Boku no Sei von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: The Day you went away -------------------------------- Wenn ich heute zurückschaue, so kann ich behaupten, dass ich schon als ich unsere gemeinsame Wohnung an jenem tragischen Tag betrat spürte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Als das vertraute Knarren der Tür an mein Ohr drang, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen, als würde eine eiskalte Hand es umschließen. Einen plausiblen Grund konnte ich dafür nicht benennen, doch jenes beklemmende Gefühl verstärkte sich, je weiter ich die Wohnung betrat. Du warst nicht zu sehen, einzig-allein die lauten Klänge der Band „Adams“ ließen den Boden leicht erbeben. Wahrscheinlich waren Shotas sehr rockige Gitarrenklänge der Grund gewesen, warum ich das verräterische Rauschen des Wassers erst nach dem zweiten Lauschen bemerkte. Mein Blick fiel auf die Badezimmertür und jenes beklemmende eisige Gefühl überkam mich mit zweifacher Wucht. Ein Husten, welches meine Lungen wie Feuer brennen ließ, entwich meiner Kehle, ehe ich, ohne Rücksicht auf eventuelles Schamgefühl zu nehmen, die Tür aufstieß. Auf den ersten Blick schien alles normal, doch dann gefror mir das Blut in den Adern: Die Badewanne war fast bis zum Rand voll mit rot gefärbtem Wasser und dein schlanker, wunderschöner Leib schwamm leblos darin. Deine blonden-braunen Haare klebten strähnig an Stirn und Wangen, die einzigartigen Augen friedlich geschlossen und das Blut, welches in Strömen über deine blassen Handgelenke floss. Mit trügerischer Ruhe, einem schwachen Hoffnungsschimmer folgend, überprüfte ich deine Atmung, deinen Puls, jedoch nur das Schweigen antwortete mir. Es dauerte einige Minuten, bis mein Verstand die Erkenntnis formte, dich nun für immer unwiederbringlich verloren zu haben und damit brach alles aus mir heraus: Mit starrem Blick sank ich auf die Knie und schrie mir die Seele aus dem Leib. Tränen rannen wie Sturzbäche aus meinen Augen, das Dröhnen in meinen Ohren wurde immer lauter und lauter, ehe mich die erlösende Schwärze umschloss. Besonders die ersten Tage nach deinem Freitod waren wie die Hölle auf Erden: Nachdem die Nachbarn meine erstickten Schreie vernommen hatten, wurden Polizei und Notarzt alarmiert. Erstere kümmerten sich um die gesetzliche Abwicklung, da kein Zweifel an einem Selbstmord bestand. Letztere nannten meinen psychischen Zustand „labil“ und „gefährdet“, woraufhin ich in eine psychiatrische Klinik gebracht wurde. Diese Tage erschienen mir wie das Wandern unter einem dichten Nebelschleier, vermischt mit dem abartigen Geschmack von Pillen, dem Stechen der Spritzen und den Einschnitten der Armfesseln. Aber das Schlimmste waren die Alpträume, welche mich Nacht für Nacht erbarmungslos heimsuchten: Immer wieder standest du vor mir mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht, jedes Mal sagtest du: „Ich liebe dich.“ Ich erwiderte es, doch bevor ich dich erreichen oder berühren konnte, war deine Gestalt entweder verschwunden oder vor meinen Augen in Stücke zerfallen. Der Grund, warum ich dir nicht auf der Stelle in den Tod folgte, waren nicht die Pillen oder die Spritzen, sondern mein bester Freund. Als er von dem Geschehenen erfuhr, unterbrach er sofort seine Clubaktivitäten und kam zu mir. Es war ein Segen für mich, in seinen Armen zu liegen und die vertraute Wärme zu spüren. Er war es auch, welcher mich ermutigte, einen Nachruf im Internet zu schreiben und mir half, die Formalitäten zu klären sowie die notwendigen Schritte zu veranlassen. Außerdem war es einzig sein Verdienst, dass ich überhaupt den Grund für deine Tat erfuhr: Eine Woche war seitdem vergangen und ich war immer noch wie gelähmt, brachte es jedoch fertig, normal zu essen und Hausarbeiten zu verrichten. Als ich gerade vom Einkaufen kam, standest du mit wachsbleichem Gesicht im Flur, auf mein vorsichtiges Erkundigen nach dem Grund gab es keine Antwort. Erst, als ich die Taschen abgestellt hatte, nahmst du sanft meine Hand und führtest mich ins Wohnzimmer. Eine gute Vorahnung erfüllte meine Brust und wurde noch stärker, als du mir mit vor Tränen glitzernden Augen einen Zettel überreichtest, welchen du, laut späterer Aussage, auf unserem gemeinsamen Bett gefunden hattest: Jeder einzelne Buchstabe, ob gedruckt oder handschriftlich verfasst, schien für mich wie der pure Alptraum. Der gedruckte Teil bestand aus einer vermeintlichen Nachricht von deinem musikalischen Schwarm Adam, in welcher er dir auf recht grobe Weise mitteilte, dass es, von seiner Seite aus, nicht einmal freundschaftliche Gefühle gab, feigerweise ließ er es von Dritten ausrichten anstatt sich selbst zu Wort zu melden. Der handschriftliche Teil bestand nur aus acht Worten und dennoch schienen sie wie ein Dolchstoß: „Bitte verzeih mir, mein Engel. Ich liebe dich!“ Meine Knie stießen auf das harte Lamminat und ein Tränenschleier benetze meine Augen. Ich wollte schreien, doch kein Ton verließ meine dürre Kehle. In dieser Nacht schliefen mein bester Freund und ich Arm in Arm ein; seine Wärme schützte mich vor den nächtlichen Dämonen. Ein paar Tage später folgte der nächste schwere Gang; es war deine Beerdigung. Zu meiner Überraschung waren sehr viele Leute gekommen, die kleine Kapelle war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich saß in der ersten Reihe mit meinem besten Freund an der Seite, immer wieder streichelte er meine Hand, während die Tränen sich in meinem schwarzen Samtkleid verfingen. Die heuchlerischen Worte des Geistlichen hörte ich kaum; vielmehr sah ich die Stationen unseren gemeinsamen Lebens vor Augen: Das lang unterdrückte Geständnis, der erste Kuss, die Entscheidung zu einer gemeinsamen Wohnung und schließlich die Frage, welche ich dir im richtigen Augenblick hatte stellen wollen und jetzt nie mehr stellen konnte. Wie in Trance fiel mein Blick auf den schneeweißen Flügel, welcher in der Ecke stand, seine spiegelglatte Oberfläche reflektierte das Kerzenlicht. Meine Hände zitterten verräterisch, was meinen besten Freund zu einem Lächeln veranlasste. Sanft drückte er meine Hand und lächelte ermutigend; ich erwiderte die Geste und stand auf. Die aufwendigen Falten meines Kleides raschelten, als ich zu dem Musikinstrument schritt; die geschockten Blicke durchbohrten meinen Rücken, doch ich ließ mich nicht beirren. Sekunden später glitten meine Finger über das Elfenbein, stimmten einen, für die breite Masse fremden, aber für mich wohlbekannten Song an: Es war „Boku no Sei“ von Adams, jene Band, welche so viele neue Gefühle in dir erweckt hatte und deren zarte, von vielen geneidete, Verbindung schließlich zu deinem Freitod geführt hatte. Ich kämpfte gegen die Tränen, aber ihr Schleier wurde mit jeder Minute dichter. Allerdings erkannte ich aus den Augenwinkeln noch, wie zwei Männer die Kapelle betraten. Einer war schlank, mit kurzen, dunklen Haaren und stechenden Augen, in welchen ein tödliches Feuer loderte. Der Zweite war ebenfalls sehr schlank, hatte kinnlange, dunkelblonde Haare mit leichten Wellen und sanften Augen. Meine Gedanken schwankten zwischen ohnmächtiger Trauer und eisiger Wut; was fiel Adam und Shota ein, hier aufzukreuzen, nach allem, was sie getan hatten? Wie vom Blitz getroffen erhob ich mich, wobei der Klavierhocker krachend zu Boden fiel. Mein Blick war so von Zorn erfüllt, dass selbst die unheimlichen Augen Shotas stumpf wurden. „Boku no Sei“, schrie ich aus vollem Halse und zeigte mit dem Finger auf Adam. Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah, bis ich auf ihn zu rannte und wie wild mit den Fäusten gegen seine Brust schlug. Zusätzlich riss ich ihm eine blonde Strähne heraus. „Warum?“, meine Stimme war eher ein hysterisches Schluchzen als ein Sprechen, „warum hast du diese verdammte Nachricht geschrieben?“ Trotz meiner Attacke gelang Adam und Shota es, einen kurzen Blick zu wechseln, in ihren Augen spiegelte sich Ahnungslosigkeit, doch jenes sah ich nicht. Schließlich zog Shota mich von seinem Bandkollegen weg und hielt mich in seinem eisernen Griff, aus dem es keine Befreiung gab. Auch Adam hatte sich wieder gefangen: „Welche Nachricht? Wovon redest du?“, keuchte er. Im nächsten Moment fühlte ich mich, als sei ich gegen eine unsichtbare Mauer gerannt; meine Augen weiteten sich und die Kinnlade fiel auf den Boden: „Ihr… ihr wisst… gar nicht, “ meine Stimme brach. Beide schüttelten synchron die Köpfe und Shota sagte: „Wir müssen reden, komm mit!“ Adam nickte und sie stützten mich beide, da meine Beine einzuknicken drohten. Draußen setzten wir uns auf eine Bank; meine Tränen waren, soweit möglich versiegt. „Erzähl uns alles“, verlangte Adam und ich folgte seiner Bitte. „Es waren Worte, welche sie, wenn überhaupt, von dir selbst hätte hören sollen“ beendete ich meine Erzählung und der Sänger umarmte mich: „Du musst mir glauben: Ich habe eine solche Nachricht nie in Auftrag gegeben, ich mochte deine Freundin!“ Ich nickte: „Ich habe sie mehr geliebt als alles andere.“ Shota strich mir über Rücken und Wangen: „Wenn du uns brauchst, wir sind für dich da!“ Ich schaute ihn an: „Kannst du bitte einen Song darüber schreiben? Damit eure Fans lernen, dass man auch im Internet nicht lügen sollte?“ Er nickte. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)