Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 20: Valvermont ---------------------- Sonnenlicht fing sich im Morgennebel und erfüllte den Wald mit ätherischer Schönheit. Vögel sangen in den Ästen und kleine Tiere huschten durch die kleinen Waldmeisterfelder zwischen den Stämmen. Grüngolden schimmerte der Feenschleier dieses frühen Tages als Vorbote der Freistadt. Tam seufzte erleichtert. „Wir sind fast zu Hause, Luca“, sagte er leise und schlang seinen langen Schwanz um den Oberarm des Magiers. Ayco hatte zu ihnen aufgeschlossen und blickte durch die Bäume hindurch. Offenbar sah er das Tal dahinter, die Gehöfte und die entfernte Küste. In den süßen Duft des Waldmeisters mischte sich bereits hier schon die salzige Seeluft. „Zu Hause..?“, murmelte der Elf versonnen. „Ich hätte nie gedacht Valvermont je wieder zu sehen. Nicht nach dem Kessel und dem Pendel.“ Er tastete nach Lucas Fingern, die auf dem Oberschenkel des Magiers ruhten. Luca spürte das leichte kitzeln durch den Stoff seiner Hosen und lächelte. Als Kind wäre er sicher schreiend davon gelaufen, in seiner Situation wohl eher davon geritten. Sanft ergriff er Aycos Hand und schloss sie in die seine ein. Der friedvolle Atem der Freistadt trog, das wussten sie alle. Was dem Prinzen nicht gefiel, verschloss er in Justins Labyrinth auf ewig. Aber die Illusion des Guten und Schönen konnte er damit aufrechterhalten. Luca hörte hinter sich Ihad und Cyprian, die beide ihre Reittiere zügelten. „Unsere Wege trennen sich vorerst wieder, Lysander.“ Der Magier sah sich zu seinem Großmeister um. Ihad wirkte im Sonnenlicht wie ein goldener Gott, mächtig und gewaltig, selbst jetzt, in seiner menschlichen Gestalt noch. Cyprian hingegen war das stille, begleitende Mondlicht. Luca hatte nicht vergessen, wie sensibel Cyprian reagiert hatte, wie nah und verbunden ihm sein Lehrmeister war und wie sehr er den Eisdämon dafür liebte, genauso wenig konnte er die tiefe Angst Ihads vor diesen Wesen, dem Geschöpf, was immer es war, aus seinem Geist verdrängen. Luca hatte einen Moment tiefer Angst bei seinem Herrn miterlebt. Das machte ihn zu einem Lebewesen, einem Geschöpf, vor dem er Respekt und Zuneigung empfand. Und er war ihm dankbar für die Antworten, aber auch für seine väterliche Liebe. „Ich werde euch Ausrüstung zukommen lassen, ihr Beiden“, versprach Cyprian lächelnd. „Jedem etwas, dass ihm hilft und seine Fähigkeiten unterstützt.“ Luca neigte still den Kopf. „Und ich baue darauf, dass du aus dem kleinen elfischen Schwachkopf einen fähigen Magier machst, klar, Lysander?!“, setzte Ihad hinzu. Im ersten Moment fürchtete Luca, dass Ayco auf den Affront eingehen würde, war aber sehr erleichtert, als der junge Mann einfach nur die Braue hob und schwieg. „Ayco wird ein starker Magier werden, Ihad. Sei dir dessen sicher“, versprach Luca. Der Dämon nickte, wendete dann sein Schattenpferd und löste sich in den Nebeln auf. Cyprian lächelte. „Ich bin in Gedanken immer bei euch“, sagte er leise. Wie seine Worte im Wind vergingen, verwehte seine Gestalt. Ayco setzte zu einem Kommentar an, wurde aber von der dumpfen, dröhnenden Stimme Manos unterbrochen. „Müssen Magier eigentlich immer so ein Aufhebens um ihr Erscheinen und Verschwinden machen?“ Luca lachte leise. „Du hast einen zielsicheren Sinn dafür jede noch so schöne Szenerie sehr bodenständig werden zu lassen, Mano.“ Der Koch zuckte mit den Schultern. „Ich will nur noch in die Stadt und zwei Tage am Stück durchschlafen. Mein Hosenboden ist durchgesessen und mein Rücken fühlt sich an, als wäre eine Kuhherde drüber getrampelt.“ Luca nickte nachdenklich. Auch er sehnte sich nach einem heißen Bad, frischen Kleidern und seinem Bett, ganz abgesehen von etwas zu essen oder zu trinken. Das einzige, was ihn daran störte, war die Tatsache, dass sein Zuhause zugleich das Justins war, und er konnte nicht sagen, in welcher Stimmung sich der Vampir gerade befand. Aggressiv würde Lucas Aufenthalt im Labyrinth zu einem Abstecher in die Hölle werden, friedfertig wäre es wahrscheinlich eine Erholung, bis sie die schwankenden Planken des Segelschiffes nach Sarina betraten. Justin hatte er in den vergangenen Tagen selten länger gesehen, deshalb konnte er die Stimmung seines Freundes nicht einschätzen. Aber der Vampir hatte Gerome im Moment bei sich und Luca zweifelte eher an einem erholsamen Aufenthalt, schon weil der Junge die ganze Zeit zwanghaft zu Ayco und ihm wollte. Gestern hatte er sich sogar eine Stunde Ritt vor Luca auf dessen Schattenpferd erbettelt. Dank Ihads Gegenzauber, konnte der Junge Luca dieses Mal nicht einfach so in seinen Bann ziehen. Auch Ayco schien immun gegen ihn zu sein. Dennoch versuchte er alles, um das Paar in den Sog seines Wesens zu ziehen. Der Magier ließ es nicht wirklich zu, ging aber scheinbar immer darauf ein, bis sich Justin erbarmte den Jungen wieder zu sich zu nehmen. Luca wollte nicht so genau wissen, was die beiden genau besprachen, miteinander taten oder ausheckten. Auch jetzt sah er Gerome, der bei Justin ritt. Das einträchtige Beisammensein der Beiden rief erneute Besorgnis in ihm wach. „Wie lange müssen wir diese unheimliche Farce noch aufrechterhalten Luca?!“, fragte Ayco mit einigem Nachdruck. „Ich halte die Anspannung langsam nicht mehr aus!“ „Ich weiß es nicht, Liebster“, entgegnete Luca nachdenklich. „Aber vermutlich müssen wir uns noch eine Weile mit ihm herum schlagen. Er hängt sich jetzt an Justin, weil er merkt, dass er uns nicht mehr so einfach bezaubern kann.“ Ayco seufzte tief. „Dann lass uns zu mir gehen, in meine Werkstatt, wenn wir in der Stadt sind. Das ist das alte Haus Deines Großvaters.“ „Was, wenn Mesalla dich ausfindig macht, bevor Orpheu und ich bei ihm waren? Du giltst in der Stadt als Dieb und darfst eigentlich nur im Labyrinth leben.“ „Ich muss im Labyrinth leben?!“, zischte Ayco zornig. „Na, das werden wir ja sehen! Ich lasse mich von diesem größenwahnsinnigen Spinner nicht einsperren!“ Luca seufzte erneut. Ayco war scheinbar von Ihads Kommentaren immer noch sehr gereizt und ließ seine Laune an ihm aus. Verstehen konnte er den Elf. Aber er selbst war auch unfrei. Ihm war es auch verboten an einem anderen Ort zu leben als dem Labyrinth, war er doch Sohn eines Ketzers, dessen Namen auf ewig getilgt wurde.“ „Na ihr beiden Turteltauben?“, fragte Thorn spöttisch hinter Ayco. „Ist das der erste Streit zwischen Verliebten?!“ Luca ahnte was kommen würde. Der Tonfall war eindeutig der Falsche. Aycos Temperament würde sicher gleich mit dem jungen Mann durchgehen. Aber er machte gar nicht erst den Versuch ihn aufzuhalten. Thorn hatte es schließlich verdient. Ayco griff nach dem Zaumzeug von Thorns Stute und zerrte das Tier zu seinem, Flanke an Flanke. Das Pferd wieherte erstaunt, ließ es aber zu. Thorn hingegen runzelte die Stirn und stieß einen erschrockenen Laut aus, als Ayco geschickt wie ein Kunstreiter in seinen Sattel kletterte und sich gerade vor dem Halbzwergen aufrichtete, nur um ihn mit einem eleganten Rad, dass er auf der Stelle vollführte und mit zwei Tritten vom Rücken seiner Stute zu stoßen. Dann ließ er sich auf seinem Wallach nieder, gab dem Kaltblut einen Klapps auf die Kruppe und spie vor Thorn, der entgeistert und immer noch völlig überrumpelt auf dem weichen Waldboden hockte, aus. Luca grinste still in sich hinein. Tam allerdings fiel vor Lachen von seiner Schulter in seinen Schoß. „Hat einer das schon gesehen?!“, japste er atemlos. „Das war der schönste Auftritt, seit Jaquand in Manos Kessel geplumpst ist!“ „Ist das …!“, keuchte Thorn zornig, fand aber offensichtlich nicht die passenden Worte. „Habt ihr das gesehen?!“, schrie er. Einige Männer des Heeres ritten stumm an ihm vorüber und ignorierten den rotbärtigen Schreihals, andere rissen ihre Witze über ihn, und selbst sein Schwiegersohn ignorierte ihn. Ayco schloss sich kommentarlos den anderen an. Luca neigte sich aus seinem Sattel nach unten und hielt Thorn die Hand hin. Der Halbzwerg schlug sie zur Seite und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf. „Pack!“, zischte er. Luca hob eine Braue. „Wenn du dich noch weiter künstlich aufregst, mein Lieber, verlierst du noch den letzten Respekt. Deshalb solltest du in deinem eigenen Interesse aufstehen, dein Pferd besteigen und so tun, als wäre nichts gewesen“, warnte ihn der Magier. Thorn fixierte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Dann federte er auf die Füße und rannte seinem Pferd hinterher. Luca sah ihm Kopfschüttelnd nach. „Ein unmöglicher Kerl, oder, Tam?“ Der Drachling wiegte den Kopf. „Sei die Mal nicht so sicher, dass er nicht auch das eine oder andere auf dem Kerbholz hatte. Man verliert nicht von einem Moment zum anderen das Ansehen Mesallas und damit seine Anstellung als Schauspieler und Sänger.“ Luca nickte nachdenklich. „Wohl wahr“, murmelte er, bevor er dem Tross nach Valvermont folgte. Luca holte Aycolén erst nach den Stadtmauern wieder ein. Der Elf wollte allein sein und Luca respektierte das, also hielt er sich im Hintergrund und ritt Seite an Seite mit Ria. Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit schwieg sie den größten Teil des Weges. Scheinbar spürte auch sie, ähnlich wie Luca, dass hier in der Stadt eine Entscheidung gefällt würde. Die wenigen Gefangenen, die noch bei ihnen waren trotteten still zwischen den Söldnern und wurden von der Garde Mesallas in Empfang genommen. Scheinbar hatte Ihad den Prinzen informiert, dass das Heer nicht allein zurückkehrte. Am Süd Tor bereits erwarteten fünfzig Gardisten das Heer, angeführt von eine riesenhaften Gestalt, gehüllt in einen dunkelgrünen Samtmantel, der offensichtlich mit schwerem Stoff unternäht war. Selbst Orpheu wirkte klein wie ein Kind gegen die Person. Mano konnte ihr in die Augen sehen. Luca erkannte sie allerdings sofort, als er sie sah. Die schwarzen Schnurrhaare konnte sie nicht ganz in die Schatten ihrer Kapuze zurückdrängen und die Krallen, die tiefe Risse in den gepflasterten Straßen hinterließen, blieben auch nicht unentdeckt. Ayco wartete scheinbar deshalb bis Luca und Ria aufgeschlossen hatten. „Was ist das denn?!“, wisperte er tonlos. „Das ist weder ein Troll, noch ein Oger oder Elf. Luca lachte leise. „Das wohl bestgehütete Geheimnis der Stadt verbirgt sich dort“, lächelte er. „Glaube mir, du wirst sie noch kennen lernen.“ Ayco hob eine Braue. „Will ich das?“, fragte er. „Das ist ein Gardist Mesallas.“ Luca senkte den Blick. „Nicht alles was für Mesalla arbeitet ist böse. Du bist es ja auch nicht!“, mahnte er Ayco mit einiger Schärfe in der Stimme. Der Kopf des Elfs hob sich und die Jadeaugen fixierten Luca. „Musste das sein?!“, fragte er verletzt. „Ja, um dir klarzumachen, dass du ziemlich verbohrt und fanatisch bist, schon“, entgegnete der Magier leise. „Mesalla ist vielleicht ein Monster, aber nicht die, die für ihn arbeiten. Sie hatten oft genauso wenig eine Wahl wie du und ich!“ Betroffenheit machte sich in Aycos Blick breit. „Das hatte ich vergessen. Tut mir leid.“ Luca machte eine Kopfbewegung zu der verhüllten Gestalt. „Entschuldige Dich nicht bei mir sondern bei ihr. Sie hat ein sehr feines Gehör und hat sicher mitbekommen, was du gesagt hast. Mir bist du keine Rechenschaft schuldig dafür.“ Unsicher sah der Elf zu der hünenhaften Gestalt, die langsam am Kopf der Garde schritt und sich nicht umdrehte. Nervös nagte er an seiner Unterlippe. „Sie sagtest du? Das ist eine Frau?“, hakte Ayco vorsichtig nach. „Ja, sie ist durchaus eine Frau.“ Luca lächelte auf sehr eigentümliche Art. Bevor Ayco eine weitere Frage stellen konnte, erhob sich Luca im Sattel. „Orpheu!“ Der Hauptmann drehte sich auf dem Rücken seiner Stute um und winkte den Magier nach vorne, an die Spitze des Heeres. „Was jetzt?“ fragte Ayco. „Komm mit“, forderte ihn Luca auf. Der Elf folgte unwillig. Die Söldner machten ihnen Platz. Es bildete sich eine Schneise bis zu Orpheu vor, der hinter der Garde ritt. Passanten und Händler drängten sich an die Häuser, die zweigeschossigen Fachwerk- und Steinbauten, machten dem Heerzug Platz. Fenster öffneten sich und neugierige Menschen sahen hinaus, winkten verhalten, aber alles in allem war diese Heimkehr eher still und von verhaltener Angst vor neuen Schlachten begleitet. Das Heer hatte wenige Männer verloren. Nichtsdestotrotz sahen die Leute, dass es den Söldnern durchweg nicht gut ging. Bevor allerdings die beiden Männer bei Orpheu ankamen, winkte Justin, der ebenfalls mit Gerome weit vorne ritt, Ayco zu sich. Zeitgleich löste sich Gerome von der Seite des Vampirs und steuerte Luca an. „Och nö“, maulte Tam verärgert. „Den nicht schon wieder!“ Luca sah strafend zu ihm herab. „Ein falscher Kommentar und wir sind alle Geschichte. Im Moment leben wir nur, weil er nicht weiß, wer das versteinerte Herz hat!“ Der Drachling verkroch sich unter Lucas Hemd und ließ nur noch seine Schwanzspitze herauspendeln. „Das sieht nicht wirklich schön aus“, kommentierte Gerome mit hochgezogenen Brauen. „Warum hast Du eigentlich einen Drachling als Vertrauten, Luca?“ Der Magier lächelte. „Weil wir einander ausgesucht haben, Gerome“, erklärte er sanft. „Aber der hier ist doch ganz und gar nicht hübsch und elegant, wie du“, beharrte Gerome. Luca sah ihn tadelnd an. „Tambren kann dich hören. Du verletzt seine Gefühle.“ „Aber es stimmt. Er ist plump“, wiederholte der Junge. „Ein grünes Männchen, schlank und elegant, das wäre eher ein Familiaris, oder?“ „Idiot!“, knurrte Tam verärgert. Luca strich sanft über die Drachenkugel in seinem Hemd. „Vertraute suchen einander nicht nach der Optik, sondern dem Wesen. Tam ist vielleicht rund und ein Neutrum, aber wir ergänzen einander. Wir haben unsere Seelen miteinander verbunden, Gerome.“ „Heißt das“, fragte der Junge nach. „Dass ihr eure Gedanken miteinander teilt?“ Luca hatte zwar das Gefühl zu viel zu sagen, aber es wäre sinnlos gewesen es zu leugnen. „Ja, unsere Seelen reden miteinander, wir teilen alles miteinander.“ „Dann müsste man also nur den Familiaris eines Magiers fangen um ihn zu töten?“, fragte Gerome freimütig nach. Luca konnte seine Gesichtszüge für einen winzigen Moment nicht ganz kontrollieren. Gerome/ Gregorius war nah an seinem Ziel, sonst würde er nicht so offen an alles heran gehen. Er beschloss, genauso verhalten offen zu antworten. „Ja, willst du mich denn töten, mein Kleiner?“ fragte er leise, ohne seiner Stimme eine klare Gewichtung zu geben. „Nein“, sagten die Lippen des Jungen, aber das verrottete Innere des Knaben sagte ja, das konnte Luca sogar ohne Tambren in seinem Blick lesen. Luca lächelte vordergründig. Als er sein Schattenpferd beschleunigte, dachte er darüber nach, wie er Tam am besten und sichersten schützen konnte, ohne dass es auffällig wurde. „Ihr habt lange gebraucht für die wenigen Ellen hier her!“, tadelte Orpheu ihn. Luca senkte den Blick und überging die Worte. „Begleiten wir die Gefangenen mit Lady Valstroem direkt zu Mesalla?“ Der schwarze Elf nickte. „Sjorn, ihr, und die kleine Krabbe, würde ich sagen.“ „Wen meint ihr mit kleine Krabbe?“, fragte Gerome plötzlich, der sein Pferd zwischen Orpheu und Luca zwang. „Rate!“, forderte ihn Orpheu barsch auf. Gerome verstummte und warf dem Hauptmann einen vernichtenden Blick zu. Luca ließ sich zurückfallen bis Ayco und Justin ihn eingeholt hatten. „Aki, Sjorn, Gerome, Orpheu und ich reiten mit den Gardisten zu Mesallas Stadtpalast. Ihr solltet versuchen unbemerkt ins Labyrinth zu kommen. Dort seid ihr vor Gerome sicher.“ Ayco und Justin warfen ihm einen fragenden Blick zu. „Er wird versuchen mich umzubringen, und zwar mittels Tam. Dann seid ihr aber auch nicht mehr sicher. Und er könnte auf die Idee kommen, sich euch dann in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Das wäre wirklich gefährlich. Es wird bald zu einer Entscheidung kommen.“ „Glaubst du, ich lasse zu, dass das Kind dir etwas tut?!“, zischte Ayco. „Das Kind ist eine durchtriebene Natter!“, murmelte Justin. „Er ist ziemlich gefährlich.“ „Damit du auf dem neusten Stand bist, Justin, das Kind ist Gregorius!“, flüsterte Luca. Der Magier wartete gar nicht mehr ab, bis einer seiner Freude ihm antwortete, sondern begab sich wieder an Orpheus, und wie er erleichtert feststellte, auch Geromes Seite. Dieses Mal war ihm der Junge nicht gefolgt. Tief in sich hoffte Luca, dass Ayco und Justin sich soweit verständigten und untereinander austauschten, um gemeinsam gewappnet zu sein, wenn Gerome mit Orpheu und Luca wieder von Mesalla zurückkehrte. Am Großmarkt, nah des Stadtpalais von Mesalla, trennte sich das Heer auf verschiedene Gasthäuser auf oder nach Hause zu ihren heimischen Häusern, Hütten und Wohnungen. Bevor allerdings alle Männer loszogen, sich endlich zu entspannen, verfügte Orpheu mit lauter Stimme, dass sie sich zur kommenden Morgenstunde am Hafen treffen wollten, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Mano hob nur knapp die Hand, die Luca ein weiteres Mal vorkam, als wäre sie eine Bratpfanne. Er trottete schwerfällig davon, sein Reittier, ein Pferdeartiges Wesen mit sechs Beinen und der Rückenbreite von eineinhalb Ellen am Zaumzeug. Luca kannte seinen Weg. Einer wie Mano hatte nicht das Recht in der Stadt zu leben, nicht als ehrbarer Bürger, auch wenn er in den Schlachten das Recht von Valvermont erkämpfte. Ihm gehörte ein altes, etwas gammeliges Gehöft, nördlich der Stadt. Der Troll nutzte einfach nur den Weg durch die Stadt als Abkürzung. Davon abgesehen mochte er es scheinbar immer, durch das Patrizier-Viertel zu schleichen und die reichen und hochadeligen Damen und Herren zu erschrecken. Auch Raven verabschiedete sich eilig. Der Halbzwerg eilte fort, als seien wütende Dämonen hinter ihm her. „Was hat er?“, fragte Gerome leise und deutete hinter dem schwarzhaarigen Mann her. Luca hörte in der jugendlichen Stimme ehrliche Verwirrung heraus. „Die liebste seiner dreizehn Gemahlinnen liegt seit Jahren an das Bett gefesselt“, erklärte Luca. Er dachte an Lucretia, die sanfte, blonde Schönheit in den lindgrünen Gewändern, geschmückt wie eine Königin am Tag ihrer Hochzeit mit Raven. Jeder, der diesen Tag miterlebt hatte, wusste, dass Raven eigentlich nur sie liebte. Luca sah sie im Hof ihres Vaters tanzen, die Brautbänder in ihren Goldhaaren, die grünen Augen schimmernd vor unfassbarem Glück. Justin hatte das Paar vermählt. Sogar er musste zugeben, dass er selten eine liebevollere Ehe geschlossen habe. Luca legte traurig seine Hand auf Tams Rücken. Der Drachling lag immer noch zusammengekugelt in seinem Hemd. ‚Lucretia wird bald sterben, Luca’, merkte der Drachling besorgt an. ‚Raven muss sich beeilen, um noch einige Stunden mit ihr zu haben.’ Mit der Linken fuhr sich der Magier über die Augen. Er hatte Schwierigkeiten, seinen Schmerz zurückzudrängen. So forsch Raven sonst war, so angreifbar war er bei ihr. Dieses Mal wusste Luca, dass Raven seine Frau beerdigen und nicht mehr mitreisen würde. „Hast Du sie gemocht?“, fragte Gerome in Lucas Gedanken hinein und legte seine Hand auf den Oberschenkel des Magiers. Die Geste sollte Anteilnahme wiederspiegeln, aber Luca spürte nur tiefe Wut über diese Heuchelei in sich. „Noch lebt sie!“, antwortete er wesentlich lauter und barscher als beabsichtigt. Gerome fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen und senkte den Blick. Luca, dessen emotionale Anspannung es ihm fast unmöglich machte, noch länger zu Schauspielern, musste sich sehr auf die Zunge beißen, um nicht verbal nachzuschießen. Er löste seinen Blick von dem Jungen und sah sich um. Das Heer löste sich auf, aus den Soldaten wurden müde und geschlagene Männer, die nur noch ein Bett oder etwas zum Essen und Trinken wollten. Bei den Meisten würde es nicht einmal dazu ausreichen ein Bad zu nehmen, oder ihre Kräfte und ihr Geld bei einer Hure zu lassen. Freudlos schlichen sie davon, nicht umjubelt, nicht glücklich wieder hier zu sein. Das bunte Markttreiben verschluckte sie wie ein gewaltiger Moloch. Am Rande seiner Aufmerksamkeit fand Luca das Geistermädchen Lea wieder. Sie stand abseits. Ayco, der bis eben bei Justin war, saß ab und tauschte einen langen, besorgten Blick mit Luca. Das Herz des Magiers krampfte sich fest zusammen. ‚Hoffentlich passiert ihm nichts, Tam.’ ‚Er ist bei Justin sicher im Moment; vorausgesetzt’, setzte der Drachling hinzu, ‚er läuft dem Vampir nicht aus Angst um dich weg. Das war auch äußerst dumm von dir, ihm zu sagen, dass Gregorius es vermutlich auf dich abgesehen hat. Du solltest dir eher um deinen Hals Sorgen machen, Luca. Davon abgesehen musst du nun erst mal Mesalla überstehen.’ Innerlich seufzte Luca und versuchte abzuschätzen, wie viel Magie er wieder in sich hatte, und wie viele Zauber er nun vorbereiten konnte, um sie gegebenenfalls alle gleichzeitig einzusetzen. Er hob seine Hand und winkte Ayco und Justin nach, als sich die beiden Männer wohl oder übel auf den Weg zum Labyrinth machten. Was ihn ein wenig verwirrte war, dass Lea Ayco dieses Mal nicht wie ein Schatten folgte, sondern etwas abseits, unter dem Schild eines Backhauses stehen blieb. Ihr Blick traf Lucas, strich an ihm vorüber und hielt dann an Gerome fest. Der Magier vermied es Gerome anzusehen. Aber er glaubte, dass der Junge den Geist auch bemerkte. Eine junge Frau trat aus dem Laden und glitt durch Lea hindurch. Sie schauerte und beschleunigte ihren Schritt. Auf Leas Antlitz erschien ein hässliches Grinsen. Dann trat sie die Stütze einer Brotsteige fort. Frische, noch warme Brote kugelten zu Boden, über das Stroh bedeckte Pflaster. Einige Passanten nutzten ihre Chance, andere traten die Laibe achtlos zur Seite. Kinder griffen danach und verschwanden im Getümmel. Bis die Bäckerin endlich aus ihrem Laden nach draußen und zum Einsammeln der restlichen Brote kam, hatte sie bereits ein knappes Duzend Verlust gemacht. Luca sprang von seinem Geisterpferd, trat zu ihr und half kommentarlos. Lea huschte hinter ihm weg zu dem Geisterpferd und kletterte in den Sattel. Als Luca sich aufrichtete um der armen Frau die Laibe zu reichen, die er eingesammelt hatte, umfing ihn eine eisige Woge von dunklen, hoffnungslosen Gefühlen, wie ein Grabeshauch. Er schloss kurz die Augen, konzentrierte sich auf Tambren und seinen eigenen Herzschlag. Helligkeit glühte in den Tiefen der Dunkelheit, ein pulsierender Strom grauer Nebel, eine Mischung aus vollkommener Leblosigkeit und starkem, unzerstörbarem Leben kamen ihm entgegen. Das war der personifizierte Tod, mehr als es Aki Valstroem je sein konnte! Luca hob die Lider und sah sich einem Fremden gegenüber, dessen Haut aschfahl war, die Züge scharf geschnitten, kantig und hart. Er machte den Eindruck, als sei er aus Stein geschlagen worden. Seine Lippen waren voll und dennoch hart, die Nase scharf gebogen, das Gesicht schmal und die Wangenknochen hoch. Die grauen Augen lagen tief in den Höhlen, betrachteten Luca ruhig, neugierig sogar, aber weder freundlich noch wütend. Es war das Interesse eines Alchemisten an einem ausgestopften Tier oder einer neuen Formel. Der Mann war nur gering größer als Luca, ähnlich schmal, aber trainiert und stark. Luca sah den langen, dunkelgrauen Mantel, die tief in das Gesicht gezogene Kapuze, unter der er hervorblickte wie der leibhaftige Tod. Über den breiten Schultern spannte sich der Stoff. Luca bemerkte das schwere Stabschwert, den Morgenstern und den gewaltigen Bidenhänder, den der Fremde auf dem Rücken trug. Einzig die Fibel wies den Mann als einen Priester aus, und die Aura des Todes, die ihn umgab. Er hatte die Steige wieder aufgestellt und legte nun ebenfalls einige Brotlaibe hinein. Die Bäckerin hielt sich weit von ihm entfernt, blass und ängstlich begegnete sie ihm. „Danke Herr“, murmelte sie leise. Wortlos, aber den Blick in Lucas Augen, in seine Seele gebohrt, trat er einen Schritt zurück. Der Magier spürte die Macht des Mannes, der ihm gegenüber stand. Er hatte das Interesse des Priesters geweckt, warum auch immer. ‚Tam, was ist mit ihm?’, fragte Luca wortlos. ‚Keine Ahnung. Seine Gedanken kann ich nicht lesen. Er ist zu... fremd!’ Der Priester unterbrach plötzlich den Blickkontakt und trat an Luca vorbei. Stumm sah der Magier ihm nach. Es verwunderte ihn gar nicht, dass man ihm aus dem Weg ging. Wohin er trat wichen die Leute zur Seite und wo zuvor noch Lachen und Gesang war, hatte sich eine Art dunklen Schleiers von Melancholie und Trauer über die Gemüter gesenkt. „Unheimlich“, wisperte die Bäckerin und schlug ein Schutzzeichen gegen das Böse. Luca konnte seinen Blick nur schwer von dem Mann lösen. Er hatte nur zu deutlich gefühlt, dass der Priester in allem das Gegenteil von seiner eigenen Person war. „Er ist nicht böse“, flüsterte Luca aus einem Impuls heraus. „Wenn ihr meint?“, konterte sie jetzt wieder forsch. Luca lächelte und sah zu ihr hinab. Dann drehte er sich um und eilte sich zu Orpheu zurückzukommen. Lea saß immer noch im Sattel seines Geisterpferdes und wich nur knapp vor ihn aus, als er sich mit reichlich Schwung auf dessen Rücken niederließ. ‚Und nun?’, fragte er still, und deutlich verärgert. Sie wendete sich zu ihm um und betrachtete ihn aus großen Augen. ‚Lass mich bei dir bleiben. Ayco ist so böse auf mich, und der Priester hasst mich’, bat sie. Luca seufzte leise und gab nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)