Night's End von Luca-Seraphin (Der Wiedergänger) ================================================================================ Kapitel 22: Tod und Verrat -------------------------- Offensichtlicht hatte Gerome nicht mit einem offenen Angriff gerechnet, denn er fuhr zusammen und starrte Luca an. Der Magier erwiderte zornig seinen Blick. „Ich kann die Charade nicht mehr weiter spielen, sonst vergiftet mich dein Hass, Gerome!“ Der Junge zog die Brauen zusammen. Seine Mundwinkel zuckten angespannt. Scheinbar wusste er für einen winzigen Moment nicht, was er tun sollte. Aki sog die Luft zwischen den Zähnen ein und spannte sich, als warte sie nun wirklich auf den Tot. Die Mimik des Hauptmannes verriet, dass er fast mit etwas derartigem gerechnet hatte, denn seine Überraschung hielt sich stark in Grenzen. Viel mehr zog Orpheu sogar blank und baute sich halb vor Aki auf. Auch Kaya und Sisikazev reagierten sofort. Katze und Ratte waren die geborenen Leibwachen. Mesalla allerdings saß ruhig, neugierig, sogar hochinteressiert da, beobachtete aber nur. Für ihn gab es keine Gefahr. Er war der best amüsierte Zuschauer eines sehr bösen Schauspiels. Gerome lachte hell und klar, ein Laut, der sich allerdings in etwas hässliches, finsteres verzerrte, als er sich erhob. „So wenig hängst du also an deinem Geliebten, Lysander?“, fragte er leise. Luca fixierte ihn still. ‚Was meint er?’, fragte der Magier Tam dennoch. ‚Vielleicht das Amulett von Ayco, was er noch hat?’, schlug Tam vor. „Du glaubst zu wissen, Lysander?“, fragte Gerome leise. Wieder schwieg der Magier. Es war unklug seine eigenen Erkenntnisse zu offen darzulegen. „Du weißt nur Fragmente des ganzen Spieles, und glaube mir, ich werde dir keine Chancen lassen, das gesamte Bild je zu erfassen, mein Freund, mein Bruder.“ Langsam erhob sie der Junge. „Der Tod, der Schutz und das Feuer gehören bereits mir, Lysander.“ Schmetterlinge stoben auf, ein Schwarm schwarzer Falter. Im gleichen Moment, indem Luca seine Zauber entsandte, wusste er, was die Worte Geromes bedeuteten. Der Tod gehörte ihm. Er kontrollierte Aki und damit den Tod. Er konnte nicht sterben. Allerdings war es dem jungen Magier auch nicht mehr möglich, die Magie aufzuhalten. Völlig lautlos explodierten Flammen und Kraftfelder um ihn, zerrissen den Kinderleib in dem Bruchteil eines Lidschlages und versengten Haar und Haut, verzehrten sein Fleisch, bis von ihm nichts weiter übrig war als verbrannte Reste, die auf dem Marmor vor sich hin schmorten und dabei einen unsäglichen Gestank verbreiteten. Auch gegen jedes bessere Wissen, empfand Luca tiefe Reue und Mitleid für den Leib, den er zerstört hatte. Er wollte nicht töten. In dieser Sekunde hätte er sich am liebsten abgewendet und wäre vor sich selbst geflohen. Dass selbst Tambren eine etwas weniger mitleidvolle Perspektive hatte, als er, half dem jungen Mann nicht darüber hinweg. Er hatte gemordet, und das mit festem Vorsatz. Angewidert wendete sich Aki ab und barg ihr Gesicht vertraut an Lucas Brust. Fast schien es, als habe die Königin binnen der letzten Stunden beschlossen, ihn zu ihrem Favoriten auszuwählen, mit dem sie vorgeben konnte näher zu stehen als im Verhältnis einer Herrin zu ihrem Diener. Sie klammerte sich hilfesuchend an ihn, kralle ihr kräftigen Hände in seinen Rücken und sein Gesäß. Einen Augenblick war Luca versucht sie von sich zu stoßen, spürte er doch, dass sie ihn zu ihrem Spielzeug herab degradierte. Die Reaktion Sjorns war für Luca bestens verständlich. Er betrachtete seine Herrin traurig und warf Luca einen Blick zu, der Kalesh mit ewigem Eis hätte überziehen können. Allerdings trat er still zurück und überließ Luca das Feld, den er eindeutig als seinen Rivalen um die Königin klassifizierte. Der Magier senkte betroffen den Blick. Lea betrachtete die Umarmung der Elfe bei Luca mit gehässigem Blick. Sie würde sicher Ayco ein schönes Lügenkonstrukt darum bauen. Der Magier fühlte sich nur noch schäbiger und schlechter. Kaya schnüffelte neugierig an den Resten des Kindes. „Der ist wohl hinüber, oder Luca?“, fragte sie in ihrer kindlichen Ahnungslosigkeit. Allerdings fühlte sie sich von Sisikazev zurückgedrängt, die mit ihrem Schwert in den schlackenden Überresten herumstocherte. Plötzlich erschütterte etwas die Wirklichkeit, die Realität, teilte sie. Für Luca schien es, als habe jemand die Zeit angehalten und danach weiterlaufen lassen. Aber niemand außer ihm und natürlich damit auch Tam, hatten diese Veränderung bemerkt. Der Drachling entfaltete knisternd seine Schwingen und sprang lautlos auf die Lehne von Akis Diwan. „Luca, es ist noch nicht vorbei!“, rief der Drachling plötzlich. Alle Blicke richteten sich an den Punkt, an dem Luca gerade das getan hatte, was ihm immer wiederstrebte, zu töten. Aus den rauchenden Überresten, die einmal ein Lebewesen waren, trat etwas hervor, was stark an schwarzes Blut erinnerte. Es sickerte aus dem Leichnam und kroch über den ebenen Boden bis zu Kayas Pfoten. Die Feline betrachtete es neugierig, achtete aber darauf, dass es nicht ihr Fell benetzte. In kleinen, langsamen Schritten wich sie zurück und schnüffelte immer wieder daran. Ihre Schnurrhaare zuckten jedes Mal zurück, bevor sie die ölige Flüssigkeit berührte. „Weg, Kaya!“, befahl Sisikazev barsch. Die Feline legte den Kopf schräg, sah ihre Freundin an und senkte ärgerlich die Lider. „Warum denn?“, fragte sie leise. In ihrer Stimme schwang deutlicher Trotz mit. „Tu, was Sis sagt“, drängte Luca. Seiner Meinung nach ging von dieser Pfütze etwas Böses aus, dass seiner kleinen Freundin sehr gefährlich werden konnte. Die Bernsteinaugen Kayas richteten sich auf Luca. „Das kann doch nichts schlimmes sein...!“ Ein feiner Schleimfaden löste sich aus der Pfütze und richtetet sich gerade auf. Kaya starrte ihn voller Faszination an. Ihre Augen weiteten sich. Dann begann dieser haarfeine Tentakel zu schwingen, als würde sanfter Wind ihn bewegen. Die Blicke Kayas hafteten daran fest. Sie konnte sich davon nicht mehr losreißen. Tam spannte sich und fixierte den Faden ebenfalls. Dieses Mal machte sich Luca mit einigem Nachdruck aus der Umarmung Akis frei. Allerdings reagierte er wesentlich zu spät. Allein Sisikazevs schnelle Reaktionsfähigkeit rettete Kaya das Leben. Die Rattenfrau ergriff den Panther in der Körpermitte und riss sie mit sich, wirbelte um ihre eigene Achse und stürzte schwer auf die Seite. Der eben noch so spielerisch erhobene Faden durchschlug mit Leichtigkeit eine der dicken Säulen, die die Decke trugen. Einen Herzschlag später fuhren unzählige dieser Tentakel aus und durchbohrten Holz, Metall und Stein, soweit sie konnten. Drei schwarze Schmetterlinge zerbarsten wie feinstes Glas in tausend Splitter, die sich in Rauch auflösten und drei Schutzzauber auslösten. Allerdings konnte Luca nur einige wenige im Raum beschützen. Die Gruppe der Gardisten, Mesalla, Kaya und Sisikazev, befanden sich wohl behütet in zwei starken Kraftfeldern, die Gregorius nicht zu durchdringen in der Lage war, Orpheu, Tam und Aki schützte der dritte Zauber, allerdings wurde es nun für Sjorn, Lea und ihn zu einem Spießroutenlauf. Der Eistroll jaulte vor Schmerz, als sein rechter Arm durchbohrt wurde, zerfetzte aber mit seiner Klauenpranke den Faden, nur um alles in eine Eishölle zu verwandeln, was sich in seiner näheren Umgegend befand. Lea wich auch immer nur in letzter Sekunde den Fäden aus. Obwohl Luca fieberhaft in seinem Repertoire nach einem passenden Zauber suchte, um flächendeckend dieses Geschöpf unter Kontrolle zu bringen, konnte er nur auf sein Schwert zurückgreifen. Ein Faden riss eine tiefe, blutige Furche in seine Seite. Für Sekunden war der Schmerz so gellend, schreiend, dass Luca das Gefühl hatte, das Bewusstsein zu verlieren. Er sackte nach links ein, was ihm vermutlich das Leben rettete, denn einer der Tentakel schlug breitflächig nach seinem Hals. Wie leicht er so den Kopf hätte verlieren können, wurde Luca bewusst, als hinter ihm ein tiefer Riss in die Wand geschlagen wurde. Ein weiteres Mal kam ihm zugute, dass Justin ihn im Tanz trainiert und unterrichtet hatte. Immer wieder wich er fast tänzerisch den Fäden aus, die nach ihm stachen und schlugen. Er verschaffte sich eine Sekunde Luft um sein Schwert aus der Scheide zu reißen. Zwei seiner Schmetterlinge setzten sich auf die Klinge und zerflossen darauf. Das Eisen wurde schwarz und fahl, verlor allen Glanz. Den nächsten, auf ihn fixierten Angriff wehrte er ab und zerschnitt mit der Klinge die Tentakel. Sie wurden zu grauen Rauchfäden und zerfaserten in der mittlerweile in Wellen heißen und kalten Luft. Sjorns Eismagie kühlte den Audienzsaal auf eisige Temperaturen herab, während Lucas Höllenzauber immer noch Wände und Boden nachbrennen ließen. Das Atmen wurde schwerer. Frische Kühle und stickiger Gestank nach brennendem Fleisch und glühendem Stein, raubten dem Troll und dem Magier die Luft. Dennoch wirbelten sie herum, um wenigstens die Tentakel halbwegs von sich fort zu halten. Der Magier wusste, dass, wenn kein Wunder geschah, sie alle sterben würden, sobald seine Magie nachließ. Verbissener denn je schlug er mit der schweren Klinge zu und nahm Gregorius Duzende seiner Tentakel. Sjorns Kräfte scheinen unerschöpflich, aber der Troll blutete aus mehr weitaus mehr Wunden als Luca. Sein Atem ging aber noch immer ruhig und gelassen. Unter den Tentakeln konnte er mit seiner Eismagie viel Schaden anrichten. Waren die Fäden gefroren, mähte er hundert davon ab. Lea allerdings hielt sich dicht bei Luca. Scheinbar fühlte sie sich sicherer bei ihm, denn das eine oder andere Mal spürte der Magier ihre kleinen Geisterhände, die sich hilfesuchend an sein Bein klammerten. Orpheu und Mesalla sahen hilflos bei dem Kampf zu. Die beiden Männer lechzten nach Blut, das sah Luca jedes Mal, wenn er ihnen den Blick zuwendete. Aber sie konnten die Kraftfelder nicht verlassen, wollten sie sie nicht zum Kollabieren bringen. Luca sah ein, dass die Lage, so versprengt wie sie waren, verhältnismäßig aussichtslos war. Gregorius hatte scheinbar ein unerschöpfliches Arsenal dieses stählernen Schleims, und das einzige, was helfen konnte, war scheinbar das Eis des Trolls. Aber so lange Sjorn nicht zum Zentrum kam, um es zu erfrieren, sondern sie beide wie wilde Tiere einfach getrieben wurden, würde sich ihre Situation nur zusehends verschlechtern. ‚Lea, wir kämpfen uns zu Sjorn durch. Bleib dicht bei mir’, rief Luca ihr still zu. ‚Mach! Ich habe Angst!’, schrie sie hysterisch. ‚Wir sterben, und dieses Mal richtig!’ Da auch der Troll in beständiger Bewegung war, stellte sich das Unterfangen als weitaus kräftezehrender heraus, als Luca es gehofft hatte. Seine Schutzkugeln würden nicht mehr lange halten, und er selbst war so erschöpft, dass es ihm schwer fiel noch das Schwert mit beiden Händen zu führen. Seine Lungen brannten und seine Gelenke schmerzten höllisch. Hemd und Hose klebten von Blut und Schweiß an ihm, und sein langer Zopf löste sich immer weiter auf. Die herausfallenden Strähnen behinderten ihn und woben ihn mit jeder Bewegung, jedem Schwung oder Überschlag mehr ein. „Du... du musst ins Zentrum!“, keuchte Luca atemlos. „Friere das Ding ein!“ Der Troll nickte, ohne Luca anzusehen. „Seite an Seite, Magier!“ Gemeinsam, mit Schwert und Klauen, drangen sie auf das Wesen ein, wichen nicht mehr zurück, wehrten nur noch ab. Tentakel schossen auf sie zu, durchdrangen sie, zerfetzten Sjorns linken Arm, aber von dem Troll kam kein Laut des Schmerzes. Schweiß rann ihm über die hohe Stirn und mischte sich mit Blut und Speichel in seinem Bart. Der Wille dieses Geschöpfes erschien Luca übermächtig. Sjorn liebte offenbar seine Gebieterin so sehr, dass er alle Kräfte mobilisieren würde, nur um ihr dienlich zu sein. Der Mut und die Kraft des Trolls spornten auch seine letzten Reserven an. Er setzte sich vor Sjorn und wehrte, so schnell es ihm möglich war, die immer wieder herausschießenden Tentakel ab. Mindestens ein dutzende Mal traf ihn einer der Fäden an Armen, Beinen und Gesicht. Der Magier war nicht der muskulöseste, aber zumindest ausdauernd und zäh. Im Moment wünschte er sich, dass er einstmals Ihads Ausführungen im Schwertkampf genauer gelauscht hätte. Nahe des Zentrums konnte Luca ohnehin nicht mehr denken, nur noch reagieren. Sein Hals fühlte sich nach rohem Fleisch an, die Zunge klebte am Gaumen und Schweiß – oder Blut, er wusste es nicht - vernebelten seine Sicht. In seinen Ohren rauschte das Blut so laut, dass er kaum noch das helle, krächzende Pfeifen seiner Lungen wahrnahm. Die Klinge wurde ihm unerträglich schwer. Jeder Hieb durchfuhr seine Handgelenke bis in die Ellenbogen. Dann barst die erste seiner Schutzkugeln und spie Mesalla, Kaya und Sisikazev aus. Sofort griff die riesige Rattenfrau an und trennte etliche Tentakel auf einmal durch, Kaya allerdings konnte nur ausweichen. Mesalla hingegen griff nach der nächsten Waffe, die ihm in die Hände fiel. Mit einem Leuchter und brennenden Kerzen bewaffnet, machte er sich daran, die Tentakel von seinem Pagen fern zu halten. Luca konnte das Bild nur noch fahrig in seinem Geist verwerten. Er empfand einen kurzen Hauch von Zufriedenheit, konnte aber im Nachhinein nicht mehr sagen, warum. Plötzlich durchschlug er gefrorene Fäden. Das Gewicht der Klinge in seinen Händen wurde schwerer, machte ihm unmöglich, das Schwert länger zu halten. Aber es war auch nicht mehr notwendig. Sjorn hatte es geschafft und das Geschöpf vollständig gefroren. Wieder ging ein Zucken durch die Zeit. Innerlich betete Luca, dass es nicht wieder ein neuer Angriff war. Seine Atmung glich eher dem eines gehetzten Tieres. Im Nichts, direkt über den Resten Geromes, materialisierte sich eine dunkelgraue Schwertklinge, ein Bidenhänder. Graue, lange Finger krampften sich um das Heft, und während die Klinge hernieder fuhr, materialisierte der Leib des Totenpriesters. Durch den Raum ging ein gellender Laut, kein Schrei in Sinne eines menschlichen Lautes. Vielmehr klang es, als wurde sich aus den Tiefen der Welt etwas lösen und zerreißen. Luca sank auf die Knie, eine Hand um das Schwert gekrampft und eine auf dem Marmorboden abgestützt. Ihm war schwindelig und schlecht. Luft holen konnte er keine, weil seine Mundhöhle zu trocken war. Seine Knie zitterten schneller als sein Herz raste. Dennoch blieb er bei Bewusstsein. Am Rande seiner Wahrnehmung bemerkte er, dass die anderen Schutzkugeln aufbrachen und sich Männer und Frauen in den Saal ergossen. Allerdings wüsste er nichts mehr damit anzufangen und begriff auch erst wesentlich später, dass die Gefahr für den Augenblick gebannt war. „Luca!!!“ Der Magier schloss die Lider. Bildete er sich nur ein, Ayco hier zu hören? Müde wendete er den Kopf und sah den Elf, begleitet vom Urvater aller Rattenmenschen. Halb entsetzt, aber dennoch überglücklich seinen Geliebten wiederzusehen, lächelte er. Vermutlich war es eher eine Grimasse. Dennoch stützte Ayco auf ihn zu, umklammerte ihn fest und vergrub seinen Kopf in Lucas Halsbeuge. Der Magier musste husten, weil ihm jede Luftzufuhr endgültig angeschürt wurde, sank aber glücklich an seinen Freund, als dieser seinen Griff etwas lockerte. „Ich lasse dich nie mehr alleine, klar?!“, rief Ayco. „Du lebst mir viel zu gefährlich!“ Lucas verkrampfte Finger konnten sich endlich von der Klinge lösen. Sie fiel polternd hinter dem Elf zu Boden. Seinerseits umklammerte der Magier nun seinen Geliebten. So sehr er etwas sagen wollte, sich verständlich machen, es ging nicht. Sein Hals war viel zu wund und zu rau dafür. Allerdings kletterte nun auch Tambren an Lucas Haar auf dessen Schulter. „Bist du denn völlig verblödet?!“, brüllte er seinen Herren an und trat ihm unsanft gegen das Ohr. „Du hättest dieses Mal sehr leicht sterben können! Das war doch, was Gregorius wollte, dich so zu verunsichern, dass du ohne Deckung einfach nur noch kämpfst. Das mit Ayco war doch sicher nur ein Spruch. Mit dem Anhänger von Lyeth kann er gar nichts gegen den Feuerkopf hier tun. Viel mehr droht dir Gefahr. Er hat einen Pakt mit dem Tod!“ Eine dunkle Woge von Grabeskälte strich an Luca vorüber, als der Fremde einige Schritte von den Überresten Geromes Abstand nahm. Dieses Mal zog Tam es vor sich so weit wie möglich zwischen Ayco und Luca zu verstecken. Der Priester machte ihm keine Angst im herkömmlichen Sinn. Allerdings führte er Tam und Luca ihre eigene Sterblichkeit vor Augen. Die Finger des jungen Elfs krallten sich schmerzhaft in Lucas Rücken und rissen ein weiteres Stück Haut auf, dass die Tentakel nur leicht verwundet hatten. Ayco spürte also diese Aura ebenso. Nachdenklich sah der Magier auf. Sein Blick hatte sich wieder geklärt und sein Verstand war dabei sich zu erholen, auch wenn er sich sehr sicher war, dass sein Körper noch lange nicht so weit war und er keinen Millimeter laufen konnte, schon weil ihn seine Beine einfach nicht tragen wollten. Aki stand aufrecht, Sjorn neben sich, der zwar aus unzähligen Wunden blutete, aber sich immer noch auf den Beinen hielt. Sie starrte aus brennenden Augen zu dem Fremden in den grauen Roben. Der Mann neigte sein Haupt tief vor ihr, sagte aber kein Wort. Für Mesalla hatte er nur geringschätzige Blicke. Er betrachtete unverhohlen neugierig Sisikazev und ihren Vater, der mit Ayco aus dem Labyrinth heraufgekommen war. Aki folgte seinem Blick. Auch sie erstarrte. Ein größeres, humanoides Wesen, war offenbar auch ihr noch nicht begegnet. Die silberne, weit nach vorne geneigte Ratte stand reglos da, auf seinen Stock gestützt und betrachtete die Szenerie aus wachen, klaren Augen. Luca hatte ihn als Kind Himmelsauge genannt. Bis heute glaubte der Magier, dass es für Nicodemus keinen passenderen Namen geben konnte. Sein Blick war wie der weite, ferne, freie Himmel, unbegrenzt und uralt, allerdings wunderschön. Die großen Augen leuchteten hellblau, und in ihnen spiegelte sich das Wissen und die Geschichte der Welt wieder. Wenige kannten das Alter dieses Geschöpfes. Aber er hatte Jahrtausende überdauert. Langsam schritt er durch das Portal in den Saal und neigte seinen Kopf vor Aki und Mesalla. „Prinz, deine Tage des Friedens werden bald zu Ende gehen“, mahnte er. Seine Stimme dröhnte dumpf und schwer wie ein Gewitter in den Hallen. „Valvermont wird den nächsten Krieg mitbestreiten.“ „Niemals, Nicodemus!“, beharrte Mesalla. „Ich will nicht parteiisch sein.“ Die Ratte senkte den Kopf etwas und legte seine Hand auf die Schulter seiner wesentlich kleineren Tochter. „Sieh dich vor, Mesalla. Du wirst schnell der Spielball der Götter. Und die meinen es nicht gut mit deinem stolzen Haus.“ Er deutete mit seinem Stock, der vormals ein junger Baum gewesen sein musste, auf das, was einst Gerome war. „Die Götter sind auf die Welt herabgestiegen, Mesalla. Sie werden deine schöne Stadt überrennen auf dem Weg zu ihrer Geburtsstätte. Gregorius ist einer der gefährlichsten, mein alter Freund. Er ist der Verrat, der Gott, der als dritter geschaffen wurde. Er ist Gott und Avatar, verschmolzen zu Beginn des Äons. Aki, Göttin des Todes, selbst am Rande der Sterblichkeit. Sie ist schön und kalt. Ihr traue nicht.“ Sjorn wollte einen Schritt auf Nicodemus zu machen, aber Aki hielt ihn mit einem Kopfschütteln zurück. „Nein!“, befahl sie hart. Der Troll fuhr zusammen. Sein verstörter Blick klärte sich auch nicht, als er in Akis Mimik nichts als neutrale Kälte las. „Ich muss an mein Reich denken, Nicodemus“, antwortete sie ruhig. „Einzig die Nordlande liegen mir am Herzen.“ Der Rattenkopf wendete sich schwerfällig in ihre Richtung. „Genau das wird dein Untergang sein, Königin der Nordreiche.“ Sie hob erstaunt eine Braue. „Ihr müsst euch lösen“, ergriff Tambren das Wort. Luca wusste, worauf Nicodemus anspielte, Tambren ebenso. Zur Zeit war der Drachling sein Sprachrohr, so lange ihm jede Möglichkeit fehlte mehr als ein heiseres Krächzen herauszubringen. „Lösen?“, fragte Sjorn verständnislos. „Was meinst du damit, Drachling... oder rede ich eher mit deinem Herren?“ „Mit uns beiden“, entgegnete Tam. „Luca ist zu erschöpft um zu reden.“ Scheinbar begriff auch Ayco sehr schnell den Zusammenhang zwischen den Worten von Nicodemus. „Ist doch klar“, sagte er und setzte sich neben Luca auf den Boden. „Wenn ihr eure Ämter als Könige, Prinzen, Edelleute, Berater - was auch immer – weiterführt, werdet ihr das Geschehen dieser Welt zugunsten eurer Reiche und eures Ruhmes vergessen. Aber nur die Welt als Gesamtheit ist lebensfähig. Wenn ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagt, macht ihr es solch durchtriebenen Monstern wie Gregorius sehr einfach, erst eure Reiche zu okkupieren und schließlich alle wichtigen Herrscher gegeneinander auszuspielen.“ Er neigte den Kopf und nagte nervös an seiner Unterlippe. „Allerdings weiß ich nicht, was er davon hat. Machtgier ist ja eine Sache, aber diese Welt lässt sich nicht durch einen Herrscher niederdrücken. Es wird immer Ausständige und Widerständler geben, gleich wo ein Tyrann alles überrennt.“ „Ist das der richtige Zeitpunkt, diese Diskussion zu führen?“, fragte Aki nun scharf und beantwortete sie auch sofort. „Dazu müsste man alle herrschenden Parteien zusammenbringen, an einen Tisch zwingen. Hier sind gerade mal ein recht unbedeutender Prinz und ich.“ Mesalla ignorierte die Spitze gegen sich. „Vielleicht hast du recht, Königin“, knurrte Nicodemus verärgert. „Vielleicht ist es aber auch nur Ausdruck deiner behäbigen Faulheit du deiner Angst um dein eisiges Stück Erde, dass auch du dir nur widerrechtlich erstritten hast!“ Sie erbleichte, aber Nicodemus ließ ihr gar nicht die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. „Valvermont, seine Heere, seine Magier und Priester, werden das verteidigen, was wirklich wichtig ist.“ Er drehte sich um und verließ den Raum. Schweigend sah Luca ihm nach und lauschte dem Geräusch, was der schwere, mehrere Ellen messende Rattenschwanz auf dem Boden verursachte. Er wusste, dass Nicodemus etwas sehr wichtiges angesprochen hatte. Aber Aki, gleich wie sehr er sie respektierte, war nicht bereit von ihrem Vorhaben abzulassen. Vielleicht hatte sie Erfolg, wenn sie um Frieden bei dem Kaiser bat. Vielleicht entbrannte ein neuer Krieg. Egal wie, er würde schrecklicher werden, als jeder andere zuvor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)