Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 2: Kein Sprücheklopfer (Bikeralarm) ------------------------------------------- „Weißt du, Abs, vielleicht solltest du Skunk ein bisschen mehr trainieren.“ Tarik wirft mir einen vielsagenden Blick zu. „Du weißt schon, was Trainer so machen.“ Er ist jetzt fünfzehn Jahre alt. Seitdem Wablu sich zu Altaria entwickelt hat, denkt er, er müsse mir irgendwelche Ratschläge geben. Ich räkele mich ein bisschen in der Sonne und lasse meinen Kopf zur Seite sacken. „Nah, zu heiß“, sage ich. Das Holz des Bootstegs ist angenehm warm unter meiner nackten Haut. Ich trage einen schwarzen Bikini, während ich mich sonne. Sku liegt dicht neben mir, gerade so weit von mir entfernt, dass ihr aufgeheiztes Fell mich nicht berührt. Sie seufzt leise im Schlaf. „Du hast echt keinen Ehrgeiz, oder?“, fragt Tarik und kommt zu mir rüber. Ich öffne die Augen und blinzele ihn unter meiner Sonnenbrille verschlafen an. „Nein, wieso?“ Er schüttelt den Kopf. „Du bist unglaublich, wirklich. Agnes hat dir Skunk nicht geschenkt, damit ihr zwei Faulpelze euch in die Sonne legt und den ganzen Tag schlaft.“ Ich stütze mich auf meine Ellenbogen und ziehe meine Sonnenbrille ein Stück runter, um ihm in die Augen sehen zu können. Die Wellen plätschern sanft gegen den Steg und das Ufer und über uns kreischen zwei Wingulls. „Wir sind müde“, verteidige ich uns. „Außerdem ist es meine Sache, was ich mit meinem Pokémon mache.“ „Wie du meinst.“ Er wendet sich ab und Altaria gleitet sanft neben ihm durch die Luft. Wenn sie ihre flauschigen Daunenflügel anlegt, sieht es fast so aus, als würde sie auf einer Wolke schweben. „Aber beschwer dich nicht bei mir, wenn du demnächst von einem Trainer herausgefordert wirst und ihm dein ganzes Geld geben musst.“ „Werde ich nicht, keine Sorge.“ Ich lege mich wieder hin. Tarik soll nicht so besserwisserisch tun. Sku und ich haben mehr trainiert, als er ahnt. Sku ist wie alle Pokémon ihrer Art nachtaktiv, tagsüber ist sie zu nicht viel zu gebrauchen. Seit ich herausgefunden habe, welchen Rhythmus sie hat, sind wir jede Nacht für ein oder zwei Stunden raus in die Wiesen außerhalb von Orania gegangen. Laut Pokédex ist Sku mittlerweile auf Level 27. Sie beherrscht die Attacken Schlitzer, Kreideschrei, Rauchwolke und Toxin und kommt mit allen wilden Pokémon in dieser Gegend sehr gut alleine klar. Aber das muss Tarik ja nicht wissen. Soll er doch denken, seine kleine Schwester wäre völlig hilflos. „Und du?“, frage ich unschuldig. „Schon irgendwelche Pläne?“ „Ich will Major Bob fragen, ob er mich trainieren kann.“ „Hah!“, pruste ich. „Du hast nicht mal ein Elektropokémon. Was willst du bei Major Bob?“ „Du hast ja keine Ahnung“, erwidert Tarik gereizt. „Agnes sagt, Arenaleiter und ihre Vorkämpfer haben Vorgaben, wie ihr Pokémonteam gestaltet sein muss. Wenn sie kein Passendes haben, wird ihnen eins gestellt.“ „Ach, und du glaubst, du gehst da einfach rein, lässt dir ein paar neue Pokémon geben und arbeitest dann da? Warum sollten die sich so viel Mühe machen? Es gibt nicht mal Aushänge, dass Bob neue Leute braucht.“ „Fragen kostet schließlich nichts“, sagt Tarik, aber er klingt unsicher. „Willst du nicht Pokémontrainer werden?“, frage ich. „Professionell. Mit Orden und so.“ Er zuckt die Achseln. „Vielleicht.“ „Ich wette, das könntest du“, ermutige ich ihn. „Rocko in Marmoria packst du doch schon locker und Misty dürfte auch kein Problem sein.“ „Schon, aber ich habe nur ein einziges Pokémon.“ „Mann, Riki, jetzt suhl dich nicht in Selbstmitleid.“ Ich nehme Schwung und richte mich in Sitzposition auf. Dann breite ich die Arme weit aus. „Da draußen wartet eine ganze Welt auf dich, mit hunderten von Pokémon! Allein vor deiner Haustür gibt es zwanzig verschiedene Arten. Geh zu Papa, lass dir ein paar Pokébälle geben und fang dir was!“ Ich grinse ihn an, aber Tarik wirkt nicht überzeugt. Altaria, anhänglich wie sie ist, schwebt vor ihm und er streichelt ihren langen blauen Hals. „Ich weiß nicht, Abs.“ „Was weißt du nicht?“ „Ob ich hier weg will.“ „Von zu Hause?“, frage ich ungläubig. „Früher sind Trainer schon mit zehn Jahren alleine losgezogen und das mit weit schlechter trainierten Pokémon. Wovor hast du bitte Angst?“ „Ach, keine Ahnung, das verstehst du nicht.“ Er schaut weg und ich schaue ihn nachdenklich an. Ich verstehe es wirklich nicht. Ich habe schon seit langem vor, an meinem fünfzehnten Geburtstag selbst los zu ziehen, egal wohin, egal wie. Jetzt sind es nur noch zwei Jahre. Umso mehr will ich Tarik auf seinen eigenen Weg bringen, bevor ich gehe. Es wäre schade um ihn, wenn er hier verrottet. Pokémon trainieren ist seine Leidenschaft, ich sehe es ihm jedes Mal an, wenn wir Agnes in Prismania besuchen und uns zu ihr in die Vorlesung setzen. Sie unterrichtet vieles, was wir wahrscheinlich nie wieder brauchen werden, aber immerhin haben sowohl Tarik als auch ich jetzt fundierte Kenntnisse in Teambuilding und damit verbunden dem Training von Pokémon. Vielleicht überwältigt ihn die ganze Theorie und er hat Angst, alles zu verbocken. Ich nehme das gelassener. Sku und ich haben uns auf Rettan, Taubsi und Rattfratz konzentriert, um Skus Angriff und Initiative zu trainieren, aber mir ist völlig egal, wie mein Team später Mal aussieht. Ich will schließlich keine professionelle Trainerin werden. Und mal ehrlich, niemand erwartet von einem Teenager ein perfektes Team. Meist dauert es drei oder vier Jahre, bevor Trainer stark genug sind, an der Pokémon Championship teilzunehmen und selbst dann ist ihr Training noch nicht beendet. Ich verstehe nur nicht, warum Tarik Angst davor hat, weg zu gehen. „Wenn du wirklich zu Bob willst, würde ich mir vorher immerhin einen Elektrotyp anschaffen“, schlage ich vor. „Frag doch Jack, ob er dir eins von seinen Voltilamm abgibt. Oder du kannst über Azuria zu dem Elektrokraftwerk gehen. Das ist weiter weg, aber dafür hättest du mehr Auswahl.“ Er macht ein undefinierbares Geräusch und ich stehe deprimiert auf. „Bei deiner Einstellung kriegt man ja eine Gänsehaut“, sage ich. „Weißt du eigentlich, dass Maya vorhat, nach Marmoria City zu gehen?“ „Was?“ Tarik sieht mich entsetzt an. „Sie ist doch erst vierzehn!“ „Sie will gehen, sobald sie alt genug ist, eine Ausbildung zu kriegen.“ „Was will sie denn in Marmoria?“ „Hallo? Mondberg? Fossilien?“ Ich schaue ihn ungläubig an. „Dann noch das Museum mit dem ganzen alten Zeugs drin und Rockos Steinarena. Das muss ihr wie ein Paradies vorkommen.“ „Mist.“ Tarik streichelt Altarias Wolkenflügel und sie belohnt ihn mit einem glücklichen Gurren. „Dann bleiben wohl nur wir zwei“, sagt er, aber ich weiß nicht, ob er mich oder Altaria meint. Ich sage nichts, sondern stehe auf. Während ich Sku wachkraule, schaue ich Tarik ernst an. „Denk drüber nach“, sage ich. „Wenn du hier bleiben willst, solltest du dir ein paar Elektropokémon zulegen, sonst kommst du da nie rein.“ Er nickt. „Vielleicht hast du Recht.“ „Riki, ich habe immer Recht, finde dich damit ab“, sage ich grinsend. Sku öffnet träge ein Auge und schaut mich flehend an. „Oh nein, du läufst, Sku. Du hast zugenommen und es ist heiß, glaub nicht, dass ich dich auf meine Rücken packe und durch die Gegend kutschiere.“ Sku seufzt auf ihre Stinktierart, dann erhebt sie sich langsam und wankt ein bisschen, bevor sie sich fängt und ein paar Schritte macht. Tarik beäugt sie fassungslos. „Weißt du, ich kann nicht verstehen, wie du mit ihr klar kommst. Du warst früher immer so aktiv und wolltest nichts mit Faulpelzen zu tun haben und jetzt sieh dich an. Sie hat auf dich abgefärbt, ihr schlaft beide den ganzen Tag.“ „Du kennst unsere Nächte nicht“, kontere ich und winke ihm, während Sku und ich den Steg verlassen und zurück Richtung Stadtzentrum gehen. Die Sonne hat mich ausgetrocknet und mir ist furchtbar warm. Vielleicht können wir in dem See beim Untergrundtunnel schwimmen gehen. Bei dem Gedanken an das kühle Nass wird mein Gang noch ein wenig beschwingter. Obwohl es so heißt ist, ist der Platz vor dem Stadttor so überfüllt, dass ich kaum durchkomme. Ich quetsche mich zwischen den Erwachsenen durch und weil ich noch so klein bin, kann ich mich mehr oder weniger unbehelligt vordrängeln. Vorne angekommen sehe ich, was den Aufruhr verursacht hat. Vor dem Stadtausgang steht eine Bikergang. Ich weiß, dass es zwischen Lavandia und Saffronia viele Biker gibt und natürlich auf dem Radweg runter nach Fuchsania City, aber nach Orania kommen sie eigentlich nie. Es sind drei junge Männer, einer groß und fett mit Glatze, die anderen beiden schmaler, mit Lederklamotten trotz des Wetters und hochgestyltem, buntem Haar. Vor ihnen steht ein einzelner Trainer, ein Junge, vielleicht so alt wie Tarik, mit einem roten Lockenkopf. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber seine geballten Fäuste zittern. Sein Pokémon, ein Knilz, liegt halb besiegt auf dem Boden. Es rappelt sich mühsam mit seinen kurzen Ärmchen auf, aber ich sehe mit einem Blick, dass es keine Chance hat. Seine Gegner sind zwei Sleima, wahrscheinlich die Pokémon der beiden dünnen Biker, denn der Große lehnt gelangweilt an seinem Motorrad und gähnt ab und zu demonstrativ. „Los, Penny, du schaffst das!“, ruft der Junge und Penny antwortet mit einem schwachen Fiepen. Ich gucke mich um, aber ich kenne die meisten Leute, die hier rumstehen. Niemand von ihnen ist ein Trainer. Zumindest kein besonders guter. In Orania hat fast jeder ein Pokémon, aber die wenigsten haben je mit ihnen gekämpft. Es ist ein Jugendsport, sagen sie, obwohl das natürlich Quatsch ist. Es gibt viele tolle erwachsene Trainer. „Bereit für ein bisschen Action?“, frage ich Sku und sie schaut mich mit ihren schwarzen Knopfaugen an. Ich kann vielleicht nicht mit ihr reden, aber über die letzten drei Jahre sind wir einander so nah gekommen, dass ich ihre Mimik wie ein offenes Buch lesen kann. Ich hab zwar überhaupt keine Lust, aber du kannst auf mich zählen. Sie plustert sich auf und ihr ohnehin schon dicker Körper wird grotesk groß, dann läuft sie los und stellt sich wie ein Schutzschild vor das Knilz. „Hilfe gefällig?“, frage ich den Jungen. Seine runde Brille ist ihm die Nase runtergerutscht, aber als er mich sieht, schiebt er sie schnell wieder hoch. „Wer bist du?“, fragt er, aber da greifen die Sleima schon an. „Sku, Rauchwolke!“, rufe ich und Sku stemmt sich auf ihre kurzen Vorderbeine und speit eine große, schwarze Wolke aus ihrem Maul. Innerhalb von Sekunden kann ich meine Hand nicht mehr vor Augen sehen. Die Biker husten und fluchen und ich höre etwas, das verdächtig nach gegen die Regeln klingt. „Na komm, die Wolke hält nicht ewig“, sage ich. „Penny, Megasauger!“, ruft der Junge und in dem Rauch sehe ich eine Bewegung und ein grünes Licht. „Hat dein Knilz eine physische Attacke?“, frage ich hektisch, weil der Rauch sich langsam verteilt und die Schemen unserer Gegner wieder sichtbar werden. „Ja, aber warum-“ „Greif damit an, sobald ich dran war“, unterbreche ich ihn. „Sleima, Lehmschelle!“ Ich fluche und klappere alles, was ich je bei Agnes gelernt habe, in meinem Kopf ab. Boden ist effektiv gegen Gift, aber nicht gegen Pflanze, Sleima hat einen geringen Spezialangriff, kein Stabeffekt… Die Lehmschelle durchbricht die zarten Überreste von Skus Rauchbombe und erwischt sie mit voller Wucht. Der Besitzer des anderen Sleimas flucht. „Warum greifst du das Stinktier an, du Idiot?“ „Boden ist gegen Gift effektiv und ich will nicht noch so `ne Rauchwolke abkriegen!“, schreit der andere. „Das Knilz ist doch schon fast hinüber, warum greifst du das nicht an!“ Ich werfe einen kurzen Blick zu Sku. Sie ist auf einem höheren Level und der geringe Spezialangriff von Sleima hat die Supereffektivität ausgeglichen. Knilz hängt schon ziemlich in den Seilen, aber es wird noch eine Runde durchhalten. Hoffe ich. „Mist. Dann halt erst das Stinktier“, murrt der andere. „Lehmschelle, Sleima! Schalte es aus!“ „Sku, ausweichen, Konter mit Kreideschrei“, rufe ich und Sku lässt ein zustimmendes Grunzen hören. Trotz ihrer Masse weicht sie dem Bodenangriff mühelos aus. Dann schreit sie. Der Ton ist so hoch, so unerträglich, dass ich glaube, mein Trommelfell müsse jeden Moment platzen. „Jetzt!“, zische ich und der Junge nickt. „Knilz, Kopfnuss auf das linke Sleima.“ Knilz rafft sich auf und rennt los, gewinnt an Geschwindigkeit und rammt mit voller Wucht in das sich noch immer windende Sleima hinein. Es wird nach hinten geschleudert und landet mit einem lauten Platsch auf der Straße vor den Füßen seines Trainers. Der Biker bleckt die Zähne und ruft es zurück. „Mach sie fertig“, befiehlt er seinem Freund, der jetzt gar nicht mehr so selbstsicher aussieht wie noch vor einer Minute. An dieses Gefühl könnte ich mich gewöhnen. „Sleima, Schlammbombe! Gib alles, was du hast!“ „Ausweichen!“, schreie ich noch, aber Sku schafft es nicht mehr und wird von dem Schlammball in die Seite getroffen. Der Impakt wirbelt sie durch die Luft und als sie wieder auf dem Boden landet, schlittert sie ein paar Meter an mir vorbei und bleibt regungslos liegen. Ich sehe noch, wie Sleima sich windet und sein violetter Schleimkörper zu zittern beginnt, da nimmt Knilz schon Anlauf. „Kopfnuss“, schreit der Junge, die Augen zugekniffen, als wolle er den Ausgang des Kampfes gar nicht sehen. Ich will zu Sku laufen, aber der Anblick von Pennys Angriff hält mich davon ab. Sie beugt ihren runden Kopf nach vorne und prallt mit dem Sleima zusammen. Beide taumeln zu Boden und für einen Moment herrscht absolute Stille. Dann steht Knilz auf. Es sieht absolut erledigt aus, aber es steht. Sleima bleibt besiegt liegen. Ich nutze die Gelegenheit und renne zu Sku, die mich schwach anblinzelt. Sie ist wieder bei Bewusstsein, aber in keiner Verfassung zum Kämpfen. Obwohl sie mindestens zwanzig Kilo wiegt, wuchte ich sie hoch und lege sie mir über die Schultern. Ihr Gewicht drückt mich runter, aber es ist mir egal. Als ich mich wieder umdrehe, stockt mir der Atem. Knilz leuchtet. Sein Körper ist in ein silbernes Licht gehüllt und beginnt, sich langsam zu verändern. Der Körper streckt sich, der Kopf definiert sich und ihm wächst ein Schwanz. Dann fällt das Licht in glitzrigen Schuppen zu Boden, die dort verschwinden wie Schneeflocken, wenn sie auf der Handfläche liegen und wegschmelzen. Aus Penny dem Knilz ist ein Kapilz geworden. Ich gehe zu dem Jungen hinüber, der sein Pokémon erstaunt ansieht. „Was, noch nie eine Entwicklung gesehen?“, frage ich, obwohl ich bisher auch erst bei Wablus dabei war. „Penny?“, fragt er vorsichtig. Kapilz dreht sich zu ihm um. Dann wimmert es und läuft mit seinen kräftigen Beinen auf den Jungen zu, während seine roten Krallen laut über den Boden klackern. Sie springt auf ihn zu und umarmt ihn stürmisch um die Taille. Dem Jungen steigen Tränen in die Augen, aber er wischt sie hastig weg. Dann dreht er sich zu mir. „Ich kann dir gar nicht genug danken…“ Er stockt und sieht mich hilflos an. Er hat ein kindliches Gesicht. Von vorne sieht er nicht mehr so alt wie Tarik aus, aber er ist mindestens so groß wie mein Bruder, wenn nicht größer. Er trägt knielange Wandershorts und ein graues T-Shirt mit einem Pokéball drauf. „Abbygail. Nenn mich Abby.“ „Vielen, vielen Dank, Abby.“ Er lächelt mich ungelenk an. „Kann ich dich auf ein Eis einladen?“ „Zu Eis sage ich nie nein“, sage ich grinsend. „Aber vorher sollten wir im Pokécenter vorbeischauen.“ „Selbstverständlich. Ich heiße Raphael.“ „Freut mich, dich kennen zu lernen. Auch wenn die Umstände sehr lebhaft waren.“ Wie auf ein unsichtbares Zeichen schauen wir zu den drei Bikern, die bereits auf ihren Motorrädern sitzen. Der Große sieht besonders wütend aus. „Habt ihr nicht was vergessen?“, schreie ich ihnen nach. Raphael schaut mich entsetzt an. „Ich bin froh, wenn die weg sind, lass sie einfach gehen.“ Einer der beiden Besiegten spuckt in unsere Richtung, dann wirft er eine Handvoll Münzen auf den Boden. Sein Freund tut es ihm nach. Dann düsen sie mit viel Motorenlärm davon. Ich helfe Raphael dabei, das Geld einzusammeln, dann teilen wir es untereinander auf. „Nicht so viel, wie sie uns eigentlich schulden, aber immerhin. Damit wäre unser Eis dann wohl finanziert“, sage ich. „Komm, Sku wird langsam schwer.“   Das Pokécenter ist nur eine Minute von unserem Kampfplatz entfernt und nachdem die Biker weg sind, verlaufen sich auch die Schaulustigen und gehen wieder ihren eigenen Beschäftigungen nach. Als wir in das klimatisierte Pokécenter kommen, wird mir plötzlich bewusst, dass ich immer noch im Bikini bin. Aber da wir bald wieder raus gehen werden, ignoriere ich den kalten Luftzug an meiner verschwitzten Haut vorerst. Außerdem spendet Sku unbewusst jede Menge Wärme. Schwester Joy lächelt uns an, als wir näher kommen. „Hattet ihr einen harten Kampf?“, fragt sie freundlich. Ich hebe Sku ächzend von meinen Schultern und lege sie auf die Theke, wo Joy ihre Wunden untersucht und ihre Gliedmaßen abtastet. Schließlich nickt sie zufrieden. „Nichts Schlimmes“, sagt sie. „Ruf sie in ihren Pokéball zurück, dann kann ich sie an die Maschine anschließen. Danach muss sie sich nur noch etwas ausruhen.“ „Das kann sie gut“, sage ich. Ich krame ihren Pokéball hervor und rufe sie zurück, dann reiche ich Joy den Ball. Sie legt ihn in eine dieser Maschinen, die es in Pokécentern gibt, er leuchtet ein paar Mal und dann gibt es ein klingendes Geräusch. Schwester Joy nimmt Skus Ball wieder heraus und reicht ihn mir lächelnd. Dann verfährt sie gleichermaßen mit Penny. Als auch Raphael sein Pokémon wieder hat, winkt sie zum Abschied. „Kommt jederzeit wieder vorbei.“ „Werden wir“, verabschiede ich mich, ebenfalls winkend, dann verlassen wir das Pokécenter. „Also, was machst du so?“, frage ich Raphael, während wir zusammen zum nächsten Café schlendern. Innerhalb von Sekunden bin ich wieder aufgewärmt. „Ich will Major Bob herausfordern. Aber ich habe wohl doch noch einiges an Training vor mir, wie es scheint.“ Er zieht eine Grimasse. „Ach was, wir haben sie doch besiegt“, meine ich gut gelaunt. „Ich hätte verloren, wenn du nicht gekommen wärst.“ Raphael wirft mir einen vielsagenden Blick zu. „Ich habe schon ausgerechnet, wie viel Geld ich ihnen schulde, als du kamst.“ „Ich hab dich nur ein bisschen unterstützt, das ist alles. Den größten Teil hast du erledigt.“ „Danke trotzdem, Abby. Wirklich. Dein Pokémon hat es echt drauf.“ Ich kratze mich verlegen hinterm Ohr. „Du bist also professioneller Pokémontrainer?“ frage ich. „Wie viele Orden hast du denn schon?“ „Zwei, bisher.“ Er holt ein Etui aus seiner Umschnalltasche und zeigt sie mir. „Und du?“ „Keine. Ich wohne nur hier. Da unten.“ Ich zeige ihm unser Haus. „Schöne Lage.“ „Kannst du laut sagen.“ Wir erreichen das Café und setzen uns draußen an einen der wenigen freien Tische. Wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die der Hitze mit etwas Eis entgegenwirken wollen. Ich bestelle einen Fragiabecher und Raphael zwei Bällchen Honmeleis mit viel Sahne und Schokosoße. Eine Weile genießen wir das Eis in Stille, nur das Schwappen der Wellen, das Kreischen eines einsamen Wingulls  und die Gespräche um uns herum sind zu hören. „Was willst du denn später machen?“, fragt Raphael, nachdem sein Eis zur Hälfte aufgegessen ist. „Dies und das“, antworte ich vage. „Reisen. Jobben. Menschen kennen lernen. Pokémon fangen. Irgendwas mit Medien. Am liebsten Reporterin oder sowas.“ „Keine Orden sammeln?“, hakt er nach. „Kein Bester-Trainer-aller-Zeiten-Sprücheklopfer werden?“ Ich lache lauter als angemessen und die Leute schauen sich zu uns um. „Nein, das hatte ich nicht vor“, presse ich zwischen zwei Atemzügen hervor und halte mir die Seiten. „Hört sich gut an“, sagt Raphael. „Einfach Reisen, sehen wo man landet. Kein Stress, keine Konkurrenz… Wenn ich Urlaub vom Sprücheklopfen habe, probiere ich das mal aus.“ „Und? Willst du der beste Trainer aller Zeiten werden?“, frage ich, neugierig geworden. „Naja, cool wäre das schon, aber ich glaub eigentlich nicht wirklich, dass ich das schaffe.“ Er schaut mich verlegen an. „Für´s erste versuche ich, alle Orden zu sammeln und dann an der Pokémon Championship teilzunehmen. Wenn ich es in die Top Zwei schaffe, können wir weiterreden.“ Ich nicke. Seit der Trainerandrang so groß geworden ist, kann sich die Liga nicht mehr von jedem Trainer mit acht Orden herausfordern lassen. Deshalb haben sie die Championship eingeführt, in der die Teilnehmer in Duellen gegeneinander kämpfen, bevor sie die Top Vier herausfordern dürfen. Erst werden sie in Vierergruppen aufgeteilt, dann muss jeder gegen jeden in seiner Gruppe kämpfen. Diese Kämpfe werden nur teilweise live ausgestrahlt, weil sie parallel ablaufen. Meist beschränken sich die Reporter auf die Favoriten oder besonders spannende oder gerade endende Kämpfe. Auch bei seltenen Pokémon steigen die Einschaltquoten oft. „Ist es inzwischen wirklich so, dass Trainer Zusatzpunkte bekommen, wenn sie mehr als vier Pokémon übrig haben?“, frage ich interessiert. Im Frühjahr gab es die ersten Gerüchte über diese Regeländerung. „Ich glaube schon. Bei vier oder mehr Pokémon erhält der Trainer zwei Punkte, bei allen sechs sogar drei. Sie wollen erreichen, dass die Punktunterschiede größer werden. Und den Trainern mehr Anreiz bieten, ihre Pokémon sorgsam einzusetzen.“ „Stimmt, sowas haben sie gestern bei PCN erwähnt“, sage ich nachdenklich. Sein Gesicht hellt sich auf. „Hast du auch die Reportage gesehen, die danach kam?“, fragt er aufgeregt. „Nein, ich musste beim Abwasch helfen.“ Ich verziehe bei der Erinnerung das Gesicht. Mama versteht einfach nicht, wo meine Prioritäten liegen. „Was lief denn?“ „PCN hat einen Bericht über Team Rocket gebracht. Anscheinend sollen ein paar Mitglieder wieder irgendwo auf den Eilanden gesichtet worden sein. Die hatten da doch mal so eine geheime Basis.“ „Echt?“, frage ich. „Das wusste ich gar nicht.“ Ich stecke mir noch einen Löffel Eiscreme in den Mund und lutsche daran herum, während ich Raphaels Auführungen aufmerksam lausche. „Einige Leute glauben, Team Rocket wird wieder auferstehen. Nachdem sie zweimal in die Knie gezwungen wurden, warum sollten sie sich nicht wieder aufrappeln? Einmal haben sie das bereits geschafft.“ „Stimmt, aber Gold hat sie doch erledigt, oder?“ Die Story bringen sie meistens gleich nach den Red Reportagen. Die beiden Legenden… Mir wird ganz warm ums Herz. Wer kann sich schon mit diesen Giganten messen? „Naja, jedenfalls sagen das viele“, fährt Raphael fort. „Sie meinen, man hätte damals nicht aufhören sollen, Team Rocket zu jagen, nur weil sie verschwunden sind. Also, wenn demnächst wieder irgendwo welche rumlaufen, weißt du, was zu tun ist.“ Ich imitiere die Stimme eines Reporters und halte mir den Löffel wie ein Mikrofon an den Mund. „Heute, Exklusiv-Interview mit einem Mitglied von Team Rocket. Stimmt es, dass ihre Organisation zurück ist? Was sind ihre Pläne für die Zukunft?“ Jetzt ist es an Raphael, sich den Bauch zu halten. „Bitte“, röchelt er. „Bitte werde Reporterin. Ich wäre dein größter Fan.“ Am Ende des Satzes steigt seine Stimme ungefähr eine Oktave, bevor sie wieder in unkontrolliertes Lachen umschlägt. Jetzt kann ich auch nicht mehr an mich halten und einige Minuten lang lachen wir uns beide schlapp. Außer Atem und völlig erschöpft lassen wir uns in unsere Stühle rutschen. „Mein Eis ist geschmolzen“, stelle ich fest und Raphael nickt. Wir schlürfen die Reste aus dem Becher, dann stehen wir auf. „War nett dich kennen zu lernen“, sage ich und reiche ihm meine Hand. Er schüttelt sie. „Es war super.“ „Wenn du morgen Zeit hast, komm doch zum Essen vorbei. Mama kocht eh für fünf, da macht einer mehr auch keinen Unterschied mehr.“ Hoffe ich. „Gerne. Ich geh dann mal weiter trainieren.“ Er dreht sich schon um, da fällt mir etwas ein. „Hey, warte!“ Ich halte ihn fest. „Du hast nur Kapilz, oder?“ Er nickt. „Dann zeige ich dir morgen nach dem Essen etwas.“ Er schaut mich überrascht an, grinst dann aber. „Ich bin gespannt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)