Abbygails Abenteuer von yazumi-chan (Road to Lavandia) ================================================================================ Kapitel 76: Kampf um den Pot (Grippewelle) ------------------------------------------ Als ich am nächsten Morgen erwache, liegt Sku halb auf meinem Kopf und Gott schläft eingerollt auf dem Tisch, seine Rückenflamme kaum mehr als ein leichtes Glühen unter den grünblauen Schuppen. Ich gähne ausgiebig, schiebe mit etwas Mühe Sku von meinem Kopf und verschwinde dann unter der Dusche. Wenig später kehre ich in ein Handtuch gewickelt zurück und finde meine beiden Pokémon auf dem Tisch vor, wo sie auf den Hinterläufen an die Wand gelehnt stehen und durch das kreisrunde Fenster auf die dunklen Wellen schauen. „Tut mir leid, dass ich dich auf dem Deck noch nicht raus gelassen habe“, sage ich zu Gott und kraule ihn am Kopf. „Wenn du die anderen Passagiere in Ruhe lässt, können wir das aber nachholen.“ Er gibt ein leises Grollen von sich und schüttelt den Kopf. Ich seufze und rufe die beiden zurück, dann mache ich mich auf den Weg in den Speisesaal, wo Rose, Valentin und, zu meiner Überraschung, Cornelia bereits an einem der Tische auf mich warten. Claude ist ebenfalls da und rennt zwischen Küche und Tisch hin und her, um Cornelias Extrawünsche zu erfüllen. Als ich mich setze, wirft Val mir einen leidenden Blick zu und macht eine unscheinbare Kopfbewegung in Richtung Cornelia, die wie immer ihr Flampion im Arm hält und sich bei Rose über die Qualität ihres Frühstücks und den schlechten Service beklagt. „Musstest du dich mit ihr anfreunden?“, fragt er lautlos, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Ich zucke mit den Achseln, belasse es aber dabei und stürze mich auf mein Essen. „Möchtet ihr Rita heute herausfordern?“, fragt Rose, nachdem wir fertig gegessen haben. Ich zögere einen Moment, schüttele dann aber den Kopf. „Wenn wir gewinnen sollten, wird noch fast kein Geld im Pot sein. Ich warte, bis es sich ein bisschen mehr rentiert.“ „Mir ist das Geld egal“, murmelt Valentin und trinkt einen Schluck Kaffee. „Ich will nur sehen, wie stark meine Pokémon im Vergleich sind. Du wirst sonst wahrscheinlich keine Ruhe geben, oder Abby?“ Ich grinse. „Niemals.“   Etwas später am Nachmittag machen Rose, Valentin und ich uns auf den Weg nach draußen. Der Wind hat an Stärke gewonnen und ich danke Raphael in Gedanken tausendfach dafür, dass er mir die Jacke mitfinanziert hat. Handschuhe und eine Mütze wären auch nicht schlecht, aber darauf muss ich jetzt wohl verzichten und so schließe ich den Kragen, bis der Stoff bis über mein Kinn reicht, vergrabe meine Hände in meinen Jackentaschen und wünsche mir sehnlichst Gotts wärmende Flammen herbei. Jurob sitzt wie immer quietschfidel in Vals Armen und scheint das eisige Wetter in vollen Zügen zu genießen. Einzig Rose scheint es elender als mir zu gehen. Sie ist ganz in Schals, Handschuhe, Ohrenwärmer und eine dicke Jacke eingepackt und erinnert mich sehr an einen zusammen gerollten Schlafsack. Das Wetter trägt seinen Teil dazu bei, die Anzahl der Herausforderer gering zu halten, dennoch sind ein gutes Dutzend Passagiere auf dem Deck versammelt und schauen dem Kampf gespannt zu. Rita steht ihrem Gegner am vordersten Teil des Decks gegenüber, aber als wir ankommen, scheint der Kampf gerade geendet zu haben, denn Ritas Pokémon ist zurückgezogen und der Mann mit ergrauendem Haar, der ihr gegenüber steht, ruft seufzend sein Sonnflora zurück. Einer der beiden Jongleure sitzt an eine Kiste gelehnt im Windschatten und hält den Pot zwischen seinen Beinen eingeklemmt, ein großen Einmachglas, dessen Boden bereits mit grünen Pokédollarscheinen gefüllt ist. „Du kannst dein Pokémon in Zimmer 129 heilen lassen“, sagt Rita lächelnd. „Eines unserer Mitglieder besitzt eine tragbare Regenerationsmaschine.“ „Tragbar?“, murmele ich gegen den Wind. „Sowas hätte ich auch gerne.“ „Gibt es noch einen Herausforderer?“, fragt Rita in die Runde. Einige der Anwesenden schauen sich unsicher um, aber Val tritt einfach vor und setzt Jurob auf dem Boden ab. „Mich“, sagt er und wir drängeln uns nach vorne, um besser sehen zu können. „Die Teilnahmegebühr liegt bei 300 PD“, intoniert der Jongleur und reckt Val das Gefäß entgegen. „Der Potinhalt beträgt derzeit 1800 PD.“ Val zuckt mit den Schultern und wirft sein eigenes Geld hinein. „Der Potinhalt beträgt nun 2100 PD“, verkündet der Jongleur und lässt das Gefäß wieder sinken. „Siegt der Herausforderer, erhält er einen Geldbetrag von 4200 PD.“ Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Obwohl es der erste Tag ist, liegt der Gewinn schon bei meinem derzeitigen Gesamtvermögen. Vielleicht hätte ich doch sofort antreten sollen. Rita lächelt Val zu und zieht dann ihren eigenen Pokéball. Der Saum ihres bodenlangen Mantels peitscht im eisigen Fahrtwind um ihre Fußgelenke, die in hohen schwarzen Stiefeln stecken. „Los, Zapplardin.“ „Jurob, starte mit Kopfnuss“, ruft Val seinem Pokémon zu, das los robbt, um Schwung zu holen. „Funkensprung, los!“ Während Jurob noch dabei ist, die Distanz zwischen sich und seinem Gegner zu überbrücken, flitzt der kleine Stromfisch schon durch die Luft, beginnt elektrisch zu knistern und entlädt dann eine Woge Starkstrom in Richtung Jurob, das einen kläglichen Schrei von sich gibt und dann sang und klang los auf die Seite fällt, wo es zuckend und wimmernd liegen bleibt. Neben mir gibt Rose einen erstickten Laut von sich und presst eine Hand vor ihren Mund. Ich greife beruhigend nach ihrer anderen. Val ist schon längst zu seinem Pokémon gelaufen und hebt es vorsichtig auf, bevor er es in seinen Pokéball zurück ruft. „Das war wohl nichts“, sagt er kaum hörbar und schaut zu Rita auf, die selbst ihn überragt. „129, nicht wahr?“ „Es tut mir leid“, sagt sie und wirft ihm ein aufmunternd gemeintes Lächeln zu. „Wie furchtbar“, sagt Rose, als Val ohne ein Wort an uns vorbei geht, um sein Pokémon heilen zu lassen. „Hast du seinen Schrei gehört? Wie könnt ihr es ertragen, eure Pokémon solchen Schmerzen auszusetzen? Es gibt nicht mal einen Grund! Ihr seid nicht in Gefahr, es besteht doch keine Notwendigkeit…“ Sie schüttelt den Kopf, windet sich aus meinem Griff und flieht ins Schiffsinnere. Ich balle die Fäuste. Mit meinen Pokémon zu kämpfen ist für mich schon lange kein Grund zur Besorgnis mehr. Es war nie ein Grund, wenn ich ehrlich bin. Sku war immer faul, aber sie hat sich nie vor einem nächtlichen Trainingskampf gescheut. Ich schüttele meinen Kopf. „Das arme Ding“, sagt plötzlich Cornelias kratzige Stimme hinter mir und ich drehe mich erschrocken um. „Sie ist keine Trainerin, oder? Nein, das dachte ich mir. Sie muss ein dickeres Fell entwickeln, wenn sie in dieser Welt glücklich werden will. Pokémon sind wie wir Menschen, es gibt solche und solche. Die einen wollen kämpfen, die anderen nicht.“ Sie lächelt müde. „Das Jurob von diesem Jungen will kämpfen. Es will sich für seinen Trainer einsetzen und ihm zur Seite stehen. Und wenn wir mit jenen, die wir lieben, ein Team bilden wollen, müssen wir die unschönen Seiten genauso akzeptieren wie die schönen.“ Flampion, das in ihrem Arm hängt, fiept zustimmend. „Ja, Kleiner, wir werden auch noch kämpfen. Aber nicht jetzt. Hm! Es ist noch zu früh für deinen Auftritt.“ „Warst du auch Trainerin, Cornelia?“, frage ich. Sie schaut mich entrüstet an. „Aber natürlich! Das bin ich immer noch! Diese alten Knochen mögen nicht mehr die Strapazen der Reisen aushalten, aber ich bin eine Trainerin durch und durch. Diese Rita wird sich an mir die Zähne ausbeißen, oh ja, das wird sie.“ Sie schüttelt sich. „Aber jetzt rein, rein ins Warme, es ist fast Zeit für den Tee.“ Ich schaue zurück zu Rita, die gerade gegen ihren nächsten Herausforderer gewonnen zu haben scheint, denn eine junge Frau kommt mit hängendem Kopf und einem Pokéball in ihren Händen in unsere Richtung. Mein Blick fällt auf den Pot. So viel Geld… „Ich werde sie auch herausfordern“, sage ich. „Geh schon mal rein.“ „Und mir den Kampf einer jungen Trainerin entgehen lassen? Hm! Wofür hältst du mich, Mädchen.“ Ich schultere mich durch die versammelten Passagiere, werfe drei Scheine in den Pot und stelle mich vor Rita auf. Hunter ist keine gute Wahl, nicht mit ihrem Zapplardin, dessen Level ich nicht kenne. Ich weiß nicht, was sie sonst im Petto hat, aber bevor ich mit Sku kämpfe, will ich erstmal ihre anderen Möglichkeiten austesten. „Der Potinhalt beträgt nun 2700 PD“, verkündet der Jongleur erneut. „Siegt der Herausforderer, erhält er einen Geldbetrag von 5400 PD.“ „Los, Jayjay“, rufe ich und er materialisiert sich schnaubend und stampfend vor mir. Sein hektischer Blick verrät mir, dass er mit dem Wetter nicht unbedingt zufrieden ist, aber da muss er jetzt durch. Seine elektrisch geladene Mähne steht steil in die Höhe. „Dann kämpfe ich mit dir, Kinoso.“ Das violette Blütenpokémon erscheint vor Rita im eisigen Wind und zieht sich noch weiter in seinen Blütenblattmantel zurück. Ich atme tief durch und gebe Jayjay seinen ersten Befehl. „Ladevorgang, dann attackier mit Funkensprung!“ „Sorg für ein bisschen Sonne, Kinoso und benutz danach deinen Egelsamen.“ Jayjay lädt sich mit einer geballten Ladung elektrischer Energie auf, um seine Spezialverteidigung und seine Elektroangriffe zu verstärken, während Kinoso vor und zurück torkelt und einen Sonnentag heraufbeschwört, der alle Passagiere auf dem Deck mit seiner drückenden Wärme vor den schlimmsten Winden schützt. Die Sonne blendet so stark, dass ich meine Augen abschirmen muss, bevor ich erneut von Jayjays Funkensprung geblendet werde, als dieser eine weiß leuchtende Stromladung auf Kinoso nieder regnen lässt. Als ich wieder halbwegs sehen kann, ist das verhüllte Pokémon verschwunden. An seiner Stelle tänzelt ein kleines gelb und rosafarbenes Pokémon über das Deck, sonnt sich in den Strahlen seines Sonnentags und scheint die Attacke mehr oder weniger gut überstanden zu haben. Plötzlich schießen schmale, pinke Ranken aus den Verdickungen an seinem Kopf und saugen sich an Jayjays Hals und Flanke fest, was ihn wütend aufschnaufen lässt, aber befreien kann er sich aus dem Egelsamen nicht. Ich muss hilflos mit ansehen, wie das Kinoso ihm einen Teil seiner Energie raubt. „Gut, als nächstes Blättertanz!“ „Komm ihm zuvor mit Ruckzuckhieb!“, rufe ich dazwischen. Jayjay galoppiert unter lautem Donnergrollen los und trifft Kinoso fast im selben Augenblick mit einem frontalen Treffer. Das Pokémon quietscht und wird zurück geworfen, schlägt auf dem Boden auf und bezieht gleichzeitig Energie durch den Egelsamen. Es springt auf und beginnt, sich im Kreis zu drehen, schneller und schneller, bis blassrosa Blütenblätter in alle Richtungen schießen und sich wie durch Zauberhand auf Jayjay stürzen, der versucht, sich durch hektisches vor und zurück Preschen vor der Attacke zu schützen, doch die messerscharfen Blüten treffen ihn von allen Seiten und schließlich knickt er ein, strauchelt und droht, zu fallen. „Halte durch!“, schreie ich. „Nochmal Funkensprung!“ Aber der Sturm der Blüten reißt nicht ab und noch während Jayjay seine Kräfte für die Elektroattacke sammelt, verliert er das Bewusstsein und sackt mit einem dumpfen Schlag zur Seite. Kinoso kommt torkelnd zum Stillstand und schaut sich desorientiert um. „Du hast dich gut geschlagen“, flüstere ich und rufe Jayjay zurück. Rita nickt mir anerkennend zu. Dann wendet sie sich an die anderen Zuschauer. „Die nächsten Herausforderungen nehme ich erst wieder nach dem Abendessen an.“ Als ich zu Cornelia zurückkehre, tätschelt sie mir unbeholfen die Hand. „Du hast gut gekämpft, Mädchen. Es war klug, dass du deinen Trumpf noch nicht ausgespielt hast.“ „Woher weißt du das?“, frage ich. „Oh bitte.“ Sie deutet auf meinen Gürtel. „Du besitzt vier Pokémon und erwartest von mir, dass ich glaube, du würdest gegen einen unbekannten Gegner gleich mit deinem Stärksten starten? Nein, nein, ich bin alt, aber nicht senil. Und jetzt hinein ins Warme, Flampion ist kalt.“ Ich werfe einen Blick auf das Feuerpokémon, das in ihrem Arm döst und ein wenig zittert. „Warum rufst du ihn nicht zurück?“, frage ich, als ich ihr in den Speisesaal folge. „Habe ich das nicht schon gesagt?“, erwidert sie unwirsch. „Ich würde nie irgendwo ohne ihn hingehen.“   Wir nehmen unseren Tee zusammen auf Cornelias Zimmer ein, bevor ich mich auf den Weg zu Zimmer 129 mache, um Jayjay heilen zu lassen. Er würde sich zwar auch ohne Geräte erholen, aber das wird eine ganze Weile dauern und wenn ich schon die Möglichkeit habe, will ich sie auch wahrnehmen. Ich verlasse Cornelias Raum und klopfe an die Tür gleich nebenan. Es ist der Psycho, der mir die Tür öffnet. Er trägt eine Art violette Tunika, die er mit einem dicken schwarzen Gürtel um seine Taille befestigt hat und mustert mich von oben bis unten, bevor er mich hinein lässt. Auf dem Stuhl am Fenster sitzt sein Abra und ich meine, Nebulaks Augen hin und wieder im Raum aufflackern zu sehen. Taschen und Koffer voller Zirkusutensilien stapeln sich unter dem Tisch und im Schrank und eine runde Maschine liegt auf dem Bett, mit einer durchsichtigen Haube, die man aufklappen kann und einer faustgroßen Vertiefung in der Mitte. „Ist das die tragbare Regenerationsmaschine?“, frage ich interessiert. Er nickt stumm und bietet mir den freien Stuhl am Tisch an, während er Jayjays Ball in die Vertiefung legt. Dann schnalzt er mit der Zunge. Ich entspanne mich ein wenig und schaue zu dem Nebulak, das vor mir aufgetaucht ist. Irgendwie ist das leise Klicken des Heilgeräts sehr beruhigend. „Möchtest du erneut antreten?“, fragt der Psycho. „Ja, natürlich.“ „Gut. Du solltest dein Pokémon für´s erste nicht rufen. Es muss sich noch eine Weile erholen.“ Ich nicke. „Selbstverständlich.“ Nebulaks Augen leuchten kurzzeitig auf, dann verschwinden sie wieder. Ich höre ein Rascheln unter dem Tisch und plötzlich spüre ich die Hand des Psychos auf meiner Schulter. Ich schaue zu ihm auf. „Hier.“ Er reicht mir Jayjays Pokéball. „Komm bald wieder.“ Ich erhebe mich und verlasse den Raum.   Auf der Suche nach Rose plagt mich mein schlechtes Gewissen, aber ich dränge es zur Seite. Ich bin ein Pokémontrainer. Ich kämpfe mit Pokémon. Rose hat ihre Entscheidung getroffen und ich die meine. Außerdem ist Jayjay wieder erholt, auch wenn ich ihn vorerst nicht rufen will. In Gedanken bin ich schon dabei, mein nächstes Duell gegen Rita zu planen. Wann Cornelia sie wohl herausfordern möchte? Als ich Rose nicht unter der Treppe finde, mache ich mich stattdessen auf die Suche nach Valentin. Der sitzt im Speisesaal und betrachtet die Tasse Kakao zwischen seinen Händen. Er muss meine Schritte gehört haben, denn er schaut auf und ringt sich ein müdes Lächeln ab. „Auch verloren?“, fragt er und ich nicke. „Rose ist wütend auf uns“, fährt er fort und schaut wieder auf seine Tasse. „Sie will nicht, dass wir unsere Pokémon unnötig leiden lassen.“ „Ich will trotzdem erneut teilnehmen“, sage ich sofort. „Ich auch.“ Wir schweigen. Dann spricht Val weiter. „Sie wollte Jurob fragen, ob es ihm besser geht. Aber ich soll ihn vorerst nicht rufen.“ „Ich auch nicht“, stimme ich automatisch zu. „Das Gerät hat wohl nicht die Power von denen im Pokécenter.“ „Wahrscheinlich nicht, nein.“ Obwohl ich nach ihr Ausschau halte, finde ich Rose nicht und als sie sogar mein Klopfen an ihrer Zimmertür ignoriert, lasse ich es für den Moment gut sein. Spätestens morgen werde ich sie wieder sehen und dann kann ich ihr zusammen mit Cornelia erklären, warum es nicht falsch ist, mit seinen Pokémon Kämpfe auszutragen. Für den restlichen Abend ziehe ich mich jedoch in die Kombüse zurück, wo ich ein kleines Pläuschchen mit Stanz halte und er mir die Gerüchte aus Kanto bezüglich Zapdos bestätigt. „Ich weiß natürlich nicht, wie viel an der Geschichte mit dem einzigen Ball dran ist“, sagt er gut gelaunt und trinkt einen Schluck Bier, „aber Bob ist in jedem Falle davon überzeugt, dass Zapdos von dem Kraftwerk verschwunden ist, ob gefangen oder anders. Und dem Major glaube ich.“ Später am Abend, als ich mit Sku eingekuschelt unter meiner Decke liege und den Nachrichten lausche, kreisen meine Gedanken um mein nächstes Duell mit Rita. Es ist wie ein innerer Trieb, den ich plötzlich nicht mehr abschalten kann. Es dauert lange, bis ich einschlafe.   Ein Klopfen an meiner Tür weckt mich am nächsten Morgen. Stöhnend rolle ich mich auf die andere Seite, aber Sku patscht mir mit ihrer Pfote ins Gesicht, bis ich auf das dringlicher werdende Klopfen reagiere, aufstehe und verschlafen die Tür öffne. Rose schaut mich entgeistert an. „Du siehst furchtbar aus!“, ruft sie und kommt ungebeten in mein Zimmer. „Es ist schon fast Mittag und du warst nicht beim Frühstück. Geht es dir gut? Du hast so schlimme Augenringe...“ Gotts Fauchen lässt sie verstummen. Er liegt wie schon die ganze Nacht auf dem Tisch und hat nun den Kopf gehoben, die Zähne leicht gefletscht. Rose lässt ihre Hand sinken und er beruhigt sich fast augenblicklich. „Ich habe nicht gut geschlafen“, antworte ich schließlich und lasse mich aufs Bett plumpsen. Sku macht es sich sofort auf meinem Schoß bequem und ich fahre ihr durch ihr dichtes Winterfell. „Irgendwas hat mich wach gehalten.“ Rose schürzt ihre Lippen, setzt sich aber auf einen der Stühle, mit etwas Abstand zu dem immer noch grollenden Gott, und beobachtet mich wachsam. „Val sah heute Morgen auch mitgenommen aus“, fährt sie fort. „Und es tut mir leid, dass ich euch gestern Abend aus dem Weg gegangen bin. Cornelia hat heute Morgen mit mir gesprochen und mir die Unterschiede unserer Situation erklärt. Aber meinst du nicht, dass euer schlechter Schlaf etwas mit gestern zu tun hat? Es kann kaum ein Zufall sein.“ „Jayjay geht es gut“, erwidere ich sofort und Rose schreckt bei meinem Ton zusammen. Ich atme tief durch und reibe mir die Augen. „Tut mir leid. Ich bin noch nicht ganz zurechnungsfähig.“ „Das merke ich“, sagt Rose und steht auf. „Warum belässt du es nicht bei dem einen Versuch? Val hat Rita eben zum zweiten Mal herausgefordert und sein Seeper hat natürlich verloren. Warum kämpft er überhaupt? Er weiß doch, dass sie ein Zapplardin hat! Seine Wasserpokémon haben keine Chance.“ „Er hat schon wieder gekämpft?“, frage ich und springe auf. „Hat schon jemand den Pot gewonnen?“ „Nein.“ Rose beobachtet mich argwöhnisch. „Ein Grund mehr, es sein zu lassen.“ „Nein, ich will kämpfen“, sage ich entschieden. „Ich habe noch drei Pokémon, mit denen ich sie herausfordern kann.“ „Abby, bitte, du benimmst dich nicht wie du selbst.“ „Was weißt du schon davon, wie mein wahres Ich ist?“, fahre ich sie an. Roses entgeisterter Blick treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. „Es tut mir so leid“, presse ich hervor. „Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Ich kann gerade nicht klar denken.“ „Vielleicht solltest du dich heute ausruhen“, sagt Rose kühl und verlässt mein Zimmer. Die Tür knallt nicht, schlägt aber auch nicht gerade sanft zu. Verwirrt lasse ich mich auf mein Bett sinken. Ich weiß, dass Rose mir in irgendeiner Weise im Weg stand und ich sie deshalb loswerden wollte, aber trotzdem habe ich keine Ahnung, warum ich so gemein zu ihr war. Das ist nicht meine Art. Ich schaue zu Sku hinunter, die mich besorgt mustert, aber loyal wie immer ihren Kopf gegen mein Kinn presst und brummend schnurrt. Gotts Flammen, die während meiner Unterhaltung mit Rose in die Höhe geschossen sind, sinken langsam wieder zu einer seichten Glut ab. Am liebsten hätte ich Roses Rat befolgt und mich den restlichen Tag in meinem Zimmer verkrochen, aber allein der Gedanke daran, in diesem kleinen Raum festzusitzen, dreht mir den Magen um. Vielleicht ist es auch der Hunger, der sich jetzt bemerkbar macht. Keine zehn Minuten später bin ich auf dem Weg nach unten in den Speisesaal. Als Rose mich sieht, verfinstert sich ihr Blick. Sie steht auf, sagt etwas zu Cornelia und Val, die mit ihr am Tisch sitzen und geht ohne ein weiteres Wort an mir vorbei. „Ist etwas vorgefallen?“, fragt Cornelia und schaut Rose hinterher. Flampion quietscht besorgt. „Ich war ein Arschloch“, sage ich und lasse mich auf einen Stuhl sinken. Mein Blick fällt auf Valentin. Wenn ich nur halb so schlimm aussehe wie er, kann ich Roses Besorgnis nachvollziehen. „Es geht eine Grippe um“, erklärt Cornelia auf meinen Blick hin. „Das viele Kämpfen an der kalten Luft scheint allen hier zu schaffen zu machen. Es war klug von dir, auszuschlafen.“ „Mehr oder weniger…“, murmele ich und bestelle mir bei Claude, der wie immer nicht weit von Cornelia auf etwaige ruppige Befehle wartet, einen Tee und ein kleines Mittagessen. „Hast du Seeper schon geheilt?“, frage ich Valentin. Er nickt stumm und stochert in seinem Essen. „Er muss sich noch erholen“, sagt er. Ich nicke verständnisvoll. „Wie geht es Jurob?“ „Gut“, antwortet er sofort. „Wie geht es Jayjay?“ „Gut.“ „Wenn ihr noch ein bisschen mehr wie Zombies klingen wollt, empfehle ich euch ein gelegentliches Stöhnen“, sagt Cornelia und kneift mir in die Backe. Ich reiße den Kopf herum. „Ah ja, das ist besser. Claude, wo bleibt der Tee?!“ „H-hier!“ Er taucht neben uns auf, reicht mir Tee und Essen und wirft uns einen panischen Blick zu, dann verschwindet er weder. Cornelia schüttelt angewidert den Kopf. „Ihr Kinder solltet euch erholen, bevor ihr Rita erneut herausfordert. Speziell du, Valentin. Seit deinem zweiten Duell siehst du noch schlimmer aus. Was erwartest du auch, wenn du mit einer beginnenden Erkältung draußen herum turnst. Aber auf meine Ratschläge hört die Jugend ja nicht mehr. Hm!“ Ich lasse den Blick über die restlichen Passagiere gleiten. Cornelia hat Recht. Viele weisen Augenringe oder andere Anzeichen von Krankheit und Übermüdung auf. Ich hoffe nur, dass sich unser Gesundheitszustand nicht zu einer echten Grippe verschlimmert. Ich kann mir Lustigeres vorstellen, als auf einem Schiff voller Kranker festzusitzen. „Ich werde jetzt Rita herausfordern“, sage ich und stehe auf. Cornelia wirft mir einen ungläubigen Blick zu. „Hast du mir nicht zugehört?“, ruft sie wütend. „Geh ins Bett und erhole dich! Du wirst noch genauso enden wie Valentin, wenn du nicht auf deinen Körper hörst.“ Ich weiß, dass sie Recht hat. Trotzdem greife ich nach Hunters Pokéball und mache mich auf den Weg hinaus aufs Deck. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)