Zeitstillstand von dumm ([Taoris]) ================================================================================ Kapitel 2: Zwei --------------- »Ich glaub es fühlt sich nicht wohl«, bemerkte der Mann mit den hellen Haaren und einer ruhigen Stimme, während seine Augen das Tier betrachteten, das aufgeregt blökte und wild im Kreis lief, während es hin und wieder einen der Männer, die sich um das neue Gehege für das Wesen kümmerten, anspuckte. Das Blöken klang unglaublich bösartig und Luhan war sich sicher, dass er noch nie ein Tier gehört hatte, das solche satanischen Geräusche von sich gab. Würde das Alpaka nicht so niedlich aussehen, dann würde er sich vielleicht auch Sorgen machen, dass es vorhatte sie nicht nur anzuspucken… Er hatte Mitleid mit dem Tier, das sich hier offensichtlich nicht wohl fühlte. »Es wird sich schon dran gewöhnen«, sagte Kris, der neben ihm stand, seine Hände auf den Holzzaun gelegt hatte und das Alpaka beobachtete und offensichtlich davon amüsiert war. Luhan war sich nicht sicher, ob das an den komischen Geräuschen lag, die das Tier machte, oder an der Tatsache, dass es immer noch nicht müde davon wurde die empörten Männer anzuspucken, die ihm zu nah kamen, weil sie das Gehege perfektionierten. »Wie alt ist es?«, wollte Luhan dann wissen und betrachtete Kris von der Seite. Egal wie arrogant Kris auf die meisten Leute auch wirkte, und vermutlich auch war, Luhan kam gut mit ihm klar. Vermutlich waren sie sogar so was wie sehr gute Freunde. Nicht, dass Kris das zugeben würde, aber Luhan wusste, dass er ihn gut leiden konnte. Er zeigte es nur nicht, aber das war in Ordnung. Seine Attitüde gehörte zu seinem Stand und vermutlich war auch wichtig, dass er genau diese Maske niemals absetzen würde. »Ich weiß es nicht.« Kris zuckte träge mit den Schultern und betrachtete das Alpaka weiterhin. Luhan runzelte die Stirn und betrachtete Kris etwas fassungslos, ehe er gluckste. »Hast du überhaupt irgendeine Ahnung von dem Tier, oder hast du es nur gewollt, weil es spuckt?« »Genau deswegen.« Wenigstens war er ehrlich. Luhan lächelte etwas amüsiert und sah dann wieder zu dem Tier, das aussah als würde es sich langsam beruhigen. »Willst du es wirklich hier behalten? Es wirkt nicht so, als würde es sich hier einleben. Das ist doch sicher ein Herdentier, oder?« »Dann halte es mit den Ziegen und Schafen, dann ist es nicht mehr allein.« »Kris, die Ziegen und Schafe leben nicht mehr. Dein Drache hat sie gefressen, als er das letzte Mal durchgedreht ist«, erinnerte er ihn. »Oh«, machte Kris nur. »Passiert.« Luhan seufzte, verdrehte die Augen, behielt das leicht amüsierte Grinsen jedoch immer noch auf den entzückenden Lippen. »Ja, passiert«, bestätigte er etwas ironisch und sah zu wie Kris sich im nächsten Moment über den hellen Holzzaun schwang, fest auf beiden Füßen landete und schließlich zu dem Alpaka trat, das den Kopf hob und ihn argwöhnisch musterte. Luhan hoffte, dass das Tier den Prinzen nicht anspucken würde. Wobei das sicher unterhaltsam wäre. Nicht, dass er es wagen würde diesen Gedanken laut auszusprechen. Aber gut, im Moment konnte er sich wohl nur gegen den Zaun lehnen und die Show genießen. Kris verlangsamte seinen Schritt, blieb jedoch erst stehen, als er direkt vor dem Tier stand, das sich nicht bewegt hatte. Luhan glaubte für einen Moment, dass die zwei störrischsten Lebewesen der Welt gerade aufeinander getroffen waren. Und einige Augenblicke passierte einfach gar nichts und Kris blickte das Alpaka nur an, das das Starren erwiderte. Und dann hob der Prinz seine rechte Hand und legte sie auf den Kopf des Tieres, das ein komisches Blöken von sich gab und danach mit seinem Maul nach dem Ärmel von Kris‘ Oberteil schnappte. Und darauf herumkaute. »Sieht aus als wäre es verliebt«, bemerkte Luhan dann. Kris legte seinen Kopf zur Seite und blickte über seine Schulter zu ihm, sagte jedoch nichts und drückte schließlich die Schnauze des Tieres weg. Es gab einen empörten Laut von sich und zog im nächsten Moment beleidigt in die nächste Ecke, um dort weiter zu grasen. Wenigstens war das Gras hier um einiges saftiger, als auf den Weiden, wo es herkam. Aber gut, das Königshaus hatte ja auch genug Wasser für eine perfekte Bewässerung im Sommer. Luhans dunkle Augen sahen dabei zu wie Kris den feuchten Ärmel angewidert musterte, ehe er schließlich wieder zu ihm lief, sich über den Zaun hievte und wieder neben ihm stand. »Ich hätte damit gerechnet, dass es dich anspuckt«, sagte Luhan und schenkte seinem Freund ein schmales Lächeln. »Das würde es nicht wagen«, sagte er. »Natürlich nicht«, bestätigte Luhan, seine Stimme klang jedoch nicht überzeugend. Und der Prinz schien das zu bemerken und warf ihm einen mahnenden Blick zu. Letztendlich war es vielleicht auch deswegen so brav, weil es den Drachen in Kris roch. Nicht, dass er einer war, aber es gab immerhin genug Gründe, wieso man ihm nachsagte, dass er jede dieser gewaltigen, feuerspeienden Bestien zähmen konnte. Wieso sollte er dann also bei einem lächerlichen, kleinen Alpaka scheitern? »Kümmere dich gut um Ace Junior, verstanden?«, befahl er ihm dann. »Als würde ich dich jemals enttäuschen«, war Luhans lockere, aber ehrliche Antwort. Und dann verzog sich der stolze Prinz auch schon und Luhan blickte ihm einen Moment hinterher, ehe er wieder zu dem Alpaka namens Ace Junior sah und sich fragte, wie genau er sich um es kümmern sollte. Er hatte keine Ahnung, was er mit dem Tier anstellen sollte. Ehrlich gesagt hatte er noch nie in seinem Leben ein Alpaka gesehen. Vermutlich fraß es Gras, aber die Tiere musste man ja – wie Schafe – auch hin und wieder von ihrem Fell befreien. Und da fing schon das erste Problem an. Er seufzte und betrachtete Ace Junior nachdenklich, sah kurz zu wie die zwei Männer sich endlich verzogen und sich lautstark über das spuckende Ungetüm beschwerten und fragte sich, was er nun mit dem Wesen anstellen sollte. Tao war skeptisch. Er war fürchterlich skeptisch. Und er wusste nicht, ob er sich bewegen wollte. Aber letztendlich hatte er gar keine Wahl. Die Einladung war nämlich keine Einladung sondern einfach nur ein Befehl in einem höflichen Mantel. Denn solche Einladungen konnte man gar nicht abschlagen, das wäre respektlos. Dennoch war er sich nicht sicher, was diese Einladung sollte. Sein einziger Gedanke war, dass es etwas mit Phueng zu tun hatte, aber selbst das machte keinen großen Sinn. Etwas verwirrt warf er einen Blick zu seiner Mutter, die wohl genauso viel Ahnung hatte wie er, wieso eine der schicken, verzierten Kutschen, die von zwei adretten Schimmeln gezogen wurde, auf ihn wartete. Er zögerte einen letzten Moment, ehe er sich schließlich einen Ruck gab, sich in Bewegung setzte und in die Kutsche mit den weichen und bequemen Sitzpolstern stieg. Er verbeugte sich etwas vor dem Mann, der dort saß, setzte sich dann hin und bemerkte, dass er sich unglaublich unwohl fühlte. Er hatte keine Ahnung, was ihn da erwarten würde. Und er konnte sich nichts Gutes vorstellen. Und das war beunruhigend. Sehr beunruhigend. Und der Mann in der Kutsche machte auch keine Anstalten ihn aufklären zu wollen. Also verbrachte er die Fahrt damit aus dem Fenster der Kutsche zu sehen und die Gebäude, die, je länger sie fuhren, von heruntergekommen zu stattlich mutierten, zu beobachten. Es war erstaunlich wie die Gegend optisch schöner wurde, je näher man zu dem Palast kam, den er noch nie aus der Nähe gesehen hatte. Und so erstaunlich wie es war, so traurig wirkte es auch. Die Kutsche hielt für einen kurzen Moment an und er konnte fremde, laute Stimmen hören und wenig später hörte er das Geräusch, das vermutlich von den riesigen Toren stammte, die sich langsam öffneten. Tao lehnte seinen Kopf aus der Kutsche und betrachte eines der goldenen Tore und fragte sich, wie viele Männer erforderlich waren, um es zu öffnen. Sicher eine Menge. Und dann setzte sich die Kutsche weiter in Bewegung und Tao zog seinen Kopf wieder zurück in die Kutsche, konnte sich aber nicht an dem Staunen hindern. Hinter den edlen, großen Mauern und dem Tor lag mehr als nur das gewaltige Haus mit den spitzen Türmen. Tao hätte nie damit gerechnet, dass hinter der Mauer so viele Häuser zu finden waren und noch erstaunlicher waren die Leute, die auf den Straßen waren und sich unterhielten. Und wenn er diese Personen beobachtete, fühlte er sich unglaublich schäbig in seinen schlichten Klamotten. Davon abgesehen trug er noch nicht einmal Schuhe. Nicht, dass er je gefunden hatte, dass das merkwürdig oder seltsam war, aber wenn er sich diese Menschen ansah, dann wirkte es einfach, als wäre er in einer völlig anderen Welt. Schließlich hielt die Kutsche und Tao warf einen fragenden Blick zu dem Mann, der die Fahrt über nur geschwiegen hatte, und bemerkte dann, dass jemand die Tür öffnete. Der Mann, der in der Kutsche saß, gab ihm ein Zeichen, dass er aussteigen sollte, und ohne ein Wort zu sagen, tat er das dann auch. Der gepflasterte Boden war fürchterlich heiß und Tao verzog kurz die Lippen, zog seine Zehen etwas an und folgte dann dem Mann aus der Kutsche, der ihn bat ihm zu folgen. Er war froh, dass er sich in Bewegung setzen konnte und noch froher war er, als er in den Schatten treten konnte. Und erst jetzt bemerkte er, dass man ihn gar nicht zu dem gigantischen Palast führte, sondern zu einer Art Stallung. Okay, es musste wohl doch um Phueng gehen. Irgendwas in ihm hoffte, dass er sie wieder mitnehmen durfte, aber vermutlich war das nur ein Wunschdenken. Der Mann blieb stehen und Taos Blick fiel auf einen jungen Mann, vielleicht so alt wie er, möglicherweise sogar etwas jünger, er hatte ein rundes Gesicht und blonde Haare und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. »Das ist er«, sagte der Mann, der die schweigsame Kutschenfahrt mit ihm verbracht hatte, zu dem jungen Mann, und mit diesen Worten verzog er sich auch wieder und Tao sah ihm nur kurz etwas verwirrt hinterher und blickte dann zu dem anderen. »Hallo«, wurde er freundlich begrüßt. »Hallo«, sagte Tao etwas zögerlich, deutete dann eine Verbeugung an, weil er keine Ahnung hatte, wer diese Person war und was er hier sollte. Was für eine seltsame Situation. Man hatte ihn wohl erfolgreich ins kalte Wasser geworfen. »Du bist also Tao«, stellte der Mann fest und der Angesprochene nickte. »Mein Name ist Luhan und… du siehst nicht so aus, als hättest du eine Ahnung, was du hier sollst.« »Das liegt vielleicht daran, dass mir niemand gesagt hat, was ich hier tun soll.« Er versuchte nicht so hilflos zu klingen, wie er sich im Moment fühlte. Luhan schenkte ihm ein Lächeln, das erstaunlicherweise ehrlich wirkte. »Komm mit«, fing er dann an, drehte sich um und Tao folgte ihm hinter das Haus; im nächsten Moment sah er einige abgezäunte Wiesenstücke, deren Gras so grün war, wie er es nur aus dem frühen oder späten Winter kannte. »Ich hab die Aufgabe bekommen mich um das Alpaka zu kümmern, das von eurer Farm stammt. Das stimmt doch, oder?« »Ja«, sagte Tao und die Sympathie für den Menschen war für einen kurzen Augenblick gefallen, weil er ihn daran erinnert hatte, dass sie sein Lieblingsalpaka verschleppt hatten. Und dann glaubte er, dass er froh sein sollte, dass sich eine Person, die freundlich wirkte, die Aufgabe hatte sich um die launische Dame zu kümmern. Luhan steuerte einen abgezäunten Bereich an und Tao konnte Phueng sofort erkennen. Die beiden blieben an dem Zaun stehen und Tao blickte von dem jungen Mann, der einige Zentimeter kleiner als er selbst war, zu dem Tier, das gemütlich graste und ihn nicht bemerkt hatte. Er fragte sich, ob sie ihn überhaupt noch erkennen würde. Immerhin waren seit ihrem Abschied schon ein paar Tage vergangen. Vielleicht war sie ja auch nachtragend oder wütend auf ihn. »Ich hab keine Ahnung, wie ich mich um Ace kümmern soll«, sagte Luhan dann mit einer ruhigen Stimme. »Sie heißt Phueng«, beharrte Tao und klang unbewusst sogar etwas barsch, was ihm im Nachhinein leidtat, weil Luhan das ja nicht wissen konnte. »Oh? Mir wurde sie als Ace Junior vorgestellt.« Tao verzog die Lippen. »Sie heißt eigentlich Nam Phueng.« Luhan beobachtete ihn von der Seite, Tao hingegen starrte noch immer zu dem Tier und bemerkte, wie sehr er vermisste, dass Phueng seinen Ärmel anfraß oder den Kopf gegen seine Brust boxte. »Hat sie dir gehört? Du wirkst nicht sehr begeistert«, stellte Luhan vorsichtig fest. »Natürlich bin ich nicht begeistert, wenn man sie grundlos verschleppt. Ich vermisse sie«, sagte er und hatte seine Stimme bei dem letzten Satz etwas gesenkt und dann hatte ihn das Tier, über das sie gesprochen hatten, auch schon bemerkt. Es gab ein Blöken von sich und rannte im nächsten Moment zu ihnen, blieb auf der anderen Seite des Zaunes stehen und Tao hob seine Hand, legte sie auf die flauschige Schnauze des Tieres und kraulte dessen Nasenrücken. »Na du?«, sagte er zu ihr, hatte seine Stimme gesenkt und der Ton war wieder weicher geworden. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen blassen Lippen. Er kraulte das Tier, das ihn wohl offensichtlich noch kannte und auch nicht so wirkte als wäre es böse auf ihn. Diese Erkenntnis war erleichternd. Und im nächsten Moment hatte er Spucke im Gesicht. Tao starrte sie für einen Moment mit einer eingefrorenen Mimik an und Luhan wirkte im ersten Moment entsetzt und schließlich konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. Tao hob seine Hand und wischte sich den Speichel des Tieres angewidert aus dem Gesicht. »Wow, das hatten wir schon lange nicht mehr«, sagte Tao etwas künstlich angesäuert. Er verzog das Gesicht noch immer und schmierte den Speichel, der nun an seiner Hand war, an dem Holzbalken ab, der sie trennte. »Ich hab dich auch lieb. Urgh.« Luhan räusperte sich und sah dabei zu, wie Tao den Kopf des Tieres kraulte, das den Kopf über den Zaun streckte und seinen Kopf schließlich gegen Taos Kopf drückte. Er bemerkte, dass Tao sich auf die Lippen biss und dem Alpaka hinter den Ohren kraulte. Er hatte auch versucht das Tier zu streicheln, aber wirklich zugelassen hatte es dies nicht. Und ja, er war auch schon ein Opfer von der gemeinen Spuckattacke geworden. Zum Glück hatte er den Speichel nicht ins Gesicht, sondern nur gegen die Brust bekommen. Aber man konnte sehen, dass Ace Junior, oder Phueng, Tao wirklich mochte. »Muss man sie scheren?«, fragte Luhan dann neugierig und Tao wendete den Blick kurz von dem Tier, um zu ihm zu sehen. »Ja, aber wir haben unsere Tiere erst vor ein paar Wochen geschoren. Im Sommer ist es durchaus wichtig, ihr Fell kurz zu halten, sonst könnten sie eingehen, wenn es zu heiß ist. Aber so schnell wächst es nicht nach. So in drei Monaten sollte man es eventuell in Erwägung ziehen.« »Und wie macht man das?«, fragte Luhan und Tao sah wieder zu ihm und war einen Moment lang nicht sicher, was er sagen sollte. »Ich kann das machen«, sagte er dann. Immerhin war es sein Alpaka. Und ja, natürlich war es sein Tier und nicht das von diesem idiotischen Prinzen, der das bekam, was er nur ansah. Phueng hob ihren Kopf wieder und rieb den Hals an dem Holzzaun, ehe es den Kopf wieder senkte und das Gras vom Boden riss und zerkaute. »Das wäre sicher praktisch«, sagte Luhan ruhig und lächelte etwas, drehte sich in Taos Richtung. »Gibt es sonst noch wichtige Dinge, die ich wissen muss?« Tao überlegte einen Moment. Für ihn war das alles selbstverständlich, aber er hatte keine Ahnung, was der blonde Mann alles wusste. »Letztendlich hält man sie wie ganz normale Ziegen und Schafe. Sie sind eigentlich Herdentiere. Oh, und Phueng liebt es, wenn man sie am Hals streichelt, hier«, sagte er und demonstrierte es Luhan. »Eigentlich mögen es die meisten Alpakas nicht, wenn man ihnen zu nah kommt, aber Phueng liebt Aufmerksamkeit.« Zumindest von ihm. Er hatte manchmal Tage damit verbracht nur dieses Tier zu streicheln, während er im Schatten saß und den Rest der Herde ‚im Auge behalten‘ hatte. Aber er wusste, dass das Tier nicht jede Person an sich heranließ, ganz logisch – Tao gab sich ja auch nicht mit jeder Person ab. Irgendwie war die Situation bitter. Ja, er hatte es akzeptiert, aber es war trotzdem falsch sie hier zu sehen. Sein einziger Trost war, dass dieser Luhan sich offensichtlich versuchte zu bemühen und dass sie wenigstens saftiges Gras zum Fressen hatte. »Hat da jemand Sehnsucht bekommen?« Es dauerte nicht lange, bis Tao die dritte, neue Stimme einordnen konnte. Er stützte sich von dem Holzzaun, drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam und entdeckte niemand anderes als Kris. Wie sollte es auch anders sein? »Ich hab ihn hierher bestellt«, sagte Luhan dann, ehe Tao etwas antworten konnte. Kris hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte Tao genau und eigentlich rechnete er spätestens jetzt mit irgendeinem Witz, der mit seiner Kleidung oder seinem Leben zu tun hatte, aber es kam nichts. »Dann konnte er sich ja wenigstens überzeugen, dass es ihr gut geht.« Tao verzog die Lippen. »Was das Fressen angeht, sicher.« Den Rest seines Kommentars sparte er sich besser. Er hatte eigentlich nur wenig Lust eine ätzende  Unterhaltung zu starten. Kris schenkte ihm ein mildes, schiefes Grinsen. Und zu seinem königlichen Glück, sagte er auch nichts, trat näher und betrachtete das grasende Tier einen Moment, ehe er zu Tao sah. Tao bemerkte den Blick aus dem Augenwinkel und drehte den Kopf schließlich leicht zur Seite, zog eine Augenbraue hoch. »Schon mal einen echten Drachen aus der Nähe gesehen?«, fragte er dann und Tao hatte im ersten Moment Lust künstlich zu lachen. Die Antwort war wohl offensichtlich. Aber gleichzeitig fragte er sich, worauf  er hinaus wollte. »Nein«, war letztendlich die ehrliche Antwort. »Komm mit«, sagte er in einem Befehlston, drehte sich um und gab ihm ein Zeichen mit der Hand, dass er ihm folgen sollte. Tao betrachtete den Rücken, dem er ihm nun zugedreht hatte, misstrauisch und  blickte dann zu Luhan, der ihm ein leichtes Lächeln schenkte und nickte. Und dann bewegte sich Tao schließlich und folgte Kris, auch wenn er das eigentlich gar nicht tun wollte. Er holte schnell auf, lief noch minimal versetzt hinter und neben Kris und betrachtete ihn von der Seite. Es war selten, dass er jemanden traf, der größer war als er. Vermutlich war Tao schon überdurchschnittlich groß, aber der Prinz setzte da noch mit ein paar Zentimetern drauf. Natürlich. »Du bist zum ersten Mal hier, nehme ich an«, fing Kris an und seine Stimme klang nicht halb so  arrogant, wie sie zu dem Satz gepasst hätte. »Ja. Was soll ich hier denn auch?«, fragte er neutral. Kris antwortete drauf nichts und die beiden traten wieder vor den Stall und auf die Straße, die ungewöhnlich belebt war. Tao bemerkte, dass die meisten der Leute aufhörten irgendetwas zu machen und einen ehrfürchtigen Blick in ihre Richtung warfen. Offensichtlich war Kris der Grund dafür und Tao bemerkte erst jetzt, dass seine Haltung ungewohnt gerade und beeindruckend war. Natürlich, ein Prinz musste sich und das Land repräsentieren. Und innerhalb der Stadtmauer gab es sicher auch nur wenige, die einen Groll gegen die Königsfamilie hatten. Natürlich, hier sahen die Leute nicht so aus, als hätten sie irgendwelche Probleme, wie sich am Leben zu halten. Und er bemerkte auch, dass er, dank der Tatsache, dass er in Kris‘ Begleitung war, ebenfalls Opfer der Neugierde wurde. Blicke lagen auf ihm und manche sahen ihn verächtlich an, andere neutral oder eben nur völlig neugierig. Tao versuchte sie einfach zu ignorieren. Vermutlich würde er in nächster Zukunft sowieso nie wieder hier sein. Außer Luhan brauchte ihn noch einmal. Nicht, dass er glaubte, dass der junge Mann ihn wirklich gebraucht hatte. Das, was er ihm gesagt hatte, hätte er auch irgendwann herausgefunden. Vielleicht hatte er dem Tier nur einen Gefallen tun wollen; oder ihm. Nicht, dass das jetzt eine Rolle spielen würde, denn Tao musste zugeben, dass dieser Ort ihn hier durchaus irgendwie faszinierte. Zwischen dem was er hier sah und der Farm, weit draußen auf den trockenen Feldern, lagen einfach Welten. Unglaubliche Welten. Vermutlich hatten er und seine Familie noch das Glück zu behaupten, dass sie nicht arm waren, aber trotzdem war das etwas völlig anderes als das hier. Allein die Lebensumstände waren schon anders. Das sah er an den Frauen, an den vielen Früchten, die hier angeboten wurden und die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte; an den lachenden Kindern. Hier war alles anders. Belebter, lebendiger, aber Tao wusste nicht, ob er sich wünschen würde hinter einer Mauer aufzuwachsen. Natürlich faszinierte ihn das jetzt – einfach weil er es nicht kannte – aber vermutlich war es gar nicht so schön, wie es im ersten Moment schien. Aber er musste sich ja keine weiteren Gedanken darum machen, denn das hier war nur ein Ausflug in eine Welt, die er nie wieder erleben würde. Und das war in Ordnung. Der Schwarzhaarige fragte sich im Moment eher, ob Kris wirklich vorhatte ihm einen Drachen zu zeigen. Es war nicht unbekannt, dass die Königsfamilie Drachen besaß. Damit wurden Kriege gewonnen, damit wurde das Land verteidigt. Es gab so viele Geschichten und Legenden über diese gewaltigen Wesen und Tao glaubte, dass die Hälfte davon der Wahrheit entsprach. Er hatte noch nie einen Drachen aus der Nähe gesehen und er hätte nie gedacht, dass er je in den Genuss kommen würde. Wobei er nicht sicher war, ob er diese Tiere wirklich sehen wollte. Die Erzählungen waren angsteinflößend, die Tiere waren eigensinnig, schlau und brutal; angeblich sogar blutrünstig. Nicht, dass er davon ausging, dass Kris vorhatte, ihn zum Drachenfutter zu degradieren, aber er war sich nicht sicher, ob ihm wohl bei dem Gedanken war, oder nicht. Sie schwiegen und Tao folgte dem Mann mit den fast goldenen Haaren, sah sich immer wieder etwas um und betrachtete den Ort, der für ihn unbekannt und neu war. Und dann bemerkte er, dass sie den gewaltigen, aus hartem Stein gebauten Palast ansteuerten, der trotz seiner grauen Farbe stattlicher war, als jedes Haus, das er je gesehen hatte. Aus der Ferne hatte er immer nur zwei der fünf Türme erkennen können; die höchsten, logischerweise. Genauso wie die Fahnen, die das Wappen der Königsfamilie trugen und nur selten in dem schwachen Wind wehten. Die bewaffneten Wachen mit der adretten Uniform traten ehrfürchtig zur Seite, als sie die Treppen hochstiegen und schließlich durch das geöffnete Tor schritten, und Tao fühlte sich fast schon unwohl in seiner Haut. Er passte hier nicht rein. Er war wie ein hässlicher Fettfleck in einem wunderschönen Bild. Die Wände waren hell, die Bilder, die an selbigen hingen, waren aus Ölfarbe und die Bilderrahmen waren vermutlich aus reinem Gold. Genau wie alles andere, das nicht aus Stein oder Holz war. Der Teppich war ein sattes Rot und Tao spürte den unglaublich angenehmen und sanften Stoff unter seinen nackten, schmutzigen Füßen. Das Gebäude wirkte anders als erwartete nicht einmal trost- oder charakterlos; er sah sogar große Pflanzen in edel verzierten Töpfen, die dem gigantischen Flur eine viel gemütlichere Atmosphäre gaben. Ehrlich gesagt hätte er sich das hier alles viel grauer vorgestellt, aber davon war hier absolut keine Spur. Er hörte ein kurzes, dunkles Lachen, das von Kris stammte, und Tao sah zu ihm und bemerkte erst jetzt, dass er sich wohl mit offenem Mund umgesehen hatte. »So beeindruckend?«, wollte Kris wissen. »Du hast gesehen, wo ich aufgewachsen bin. Ich sehe so einen großen Raum zum ersten Mal. Und von der Ausstattung wollen wir erst gar nicht reden.« Tao sah zu Kris, bemerkte, dass er noch immer etwas amüsiert grinste und erwiderte es schließlich etwas. Dass er ihn nicht mehr höflich ansprach, schien Kris nicht zu stören. Eine kurze Stille trat zwischen ihnen ein, die Tao schließlich brach. »Wieso nimmst du mich mit?«, fragte er dann, weil ihn dieser Grund wirklich interessieren würde. »Vielleicht möchte ich einfach nur ein wenig angeben«, sage Kris trocken. Tao gluckste daraufhin trocken. »Dafür hättest du mich nicht hierher nehmen müssen«, merkte er an. »Beschwerst du dich?« »Nein«, sagte er. »Im Moment nicht.« »Du kuschst nicht«, stellte Kris dann fest und Tao war sich nicht sicher, ob er vielleicht nicht besser den Ausgang suchen sollte, solange er das noch konnte. Aber vermutlich war er zu stolz dafür und Kris klang nicht bösartig. Er war sogar um einiges angenehmer als bei ihrem ersten, unvermeidlichen Treffen. »Natürlich kusche ich nicht«, sagte er mit einem Ton, als wäre es selbstverständlich. »Es reicht schon, wenn ich jeden Tag den Stall säubern muss, da hab ich nicht auch noch Lust Leuten wie euch in den Arsch zu kriechen. Mein Leben ist auch so schon schmutzig genug«, sagte er und man erkannte sogar etwas Humor in der Stimme. »Du wirkst nicht so, als würde dich das stören.« »Wieso sollte es das? Ich bin damit aufgewachsen, es ist normal für mich.« Tao zuckte mit den Schultern. »Und genauso normal ist es für dich wohl das zu bekommen, was du möchtest.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Du bist mir immer noch wegen dem Alpaka böse.« Ebenfalls eine Feststellung. »Ein bisschen, ja.« »Zur Entschädigung bekommst du die einmalige Gelegenheit einem Drachen ins Gesicht zu sehen, ohne dass er dich frisst. Das sollte Ehre genug sein.« Tao wollte sagen, dass er diese Ehre nicht brauchte. Er wollte anmerken, dass er einfach Phueng wieder bei sich haben wollte, aber Tao war sich gar nicht sicher, ob es dem Tier hier vielleicht nicht sogar besser ging. Es hatte frisches, saftiges Fressen und dieser Luhan schien sich auch ernsthaft um sie zu kümmern. Also war es vielleicht in Ordnung, wenn sie hier war. Auch wenn Tao sie ein bisschen vermisste. Und wenn er ehrlich war, war er durchaus gespannt und nervös den Drachen zu sehen. Wie auch immer Kris auf diese Idee gekommen war. Vielleicht meinte er das mit der ‚Entschädigung‘ wirklich ernst. Sie traten in einen Seitenraum, liefen durch einen engeren, kleineren Flur und steuerten wieder eine Tür an, die bewacht wurde, und schließlich betraten sie einen Raum, der mit einer Treppe, die in die Tiefe führte, begann. Es war dunkel und an der kalten Steinwand hingen brennende Fackeln, die Licht spendeten. »Sind sie im Keller?«, wollte Tao dann wissen. »Auch. Natürlich können wir die Wesen nicht nur im Keller halten, davon abgesehen lassen sie sich auch gar nicht einsperren. Aber allein können sie eben auch nicht raus. Ace ist im Moment in seinem Nest.« »In seinem… Nest?«, wollte Tao ungläubig wissen. »Warte. Heißt der Drache auch Ace?« »Nein, er heißt nur Ace, das Alpaka heißt Ace Junior.« Tao schüttelte den Kopf unbewusst und wusste nicht ob er lachen oder lieber weinen sollte. Der junge Prinz war durchaus kreativ… Die Steine unter seinen nackten Füßen waren ungewöhnlich kühl, aber das störte ihn im Moment überhaupt nicht. Denn er war nervös. Er war sehr nervös. Immerhin würde er gleich einen Drachen sehen. Einen richtigen Drachen. Lebensecht und lebensnah. Was kümmerten einen kalte Füße und ein leichtes Frösteln auf den nackten Armen? »Und die Drachen haben ein Nest?«, wollte er dann fragend wissen und folgte Kris noch immer die Treppe hinunter, die irgendwie gar kein Ende mehr nehmen wollte. »Du wirst gleich sehen, was ich meine.« Tao antwortete nichts darauf, sondern hörte Kris‘ hallenden Schritten zu und nahm irgendwann auch ein leises gutturales Knurren wahr. Und erst jetzt bemerkte Tao, wie unheimlich die Situation eigentlich war. Das Königshaus ihres Landes hielte sich Drachen in ihrem Keller. Gefährliche, gewaltige Bestien, die mit einer Leichtigkeit ein halbes Dorf auslöschen konnten. Was würde passieren, wenn diese Drachen irgendwann anfangen würden selbstständig zu werden? Das wäre wahrscheinlich der Untergang für sie alle. Aber vermutlich musste man dem Königshaus lassen, dass sie wussten, wie man die Biester zähmte, denn die Drachen schienen hier schon zur Tradition zu gehören. Und er konnte sich an keine Geschichte von ihrem Land ohne Drachen erinnern. Sie gehörten dazu, aber je weiter er in die Tiefe stieg, desto klarer wurde der Gedanke, dass das hier eigentlich verdammt gruselig war. Und dann endeten die Steinstufen endlich und Kris führte ihn durch ein gewaltiges, geöffnetes Stahltor und im nächsten Moment weitete er seine Augen und gaffte einfach nur auf das unglaublich große Wesen, das er auch aus der Ferne schon erkennen konnte. Der Raum war von Fackeln und einem Art Freudefeuer erhellt und am anderen Ende konnte er sogar Tageslicht erkennen. Tao vermutete, dass es durch eine Art vergitterte Falltür in den gigantischen Raum fiel, der von ein paar dunklen Säulen an den Seiten gestützt wurde. Die Decke war unglaublich hoch und Tao wurde jetzt erst bewusst, wie riesig diese Tiere waren. Oder wurden. In seiner Begeisterung und Überwältigung bemerkte er nicht, dass Kris ihn von der Seite anstarrte und sich offensichtlich still über sein Verhalten amüsierte. Doch das, was er hier sah, war auch ein Anblick, den er sicher nie erwartet hätte. Vermutlich hätte er sich das nicht einmal erträumt. Es war nicht so, dass er unbedingt einen Drachen aus nächster Nähe hatte sehen wollen – aus der Weite hatte er sie schon immer als dunkle Silhouetten am Himmel erkannt; aber es war eben nie ein großer Wunsch gewesen, sie so direkt zu sehen – aber das hier war trotzdem einnehmend, unfassbar und einfach nur imposant. »Fertig mit Starren?«, wollte Kris wissen, der neben ihm stehen geblieben war, als Tao angefangen hatte sich umzusehen. Und dann riss er den Blick von dem Wesen, das aussah als würde es schlafen, und blickte wieder zu dem Prinzen, grinste ertappt. »Ich glaub das wäre ich in zwei Tagen noch nicht.« Kris gab ein kurzes, amüsiertes Schnauben von sich, machte ein Zeichen mit der Hand, das Tao zeigte, dass er ihm folgen sollte und lief dann weiter. Tao folgte ihm zögernd und bemerkte erst jetzt, dass der Boden nicht halb so kalt war wie die Treppen. Lag vielleicht an den ganzen Feuern hier. Möglicherweise kam die Wärme auch von den Wesen, aber das war nur eine spontane Spekulation. Sie traten dem Wesen, das so groß war, dass Tao gar keine Ahnung hatte, womit man es vergleichen sollte, näher und er bemerkte, wie groß sein Respekt vor diesem schlafenden Wesen mit den schwarzen Schuppen war. Angsteinflößend, einnehmend. Dieses Tier war so vieles und Tao konnte sich nicht entscheiden, ob er lieber den Feigling spielen und zurück zu seinen Alpakas rennen sollte, oder ob er es gar nicht erwarten konnte, das Tier noch genauer zu sehen. Tao blieb gute zwanzig Meter vor dem Kopf stehen, dessen Schnauze ungefähr einen halben Meter größer als er war und sah zu Kris, der ohne Hemmungen, ohne zu zögern zu dem Wesen lief und schließlich seine blasse Hand neben die Nüstern des Tieres auf dessen Schnauze legte, und Tao rechnete eigentlich damit, dass der Drache ihn jeden Moment verschlingen würde. Kris drehte den Kopf zu ihm und nickte in seine Richtung. »Komm her, er wird dir nichts tun, wenn ich dabei bin. Vorausgesetzt ich sag nicht, dass er dich fressen soll.« Tao lächelte etwas gezwungen und trat dann schließlich leise und mit gewählten Schritten vorwärts. Sein Herz klopfte viel zu schnell und er konnte selbst gar nicht glauben, dass er so aufgeregt war. Nicht, dass er im Moment irgendwelche Gedanken in seinem Kopf hatte, denn die Situation verbrauchte gerade all seine Konzentration um das Geschehen zu fassen. Er hätte niemals gedacht, dass die Tiere so groß wurden. Ob er schon ausgewachsen war? Besser, er würde das gar nicht fragen. Neben Kris kam er schließlich zum Stehen und er musterte das Tier aus der Nähe, konnte den raschelnden, fast brodelnden Atem des Tieres nun deutlicher hören und schluckte leise. Seine dunklen Augen richteten sich auf die schwarzen Schuppen und er fragte sich, wie sie sich anfühlten. »Schläft er?«, fragte Tao dann, der seinen Kopf etwas angehoben hatte und das Auge mit den geschlossenen Lidern bemerkte. Kris zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Vielleicht will er dich auch einfach nur täuschen.« Tao fragte sich, wieso das Tier ihn täuschen sollte; so viel Eindruck wie es hinterließ. »Du kannst ihn ruhig anfassen, wenn du möchtest«, sagte Kris dann ruhig, der wohl seine Blicke bemerkt hatte oder im Moment einfach Gedanken lesen konnte. Unsicher blickte der Dunkelhaarige zu dem Prinzen, der nur leicht nickte und seine Aussage damit wohl noch unterstrich. Taos Herz bebte, als er sich traute den Arm zu heben und schließlich legte er die Hand auf die Schuppen, die unerwarteterweise sehr warm waren und sich wie poliertes Holz oder ein glatter Stein anfühlten. Und dann schlug der Drache das Auge auf. Tao zog sofort seine Hand weg, stolperte vor Schreck einen Schritt zurück und stieß gegen Kris. Die gelben, stechenden Augen mit der katzenförmigen Pupille starrten ihn an und er hörte ein dunkles Knurren, das ganz tief aus der Kehle kommen musste. Der Mund des Tieres blieb jedoch geschlossen und Tao bemerkte, wie es ihn fixierte. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und ein leises, amüsiertes Glucksen von Kris, ganz dicht an seinem Ohr. »Keine Angst, ich hab doch gesagt, dass er nichts tun wird.« Seine Stimme war gesenkt und Tao schielte angespannt zu ihm und dann wieder zurück zu dem Tier, das seine Augen wieder geschlossen hatte. Na, vielleicht wollte es ihn ja doch täuschen. Kris‘ Hand war noch immer auf seiner Schulter und Tao glaubte, dass ihn das sogar ermutigte den Arm erneut zu heben und die Hand oberhalb des Mundes des Tieres zu legen. Diesmal behielt es die Augen geschlossen und Tao bewegte die Hand über die Schuppen, die glatter waren, als sie aussahen. Nur der Übergang von einer zur anderen Schuppe machte sich deutlich bemerkbar. Tao spürte, wie Kris seine Hand von seiner Schulter zog und die Nähe des anderen verschwand schließlich. Tao zog seine Hand wieder zurück und Kris‘ Hand tätschelte das Schuppenkleid des Tieres, das schließlich wieder seine Augen öffnete. Tao zuckte zusammen, ihm stockte kurz der Atem und schließlich bewegte sich das Tier und Tao riss seine Augen auf und trat zurück, als sich der Drache langsam erhob. Kris packte sein Handgelenk. »Wenn du zu sehr zurückschreckst, hinterlässt das keinen guten Eindruck bei ihm. Er bemerkt dann viel schneller, dass du Angst vor ihm hast.« »Ich geh davon aus, dass es meine Angst riechen kann«, sagte Tao und seine Stimme war leise, während er seinen Kopf etwas in den Nacken legte und zusah, wie sich das Tier vollständig aufgerichtet hatte. Und irgendwie wurde es noch größer. Es hatte große Krallen an den Vorder- und Hinterbeinen und Tao bemerkte sein Spiegelbild in selbigen und fragte sich, ob das Tier damit schon mal einen Menschen getötet hatte. Okay, eigentlich wollte er die ehrliche Antwort gar nicht wissen. »Vermutlich kann er das«, antwortete Kris, während Tao das schwarze Tier beobachtete. Es hatte Stacheln auf dem Rücken, ebenfalls auf dem langen Schweif, sowie dem Kopf. Und er bemerkte etwas auf dem Rücken des Tieres, direkt hinter dem Hals. War das ein Sattel? Vermutlich. Kris trat ein paar Schritte zurück und zog Tao ungehobelt mit, damit sie das Tier besser sehen konnten. Tao hob den Kopf, sodass er nicht nur die Pranken sah, und sah mit geweiteten Augen dabei zu, wie das Tier den langen Hals beugte und den Kopf zu ihnen senkte. Er hörte den lauten Atem des Drachens und Tao kniff die Augen etwas zusammen und roch einen unangenehmen Geruch. Das Tier kam ihm näher und Tao wollte zurückweichen. »Woah«, machte er erschrocken und Kris legte seinen Arm um Taos Schultern, damit er nicht zurückweichen konnte. Auch wenn er das gerade wirklich, wirklich gern tun wollte, denn die gigantische Schnauze des Tieres war ihm viel zu nah. Er spürte sogar einen Windzug, als das Tier an ihm roch. Tao drehte den Kopf zur Seite und schloss seine Augen und verzog die Lippen angewidert. Kris hatte seinen rechten, freien Arm gehoben und legte die Hand schließlich zwischen die Nasenlöcher des Tieres. »Ace, das reicht.« Tao glaubte nicht, dass die Worte von Kris reichen würden, aber das Tier hob den gigantischen Kopf  und betrachtete die beiden jungen Männer von oben. »Ist er ausgewachsen?«, wollte Tao dann doch wissen, als Kris ihn wieder los ließ. »Fast. Vermutlich wird er noch einen halben Meter größer. Aber bald ist er ausgewachsen.« »Und du… fliegst auf diesem Wesen?« »Natürlich.« Kris klang verständnislos. »Wow«, machte Tao und stellte sich vor, wie es wohl war auf dem Rücken eines Drachens zu fliegen. Und irgendwas in ihm wollte Kris fragen, ob er es ihm zeigen würde. Und dann fiel ihm wieder ein, wer er war und dass er nicht das Recht hatte so einen Gedanken überhaupt zu haben. Immerhin war er nur der Sohn eines Bauers einer Alpakafarm. »Du willst auch mal, hm?«, fragte Kris und Tao sah ihn an und fühlte sich ertappt. Und dann versuchte er sofort wieder lässig zu wirken. Kris sprach weiter. »Ich sehe das an deinen Augen. Sie sprechen Bände.« Tao wandte den Blick von ihm ab und sah hoch zu dem Tier, das sie anstierte und den Kopf und Hals leicht schüttelte. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. »Vielleicht beim nächsten Mal.« Tao sah etwas verwirrt zurück zu Kris und zog die Augenbrauen zusammen. »Huh?«, machte er skeptisch und betrachtete Kris‘ Profil. »Wie, beim nächsten Mal? Was soll das bedeuten?« Kris drehte den Kopf etwas zur Seite und warf Tao einen Blick zu, den er nicht zuordnen konnte. »Genau das, was ich gesagt habe. Oder was verstehst du an dem Satz nicht?« Und da war sie wieder, die Spur seiner Arroganz. Er hatte seine Stirn gerunzelt. »Soll das bedeuten, dass demnächst wieder unangekündigt eine edle Kutsche vor unserem Haus steht und möchte, dass ich mitkomme?« Kris hob die Schultern etwas an. »Möchtest du das denn?« Tao öffnete seinen Mund und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Das hier war irgendwie zu viel Eindruck auf einmal. »Ich weiß nicht.« Die Antwort war wenigstens ehrlich. Kris hatte daraufhin nichts zu diesem Thema gesagt und Tao hatte die Zeit damit verbracht den Drachen anzustarren, der vor ihnen stand und viel größer als ihr Haus war. Vermutlich war er sogar doppelt so groß. Oder dreimal. So sicher war er sich nicht wirklich. Fakt war, dass dieses Biest einfach gewaltig war. Und Tao war sich nicht sicher, ob er Angst oder Respekt vor diesem Tier haben sollte. Vermutlich war es beides. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)