Veränderungen von Ur (Yato x Yukine) ================================================================================ Kapitel 1: Konstante - Variable ------------------------------- Yukine wollte sich gerne einreden, dass sich nach dem Reinigungsritual gar nicht so viel zwischen ihm und Yato und seiner generellen Situation geändert hatte. Manchmal verbrachte er eine halbe Stunde damit, sich selbst aufzuzählen, wie die Dinge eigentlich immer noch genauso wie vorher waren. Yato war immer noch ein inkompetenter, faktisch obdachloser und vor gefühlt fünfhundert Jahren pleite gegangener Gott, der jeden mickrigen Job annahm und dabei vor keiner noch so ekligen und entwürdigenden Arbeit zurückschreckte. Er zwang Yukine auch immer noch, an diesen scheußlichen Jobs teilzuhaben und er sah immer noch genauso abgerissen und unseriös aus wie an dem Tag, an dem Yukine ihn kennen gelernt hatte. Yukine hatte auch immer noch Angst im Dunkeln. Außerdem war Hiyori immer noch bei ihnen und sie war dieselbe wie eh und je. Sie brachte Yukine Kekse und heiße Schokolade, ließ ihm nachts im Flur das Licht an und brach andauernd mitten auf der Straße zusammen, sodass ihr irdischer Körper liegen blieb und Hiyori als Phantom mit ihrem merkwürdigen Schwanz weiter an ihrer Seite blieb. Auch ihre zärtlichen Blicke, mit denen sie Yukine und Yato ansah, wenn die beiden sich beharkten, waren dieselben geblieben. All diese Dinge sprachen dafür, dass sich nichts verändert hatte. Aber in den ruhigen Momenten, in denen Yukine Zeit zum Nachdenken blieb, musste er sich eingestehen, dass die Liste der anderen Seite auch nicht zu verachten war. Er selbst hatte sich als Shinki verwandelt – auch wenn Yato ihm den Prozess nicht wirklich verständlich machen konnte. Yatos Laune war nach dem Reinigungsritual und nach Yukines Verwandlung besonders gut und er prahlte vor jeder Gottheit, die es nicht hören wollte, wie großartig Yukine war und dass er der stolzeste Gott mit dem besten Shinki sei. Yukine wurde jedes Mal rot, wenn er etwas in diese Richtung sagte – eine Kleinigkeit, bei der Yukine ein bisschen Veränderung nicht gestört hätte. Er selbst war nicht mehr so wütend, unausgeglichen und ständig auf Krawall aus. Das fand er tatsächlich beruhigend, da es ihm viel Ärger ersparte und auch Yato auf diese Art in Sicherheit vor einer neuen Kontaminierung war. Aber es gab da diese eine Veränderung, mit der Yukine einfach nicht zurecht kam und die ihn Tag und Nacht umtrieb. Eine merkwürdige Veränderung, die er eigentlich immer spüren konnte, wenn Yato in der Nähe war. Am Anfang hatte Yukine gedacht, es läge an dem Reinigungsritual oder seiner Verwandlung. Aber es war etwas ganz Neues, das er fühlte, wenn Yato ihn anlächelte oder ihm stolz die Haare tätschelte oder mitten in der Nacht in Yukines Zimmer auftauchte, um ihm Kekse zu klauen und mit ihm zu plaudern. Yato war ein Vollidiot, der vermutlich nichts von alledem merkte. Aber Yukine befürchtete, dass er Yato eigentlich nicht so ansehen dürfte, wie er es tat und dass er sich nicht nach jeder Berührung von Yato wünschen sollte, dass die nächste nicht allzu lang ausblieb. »Wie fühlt es sich an, wenn man verliebt ist?«, hatte er Hiyori eines Tages mit hochrotem Kopf gefragt. Hiyori hatte gelächelt und ihn mit diesem liebevollen Blick angesehen. Er fühlte sich wie ihr kleiner, unerfahrener Bruder. Aber immerhin musste er mit dieser Frage nicht zu Yato gehen – das wäre eine ausgewachsene Katastrophe. »Also… nicht, dass ich selber viel Ahnung davon hätte«, hatte Hiyori gesagt und den Kopf hin und her gewiegt, »aber ich hab natürlich einiges darüber gelesen.« Yukine hatte sehr aufmerksam gelauscht und versucht, das heftige Klopfen seines Herzens dabei zu ignorieren. »Man wünscht sich immer, dass der andere bei einem wäre, auch wenn er oder sie gerade erst gegangen ist. Man hat Schmetterlinge im Bauch und Herzklopfen und wünscht der betreffenden Person nur das allerbeste auf der Welt.« Yukine hatte darüber sehr lange nachgedacht. Manchmal wünschte er Yato Flöhe und schlecht gewordene Milch und eine ordentliche Tracht Prügel von Daikoku. Aber alles in allem musste er sich eingestehen, dass er bereit war, alles zu tun, damit Yato nur gute Dinge geschahen und er vor schlechten Sachen in Sicherheit war. Und was die anderen Punkte betraf, brauchte er nicht allzu lang zu grübeln. Allein das Gestolper in seiner Brust, wann immer Yato ihn ansah, sagte ihm, dass all seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Er hatte sich aus unerfindlichen Gründen in den Gott der Inkompetenz verliebt. Da sie beide ohnehin nicht von dieser Welt waren, machte Yukine sich weniger Sorgen darum, dass sie beides Männer waren, als darüber, was mit Yato geschehen würde, wenn Yukine anfing unlautere Gedanken über ihn zu hegen. So, wie es ihm am Anfang oftmals mit Hiyori passiert war. Womöglich war Yato schon längst wieder von dieser Scheußlichkeit befallen, weil Yukine sich andauernd wünschte, Yato würde ihn anfassen, und sei es nur ein Wuscheln durch die Haare. Aber Yato blieb scheinbar unversehrt, egal wie viele Wochen Yukine ihn auch prüfend beobachtete. Hiyori unterdessen schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Yukine im Auge zu behalten, seit er ihr diese prekäre Frage über das Verliebtsein gestellt hatte. Immer wieder machte sie scheinbar unschuldige Anspielungen über Yukines Zuneigung und wann immer er mit irgendjemandem außer ihr und Yato Kontakt hatte, schien sie besonders interessiert. Yukine mochte Hiyori sehr, aber er kam kaum selbst mit seinen neuerlich erwachten Gefühlen klar und ihre nur mäßig gut verdeckte Neugier machte es ihm nicht leichter. Abgesehen davon machte es Yukine zu schaffen, dass er diese unsichtbare Verbindung zu Yato hatte, die den Gott spüren ließ, wenn Yukine unanständige Gedanken hegte, aber seit Yukines Gefühlsausbrüchen hatte er sich nicht in irgendeiner Art und Weise streng geäußert. Yukine hoffte also inständig, dass Yato keine Ahnung hatte, was in seinem Shinki vor sich ging. An einem ruhigen Sonntagabend hockte Yukine mit Hiyori in seinem Zimmer und ließ sich von ihr ein paar Matheaufgaben erklären. Laut Hiyori machte Yukine hervorragende Fortschritte – vor allem in Japanisch und Geschichte. Aber Yukine musste sich selbst nichts vormachen, er war eine Niete in Mathe und würde es sehr wahrscheinlich auch bleiben. Nichtsdestotrotz war er bemüht, nicht sofort alles hinzuschmeißen, allein schon, weil Hiyori sich solche Mühe mit ihm gab. Ab und an fragte er sich dumpf, wieso überhaupt irgendjemand sich Mühe mit ihm gab, aber bevor er in Selbstmitleid und allzu negativen Gedanken versank, schob er diese lieber beiseite und dachte an schöne Dinge. Wie beispielsweise Hiyoris gut duftenden Badeschaum, die Babykatze der Nachbarn oder Yatos Gewuschel durch seine Haare. »Ich denke, das reicht für heute«, sagte Hiyori, nachdem sie Yukines letzte Übungsaufgabe korrigiert und ihm das mit Rot und aufmunternden Smileys verzierte Blatt zurückreichte. Hiyori schrieb immer liebe Dinge an den Rand, wenn er etwas falsch gemacht hatte. So etwas wie »Du warst hier schon auf dem richtigen Weg, super!« und »Die Aufgabe ist fies, aber du wirst sie schon noch bewältigen!«. Yukine fragte sich dumpf, was er ohne Hiyori tun würde. Die Antwort war – er wäre schon längst krepiert. »Ich geh schlafen«, sagte Hiyori mit einem Gähnen und stand auf. »Gute Nacht, Hiyori«, entgegnete er mit einem müden Lächeln und sah ihr nach, als sie aus dem Zimmer ging und ihm noch einmal zulächelte, ehe sie die Tür hinter sich schloss. Yukine gähnte nun ebenfalls, aber er beschloss, die Aufgaben noch einmal durchzugehen. Während er über Hiyoris Korrekturen brütete und auf einem neuen Blatt Papier die Aufgaben erneut zu erledigen versuchte, dachte er darüber nach, wie lange so eine Verliebtheit für gewöhnlich anhielt. Manche Menschen heirateten schließlich. Das hieß wohl, dass manche Menschen ihr Leben lang verliebt waren. Yukine kaute nervös auf seiner Unterlippe herum und tippte mit dem Stift auf das Papier, während er sich vorstellte, wie er den Rest seines unsterblichen Lebens in Yato verliebt sein würde. Das Licht flickerte und Yukine ließ vor Schreck den Stift fallen. Er hockte schreckensstarr auf dem Fußboden und hoffte inständig, dass das nicht noch einmal passierte, aber natürlich wurden seine Gebete – an welchen Gott wollte er auch seine Gebete schicken? Den Gott der funktionierenden Elektrizität? – nicht erhört und nach zwei weiteren kurzen Aussetzern ging das Licht komplett aus. Yukine versuchte, ruhig zu atmen und sich Hiyoris Stimme vorzustellen. »Stell dir einfach vor, dass die Dunkelheit deine Bettdecke ist.« Aber so sehr er auch versuchte sich das vorzustellen, alles, was er vor seinem inneren Auge sehen konnte, waren schreckliche Fratzen mit leuchtenden Iriden und große Krallenhände, die sich nach ihm ausstreckten, um ihn in die ewige Finsternis zu ziehen… »Yo, Yukine!« Yukine schrie erschrocken auf und krabbelte rückwärts blindlings in die Richtung des Zimmers, in der er sehr vage die Tür vermutete. Sein Herz hämmerte ihm bis zum Hals. »Ich bin’s nur«, erklärte Yatos Stimme aus der Dunkelheit und eine Taschenlampe flammte auf, die Yatos Gesicht unvorteilhaft von unten beleuchtete. Yukine zitterte und schluckte, um nicht noch weitere entwürdigende Geräusche von sich zu geben. »Ich fürchte, Kofuku hatte einen Wutanfall und hat dabei ein paar Strommasten gekappt«, erklärte er entschuldigend und hopste von der Fensterbank ins Zimmer hinein. Yukine starrte auf den Lichtkegel der Taschenlampe und wollte sich gerne darin zusammen rollen, aber er blieb einfach still sitzen und fühlte sich wie gelähmt. »Hab ich von Kofuku ausgeborgt«, sagte Yato erklärend und wedelte mit der Taschenlampe herum. Yukine sah, wie er sich rücklings aufs Bett warf. Die grauen Augen waren aufmerksam auf Yukine gerichtet und schließlich legte er die Taschenlampe neben sich und klopfte auf die Bettdecke. »Komm schon her.« Yukine schluckte. Das konnte er. Nur ein paar Schritte durch die Dunkelheit und dann wäre er bei Yato im Licht. Er rappelte sich mit Beinen wie Wackelpudding mühsam auf und hastete dann in einem Anflug von Wagemut hinüber zum Bett, wo er sich neben Yato einrollte und das Gesicht in seinem Kopfkissen vergrub. Zu seiner Überraschung spürte er eine behutsame Hand auf seinem Haar, die ihm sacht über den Kopf strich. »Dummerchen«, murmelte Yato leise und Yukine schluckte schwer, als Yato ein wenig auf dem Bett herum rutschte und dann direkt hinter Yukine zum Liegen kam. Er zupselte umständlich an der Bettdecke herum und schaffte es schließlich, sie unter Yukine hervor zu ziehen und über ihnen beiden auszubreiten. »Willst du nicht lieber in irgendeinem Schrein übernachten?«, nuschelte Yukine in sein Kopfkissen und spürte das mittlerweile altbekannte Kribbeln im Magen, während Yato ihm unaufhörlich die Haare streichelte. Vor lauter Aufregung über so viel Körpernähe vergaß Yukine beinahe seine Angst vor der Dunkelheit. Die Taschenlampe lag nun neben ihnen im Bett und Yukine drehte den Kopf so, dass er nicht mehr ins Kissen atmete, was auf Dauer doch etwas anstrengend wurde. »Nein, kein Bedarf«, meinte Yato lässig und Yukine dachte daran, wie Yato ihm einmal seine Jacke gegeben hatte, weil ihm beim Schlafen in einem Schrein kalt geworden war. »Ich pass auf, dass die Dunkelheit dich nicht klaut«, versicherte Yato ihm und Yukine brummte leise und verlegen, doch er konnte nicht leugnen, dass Yatos Gegenwart ihm bereits sehr geholfen hatte. »Mach dich ruhig lustig«, murmelte Yukine leise und Yato lachte leise in seinen Nacken, was ihm eine Gänsehaut bescherte. »Du bist schon so weit gekommen, Holzkopf. Die Angst vor der Dunkelheit packst du schon auch noch«, sagte Yato und er klang so zuversichtlich, dass Yukine es beinahe selbst glaubte. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Berührungen von Yato, die langsam aber sicher die Furcht aus seinen Gliedern zogen und Yukine spürte, wie er allmählich in den Schlaf hinüber glitt. Viele Dinge hatten sich verändert und würden sich bestimmt auch in Zukunft verändern, dachte er benebelt bei sich, aber immerhin gab es in all dem Chaos auch eine Konstante. Mit einem Lächeln dachte Yukine an Yato, ehe er schließlich einschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)