Das Herz der Mantis von Skampi835 ================================================================================ Kapitel 1: 00 - Prolog ---------------------- Der einhüllende Schleier der Nacht hatte sich bereits vor Stunden über die kargen Ländereien der Ödnis gelegt. Die Niederen Völker Pandarias, welche sich jenseits des großen Walls aufhielten, nannten seine Heimat Schreckensöde. Die Erde auf seiner Seite der Mauer war unfruchtbar und viele der hochgewachsenen, gewundenen Bäume waren krank. Durch die Adern der toten Kypari floss kein Amber mehr, stattdessen waren sie von einer Macht befallen, welche sie zu grotesken Missbildungen verzerrt hatte. Diese Krankheit beschränkte sich aber nicht nur auf die Kypari, sondern auch ihr Umfeld. Wabernde Energien aus schwarzen und weißen Nebelschwaden verdeckten den Himmel, sodass seit Monaten selbst die warmen Strahlen der Sonne nicht mehr durchgedrungen waren. Durch diesen Entzug des Lichts hatte sich Ihr Reich dramatisch verändert und die Krankheit schritt immer weiter voran. Die puren Energien, welche den Horizont bedeckten schienen aus dem Boden selbst hervorzubrechen und das Land – seine Heimat – immer mehr zu verpesten. Aber natürlich gab es noch Kypari, die noch nicht gänzlich befallen waren.   Sehnsüchtig nach den vergangen Tagen an denen Ihr Reich noch grün und die Blätter der Kypari golden waren, sah er auf das düstere Panorama seiner Umgebung. Über dem monströs gewundenen Stamm des größten Kyparis kauerte die Gestalt in den Schatten der Blätter und versteckte sich. Seine Konzentration entschwand ihm, obwohl er für seinen Scharfsinn – mehr oder weniger – bekannt war, doch die Diskussion, welcher er belauschte drehte sich wieder im Kreis und er glaubte dass es nichts bringen würde dieser noch weiter zu folgen. Es lag nicht in seiner Bestimmung irgendetwas in Frage zu stellen, er kannte seinen Platz sehr genau. Doch dies hatte sich geändert, seitdem er anfing sich selbst Fragen zu stellen auf die er sich nur zusammengereimte Antworten geben konnte.   Allein die Tatsache, dass er ihr Handeln in Frage stellte, war verboten und auch unnatürlich. Wenn sie davon wüssten, würden sie ihn sofort hinrichten lassen. Er hatte die Handlungen der Priester noch nie in Frage gestellt. Warum auch? Es hatte nie Anlass zu einem solchem Denken gegeben. Bis vor wenigen Monaten.   Leise wisperte wieder die Stimme in seinem Geist, welche er eigentlich nicht hätte hören dürfen. Auch wenn es nicht mehr als verschwommene Laute waren und er keine klaren Worte erkennen konnte, drang ihr Gesang durch seinen Geist. Es war fast so, als wäre sie nie verschwunden. Viele Jahre war sie für ihn verstummt, doch dies hatte sich mit der zunehmenden Verderbnis der Schreckensöde geändert.   Sein Blick glitt aus seinem Versteck durch das dichte Blätterwerk eines niedrig hängenden Kypariastes unter ihm, sodass er auf das Zentrum der heiligen Stätte spähen konnte. Aufmerksam und scheinbar gelassen verfolgte er alles, was sich unter ihm auf der Plattform abspielte. Auch wenn seine Gedanken durch Ihren Gesang beeinflusst wurden, versuchte er alles aufzunehmen, was dort unten vor sich ging.   Neun der Ältesten des uralten Rates waren zusammengekommen und verfolgten bereits seit der Abenddämmerung eine hitzige Diskussion. Die Nacht war kaum von dem Tag zu unterscheiden, deswegen konnte er nicht genau sagen, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Bereits Monate zuvor, als die zunehmenden Nebel in der Schreckensöde aufgetaucht waren und die Natur verformten, hatten sie darüber gesprochen, jedoch waren sie nie zu einem Entschluss gekommen. Oft hatte die Gestalt hinter den Blättern Gesprächsfetzen belauscht, auch wenn es nicht für seine Ohren bestimmt war. Sie hatten darüber gesprochen, dass die Handlungen der Kaiserin nicht den üblichen Vorgehensweisen entsprächen, dass sie paranoid geworden war. Einige Male hatten sie versucht mit Ihrer Majestät zu sprechen, doch scheinbar waren die Ergebnisse so enttäuschend gewesen, dass es sich nicht lohnte ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Doch die jüngsten Ereignisse ließen die neun Ratsmitglieder nun wieder zusammenkommen, um über die bevorstehenden Konsequenzen zu sprechen.   »Die Schwarmgeborenen haben mit dem Angriff auf die Mauer bereits vor Tagen begonnen. Sie scheinen nicht zu bemerken, dass es falsch ist.«, sprach einer der Weisen und der safranfarbene Stoff mit moosgrünen Ornamenten wankte bei seinen schnellen Bewegungen. Er klackerte beunruhigt und rastlos mit seinen Kieferzangen gegeneinander. »Ich muss nicht erwähnen, dass die Zeit noch lange nicht reif dafür ist.«   Ein Seufzen entrann seinem Kiefer, während sein aufmerksamer Blick weiterhin auf den neun Gestalten ruhte. Jeder der Ältesten trug die selbe, okkulte Tracht, weswegen sie kaum voneinander zu unterscheiden waren. Es waren lediglich die kleinen Unterschiede, wie Größe oder Narben, die sie von den jeweils anderen unterschieden. Einige Vesswachen patrouillierten in der nahen Umgebung der heiligen Stätte, während die Konversation in der Mitte der Plattform fortgeführt wurde.   »Ihre Majestät lässt nicht mit sich reden.«, sprach einer der Neun und neigte seinen Kopf kaum merklich. »Zor'lok verkündete sogar, dass die Kaiserin die Tore ihres Palastes versiegeln ließ um Eindringlinge davon abzuhalten einen Angriff auf sie zu unternehmen.«   Ein anderer der Ältesten zischte langgezogen und der Stoff seiner Tracht wippte leicht, während seine spitzen Vorderbeine vorzuckten und gegeneinander rieben. »Shek'zeer ist paranoid. Ihr Verstand spielt ihr Streiche und sie vermag nicht mehr Realität von Illusion zu unterscheiden.« Die acht übrigen Ratsmitglieder stimmten mit ihren Kieferzangen klackernd zu. Der Älteste, der die Anschuldigungen - die zweifelsfrei jedem einzelnen im Kopf umherschwirrten - ausgesprochen hatte, fügte hinzu: »Durch ihre Handlung bringt sie den Zyklus in Gefahr. Die Schwarmgeborenen sind zu jung, zu unerfahren. Sie nähren sich von den Schatten welche vermehrt aus unserem Land sprießen. Dadurch sind sie stärker, aber Kanonenfutter für die Eindringlinge. Diese Handlung beschmutzt unsere Kultur und wird unser Untergang sein.«   »Ihr habt Recht, Klaxxi'va Sra.«, erhob einer der Neun seine kratzende und zischelnde Stimme. Klaxxi'va Sra schlug hart mit seinen Kieferzangen und sein Blick fiel abfällig auf denjenigen, der ihn unterbrochen hatte. Anscheinend hatte er noch nicht zu Ende gesprochen. Der Älteste, der ihn unterbrochen hatte, schien allerdings keineswegs von dieser Reaktion beeindruckt zu sein, während er unbeirrt fortfuhr: »Diese Schwarmgeborenen agieren wie in Trance. Sie kämpfen wild und erkennen den Feind nicht mehr. Der Grund dafür, dürfte jedem von uns klar sein.«   »Doch warum tut sie es?«, polterte ein weiterer Ältester.   Stille folgte, die sich unangenehm über der heiligen Stätte ausbreitete. Die Gestalt in den Schatten schüttelte sich, während er versuchte nachzudenken. Doch Ihr Gesang säuselte ununterbrochen in seinen Gedanken und es fiel ihm zunehmend schwerer.   »Seine Macht ist zu groß für ihren Geist.«, sprach der Größte der Ratsmitglieder und hob seinen Kopf andächtig in den Himmel, während seine Fühler zuckten. »Sie kann mit seinem Glanz nicht umgehen, mit seiner Stärke nicht mithalten.«   Wieder zustimmendes Gemurmel von den Neun Ratsmitgliedern. Doch wer war er, dessen Macht zu berauschend für Ihre Majestät sein sollte?   »Der Grund ist einerlei.«, stellte ein weiterer Ältester klar und trat hinter dem Größten hervor. »Die Schwarmgeborenen verfehlen den Zyklus und wir müssen nicht beraten, was getan werden muss. Wir wissen es bereits. Für diesen Fall haben wir sie vorbereitet. Nur diesen Nutzen erfüllen sie.«   Abermals breitete sich eine unangenehme Stille aus, die sogar die Gestalt in seinem Versteck berührte. Er grub angespannt seine klauenähnlichen Finger in die Rinde des Kyparis, während seine Fühler vor Anstrengung erzitterten. Der Gesang, welcher seinen Geist erfüllte, wurde lauter und für eine kurze Zeit sogar etwas verständlicher. »... Ketzer...!« Die Worte umschwirrten seinen Geist und erschütterten ihn, aber berauschten ihn gleichzeitig auf angenehme und benebelnde Art und Weise.   »Ja, deswegen gibt es sie überhaupt.«, stimmte ein anderer Priester zu. Er nickte andächtig langsam.   »Schon seit Jahrhunderten gab es keinen Helden mehr, der konserviert wurde. Wir werden Vorbereitungen in die Wege leiten müssen, ehe wir einen von ihnen finden können.«, begann einer zu sprechen. Das größte Ratsmitglied stimmte zu. »Das werden wir tun müssen, aber wir sind im Vorteil. Einer kann sofort erweckt werden. Einen Aufenthaltsort kennen wir.«   »Ihr kennt einen Aufenthaltsort, Klaxxi'va Ik?«, fragte einer der Weisen misstrauisch und verengte seine runden, gelben Augen. »Dies ist fast schon Verrat!«, zischte er.   »Seid kein Narr, Set.«, kam prompt ein lautes, dominantes Zischen von Klaxxi'va Ik zurück. »Immerhin kennen wir einen Aufenthaltsort. Wir müssen noch die anderen ausfindig machen und das wird uns Tage, gar vielleicht Wochen kosten. Einer alleine wird nicht ausreichen um den Wahnsinn der Kaiserin zu stoppen. Ihre Majestät ist nicht dumm. In ihrem paranoiden Wahnsinn wird sie ebenfalls nach ihnen suchen lassen, um sie zu vernichten. In ihrem derzeitigen Zustand stellen sie noch keine nennenswerte Gefahr für ihre Majestät dar. Doch sie weiß ganz genau, wozu sie in der Lage sind.«   Leise und unruhig klickten die Kieferzangen der Ratsmitglieder abwechselnd gegeneinander, als wieder Ruhe unter ihnen einkehrte. »Der Zyklus muss unter allen Umständen erhalten bleiben. Jedes Mittel ist dazu Recht.«, beschloss der Weise neben Klaxxi'va Ik zu sprechen und neigte erhaben seinen Kopf. Er besah sich jedes Mitglied der Reihe nach, ehe sein Blick an einem haften blieb. »Klaxxi'va Tik, der Windschnitter befindet sich auf der Terrasse von Gurthan auf der westlichen Seite der Mauer.«   Der angesprochene Älteste hob seinen Kopf und lauschte aufmerksam, während die Facetten seiner Augen vom matten Licht einer dimmenden Laterne schwach beleuchtet wurden. »Ihr solltet den Aufenthaltsort nicht laut aussprechen, Klaxxi'va Vor. Man weiß nie, welche Ohren es hören könnten.«   Klaxxi'va Vor schüttelte seinen Kopf. »Wir können es uns nicht erlauben in Rätseln zu sprechen. Jetzt, da sich die Situation mit jedem verstrichenen Tag mehr und mehr zuspitzt, könnte jede Sekunde zählen. Geht nun, Klaxxi'va Tik. Ihr wisst was zu tun ist.«   Klaxxi'va Tik neigte seinen Kopf und drehte sich um. Er hatte noch einige Vorbereitungen zu treffen, ehe er den Windschnitter erwecken konnte.   »In der Zwischenzeit werden wir hier den Sonarträger errichten.«, fuhr Klaxxi'va Ik fort und hob seinen Blick in den weiten Himmel über sich. Schwarze und weiße Schleier legten sich über ihn und verdeckten so die Sicht auf die Sterne, die unweigerlich existieren mussten. »Es gibt noch viel zu tun.«   Die Gestalt in den Schatten schmälte seine Augen, während sich die Versammlung unter sich auflöste. Eine Entscheidung war nun also getroffen worden. Es würde eine Menge Arbeit anstehen, doch fragte er sich auch, warum der Rat der Ältesten so lange gezögert hatte, bis sie zu einem Entschluss gekommen waren. Was hatte sie daran gehindert, schon früher eine solche Entscheidung zu fällen?   Eine einzelne Saftfliege, die von einem matten, gelben Schein umschlossen wurde, flog den Kypari hinauf und kroch unter die Blätter der Zweige, hinter denen sich die Gestalt verborgen hielt. Blinzelnd starrte er das Insekt an, denn er wusste, was sein Erscheinen zu bedeuten hatte und er erzitterte vor Ehrfurcht.   Keine einzige Sekunde hatte er Ihr Lied nicht gehört. Es dröhnte in seinem Kopf wie ein Glockenschlag und hallte in seinem Geist nach. Auch wenn es jetzt wieder nur ein Wispern war, das er hörte, fühlte er sich allein durch Ihre mentale Anwesenheit geehrt. Mit seinen scharfen klauenartigen Fingern umfasste er die Saftfliege und starrte sie für mehrere Augenblicke lang an. Er wusste nicht genau was er tun sollte, denn im Moment war er noch hin und hergerissen, obwohl die Wahl für ihn hätte eindeutig ausfallen müssen.   Die Entscheidung, welche er jetzt traf, würde weit in die Zukunft hineinreichen. Der Zyklus musste beschützt werden, doch war da noch etwas anderes, etwas Größeres. Etwas, wonach er trachtete. Leise klickte er mit seinen Kieferzangen aufeinander klick und schnippte die Saftfliege unversehrt von sich. Mit dem gewonnenen Aufschub strauchelte das Insekt zunächst, doch dann flog es kontinuierlich nach Westen. Eine Zeit lang beobachtete er das schwächer werdende Leuchten des Tieres und überdachte seine Entscheidung. Er war sich den Konsequenzen durchaus bewusst, doch hatte er die richtige Wahl getroffen?   Der Gesang in seinem Geist wurde klarer, je schwächer das Leuchten der Saftfliege wurde, bis es sich irgendwann in der Ferne verfing und verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)