Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 42: Nicht die ganze Wahrheit (Weiße Federn) --------------------------------------------------- „Warum hat Dario ihn nicht angegriffen?“, frage ich spät abends Sku, die neben mir auf einem Kopfkissen liegt und leise schnurrt. Ihre Augen sind halb geschlossen und betrachten mich aus den Tiefen ihres beige-violetten Fells. Raphael hat mich gekonnt abgewimmelt und so lange mit Berichten von dem Interview und Abendessen abgelenkt, bis ich ihn in Ruhe ließ. „Er hat den anderen Rocket angegriffen, obwohl er viel weiter weg war und nicht direkt neben mir stand“, fahre ich fort. „Und später, als er über den Boden geschnüffelt hat, ist er dem Geruch nicht nach draußen gefolgt. Als würde er ihn nicht als Bedrohung wahrnehmen.“ Sku öffnet den Mund und fast glaube ich, sie würde mir antworten, doch stattdessen rollt sie ihre pinke Zunge aus und gähnt mir herzhaft und mit grausamen Mundgeruch ins Gesicht. Seufzend lasse ich meinen Kopf nach hinten sacken und starre an die Decke. Zach hat mich vor einer gefährlichen Nacht gewarnt. Vielleicht auch vor Team Rocket? Wusste er vielleicht sogar, dass uns eines der Mitglieder bekannt sein würde? Verdammt, mir fehlen die Details! Männlich, mit einem hellen Flugpokémon. Ich rattere alle mir bekannten Flugpokémon in meinem Kopf ab und, als das nicht reicht, ziehe ich meinen Pokédex aus dem Rucksack neben meinem Bett und durchsuche die Datenbanken, bis meine Augen von dem leuchtenden Bildschirm brennen und tränen. Es kommen nur eine Handvoll Pokémon in Frage: Panzaeron, Togekiss und Swaroness. Pelipper und Wingull sind auch weiß, aber ich bin ziemlich sicher, dass das betreffende Pokémon größer war. Richard besitzt ein Togekiss, aber er war bei dem Interview und die Wiederholungen auf PCN belegen, dass er nicht einfach verschwunden ist. Und was die anderen beiden Pokémon angeht, so grenzen sie meine Suche nicht unbedingt ein. Wütend lege ich den Pokédex auf den Nachttisch und drehe mich zu Sku um, die tiefenentspannt schnurrt und eine Pfote nach mir ausstreckt, die ich behutsam nehme. Morgen werde ich mich nicht abwimmeln lassen.   Der 1. Oktober bricht mit rollendem Donner und gleißenden Blitzen an. „Scheiß Wetter…“, murmelt Gen, die sich mit Richard in unserer Suite zum Frühstück eingefunden hat. Ihr silbernes Haar sitzt in einem losen Dutt auf ihrem Kopf auf, einzelne Strähnen stehen in alle Richtungen ab und außer einem türkisenen Bademantel ist sie unbekleidet. Raphael hat sie wie immer aus dem Bett gescheucht, zu Richys großer Belustigung, der mit einem unverschämten Grinsen im Gesicht immer wieder zu ihr hinüber schielt. „Die Nachrichten haben von einem sonnigen Turnier geredet“, stimme ich missmutig zu. Die ersten Kämpfe werden um 14:00 Uhr ausgetragen und bisher sprechen die violetten Wolken nicht von einem schnellen Aufklaren des Himmels. „Die Eröffnungszeremonie können sie knicken.“ Richy beißt in einen Apfel. „Hätten Misty und ihre Schwimmerinnen organisieren sollen. Denen wäre das Wetter recht.“ „Du willst nur Mädels in Bikinis sehen“, spottet Gen, die Augen halb geschlossen. Als Raphael sie anstupst, wirft sie ihm einen wütenden Blick zu. „Ich schlaf schon nicht, Mister Frühaufsteher. Ich ruhe nur meine Augen aus.“ „Natürlich.“ „Wird Zach auftauchen?“, frage ich an Raphael gewandt. Wenn er von Mel und Teal wusste, kann er mir bestimmt Antworten zu dem entkommenen Team Rocket Mitglied geben. Außerdem möchte ich sein Gesicht gerne einmal bei Tageslicht sehen, um es mit Carolines Zügen zu vergleichen. Dass die Beiden Bruder und Schwester sind, kommt mir immer noch sehr unwirklich vor. Es ist Richard, der antwortet. „Hast ihn hier gesehen, oder nicht? Er wird kaum für ´ne Prophezeiung eingeflogen sein.“ „Es hat keinen Sinn, darüber zu spekulieren“, sagt Raphael und schaut aus dem Fenster. Dicke Regentropfen strömen in kleinen Bächen die Glasscheibe herab und der Himmel leuchtet grell auf. „Wenn er auftaucht, dann unangekündigt.“   Unangekündigt ist das richtige Wort. Wir haben kaum in der VIP-Launch des Stadions Platz genommen, da steht er plötzlich mit verschränkten Armen hinter uns im Eingang. Ruth zuckt zusammen, ich atme erschrocken ein und die anderen VIP-Gäste, Ruths Eltern unter ihnen, stoßen kurze Schreie oder ein geschocktes Kreischen aus. Nur Richard bleibt völlig unberührt. Mit seinem charakteristischen Grinsen geht er auf Zach zu und greift zur Begrüßung seinen Unterarm. „Hast Abby ´nen ganz schönen Schrecken eingejagt, Kumpel.“ „Wirklich?“ Zach dreht sich zu mir um. „Das tut mir leid.“ „Kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?“, fragt Richy und zieht Zach mit sich nach draußen, noch bevor der zu einer Antwort ansetzen kann. Die beiden verschwinden hinter einer Abbiegung. „Die sind ja richtig dicke“, meint Ruth unbeeindruckt. Genevieve zuckt die Achseln. „Richy hat ihn zu seinem persönlichen Rivalen erklärt“, sagt sie, ein amüsierter Unterton in ihrer Stimme. „Was Zachy davon hält, werden wir wohl nie erfahren.“ „Dafür, dass du von niemanden Vivi genannt werden willst, gehst du sehr großzügig mit anderer Leute Spitznamen um“, sagt Raphael spöttisch. Gen zuckt sie Achseln. „Er sollte dankbar sein. Ich bin immerhin die Meisterin der Kosenamen.“ „Sicher.“ „Warum das?“, frage ich. Die Duelle haben noch nicht begonnen und außer der Wiederholung der gestrigen Losung und Trainerzusammenschnitte läuft nichts Interessantes auf den gigantischen Bildschirmen. Raphael antwortet, bevor Gen zu Wort kommt. „Der Namenbewerter hat ihre Spitznamen in den Himmel gelobt, um ihr Geld abzuzocken und jetzt bildet sie sich etwas darauf ein.“ „Ich brauche keinen Namenbewerter, um mir zu sagen, dass meine Pokémon die besten Spitznamen der Region haben.“ Ich muss an den Wahrsager und Namenbewerter in Dukatia City denken, der unter der Tarnung seines Geschäfts als Carolines Untergrundinformant gearbeitet hat. Ob Gen ihn gefragt hat? „Weil X auch so ein guter Spitzname ist.“ Raphael grinst breit. „Da hat Abbys Mutter ja bessere Ideen parat.“ „X? Wie Gold?“, frage ich überrascht. „Mein X war zuerst da.“ „Und was für ein Pokémon ist X nun? Gott…“ Ruth schlägt die Beine übereinander, verschränkt die Arme und rutscht in ihren Sitz hinein. „Unnützes Gelaber…“ Gen streckt ihr die Zunge heraus. „Das ist ein Geheimnis. Aber ich kann dir die Namen verraten.“ Sie zwinkert Ruth verschwörerisch zu, doch die stöhnt nur. „Bring es hinter dich.“ „Zero, X, Alpha, Vee, Delta und Cross.“ „Hurra.“ „Glanzleistung, Gen. Wahrlich eine Offenbarung.“ „Gibt sie mit ihren Namen an?“, fragt Richard grinsend, der mit Zach im Schlepptau hinter uns auftaucht. „Ich finde die ehrlich gesagt ziemlich cool“, gebe ich an Genevieve gewandt hinzu. „Besser als manch andere hier.“ Ich sehe betont zu Ruth, die wütend aufschaut. „Und was habt ihr da draußen so Geheimes besprochen?“, fragt Gen. Mir entgeht der kurze Blick zwischen Richy und Raphael nicht. „Hab ihm meine Liebe gestanden, Vivi.“ Sie verzieht das Gesicht. „Geez, sag´s mir halt nicht.“ Und so bleibt eine berechtigte Frage unbeantwortet. Zach geht an Richy vorbei und stellt sich ans Geländer. Eins der anwesenden Kinder, ein Junge meines Alters, der mit seinen Eltern hier ist, schaut sehnsüchtig zu ihm hinüber, ein Foto in den Händen, aber Zachs Blick ist in die Ferne gerichtet, sein schwarzes Haar weht um sein makelloses Gesicht und ein schwarzer Schal verbirgt seinen Mund und einen Teil seiner Nase. Mit seinen Skinny-Jeans sieht er ziemlich emo aus, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Der Junge lässt entmutigt den Kopf hängen und schaut zu Boden. „Es geht los“, verkündet Genevieve aufgeregt und stellt sich zu Raphael an die Rehling. Die Gruppenkämpfe stellen sich als einziger Wirrwarr von Kommandoschreien, Kreischen, Stampfen, Zischen und allen anderen Geräuschen heraus, die während eines heißen Pokémonkampfes entstehen könnten. Kamerateams weichen Felsbrocken aus, Getränke werden verschüttet, als Erdbebenausläufer die vordersten Zuschauerreihen durchrütteln und Regenwolken duellieren sich mit Sandstürmen und Blizzards, die mir eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagen. Die VIP-Launch ist vor den meisten der Attacken geschützt, aber die Wetteränderungen erleben wir trotzdem an eigenem Leib. Oohs und Aahs werden laut, wann immer einer der Trainer einen besonders strategischen Trick aus dem Ärmel zieht und seltene oder andersfarbige Pokémon tauchen auf den Bildschirmen auf, um dort in Übergröße durch die Luft zu fliegen oder ihren Gegner zu attackieren. Trotz aller Verwirrung wächst die Gruppenliste, deren Mitglieder bepunktet und innerhalb aller Teilnehmer gerankt werden. „Drei auf Mark“, sagt Raphael. „Drei dagegen.“ Genevieves Wangen glühen, als sie in seine Hand einschlägt. Ich lehne mich etwas mehr auf die Rehling, um meinen Rücken zu entlasten. Sku, die ich nach etwa einer Stunde rausgelassen habe, sitzt bequem auf meinen Schultern, die Pfoten fein säuberlich über meine Stirn gefaltet und kitzelt mit ihrem Schweif meine Nase. Immer wieder werfe ich Blicke zu Zach, der neben Richard in der Ecke der Box steht und sich leise mit ihm unterhält. Je mehr Zeit ich mit den Vieren verbringe, umso deutlicher werden die Allianzen. Genevieve und Raphael gegen Zach und Richard. Bei dem Gedanken an einen Doppelkampf zwischen den Favoriten wird mir ganz warm ums Herz. Den Vorschlag muss ich Alfred unbedingt machen. „Könntest du dir das vorstellen?“ Ich drehe erschrocken den Kopf. Ruth schaut mich nicht an, aber es war ihre Stimme. „Was?“ „Protrainer zu sein“, sagt sie, so leise, dass ich sie kaum über den Lärm der Kämpfe und Alfreds Moderation verstehen kann. „Nicht wirklich“, gebe ich nach einer kurzen Überlegung zu. „Ich bin nicht so der Trainierfreund.“ „Dafür ist dein Skuntank aber ziemlich stark“, erwidert Ruth schnippisch und schielt zu Sku hinauf, die sie angähnt. Ruth verzieht angewidert das Gesicht. Sie hat Sku den erniedrigenden Sieg gegen ihre Pokémon wohl nicht ganz verziehen. „Ich hatte Sku, seit ich acht war“, kontere ich. „Ich hatte nichts Besseres zu tun, da kommen schon ein paar Level zusammen.“ „Wo kommst du überhaupt her?“, fragt Ruth. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, aber das sieht sie nicht. Warum kommt es mir so vor, als wäre Ruth plötzlich ganz… normal? „Kanto. Orania City. Ich bin an meinem fünfzehnten Geburtstag von zu Hause ausgerissen, hab ein Ticket geklaut und bin nach Johto gefahren.“ Ruth schnaubt. „Wenn es so einfach wäre…“ „Willst du Protrainer sein?“ Sie zuckt die Achseln. „Werde ich niemals können, also ist es egal.“ Falsche Frage. Ich spüre, wie ihre Mauern sich wieder aufbauen. „Im Gegensatz zu anderen hier Anwesenden habe ich Verpflichtungen.“ „Jaja…“ Wir wenden uns wieder den Kämpfen zu, aber der traurige Ausdruck in Ruths Augen entgeht mir nicht. Sie kann sagen was sie will. Sie will da unten stehen.   „Gyaaaaahhhh…“ Genevieve streckt sich, als wir auf dem Weg zurück zum Hotel sind. „War das ein Tag. Ey, Richy, redest du auch nochmal mit uns oder ziehst du bei Zach ein?“ „Zach schläft in ´nem Zelt, Gen.“ „Flitterwochen in der freien Natur, klingt wundervoll. Warum war ich nicht zur Hochzeit eingeladen?“ „Was, neidisch?“ Er grinst sie wölfisch an. „Willst du auch was von diesem Götterkörper?“ Gen leckt sich neckend über die Lippen, Raphael lacht laut, Zach verzieht keine Miene und ich werde knallrot. Ruth schaut mich amüsiert an. „Soweit bist du dann wohl noch nicht mit deinem Lover gekommen, was?“ „Wir sind nicht-“ Ich stocke. Sind wir? Ruth sieht mich mitleidig an, dann fällt sie zurück zu ihrer Familie, die mit etwas Abstand hinter uns läuft. Ein wehleidiges Brummen hinter mir erweckt meine Aufmerksamkeit. Trotz der Uhrzeit ist es immer noch sehr hell und Sku läuft mit Schwanz über den Augen in meinem Schatten. Als sie meine Aufmerksamkeit bemerkt, lässt sie sich platt auf den Rücken fallen. Genevieve grinst mich frech an, belässt es aber dabei. Ich rufe Sku zurück, schicke Hunter für einen kleinen Nachmittagsflug los und halte dann abwägend Gotts Pokéball in meiner Hand. Er ist für große Menschenmassen nicht geeignet, aber wenn ich mit ihm reisen und kämpfen möchte, wird er sich damit anfreunden müssen. Rotes Licht explodiert aus meiner Hand und Gott setzt sich zur Begrüßung auf seine Hinterbeine. Ich kraule seinen Kopf. „Mach kein Theater, ja?“, flüstere ich ihm zu, bevor ich den anderen nachlaufe.   „Kann ich dich kurz sprechen?“ Zach dreht sich zu mir um. Seine blauen Augen ruhen auf mir und ich schlucke schwer. Mysteriös und ungesprächig mag er sein, aber verdammt nochmal, er sieht umwerfend aus. „Es geht um vorgestern Nacht“, erkläre ich. Er nickt und lehnt sich an die Hotelfassade. Hier trennen sich unsere Wege, Richy meinte ja, er habe ein Zelt. Kein Wunder, dass ich ihn mitten in der tiefsten Wildnis gefunden habe. Ich sehe mich um. Richard bleibt einen Moment länger am Eingang stehen und schaut zu Zach und mir herüber, zuckt dann aber die Achseln und verschwindet im Hotel, gefolgt von Ruth und ihren Eltern und einem weiteren Pärchen, das hier eingecheckt hat. Als wir alleine sind, spreche ich meine Zweifel endlich aus. „Warum wusstest du, dass Team Rocket hier ist?“ Zach sieht mich lange an, dann lächelt er schwach. „Habe ich Team Rocket erwähnt?“, fragt er. Ich denke an unser Treffen zurück. Jetzt, wo er es sagt… „Absols Warnungen sind immer akkurat. Ich kenne sie schon eine sehr lange Zeit und kann die Bedeutung ihrer Schreie erkennen.“ Er schaut in die Ferne. „Sie sprach von Verfolgern und einem Unheil, das bevorsteht. Nur du, auf den das zutraf, konnte wissen, wer damit gemeint ist.“ „Du wusstest also nicht, dass Team Rocket die Pokécenter ausrauben würde? Oder dass Teal und Mel mich in dieser Nacht suchen und finden würden, wenn ich nicht sofort ins Hotel zurückkehre?“ Er schaut mich überrascht an. „Nein. Ich kenne diese Namen nicht.“ Gott knurrt. „Ruhig!“, zische ich. Gott drückt sich auf den Boden, aber seine Rückenflamme knistert weiterhin bedrohlich. „Kennst du jemanden, auf den Dario nicht feindselig reagieren würde, selbst in einer feindseligen Umgebung?“, frage ich. Die Sache mit der Prophezeiung hat mich aus der Bahn geworfen. Natürlich, ich war diejenige, die die Verbindung zu Team Rocket gezogen hat. Er hat nur ein Unheil erwähnt. Aber da war noch etwas anderes, das er gesagt hat. Was war das noch gleich? Er denkt kurz nach. „Raphael. Dann die anderen Favoriten, also Genevieve, Richard und ich. Alfred, vermute ich, wahrscheinlich auch Erik.“ „Sonst niemand?“ Ich schaue ihn entsetzt an. Das hieße ja… „Ich weiß es nicht, Abbygail. Vielleicht sind es mehr. Das sind diejenigen, von denen ich es weiß. Du solltest Raphael fragen, nicht mich.“ „Du hast Recht. Tut mir leid, dass ich dich aufgehalten habe.“ Ich winke ihm zum Abschied, dann laufe ich ins Hotel zurück. Richard steht direkt neben der Eingangstür und packt mein Handgelenk, als ich an ihm vorbei laufe. Ohne ein Wort zieht er mich mit sich in die öffentliche Männertoilette. Ich bin so geschockt, dass ich vergesse, irgendwie zu reagieren. Erst als er mich gegen die Wand drückt und mir bedrohlich in die Augen schaut, versuche ich, mich loszureißen. Vergeblich. „Was habt ihr- AHH!“ Gotts Zähne verkeilen sich tief in Richards Schulter und mir steigt der Geruch von versengtem Haar in die Nase. Richard lässt mich automatisch los und versucht, Gott von seiner Schulter zu reißen, doch er verbrennt sich nur die Finger. „Fuck!“ „Was willst du von mir?!“, schreie ich ihn an. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Was sollte das? Er hebt ergeben die Arme. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt, aber er macht keine Anstalten, mich oder Gott anzurühren. Nach kurzem Zögern gebe ich Gott den Befehl, ihn loszulassen. Richard nickt mir dankbar zu. „Sorry. Das kam anders rüber, als es sollte.“ „Allerdings.“ Ich schaue ihn wütend an. „Was habt ihr besprochen? Du und Zach?“ „Wegen der Frage entführst du mich?“, frage ich geschockt. „Das hättest du mich im Foyer fragen können!“ „Nein.“ Richard betastet die Bisswunde an seiner Schulter und zuckt zusammen. „Also, was habt ihr besprochen?“ „Ich habe ihn gefragt, woher er wusste, dass Team Rocket hier ist und auf wen Dario nicht aggressiv reagieren würde.“ „Sonst nichts?“ „Nein.“ Er seufzt. Erleichtert? „Was ist los mit dir und Zach?“, frage ich. „Seit er da ist, benimmst du dich komisch und dauernd schaust du Raphael so vielsagend an. Was geht hier ab? Was erzählt ihr mir nicht?“ „Medien, ne?“ „Was?“ „Du willst in den Medien arbeiten, oder?“ „Ja, später. Warum?“ Er lacht. „Da hast du die Antwort auf deine Frage. Manche Sachen kann man Leuten, die nur auf Stories heiß sind, nicht sagen.“ Er dreht sich um und will gehen, aber Gott baut sich bedrohlich vor ihm auf. „Ich könnte dein Schmusetier wegpusten, wenn ich wollte. Also lass mich durch.“ Er klingt… müde. Und gefährlich. Ich bezweifle nicht, dass er Recht hat. Gott hat kaum Level 20 erreicht. Richard mag sich gerade wie ein Krimineller verhalten haben, aber er ist immer noch ein Favorit. Wenn er mir etwas hätte antun wollen, hätte er sechs sehr effektive Möglichkeiten gehabt. Ich rufe Gott zurück. Meine Finger zittern und ich umklammere den Pokéball, um mich zu beruhigen. Richard ist verschwunden, bevor ich mich zu Boden sinken lasse und tief ein- und ausatme, bis sich mein Herz beruhigt. Was war das denn gerade?   „Ich werde dich nicht beschützen. Ich jage meine eigene Beute.“ Die Worte, die mir bei meinem Gespräch mit Zach entfallen waren, kreisen jetzt durch meinem Kopf wie ein Karussell. Wieder und wieder. Beute. Welche Beute. Wen jagt Zach? Mir läuft ein Schauer über den Rücken. „Abby?“ Ich drehe mich erschrocken um. Raphael steht mit einer Tasse dampfenden Tamottee vor dem Sofa und schaut mich besorgt an. „Alles okay bei dir? Seit wir zurück sind, bist du kreidebleich.“ „Mir geht´s gut“, lüge ich. Mir geht es nicht gut. Ich fühle mich, als wäre ich knapp dem Fall von einer Klippe entgangen. Richards Gesicht geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich Zach etwas anderes gefragt hätte, was hätte er dann getan? Was hätte ich fragen müssen? Und warum weicht sogar Raphael meinen Fragen zum Thema Zach aus. „Manche Sachen kann man Leuten, die nur auf Stories heiß sind, nicht sagen.“ „Abby!“ Ich schrecke hoch. „Du machst mir Angst, verdammt.“ Er setzt sich neben mir aufs Sofa und nimmt mich in die Arme. „Was ist denn los?“ Ich klammere mich an ihn, fester, als ich es je getan habe und schlucke die Tränen hinunter, die mich zu übermannen drohen. „Erzählst du mir etwas nicht, weil ich storygeil bin?“, frage ich mit erstickter Stimme. Raphael versteift sich. „Was möchtest du wissen?“ Ich schweige. Als ich die Frage schließlich stelle, hat sie mehr Gewicht, als ich gedacht hätte. Alles entscheidet sich hier. „Was für ein Flugpokémon hat Zach?“ Raphael antwortet nicht. Ich umarme ihn fester. Düstere Erinnerungen an ausgestrahlte Kämpfe tauchen in meinem Gedächtnis auf. Kämpfe von Zach. Ich habe seinen Werdegang nie bewusst verfolgt, aber ich erinnere mich an den einen Kampf, den einen Angriff. Schneeweiße Federn, die nach dem Angriff zu Boden taumeln.  „Es ist ein Swaroness, oder?“ Raphael nickt. Seine Hände finden meine Schultern und er drückt mich sanft von ihm weg, um mir in die Augen sehen zu können. „Was immer du glaubst, herausgefunden zu haben, Abby, es ist nicht die ganze Wahrheit. Handle nicht vorschnell. Bitte.“ Ich nicke. Ich werde nicht vorschnell handeln. Zumindest nicht so, wie Raphael es erwartet. Ich will Reporter werden. Und als Reporter suche ich stets nach der ganzen Wahrheit. Ich stehe auf und gehe ans Fenster. „Ich muss mal kurz mit Officer Rockey telefonieren“, sage ich und Raphael schaut abrupt zu mir auf. „Abby, bitte! Es ist nicht so, wie du denkst!“ „Vertraust du mir?“ „Natürlich.“ Ich sehe ihm in die Augen. „Ich werde nichts sagen. Versprochen. Ich möchte nur etwas fragen.“ Raphael zögert. Aber nur einen Augenblick. „Ich vertraue dir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)