz des Mannes. Thorn war grob und rau, klug und weise, aber auch boshaft und tödlich. Die Anzahl der möglichen Masken, der er sich bediente ging ins Unermessliche. Luca hatte noch heute Schwierigkeiten unter all den wechselnden Verhaltensweisen die Person auszumachen, die Thorn wirklich war. „Amaro also?!“, fragte Thorn lauernd. „Dann bist du es also gewesen, der das Unheil über das Haus Veraldis, Deinen ehemaligen Lehrmeister und späteren Partner, dessen Sohn und seine Familie, gebracht hat?!“ „Es reicht, Thorn!“, rief Luca erbost. Allerdings spürte er, dass er den Schrecken nicht ganz aus seiner Stimme verbannen konnte. Der Halbzwerg kratzte sehr an der Identität Lucas, kam seinen Geheimnissen bedrohlich nahe und wusste, jede auffällige Reaktion Aycos oder Lucas, für sich zu nutzen. Der Elf verstand die stille Warnung in Lucas Worten, denn er ballte lediglich die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervor traten und senkte den Blick. „War da nicht auch etwas wie eine Hetzjagd auf ein Mitglied der Veraldis? Sie war doch auch ein Unglücksbringer, ein schwarzer Engel, der sich in die schöne und friedliche Welt dieser Menschen eingeschlichen und ihnen vorgemacht hatte, sie sei selbst eine Menschenfrau. War sie auch eine von Deiner Sippe... Vielleicht Deine Schwester?!“ stichelte Thorn bösartig, der genau mitbekam, dass er auf der richtigen Fährte war. Über Luca schlugen unzählige schlechte Erinnerungen zusammen. Der Mob, der das Anwesen und das Haus stürmte und das Standgericht, sein Vater, der seine Mutter verleugnete, und der vor Prinz Mesalla das erste Mal in Ungnade fiel, die Lynchjustiz der verängstigten Männer und Frauen, und die warmen, starken Arme, die ihn, einen Jungen, der noch nicht in der Lage war menschliche Gestalt anzunehmen, in seinem Versteck hielten und ihn vergessen ließen, was um ihn geschah. Ayco war damals selbst noch ein Kind, fast zumindest. Aber er rettete Lucas Leben, schützte ihn und verschwieg, wie alle anderen auch, seine Existenz, bis das Kind endlich zu einem Menschen werden konnte, seine Erscheinung also kontrollierte, um ihn vor einem neuerlichen Angriff zu bewahren. Schlimmer aber als alle Erinnerung an den Todestag seiner Mutter, war die zweite Hochzeit seines Vaters, wenige Wochen nach dem so schrecklichen Mord. Er ehelichte die Frau, die den Mob anführte. Sie war die Gefährtin und Zofe Lucas Mutter gewesen, eigentlich eine schöne und liebenswerte Menschenfrau, die oft und gerne mit ihm gespielt hatte, als er noch jünger war. Für einen Moment wurde Luca schlecht. Seine Erinnerungen übermannten ihn mit unsäglicher Gewalt und rangen ihn nieder. Gleichzeitig aber ballte sich unsägliche Wut in Lucas Eingeweiden zusammen und er konnte die tief sitzende Wut auf Thorn kaum noch in Zaum halten. „Thorn!“, presste Luca zwischen den Zähnen hervor. Allerdings kam diese Warnung in allen Punkten zu spät. Ayco, dessen Erinnerung daran noch immer existent und sehr präsent zu sein schien, konnte sich nicht mehr fassen. Thorn hatte alle Grenzen bei dem jungen Mann überschritten. Und seinerseits musste der Halbzwerg offenbar weiter gedacht haben, denn bevor ihn der Faustschlag des Elfs traf, erbleichte er und starrte aus runden, entsetzten Augen zu Luca. „Luca Veraldis“, murmelte er tonlos und schreckensbleich, bevor ihn der Hieb des Elfs aus dem Gleichgewicht brachte und er nach hinten taumelte, gegen den Türrahmen. Luca saß still auf der Kante des Bettes und schloss die Schnallen seiner Stiefel. Seit dem Zwischenfall mit Thorn fiel es ihm sehr schwer auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Der Halbzwerg kannte nun sein Geheimnis und seine Identität. Damit wusste er, dass Luca ein Seraph war. Allerdings erschien es dem Magier als wesentlich weniger schlimm in Anbetracht der Tatsache, dass Thorn intrigant genug war, auch sein Wissen über Lucas Identität einzusetzen. Ayco stand am Fenster und starrte hinaus. auch er hatte seinen Fehler sehr schnell erkannt. Von seiner geneigten Position auf dem Bett beobachtete Luca seinen Freund eine Herzschläge lang still, schloss dabei, ohne hinzusehen, seine Schnallen, was dazu führte, dass einige nicht ganz geschlossen waren, erhob sich dann aber und trat hinter Ayco an das Fenster heran. Sein Schweigen verletzte den Elf mehr als alles was Thorn ihm an den Kopf geworfen hatte. Tambren musste Luca das gar nicht übermitteln. Das wusste der Magier auch so bereits. Allerdings rasten in den ersten Momenten seine Gedanken viel zu sehr, als dass er einen vernünftigen Satz hervorbringen konnte. Auch Thorn war zu verstört, um etwas anderes zu tun, als schleunigst das Zimmer zu verlassen. Seit dem Moment lastete das Schweigen bleiern in der Luft. Sanft umschlang Luca Ayco in der Taille und wollte ihn an sich ziehen. Der Elf allerdings entwand sich ihm grob und sah über die Schulter zu Luca. Seine Augen schimmerten feucht und die Lider waren leicht entzündet von seinen Tränen. „Lass mich bitte!“ In seiner Stimme schwang eine leise Drohung mit. Luca sah ihn still an. Der Schmerz, den die Worte in ihm auslösten, zwang er nieder. Ayco wollte er nicht zeigen, was er wirklich dachte und fühlte. Damit hätte er es dem Elf nur noch schwerer gemacht. „Es ist gut, Ayco. Du musst Dir darüber nicht allzu große Gedanken machen. Thorn wird schweigen. Da bin ich mir sicher.“ Seine letzten Worte waren eine glatte Lüge. Er konnte sich bei Thorn nie sicher sein, was er mit seinem Wissen anfing. Aber Ayco damit zu belasten, wäre Unsinn gewesen. Die Augen des Elfs flammten kurz auf. „Gut?“, echote er fassungslos. „Der Kerl hasst uns Seraphin und dazu weiß er nun auch noch dass Du Sohn eines Geächteten bist, dessen Name getilgt wurde in den Chroniken Valvermonts!“ „Er ist in den Chroniken, aber nicht in den Köpfen der Menschen getilgt, Ayco. Männer wie meinen Großvater und meinen Vater kann man nicht vergessen. Es war meine eigene Schuld, dass ich in der Stadt geblieben bin, also nur eine Frage der Zeit, wann mein Geheimnis gelüftet werden würde.“ „Aber es ist meine Schuld, weil ich mich nicht beherrschen konnte!“, beharrte Ayco stur. Luca lächelte. „Dann wasche ich den Namen meines Vaters wieder rein, Ayco. Die Veraldis werden vielleicht eines Tages wieder eine einflussreiche Familie in der Stadt sein. Vielleicht ist dann meine Schwester die Stammhalterin, vorausgesetzt sie lebt noch und ich kann mich wieder frei bewegen, als der, der ich bin, Luca-Seraphin Veraldis.“ Aycos blick verriet Luca, dass er daran zweifelte. Aber er lächelte nun doch und wendete sich ihm zu, umarmte Luca sanft und schmiegte sich an. Liebevoll zog er Ayco enger an sich und genoss die Wärme und den Duft des schlanken, geschmeidigen Elfenkörpers. Ruhe kehrte in Lucas Herz ein. Er schob den Gedanken an Thorn vorerst von sich, zumal der Halbzwerg Luca niemals vor die Tür setzen würde, schon seines Ranges wegen nicht. Davon abgesehen schuldete Thorn ihm einiges. „Ayco, bitte erzähle mir alles, was in den Höhlen passiert ist. Sage mir, wie wir hier her kamen und wie es allen anderen geht, ob die Gruppe, die mit den Verletzten, aber Transportfähigen voraus ritt gut ankam...“ Der Elf legte Luca die Finger über die Lippen. Sein Blick hatte sich abermals binnen kürzester Zeit geändert, verklärt schon fast. Etwas musste geschehen sein, was der junge Mann noch nicht ganz verinnerlicht oder verkraftet hatte. Alarmiert wollte Luca schon auffahren, aber Ayco lächelte. „Sht, ruhig, Liebster. Das zu erzählen, braucht Zeit. Lass uns vielleicht etwas spazieren gehen.“ Lucas Verwirrung spiegelte sich ganz offensichtlich in seinen Zügen. Der Elf lachte leise. „Wie ich Dich kenne, willst du sicher baden. Gehen wir doch an den Fluss und genießen dort das Wasser.“ Luca hob eine Braue. Etwas in ihm, eine deutliche Erinnerung, sagte ihm, dass Ayco Wasser hasste. „Bist du dir sicher?“, fragte er leise. Der Elf grinste, rieb sich die letzten Tränenspuren von den Wangen und nickte. Tam, der bis eben dösend auf dem bett gelegen hatte, bog seinen Schlangenhals durch und schielte zu Luca. „Er hasst Wasser, meinst aber, dass du so rußig bist, das du ein Bad dringend nötig hast.“ „Oh“, murmelte Luca, schob Ayco auf Armeslänge von sich und betrachtete ihn. „Du bist allerdings auch nicht wirklich sauber.“ Der Elf nickte verlegen. „Es gibt so verdammt viel zu erzählen, Luca. Aber bevor ich hier noch mehr rede, was Dir schadet, will ich lieber hier weg und nach draußen. Dann können wir auch zu dem alten Anwesen, dem Herrenhaus über Night’s End und hinunter in die Stadt. Da war ich seit fast einhundert Jahren nicht mehr.“ Etwas in Luca, ebenfalls ein winziges Erinnerungsbruchstück verband mit Ayco und Night’s End etwas Trauriges, Böses.“ Unwillkürlich suchte er in diesem Zusammenhang auch die Präsenz von Aycos Schwester Lea. Aber das Geistermädchen war nirgends auszumachen. „Es gibt viel zu bereden“, sagte er leise, „zumal meine Erinnerung immer neue Fragmente heraufschwemmt, die aber nichts als eine Unzahl winziger Scherben ergeben.“ Der Elf atmete tief durch und deutete ein weiteres Nicken an. „Vieles davon betrifft auch dich, Luca. Sehr viel. Gib mir die Zeit, dir davon zu erzählen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)