Behind the Wall von Karo_del_Green (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) ================================================================================ Kapitel 22: Die Last der gegenwärtigen Vergangenheit ---------------------------------------------------- Kapitel 22 Die Last der gegenwärtigen Vergangenheit Richards Handy regt sich. Ich höre, wie es in seiner Hosentasche vibriert. Er reagiert nicht, sieht mich nur an, wartet auf eine erklärende Antwort und hofft, dass meine Worte nur einem Moment des Irrwahns entsprangen. Doch dem ist nicht so. Ich meine es ernst. So sehr es auch mein Herz zerreißt. Das Lied, welches sein Handy spielt, ist die Teufelssonate. Der Anruf ist von seine Mutter. Es ist wie das mahnende Omen, welches mir nur noch mehr zeigt, dass meine Entscheidung, hier einen Schlussstrich zu ziehen, die richtige ist. Richard holt sein Telefon aus der Tasche und greift nach meiner Hand, so als würde er sicher gehen wollen, dass ich nicht einfach aufstehe um zu verschwinden, während er telefoniert. Eine Weile starrt er auf das lärmende Gerät. Er hadert mit sich. Dann schiebt er den Regler seines Smartphones nach rechts und legt es mit dem Bildschirm nach unten auf dem Tisch ab. Rick dreht sich noch ein Stück mehr zu mir. „Hör zu. Bitte!“ Sein Blick bringt mich fast um und als er nach meinen Händen greift, wird es noch schlimmer. „Ich... ich weiß, dass es im Moment schwierig ist und das es viel auf einmal ist. Es tut mir leid, dass meine vergangenen Entscheidungen es nur noch schwerer machen. Was mit Rahel passiert ist, bedeutet nichts und ich... ich.“ Das Telefon unterbricht erneut zu summen. Die Vibrationen erzeugen auf der Holzplatte des Tisches ein seltsam dumpfes Geräusch. Ich sehe dabei zu, wie es wenige Millimeter über den Tisch tanzt. Hin und her. Rick reagiert nicht darauf. Im Gegenteil, er zwingt mich ihn anzusehen, indem er mir an das Kinn fasst und mein Gesicht zu sich dreht. „Lee…“ Die Koseform meines Namens perlt wie Balsam von seinen Lippen und verursacht dieses geborgene, vertrauensvolle Gefühl in meiner Brust. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn so sehr und nie werde ich damit aufhören, dessen bin ich mir sicher. Ich strecke meine Hand nach ihm aus, spüre die warme Haut seines Halses unter meinen Fingern, streiche weiter in das dunkle Haar zurück zu seiner Wange. Rick greift nach meiner Hand, verschränkt unsere Finger wieder miteinander und schließt die Augen. Er dreht sein Gesicht dichter in die Berührung. Seine Lippen küssen meine Handfläche. Zärtlich. Bittend. Die sanfte Geste lässt meinen gesamten Körper in Flammen stehen. Das Prickeln breitet sich in mir aus. Es ist warm und glückverheißend. Aber es ist nur ein Überbleibsel bittersüßer Erinnerung. „Bitte,… Bitte, sieh mich nicht so an“, flüstert er mir entgegen. Unwillkürlich beiße ich mir auf die Unterlippe. Er kann gar nicht wissen, wie ich ihn anblicke, denn seine Augen sind noch immer geschlossen. Sie bleiben es, denn er fühlt es einfach. Rick dreht sein Gesicht noch mehr in die Berührung meiner Hand. So als würde er damit weiterhin sicherstellen können, dass ich bleibe. Aber ich kann nicht. Nein, ich darf es nicht. Der Versuch, meine Hand zurückzuziehen, misslingt. Wie erwartet. Richard beginnt seinen Kopf zu schütteln. „Du hast mir versprochen stark zu sein. Weißt du noch?“, sage ich ruhig. Er nickt, verzieht im selben Augenblick schmerzverzehrt das Gesicht. Auch er denkt an das Gespräch zurück, welches wir schicksalhaft im Sommerhaus vor fast acht Jahren führten. Rick wollte es nicht, doch ich habe ihm das Versprechen abgerungen, dass er stark sein muss. Für uns beide. Ich werde es wieder tun. „Du musst mir wieder etwas versprechen. Hörst du?“ Diesmal schüttelt er den Kopf. „Nein, hör auf, ich lass dich nicht gehen.“ Nur ein energisches Flüstern. „Du musst! Und du musst aufhören an unserer Situation etwas ändern zu wollen“, sage ich mit erstaunlich fester Stimme. Meine freie Hand beginnt zu zittern. „Aber, ich denke, dass ich…“, setzt er erneut an. Ich unterbreche ihn. „Ich will, dass du damit aufhörst. Lass es bitte ruhen und pfeif deine Anwälte zurück, Rick, bevor du mich wieder ins Gefängnis bringst. Denn ich will da nicht wieder rein.“ Die Härte meiner eigenen Worte bricht mir das Herz. Richard zuckt und ich ziehe endlich meine Hand zurück. Richards Gesichtsausdruck wird immer gequälter. Es ist purer Schmerz, der sich in seinen Iriden spiegelt. „Eleen, es tut mir so leid. Ich will, das auch nicht. Ich möchte, dass du bei mir bist und... und ich will doch nur helfen“, stammelt er erregt, „Bitte, das musst du mir glauben…“ Seine Stimme bricht. „Ich weiß es. Aber es ändert nichts…“ Ich greife an meine Brust, ertaste mit Schmerz den Ring an der schmalen Silberkette. Mit klammen Fingern ziehe mir die Kette vom Hals und stehe auf. Ricks Blick spricht von all seinen Ängsten als er mir bei jeder meiner Bewegungen mit den Augen folgt. Auch er springt auf. Ich sehe, wie er dabei unentwegt den Kopf schüttelt. Minimal und dann wieder energisch. Er glaubt es nicht. Er will es nicht. Ich muss es tun. „Du musst es mir versprechen. Bitte, ruf mich nicht mehr an und komm auch nicht zu meiner Wohnung. Ich möchte, dass du nur noch an deine Tochter denkst. Sei stark für sie.“ Ich lasse die Kette auf den Tisch gleiten. Mein geliebter Kindheitsfreund sieht mich einfach nur an. „Versprich es mir!“, wiederhole ich meinen Wunsch und bekomme von ihm dieselbe Reaktion, wie damals. Er schüttelt den Kopf. Dreimal, bis er versteht, dass ich es tun werde und er es nicht verhindern kann. „Lee…“ Flehend. Diesmal schüttele ich den Kopf. Ich ziehe meine Jacke vom Stuhl, doch Rick hält mich zurück. Seine Finger umfassen mein Handgelenk. Sie sind kühl. Das sind sie sonst nie. „Bitte, lass mich einfach gehen.“ Ein letzter Versuch. Ich löse mich aus seinem Griff und verschwinde, ohne mich umzudrehen. Schnell. Fast überstürzt. Es ist richtig. Es ist besser. Es ist Folter. Den Weg zurück in die Wohnung nehme ich wie betäubt. In der U-Bahn kriege ich einen Sitzplatz, lasse mich in das kühle Polster fallen und schließe die Augen. Richards Gesicht. Das heutige und das von vor 8 Jahren. Im stetigen Wechsel. Es ist so deutlich und klar, dass ich das Gefühl habe, ich könnte seine warme Haut spüren, wenn ich meine Hand nach ihm ausstrecke. Sein schönes Lächeln. Irgendetwas in meinem Inneren schreit. Laut und schmerzerfüllt. Ich lasse es hinter der Mauer zurück. Der Sitz neben mir gibt nach und dann merke ich ein Knie, das gegen meines schlägt. Ich sehe auf. Ein junges Mädchen mit blendend weißen Haaren blickt mir entschuldigend entgegen. Sie hat mehrere Piercings im Gesicht. Ein engsitzender Ring am Nasensteg und zwei im linken Nasenflügel. Ihre Augen sind komplett schwarz geschminkt. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie anstarre und begreife es erst, als sie demonstrativ ein Stück von mir wegrutscht. Als Reaktion darauf presse ich mich mehr in die Ecke, lehne meinen Kopf gegen das zerkratzte Plexiglas der Trennwand. Die Vibrationen breiten sich augenblicklich in meinem Körper aus. Obwohl sie mich im ersten Moment stören, wiegen sie mich irgendwann in eine Art Trance. Die Müdigkeit der vergangenen Tage holt mich. Schnell und intensiv. Ich verpasse meine Station, nehme die nächste und laufe das Stück zurück. Vorbei an den orientalischen Lebensmittelladen, in dem ich noch nie gewesen bin und wahrscheinlich nie einkaufen werde. Vorbei an dem Frisör, bei dem ich vermutlich mal einen Termin machen sollte. Die Lichter sind bereits aus. Ich bleibe trotzdem kurz stehen. Seltsam lange, ohne wirklich zu wissen wieso. Ich gehe erst weiter, als jemand aus der Tür des Nachbargebäudes tritt und greife bereits nach meinen Haustürschlüsseln. Eine Dusche und Schlaf sind alles, was ich jetzt möchte. Eine lange heiße Dusche. „De Faro!“, ruft es in meiner Nähe. Resigniert und ein wenig erschrocken lasse ich meinen Schlüssel sinken als ich meinen Namen vernehme. Ich erkenne die Stimme sofort. Denn manchmal verfolgt sie mich in meinen Träumen. Ein Gespräch mit dem alten Detektiv ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann. Ich wende mich nicht um, halte den Schlüssel nun verkrampft und deutlich ablehnend in meiner Hand, um ihm zu signalisieren, dass ich im Grunde nicht gewillt bin, mit ihm zu reden. Er kommt auf mich zu und bleibt neben mir stehen. Neben den Geruch eines billigen Aftershaves nehme ich das markante Aroma eines Hustenbonbons wahr, welches ihn ummantelt, wie eine Blase des Alterungsprozesses, in dem er steckt. Fenchel und Anis. Es fehlt nur noch der typische Duft eines Rheumabads. „Etwas kalt geworden in der Blechkiste, nicht wahr?“, frage ich ohne aufzusehen. Immerhin haben wir mittlerweile Mitte Oktober. „Es gibt besseres.“ „Sie haben eine schönes warmes zu Hause, oder?“, stichele ich weiter. „Hör auf damit. Ich bin aus einem guten Grund hier.“ Der Ernst in seiner Stimme lässt mich aufblicken. Seine wässrigen blauen Augen liegen in tiefen Höhlen und ich bekomme das Gefühl, dass er schon etliche Tage nicht mehr richtig geschlafen hat. „Ich dachte, dass dich vielleicht interessiert, dass ich meine Kontakte habe spielen lassen. Dabei habe ich entdeckt, ...“ „... das Kokain nach Brause schmeckt?“ Moore schaut mir im ersten Moment verdutzt entgegen und im nächsten säuerlich. Er überbrückt den letzten Schritt zwischen uns, drückt mich mit einer Geschwindigkeit und Härte gegen die Tür, die ich ihm nicht mehr zugetraut habe. Sein linker Unterarm presst sich gegen meinen Brustkorb und zieht dabei meine Kleidung hoch. Kälte kitzelt sich augenblicklich über eine freigelegte Stelle an meinem Bauch. „Hör mir mal zu, Junge. Ich weiß, dass Richard eigentlich der Witzbold von euch beiden ist. Also, was soll das?“ Er drückt mich noch ein kleinwenig fester gegen die Tür. Ich schlucke unwillkürlich und schweige. „Lass dir eines gesagt sein, nämlich dass ich jeder Zeit bereit bin, dafür zu sorgen, dass du umgehend zurückwanderst. Verstanden?“ Ein kühler Windhauch trifft uns. Die deutliche Drohung lässt mich automatisch zusammenzucken. Ich weiche seinem intensiven Blick aus. Das Funkeln in den sonst so wässrigen Iriden erinnert mich zu sehr an den Moment zurück, in dem er begann zu verstehen, dass der Vorfall mit Renard Paddock anders verlaufen sein muss als alle dachten. „Mit Sicherheit...“, gebe ich schwach von mir. „Ich muss dich nicht noch einmal daran erinnern, dass du in der eindeutig ungünstigeren Position bist, oder?“, droht er mir und beginnt zu husten. Nein, das muss er wirklich nicht. Die schlechtere Position zu haben ist schon seit langem Teil meines Lebens. Ich kenne es gar nicht anders. „Was wollen Sie?“, frage ich, mache eine seltsam trotzige Bewegung, die Moore ein weiteres Mal mahnend schauen lässt. Er benötigt keine ausgesprochene Antwort. Ihm reicht ein nachfolgendes Nicken und damit lässt er mich los. Ich ziehe meine Jacke wieder an ihren Platz, verdecke die Gänsehaut, die sich auf meiner hervorschauenden Hüfte gebildet hat. „Wirst du mir jetzt zuhören?“, fragt er und ich nicke ein weiteres Mal. Moore kramt in seiner Tasche nach einem der gerochenen Hustenbonbons. Er schiebt ihn sich zwischen die Lippen bevor er mit der Sprache herausrückt. „Vor ein paar Wochen gab es eine Anfrage ans Polizeiarchiv. Jemand verlangte eine Einsicht in einige älterer Jugendakten. Die Herausgabe wurde verweigert, denn die Meisten sind versiegelt. Im Grunde nichts Ungewöhnliches. Es wird geprüft inwiefern die Herausgabe möglich ist und es wird durch z.B. Schwärzung von Namen und Passagen dafür gesorgt, dass keine persönlichen Informationen herausgelesen werden können. Das jedoch wurde nicht abgewartet. Eine Woche später kam es zu einem Einbruchsversuch, bei dem nichts als gestohlen gemeldet wurde.“ Unwillkürlich verkrampfen sich meine Hände und ich merke deutlich, wie sich auch meine Stirn runzelt. Ein Einbruch. Das ist mehr als eigenartig. Er deutet meinen fragenden Blick richtig. „Ich fand es ebenso merkwürdig. Also habe ich nachgehakt und ein Freund sagt mir im Vertrauen, dass wohl einige Akten abhandengekommen sind. Deine auch. Es gibt eine interne Ermittlung“, gibt er mir preis, macht zwischen den Sätzen immer wieder Lutsch- und Schluckgeräusche. Ich starre ihm unwillkürlich auf die trockenen Lippen. Ich denke an den Ausschnitt aus meinem Verhör, der in meinem Briefkasten gelegen hat. Jemand hat meine Jugendstrafakte gestohlen. „Eleen, wenn es dabei wirklich um deine Akte ging, dann bist du in ernsthaften Schwierigkeiten. Irgendjemand will dir schaden. Wieso? Was ist damals passiert?“ Er klingt wie der Stereotyp eines Bringers für schlechte Omen. Er hustet erneut, während ich schwer damit hadere. „Wäre ich ja nie drauf gekommen…“, kommentiere ich ermattet und wieder mal ausweichend. Ich bin überfordert. Mit der Situation. Mit meinen Gefühlen. Einfach mit allem. Moore straft mich mit einem mahnenden Blick, den ich definitiv verdiene. Die Schuld peitscht sich durch mein Gewissen und kehrt das naive, verletzliche Kind hervor, das mit jedem weiteren Funken Vergangenheit präsenter wird. Das Kind aus der Vergangenheit. Das Kind, welches ich nicht mehr bin. Ich wollte es verschwinden lassen. Ich wollte es vergessen. Ich fühle mich wie der schuldhafte Protagonist eines schlechtgeschriebenen Kriminalromans, der langsam zu begreifen beginnt, dass das Vergessen keine Möglichkeit ist. Das darf alles nicht wahr sein. Jemand will mir Schaden. Ich bin mir dessen schon länger bewusst und weiß noch immer nicht wieso. Vielleicht sollte es ihm sagen. „Fängst du schon wieder an?“, knurrt er resigniert und nur halb so wütend, wie beim letzten Mal. Sein Blick wird weicher, besorgter. „Nicht mal dein Bruder schafft es noch dich zur Vernunft zu bringen. Rede doch endlich mit mir“, kommentiert er und lässt mich aufmerksam aufhorchen. „Sie wissen, dass Ewan hier war?“, frage ich sofort. „Natürlich... Ich hatte die kurze Hoffnung, dass Ewan es schafft dich auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Doch du scheinst unbelehrbar...“ Ich seufze laut und deutlich. Natürlich? Was bedeutete natürlich? „Haben Sie etwa damit zu tun, dass er hier war?“, frage ich entsetzt als ich mir den Gedanken ein weiteres Mal durch den Kopf gehen lasse. Hat er das Foto geschossen und Ewan geschickt? Er ist ständig hier. Er kennt Ewans Adresse. Er könnte uns an dem Morgen gefolgt sein. „Wenn´s so wäre?“ „Sie haben das Bild gemacht?“ Obwohl ich es ausspreche, kann ich es nicht wirklich fassen. „Ihr seid nicht sehr unauffällig Eleen. Schalte doch endlich mal deinen verdammt Kopf ein. Ich wollte, dass dir dein Bruder endlich Vernunft einbläut.“ Er war es wirklich. „Dazu hatten Sie nicht das Recht!“, belle ich ihm aufgebracht entgegen und sehe mit Genugtuung, wie er zusammenzuckt und schluckt. Er ist zu weit gegangen und er weiß es auch. „Hören Sie endlich auf damit. Sie helfen mir nicht in dem Sie meine Familie mit hineinziehen“, sage ich mit all der Höflichkeit, die ich gerade aufbringen kann. „Dafür ist es längst zu spät. Junge, denk scharf nach. Wer könnte es sein? Wer will dir derartig schaden?“ „Ich weiß es nicht“, erwidere ich und zucke mit den Schultern. Ich hatte nie sehr viele Freunde, aber auch selten wirklich Feinde. Aller Höchstens sind es ein paar Bekannte. „Hattest du im Gefängnis mit jemanden Ärger?“, fragt er und ich schüttele erneut nur den Kopf. „Komm schon…“ Dass er mir Druck macht, hilft wenig. Ich zermartere mir schon seit Wochen den Kopf darüber und bin noch kein Stück weitergekommen. Der alte Mann greift nach meinem Arm. Seine Hand ist warm und irgendwie feucht. „Ich weiß es nicht. Das Alles ergibt für mich keinen Sinn, verstehen Sie.“ „Er muss von dir und deiner Verbindung zu Richard wissen… definitiv. Könnte Paddock der Grund sein?“ Richard? Nun sehe ich den alten Detektiv an, blicke direkt in seine hellen blauen Augen und weiß zunächst nicht, was ich ihm darauf antworten soll. Meine Gedanken beginnen zu kreisen. Ich kenne kaum jemanden aus Richards Umfeld. Nur ein paar frühere Schulfreunde. Rahel. Sybilla. Das ergibt alles keinen Sinn. „Wie meinen Sie das?“, erfrage ich sichtlich verwirrt. Moore streicht durch sein ergrautes Haupt, fährt sich auf dem Weg nach unten einmal über den Nasenrücken. „Vielleicht versucht jemand über dich an Richard heranzukommen.“ „Aber aus welchem Grund? Es war doch Zufall, dass wir uns wieder begegnet sind. Nur Zufall.“ „Vielleicht hat Richards anhaltende Suche nach Schlupflöchern jemand aufgescheucht. Eleen, dir ist gar nicht bewusst wieviel Staub das alles aufgewirbelt hat, oder? Renard Paddock hatte viel Einfluss und sein Tod hat einiges verändert und durcheinander gebracht. Die Firma war nah am Bankrott. Viele verloren ihre Jobs. Sybilla Paddock musste etliche Kompromisse eingehen und Entscheidungen getroffen, die nicht allen gefallen haben. Die Aktionäre und Teilhaber der Firma haben sehr viel Druck ausgeübt. Damals und auch heute noch. Viele sind noch immer verärgert“, berichtet er. Das Alles habe ich nicht mehr mitbekommen. Auch während der Verhandlungen hatte man mich von allen Medien abgeschottet und meine Familie hatte nicht einmal den Namen Paddock in den Mund genommen. Selbst nach der Verurteilung drang kein Wort zu mir durch. „Richards Vater war ein namhafter Mann...“, fährt er fort. „Richards Vater war ein Schwein…also hören sie auf mir erklären zu wollen, welche Unstimmigkeiten aufgetreten sind. Es interessiert mich nicht. Ich glaube auch nicht, dass irgendetwas davon eine Rolle spielt. Verstehen sie, für mich macht es auch keinen Unterschied.“ Die Wahrscheinlichkeit, jemals an Richards Seite sein zu können, war noch nie sehr groß. Nur ein Wunsch. Ein Traum, den ich wunderschöne Sommer lang genießen durfte. Nur Traum. Nur eine Erinnerung. Mehr nicht. Denn wäre Renard Paddock am Leben geblieben, dann hätte er alles daran gesetzt unser Zusammensein zu verhindert und nun ist es sein Tod, der es unmöglich macht. Es waren die letzten Worte, die er mir zu flüsterte. Wir würden niemals zusammen sein. Er würde es nicht zu lassen. Trotz Flüstern war seine Stimme fest. Im Grunde eine selbsterfüllende Prophezeiung. Denn so oder so, er hatte gewonnen. So sehr ich es mir auch wünsche und herbeisehne, ich werde den Menschen, den ich liebe, nicht wieder neben mir spüren dürfen. Dafür habe ich selbst gesorgt. „Was ist wirklich passiert in dieser Nacht?“, fragt er mich erneut. Ich kann die Träne nicht verhindern, die in genau diesem Moment meine Wange hinabrinnt, in dem ich dem alten Detektiv mein Gesicht zuwende. „Ich habe Renard Paddock getötet… mehr müssen sie nicht wissen.“ Moore trägt die gleiche wissende Enttäuschung in seinem Gesicht, wie damals. Doch diesmal mischt sich aufrichtiges Bedauern dazu. Er begreift immer mehr, dass nichts so verlaufen ist, wie er sich vielleicht zusammengereimt hat. „Eleen...“, setzt er an. „Bitte, fahren sie endlich nach Hause. Ich werde mich von Richard fernhalten und er wird hier nicht mehr auftauchen. Es ist vorbei. Schließen sie damit ab, so wie ich es getan habe.“ Nur ein kurzer Blick, dann öffne ich die Tür und verschwinde im Hausflur. Vorbei am Briefkasten. So, wie ich es getan habe. Die Lüge hallt mir nach, folgt mir jede einzelne Stufe hinauf. Die Tür fällt mit einem leisen Geräusch ins Schloss und ich bleibe ermattet stehen. Mein Schlüsselbund fällt zu Boden, weil ich es nicht schaffe den Arm soweit auszustrecken um ihn auf dem Schränkchen abzulegen. Das Klirren hallt. Doch ich nehme es kaum wahr. Als es verstummt ist, ist die Stille nur noch lauter. Mein Gedanken beginnen zu schreien und drücken mich immer mehr zu Boden. Ich lasse mich an der Wohnungstür hinabgleiten und versuche gar nicht zu verhindern, dass sich Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnen. Ich merke die Hitze, die sich in meine Haut brennt, schmecke das Salz auf meinen Lippen und möchte einfach ertrinken. Die Intensität der letzten Wochen ummantelt meinen gesamten Körper mit einer unaussprechlichen Kälte. Was soll ich nur tun? Alles bricht über mich ein. Ich lasse mir diesen Moment Verletzlichkeit und streiche mir danach fahrig die Feuchtigkeit davon, suche in meiner Jacke nach einem Taschentuch. Ich finde nur ein zerknittertes, zerknülltes Uraltes und entscheide mich schnell dagegen es zu benutzen. Meine Wohnung ist ungewöhnlich dunkel, da alle Türen geschlossen sind. Das ist normalerweise nicht der Fall. Ich denke an meinen Bruder, der zuletzt hier drin war und hoffe, dass er mittlerweile wieder bei seiner Familie angekommen ist. Er soll sich keine Gedanken machen müssen. Nur um sich und seine kleine wachsende Familie. Als ich mich endlich aufrappele und das Wohnzimmer betrete, liegt das Kissen wieder an seinem Platz. Nur die ordentlich zusammengefaltete Decke auf der Couch und eine benutzte Tasse in der Spüle deuten darauf hin, dass Ewan wirklich da gewesen ist. Ich ziehe mir die Jacke aus, hänge sie über einen der Küchenstühle und reiße mir ein Küchentuch ab. Ich trockne meine Träne, schniefe und schnaube und fühle mich unglaublich ermattet. Danach verschwinde ich ins Badezimmer. Auf den Weg dorthin entledige ich mich meiner Klamotten, lasse sie einfach liegen, wo sie hinfallen und steige unter die Dusche. Der erste Strahl kalten Wassers trifft auf meine Füße. Ich spüre es nicht, weil meine Zehen dieselbe Temperatur haben. Erst als es Wärmer wird, beginnen meine unteren Extremitäten zu kribbeln. Irgendwann leicht zu brennen. Ich lehne mich unter den Strahl, halte die Luft an, als das Wasser über mein Gesicht perlt. Und fast sofort bin ich wieder mit Rick in dieser Bar. Spüre das Gefühl seiner Lippen, als mich sein sehnsüchtiger Kuss begrüßte. Es erfüllt mich mit einem glücklichen Prickeln, welches viel zu schnell vergeht. Er hat mir nicht geglaubt. Bis zum Schluss hat er nicht wirklich daran denken wollen, dass ich es ernst meine. Es ist besser so. Viel besser, das rede ich mir jedenfalls ein. Ich temperiere das Wasser ordentlich und merke kaum, wie es über meinen ausgelaugten Körper fließt. Für einen Moment schaltet sich alles aus. Mein Körper entspannt und meine Gedanken beruhigen sich. Dieser Augenblick ist eine Wohltat. Er hält nicht lange an. Mit dem gleichmäßigen Rauschen drängen sich die Gedanken wieder in Vordergrund. Rahels deutliche Worte. Richards Flehen. Das Bild von ihm und seiner Tochter im Krankenhaus. Ich schalte das Wasser ab, greife nach dem Handtuch und gehe ohne mich abzutrocknen ins Schlafzimmer. Erneut trifft mich das mulmige Gefühl und lässt mich innehalte, aber nur kurz. Die Ermattung überwiegt. Ich ziehe mir eine einfache Stoffhose über die nassen Beine, streiche mir mit dem Handtuch ein wenig Feuchtigkeit aus den Haaren und falle ins Bett. Ich bin so müde. So unglaublich müde. Meine Augen sind geschlossen. Schlafen kann ich dennoch nicht. Ich drehe mich auf die Seite und schaue zum Fenster. Durch einen Spalt zwischen den beiden Vorhängen kann ich den wolkenverhangenen Himmel erkennen. Die Straßenbeleuchtung färbt ihn in ein dreckig wirkendes Orange. Ich schiebe meine Füße unter die Decke, wünsche mir Wärme. Richards Wärme. So wie früher. Ich schließe meine Augen. Die Nächte, in denen er unverhofft zu mir kam, waren die Schönsten. Er kuschelte sich an mich, während ich schlief. Die vertraute Wärme ließ mich nie hochschrecken, nie zaudern. Ich hatte auch keine Angst oder erschrak. Es konnte nur er sein. Sein Geruch. Sein Körper. Ich kannte ihn auswendig. Ricks küsste meine Wange oder meinen Nacken. Seine Hände begannen mich zu streicheln. Erst sanft. Dann immer intensiver. Seine Fingerspitzen waren leicht kalt und verursachten mir ein zartes Prickeln auf der Haut. Ich schmiegte mich nur noch dichter an den wohlig warmen Körper meines Freundes. Seine Berührungen waren immer so unglaublich zärtlich, während er erkundend meinen Leib entlang strich. Sie zeigten mir deutlich, wie sehr er mich vermisste. Wie sehr er mich wollte und ließen mich nie daran zweifeln. Seine Hände verweilten an der Beuge zwischen Hüfte und Rippen. Seine Finger tanzten auf und ab. Manchmal auch über meinen flachen Bauch. Dort hinterließen sie ein aufgeregtes Kitzeln. Zu dieser Zeit war ich schon immer vollkommen wach und regte mich nicht, um diese wunderbaren Berührungen weiter genießen zu können. So lange bis er mir ins Ohr flüsterte, wie sehr er mich liebte. Schlagartig öffne ich die Augen, spüre den Schauer, der durch meine Glieder fährt. Das erregende Prickeln gepaart mit verzweifelten Vermissen. Es ist so schwer. Die Gedanken an diese vergangenen Momente hatten mir stets ein Glücksgefühl beschert. Meine Lebensgeister geweckt und mich durch manch schwere Phase getragen. Vor allem im Gefängnis haben sie mich durchhalten lassen. Jetzt fühle ich eine unbehagliche Schwere. Die Anspannung steckt tief. Hatte der alternde Detektiv vielleicht Recht? Geht es um Richard? Jaron. Mit einem Mal hallt dieser Namen durch meinen Kopf. Er ist einer von Ricks ältesten Freunden. Sie gingen gemeinsam zur Schule. Jetzt fällt es mir wieder ein. Rick war vor ein paar Tagen mit ihm essen. Er hatte angerufen. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie er ausgesehen hat. Ich schaffe es nicht ein konkretes Bild hervorzuholen. Ruckartig setze ich mich auf, gleite vom Bett und ertaste die alte Fotokiste im unteren Stauraum. Ich brauche eine Weile, bis ich es schaffe, die Kiste unter dem Bett hervorzuziehen. Irgendwann halte ich die gesuchten Fotos in der Hand. Richard in seiner Schuluniform. Er schaut missmutig in die Kamera. Ich weiß, dass er diese adrette Scharade immer gehasst hat. Unbewusst drehe ich das Bild um, in der Annahme, dass es vielleicht eine Beschriftung enthält, doch dem ist nicht so. Ich lege es zur Seite und lasse die anderen Bilder nacheinander durch meine Hände wandern. Ein Geschwisterfoto. Ich stehe links. Das nächste Foto zeigt Richard. Ich belächele sie alle liebevoll, bis ich auf ein Gruppenbild treffe. Neben Rick stehen drei weitere junge Männer und zwei Mädchen. Eine davon ist Rahel. Alle ebenfalls in Uniform. Ich drehe das Foto um und schaue auf das notierte Datum. Der Beginn der Sommerferien. Es waren unsere letzten gemeinsamen. Namen sind nicht notiert. Ich weiß gar nicht, warum ich das Bild eigentlich habe. Bis auf Richard habe ich keinen Bezug zu diesen Menschen. Meine Augen wandern ihre Gesichter ab und bleiben bei dem dunkelblonden Typen links neben Richard stehen. Er wendet sein Gesicht zu Rick. Nur sein Profil ist zu erkennen. Erneut entspringt ein Funke. Er glüht und erlischt, als ich mich nur daran erinnere, wie auch Rahel von ihm gesprochen hat. Vielleicht ist es nur die mehrmalige Erwähnung. Es sind immerhin sieben Jahre. Sieben Jahre, in denen wir uns alle stark verändert haben. Ich lehne meinen Kopf zurück auf das Bett, spüre erneut, wie meine Augen zu fallen und mich die Stille umfängt. Ich erwache mitten in der Nacht. Meine Füße sind kalt und mein Rücken steif. Von meinem Hals will ich gar nicht reden. Fahrig schiebe ich die Bilder von meinem Schoss, streiche mir über den Nacken und stehe auf. Meine Gelenke knacken, während ich die Toilette aufsuche. Noch immer liegen die achtlos ausgezogenen Klamotten im Flur. Ich laufe um sie herum, hole aus der Küche ein Glas Wasser und stelle mich im Wohnzimmer vor das Fenster. Moores schwarzer Wagen ist weg. Ich starre auf den einzigen leeren Parkplatz. Was auch immer die Gründe sind, wenn es mit der Beziehung zwischen mir und Richard zu tun hat, dann bin ich nun keine Bedrohung mehr. Ich nippe am Glas, sehe auf die menschenleere Straße. Ein Ende. Ruhe. Etwas, was ich mir in diesem Moment nicht einmal vorstellen kann. Nur wünschen. Ich leere das Glas Wasser und lasse es auf der Fensterbank stehen. In der Dunkelheit der gegenüberliegenden Gasse leuchtet etwas auf. Nach einem kurzen Moment wiederholt es sich. Ein kleiner orangefarbener Punkt. Eine Zigarette im Dunkel. Ich weiche augenblicklich zurück. Mein Puls rast. Zögernd sehe ich ein weiteres Mal zu der Stelle. Nichts. Sofort laufe ich zur Wohnungstür. Mit zittrigen Fingern überprüfe ich sie. Sie ist unverschlossen. Mein Blick geht zuerst zur Kommode. Der Schlüssel fehlt. Der Schreck, der durch meine Glieder fährt ist intensiv. Dann sehe ich ihn am Boden liegen. Ich angele mit klammen Fingern den Schlüssel auf, verschließe die Tür. Ich lehne mich gegen das Holz und mir entflieht ein lachender, verzweifelter Laut. Noch immer schlägt mein Herz im Marathonmodus, als ich mich wieder ins Bett lege. Als ich am Morgen aufstehe, fühlt es sich an, als hätte ich nicht geschlafen. Auf Arbeit greife ich mir die gelieferten Ersatzteile für die Heizungsanlage und bin froh den ganzen Tag nicht aus dem Kellerraum herauszukommen. Selbst der olfaktorische Angriff des ranzigen Öls tangiert mich nicht, sondern scheint mit seiner benebelnden Wirkung eher vorteilhaft. Ich habe am Ende des Tages alles Notwendige ausgetauscht. Ölfilter. Antihebeventil. Brenner. Der Grenzwertgeber zeigt endlich die richtigen Werte an. Ein klein wenig Zufriedenheit überkommt mich. Als ich auf die Uhr sehe, ist mein Feierabend längst angebrochen. Von den anderen Kollegen wird niemand mehr da sein. Ich streiche mir mit dem Pulloverärmel über die verschwitzte Stirn, rieche zum ersten Mal den Ruß und das verbrannte Öl deutlich. Meine Finger sind grau. Ich nutze die Abwesenheit der Kollegen um eine Taktung des Ölbrenners durchzuführen. Erst nachdem die Heizung nach dem An- und Abschalten sanft vor sich hin schnurrt, gehe ich in den Umkleideraum. Trotz der langen warmen Dusche fühlt sich mein Körper schwer und erschöpft an. Die Tatsache, dass ich seit Tagen nicht vernünftig schlafe, macht mir sehr zu schaffen. Ich brauche Urlaub. In Gedanken versunken bleibe ich vor meinem Spind stehen. Ich ziehe mir die Unterhose und Jeans über und schließe die Augen. In meinen Händen halte ich das feuchte Handtuch und rege mich erst, als ich höre, wie die Tür sich öffnet. Das klackende Geräusch von hohen Schuhen hallt durch den Raum. Kaley taucht am Ende des Ganges auf. Kurz sieht sie sich um, sucht nach weiteren Anwesenden, doch sie wird niemanden weiter finden. „Hey!“ Die große Schönheit lächelt. Ich ziehe mir das saubere T-Shirt heran und denke darüber nach, dass sie in der Umkleidekabine der Männer eigentlich nichts verloren hat. Nervös versuche ich mein Shirt überzuziehen und scheitere schon daran, dass ich es nicht vernünftig entfaltet bekomme. „Können wir reden?“ Sie kommt auf mich zu und lässt sich ohne eine Antwort abzuwarten auf eine der Holzbänke mir gegenüber nieder. Sie richtet sich den Rock, der durch das Sitzen mehr von ihrem Bein zeigt. Mehrmals zieht sie den Saum glatt, so lange bis sie einsieht, dass es keinen Sinn macht. Ihre Hände legen sich in ihren Schoss. Sie ist aufgeregt, denn ihre Finger beginnen augenblicklich aneinander rumzuspielen. Ihre Fingernägel haben heute die Farbe von dunklen Weintrauben. Ich schaffe es endlich, das Shirt überzustreifen. „Du gehst mir aus dem Weg“, sagt sie zutreffend. Dann halten ihre Hände plötzlich still und sie sieht mich eindringlich an. „Eleen, hör mir zu. Ich mag dich und mir ist egal, was du in der Vergangenheit getan hast. Ich weiß, wer du jetzt bist. Ich weiß, dass du ein einfühlsamer, zurückhaltender und lieber Mensch bist. Punkt.“ Die Worte sprudeln nur so hervor und als sie fertig ist, presst sie ihre wohlgeformten Lippen aufeinander, so als hätte sie etwas Peinliches gesagt. Ihre naive Offenheit irritiert mich, auch wenn sie mich im selben Moment ebenso beeindruckt. Ich könnte das nicht. In solchen Situationen fühle ich mich schon immer unwohl und so ist es auch jetzt. „Kaley, …“, setze ich an, doch ihre warmen, braunen Augen bringen mich dazu, wieder abzubrechen. Meint sie das wirklich ernst? Ist es ihr wirklich egal? In mir regen sich die allgegenwärtigen Zweifel. Ich weiß nicht, was ich ihr sage soll. Ich weiß nicht, was richtig und was falsch ist. In meinem Inneren schreit es danach, dass ich nicht möchte, dass sie sich mit meinen Problemen belasten muss. Egal in welcher Form. „Ich verstehe, warum du versuchst mich fernzuhalten…aber das musst du nicht. Ich kann damit umgehen.“ Ich bin mir nicht sicher, ob sie es wirklich versteht und zögere dementsprechend. Ihre schönen braunen Augen mustern mich intensiv, freundlich und voller Hoffnung. Es fühlt sich seltsam an. Neu und doch ist es genau dieses hoffnungsvolle Empfinden, welches ich gerade suche. „Bitte, lass uns zusammen ausgehen, so wie wir es letztens getan haben. Etwas Gutes essen. Neues entdecken. Lass uns reden und uns besser kennenlernen. Ich kenne da einen wirklich guten Italiener“, schlägt sie aufgeregt vor. Die Anspielung lässt mich verhalten lächeln. „Okay“, antworte ich leise, bin mir im Grunde nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist. Aber genau das brauche ich jetzt. Ihr Lächeln wird augenblicklich breiter. Sie strahlt erfreut und ebenso erleichtert. „Woher wusstest du, dass ich noch da bin?“, frage ich nach kurzem Schweigen während ich mich neben ihr niederlasse und die Beine ausstrecke. „Ich habe Micha gefragt, ob du noch im Haus bist. Er meinte, er sei dir den ganzen Tag nicht einmal begegnet, wäre sich aber sicher, dass du noch da bist. Ich weiß zwar nicht, wie er sich so sicher sein konnte, denn seine Nase steckte sehr tief in der neuen InTouch. Wirklich sehr tief.“ Beide Male zieht sie das Sehr deutlich in die Länge, verdreht die braunen Augen und kichert. Wahrscheinlich hat sie dasselbe Bild des rundlichen, stillen Pförtners im Kopf, wie ich. Der Pförtner und seine Klatschzeitungen sind in der Firma ein Running Gag. Kaley stupst mich leicht an. „Du kennst die InTouch?“, fragt sie frech und schaue sie für einen Moment verwundert an. „Sicher, Klatsch und Tratsch ist meine heimliche Leidenschaft“, gebe ich ebenso neckisch von mir. Eine glatte Lüge. Ich hätte ohne inhaltlichen Zusammenhang mit dem alten Pförtner nicht einmal gewusst, dass es sich dabei um eine Zeitschrift handelt. „So, so. Stille Wasser sind wirklich tief…“ Die schöne Dunkelhäutige kichert verschwörerisch und sieht mich an. Ihre Hand legt sich an mein Knie. Erneut bewundere ich die dunkelvioletten Nägel. Die Farbe passt wunderbar zu ihrem Teint und zu ihrer Bluse. Ich fühle mich neben ihr jedes Mal wie ein schäbiger Bauerntrampel. „Ist dein Bruder noch bei dir?“ Ich schüttele verneinend den Kopf. „Ich hab ihn nach Hause zu seiner schwangeren Frau und seiner Tochter geschickt“, antworte ich. „Ui, wie schön für die beiden. Aber wieso wirkst du unglücklich?“ Ihre Hand bleibt an Ort und Stelle. Ich kann nicht verhindern, dass mein Fuß vor Anspannung zu wackeln beginnt. „Das hat nichts damit zu tun. Ich bin müde. Ich hatte ein paar schlaflose Nächte, das ist alles“, sage ich beschwichtigend und ausweichend. Eine Lüge ist es nicht. Kaley mustert mich aufmerksam. Es ist immer noch sehr schwer für mich, derartig intensiv angesehen zu werden. Damit kann ich nicht umgehen. „Dann sollten wir endlich Feierabend machen…“ Ihre Finger streichen über mein Bein und sie richtet sich auf. „Ich hoffe, das Barson es auch so sieht...“, hängt sie kichernd mit ran. „Meine Daumen sind gedrückt“, erwidere ich. „Danke. Komm gut nach Hause“, sagt sie lächelnd, streicht sich den Rock glatt. Auch ich richte mich auf. „Du auch.“ Ich sehe ihr nach, als sie kurz winkt und Richtung Ausgang verschwindet. An der Ecke wendet sie sich mir noch einmal zu. „Vergiss nicht, wir haben morgen ein Date…“, sagt sie, so als würde sie aufgeregt eine Terminbestätigung einholen. Ein Date. Was auch immer das heißt. Kaley zwinkert, lächelt und verlässt den Raum. Mein Puls arbeitet. Ich spüre ihn in meinen Fingerspitzen. Deutlich und klar, so als würde ich direkt auf einen spielenden Bass fassen. Ein seltsames Gefühl. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Gerade als ich meine Schranktür schließe, nehme ich hinter mir eine Bewegung wahr. Ehe ich reagieren kann, drückt mich jemand gegen den Schrank. „Du hast es doch den Vorarbeiter gesteckt. Du elendiger Mistkerl. Du hast mich provoziert...“, knurrt mir Steven aggressiv ins Ohr. Drückt mich noch mal ruckartig gegen das kalte Metall des Spinds, so dass das sich das Schloss heftig gegen meine Hüfte drückt. Die Knöpfe meiner Jacke verursachen ein deutliches Geräusch auf dem Metall. Ich kann mich erst umdrehen, als er seinen Griff löst und mich wütend anfunkelt. -------------------------------------- Ps: Ein kartoffeliges Danke an meine liebste Beta. Danke für deine knolligen Mühen!!!! Ich habe die, von dir gewollten Kroketten aus dem Titel wieder entfernt xD In diesem Sinne! Kartoffelbrei! (Ich darf so spät nichts mehr hochstellen) Auch ein liebes Danke an euch tollen Menschen, die meine kleine Geschichte weiterhin verfolgen, obwohl ich so schrecklich lahmarschig bin. Ich gebe mir Mühe!!! 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