Behind the Wall von Karo_del_Green (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) ================================================================================ Kapitel 3: Die Begeisterung für die Kleinigkeit ----------------------------------------------- Kapitel 3 Die Begeisterung für die Kleinigkeit Bis zum Mittag arbeite ich an meinen Heizungsproblem. Ich entferne ein paar Teile ohne die Hauptmaschine berühren zu müssen. Keine Anzeichen. Keine Löcher. Keine Ideen. Ich bin langsam, aber sicher resigniert. Die Hitze in dem kleinen Raum hemmt meine Denkfähigkeit. Ich versuche mich zu sammeln und krame in den hintersten Ecken meiner Gehirnwindungen nach nützlichen Erinnerungen. Die Abdichtungen. Das Thermostatventil. In meinen Kopf bildet sich eine Liste belangloser Fakten, die überhaupt nichts mit dieser Maschine zu tun haben. Bei meinem Glück ist es etwas mit der Elektrik und dann gucke ich blöd aus der Wäsche. Meine verschwommenen Erinnerungen an Elektrik und Sicherungen verdanke ich den verschlafenden Momenten meiner Ausbildung. Bis heute schiebe ich die andauernde Müdigkeit auf den Mangel an frischer Luft und Freiraum. Ähnlich wie in diesem vermaledeiten Kellerraum. Doch diesen konnte ich wenigstens einfach öffnen. Unwillkürlich schließe ich meine Augen und fühle mich zurückversetzt. Das Gefühl der kühlen Metalltür unter meinen Fingern. Die Unebenheiten der Lackierung. Ich kenne sie auswendig. Der leichte Luftzug als die Tür auf geht ist herrlich und reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich schaue verwundert zur Tür. Nichts, doch plötzlich schiebt sich Kaleys Kopf hinein. Sie sieht erst zur falschen Seite und dann zu mir. „Oh, hier ist es aber warm", sagt sie und lächelt. „Und ich habe gehofft, dass ich die firmeneigene Haussauna noch etwas für mich allein habe", kommentiere ich ungewollt heiter und luge hinter den Heizungsrohren hervor. „Hast du nicht ein bisschen zu viel an für Sauna?", begegnet sie humorvoll. „Woher willst du wissen, wie viel ich wirklich anhabe?", frage ich berechtigter Weise, denn ich bin von einigen Rohren und Kästen verdeckt. „Touché" Ein leise Kichern. „Funktioniert schon wieder eure Klimaanlage nicht richtig?", frage ich und komme aus meiner Ecke hervor. „Nein. Nein, alles gut, abgesehen davon dass Beatrice anscheinend in ihren Wechseljahren ist und alle 10 Minuten die Temperatur verändert." Ich stelle mir die rundliche Sekretärin vor, wie sie hektisch vom Thermostat zu ihrem Schreibtisch stöckelte und wieder zurück. Dabei gibt sie quietschende, meckernde Geräusche von sich. Das Klackern ihrer hohen Schuhe. „Das erklärt, warum die Sicherungen so verschlissen sind", sage ich beiläufig und versuche das Bild der Schreibdame aus meinem Kopf zu bekommen. „Wahrscheinlich." Sie kichert mädchenhaft, trotz ihrer vollen tiefen Stimme und ich kann für einen Moment ihre schönen graden Zähne aufblitzen sehen. Es steht ihr. „Wie kann ich dir dann helfen?", erkundige ich mich. Sie tritt in den Raum und runzelte leicht ihre Nase. Kleine unscheinbare Fältchen schlängeln sich vom Nasenbein zur Spitze. Der Geruch muss für einen empfindsamen Geist grausig sein. Doch sie schenkt sich jeden Kommentar. Ihr schlanker, großgewachsener Körper steckt diesmal in einen körperbetonten schwarzen Rock und einen dünnen senfgelben Pullover. Ihr schöner dunkler Hautton bringt das satte Gelb zum Leuchten. „Ich möchte dich fragen, ob du Lust hast mit mir Mittag essen zu gehen?", erfragt sie als sie bei mir angekommen ist. Eine vorsichtige Frage und ich sehe sie verblüfft an. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet und weiß auch prompt nicht, was ich antworten soll. „Nur, wenn du möchtest natürlich", rudert sie etwas zurück und lächelt dennoch hoffungsvoll. „Oh, danke, aber ich denke nicht, dass das keine gute Idee ist", gestehe ich. Ihr Lächeln versiegt und ich kann sehen, dass sie wirklich enttäuscht ist. Mein Bruder würde sagen, dass ich mich schon wieder selbst isoliere. Er hat Recht, doch auch ich habe dafür meine Gründe. Ich höre seine mahnenden Worte. Im Moment stelle ich ihn mir zusätzlich mit roten Warnschildern vor, was im Grunde eine komödiantische Note hat. Sein andauernder Tenor, der im Grunde nichts anderes sagte als ‚tue dies nicht und tue das nicht' geht mir auf die Nerven. Er meint es gut, doch ich bin es leid. Ich schüttele die Gedanken von mir. „Oh okay, das ist wirklich schade", höre ich sie sagen und beobachte die zögernde Bewegung zur Tür. Ein kurzer Blick zu mir, ein letzter Schritt raus, doch sie bleibt stehen, denn ich kann ihre schmale Hand am Türrahmen sehen. Ich halte die Luft an. „Bitte überleg es dir, ich würde mich sehr freuen. Ich muss sonst immer allein essen, da die Damen aus der Vermittlung mich nicht wollen und Beatrice ist bei den anderen Sekretärinnen. Die sind etwas zu tratschig und die anderen Herren...nun ja. Ich hätte gern eine angenehme Gesellschaft." Während sie spricht, neigt sie sich zurück in den Raum. Ich weiß, welche Herren sie meint und verstehe ihren Unwillen. Bei ihrem bittenden Blick schmilzt mein Widerstand, wie ein fallengelassenes Eis in der Sonne. Ein einziges Mittagessen wird schon nicht schaden. „Okay, aber ich muss mich erst ein bisschen sauber machen gehen." Sie lächelt erfreut als sie versteht, dass ich ja gesagt habe. Als ich an ihr vorüberkomme, erfasst mich ihr Strahlen mit Wärme und Wohltat. „Ich kann dir nicht versprechen, dass ich eine angenehme Gesellschaft bin", sage ich leise beim Vorbeigehen. Ihr Blick folgt mir über den Flur. Ich verschwinde im Aufenthaltsraum, wasche mir Hände und Gesicht. Am Spiegel gehe ich wissentlich vorbei. Der Anblick gefällt mir im Moment einfach nicht, somit blende ich ihn aus. Einen Moment lang denke ich darüber nach mich umzuziehen, entscheide mich dagegen und greife nur nach meiner Jacke. Gemeinsam verlassen wir das Gebäude und besuchen einen Imbiss, der ein paar Minuten entfernt liegt und verschiedene Leckereien verkauft. Ich entscheide mich für etwas Schawarmaartiges. Ich habe keine Ahnung, was es genau ist. Es riecht fremd und es ist scharf. Aber das mag ich. Wir setzen uns auf eine niedrige Mauer am Flussrand des nahegelegenen Platzes. Ich lasse meinen Blick über den gutbesuchten Ort wandern. Ein chaotisches, aber heiteres Treiben. Viele genießen ihre Pause. Eine Weile essen wir schweigend, aber hin und wieder sehe ich zu Kaley. Ihre schmalen langen Finger greifen beherzt zu den Pommes. Sie tunkt sie in Mayonnaise und danach in den Ketchup. Ich bin kein Freund dieser Kombination. Mein Blick wandert zu ihrem Gesicht. Ihre vollen Lippen glänzen im sanften Licht der Sonne und zum ersten Mal bemerke ich, dass sie eigentlich kurze Haare hat. Voll und kräftig. Ich dachte immer sie wären nur zusammengesteckt. Ich verstehe nicht, warum sie mich angesprochen hat. „Also im Moment bist du eher eine ruhige Gesellschaft, aber das ist auch ganz schön. Viel besser als die dummen Sprüche oder das ewige Gegacker." Erneut schenkt sie mir das hübsche Lächeln. „Wie lange hältst du es in dieser Firma schon aus?", frage ich etwas Neutrales. „Zu lange!" Ein heiteres Kichern folgt. „Ich bin jetzt seit zwei Jahren die persönliche Assistentin von Gerald Barson. Davor war ich ein halbes Jahr für seinen Vater tätig." Gerald Barson ist der Chef und Namensgeber der Immobilienfirma. Barson Immobilien Management. Ich sehe zu dem Stoffschild, das auf der rechten Seite meiner Arbeitshose prangt. „Der Job ist anstrengend, aber gut. Ich lerne viele interessante Leute kennen und das brauche ich auch. Ich möchte mich irgendwann selbstständig machen", erzählt sie mir und lächelt dabei. Ich folge ihrer Erzählung aufmerksam. Sie ambitioniert, offen und selbstbewusst. „Wie alt bist du?", frage ich sie gerade heraus, ohne wirklich darüber nachzudenken. Ich habe sie auf Anfang 20 geschätzt, aber wenn sie schon so lange hier arbeitet, kann das nicht stimmen. Sie lacht verlegen. „Sowas fragt man doch nicht." Ihr Gesicht ist nur halb so empört, wie ihre Stimme. Sie verdeckt beim Kichern ihren Mund und lächelt mir dann zu. Ich war kurz davor mich zu entschuldigen, doch ich sehe sie nur weiterhin neugierig an. „Ich werde es niemanden verraten, versprochen", beschwichtige ich. Kaley lacht. „Na gut, na gut, ich bin 27 Jahre alt", sagt sie hinter hervorgehaltener Hand. Sie blickt verlegen nach unten und scheint die kleinen Steinchen vor ihren Füßen zu zählen. Ihre Anzahl ist nicht zu erfassen. Ich glaube mich verhört zu haben und sehe sie verdutzt an. „Ohne Scheiß?", gebe ich wenig galant von mir und mir fällt etwas Fleisch von der Gabel. Ich bin wirklich überrascht, denn ihr schönes, strahlendes Äußeres spricht von unschuldiger Jugendlichkeit. „Ist deine Reaktion positiv oder negativ?", fragt sie mich vorsichtig und ich sammle ein paar Fleischstücke von meiner Hose. „Absolut positiv, ich habe dich viel jünger geschätzt." „Wie freundlich, aber nein. Ich habe, bevor ich hier angefangen habe Immobilienrecht studiert", erklärt sie und isst summend weiter. Ihr Kopf bewegt sich im Takt einer stillen, heiteren Musik. „Dann arbeitest du, aber weit unter deinen Qualifikationen, oder?" Sie nickt. „Im Moment. Aber ich möchte bald meine eigene Firma eröffnen und dafür benötigt man Kontakte. Die bekomme ich hier. Ich mache mir unter bestimmten Leute einen Namen und das ist wichtig." „Rechtfertigt das die Quälereien?", erfrage ich und male mir aus, wie anstrengend der Job einer Assistentin sein kann. Doch insgeheim denke ich an die Darstellungen in Filmen und die sind stets unmenschlich und übertrieben. So macht es mir den Anschein. „In diesem Geschäft muss man sich durchbeißen können und wenn das heißt, man muss von Gerald Barson gequält werden, dann muss ich da durch. Wie sagt man, was einen nicht umbringt macht einen stark?" „Ja, mit dem gehe ich konform. Ich denke, du musst schon viel drauf haben, wenn dich der Chef als Assistentin behält." Ich wische mir ein wenig Soße von den Lippen und blinzele sie nur noch an, weil mir die Sonne nun direkt ins Gesicht strahlt. Die Wärme auf meiner Haut ist angenehm. Ich schließe die Augen und denke an die Jahre im Gefängnis zurück. Was einen nicht umbringt, macht einen stark, wiederhole ich in Gedanken und seufze leicht. Kaley ist so eine intelligente, starke Frau. Ich fühle mich etwas eingeschüchtert, weil ich noch weniger verstehe, wieso sie gerade mich als Gesellschaft gewählt hat. „Was ist mir dir?" Sie steckt sich einen Pommes in den Mund. Etwas Mayonnaise bleibt an ihren dunklen Lippen kleben. „Ich warte Heizungen und Klimaanlagen", sage ich flach und sehe auf mein Essen. „Und damit bist du der Held der dritten Etage" Ich sehe verwundert auf, denn in ihren Worten liegt kein Spott, kein Hohn. Kaley meint es wirklich freundlich und ernst. Ein seltener Moment für mich. „Weil ich euch nicht erfrieren lasse? Das ist doch das Geringste." „Dafür bin ich dir ewig dankbar!" Ihre schmale Hand legt sich auf meinen Arm. Ich zucke bei der Berührung unbewusst zusammen. Sie merkt es und nimmt ihre Hand wieder weg. Ich kann sehen, wie sich in ihren tiefbraunen Augen Fragen bilden, doch sie spricht sie nicht aus. „Ich kann euch noch nicht versprechen, dass ihr im Winter nicht doch erfriert, denn ich finde den Fehler in der Heizungsanlage nicht!" Ich versuche amüsiert zu klingen. Ihr seltsamer Blick wird wieder weicher und sie beginnt erneut zu schmunzeln. „Oh weh, also sollte ich schon mal mit dem Shopping von Thermounterwäsche beginnen?" „Besser wäre es. Vielleicht auch ein paar dicke Pullover! " Ich hole mein Handy aus der Tasche und sehe, dass die Pause gleich vorbei ist. „Ob ich meine Shopping-Tour als Firmenausgabe absetzen kann?" Einen Versuch ist es wert. Ich blicke auf die Reste meines Essens. „Du hast einen sehr ungewöhnlichen Namen. Hat er eine Bedeutung?" Während Kaley das fragt, sehe ich auf. Ich spüre ein widerwilliges Kribbeln auf meiner Zunge, doch ich schlucke es runter. „Ja, im allgemeinen Sinn schon." „Und?" „Jeder Name hat die Bedeutung, die du ihm beimisst. Für mich hat er keine nennenswerte", sage ich ausweichend und fahre mir über die Lippen. „Wir sollten zurück!", sage ich nach einem weiteren Blick auf die Uhr. Sie schaut ebenfalls auf die Uhr, schiebt sich die letzten Kartoffelstäbchen in den Mund und wir gehen los. Ich nehme ihr den Essensbehälter ab und suche einen Mülleimer zum Beseitigen. Die Menschenmassen verhindern einen weit reichenden Blick. Gruppen, Paare und einzelne Personen, die reden und essen. Zu viele Bewegungen. Ich entdecke einen Mülleimer am anderen Ende des Platzes und schiebe mich durch die Massen. Ein kurzes Anrempeln. Entschuldigend drehe ich mich um, doch mein Blick wandert an dem verärgerten Gesicht vorbei als ich eine Bewegung im Hintergrund bemerke. Die Lederjacke. Die dunklen Haare. Seine ungewöhnlichen hellbraunen Augen. Er sieht nicht zu mir, doch ich bin mir sicher, dass es Richard ist. Entschlossen schiebe ich mich an dem Herren vorbei, ignoriere das Gezeter und werde durch eine Gruppe junger Frauen blockiert. Aufgeregtes Kichern und lautes Lachen. Ich murmele Entschuldigungen, doch als ich an der Gruppe vorbei bin, kann ich Richard nicht mehr sehen. Mehrmals drehe ich mich um die eigene Achse. Ich kann ihn nicht mehr ausmachen. Der Wunsch ihn zu sehen ist stark. Habe ich es mir nur eingebildet? Im nächsten Moment bin ich mir nicht mehr sicher. Ich seufze verzweifelt und enttäuscht. Gedankenverloren schmeiße ich die Essensreste weg und suche Kaley am Rand des Platzes. „Alles okay?" Sie lächelt mich an und ich nicke. Ihr Lächeln erwidern kann ich in diesen Augenblick nicht. Noch ein letztes Mal sehe ich zurück und spüre die Sehnsucht nach dem anderen heiß in mir brennen. Mit einem seltsamen Gefühl in der Brust folge ich Kaley zurück ins Hauptgebäude. Am Nachmittag mache ich mich auf dem Weg zur anderen Immobilie. Ich brauche fast 20 Minuten und seufze bereits jetzt über die kommenden Pendeleien. Ich hoffe inständig, dass die dortigen Mitarbeiter intelligenter mit der Technik umgehen als die hiesigen. Andererseits bedeute die Fahrerei auch Ruhe und Entfernung von nervigen Kollegen und Konfrontationen. Der Gedanke gefällt mir immer mehr. In der U-Bahn betrachte ich den Plan für das Straßennetz. Ich kann mit einem Bus zu meiner Wohnung fahren. Eine willkommene Abwechslung. Unbewusst lasse ich meinen Blick durch den Waggon wandern. Kein bekanntes Gesicht. Nur nichtssagende, erinnerungsleere Fassaden. Ich denke an Richard. Ob er vielleicht wirklich hier wohnt? Meine Augen wandern weiter über das Nahverkehrsnetz, über farbige Linien und die unbekannten Stationsnamen. Ich bleibe bei den potenziellen Stadtvierteln stehen, lese die Namen und spüre Unwissenheit. Richards Familie besitzt viel Geld. Also kommen nur gute Viertel mit gute Schulen in Frage. Ich denke an seine Mutter und auch an seinen Vater. Mir wird ganz flau. An der richtigen Haltestelle steige ich aus und stehe nach wenigen Minuten vor dem gigantischen Gebäudekomplex. Es ist definitiv eine Firmenerweiterung. Aus Mangel an Sicherheitspersonal im Foyer gelange ich ohne Probleme ins Innere. Keine Fragen. Keine weiteren Mitarbeiter. Ich möchte nicht wissen, wie viele unbefugte Personen in diesem Haus ein- und ausgehen. Mit den Schlüsseln bin ich schnell im Keller und sehe mich eingehend um. Alles in Ordnung. In der zweiten Etage treffe ich doch auf einige Mitarbeiter der kleinen aufgekauften Immobilienfirma. Ich lasse meine Nummer da. Sie machen einen genauso inkompetenten Technikeindruck. Dafür machen die Anlagen im Keller insgesamt einen deutlich besseren Eindruck. Sie sind hochwertiger und neuer. Ich bin begeistert, so sehr man sich eben für Metallrohre und Ventile begeistern kann. Die anderen Stockwerke des riesigen Gebäudes sind leer. Nach einem Rundgang blicke ich auf die Uhr. Es ist bereits nach 17 Uhr. Ich mache mich auf den Weg zurück in meine Wohnung. Als ich in den Bus steige, wird mein Herz schwer. Ob ich ihn vielleicht wirklich verpasse? Sucht er nach mir? Mein Herz pumpt heiß Blut durch meine Adern. Erneut schreit warnende Achtung durch meinen Kopf. Doch der Wunsch, dass er es vielleicht wirklich nach mir sucht, brüllt lauter. Die kühle Luft, die mir entgegen schlägt, als ich aus dem Bus steige, ist wohltuend und lindert mein erhitztes Gemüt. Ich fahre mir durch die, dunklen Haare und schlendere fast gemütlich die Straße zur meiner Wohnung entlang. Diesmal komme ich von der anderen Seite und entdecke einige Geschäfte, die mir vorher noch nie aufgefallen sind. Ein Büchergeschäft. Klein, aber dennoch einladend. Seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, lese ich nicht mehr gern. Es erinnert mich zu sehr an die Einsamkeit und an die fantasievollen Augenblicke, in die ich Mittels der Bücher geflohen bin. Es erinnert mich zu sehr an die Zeit im Gefängnis. Daneben befindet sich ein Frisör. Gut zu wissen. Ein Laden mit orientalischen Lebensmitteln folgt. Der Duft von Curry und Zimt weht mir entgegen. Für einen Moment bleibe ich stehen und betrachte die ungewöhnlichen Früchte und Gewürze. Vieles davon habe ich noch nie gesehen oder gegessen. Mit einem Blick zurück gehe ich weiter. Einige Meter vor dem Hausaufgang meines Wohnhauses bleibe ich stehen. Den Schlüssel in meiner Tasche ziehe ich über meinen Mittelfinger und lasse den Ring einen Moment rotieren. Ich habe das Gefühl, dass etwas anders ist als sonst. Mein Blick fällt auf das schwarze Auto am rechten Seitenstreifen. Es steht einige Meter von meinem Häuserblock entfernt und ist bedenklich schlecht eingeparkt. Ein Mann sitzt darin. Sein Kopf ist geneigt und er scheint irgendetwas zu schreiben. Der Schlüssel in meiner Hand fällt zu Boden. Ich hebe ihn auf, doch als ich wieder nach oben komme und zu dem Auto schaue, kann ich sehen, wie der Mann darin zu mir blickt. Eine Sonnenbrille versperrt mir die Sicht auf seine Augen, dennoch bin ich mir sicher, dass er mich anschaut. Er startet den Wagen und fährt los. Einen Moment sehe ich ihm nach. Seltsam. In meiner Wohnung angekommen, habe ich das dringende Bedürfnis zu lüften. Es ist stickig. Ich öffne alle Fenster und lasse mich auf die Couch nieder. Ich drehe meinen Kopf zu beiden Seiten und spüre, wie mein Hals knackt. Die rote Leuchte an meinem Telefon beendet meine Bewegungen. Eine Nachricht. Ich stehe wieder auf und betätige den Knopf für den Anrufbeantworter. Eine elektronische Stimme erklingt und kündigt mir einen aufgezeichneten Anruf an. Das penetrante Piepen zerreißt die Stille des Raumes. „..." Nur ein Rauschen. Das Kramen in einer Tasche und dann ein Räuspern. Nichts, dann ein Klicken. Die Nachricht endet, ohne ein Wort. Vermutlich nur verwählt. Wiederholt bildet sich ein eigenartiges Gefühl in meinem Bauch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)