(Außer)Gewöhnlich von RedRidingHoodie ================================================================================ Kapitel 6: Juni --------------- Hier stand Sie nun, zwischen all den Fremden, und betrachtete Ihn aus der Ferne, wie Sie es immer getan hatte, während Er so tat als wäre Er ein anderer Mensch. Er mochte solche Veranstaltungen nicht, spielte ungerne den artigen Gastgeber, aber Sein Beruf machte Ihn zu einer Figur der Öffentlichkeit und weil Er gerne den Anforderungen genügte, die an Ihn gestellt wurden, schauspielerte Er den smarten Gentleman. Er war perfekt; witzig an den richtigen Stellen, kompetent gegenüber den richtigen Personen, ein aufmerksamer Zuhörer, ein interessanter Sprecher. Er vergaß keine Gesprächstaktik, keinen wichtigen Geschäftpartner und keinen neugierigen Reporter. Das einzige, was Er dabei vergaß, war Seine Freundin. Natürlich wusste Sie, dass Er das nicht mit Absicht tat. Er war wirklich beschäftigt. Trotzdem kam Sie nicht umhin, sich wie das ungewünschte Anhängsel vorzukommen - Und das hatte Sie nie sein wollen. Sie war kein Accessoire für irgendeinen Mann, das dieser in einer Ecke abstellen und präsentieren konnte, wenn es ihm gerade passte. Verdammt, Sie war promovierte Ärztin! In solchen Momenten wünschte Sie sich, Sie könnte Ihren Frust in Alkohol ersäufen, aber das war nicht Ihre Art. Also wanderte Sie durch die fremden Leute, die sich untereinander alle zu kennen schienen, und besichtigte die ehemalige Fabrikhalle, in der die Buchpräsentation Ihres Freundes stattfand. Es ging in Seinem Roman, nicht ganz unpassend, um den Tod von Fabrikarbeitern in der Dritten Welt, die mit verseuchten Materialien arbeiteten. In Seiner Geschichte hatte Er so viel Feingefühl für Kleinigkeiten gezeigt, dass die Presse ganz aus dem Häuschen war und auch Sie war stolz auf Ihren Liebsten - Nur wünschte Sie sich so viel Detailbewusstsein manchmal im realen Leben von Ihm. Sie betrachtete eine Weile die Stahlträger, welche die Decke hielten, bevor Sie sich wieder der Gesellschaft am Boden widmete - Und sich einem Fremden gegenübersah, der Sie musterte. Leicht errötend, weil Sie so unaufmerksam gewesen war, schenkte Sie ihm ein höfliches Lächeln und wollte sich beschämt abwenden, doch da sprach er Sie an. "Verzeihen Sie, dass ich Sie aufgeschreckt habe. Sie sahen nur nicht aus, als würden Sie zu den anderen Speichelleckern gehören, deswegen fragte ich mich, was Sie hier tun." "Offensichtlich besuche ich eine Buchpräsentation und genieße die Architektur des Gebäudes." Der Fremde lächelte. Schwarze Augen und Haare, ein schönes Gesicht, stellte Sie nüchtern fest. Letztlich hätte Sie sich im Moment aber mit jedem unterhalten, um nicht wie die Außenseiterin auf dem Schulhof zu wirken, also war sein Äußeres völlig gleich. "Das klingt nicht wie ein Fan des großen Autoren... Wie hat es Sie hierher verschlagen?", erkundigte er sich. "Die Tür war offen." "Sie sind nicht sehr gesprächig." "Dafür sind Sie sehr neugierig." "Das ist der Beruf." Er lächelte erneut, hielt Ihr die Hand hin und stellte sich vor: "Mein Name ist Sai." Sie wartete, doch seinen Nachnamen verriet er nicht. Dennoch ergriff Sie seine Hand und nannte Ihren Vornamen. Wenn er keine Formalien einhielt, tat Sie das eben auch nicht. "Und was ist Ihr neugiererweckender Beruf?" "Das verrate ich Ihnen, wenn Sie mir mehr von sich verraten. Obwohl ich schon so meine Vermutungen habe..." "Teilen Sie zumindest die mit mir?" "Hm... Sie haben einen geisteswissenschaftlichen Beruf; gepflegte Hände und Äußeres, gewählte Ausdrucksweise, vornehme Zurückhaltung. Sie sind nicht verheiratet - Wie der fehlende Ring an Ihrer Hand zeigt. Sie sind durchaus an Literatur interessiert, würden diese aber lieber mit einer Begleitung genießen. Es fällt Ihnen schwer, mit Fremden privat zu sprechen... Habe ich Recht?" "Es ist auf jeden Fall interessant. Reden Sie weiter." Das tat e, und er schien sich einen Spaß daraus zu machen, wilde Spekulationen über Sie anzustellen, die sogar erstaunlich oft ins Schwarze trafen. Sie fragte sich, was genau er von Ihr wollte und auch Ihr Freund stellte diese Frage später im Auto. Leider hatte Sie weder für Ihn noch für sich eine befriedigende Antwort. Diese sollte Sie zwei Tage später in einem Zeitungsartikel erhalten. Der Bericht "Die bessere Hälfte eines Genies" wurde von einem Bild von Ihr gekrönt, auf welchem Sie halb seitlich zu sehen war, wie Sie in eine unscharfe, etwas entfernte Menschenmenge blickte. Sie wirkte darauf zerbrechlich und einsam und genau so wurde Sie in der Kolumne gezeichnet; als das vernachlässigte, aber mutige Frauchen des bösen Bestsellerautors, welcher in der zweiten Hälfte des Artikels verrissen wurde. Seine Werke seien aufgebläht, schlecht recherchiert und überschätzt, behauptete die wöchentliche Kolumne einer großen Kulturzeitschrift. Als Name des Autors wurde nur "Sai" angegeben. Sie war außer sich vor Wut, aber das war noch nichts gegen Seinen Zorn. Er warf Ihr nicht nur vor, Schuld an der negativen Darstellung Seiner Person zu haben, sondern auch, dass Sie sich bei Fremden über Ihre Beziehung beschwerte und dass Sie mit anderen flirtete. "Ich habe nicht mit ihm geflirtet, und was er geschrieben hat, stimmt auch nicht!", schrie Sie Ihren Freund an; es war das einzige Thema, das sie noch hatten, seit der Artikel veröffentlicht worden war. "Also hast du nichts von dem gesagt, was er geschrieben hat?" Entnervt rieb Sie sich den Nasenrücken. "Doch, aber das ist alles völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe gesagt, dass du auf solchen Events keine Zeit für mich hast, was ja stimmt, aber nicht weiter schlimm ist. Es ist immerhin deine Arbeit. Können wir jetzt bitte damit aufhören? Das Thema langweilt mich." "Diesem Mann hattest du dazu einiges zu sagen." "Du vertraust mir nicht, oder?", fragte Sie gekränkt, den Blick fest auf Ihn gerichtet. Als Er nur mit verschränkten Armen zurück schaute, schüttelte Sie den Kopf. "Weißt du eigentlich, was du da sagst? Ich habe dir immer den Rücken freigehalten. Ich war für dich da, als dein Vater gestorben ist. Ich war für dich da, als du wieder zurückgekommen bist! Ich war und bin immer für dich da und du... Du wagst es, mir so etwas vorzuwerfen?!" Auf der Anrichte stand ein Teller, den Sie nahm und auf Ihren Freund schleuderte. Er zerbrach klirrend auf dem Boden. "Du Arschloch!" Mit diesen Worten wandte Sie sich ab und stürmte ins Schlafzimmer, wo Sie eine große Tasche aus dem Schrank zerrte und wütend alles hineinstopfte, das Sie in die Finger bekam. Sie hatte das Gefühl, Ihre Brust würde brennen vor unbändigem Zorn, während gleichzeitig Ihre Augen zu tränen anfingen. Fluchend schnappte Sie die Tasche und drängte sich an Ihrem Freund vorbei, der gerade in der Schlafzimmertür aufgetaucht war. "Wo gehst du hin?" Als Antwort zeigte Sie Ihm den Mittelfinger - Nicht die erwachsenste Reaktion, das wusste Sie - Und schmiss die Tür lautstark hinter sich ins Schloss. Das war das letzte Mal, das Sie Ihn für drei Tage sah; währenddessen verkroch Sie sich bei Ihrem besten Freund, aber irgendwann hielt Sie es einfach nicht mehr ohne Ihren Mann aus. Sie waren beide Wracks, als sie sich wiedersahen, was Sie zeigte, indem Sie sich kriecherisch entschuldigte und Er, indem er die Entschuldigung hoheitsvoll akzeptierte. So zog Sie schließlich wieder ein, aber der Vorfall war nichts, über das man einfach so hinwegsehen konnte. Es hatte sich etwas verändert. ~ . ~ Hah, zu diesem Kapitel fiel es mir schwer, nicht mehr zu schreiben. Vielleicht werde ich das irgendwann in einer gesonderten FF nochmal machen, weil das Thema mir gefällt. Hoffentlich hat es euch gefallen. :) Bis dann! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)