Die Lebenden sind so unfassbar selbstsüchtig von HellmotherEva ================================================================================ Kapitel 2: Der erste Eindruck ----------------------------- „Und denk daran“ Lady Blackhill lud ihr noch eine weitere Ladung Puder auf das Gesicht ihrer Tochter „benehme dich! Sei die anständigste Lady, die du sein kannst, blamier unseren guten Namen bloß nicht!“ „Ja Mutter.“, war Felicitys Antwort. Es war egal was sie gesagt hätte, ihre Mutter hätte ihr das doch sowieso alles nicht zugetraut. Wie auch, es war ja auch nicht ihre Idee gewesen, dass Felicity sich mit ihrem Verlobten traf und dann auch noch allein. Er hatte das selbst gewollt und vorgeschlagen, wenn es nach Felicitys Mutter gegangen wäre, hätte sie ihre Tochter doch weiterhin bis zur Hochzeit bei sich behalten. „Ich meine das ernst! DU bist unsere letzte Möglichkeit eine Verbindung mit der Aston-Familie einzugehen! Wenn du dem jungen Sir Charles auch nur im Geringsten missfällst wirst du durch die nächst beste dahergelaufenen Dirne ersetzt, ist dir das bewusst?!“ „Du redest über mich als wäre ich nur Mittel zum Zweck.", murrte Felicity unwillig, bekam jedoch keine Antwort. Das waren die Momente wo Felicity ihre Mutter über alles hasste, wo sich ihr Magen verkrampfte und sie den Druck, der auf sie aufgebaut wurde, nicht ertrug. In diesen Augenblicken war ihr schlecht und sie wünschte sich nichts mehr, als ihre Ruhe vor der Welt zu haben. Sie konnte die Erwartungen ihrer Familie, die auf ihr lasteten, in den meisten Fällen kaum ertragen, ohne dass ihr anders wurde. Sie war für jede Freiheit die sie besaß dankbar und dieser Verlobte, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben, erschien ihr nur wie eine weitere Last. Sie kannte diesen Mann doch gar nicht, über was sollte sie sich denn heute Abend mit ihm unterhalten? Hm, konnte ihr doch egal sein. ER war schließlich der gewesen, der sie eingeladen hatte! Und sie war sich absolut sicher, dass er das auch nur auf drängen seiner Eltern getan hatte. Warum sonst sollte jemand sie, Felicity Amanda Blackhill, irgendwo hin einladen? Nicht mal ihre eigenen Eltern nahmen sie gern mit sich. Sie sei zu schnell gelangweilt, verliere zu schnell die Geduld, sei zu hitzig mit ihren Gefühlen. Ihre kleine Schwester war laut ihnen salonfähiger als sie! Felicity war es egal. Ihre Mutter sollte lieber dankbar sein, dass sie zumindest dieses Korsett trug, denn wenn sie hätte entscheiden können, dann hätte sie sich selbst diesem entledigt. Aber sie war siebzehn, in den Augen ihrer Eltern war sie doch noch ein dummes Kind, das nicht wusste was gut für sie war. Aber zum Heiraten war sie wohl nicht zu jung. Sie hatte ihren Verlobten bisher nur zwei Mal gesehen: Einmal auf einem Foto und einmal auf ihrer Verlobungsfeier, wobei sie nicht mehr als einen Gruß gewechselt hatten, da Felicity von ihrer Mutter von jedem anderen männlichen Wesen auf der Feier abgeschirmt wurde und die meiste Zeit sowieso nur am Tisch saß und gegessen hatte. Sie hatte auch gar nicht den Kontakt zu diesem Mann gesucht. Sie wusste nicht mal mehr seine Haarfarbe. Ja, so war das erste und bisher letzte Treffen mit ihm verlaufen. Sie fragte sich wirklich ob dieser Mann zumindest versuchen würde nett zu ihr zu sein oder ob er die selbe Kühlheit besaß, die Felicity selbst von ihrem Vater entgegengebracht wurde. Warum war denn immer jeder so kalt zu ihr? Fast schon so als wäre es schlecht öffentlich seine Liebe zu jemanden zu zeigen.„Felicity, hast du mir zugehört?“ „Ja, ich soll mich benehmen.“, antwortete sie, mit einem nicht zu verleugnenden Trotz in der Stimme. „Nein, du dummes Ding! Wenn deine Haare nicht schon so perfekt säßen, würde ich dir jetzt gegen den Kopf schlagen!“, kam es ungehalten von ihrer Mutter. „Entschuldige. Aber ich verspreche, dass ich einfach ganz stillschweigend da sitzen werde, mehr mach ich doch auch sonst nie.“ „Nein! Ich sagte, dass du ihn nicht küssen wirst, hörst du? Fass ihn am besten nicht mal an. Je weniger Körperkontakt umso besser, immerhin seid ihr nur verlobt.“ Schweigen. „Warum eigentlich nicht? Vater darf ich doch auch berühren. Und dich auch und meine Geschwister auch. Und wenn sich ein Fremder an mir auf der Straße vorbei drängt ist das doch auch völlig in Ordnung. Oder euch einen Kuss geben, ich kann euch doch allen einen Kuss geben.“, widersprach Felicity nach kurzem nachdenken. Sie hatte das nie so wirklich verstanden, was so schlimm war Männer zu berühren. Das war doch in keiner Weise schmerzhaft oder störend. Oder küssen, warum war es so verpöhnt? „Denk nicht mal dran! Noch seid ihr unverheiratet, ihr lasst gefälligst die Finger voneinander! So was bringt Unglück und ich denke nicht, dass du dir einen Ruf als Hure einhandeln willst!“ „Ja Mutter.“, war Felicitys kure Antwort auf diese schroffe Ansage ihrer Mutter. Warum sie auch immer gleich so drastisch werden musste. „Gut, nun steh auf. Und ab jetzt keine Fehler. Und zieh deine Handschuhe an. Und wenn er dich fragt was deine Interessen sind, dann erwähne um Gottes Willen nicht die Pferde“, zischte ihre Mutter nochmals scharf „Sobald ihr erst mal verheiratet seid, ist das reiten für dich sowieso vorbei, klar?“ Dieser Gedanke war fast noch schlimmer für Felicity als das nun anstehende Treffen. Er trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte sich schon lange damit abgefunden, dass Reiten nichts für junge Damen war, deren zukünftige Aufgabe es war Kinder zu bekommen und Ehefrau zu sein, aber das Wissen, ihr Pferd für diese Ehe aufgeben zu müssen, war am schlimmsten. Sie mochte ihr Pferd. Duke war sein Name. Ein hübscher brauner Hunter, ein wundervolles Pferd, aber wohl nicht mehr lange ihres. Aber darüber konnte sie grade nicht nachdenken, da sie von ihrer Mutter durch die Villa zur Haustür geschleift wurde. Draußen wartete bereits die bestellte Droschke. „So, ich wünsche dir viel Erfolg. Stell keine Fragen und gebe keine dummen Antworten, klar?“, trichterte ihre Mutter ihr ein letztes Mal noch ein. „Ja Mutter.“, gab das Mädchen ein letztes Mal noch von sich, ehe sie sich erleichtert in die Droschke setzte und diese losfuhr. Zumindest war sie jetzt für mindestens fünfzehn Minuten ihre Mutter los. Und jeder Augenblick ohne die ständige Kontrolle dieser war für sie purer Genuss. Es hatte zu tröpfeln angefangen, als sie den vereinbarten Treffpunkt, den Südeingang des Hydeparks, erreicht hatte. Sie bezahlte den Kutscher und stieg ein wenig verunsichert aus der Droschke. Das war doch die Straße auf der der Treffpunkt vereinbart wurde, nicht? Wo war er denn? Man ließ seine Verlobte doch nicht einfach ganz allein im Regen stehen! Ein wenig gekränkt setzte Felicity sich auf eine Parkbank und strich ihr Kleid glatt. Sie trug es heute zum ersten Mal, ihre Mutter hatte es ihr extra für dieses Treffen gekauft. Das dazu passende Jackett war smaragdgrün, ebenso wie der Überrock, mit hellgrünem Kragenaufschlag und war etwa bis unter die Brus aufgeschlagen. Darüber trug sie eine weiße Bluse, mit dursichtigem Kragen und dekorativen Stofffalten, die direkt aus dem unzugeknöpften Teil ihres Jackett heraussahen. Darüber war eine Schleife angenäht, die jedoch nur zu Dekorationszwecken diente. Ihr Unterkleid war dunkelrot und ihre Schuhe… Oh, das wusste sie gar nicht. Sie war nicht in der Lage gewesen sich die Schuhe anzuziehen, ihre Mutter hatte ihr das Korsett derart zugeschnürt, dass sie selbst jetzt nur atmen konnte ohne zu schnaufen, wenn sie den Rücken so grade wie möglich machte. Ach, sie hasste ihre Korsetts und freute sich immer, wenn sie es nicht zu eng machen musste. Rennen war darin unmöglich, generell war ihre Bewegungsfreiheit recht eingeschränkt. Sie war meist nicht mal in der Lage ihrer kleinen Schwester das Kleid zuzuknüpfen. Aber zurück zum wesentlichen. Wo war denn nun der liebe Charles? Toll, schien ja ein wirklich verlässlicher, pünktlicher Mann zu sein. Felicity hatte von Anfang an keine Lust auf dieses Treffen gehabt und jetzt war ihr Interesse auf diesen Abend, der im Übrigen laut Charles` Einladung eine Überraschung werden sollte, noch mehr gesunken. Klasse, wenn das hier ein Teil davon war, konnte der feine Charles sich seine Überraschung hinter die Ohren schmieren! Merklich enttäuscht über die ganze Situation bohrte sie sich die Fingernägel in die Ellenbogen und richtete den Blick zu Boden. „Miss?“ Sie hob den Blick und sah den Mann, der sie angesprochen hatte, einige Augenblicke verwirrt an. Ihr sagte dieses Gesicht erst mal gar nichts. Zumindest bis zu dem Augenblick, in dem er den Zylinder abnahm um sich vor ihr zu verbeugen. „Oh! Oh, äh, oh… Mister Aston, ich, äh, ich freue mich Ihre Bekanntschaft zu machen… Also sie mal von nahem zu treffen… Ich bin erfreut… Äh…“ „Reizend, die Freude ist ganz auf meiner Seite.“, antwortete er lachen und hielt ihr den Hand hin um ihr beim Aufstehen zu helfen. Felicity nahm die Hilfe nur zögernd an, denn sie spürte wie sie rot anlief. Oh nein, das war so peinlich! Sie war so peinlich! Sie war so erbärmlich! Sie hatte sich doch so lange und so gut überlegt was sie ihm zur Begrüßung sagen wollte und nun war doch alles nur ein einziges Wirrwarr geworden. Und er lachte sie auch noch aus… Was musste er denn über sie denken? Wenn ihre Mutter das rausfinden würde, würde sie ihr die Schelle ihres Lebens geben. „Oh Lady, habe ich euch etwa verschämt? Ihr seid ja ganz errötet.“ Noch immer lächelnd setzte er seinen Zylinder wieder auf. „Nein, nein… Ihr… Das ist nicht eure Schuld, ich bin einfach nur… ja…“, nuschelte sie und sah völlig verschämt zu Boden. Sie wünschte sie hätte sich nie auf dieses Treffen eingelassen, sie blamierte sich grade am laufenden Stück. „Ihr müsst euch nicht schämen, ich bin genauso aufgeregt wie Ihr.“, versuchte ihr Verlobter sie nun etwas zu beruhigen. Dieser Satz war zwar nicht viel, aber er lockerte die Stimmung für Felicity erheblich! Sie lachte sogar auf. „Dann könnt ihr es aber deutlich erfolgreicher verstecken als ich. Eure Eltern müssen stolz auf euch sein, Ihr seid die Ruhe in Person.“, kam es von ihr. „Ach was, das kommt Euch nur so vor. Ich bin innerlich keinen Hauch besser als Ihr.“, versicherte er ihr. Dann herrschte einige Sekunden eine peinliche Stille zwischen ihnen. Sie hatten den Park inzwischen betreten und Felicity hätte das Gesprächsthema sehr gerne auf einige Enten gelenkt, die auf einem See schwammen, doch sie traute sich nicht so recht überhaupt eine Konversation anzufangen. „Nun, wäre es eigentlich für Sie in Ordnung, wenn ich es vorziehen würde Sie heute Abend persönlich nach Hause zu begleiten?“, kam es von Charles. „Mich? Sicherlich, jaja, tun Sie sich keinen Zwang an.“, antwortete Felicity eilig. Es gefiel ihr um ehrlich zu sein überhaupt nicht, aber sie wusste, dass sie auf die Wünsche Ihres Verlobten eingehen musste, ihre Mutter war da sehr deutlich gewesen. „Nun dann…“ Sie räusperte sich und versuchte so gut sie konnte ein Gespräch zu beginnen. Irgendwie gab Charles ihr das Gefühl, als ob er von ihr VERLANGTE zu reden. Er sah sie so erwartungsvoll an, die ganze Zeit schon, als ob er von ihr irgendeine große Rede oder sonst was verlangte. Vielleicht bildete Felicity es sich auch nur ein, aber sie hielt seinem Blick jedenfalls nicht mehr aus. „… Ich.. äh… Ihr mögt Fuchsjagten, hab ich gehört.“ Juhu! Felicity hatte es ganz allein geschafft ein Thema anzuschneiden! Sie war richtig stolz auf sich. „Oh ja, ich unternehme regelmäßig mit meinem Vater und seinem Jagdverein Treibjagten. Ich weiß nicht wie groß euer Wissen oder Interesse daran ist, aber ihr könnt gerne einmal dabei zusehen. Der Herbst ist noch nicht rum.“, bot Charles ihr an. „Oh, vielen Dank, aber nein Danke“, lenkte Felicity schnell ab „Aber meine beiden Brüder würden das Angebot bestimmt liebend gerne annehmen, die beiden sind große Jagdfreunde.“ „Ach, das ist ja wunderbar, ich bin mir sicher werde gut mit Ihnen klar kommen. Ich habe im übrigen vier Schwestern, ihr werdet sie bestimmt mögen, die Jüngste, Maude, ist grade mal drei Jahre alt.“ „Wirklich? Das klingt ja hinreißend“, kam es verzückt von Felicity. Doch sie hielt sich sofort die Hand vor den Mund, als sie hörte wie hoch sie auf einmal klang. Toll, was war sie, ein Kind? Das machte bestimmt wieder einen richtig guten Eindruck. „Kein Grund verlegen zu sein“, versicherte Charles ihr und zog ihr die Hand von ihrem Mund „Diese Reaktion sehe ich von jeder Frau, die hört dass ich eine kleine Schwester habe. Wie heißen eure Brüder eigentlich?“, fragte er. Felicity, die noch immer ziemlich rot um die Wangen war, senkte den Blick zu Boden, als sie schon wieder dieses Erwartungsvolle in Charles‘ Augen bemerkte. „Also die beiden, die so gerne jagen heißen George und Albert. Die drei anderen heißen Alexander, Bertram und Harold. Doch Ihr werdet diese sowieso kaum zu Gesicht bekommen, die drei Herrschaften pendeln in der Welt umher und erforschen die Tierwelt Indiens…“ … während ich keine dreißig Meilen von meinem Geburtshaus wegkomme und mir das Leben mit siebzehn Jahren schon verplant wurde, vervollständigte sie den Satz innerlich. „Das klingt wahrlich nach einem sehr aufregenden Leben, was eure Brüder da führen. Aber habt Ihr nicht jemanden vergessen?“, fragte er mit einem Unterton in der Stimme, der Felicity das Gefühl gab unglaublich blöd zu sein. „Oh, ja, meine kleine Schwester Anne, aber ich dachte das sei nicht wichtig, sie ist erst zehn.“, vervollständigte sie die Aufzählung ihrer Geschwister. Woher wusste Charles eigentlich von ihrer kleinen Schwester, soviel Felicity wusste, wurde Anne noch nie groß erwähnt, weder bei Einladungen bei Freunden, noch bei sonstigen anderen Festlichkeiten. „Nein meine Liebe, ich möchte nichts weiter über eure Geschwister wissen, ich rede von euch.“, klärte Charles sie auf. „Ich?“ Sie glaubte sie hatte sich verhört. Mit vielem hätte Felicity gerechnet, aber nicht damit. NIEMAND interessierte sich groß für sie, wirklich gar niemand! Niemand wollte jemals irgendwas von ihr über sie wissen und jetzt wo es soweit war, hatte sie keine Ahnung was sie sagen sollte. Sie wusste nicht was sie über sich selbst sagen sollte, außer das was bereits jeder wusste. Ihr Leben war eben langweilig. „Ja, ich rede von Euch“, wiederholte Charles und musste über ihren ungläubigen Blick schmunzeln „Himmel, Ihr seht mich an, als wäre ich ein Verbrecher.“ „Nein! Ich… Es tut mir leid, ich wollte Euch dieses Gefühl nicht geben!“, bestritt sie sofort und versuchte sich irgendwas beschwichtigendes einfallen zu lassen. Doch ihr Verlobter war schneller. „Nun beruhigt Euch doch. Ihr seid wirklich sehr schnell zu verunsichern.“ Charles wusste gar nicht was für eine Wirkung seine Worte auf Felicity, die sowieso schon unter dem Erfolgsdruck ihrer Mutter litt, zu haben schienen. Jedenfalls zog sie es nun vor schweigend zu Boden zu starren, während die Röte ihrer Wangen auf den gesamten Kopf überzugehen zu schien. „Lady? Oh nein, ich habe Euch doch nicht etwa bloßgestellt?“ Charles schien jetzt erst wirklich klar zu werden was er da angestellt hatte. Felicity war sozial immer schon sehr unbeholfen gewesen. Sie musste mit Leuten erst irgendwie warm werden, Zeit mit ihnen verbringen, bevor sie sich ihnen öffnen konnte und so offen mit ihnen reden konnte, wie es mit ihren Freundinnen oder ihren Geschwistern der Fall war. Und es fiel ihr unbeschreiblich schwer mit Charles‘ Bemerkungen umzugehen. Sie hatte keine Ahnung ob er das nur aus Spaß gesagt hatte oder ob es als unterschwellige Kritik an sie gerichtet war. Denn sie fand seine Kommentare tatsächlich irgendwie verletzend und konnte ihnen kaum standhalten. Sie war immer schon sehr verletzlich gewesen und jede kleinste Kritik hatte eine sehr demotivierende Wirkung auf sie. Vielleicht lag es auch einfach damit zusammen, dass sie bei allem was sie tat mehr Kritik als Zuspruch bekommen hatte. Und selbst wenn diese unberechtigt war, traute sie sich nur selten das Wort gegen Leute zu erheben, die über ihr standen – und das taten leider die meisten. Sie litt unter ihrer anerzogenen Schüchternheit. Gerne hätte sie mehr Bekanntschaften gemacht, aber wenn sie dann mal unter Leuten war, traute sie sich nicht jemanden anzusprechen und blieb bei den ihr bekannten Gesichtern. „Nein, nein! Es ist nicht Eure Schuld, ich bin tatsächlich ein wenig… Na ja, wie Ihr es eben sagtet, leicht zu verschüchtern.“, beruhigte sie ihn. Er sollte bloß nicht glauben, dass er an ihrem Unwohlsein schuld war. Das wäre bei jedem anderen Menschen auch so gewesen. „Nein, das tut mir wirklich leid, ich hätte eine Bemerkung nicht sagen dürfen, bitte verzeiht mir.“, entschuldigte er sich. „N-nein, ich, ich sagte ja, es ist nicht Eure Schuld… Ich hätte bei jedem Anderen auch so reagiert. Es ist schon in Ordnung.“, beschwichtigte sie ihn richtete den Blick wieder zu Boden, so als ob dort irgendwas interessantes stattfinden würde. „Nein, es war nicht in Ordnung von mir. Ich hoffe ich kann Euch mit meiner kleinen Überraschung ein wenig besänftigen.“ „Überraschung? Aber ich dachte das hier wäre die Überraschung“, sagte Felicity verblüfft „Ich meine, ich… ich… ähm…“ Charles schmunzelte schon wieder über ihre Unbeholfenheit. Dieses Mädchen schien mit vielen Aufmerksamkeiten überhaupt nicht klar zu kommen. „Ein Spaziergang durch den Park? Das ist doch nichts was jemand wie Ihr verdient hat. Ich wollte Euch eigentlich mit ins Theater nehmen. Ihr dürft euch das Stück aussuchen, ich habe Euch schließlich eingeladen also habt Ihr auch die Wahl.“ Das war mehr als Felicity sich überhaupt erträumt hätte, dafür dass es doch grade mal ihr erstes privates Treffen mit ihrem Verlobten war. „Hab ich Euch nun die Sprache verschlagen?“, fragte Charles amüsiert, als er ihren ungläubigen Blick bemerkte. Felicity brauchte tatsächlich einen Augenblick um sich zu fassen, doch nun sah Charles zum allerersten Mal so was wie ein Lachen auf ihrem Gesicht. Zum ersten Mal seit er sie überhaupt mal unter die Augen bekommen hatte, lachte dieses Mädchen mal. Zumindest sah er es grade zum ersten Mal. „Ich kann es gar nicht fassen, Sie laden mich ins Theater ein?!“, wiederholte sie strahlend. „Ja…“ „Oh nein, das geht doch nicht, ich, ich… Ich seh furchtbar aus und zudem muss ich doch, ich muss doch… Also, ich… mein Kleid ist doch unpassend, oder? Oder geht man so heutzutage ins Theater? Und meine Haare, gehen die so? Und muss ich mir nicht noch das Gesicht nachpudern? Lässt man mich so überhaupt in ein Theater?“, fragte sie aufgeregt. Es war als hätte jemand einen Schalter bei ihr umgelegt, aus der ruhigen, verlegenen Felicity sprudelten die Worte plötzlich nur so raus. „Ganz ruhig, Ihr seht ganz wundervoll aus! Ihr seid perfekt gekleidet, ich denke kaum, dass man jemanden wie Euch nicht in ein Theater lässt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich Euch so leicht eine derartige Freude machen kann. Ich wusste gar nicht, dass Ihr lachen könnt.“, meinte er mit einem sarkastischen Unterton. „Oh, Ihr macht mir eine riesige Freude. Wisst Ihr, ich war seit zehn Jahren in keinem Theater mehr, und nun-“ „Entschuldigt, aber was?! Ihr wart zehn Jahre in keinem Theater? Wie ist das möglich?“, unterbrach Charles sie baff. „Nein, aber die letzten Stücke die ich sah waren alles nur Komödien. Meine Eltern meinten immer ich sei doch noch ein Kind und verstehe von solch kultivierten gesellschaftlichen Anlässen nichts. Und als ich dann kein Kind mehr war haben sie mich trotzdem nicht mitgenommen. Aber ich hab auch nie was gesagt, ich glaube sie wollten mich auch gar nicht dabei haben.“, kam es mit merklichem Spott in der Stimme von ihr. „Ihr seid kein Kind mehr, meine Liebe. Und die Tatsache, dass Ihr so lange nicht mehr im Theater ward, sollte schleunigst geändert werden.“ Wow, er war ihrer Meinung! Dennoch fiel Felicity wieder in ihre Schüchternheit zurück. „Meint Ihr denn, meine Eltern wären damit einverstanden?“, fragte sie sicherheitshalber. „Ich bitte euch, eure Eltern sind nicht hier. Was wollen sie tun? Und wenn sie tatsächlich erbost darüber sind, dann können sie sich gerne meine Meinung dazu anhören.“, war Charles‘ Antwort. „Oh je, ich befürchte leider, dass meine Eltern nicht viel auf ihre Meinung geben werden. Sie sind sehr bestimmend, was die Erziehung von mir und meiner Schwester angeht. Bei meinen Brüdern war das nicht anders, aber mir war als Kind nie bewusst wie groß der Druck ist. Ich denke ich war wohl als Kind zu unkompliziert, als dass man harte Erziehungsmaßnahmen gegen mich hätte ergreifen müssen. Aber seit einigen Jahren hat sich das verändert…“ Oh nein, zog sie etwa grade über ihre Eltern her?! Das machte bestimmt nicht den besten Eindruck „…Aber ich bin ja selber dran Schuld, meine Eltern haben mit dem was sie tun und sagen eigentlich recht.“, fügte sie noch schnell hinzu. „Ihr macht bisher einen ganz anständigen Eindruck auf mich, was werft Ihr euch denn vor?“, wollte Charles wissen und betrachtete seine Verlobte nochmals von oben bis unten. Felicity schluckte und suchte nach einer guten Umschreibung um dem Thema „Reiterei“ auszuweichen. „Na ja, manchmal, da… verhalte ich mich… nicht sehr Lady like.“, antwortete sie stockend und sah beschämt zu Boden. Wehe er hackte nach! „Zum Beispiel?“ „Na ja… ich… manchmal, da… bin ich unglaublich ungeschickt und manchmal da sage ich recht plump meine Meinung zu Themen die mich nichts angehen. Daher vermeide ich es mich irgendwo einzumischen.“ „Das ist alles?“, fragte Charles und schien fast schon enttäuscht. Von ihrem achso-schlechten Verhalten hätte er mehr erwartet. „Na ja… und ich treibe Sport. Das sieht man auch nicht gerne.“ „Was könnte denn so schrecklich sein, dass eure Eltern es nicht gutheißen? Meine Schwestern tanzen auch viel.“ Dann herrschte einige Sekunden Stille und Felicity musste all ihren Mut zusammennehmen um ihm schließlich doch die Wahrheit zu sagen. „Ich reite“ Als sie Charles überraschtes Gesicht sah, fügte sie jedoch noch schnell hinzu: „Aber ich höre auf, wenn es Euch nicht recht ist. Es war sowieso alles mehr eine Beschäftigung gewesen, nichts ernsthaftes, ich war auch noch nie auf Fuchsjagden oder ähnlichem. Reiten ist ja auch ein Männersport. Ich hab es um ehrlich zu sein eher wegen den Pferden gemacht. Ich mag Pferde einfach so sehr und als ich noch klein war, hat es niemanden gestört wenn…“ Ihre Stimme verschwand nun endgültig und ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie traute sich nicht mal Charles anzusehen, zu groß war die Angst vor seiner Anlehnung ihr gegenüber. „Tut mir Leid wenn ich euch wieder in Verlegenheit gebracht habe, ich bin grade einfach sehr überrascht. Ich kenne kaum Frauen die reiten, das ist... interessant.“ Sie sah immer noch nicht auf. „Ich meine das nicht im Negativen. Meinetwegen könnt Ihr weiterhin reiten. Solange es euch Freude bereitet…“ „An welchem Stück wärd Ihr interessiert?“, fragte Charles seine Begleitung, als sie vor dem Theater standen. „Ach, ich schau mir alles an was Ihr wollt, entscheidet Ihr.“, antwortete sie und dachte an die Worte ihrer Mutter, Charles alles so recht wie möglich zu machen. „Nein, ich bestehe darauf! Es ist euer erster Abend im Theater seit Jahren, Ihr sollt euch das Stück aussuchen. Ich möchte schließlich nicht hören, dass Euch meine Wahl nicht gefallen hätte.“ „Aber das würde ich euch doch niemals vorwerfen.“, widersprach Felicity entsetzt. „Entscheidet Euch einfach, ich bestehe darauf. Bitte, schaut Euch das Programm in aller Ruhe an.“ Felicity schluckte und knetete auf ihren Fingern herum, während sie ein wenig unsicher das Abendprogramm für den heutigen Tag durchlas. „Wie wäre es mit Mac Beth?“, schlug sie schließlich vor. Sie wusste nur etwa um was es da ging und sie wollte es schon seit Jahren mal sehen. „Shakespeare? Sehr klassisch, aber gut, euer Wunsch ist mir Befehl.“, meinte Charles und wollte sich schon in Richtung des Kartenschalters machen. „Äh, nein! Wenn es Euch nicht zusagt, können wir auch-“ „Nein! Ihr habt euch entschieden und ich möchte es mir nun auch mit Euch ansehen. Warum könnt Ihr nicht auf Eurer Meinung beharren? Ihr müsst es Anderen doch nicht immer recht machen.“, unterbrach Charles sie bestimmt. Er fand ihre Schüchternheit irgendwie ja ganz reizend, aber manchmal wurde es irgendwie nervig. „Verzeihung…“, murmelte Felicity und schluckte schwer, während sie den Blick zu Boden wand. Sie fühlte sich furchtbar. Nicht weil sie schon wieder ihre Meinung geändert hatte, sondern weil Charles ihr das in diesem Tonfall vorwarf. Sie hatte in dem Augenblick das Gefühl, er würde sie nur als störend empfinden. Und er bemerkte ihre Bestürztheit auch. Wer nicht? Felicity war nicht gut darin Gefühle zu verbergen. „Bitte entschuldigt mich. Ich werde manchmal ein wenig aufbrausend.“, entschuldigte er sich in einem deutlich reuevollem Ton und wand sich ihr wieder voll und ganz zu. „Ach… da ist nichts dabei.“, wand sie schnell ab, so als ob es ihr nichts ausgemacht hätte… Was natürlich gelogen war. Nach der Vorstellung, die Felicity trotz des sehr düsteren Handlungsablaufs über alles genossen hatte, warteten sie und Charles unter dem Vordach des Theaters auf eine Droschke. „Ich hoffe der Abend hat euch gefallen.“, sagte Charles und knöpfte sein Jackett zu. „J-ja, ich habe es sehr genossen, ihr habt mir um ehrlich zu sein den schönsten Abend seit Jahren beschert. Ich war noch nie so lange ohne Familie in London unterwegs, es hieß immer für mich als junge Lady sei es hier zu gefährlich. Um ehrlich zu sein kann ich nichts gefährliches hier sehen.“. meinte Felicity und verschränkte die Arme, da die Kälte sich langsam durch ihre Klamotten fraß. „Ganz unrecht haben sie da nicht. Es gibt durchaus Armenviertel, die ihr bestimmt nicht gesehen haben wollt. Friert ihr?“ „Ein wenig.“Ohne ein weiteres Wort zog Charles sich das Jackett aus, jedoch war Felicity schneller. „Oh nein! Behaltet es bitte an, ihr sollt nicht wegen mir frieren! Eine Droschke ist bestimmt gleich da, ich werde mir in der Zeit schon nicht den Tod holen.“, widersprach sie und zog seine Hand zu sich, um ihn davon abzuhalten seine Jacke zu öffnen. Sie fand zwar die Geste wirklich zu freundlich, doch es war ihres Erachtens nicht nötig. „Ach, da ist ja schon eine Droschke. Seht Ihr, es wäre also gar nicht nötig gewesen. Kommt ihr?“, wollte Felicity wissen und lief ein wenig wackelig die nassen Stufen zur Straße hinunter. „Lady, vorsichtig! Wartet, ich helfe euch.“ Charles eilte ihr schnell hinterher und bot ihr den Arm an. Nur zaghaft nahm Felicity seine Hilfe an, doch sie genoss die körperliche Nähe. Das war das erste Mal überhaupt, dass sie Charles so nah kam. Oh je, wenn ihre Mutter das wüsste… Sie, an den Arm ihres Verlobten geklammert und das schon beim ersten gemeinsamen Treffen… Oh je, hoffentlich würde sie es niemals erfahren. „Es war Fabelhaft! Eliza, du hättest dabei sein sollen, es war einfach nur wundervoll! Ich hatte im Leben noch nie so viel Spaß in London! Charles ist toll, meine Bedenken waren tatsächlich völlig unbegründet! Er ist nett und höflich und er hat sich so viel Mühe gemacht mir diesen Abend so angenehm wie möglich zu machen… Schau mal, er hat mir sogar erlaubt zu reiten. Ich darf einfach weiterreiten wenn ich verheiratet bin! Stell dir mal vor was das für mich bedeutet, ich kann mein Leben genauso weiterleben wie zuvor. Nur ohne elterliche Kontrolle. Oh Eliza, das wird wundervoll…“, schwärmte Felicity, als sie am nächsten Tag Besuch von ihrer Freundin bekam. Sie saßen zusammen im Pavillon im Garten und fütterten die Enten, die im See schwammen mit Brot. „Na ich weiß nicht, du kennst ihn doch kaum. Wie oft habt ihr euch gesehen? Zwei Mal?“ Ja, Elizas Einwände waren berechtigt. „Sei doch nicht immer so skeptisch, Du kennst ihn doch erst recht nicht.“, widersprach Felicity. Sie wollte von all dem gar nichts hören. Charles war wunderbar, Ende der Geschichte! „Ich bin nur realistisch! Du kannst dir doch nicht in einem Treffen ein Bild von ihm machen. Zudem sagtest du, dass er dich ein paar Mal ziemlich erröten hat lassen, findest du das etwa gut? Und er hat doch auch mal angefahren, was wenn das nach der Ehe schlimmer wird. Ehe ist schließlich keine Garantie für ewige Harmonie.“, sprach Eliza weiter ihre Bedenken aus. „Nein! Blödsinn, du kennst mich, ich reagiere eben oft über. Es war jedenfalls nicht seine Schuld. Er ist einfach der netteste Mann, den ich je kennengelernt habe.“ „Korrektur: Er ist der EINZIGE Mann, den du je kennenglernt hast.“ Elizas Einwand war gut. „He! Das ändert nichts daran, dass ich ihn hinreißend fand.“ „Ich freu mich für dich, dass euer erstes Treffen weitaus gesprächiger verlief als das mit meinem Mann, aber was ich sagen will ist, dass du erst siebzehn bist, keinerlei Erfahrung mit Männern hast und dir natürlich Erwartungen stellst. Natürlich empfindest du ihn anfangs ganz toll und er denkt sicher genauso über dich und ihr versucht einander zu gefallen aber das wird sich ändern, glaube mir.“ „Ach, und du? Du bist auch erst neunzehn, was weißt du so viel mehr als ich?“, fragte Felicity nun merklich ungehaltener als zuvor. „Falls du es vergessen hast, führe ich eine Ehe. Und die ist nicht wie in den Kitschromanen, die du so gern ließt.“, antwortete Eliza trocken und mit einem höchst vielsagendem Blick. Doch ihre Freundin wollte von all dem gar nichts hören. Felicity hatte gestern einen so schönen Abend erlebt, warum sollte sie sich von ihrer pessimistischen Freundin ihre Vorstellungen zerstören lassen? „Ach Eliza, bitte! Nur weil du Pech bei der Wahl deines Mannes hattest, muss das nicht auch für mich gelten. Ich liebe ihn und-“ „LIEBE?! Felicity, woher willst du das denn wissen? Aus deinen unrealistischen Romanen?“, fragte Eliza. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass ihre Freundin sich bezüglich dem Thema Ehe irgendwelche Illusionen machte, das wollte sie Felicity ersparen. Sie war zu jung um die selben Enttäuschungen durchmachen zu müssen wie sie selbst. „JA Eliza, ich weiß sehr wohl was Liebe ist! Ich lieb immerhin eine Menge Leute. Meine Familie, meinen Duke, auch dich, selbst wenn ich das in Momenten wie diesen nicht wahr haben will.“, antwortete Felicity mürrisch. „Aber das ist doch gar nicht das gleiche. Die Liebe, die man einem Mann gegenüber empfinden sollte, ist doch ganz anders, sie-“ „Ach, und auf einmal weißt du bescheid?“, giftete Felicity ihre Freundin an und warf ihr letztes Stück Brot zu den Enten. Eliza verdrehte über dieses Kommentar nur die Augen und beschloss dieses Thema so schnell wie möglich zu beenden. Ihre Freundin würde schon bald aus ihrer Traumwelt erwachen. „Vergiss es einfach. Wollen wir vielleicht lieber ein Kleid für meine Geburtstagsfeier nächsten Monat aussuchen?“, lenkte sie schließlich auf ein anderes Thema ein. Wie gesagt, wegen Felicity würde sie sich ganz bestimmt keinen Kopf machen. Sie hatte auch gar keine Lust sich mit ihr zu streiten. Wer nicht hören wollte, musste eben spüren. Und Felicity würde schon noch spüren. Mehr als Eliza jemals gewollt hätte. 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