Engelsgleich von Blauer_Lapis ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wesen vom reinsten Geblüt, die keinem anderen etwas zu Leide tun würden und immer das Gute im Menschen sehen. Engel sind seit Anbeginn der Zeit Geschöpfe der Reinheit, der Fröhlichkeit und des guten Willens. Sie verkörpern all die guten Eigenschaften, die man sich vorstellen kann und darüber hinaus besitzen sie noch ganz andere Fähigkeiten, die sich normale Menschen nicht vorstellen können. Doch was sind Engel eigentlich? Sind es Menschen? Menschen, die einmal gestorben sind? Oder kann man ihre Existenz mit der eines Erdenbewohners gar nicht vergleichen? Diese Wesen tragen die Farbe der Reinheit so sagt man, Weiß wie der Schnee. Die Haare erstrahlen hell wie das Sonnenlicht und in ihren Flügeln spiegelt sich die Reinheit ihrer Seele wieder. Doch sind Engel wirklich so? Gibt es nur die Guten? Es gibt doch auch gefallene Engel. Heißt das dann nicht auch, dass es Wesen unter ihnen gibt, die nicht so rein sind wie man glaubt? Und sind Engel wirklich immer weiß, strahlend und hell? Weiß man das denn? ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die schwarzen, langen Haare wurden von der Sonne angestrahlt und spiegelten die Farbe der Nacht wieder. Die Blicke folgten ihr, denn solch eine Frau war hier selten zu sehen … selten? Nun, eher nie. Ausweichende und abwertende Blicke waren es, die die Engel ihr zuwarfen. Sie blickten auf die Frau herab, als würde sie unter ihnen stehen. In manchen Augen spiegelte sich Angst wieder, als wäre sie die Ausgeburt der Hölle. Ihr kamen mehrere Engel entgegen, zwei Männer und vier Frauen. Sie allen waren in helle Farben gehüllt und ihre blütenweißen Federn strahlten ebenso im Sonnenlicht wie ihr Haar. Loriana war nicht gewillt zur Seite zu gehen, denn die hochnäsigen Blicke der Engel konnte sie noch nie leiden und sie wollte ihnen nicht Recht in ihrer Meinung geben. Doch auch die Gruppe vor ihr machte nicht Platz und so blieben sie mitten auf dem Marktplatz stehen. “Geh zur Seite Höllenkind!”, sagte der älteste unter ihnen. Ein Engel mit dunkelblondem Haar und makellosen Aussehen, dass eine jede Frau sich sofort in ihn verliebt hätte. “Genauso gut könntest du zur Seite gehen Razien”, entgegnete Loriana und streckte ihr Kinn ein klein wenig nach vorn. “Du hast nicht den Rang dafür, dich so mit mir zu unterhalten”, meinte der Engel in höflichem Ton. “Ich bin ein Engel wie du und …” Razien unterbrach sie mit einer einfachen Handbewegung: “Sag nicht, dass wir gleich sind Höllenkind, denn das sind wir nicht. Du gehörst nicht zu den Engeln, dein Platz ist nicht hier. Schon bald wird der Rat das auch erkennen.” Ein Schlag durch ihr Herz auf das die junge Frau nichts erwidern konnte. Mit einem höhnischen Grinsen auf den Lippen ging Razien um Loriana herum und verschwand aus ihrem Blickfeld. Die anderen Engel folgten ihm, darauf bedacht das ihre Flügel die des Höllenkindes nicht streiften. Ein paar Minuten stand der schwarzhaarige Engel noch so da, bis sie ihre Beine endlich dazu bewegen konnte weiter zu gehen., weg aus der Stadt, weg vom Trubel und weg von den Blicken der Engel. Schnellen Schrittes folgte Loriana dem Pfad zwischen den Behausungen und verließ die Stadt. Sie folgte dem Weg bis zu einer Gabelung. Dort ging sie nach rechts und gelangte zum Pavillon der Engel. Allerdings war dies nicht ihr Ziel. Sie lief ohne einen Weg auf den Wolken entlang. Man musste aufpassen, denn wenn kein Weg zu sehen war, konnten sich schnell dünnere Wolken unter den Füßen befinden und Loriana würde durch die Wolkendecke fallen. Nicht das das für sie ein großes Problem wäre, da die Flügel sie halten könnten, aber bei einem Sturz durch die Wolken würde die ein oder andere Feder verloren gehen. Doch der Engel kannte seinen Weg. Wie oft am Tag folgte sie ihm zum Rande, um auf die Menschen hinab zu blicken und nachzudenken. Loriana fand ihren kleinen Ort, welcher oft von großen Wolken versteckt war und setzte sich auf einen kleine Anhäufung der Kumulus-Wolken. Auf der Erde würde bald der Regen ausbrechen, von dem sie hier oben nichts spüren würde, außer dem Vibrieren der Wolkendecke. Wenn es ein Gewitter gab, kam es schon eher mal dazu, dass Wege sich auseinander rissen und sich ganz neue Wolkenformationen bildeten, doch da Loriana kein festes Heim hier oben besaß, war ihr das egal. Razien hatte es wieder geschafft und das Loch in ihrem Herzen neu aufgerissen. Schon immer hassten die anderen sie. Seit Loriana hier oben bei den Engeln angekommen war, wurde sie als Höllenkind bezeichnet. Sie gehörte nicht zu ihnen, sie war nicht engelsgleich. Die Frau hatte keine hellen Haare, trug keine weißen Kleider und auch ihre Flügel waren so anders. In vielerlei Hinsicht trug sie die Farben des Teufels und nicht das der Engel. Ihre Haare sind schwarz wie die Nacht, ihre Kleidung ist stets rot und ihre Flügel … nein, sie sind nicht weiß wie die Blüten der Lilien. Ihre Federn sind vom Grunde her Weiß, doch an vielen Federn ist ein grauer Schein auszumachen und die Spitze jeder Einzelnen ist rot wie Blut. Sie waren außergewöhnlich im Sinne von andersartig. Sie war ein ausgestoßener Engel und bisher hatte der Rat der hohen Engel nichts dagegen unternommen, sie rauszuwerfen oder ihr endlich den Rang zu geben, dass sie als Engel akzeptiert wurde. Loriana wusste, dass mehr in ihr steckte, doch niemand gab ihr die Chance, es zu beweisen. Doch das eigentlich Schlimmste war, dass ihre eigene Schwester sie ignorierte und lieber Razien an den Lippen hing und nicht von seiner Seite wich. Ja, ihre Schwester Isana war engelsgleich; goldblonde Locken bis zu ihrer Hüfte, weiße Kleider und schneeweiße Flügel. Selbst unter den Wesen hier oben gehörte sie zu den Schönsten und da war es auch kein Wunder, dass sie die Gefährtin von Razien war; einem Engel des Rats. Isana hatte alles; Schönheit, Erhabenheit, Macht … sie ist vollkommen, sie ist engelsgleich. Loriana litt unter dem Spott und fragte sich auch heute wieder, warum sie eigentlich hier war. Warum sie nicht auch eine einfache, verstorbene Seele sein konnte. Warum war sie zu einem Engel geworden und warum ausgerechnet zu einem Höllenkind? Sie war nichts, ein Niemand. Am Tag, an dem sie in das Reich der Engel geführt wurde, hatte man ihr auf diese Frage geantwortet, dass ihre Seele der eines Engels glich und sie, wenn sie soweit war, in einen Rang eingeteilt wurde, um zum Beispiel die Wesen hier im Himmel zu leiten, Geleit im Tod zu geben oder Schutz den Menschen zu bringen. Als ihr dann allerdings ihre Flügel geschenkt wurden und sie ihr aus ihren Schultern wuchsen, erschraken selbst die Engel des Rats. Das weiße Kleid, was sie bei ihrer Ankunft getragen hatte, wurde rot und ihre Flügel wurden … ja, sie wurden so, wie sie jetzt sind … anders. Wenn ein Engel seine Flügel bekommt, ist es normal, das sie rot gesprenkelt sind, weil sie aus dem Rücken wachsen und noch Blut an ihnen klebt, doch Lorianas Flügel waren weiß-grau und hatten rote Spitzen. Es würde sich in den nächsten Tagen ändern, es sei normal, wurde der Frau versichert, doch inzwischen war sie einige Jahre hier und nichts hatte sich geändert. Sie ist und bleibt ein Höllenkind. Auf die Frage, weshalb ihre Flügel so waren, wurde keine Antwort gefunden, doch jeder Engel hielt sie für verflucht. Loriana war gemeinsam mir ihrer Schwester hier gelandet, da sie auf der Erde bei einem Autounfall gestorben waren. Sobald Isana aber ihre Schönheit als Engel entfaltet hatte, umgarnte Razien sie und ihre Schwester vergaß Loriana komplett. Das einzige, was sie ihr schenkte waren hochnäsige Erscheinungen und mitleidige Blicke. “Wenn ich doch nur wie sie wäre”, murmelte Loriana leise vor sich hin, “Dann wäre ich kein Höllenkind und es würde Engel geben, die mich so lieben, wie ich bin.” ~~~~~~~~~~~~ Doch das Leben änderte sich schlagartig, als Loriana ein paar Tage später zum Rat gerufen wurde. Die erhabenen Engel waren im Wolkensaal anzutreffen und es wurde nicht zu Unrecht behauptet, dass die Engel im Rat zu den schönsten und makellosesten Wesen im ganzen Himmelreich zählten. “Wir haben uns über dein Schicksal unterhalten und eine Entscheidung getroffen Loriana”, sagte der große Engel Natsiel. Die junge Frau hielt den Atem an für die kommende Entscheidung. “Du hast ein reines Wesen Loriana, sonst wärst du nicht als Engel in unser Reich gelangt, sondern weiter in den Himmel, bis du wiedergeboren werden würdest. Doch deine Seele ist es, die den Weg hierher gefunden hat”, sprach der einzige weibliche Engel im Rat, Masia, mit solch einer Güte und Liebe, dass Loriana wusste, dass dieses Wesen sie nicht als Höllenkind ansah. “Wir haben entschieden, dass du ein Schutzengel werden sollst Loriana”, sagte nun wieder Natsiel und die Frau konnte kaum weiteratmen, denn das hatte sie wirklich nicht gedacht. Ein Schutzengel war einer der höchsten Ränge im Himmelreich. Doch nicht alle im Rat schienen der Meinung zu sein, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sei. Razien sah sie abwertend an, als würde er nicht glauben, dass sie jemanden beschützen könnte. “Was hast du als Schutzengel zu beachten?”, fragte ein Engel mit hellbraunen Haaren, Nusian, der Engel im Rat, der auf die Regeln achtete. “Als Schutzengel habe ich meinem Schützling in brenzligen Situationen zu helfen, ohne ihn von seinem Schicksal abzulenken. Ich habe mehrere Menschen auf die ich Acht zu geben habe und wenn gleichzeitig mehrere von ihnen in Gefahr schweben, habe ich auf mein Gefühl zu vertrauen, dem richten Beistand zu geben.” “Sehr gut. Darf ein Schützling dich sehen?”, fragte Nusian weiter. “Es kommt auf die Bindung an. Wenn ein Mensch stark an Engel glaubt und es die Situation erfordert, dann kann man als Schutzengel seinem Schützling erscheinen und ihm einen Rat geben. Man darf jedoch niemals das Schicksal beeinflussen. Als Schutzengel legt man die Samen, die Früchte muss der Mensch selbst reifen lassen.” “Gut, du hast du wichtigsten Grundsätze eines Schutzengels verstanden. Razien wird dir deinen ersten Schützling zeigen. Es ist ein Junge von 16 Jahren. Lerne ihn kennen und lasse dich von den Gefühlen leiten, wie du ihm helfen kannst. Wenn du soweit bist, dann werden wir dir weitere Schützlinge zuteilen.” Loriana nickte, bedankte sich und Razien stand auf. Er ging an ihr vorbei und die Frau folgte ihm sofort. Sie blieben am Rand der Wolken stehen und Razien sah sie mit hochnäsigen Blick an: “Folge mir Höllenkind. Erwarte jedoch nicht, dass ich wegen dir langsamer fliege.” Ich habe einen hohen Rang und selbst jetzt akzeptiert er mich nicht als Engel … ich werde wohl immer eine Ausgestoßene sein, dachte sie und flog dem Engel dann aber hinterher, zwischen Wolken hindurch, hinab auf die Erde, um endlich ihren Platz als Schutzengel einzunehmen. Razien flog wirklich schnell, das musste man ihm lassen, aber Loriana hatte viel Zeit damit verbracht, ihre Flügel zu testen und mit ihnen zu fliegen. Sie hatte keine Probleme damit mit ihm mit zu halten. Sie tauchten durch die Wolken hindurch und der Engel spürte das wohlige Kribbeln auf ihrer Haut, als die Wolken daran entlang streiften. Es war wie ein Hauch, kaum spürbar und doch soweit, dass es in ihr ein Gefühl von Freiheit weckte, wie jedes Mal bei einem Flug. Als die beiden Engel die obere Wolkendecke durchbrachen erfasste sie ein starker Wind, der beide nach links riss, doch sie konnten sich wieder fangen. Hier unten schien ein kleiner Sturm zu herrschen, der das Fliegen ein wenig erschwerte, jedoch nicht unmöglich machte. Für Loriana war es gewöhnungsbedürftig, da sie insgesamt nicht so oft im Sturm geflogen war wie Razien. Dieser interessierte sich dafür jedoch weniger und hielt stur einen Kurs ein. Die Engelsfrau versuchte ihr Unterbewusstsein auf die Windlinien zu fixieren, um diese zu spüren und auf ihnen zu fliegen, um den Wind als Freund zu begegnen und nicht als Feind. Ihre Federn vibrierten und die großen Schwungfedern schlugen hart gegen die Windböen wie gegen Stein. Wenn sie sich nicht bald mit dem Wind bewegte, würde dieser ihre Flügel zerreißen. Sie erinnerte sich an die Bücher, die sie über das Fliegen gelernt hatte und die wenigen Stunden Unterricht, die jeder neue Engel bekam. Ihre Gedanken weiteten sich aus, ergriffen die Windfäden wie ein Rettungsseil und ließen sich von ihnen leiten. Ihre Flügel legten sich ganz automatisch in die richtige Position, da die Federn fest mit ihrem Bewusstsein verknüpft waren. Razien hatte einen kleinen Vorsprung erlangt, doch nun konnte Loriana wieder aufholen und ihm weiter hinab folgen, wo der Wind ein klein wenig abschwächte. Sie flogen über einen großen Eichenwald, dessen Bäume sich im Wind wiegten und deren Blätter in den Böen tanzten wie die Engel selbst. Das Rauschen durch die Baumkronen war wie ein Flüstern, als wolle der Wald etwas mitteilen. Vögel schwangen sich empor und flogen auf den Windlinien unter den Engel. Die kleinen Flügel sahen viel zerbrechlicher aus als die der anderen Wesen und doch wusste Loriana, dass diese Schwingen die Tiere kilometerweit tragen würden. Es war später Nachmittag, die Sonne näherte sich dem Horizont und erfüllte die Welt mit ihren letzten warmen Strahlen, bevor die Nacht Einzug halten würde. Ein Dämmerlicht hüllte die Erde ein. In der Ferne konnte Loriana einige Lichter ausmachen, die nicht vom Sonnenlicht her rührten und ihr war klar, dass dies eine Stadt sein musste. Ob das ihr Ziel war? Razien gab ihr die Antwort darauf, als die Engelsfrau wieder neben ihm flog. “Das da vorn ist es, die Stadt deines Schützlings.” “Was kannst du mir üben den Jungen erzählen?”, fragte die Frau, denn wenigstens ein paar Informationen musste man ihr geben. “Er ist 16 Jahre alt, geht zur Schule und ist eher ein zurückhaltender, schüchternder Junge. Er hat so gut wie keine Freunde und wird von anderen aus seiner Klasse gehänselt. Seine Kindheit war nicht leicht. Seine Mutter ist gestorben als er 10 Jahre alt war und sein Vater hat aufgehört, ihn wirklich zu lieben. Seit ungefähr einem Jahr schlägt er den Jungen, wenn dieser sich falsch verhält.” “Das ist ja schrecklich!” “Das sind Menschen Loriana. Es sind grausame Wesen. Wir waren auch einmal Menschen, das solltest du also wissen.” “Schon, aber …” “Kein Aber. Wie dem auch sei. Er ist einsam, fühlt sich von allen verlassen. Wohin seine Gedanken schweifen weiß keiner, aber der Rat vermutet, wenn ihm keine Hoffnung geschenkt werden kann, dass er seinem Leben vielleicht ein Ende bereiten wird. Er ist in dem Alter, wo solche Gedanken durchaus vorkommen. Du musst ihm als sein Schutzengel zeigen, dass er nicht aufzugeben hat, denn wenn du das nicht schaffst, ist nicht nur sein Leben verloren.” Er sah sie mit gleichgültigem Blick an, doch Loriana wusste genau, was er sagen wollte. “Sag es doch einfach. Du glaubst nicht, dass ich es schaffe. Das ich dem Jungen Mut schenken kann. Du bist der Meinung, dass ich es nicht wert bin, ein Schutzengel, geschweige denn ein Engel zu sein, nicht wahr?! Doch ich werde es euch allen beweisen!” Razien lachte auf: “Törichte, dumme Frau. Ich wusste, dass deine Schwester unrecht hatte … schon immer.” Loriana flog schneller und blieb vor ihm in der Luft stehen, der Wind schlug gegen ihre Federn, doch in dem Moment war es ihr egal: “Wovon sprichst du? Was hat Isana damit zu tun?” “Als ich ihr die Meinung des Rats erzählte sagte sie, dass du es schaffen würdest und einer der besten Schutzengel in unserem Gebiet sein könnest. Genauso töricht wie du”, antwortete Razien und flog weiter. Die Engelsfrau folgte ihm, doch sie war verwirrt. Ihre Schwester hatte immer nur hochnäsige Blicke für sie übrig gehabt. Hatte sie sich geändert? Hatte Isana ihre Schwester doch nicht vergessen? Doch weiter konnte Loriana darüber nicht nachdenken, denn sie kamen der Stadt immer näher und der Engel musste sich darauf konzentrieren, in der Stadt zu fliegen und den Mann vor sich nicht zu verlieren. Denn auch wenn sie kein Mensch sah, so konnten Engel trotzdem nicht einfach durch Dinge oder Gebäude fliegen. Mal durch eine Tür oder ein Fenster war möglich, um an den Schützling heran zu kommen, aber ansonsten war es nicht schwieriger. Die beiden Wesen flogen ein paar Minuten über der Stadt, bis Razien in eine Straße tiefer flog und dieser einige Meter folgte, bis er schließlich auf dem Dach eines Hauses stehen blieb. “Hier ist das Haus. Damit ist meine Aufgabe getan”, sagte Razien und wollte sich wieder erheben. Er hatte die Flügel schon zum Flug wieder ausgebreitet, als die Frage Lorianas ihn noch zurück hielt. “Wie ist sein Name?” “Tom”, antwortete der Engel und ließ die Frau damit dann schließlich allein. Er flog höher in den Himmel, bis Loriana nur noch ein weißes Funkeln ausmachen konnte, welches von den Federn stammte. Der Engel ließ sich vom Dach herab gleiten und flog an den Fenstern vorbei, um nach einem Jungen zu sehen. Schnell fand sie ihn in einem Zimmer an einem Schreibtisch sitzend und etwas schreiben. Loriana konzentrierte sich und flog durch das Fenster. Sie setzte sich auf das Bett und beobachtete den Jungen. Er hatte rötliches Haar, etwas länger und hatte keine allzu große Statur, eher kleiner als die meisten Jungen in seinem Alter, doch nicht unbedingt sehr klein. Im Moment schien er über Hausaufgaben zu sitzen. Der Engel stand auf und ging auf ihn zu, um über seine Schulter zu blicken. Mathematik … es war zwar nun schon fast 10 Jahre her, aber daran konnte sie sich noch erinnern … wie sie es gehasst hatte. Plötzlich ging die Tür auf und ein stämmiger Mann Mitte 40 kam in das Zimmer. Der Junge zuckte merklich zusammen. Loriana wich in eine Ecke des Zimmers zurück und beobachtete die Szene. “Hast du deine Hausaufgaben gemacht?”, fragte der Mann in gleichgültigem Ton mit einem harten Nachdruck. “Ich bin gerade noch dabei, ich versteh die Mathe-Aufgaben aber nicht. Vielleicht kannst du mir helfen Vater.” “Das solltest du doch wohl allein können, du bist alt genug dafür. Und jetzt beeil dich, das Essen ist gleich fertig.” Die Tür krachte zu und der Junge drehte sich mit einem Glitzern in den Augen zu seinen Hausaufgaben um. Loriana stockte der Atem. Was war das nur für ein Vater? Das ist ja wirklich schrecklich. Dieser Junge würde ihren Beistand brauchen und der Engel war bereit, alles für ihn zu geben. ~~~~~~~~~~~~ Ein paar Wochen beobachtete Loriana nun schon ihren Schützling Tom. Sie begleitete ihn zur Schule, zum Fußball und war am Abend und in der Nacht bei ihm zu Hause. Das Leben des Jungen war wirklich alles andere als einfach. Loriana hätte zu gern ein paar Personen die Meinung gesagt und ihnen einen Schlag ins Gesicht verpasst, doch als Schutzengel konnte sie nur zusehen, Mut aussprechen und ihrem Schützling Kraft schenken, wenn er es brauchte. Tom wurde gehänselt und schikaniert. In der Schule hatte er nicht einmal eine handvoll Freunde und wenn er von anderen tyrannisiert wurde, tat keiner etwas, denn seine zwei Freunde waren genau wie er und wenn sie sich für ihn einsetzen, würde es ihnen genauso ergehen. Er wurde verprügelt, ihm wurde das Geld gestohlen … es war für den Jungen täglich. Beim Fußball stand er meistens am Rand, sah zu, denn in die Mannschaft war er nicht gekommen, da keiner ihn wollte. Doch davon wusste sein Vater nichts. Diesem schien jedoch egal zu sein, was mit dem Jungen war. Er war gerade Abend und der Junge hatte seine Aufgaben fertig, als der Vater in sein Zimmer kam und ohne einen guten Grund auf den Jungen einschlug. Ein paar Schläge teilte der Mann aus, ehe er wieder ging und Loriana der Geruch von Alkohol in die Nase stieg. Sein Vater trank und den Frust, den er dann irgendwann bekam, ließ er an Tom aus. Der Junge ging ins Bad und wusch sich das Blut vom Gesicht. Er kam zurück, setzte sich mit angezogenen Beinen auf sein Bett und fing an zu weinen. Die Tränen rollten sein Gesicht hinab und Loriana zeriss er wieder das Herz. Inzwischen wusste sie, dass es soweit war. In vielen Situationen hatte sie ihm Mut zugeflüstert, eine feine Stimme die ihm Kraft gab. Doch nun sah sie, wie sein Körper zitterte, das Weinen nicht nachlassen wollte und sie hörte das leise Gemurmel so deutlich in ihren Ohren, als würde er es ihr direkt sagen. “Warum bin ich nicht so wie die anderen Jungs? Stark, gutaussehend, beliebt. Warum hassen sie mich alle? Was habe ich ihnen getan? Das kann doch nicht so weiter gehen … vielleicht wäre es besser, wenn ich nicht mehr da wäre. Wer würde mich denn schon vermissen?” Die Worte drangen zu Loriana hervor und sie erinnerten sie so sehr an sich selbst. Ihr eigenes Schicksal im Engelreich war anders und doch ähnelte es sich mit dem ihres Schützlings so sehr, dass es ihr Angst machte. Doch sie würde ihm Mut schenken, denn sie wusste doch, wie es war, gehasst zu werden. “Auch wenn es nicht so aussieht, dein Vater würde dich vermissen und es gäbe noch andere, die das auch täten”, sagte sie sanft und der Junge sah auf. Hatte er sich diese Stimme gerade eingebildet? Hörte er jetzt schon Stimmen in seinem Kopf, wurde er jetzt verrückt? Loriana sah leichte Angst in Toms Gesicht, doch sie war sich sicher, dass es nun soweit war, sich ihm zu zeigen. Langsam löste sich der Zauber, der auf ihrem Körper lag und sie für menschliche Augen unsichtbar machte. Ihre schwarzen Haare wurden sichtbar, das rote Gewand und ihre grau-weißen Flügel mit den roten Spitzen. “Keine Angst Tom. Vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten”, sagte sie sanft. Der Junge starrte sie an, bewegte sich kaum und in dem Moment hörten die Tränen auf zu fließen. “Wer bist du?”, fragte er ängstlich. “Ich bin Loriana, ein Engel”, sagte sie mit gütigem Blick. Er starrte sie an, als könnte er nicht fassen, dass sie das gerade gesagt hatte. Konnte das denn wahr sein? “Ein Engel? Sehen die nicht eigentlich anders aus?”, fragte er vorsichtig. “Du meinst blonde Haare, weiße Kleider und weiße Flügel, nicht wahr? Ich bin anders Tom.” “Du weißt meinen Namen”, stellte er schockiert fest. “Ja und ich weiß auch noch mehr über dich. Ich bin dein Schutzengel Tom, ich bin für dich da und gebe dir Mut.” “Mein Schutzengel? Das glaube ich nicht. Wo warst du, als mein Vater mich schlug? Wo warst du bei den Schikanen der anderen in der Schule? Warum hast du dann nichts getan, wenn du mich doch beschützen sollst?!” Nun wich die Furcht und die Schüchternheit der Wut, dass sie nichts getan hatte. Loriana ging vorsichtig auf ihn zu und kniete sich vor ihn hin: “Ich kann nichts tun, um diese Dinge zu verändern Tom. Das liegt nicht in meiner Macht. Ich helfe dir, diese Zeit zu überwinden, stark zu sein und dich dem entgegen zu stellen.” Die Tränen stiegen wieder in seine Augen und er fing an zu schluchzen: “Dann brauche ich keinen Schutzengel, wenn er mir nicht helfen kann.” Er vergrub das Gesicht in seinen Händen und dem Engel tat dieser Junge so unendlich Leid. Sie hob eine Hand und strich über sein rotes Haar, ganz fürsorglich und sanft. Langsam hob er den Kopf und sah sie an. “Du bist nicht allein Tom, ich bin an deiner Seite, wenn du Mut brauchst. Du darfst keine Angst haben, du musst dies überwinden. Menschen sind sauer, weil du anders bist. Sie können es nicht verstehen und es gibt Menschen die andere aus Spaß schikanieren. Du darfst ihnen deine Angst nicht zeigen. Du musst mutig sein, ihnen die Meinung sagen, dann wirst du akzeptiert.” “Die Meinung sagen, dass ist aber nicht so einfach. Wenn ich etwas sage, dann schlagen sie doch nur noch härter zu.” “Überwinde deine Schüchternheit Tom, du wirst dich wundern, wie die Menschen darauf reagieren werden.” “Du verstehst das doch nicht. Als Engel kannst du das doch nicht nachvollziehen. Ihr habt doch keine Probleme, kein Leiden”, sagte er durch die Tränen hindurch. “Es ist nicht alles so, wie ihr Menschen glaubt Tom.” Verwirrt blickte der Junge sie an und die junge Engelsfrau spürte, dass sie nur durch seine harte Wand dringen könnte, wenn sie sein Vertrauen erlangte. “Nun, deine Vermutung mit dem Aussehen der Engel ist vollkommen richtig. Eigentlich haben alle Engel weißen Flügel, tragen helle Kleider und haben helle Haare. Ich bin anders und werde dafür verachtet. Sie nennen mich Höllenkind, weil ich ganz anders bin und die Farben des Teufels trage und meine Federn blutrote Spitzen haben. Ich habe niemanden und meine Schwester steht auch nicht hinter mir. Ich weiß genau wie du dich fühlst Tom.” Verwundert sah er das geflügelte Wesen vor sich an. Es regte sich in ihm etwas, ein Funken Hoffnung keimte auf, dass dieser Engel ihm wirklich helfen konnte. Seine Angst ging ein wenig zurück und er betrachtete ihre Flügel. “Darf ich … sie anfassen?”, fragte er zaghaft mit einem Funkeln in den Augen, welches nur Kinder zeigten. Loriana lächelte und bewegte ihre Flügel soweit, dass ein paar Spitzen in seiner Nähe waren. Mit sanften Finger berührte er die Federspitzen und ein kurzer Schauer überlief den Engel, denn die Flügel berührte sonst niemand. “Ich finde sie wunderschön”, flüsterte der Junge und im Inneren des Engels breitete sich auch ein Funken aus; Wärme, von jemandem schön genannt zu werden. “Danke”, flüsterte sie ebenfalls ganz zaghaft zurück. “Du solltest nun schlafen Tom. Du musst morgen früh raus.” “Bleibst du bei mir?”, fragte er mit besorgtem Blick. “Ob du mich siehst oder nicht, ich bin in deiner Nähe, wenn du mich brauchst.” Er zog sich um und krabbelte unter seine Bettdecke. Ein letztes Mal sah er sie an, lächelte und schloss dann die Augen. Loriana setzte sich auf sein Bett und flüsterte ihm zu: “Morgen beginnt eine neue Zukunft Tom, eine Zukunft ohne Angst, ohne Schläge und ohne die ignoranten Blicke anderer.” Und Loriana spürte, dass sich nicht nur seine Zukunft ändern würde, denn der Junge hatte auch in ihr etwas aufkeimen lassen, dass sie seit ihrer Zeit als Engel nicht mehr gespürt hatte: Hoffnung. Ein neuer Morgen, ein neuer Tag war angebrochen und Tom war gerade auf dem Weg zur Schule. Er hatte gut geschlafen, fühlte sich heute ganz anders als sonst. Irgendwie mutiger. Loriana flog über ihm am Himmel und beobachtete alles aus der Ferne. Scheinbar hatte ihrem Schützling das Gespräch gestern Abend wirklich Mut gemacht. Es hatte ein wenig gedauert, doch sie schien sein Vertrauen erlangt zu haben. Die Schule war nah und dann blieb Tom plötzlich stehen. Unsicherheit ging von ihm aus und der Engel flog zu ihm hinab. “Ich schaff das nicht”, murmelte er vor sich hin. “Sie hassen mich.” “Sie hassen dich nicht. Sie schikanieren dich, weil du dich nicht wehrst … wehrlose Menschen sind ihre Lieblingsopfer. Doch du bist nicht mehr so, zeig allen, dass du dich verändert hast. Du trägst es in dir; Mut, Entschlossenheit, Selbstbewusstsein. Und ich bin doch bei dir Tom.” Der Junge schluckte den Kloß in seinem Hals tiefer, er konnte ihn noch nicht verschwinden lassen, aber er wurde kleiner. Mit sicheren Schritten ging der Junge nun auf das Gebäude zu. Ja, er würde es schaffen, denn er wollte nicht, dass sein ganzes Leben so verlief wie bisher. Vor dem Gebäude warteten seine beiden Freunde, die er lächelnd begrüßte. Sie gingen hinein und Loriana folgte ihm mithilfe ihres Bewusstsein, dass durch das Vertrauen des Jungen mit seinem Bewusstsein verbunden war. Sie lehnte an einem Baum, als sie die Unruhe in ihm spürte und eine aufkeimende Sorge. Es war Zeit, dachte der Engel und ging in die Richtung, aus der sie Tom spürte. Er war draußen und stand am Zaun mit einem Freund. Die beiden sahen zu, wie der dritte aus ihrer Gruppe von drei älteren Schülern schikaniert wurde. Beide hatten Angst. “Wo ist dein Mut Tom? Hilf ihm! Zeig den Jungen, dass sie nicht so mit euch umgehen können”, flüsterte Loriana ihm zu. “Wenn ich mich gegen sie stelle, schlagen sie mich und wenn ich zurück schlage, dann lebe ich nicht mehr lang”, murmelte er, ohne das sein Freund es mitbekam. “Gewalt gegen Gewalt anzuwenden ist auch kein Mut. Benutz dein Wissen … du bist klüger als diese Jungen. Man muss nicht handgreiflich werden, um sich gegen andere zu behaupten. Die kleinsten und körperlich schwächsten besitzen meist den größten Mut von allen”, antwortete der Engel. Sofort regte sich etwas in ihrem Schützling. Er wollte etwas tun, hatte aber immer noch Angst vor den Folgen. “Sei den anderen ein Vorbild. Wenn einer mutig ist, dass werden die anderen folgen und das wird auch dich stärken”, gab Loriana ihm den letzten Stoß und der Keim in seinem Inneren begann aufzubrechen und zu wachsen. Tom rannte los, zurück in das Gebäude und Loriana wartete gespannt, was nun kommen würde. Kurze Zeit später kam er mit einem Lehrer zurück, der sich sofort dem Streit annahm. Loriana lächelte … dieser Keim würde wachsen und sehr groß werden, das spürte sie. Die beiden Jungen kamen auf Tom zu, während der Lehrer die anderen beiden verwarnte und diese mit einem bösen Blick auf Tom in die Schule zurück gingen. “Vielen Dank Tom. Das war total mutig von dir einen Lehrer zu holen.” “Wir müssen aufhören, uns von ihnen wie das Letzte behandeln zu lassen. Ich möchte das nicht mehr! Das ist mir inzwischen klar geworden. Wir werden allen zeigen, das wir uns nicht mehr rumschubsen lassen.” Seine beiden Freunde sahen ihn mit verwundertem Blick an, doch Tom war entschlossen und würde sich von keinem abbringen lassen. Loriana war zufrieden mit ihm. Tom verabschiedete sich von seinen Freunden und machte sich auf den Weg nach Hause. Doch weit kam er nicht, denn an der nächsten Gasse wurde er in diese hineingezogen und drei ältere Schüler versperrten ihm den Weg. “Du hast vorhin den Lehrer geholt Tom. Das war sehr dumm von dir. Nun müssen wir dir eine Lektion erteilen, damit du nicht mehr so dumm handelst”, sagte einer von ihnen und knackte die Knochen seiner Hände. Tom schluckte und Loriana befürchtete schon, dass die Angst ihn wieder überrennen würde. Doch der Keim, den sie zum wachsen gebracht hatte, war schon so lange in ihm gewesen und er hatte nur jemanden gebraucht, um wachsen zu können. So leicht würde er nicht mehr zusammen fallen. “Ich habe keine Angst mehr vor euch. Lasst mich und meine Freunde endlich in Ruhe, wir haben euch nichts getan.” “Ihr gebt uns euer Geld nicht freiwillig, da muss man ja was tun. Aber was ist mit dir? Heute Nacht von Kraft geträumt oder was? Glaubst du wirklich, du kannst es mit uns aufnehmen?” Nein, dachte Tom, natürlich könnte er das nicht. Sie waren doch so viel stärker als er. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie so zu provozieren. “Nicht nachlassen Tom. Du weißt, wie du mit ihnen umzugehen hast”, flüsterte Loriana ihm Worte des Muts und der Junge nickte. Die vor ihm sahen ihn irritiert an. Der Schutzengel spürte eine aufkeimende Kraft im Inneren ihres Schützlings. Der Knoten war geplatzt, der Junge würde nicht wieder in die Angst fallen. Einer von den älteren Schülern kam auf ihn zu, mit erhobener Hand, um auf den Jungen einzuschlagen, doch Tom drehte sich zur Seite. Er wich den Schlägen aus und machte die anderen Jungen damit auch wütend. Sie kamen alle auf ihn zu, doch Tom erinnerte sich an ein paar Tricks, die ihm sein Vater gezeigt hatte, als seine Mutter noch gelebt hatte. Vorher hatte er sich nie bewusst gemacht, dass sein Vater ihm spielerisch Tricks zur Selbstverteidigung beigebracht hatte. Tom konnte den Jungen ausweichen und brachte sie dazu, sich gegenseitig zu schlagen, weil sie nicht aufpassten, bis sie alle drei auf dem Boden lagen, irritiert von dem, was eben geschehen ist. “Was ist denn mit dem los?”, fragte einer sich die Nase haltend, aus welcher Blut tropfte. “Ich habe mich an etwas erinnert, was mein Vater mir beigebracht hat. Und glaubt ihr wirklich, dass mir eure Schläge Angst machen, wenn mein eigener Vater mich schlägt?! Damit ist Schluss!”, sagte Tom, packte seine Tasche und ging. Und Loriana war unglaublich stolz auf ihn. “Du hast es schon immer in dir getragen Tom. Das war sehr mutig von dir, dich diesen Jungen so entgegen zu stellen. Ich denke, sie werden das nie vergessen”, flüsterte sie ihm zu. “Das hoffe ich. Dank dir habe ich endlich den Mut dazu gefunden Loriana. Ich bin so froh, einen Schutzengel wie dich zu haben. Kein anderer hätte mir so helfen können”, sagte er lächelnd. Und diese Worte erwärmten dem Engel das Herz so sehr wie sie es nur aus ihrer Zeit als Mensch kannte. “Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte Tom. Ich denke, du brauchtest nur Hilfe, deine innere Stärke zu finden. Es war schon immer in dir und ich hoffe, dass du es nun auch nicht wieder verschließt.” “Nein, ich will mein Leben wie es früher war nicht weiter leben. Es soll besser werden”, sagte er und lächelte. ~~~~~~~~~~~~ Und es wurde besser für den jungen Tom. Anfangs war es noch schwierig mit seinem Vater, denn da ist es immer noch etwas anderes als mit den Schülern. Inzwischen hatten diese Jungen nämlich eingesehen, dass Tom kein dummer Junge war und sie ließen ihn und seine Freunde in Ruhe. Die drei wurden nun auch in der Klasse akzeptiert und sie fanden alle neue Freunde. Doch die drei wollten unzertrennlich bleiben. Mit seinem Vater dauerte es noch ein paar Wochen, doch der Junge fand an einem Abend den Mut mit ihm zu sprechen. Er erzählte ihm von all den Dingen, die seinen Vater nie interessiert hatten und von dem Mut, den er inzwischen erlernt hatte und die Hilfe von Loriana, worüber sein Vater dann auch lächelte. Der Mann sah ein, dass er vieles falsch gemacht hatte und die Tränen liefen über die Wangen beider. Sogar Loriana konnte bei dieser Szene ein paar Tränen nicht zurück halten. Doch eine Frage hatte der Junge noch an seinen Vater: “Vater? Können wir einmal zusammen zum Grab von Mutter gehen?” Nach 6 Jahren besuchten Vater und Sohn nun das Grab der verstorbenen Frau, legten Blumen nieder und erzählten von der letzten Zeit, das es schwer war ohne sie und das sie es nun aber besser machen wollten. Loriana lächelte zufrieden und sehr glücklich. Tom hatte seinen inneren Mut nicht nur gefunden, sondern hatte ihn auch weitergegeben. Sie war stolz auf ihren Schützling. “Du hast deine Aufgabe sehr gut gemeistert Loriana”, sagte eine weibliche Stimme und als sich der Schutzengel umdrehte erkannte sie Masia, den weiblichen Engel des Rats. “Masia? Ich fühle mich geehrt, dass du hier auftauchst und ich danke dir für das Lob. Das bedeutet mir viel.” “Es ist schön zu sehen, wenn der Schützling eines Engels wieder strahlen kann. Es ist das schönste Geschenk, was der Junge dir machen konnte Loriana, nicht wahr?” “Ja”, sagte sie und sah sich zu den Beiden um. “Das er glaubt, dass er es durch mich nie geschafft hätte rührt mich und das ich ihm etwas bedeute noch viel mehr.” “Er hat dir auch etwas geschenkt. Das sehe ich dir an.” Der Engel bei Loriana lächelte und auch sie selbst konnte es nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel sich regten. “Ja, Tom hat mir gezeigt, was es bedeutet anders zu sein und sein Mut hat nicht nur die Menschen in seiner Umgebung eingenommen, sondern auch mich.” “Deshalb wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war.” “Wie bitte?” “Es war mein Vorschlag, dich als Schutzengel einzusetzen und Natsiel fand, dass dieses Kind der richtige Schützling für dich wäre. Scheinbar hatten wir Recht.” “Dir und Natsiel habe ich es zu verdanken, dass ich nun ein Schutzengel bin? Das ich Tom helfen durfte?” Verwundert sah Loriana den anderen Engel an. “Wieso fragen mich deine Augen. Nun, wieso? Alle anderen haben dich nicht so gesehen wie wir dich. Es kommt nicht auf das Äußere an, das hat in unserem Menschenleben schon eine viel zu große Rolle gespielt. Es kommt nicht darauf an, wie viel man geleistet hat, wie viel man besitzt. Worauf es ankommt sind die Dinge, die wir geleistet haben, nicht die Größe. Es kommt nicht auf den Besitz an, sondern was man mit ihm macht.” Masia trat näher an den Schutzengel und berührte sanft ihre Brust: “Was wichtig ist liegt hier drin verborgen Loriana. Nicht jeder Mensch hat es eingesehen und auch nicht jeder Engel mag das zu sehen, doch das Herz eines Wesen und dessen Seele sind unser kostbarstes Gut. Was in dir steckt ist so viel reiner als das manch anderen Engel. Dir ist es bestimmt, unter den Engeln die Gefühle zu vertreiben, die wir als Menschen besaßen und nun nicht mehr haben sollten. Du sollst ein Schutzengel sein, der die wahre Natur unseres Gleichen verkörpert und anderen mit dieser Kraft Mut schenkt.” Konnte Loriana das denn wirklich? War sie so ein Engel, so ein Wesen, um anderen ein Vorbild zu sein? Nach alldem, was geschehen war? Nach allen Strapazen, die sie erlitten hat, nach all den Schikanen der anderen Engel? “Aber keiner der anderen Engel akzeptiert mich? Ich bin das Höllenkind.” “Bist du dir sicher, dass es so ist? Ich denke, dass du von deinem Schützling auch etwas lernen kannst Loriana. Komm zurück, wenn du dich bereit fühlst. Die Verbindung zu Tom besteht und du wirst immer spüren, wenn er dich braucht. Als Schutzengel kannst du binnen Sekunden bei ihm sein, ohne die ganze Zeit in seiner Nähe zu verweilen. Der Rat ist zu dem Entschluss gekommen, dir weitere Schützlinge anzuvertrauen, wenn du soweit bist.” Masia lächelte Loriana an und verschwand dann im Himmel. Der Schutzengel sah zu der kleinen Familie, die sich langsam auf den Heimweg machte und folgte ihnen. Toms Vater war so gütig wie früher und Tom legte sich am heutigen Abend sehr glücklich in sein Bett. “Loriana?”, flüsterte er in Dunkelheit seines Zimmers. Ein paar Sekunden verstrichen, bis der Engel auf der Bettkante sichtbar wurde. “Ich bin da Tom.” “Ich möchte dir danken Loriana. Einen Engel wie dich als meinen Schutzengel zu haben ist die größte Freude, die mir Gott geben konnte. Wirst du mich weiterhin begleiten und mir helfen, wenn ich Schwierigkeiten habe?” “Natürlich Tom, das ist meine Aufgabe und mir persönlich eine große Freude. Doch bedenke, dass ich nicht Tag und Nacht bei dir sein kann. Es wird in deinem Leben Höhen und Tiefen geben. Ich werde dir helfen wo ich kann, aber denke daran, dass ich dir zur Seite stehe und nur den Keim in dir wecke. Um die Früchte zu ernten musst du selbst etwas dafür tun. Versprich mir das.” “Ja, ich werde keine Angst vor der Zukunft haben. Ich werde mich nicht als schwächer oder dümmer ansehen als die anderen, wenn etwas mal nicht funktioniert. Dann weiß ich, dass meine Stärken woanders liegen.” “Deine Mutter wäre sehr stolz auf dich Tom. Du hast eine schöne Zukunft vor dir, die einiges bereit hält.” “Danke”, sagte er leise und hob seine Hand, um sie auf die Wange des schwarzhaarigen Engels zu legen. “Ich hoffe, dass dein Leben als Engel so schön sein wird wie wir es uns als Menschen ausmalen. Ich werde von heute an immer daran denken, dass Engel nicht immer blond sind und weiße Kleider tragen. Für mich ist ein Engel so individuell und einzigartig wie ein jeder Mensch auf dieser Welt ist.” Loriana lächelte und strich im sanft über den Kopf. Solche weisen Worte aus dem Munde eines Kindes. Kinder sahen die Welt wirklich noch mit ganz anderen Augen. Nun konnte auch Loriana ihren Weg erkennen. ~~~~~~~~~~~~ Es war kein einfacher Weg, doch der schwarzhaarige Engel mit dem roten Gewand und den Federn mit den blutroten Spitzen war bereit ihn zu gehen. Die Akzeptanz der Engel war erstaunlich hoch, als Loriana sich zum ersten Mal wieder auf den Wolken blicken ließ, nachdem sie ihren Schützling nun allein lassen konnte. Die Engel, die sie auf dem Weg zum Rat traf, begegneten ihr mit Freundlichkeit, Glückwünschen und auch Entschuldigungen für ihr Verhalten. Der Rat bekundete auch seine Glückwünsche und gab ihr einen weiteren Schützling, um den sie sich als Schutzengel kümmern würde. Mit der Zeit würden es dann mehr werden sagte Natsiel zu ihr. Die Engel des Rats würdigten sie als einen Schutzengel, jeder Einzelne beglückwünschte sie zum aufkeimenden Mut in ihrem Schützling Tom. Selbst Razien, auch wenn er sie immer noch nicht zu mögen schien, sagte ihr, dass er sich in ihren Fähigkeiten geirrt hatte und es ihm leid täte. Sie folgte den Engeln hinaus und ein jeder verschwand in eine andere Richtung, Razien blieb an ihrer Seite. “Wenn du bereit bist, dann zeige ich dir deinen nächsten Schützling”, sagte er und Loriana nickte. “Jederzeit”, sagte sie und lächelte ihn an. In dem Moment kam Isana auf die Beiden zu und umarmte ohne jegliche Vorwarnung ihre Schwester. “Ich wusste, dass du ein großer Schutzengel werden würdest Loriana, ich hab es gewusst.” Der Engel sah sie an und blickte in verwunderte Augen. Bedrückt sah Isana zu Boden, ehe sie ihrer Schwester wieder in die Augen sah. “Es tut mir Leid Loriana, ich hätte in unserer Zeit als Engel zu dir stehen müssen, egal was andere gesagt haben. Ich habe mich von allem beeinflussen lassen.” “Zum Teil war es wohl auch meine Schuld”, sagte Razien und beide Frauen sahen ihn an. “Ich muss ehrlich sein. Ich weiß nicht, wie die Beziehung zu uns sich verändern wird Loriana, doch ich habe mich von etwas blenden lassen. Ich habe dich als andersartigen Engel gesehen und sofort wollte ich dich nicht in meiner Nähe wissen. Es tut mir Leid und vielleicht wird sich unsere Beziehung eines Tages als Freundschaft bezeichnen lassen können.” “Ich hoffe, du kannst uns verzeihen Loriana”, meinte Isana und sah wieder ihre Schwester an, die von den Beiden sehr gerührt war. “Nun, auch wenn viele der Engel es noch nicht einsehen wollen, so hat mein erster Schützling Tom doch Recht. Engel sind so individuell und einzigartig wie Menschen es auf der Welt auch sind. Die Angst und die Arroganz, die manch einer gegenüber anderen besitzt sind Gefühle, die als Mensch stärker ausgeprägt waren und nie ganz verloren gegangen sind. Natürlich verzeihe ich euch, denn eines ist doch klar; wir sind als Menschen geboren und gestorben und nun leben wir als Engel weiter. Wir sind Engel, doch werden wir immer einen Teil unseres Menschenlebens in uns tragen.” Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)