Zeitstillstand von dumm ([Taoris]) ================================================================================ Kapitel 7: Sieben ----------------- »Fang erst gar nicht an, ihr schöne Augen zu machen«, hatte er ihm geraten. Vermutlich war es schon eher ein verdeckter Befehl gewesen. Es gab so viele Gründe, wieso er das nicht tun sollte. Erstens, weil sie eine Prinzessin war und weil er nur ein lausiger Alpakabauer war und nicht einmal ihren Namen schreiben konnte. Zweitens, weil die Wahrscheinlichkeit, dass er sie wieder sehen würde, sehr gering war. Drittens, weil sie mit Xiumin liiert war, damit das Bündnis ihrer Königshäuser stärker wurde und der wichtigste und ausschlaggebende Grund war schlicht und einfach, dass es Kris nicht gefiel, wenn Tao sie auch nur ansah. Er sollte sie nicht charmant anlächeln, sollte sich nicht einmal mit ihr über banale Dinge unterhalten und sollte erst recht nicht gemeinsam mit ihr lachen. Es war egoistisch, aber er war ein Prinz und es war wichtig, dass sein Wohl erfüllt wurde. Das hatte er so gelernt, das wollte er beibehalten. Der Grund für seine durchaus vorhandene Eifersucht war, dass Kris wollte, dass er nur ihn aus diesen unglaublich beeindruckenden, schönen Augen ansah. In Taos Welt sollte nur er existieren. Er sollte in seinen Augen die personifizierte Schönheit und gleichzeitig der idealste Herrscher aller Zeiten sein. Kris wollte, dass er ihn begehrte. Dass er arrogant war, war nichts Neues. Aber es war durchaus neu, dass er etwas auf die Meinung anderer gab. Es gab nur wenige Personen, auf deren Meinung er etwas gab und Tao hatte es, aus ihm unerklärlichen Gründen, in kürzester Zeit an die Spitze dieser Personen geschafft. Und aus diesem Grund sollte Tao nur ihn sehen. Alle anderen Leute hier waren nur Statisten. Es sollte nur zwei Hauptpersonen in Taos Leben geben und das sollten natürlich er selbst und Kris sein. Er wusste nicht, wieso er solche Gedanken hatte. Kris konnte sich nicht einmal erklären, wie das überhaupt geschehen war. Weil er Tao am Anfang echt nervend gefunden hatte. Er war, wie alle anderen, nur Dreck unter seinen Fingernägeln gewesen,  und er mochte Dreck unter seinen Fingernägeln nicht. Er hatte so eine große Klappe gehabt und Kris hatte jeder Faser seines Körpers ablesen können, dass er ihn nicht leiden konnte. Kein Wunder, das passierte bei den meisten Leuten, denen er begegnete. Kris wusste, dass er auf viele nicht sympathisch wirkte, aber das gehörte eben dazu. Würden die Leute ihn sympathisch finden, würden sie nur sagen, dass er als König unpassend werden würde. Dass er zu weich wäre und sich von seinen Gefühlen leiten ließ. Das traf nicht zu. Zumindest hatte es bis dato niemals zugetroffen. Und dann war Tao aufgetaucht, war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen, und seine Anwesenheit hatte dazu geführt, dass es sich angefühlt hatte, als würde die Zeit plötzlich stillstehen. Tao war sein persönlicher Zeitstillstand und Kris konnte gar nicht in Worte fassen, wie gut dieses Gefühl tat. Es war so erleichternd zu denken, dass die Zeit nicht weiterging. Taos Gegenwart tat ihm gut. Und Kris bemerkte, dass er nicht wollte, dass ihm irgendjemand zu nahe kam. Es war egoistisch zu denken, dass er nur ihm Gesellschaft leisten sollte, aber der einzige Trost war, dass es als Prinz sein gutes Recht war. Würde er den Thron besteigen – und das würde er früher oder später – würde ihm ein ganzes Königreich und das wohl größte Land des Kontinentes gehören. Wieso sollte er sich dann auch nicht das Recht herausnehmen zu verlangen, dass dieser dämliche Alpakabauer, der nicht so recht kuschen wollte und alles hinterfragte, ihm nicht von der Seite weichen sollte. Kris wusste, wieso er das nicht konnte. Zumindest nicht direkt und öffentlich. Weil er ein Prinz war. Und Tao war nur irgendjemand. Von ihm wurde erwartet, dass er sich nur mit adligen Leuten abgab. Von ihm wurde erwartet, dass er irgendeine Prinzessin, von welchem Kontinent auch immer, heiraten würde, damit der Frieden und ein Bündnis gesichert wurden. Kris wusste, dass er das irgendwann tun würde. Er wusste, dass er dagegen nichts tun konnte, aber er wusste auch, was er im Moment wollte. Er wollte diese Person haben, die nicht verstand, was Kris‘ Blicke bedeuteten, wenn er ihn ansah. Er wollte diesen unberührten Körper, den er im Bad unauffällig studiert hatte, anfassen. Und verdammt, ja, Kris wollte ihn eigentlich schon seit Tagen gegen die nächste Wand drücken und ihm zeigen, wieso sie ihn den Drachenzähmer nannten. Genau deswegen hatte er ihm gleich klar gemacht, dass Jisun verlobt war und dass er sich von Kai fernhalten sollte. Und von Chanyeol. Und auch von Chen, der nicht halb so wichtig war, wie er wirkte. Immerhin war er nur ein lausiger Barde mit einer guten Stimme. Und was Lay anging, wollte er auch vermeiden, dass Tao in die Versuchung kam mit ihm zu reden. Es gab einige Dinge über Kris, die Lay wusste und nicht unbedingt auspacken sollte. Lay war wohl so etwas wie ein dunkles, vergangenes Kapitel. Nicht, dass er es bereute, was damals zwischen ihnen passiert war, aber er wollte nicht, dass  Tao es erfuhr. Eigentlich sollte niemand erfahren, dass Lay und er sich besser und intimer kannten, als es gesund für sie beide war. Davon abgesehen lag es in der Vergangenheit und Kris würde es nicht wiederholen. Tatsache war, dass er wollte, dass Tao bemerkte, dass er ehrliches Interesse an ihm hatte. Er hatte nur keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, weil Tao entweder niemals auf den Gedanken kommen würde, oder es einfach gekonnt abblockte. Beide Möglichkeiten waren nicht besonders rosig. Aber Kris wäre nicht Kris, wenn er nicht das bekommen würde, was er wollte. Immerhin war er ein Kronprinz. Kris lag auf dem weichen Bett, das  seinem eigenem fast Konkurrenz machte, und beobachtete den schwarzen Schopf des anderen, zwischen den vielen bunten Kissen. Das Morgenlicht fiel durch die verglasten Fenster und er konnte das ruhige Atmen des anderen hören. Heute war der letzte Tag angebrochen und Kris hatte die letzten Tage eigentlich nur damit verbracht, den Herrschern der anderen Ländern zuzuhören, über Wirtschaft und den Handel zu reden, und letztendlich hatte er wohl einfach nur lernen müssen. Immerhin würde er irgendwann auf dem Thron sitzen und dann würde er die Worte, die sein Vater gewählt hatte, weiterführen. Auch wenn es oft so wirkte, war die Arbeit als Prinz oder König gar nicht so einfach. Man saß nicht nur auf einem unbequemen Thron und sah gut aus, sondern regierte. Gerade ihr Land war riesig und es war wichtig verbündete Länder zu haben, gerade weil ihr Land zum größten Teil aus Wüste bestand. Viel Rohstoffe konnten nicht gewonnen werden und die Lebensmittel waren auch nur beschränkt; anders als zum Beispiel in den Südlanden. Man musste dafür sorgen, dass andere Länder, die vor Generationen Feinde gewesen waren, anfingen neutral zu werden und das war wohl eines der schwierigsten Dinge. Besonders, weil Kris einen persönlichen Groll gegen Chanyeol und die Eranianprinzen hegte. Er konnte nur von Glück sprechen, dass nicht Kai auf dem Thron enden würde. Denn das würde durchaus kompliziert werden. Gerade, weil Kris niemand war, der sich fügte. Es war stressig gewesen, hatte an seiner Laune gezerrt und er hatte kaum Zeit mit Tao verbringen können. Und eigentlich hatte er Tao mitgenommen, weil er gehofft hatte, dass das irgendwie klappen würde. Aber wenn er nicht im Speisesaal oder auf irgendwelchen Besprechungen gewesen war, hatten Xiumin oder Jino ihm ein Ohr abgekaut. Der einzige Trost war, dass Tao gern hier war und sich wenigstens mit den Leuten gut verstand. Zumindest mit Jinos Schwester, und Xiumin und Suho schien er auch zu mögen. Und sie ihn. Er verbrachte Minuten damit einfach da zu liegen und Tao zu beobachten. Nicht, dass er wirklich viel von ihm sah. Beruhigend war es dennoch und Kris zögerte den Gedanken, den anderen zu wecken, damit er noch ein paar Stunden mit ihm allein hatte, vermutlich nur deswegen heraus. Eher weniger anmutig rollte er sich aus dem Bett, warf die Decken zurück auf selbiges und griff schließlich zu seinen Klamotten. Er zog sich an, verschwand aus dem Zimmer in einen der Baderäume im selben Flur und als er wieder zurückkam, schlief Tao noch immer. Kris war sich ziemlich sicher, dass er normalerweise nicht so lange schlief; immerhin arbeitete er auf einem Bauernhof. Da hatte man sicher alle Hände voll mit Mist zu tun. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er trat vorsichtig zu dem Haufen mit den Kissen, in denen Tao unter einer weichen und dünnen Decke lag, ging in die Knie und beobachtete sein schlafendes Gesicht kurz, ehe er seine tiefe Stimme ruhig erhob. »Hey, wach auf.« Tao regte sich, zog die Decke über seinen Kopf und drehte sein Gesicht in eines der Kissen. Kris blinzelte und war im ersten Moment nicht sicher, ob ihn diese Reaktion empörte, oder amüsierte. »Wenn du nicht gleich aufwachst, dann endest du als Frühstück für Ace«, sagte er, ohne es ernst zu meinen. Tao drehte sich erneut, zog die Decke von seinem Gesicht und blinzelte Kris unglaublich verschlafen an. »Ich schmecke bestimmt scheußlich«, murmelte er, rieb sich das rechte Auge und blickte Kris dann für einige Sekunden still an, ehe er sich im nächsten Moment aufsetzte und ihn etwas erschrocken ansah. »Gut geschlafen?«, wollte Kris mit einem schmalen Lächeln wissen und Taos erschrockene Miene verschwand und er wirkte wieder müde. Der Dunkelhaarige nickte. »Ja. Sehr gut sogar. … und du?« Kris fand es seltsam, wenn er solche Gegenfragen hörte. »Auch«, antwortete er deswegen nur so kurz wie möglich. Eine merkwürdige Stille trat ein und Tao blickte Kris müde und fragend an und der Prinz wusste nicht so recht, was er tun oder sagen sollte. Vermutlich lenkte sein Gegenüber ihn unbewusst gerade erfolgreich ab. »Alles in Ordnung?«, brach Tao dann unsicher die Stille. »Ja. Steh auf, ich hab was vor. Und du hast die Ehre mir beizustehen.« Tao drehte den Kopf etwas zur Seite und blickte dann aus dem Fenster, sah wieder zu Kris und erhob sich schließlich. Im Gegensatz zu Kris hatte er in seinen Klamotten geschlafen und Kris kam der Gedanke, dass er das spätestens dann ablegen würde, würde er irgendwann in seinem Bett schlafen. Kris raffte sich ebenfalls wieder auf, verfrachtete Tao ins Bad, damit er wacher wurde, wartete schweigend vor dem Baderaum und wusste gar nicht, was genau er denn vorhatte. Und wäre Tao nicht so verschlafen gewesen, hätte er ihn sicher gefragt, was er denn vorhatte und ihm wäre schon früher aufgefallen, dass er keine Ahnung hatte. Kris glaubte, dass Tao inzwischen schon genug von der Insel gesehen hatte und Lust vor der Rückreise auf Aces Rücken zu sitzen, hatte er sicher auch nicht. Und dann bemerkte Kris, dass er absolut keine Ideen hatte oder vermutlich bekommen würde. Nicht, dass er irgendetwas geplant hatte, außer ein paar Stunden Zeit mit Tao zu verbringen. Allein. Die Tür wurde geöffnet und Tao trat, zusammen mit einem gut gelaunten Lächeln und deutlich wacher, aus dem Raum und blickte zu ihm. »Wo geht’s hin?«, fragte Tao dann und sah ihn neugierig an. »Wirst du sehen. Komm mit.« Er setzte sich in Bewegung und glaubte für einen kurzen Moment, dass es vielleicht besser wäre, wenn er ihm sagte, dass er kein bestimmtes Ziel hatte. Aber irgendwie würde das sicher dämlich kommen, weil er eben noch gesagt hatte, dass er was vorhabe. Aber möglicherweise war Tao so müde gewesen, dass er das gar nicht registriert hatte. Tao kam mit und stellte keine Frage. Vorerst zumindest. Und Kris wusste noch immer nicht wohin er nun gehen sollte, oder was er denn vorhaben könnte. Er könnte natürlich einfach zu Ace gehen, aber eigentlich hatte er sich nur einen Moment mit Tao gewünscht. »Heute Abend geht’s zurück, oder?«, fragte Tao dann plötzlich und Kris hob die Augenbrauen etwas, sah zu dem Schwarzhaarigen, der neben ihm lief. »Ja«, antwortete Kris und machte einen Moment Pause, ehe ihm etwas einfiel. »Hast du es genossen?« »Auf jeden Fall. Ich… ehrlich gesagt bin ich gar nicht so heiß darauf, wieder zurück zu gehen«, gestand er kleinlaut und Kris schenkte ihm ein schmales Lächeln, das Tao nicht sah, weil er auf den Boden guckte, während sie weiter über die Wiese liefen. Wohin auch immer. »Ja, hier ist es ganz anders, als bei uns.« Kris bemerkte, dass er fürchterlich darin war, einfach nur ein einfaches Gespräch zu führen. Dabei strengte er sich gerade wirklich an. Aber wenn es um ein zwischenmenschliches Gespräch ging, dann war das nicht so einfach, als wenn er den arroganten Prinzen heraushängen lassen konnte, der er zweifelsohne war. »Danke, dass du mich mitgenommen hast«, sagte mit gesenkter Stimme und klang so unglaublich ehrlich. »Du musst dich nicht bedanken. Ich hab dich nur aus Eigennutz mitgenommen«, sagte Kris und log damit nicht einmal. Tao runzelte die Stirn. »Du änderst jeden Tag den Grund, wieso du mich mitgenommen hast, oder?« Kris lachte plötzlich kurz und leise. »Du hörst mir zu.« »Natürlich höre ich dir zu«, sagte Tao fast schon empört und grinste ihn danach an. »Und was machen wir nun?« Kris blickte wieder nach vorn und zuckte dann mit den Schultern. »Eigentlich hab ich nichts Bestimmtes vor. Ich wollte einfach nur ein paar Momente haben um mit dir zu reden. Wenn wir wieder in Ilha sind, dann werden wir uns nicht mehr täglich sehen und-« Kris hielt plötzlich mitten im Satz inne, weil er sich das noch gar nicht so wirklich bewusst vor die Augen geführt hatte. Tao warf ihm einen Blick zu, den Kris nicht so ganz deuten konnte. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob Kris seinen Satz noch beenden wollte, oder nicht. Er verzog die Lippen schließlich etwas und beobachtete den Wald, den er in der Ferne sehen konnte. Und schließlich blieb er stehen und drehte sich zu ihm, Tao tat ihm, mit einem unsicheren Blick, gleich. »Ich kann dich gut leiden. Ich kann dich wirklich gut leiden, Tao. Und das passiert sonst nicht so schnell. Die Leute, die ich mag, kann ich an einer Hand abzählen und das klingt vielleicht traurig, aber das ist es absolut nicht. Es ist anstrengend Leute zu mögen.« Tao runzelte die Stirn. »Wieso ist das anstrengend?«, wollte er dann wissen, bevor Kris jedoch antworten konnte, sprach Tao weiter. »Ist es wirklich anstrengend mich zu mögen?« Und dabei klang er so, als hätte ihn der Satz irgendwie verletzt und Kris glaubte, dass er ihn völlig falsch verstanden hatte. »Nein«, sagte er deswegen sofort und vielleicht etwas zu energisch. Und dann bemerkte er seine eigene Reaktion, blickte leise fluchend über sich selbst zur Seite, ehe er wieder zurück zu Tao sah. »Also doch, eigentlich schon«, sagte er dann ehrlich und bemerkte, wie Tao seine Lippen aufeinander drückte. »Aber nicht, weil du mir keine Gründe gibst, dich zu mögen, sondern weil ich nicht gelernt habe Menschen zu mögen. Das geht in meiner Position nicht. Ich darf nicht wahllos Sympathiepunkte verteilen. Ich muss Leute mögen, die Vorteile für mich und das Reich haben, das ich irgendwann anführen würde. Und seien wir doch mal ehrlich: Du hast keine Vorteile für mich. Und deswegen ist es schwer dich zu mögen, weil das allem widerspricht, was ich bis her auf die Beine gestellt und gelernt habe.« Tao hatte den Mund kurz geöffnet, blieb jedoch stumm und blickte inzwischen irgendwo gegen Kris‘ Bauch. »Ich mag es nicht, dass du Jisun magst«, führte er seine Rede dann total zusammenhangslos weiter. »Ich will nicht, dass du Gefallen an ihr findest und ich will auch nicht, dass du sie so ansiehst, wie du sie ansiehst.« Und jetzt erntete er einen absolut skeptischen Blick von Tao, den Kris einfach ignorierte. »Ich will nicht, dass du hier irgendjemand zu nahe kommst, nicht weil ich sie nicht leiden kann – und ich kann die meisten nicht leiden, wie du weißt – sondern weil ich nicht möchte, dass sie dich mögen könnten. Ich will nicht, dass sie dich mögen und dass du sie magst, weil du nur mich mögen sollst. Ich bin egoistisch und ichbezogen, aber das weißt du vermutlich schon seit dem ersten Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Der Grund wieso du hier bist, ist, dass ich gern in deiner Gegenwart bin. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist und ich«, er hörte erneut auf zu reden, weil Tao ihm einen so unsicheren Blick zuwarf, der dazu führte, dass Kris einfach genervt seufzte. Er war kein guter Redner, wenn es um Gefühle ging. „Kann ich aufhören zu reden und dich nicht einfach küssen?“ Seine Aussage war ungeplant gewesen und klang vermutlich, weil er genervt über sich selbst war, ziemlich schroff. Und jetzt sah Tao ihn nur noch verwirrter an, wobei er ganz deutlich sehen konnte, dass er sich nicht sicher war, ob Kris es ernst meinte oder nicht, und dass er keinen blassen Schimmer hatte, wie er reagieren sollte. Er hatte ihn überfordert – nicht, dass es das erste Mal gewesen war, dass er ihn überfordert hätte. »Du musst antworten«, half Kris ihm dann auf die Sprünge und Tao blinzelte schließlich wieder und hatte unsicher unbewusst angefangen nervös an dem Saum seines Oberteils zu nesteln. »Meinst du… meinst du das ernst?«, fragte er und Kris warf ihm einen Blick zu, als wäre seine Aussage gar nicht falsch zu verstehen gewesen. »Natürlich meinte ich das ernst. Hast du mich je scherzen gesehen?« Nein, hatte er nicht. Weil Kris nicht scherzte. Grundsätzlich nicht. Er konnte sehen, wie sich Taos Adamspafel bewegte. »Nein, hab ich nicht«, sagte er dann leise. »Also?«, fragte Kris. Wieso fragte er überhaupt? Er war der Prinz von Ilha; wenn er jemand küssen wollte, sollte er das einfach tun. Aber eigentlich konnte er nicht einschätzen, ob Tao das wollte, oder nicht. Und vermutlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass es ihn kümmerte, ob jemand anderes wollte, oder nicht. Kris nahm nicht oft Rücksicht, weil er das sonst nicht tun musste. Aber im Moment fühlte es sich richtig an. Er wollte nicht etwas tun, was Tao nicht wollte. Er war vielleicht ein Arsch, aber Tao war ihm so wichtig, dass er seinen beschissenen Charakter nicht ständig raushängen lassen musste. »Ich hab noch nie jemand ge...küsst. Also, nur Phueng. Und… oh Gott, natürlich nur auf die Schnauze und auch nur weil ich sie wirkli-« Tao konnte seinen Satz, der schon so daneben angefangen hatte, nicht beenden, weil Kris ihm uncharmant näher gekommen war und ihm kurzerhand die Lippen aufgedrückt hatte, einfach nur, damit er aufhörte nervösen Schwachsinn zu reden. So viel zu ‚er wollte eine Antwort abwarten‘. Drauf geschissen, er war ein Prinz. Er durfte küssen, wen er wollte. Kris hatte seine Lider nur halb gesenkt und bemerkte, dass Tao seine Augen sofort geschlossen hatte. Ohne groß nachzudenken hob er seine Hände, legte sie an Taos Kopf und löste die einfache, stumpfe Berührung ihrer Lippen, jedoch nur, um seinen Kopf minimal seitlich zu legen, den dämlichen Alpakabauer in seine Richtung zu ziehen und ihm erneut einen Kuss auf die Lippen zu drücken, der eindeutig fordernder und intensiver wurde, weil er anfing seine Lippen gegen die des anderen zu bewegen. Tao wusste nicht so recht, was er machen sollte, das spürte Kris ganz genau und es war ihm völlig egal. Dass er keine Ahnung vom Küssen hatte, bemerkte man, aber das konnte Kris ihm beibringen, denn er bemerkte, dass das hier schon längst überfällig gewesen war und dass er das wiederholen würde. Ganz bestimmt. Das hier würde sicherlich nicht der einzige Kuss bleiben der zwischen ihnen fallen würde. Und als er bemerkte, dass Tao etwas zögernd den Kuss erwiderte, würde er für den Gedanken die Hand ins Feuer halten. Er schloss seine Augenlider schließlich selbst, hielt den Kuss noch einige Momente aufrecht, ehe er ihn vorsichtig löste. Und als er die Augen wieder öffnete bemerkte er den leichten Rotschimmer in Taos Wangen und die Tatsache, dass er fürchterlich verlegen nach unten blickte. Er ließ seine Hände langsam sinken. »War’s so schlimm?«, wollte Kris dann wissen. Romantisch war er gewiss nicht. »Nein«, sagte Tao dann schnell und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nu… nein, es war nicht schlimm. Gott, ich weiß nicht was ich sagen soll, ich bin nervös.« Er hatte die Sätze nur leise gesprochen und Kris hatte sie dennoch gut gehört, weswegen er leicht grinste. »Ich kann nicht gut mit Worten umgehen, wenn es um so etwas geht. Aber ich denke, dass dir nach dieser Aktion bewusst sein wird, wieso ich nicht möchte, dass du jemand anderen unter die Augen trittst.« Er lehnte sich etwas nach vorn, jedoch nicht um Tao erneut zu küssen, sondern um seinem Ohr nahe zu sein. »Ich möchte dich für mich haben. Nur für mich.« Tao hatte seine Lippen fest aufeinander gedrückt, nachdem Kris wieder Abstand genommen und ihn angesehen hatte. Und als er einen Blick an seinen Hals warf, konnte er sehen, wie fürchterlich schnell sein Puls schlug. Er war durchaus nervös und vermutlich hätte er niemals damit gerechnet, mit so einer Situation konfrontiert zu werden. Tao wusste nicht wie er reagieren sollte und das war in Ordnung. »Es tut mir gut, wenn du in meiner Gegenwart bist. Du tust mir gut, Tao.« Kris Stimmt war unglaublich ruhig und klang sehr ausgeglichen. »Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich jede deiner Reaktionen akzeptieren werde. Ich weiß, dass du mir keinen Wunsch abschlagen möchtest, weil ich ein Prinz bin un-« »Nein«, unterbrach Tao ihn, sah ihn aber immer noch nicht an. »Ich schlag dir keine Wünsche ab, weil du ein Prinz bist, sondern weil ich nicht möchte. Du weißt, dass ich es sagen würde, wenn mir etwas nicht passen würde, du weißt, wie ich am Anfang auf dich reagiert hab. Und ich… würde das wieder tun, wenn ich es für angebracht halten würde.« Kris musste die Worte erst einen Moment verdauen. Bedeutete das wirklich, dass er sich auf ihn einlassen wollte? Dass er sich nicht beschwerte, weil es in Ordnung war? Dass er es nicht schlimm fand, dass Kris ihn nur für sich haben wollte? Oder war er einfach nur wieder zu naiv, um den Ernst der Situation zu verstehen? Kris hoffte, dass es erstes war, glaubte jedoch, dass es eine Mischung aus beidem war. »Du kannst im Schloss arbeiten«, sagte Kris dann schließlich. »Du kannst dich um dein Alpaka kümmern. Ich möchte dich in meiner Nähe wissen.« Tao sah ihn plötzlich wieder an und wirkte etwas geschockt. »Aber ich kann meine Familie doch nicht allein lassen. Sie brauchen mich. Ich kann nicht einfach gehen. Es ist so schon hart und anstrengend genug und ich will ihnen nicht mehr Arbeit machen, nur um…« »Nur um in meiner Nähe sein?«, vollendete Kris den Satz schroff und mit einem Blick, der hoffentlich nicht zeigte, dass dieser beinahe Satz ihn durchaus irgendwie getroffen hatte. »N-nein, so ist es nicht. Ich… ich kann das nur nicht, Kris. Ich liebe meine Familie, ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie brauchen mich.« »Und was ist mit mir?« Tao senkte den Blick wieder, biss auf seiner Unterlippe herum. »Du bist auch ohne mich klar gekommen. Meine Familie nicht.« Er sprach unglaublich leise und vorsichtig und Kris biss sich kräftig auf die Zähne, weil er das nicht hören wollte. »Du willst also nicht«, stellte er trocken und irgendwo auch enttäuscht fest. »Nein. Doch! Ich will schon. Ich... ich kann nur nicht.« Er würde sehr wohl können, wenn er wirklich wollte. Er sollte einfach ein Ignorant sein. Es war doch egal, was seine Familie wollte, wenn er im Luxus leben könnte. Kris konnte es nur schwer nachvollziehen. Tao konnte sehr wohl, er wollte wohl nicht. Wieso zur Hölle hatte er den Kuss dann erwidert? Hatte er Angst gehabt, dass Kris ihn hätte köpfen lassen, hätte er das nicht getan? »Wieso nicht?«, fragte Kris dann plötzlich. »Ich… i-ich hab dir doch gesagt, dass ich meine Familie nicht allein lassen kann.« »Darum geht es nicht. Es geht um dich und mich. Dir ist das nicht angenehm, dass ich dich geküsst hab und es gern wieder tun würde, oder?« Tao hatte seinen Blick wieder gehoben und sah ihn fassungslos an und Kris wusste nicht, wieso er so reagierte. Er wusste nicht, was ihn so fassungslos machte. »Bei uns gibt es so etwas zwischen Männern nicht«, sagte Tao dann schließlich nach einer kurzen Pause. »Bei euch vielleicht nicht, bei uns schon.« »Das ist das Problem. Ich weiß das. Jeder weiß das. Aber du wirst irgendwann eine Frau heiraten. Du bist ein Prinz, du kannst nicht mit jemand wie mir aufkreuzen. Alles was du von mir wollen würdest, wäre doch allein… körperlich.« Kris glaubte, dass ihn der verdammte Schlag getroffen hatte. Ja, er wusste durchaus, worauf er hinaus wollte. Es war nicht unbekannt, dass adlige Leute gab, die sich, nur aus reiner sexueller Befriedigung Leute für den Spaß ‚hielten‘. Und es war nicht selten, dass selbige dann auch oft vom selben Geschlecht waren. Dennoch erschütterte es ihn, dass Tao offensichtlich davon ausging, dass Kris ihn deswegen geküsst hatte. Nein, ehrlich gesagt, machte ihn das sogar wütend; vermutlich weil ihn der Gedankengang irgendwo verletzte. »Du denkst das wirklich? Nach dem, was ich dir gesagt habe?« Kris hatte nicht gesagt, dass er ihn mochte. Zumindest nicht wortwörtlich, aber Tao hatte das doch sicherlich verstanden, oder? Anscheinend nicht. »Vielleicht auch weil… weil Chanyeol das gesagt hat.« Und jetzt war Kris Laune wirklich im Keller. »Du glaubst ihm also mehr, als mir? Glaubst du wirklich, ich bring dich hier her, damit ich dir in Ruhe erklären kann, dass ich dich nur vögeln möchte? Hätte ich nur Interesse an deinem verdammten Körper, dann hättest du das schon lange bemerkt, du Volltrottel. Dann hätte ich dich auch bestimmt nicht hier her genommen, dann hätte ich sicherlich nicht solche Dinge für dich gemacht. Aber schön, wenn du weiterhin mehr Wert auf das Wort eines Mannes legst, der sein ganzes Königshaus auf dem Gewissen hat, nur um an die Macht zu kommen, ist das fürchterlich enttäuschend. Weißt du was? Vergiss einfach, dass ich impliziert habe, dass ich dich wirklich gut leiden kann« - er konnte ja nicht einmal jetzt aussprechen, dass er ihn mochte - »am besten vergisst du alles, was bisher passiert ist. Heute Abend bist du wieder bei deiner Familie und keine Angst, ich werde bestimmt nicht wieder aufkreuzen.« Und mit diesen Worten, die er nur gesagt hatte, weil er wütend und gleichermaßen enttäuscht war, drehte er sich um und lief los, ohne zu bemerken, dass Tao ihn vollkommen entsetzt und aus gläsernen Augen angesehen hatte. »Kris, warte. Bitte«, kam es über Taos Lippen, nachdem er sich aus seiner Starre gelöst und ihm hinterher gelaufen war. Er griff zu seinem Handgelenk und Kris hielt inne, drehte sich jedoch nicht um und das verunsicherte ihn so sehr, dass er ihn sofort wieder losgelassen hatte. Tao wusste nicht, wieso ihm Tränen in die Augen gestiegen waren und wieso er deswegen nun alles nicht halb so klar sah, wie er eigentlich sollte. Vermutlich war es die Tatsache, dass er bemerkt hatte, dass seine Worte Kris verletzt hatten, und viel mehr die Tatsache, dass Kris' Worte ihn verletzt hatten. »Es tut mir Leid. Bitte; es tut mir Leid. Ich wollte nicht so klingen«, sagte er hilflos. Kris sagte nichts, lief jedoch auch nicht weiter, was Tao trotzdem nicht beruhigte. »Lass es stecken«, sagte Kris dann schroff. »Ich hab dir so oft angeboten dein Leben zu ändern, aber offensichtlich willst du das nicht. Und vermutlich ist das okay, vermutlich würdest du in meiner Welt eh nicht überleben.« Tao senkte den Kopf und biss sich so stark auf die Lippen, dass es wehtat. Er hatte alles versaut, bevor es überhaupt angefangen hatte. Und er hatte diesen Kuss genossen. Das hatte er wirklich. Es war sein erster Kuss überhaupt gewesen und er hatte sich zwar nicht so angefühlt, wie er es gedacht hatte, aber das bedeutete nicht, dass er ihn nicht als schön beschreiben würde. Er erinnerte sich daran, wie sein Herz vor Aufregung angefangen hatte schnell zu schlagen und wie perplex und nervös er danach und währenddessen gewesen war. Er war sich so unsicher gewesen, was er hätte tun sollen und ob es in Ordnung gewesen war, seine Lippen ebenfalls etwas gegen Kris‘ zu bewegen. Er glaubte, dass es in Ordnung gewesen war, dass es völlig in Ordnung gewesen war. Aber jetzt glaubte er auch, dass er es versaut hatte. Weil ihn das alles so verunsichert hatte. Weil er nur schwer glauben konnte, dass er etwas hatte, das einem adretten und stattlichen Prinzen wie Kris gefallen konnte. Tao wusste, dass er Qualitäten hatte, aber er wusste auch, dass er in einer völlig anderen Liga spielte. Er war so dumm. So fürchterlich dumm. Und Kris‘ Worte taten ihm aufrichtig weh. Aber vermutlich hatte er das verdient, weil Tao bemerkte, dass er Kris ebenfalls verletzt hatte. »Bitte lass mich nicht stehen«, bat Tao leise und klang fürchterlich verzweifelt. »Ich glaube Chanyeol nicht mehr als dir. Und ich… ich mag dich wirklich. Ich bin dir dankbar für alles, was du getan hast, aber ich… Kris, ich liebe meine Familie, ich kann sie nicht zurücklassen. Wenn ich gehe, dann sind sie, wenn meine Eltern und mein Onkel zu alt werden um die Farm zu leiten, dem Untergang geweiht. Hätte ich nicht diese Verantwortung meiner Familie gegenüber, würde ich ohne zu zögern zusagen. Das würde ich wirklich«, den letzten Satz hatte er geflüstert und als er blinzelte, rollten ihm Tränen über die Wangen und er verfluchte sich dafür, dass er nun tatsächlich weinte. »Der Kuss war schön und es tut mir Leid, dass ich so ein Volltrottel bin. Ich… ich weiß nur nicht, wie ich damit umgehen soll. Du weißt, dass ich mit deiner Welt nicht zurechtkomme und… und-« Tao verstummte, weil er selbst nicht wusste, was er noch sagen sollte. Auch wenn er noch etwas sagen wollte. »Bitte, du musst mich verstehen. Du kannst mich nicht vor die Wahl stellen, ob ich mich für dich oder meine Familie entscheiden würde. Das ist nicht fair.« Wieso ging nicht einfach beides? »Ich mag das Leben, das ich geführt habe und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich das hier nicht mag, aber es ist ungewohnt für mich. Ich komm damit nicht so richtig klar und ich kann meine Eltern nicht im Stich lassen. Ich schulde ihnen so viel, dass ich sie nicht einfach stehen lassen kann, mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass sie enttäuscht von mir wären und ich vielleicht der Grund wäre, wieso die Farm irgendwann vielleicht nicht mehr über die Runden kommen würde. Das will ich nicht. Aber ich will auch nicht, dass du von mir enttäuscht bist, oder etwas denkst, das nicht stimmt.« Tao machte eine kurze Pause und es beunruhigte ihn, dass Kris noch immer nichts sagte und sich auch noch nicht umgedreht hatte, oder zumindest über die Schulter zu ihm sah. »Du weißt nicht, wie sehr mich dein Angebot ehrt. Aber bitte… bitte gib mir Zeit.« Es war so ironisch. Es war so fürchterlich ironisch, dass ausgerechnet er, der die Zeit kontrollieren konnte, nach Zeit verlangte. Er könnte sie doch einfach anhalten und das hätte er in den letzten, schrecklichen Minuten auch gern mehr als nur einmal getan. Aber er wusste, dass das nichts ändern würde. Das hätte es nur herausgeschoben. Tao hob seine Hand und strich sich die Tränen aus den Augen, zog die Nase leise hoch und er bemerkte erst zu spät, dass Kris sich zu ihm umgedreht hatte. »Wieso weinst du?«, fragte er und klang irgendwie geschockt. Und Tao gab ein verzweifeltes Lachen von sich, hob den Blick und sah aus seinen roten, schmerzenden Augen hoch zu Kris. »Weil ich ein Volltrottel bin«, sagte Tao dann und würde gern über sich selbst lachen. Als er das aber tat, liefen nur schon wieder Tränen über seine Wangen und Tao legte seine Hände auf die Augen und schämte sich für sein Verhalten und seine emotionale und sensible Seite. Er spürte die großen Hände von Kris um seine Handgelenke und ließ ihn nur widerwillig seine Hände aus dem Gesicht ziehen. Er schluckte und blickte auf den Boden und blinzelte, versuchte die Tränenflüssigkeit zurückzuhalten. »Ich gebe dir so viel Zeit, wie du möchtest«, sagte Kris dann und seine Stimme war fürchterlich beruhigend und Tao glaubte, dass er ihn noch nie so hatte reden hören. »Hör bitte auf zu weinen.« »Tut mir Le-« »Lass das«, unterbrach Kris seine Entschuldigung und Tao biss sich auf die Unterlippe und fuhr sicher mit dem Handrücken über die Wangen, nachdem Kris seine Hände wieder losgelassen hatte. »Danke«, brachte er leise hervor. Kris schenkte ihm ein schmales Lächeln, das irgendwie fürchterlich müde wirkte. »Lass uns zurückgehen.« »Okay«, sagte er leise. Würde sein Vater oder sein Lehrer ihn hier erwischen, würde das die Hölle auf Erden für ihn bedeuten. Aus vielen Gründen. Erstens, weil er schon wieder den Unterricht schwänzte und vermutlich durchaus einige Leute nach ihm suchten, zweitens weil er das hier vorgeschlagen hatte und drittens, weil er den Blick nicht von Luhan nehmen konnte, der völlig entblößt vor ihm, bis zum Bauchnabel im Wasser stand, das in der Sonne verräterisch glänzte. »Los, komm schon«, forderte ihn Luhan grinsend auf. Luhan wusste nicht, dass er eigentlich im Unterricht sein und Rechnen lernen sollte. Nein, Sehun hatte gesagt, dass er einen freien Tag hatte und dass er ihn gern mit ihm an der ‚einen Oase im Osten‘ verbringen würde. Er wusste selbst nicht so genau, was er sich dabei gedacht hatte, vielleicht hatte er den Gedanken, gemeinsam mit Luhan zu baden, einfach zu verführerisch gefunden. Und jetzt stand er in Sand, aus dem hin und wieder ein paar grüne Grashalme ragten, und blickte zu Luhan, der ihn noch immer völlig freudig angrinste. Sehun hatte heute so einiges bedacht, aber ganz bestimmt nicht, dass er sich vor Luhan ausziehen musste, um mit ihm zusammen zu baden. Und genau das war das Problem. Sehun schämte sich fürchterlich für seinen Körper. Und der Gedanke, dass Luhan ihn nackt sehen würde, war irgendwie beängstigend, weil… weil er sich einfach für sein ganzes Erscheinungsbild schämte. Es war nicht nur das Lispeln, oder die Tatsache, dass er gewisse Stellen seines Körpers einfach nicht ansehen konnte ohne zu denken, dass es sicher lächerlich aussah, wenn man seine Körpergröße beachtete. Er hatte Hemmungen und dennoch wollte er nichts lieber, als neben Luhan in dieser beeindruckend tiefen Oase zu stehen. »Sehun? Alles in Ordnung?«, fragte Luhan und Sehun wandte plötzlich ertappt den Blick von ihm und kratzte sich im Nacken. Er hatte wohl vergessen ihm zu antworten, während er versucht hatte mich sich selbst zu ringen. Aber der Stoffgürtel seiner Hose wollte sich nicht von selbst lösen und Sehuns Hände waren seiner Schüchternheit unterlegen. Und das war unglaublich dämlich, weil er in Luhans Gegenwart sonst nie schüchtern war. Er war ja normal auch immer der, der die Nähe zwischen ihnen minimierte und anfing ihn zu küssen. Aber das hier war irgendwie anders. Weil er immer noch Klamotten anhatte, wenn sie sich küssten, und es auch noch nie so weit gegangen war, dass das nicht mehr der Fall gewesen war. Auch wenn Sehun das unbedingt wollte. Manchmal träumte er sogar davon, aber jetzt traute er sich nicht einmal seine Klamotten abzulegen und zu ihm ins Wasser zu steigen. Das war so dämlich. »Ah, ja, doch«, sagte er und irgendwas in ihm wollte wegrennen. Er schluckte. Und Luhan schien ihn gut genug zu kennen um zu wissen, dass er sich gerade selbst im Weg stand. »Willst du nicht mehr?«, fragte Luhan vorsichtig. »Wir können auch was anderes machen, wenn du nicht mehr baden willst.« »Nein! D-doch, ich will schon«, sagte er dann etwas unsicher, nachdem das ‚Nein‘ sofort und laut über seine Lippen gedrungen war. Luhan blickte ihn einen Moment verwirrt an, ehe er sich zu ihm bewegte und als er aus dem Wasser stieg, traute Sehun sich nicht seinen Blick zu senken und spürte, wie ihm – aus welchem dämlichen Grund auch immer – das Blut in die Wangen stieg. Sein Freund blieb vor ihm stehen. »Was ist los?«, fragte Luhan vorsichtig und schenkte ihm einen besorgten Blick aus seinen dunklen, wunderschönen Augen. »Ich trau mich nicht«, flüsterte Sehun dann und biss sich auf die schmalen Lippen, weil das peinlich war. Peinlich und total dämlich. Aber Luhan lachte ihn nicht aus, er schenkte ihm nur ein schmales Lächeln und hob seine Arme, legte sie an den Stoffgürtel und fing an ihn aufzuknoten. »Ich helfe dir«, erklärte er ruhig und Sehuns Herz hatte für einen kurzen Moment ausgesetzt. »Das… das musst du nicht tun«, sagte Sehun und verfluchte sich dafür, dass er plötzlich wieder ein großer Trottel war. »Ich möchte aber«, sagte Luhan. »Immerhin will ich mir nicht entgehen lassen, dich ohne Klamotten zu sehen.« Wieso war sein Gesicht plötzlich so fürchterlich heiß? Würde er im Moment nicht im Schatten einer Palme stehen, würde er es auf die Sonne schieben, aber so war wohl Luhan und seine lüsternen Worte der Grund dafür. Sehun schluckte erneut, öffnete die Lippen und brauchte einen Moment, bis er die Worte wieder fand. »D-das wird dich nur enttäuschen«, sagte er dann und traute sich immer noch nicht an Luhan, der direkte vor ihm stand und noch immer an seinem Gürtel festhielt, herunterzusehen. »So ein Quatsch«, sagte Luhan, ging auf die Zehenspitzen und drückte seine Lippen sachte auf Sehuns. Und vermutlich war es reiner Reflex, dass er die Berührung nicht nur kurz beließ, sondern seine Lippen hungernd gegen die des anderen bewegte. Luhan schien den Moment, den Sehun brauchte um die Oberhand des Kusses zu gewinnen, zu nutzen, um den Knoten an seiner Hose zu öffnen. Sehun ließ ihn machen. Vielleicht war er sogar verdammt dankbar dafür, dass er das tat. Weil er ja wirklich gern mit ihm baden würde. Und die Oase war abgelegen genug, dass sie hier niemand vom Schloss sehen würde. Hier würde sie vermutlich niemand sehen. Zumindest hoffte er das ganz stark. Der Kuss wurde schließlich gelöst und Luhans Hände zogen den Saum seines weichen Oberteiles nach oben. »Los, Hände hoch«, sagte er mit einer vollkommen ruhigen Stimme und dennoch klang es irgendwie nach einem liebevollen Befehl. Sehun hob zögernd die Hände und ließ sich aus dem Stück Stoff befreien, dass irgendwo, neben Luhans Klamotten, im hellen Sand landete. Als Luhan seine Hände an den Bund seiner weiten Hose legte, gab Sehun ungewollt ein fast schon leidendes Geräusch von sich. Luhan hielt inne und blickte fragend zu Sehun und als Sehun seinen Blick erwiderte, bemerkte er, dass Luhan seine Hände zögernd zurück nahm und ihn entschuldigend ansah, seinen Blick senkte. »Tut mir Leid«, entschuldigte Luhan sich dann leise. Er sollte sich nicht entschuldigen. Es gab keinen Grund dafür, dass er sich entschuldigen musste. »Es ist mir peinlich«, brachte er viel zu schnell über seine Lippen und erntete dafür einen verwunderten Blick von Luhan. Und im nächsten Moment legte sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. »Das muss dir nicht peinlich sein«, kam sanft von Luhan. »Dafür gibt es doch gar keinen Grund.« »D-doch«, widersprach Sehun. »Und zwar?«, wollte Luhan wissen und Sehun hätte ihn dafür gern ins Wasser gestoßen. »Ich… Mein…«, fing er an und wusste nicht, wie er bitteschön in Worte fassen sollte, wieso genau er sich für seinen Körper schämte. Fakt war wohl, dass Sehun nicht glaubte, dass er perfekt genug für Luhan wäre. Oder sonst irgendjemand. »Sssh«, machte Luhan und hatte ihm einen Finger über die Lippen gelegt, die von dem Kuss noch ganz leicht angefeuchtet waren. »Hör auf. Du bist wunderschön. Und ich werde meine Meinung auch nicht ändern, wenn du keine Hose mehr an hast. Dir muss das nicht peinlich sein. Und wenn du willst, guck ich einfach weg, ja?« Luhan war so perfekt. Alles an ihm war so unglaublich liebenswürdig. Es war doch gar kein Wunder, dass er so fürchterlich viele positive Gefühle für diese Person hatte. Sehun schluckte. »Okay«, brachte er dann kaum hörbar über die Lippen und Luhan lächelte. »Aber mach du das.« Nachdem er den Satz noch schnell hingehängt hatte, schien Luhan einen Moment etwas verwirrt zu sein, ehe er wusste, was er meinte. Luhan nickte. »Ich verspreche, dass es keinen Grund gibt dich zu schämen.« Sehuns Puls hatte schlagartig wieder zugenommen, als Luhan ihm schließlich zusammen die letzten zwei Kleidungsstücke von den Hüften schob, die geräuschlos im Sand landeten. Und jetzt gab es kein Zurück mehr und Sehun hätte seine Hände am liebsten schützend vor seinen intimen Bereich gehalten, aber Luhan griff zu seinen Händen, drehte sich etwas um und zog ihn endlich in das Wasser, das durch die Hitze der Sonne fürchterlich warm, aber dennoch eine Erfrischung zu der heißen Luft, war. Erst als sie beide bis zum Bauch im Wasser standen, ließ Luhan ihn los und drehte sich wieder ganz zu ihm, grinste ihn freudig an. »Siehst du? War gar nicht schlimm. Und ich hab auch nicht geguckt.« Er zwinkerte ihm zu und Sehun hob seine Hände aus dem Wasser und legte sie über seine Wangen. »Hör auf, das ist peinlich«, sagte er dann und hörte Luhans warmes Lachen. Ein Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und er ließ die Hände schließlich wieder sinken und irgendwie gab es tatsächlich keinen Grund sich zu schämen. Das lag natürlich an Luhan, weil er so verdammt perfekt war und ihm gar keinen Grund gab, sich schämen zu müssen. Luhan ging in die Knie und war schließlich bis zum Schlüsselbein im Wasser, sah zu ihm hoch. »Es war eine gute Idee hier her zu kommen. Ich war hier schon so lange nicht mehr.« »Na, wenn Kris nicht da ist, hast du ja auch nicht halb so viel zu tun«, meinte Sehun. Immerhin kam Kris ständig mit seinen Extrawünschen, was seinen privaten Zoo anging. Und wenn er nicht da war, musste sich Luhan nur um das Übliche kümmern und hatte auch mal mehr Zeit für sich selbst. Oder eben für Sehun. Dass Sehun theoretisch keine Zeit für die Person, in die er unsterblich verknallt war, hatte, ignorierte er – denn er nahm sich die Zeit einfach. Auch wenn sein Vater ihn dafür sicher gern enterben würde, würde er das erfahren. Aber er würde es nicht erfahren und das war gut so. Es war in Ordnung, dass ihre Beziehung geheim war, denn das machte alles nur noch prickelnder, auch wenn es manchmal wirklich, wirklich schwer war. Sehun tat es ihm gleich, ging ebenfalls in die Knie, sodass ihm das Wasser bis zu den Schultern ging und spürte den kernigen Sand unter seinen nackten Füßen. Ihr kurzes Gespräch hatte ohne weitere Worte ein Ende gefunden und die beiden grinsten sich einen Moment einfach nur an, ehe Sehun seine Hand hob und in dem klaren Wasser nach Luhans griff. »Ich bin so froh, dich zu haben«, sagte er dann und wünschte sich, dass er wenigstens bei solchen Sätzen nicht lispeln müsste. Aber egal wie sehr er sich anstrengte, so wirklich weichen wollte es nie. Und würde er wissen, wie sehr Luhan seine Stimme mochte, würde er vielleicht sogar aufhören es überhaupt zu vertuschen. Luhans Lächeln wurde plötzlich breiter und im nächsten Moment verminderte er den Abstand zwischen ihnen komplett. Luhans Hände landeten an seinem Rücken und Sehun konnte den gesamten Körper des anderen auf seiner Haut spüren und glaubte, dass ihm die Sache spätestens jetzt wieder minimal peinlich wurde. Sein Herz hatte sich vor Überraschung und Nervosität wieder daran gemacht schneller als üblich zu schlagen, während Luhan ihn einfach nur fest umarmte. Es war egal, dass Luhan nichts sagte, denn in diesem Moment waren Worte wohl sowieso vollkommen fehl am Platz. Sehun hob seine Arme ebenfalls und schlang sie um den schönen Körper des anderen, legte sein Kinn auf Luhans Schulter und blickte mit halb gesenkten Augenlidern gegen die wenigen grünen Pflanzen, die um die Oase wuchsen. Er sollte öfters den Unterricht schwänzen und dafür sorgen, dass Luhan sich nackt an ihn klammerte. Überfordert damit, wie er seine derzeitige Gefühlslage beschreiben sollte, saß er auf dem weichen Kissenhaufen, der die letzten Tage sein Bett gewesen war. Und es war das bequemste Bett gewesen, in dem er je geschlafen hatte. Und eigentlich wollte er auch gar nicht hier weg, aber dennoch merkte er, dass er seine Familie und die Arbeit vermisste. In den ersten Tagen war das nicht der Fall gewesen aber jetzt, wo er wieder allein in diesem Zimmer war, bemerkte er, dass ihm einfach eine Beschäftigung fehlte. Denn seine einzige Beschäftigung im Moment war daran zu denken, was passiert war und was er gesagt hatte. Und das bescherte ihm eklige Bauchschmerzen. Weil er glaubte, dass er alles zerstört hatte und das hatte er wirklich nicht gewollt, auch wenn seine Worte durchaus das gewesen waren, was er gedacht hatte. Und jetzt kam er sich blöd vor, dass er so etwas gesagt hatte. Und die Worte, die Kris ihm daraufhin vor die Füße geworfen hatte, waren auch alles andere als schön gewesen. Sie hatten ihn wirklich verletzt; vermutlich hatte er deswegen auch angefangen zu weinen. Auch wenn er sich fürchterlich dafür schämte. Er hatte ihn nicht verärgern wollen und es tat ihm leid, dass er nicht nachgedacht hatte. Er hätte doch eigentlich wissen müssen, dass Kris das nicht tat, weil er nur sexuelles Vergnügen von ihm wollte. Wieso hatte er das dann also gedacht? Hatte Chanyeol ihn so verunsichert, oder war es einfach deswegen dagewesen, weil er sich nicht vorstellen konnte, was der Prinz an ihm finden könnte? Vermutlich. Das Problem war, dass er eingesehen hatte, dass er die Sache versaut hatte, und dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Er mochte Kris. Ja, er fand ihn fürchterlich sympathisch und irgendwie war der Kuss durchaus schön gewesen. Zwar verdammt seltsam, weil er damit nicht gerechnet hätte, aber dennoch nicht im negativen Sinne. Aber Tao konnte seine Familie nicht im Stich lassen. Sie brauchten ihn und deswegen würde er nicht einfach gehen können. Wieso ging nicht beides? Wieso konnte er nicht bei seiner Familie und gleichzeitig bei Kris bleiben? Es war eine Zwickmühle, die dazu führte, dass es ihm nicht gut ging. Er hatte sogar Angst Kris wieder unter die Augen zu treten. Und er glaubte, dass es fürchterlich merkwürdig werden würde, wenn sie zurückfliegen würden. Der Flug würde seltsam werden und genau so auch die Landung und das, was danach passieren würde. Auch wenn Tao noch gar nicht wusste, wie es dann ablaufen würde. Er wollte eigentlich gar nicht gehen, aber er wollte auch nicht im Schloss bleiben. Vielleicht fühlte sich so Verzweiflung an. Weil er einfach nicht wusste, was er tun oder sagen sollte. Aber am schlechtesten fühlte er sich wohl, weil ihm bewusst war, wie sehr er Kris mit seiner Aussage verletzt hatte. Das hätte wohl jeder gemerkt, selbst jemand, der Kris nicht gekannt hatte. Allein an seiner Reaktion und dem Ton seiner dunklen Stimme hatte man es gesehen und gehört. Und Tao hatte das nicht gewollt. Kris hatte ihm mitgeteilt, dass es normal noch ein Abendessen gab, aber dem würden sie nicht mehr beiwohnen, weil der Flug zurück wohl doch recht lang dauerte. Vermutlich nicht so lang wie die Reisen der andren, denn die waren immerhin per Schiff angereist, aber dennoch würden sie schnell aufbrechen. Und Tao wusste inzwischen nicht mehr, ob er gehen wollte, oder nicht. Im einen Moment wollte er zurück nach Hause, im anderen wollte er für immer hier bleiben. Es war schrecklich, seine Gedanken überschlugen sich und wechselten die Meinung von einer Sekunde auf die nächste. Und der einzige Entschluss, zu dem Tao gekommen war, war, dass er sich bei Kris entschuldigen musste. Noch einmal. Das verdiente er und Tao konnte nicht damit leben, wenn er sich nicht noch einmal aufrichtig entschuldigen würde. Er wusste nur nicht, ob Kris das auch annehmen würde, denn die letzten Momente, die sie zusammen verbracht hatten, hatte Kris wie ausgewechselt gewirkt. Irgendwie genervt und so, als würde er seine Ruhe wollen. Unnahbar. Dass Kris sich nur so verhielt, weil er nicht verletzlich sein wollte, bemerkte Tao natürlich nicht. Mit dem prinzlichen Stolz kam er wohl immer noch nicht zurecht; er verstand ihn einfach nicht. Er verstand auch Kris nicht. Aber vermutlich war es wirklich schwer, ihn zu verstehen und zu durchschauen. Möglicherweise war Tao auch einfach nur schlecht darin. Mit einem vollen Kopf und viel zu vielen Gedanken, die kein gutes Ende finden wollten, saß er also in dem Zimmer, das plötzlich nur noch halb so einladend wirkte wie zuvor, und wartete darauf, dass Kris von seiner Besprechung zurückkam und ihm sagte, dass sie gehen würden. Er wartete darauf, dass Kris zurückkam und Tao ihm sagen konnte, dass er mit ihm reden wollte. Er wollte sich entschuldigen. Weil er sich schlecht fühlte. Das schlechte Gewissen fraß ihn auf und er glaubte, dass er Kris extrem ungerecht behandelt hatte. Und erstens sollte er das in seiner Position nicht einmal wagen und zweitens wollte er das nicht. Kris hatte so viel für ihn getan, dass es unfair war so zu ihm zu sein. Oder so von ihm zu denken. Tao war ein großer Idiot. Er seufzte, stützte die Wange mit der Hand und den Ellbogen am Knie ab und blickte zur Seite. Das Warten war unangenehm. Die letzten Tage war es manchmal schon langweilig gewesen auf Kris zu warten, aber da hatte er sich immer gefreut. Und jetzt hatte er, wenn er ehrlich war, ein bisschen Angst. Erst als die Tür geöffnet wurde, richtete Tao seinen Blick wieder nach vorn. Urplötzlich wurde er nervös, und als Kris im Raum stand, blickte er zu ihm hoch und erhob sich schließlich aus dem weichen Kissenhaufen. »Können wir reden?«, platzte es sofort aus ihm heraus und Kris beobachtete ihn einen Moment, und blickte dann weg. »Nicht mehr hier. Komm mit. Wir fliegen zurück.« Beim langwierigen Warten war ihm irgendwann der Gedanke gekommen, dass Kris ihn vielleicht einfach hier lassen würde. Tao war froh, dass er das nicht getan hatte, dennoch war er nicht zufrieden damit, dass sie nicht reden konnten. Der Flug würde sicher unangenehm werden. »Okay«, sagte er nur leise und tonlos und folgte Kris aus dem Zimmer, blickte noch einmal zurück und verabschiedete sich mental von dem schönen Paradies, in dem er die letzten Tage gelebt hatte. Eine bedrückende Stille herrschte zwischen ihnen, während sie durch den hellen Flur liefen, und Tao empfand sie als unglaublich unangebracht und negativ. »Es tut mir Leid«, brachte er dann hervor. Kris reagierte nicht, starrte nach vorn und verzog kein Gesichtsmuskel. Und Tao glaubte, dass er für einen Moment absolut hilflos war. Er wandte den Blick von Kris‘ Seitenprofil ab und blickte auf den Boden, während er seine nackten Füße beobachtete. Und dann blieb er plötzlich stehen. »Ich hab die Schuhe vergessen.« Schon wieder. Das war ihm hier ständig passiert. Aber der Mensch war eben ein Gewohnheitstier. »Ich hol sie eben.« Kris war ebenfalls stehen geblieben. »Ich warte draußen. Du findest den Weg?« Taos Antwort war ein Nicken. Schnell und ohne auf Kris‘ Reaktion oder Aufforderung zu warten, lief er mit eiligen Schritten zurück, betrat das Zimmer und fand die Schuhe unter einem der Kissen. Seufzend zog er sie an und verließ den Raum wieder. Er machte sich auf den Weg zurück und beobachtete dabei den beeindruckenden Flur, den er wohl nie wieder sehen würde. Das war irgendwo in Ordnung, was es jedoch nicht minder schade machte. Es war schön gewesen, überhaupt hier zu sein. »Warte«, hörte er plötzlich eine tiefe, männliche Stimme. Aus reinem Reflex war er stehen geblieben, hatte sich umgedreht und erblickte Chanyeol, der in einem gemütlichen Gang auf ihn zulief. Das hatte jetzt ja noch passieren müssen. Tao sollte einfach wegrennen. Dummerweise hatte er dafür nicht genug Mut. »Ja?«, fragte er dann unsicher und wusste nicht, wie er sich Chanyeol gegenüber verhalten sollte. »Ich werde dich nicht lange aufhalten. Ich weiß, dass Kris dir, und mir vermutlich auch, deswegen sonst den Kopf abreißen würde. Aber er lässt ja nicht zu, dass ich mit ihm rede. Wie auch immer – du musst mir einen Gefallen tun.« Tao blickte zu ihm, blinzelte etwas unsicher. »Was für einen Gefallen?« Er wollte ihm keinen Gefallen tun. Weil Kris ihm gesagt hatte, er sollte sich von Chanyeol fern halten. Keine gute Gesellschaft, kein guter Umgang. »Ich möchte, dass du Baekhyun etwas ausrichtest. Du kennst ihn doch, oder?« Tao nickte zögerlich. »Ja. Aber ich… weiß nicht, ob ich ihn nochmal sehe.« »Dann richte es ihm aus, wenn du ihn siehst. Oder sorg dafür, dass du es ihm sagen kannst.« Das war ein Befehl. Tao fühlte sich sofort unwohl in seiner Haut. »Okay«, kam über seine Lippen. Einfach nur, weil er besser nicht widersprechen sollte. Chanyeol trat näher und sagte ihm die Worte, die er Baekhyun ausrichten sollte, direkt ins Ohr, genau so, dass niemand anderes sie hören konnte. Chanyeol nahm, nachdem er seine Nachricht geendet hatte wieder Abstand und blickte zu Tao. »Verstanden?« »Ja«, sagte Tao vollkommen verwirrt. »Gut«, machte Chanyeol und schenkt ihm ein Lächeln, dass Kris als verlogen und falsch beschrieben hätte, das Tao ihm jedoch absolut abkaufte. »Danke.« Und dieser Dank war mit Abstand das merkwürdigste, was er hier erlebt hatte. Und Tao hatte viele merkwürdige Dinge erlebt. Tao nickte nur, verbeugte sich leicht – weil es angebracht war – und sprintete schließlich aus dem Gebäude. Immerhin wartete Kris auf ihn. Und er wollte ihn nicht unnötig warten lassen. Er fand es schade, dass er Jisun nicht mehr gesehen hatte. Aber sie hatten sich am Vortag schon verabschiedet für den Fall, der leider eingetreten war, dass sie sich nicht mehr sehen würden. Er hätte sich trotzdem noch gern von ihr verabschiedet. Stattdessen konnte er das nur bei Lay tun, dem er dankte. Aus welchen Gründen auch immer. Es war ihm richtig vorgekommen. Tao warf einen Blick in Kris' Gesicht, versuchte zu lächeln, und glaubte, dass er scheiterte. Vielleicht auch deswegen, weil Kris ihm diesen Blick zuwarf, den er ihm ganz am Anfang immer geschenkt hatte. Und das fühlte sich nicht angenehm an. Der Flug würde eine mentale Qual für Tao werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)