Behind the Wall von Karo_del_Green (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) ================================================================================ Kapitel 23: Ein Knochen, der bricht, wächst stärker zusammen ------------------------------------------------------------ Kapitel 23 Ein Knochen, der bricht, wächst stärker zusammen Ich schaffe es kaum ihn anzusehen, da stößt er mich wiederholt gegen den Schrank. Die Wut in seinem Gesicht ist beängstigend. Sie verzerrt sein Gesicht zu einer Fratze mit funkelnden Blick. Ich spüre, wie sich mein Herz pulsierend in meiner Brust bewegt und die Angst als Motor benutzt. Jeder Impuls als markerschütternder Beben, welches meinen Fluchtreflex aktiviert. Ich weiche zur Seite aus, doch er folgt mir prompt und verstellt mir erneut den Weg. „Oooh, wo ist denn dein großes Mundwerk? Na komm! Droh mir!“ Die letzte Aufforderung spukt er mir laut entgegen. Das Blut in meinen Ohren rauscht. Ich weiche erneut zurück. Es bleibt beim Versuch, denn Steven greift nach meinem Handgelenk und dreht mir den Arm hinten den Rücken und meinen Körper zurück gegen die Metallschrankreihe. Der blitzartige Schmerz, der mich durchzuckt, lässt mich aufkeuchen und sorgt dafür, dass ich mich unwillkürlich weiter nach vorn lehne. Das kühle Metall des Spinds trifft meine Wange, sorgt für einen Moment für bittere Erkenntnis. „Weißt du, was mich wirklich brennend interessiert...“, flüstert er und trotzdem schneidet sich seine Stimme Stahl, „Wie hast du im Knast überlebt, mh? Wie?“ „Fass mich nicht an…Lass los“ Sein Griff wird noch fester. Die Panik wird immer stärker. Ich spüre, wie sie an die Oberfläche steigt und meinen gesamten Körper ausfüllt. „Steven, lass mich endlich los...du machst nur schlimmer“, wiederhole ich und schaffe es nicht, das verräterische Zittern aus meiner Stimme zu bekommen. Beim letzten Teil bricht sie sogar. Er gibt einen Laut von sich, der klingt, als wäre ihm in diesem Moment etwas Bestimmtes eingefallen. Er presst mich heftig gegen den Schrank. Ich beginne mich zu wehren, reiße mich endlich von ihm los. Doch ich weiche nicht zurück, sondern greife nach seinem Kragen, drücke ihn stattdessen gegen das harte Metall. Steven wehrt sich nicht, grunzt nur vergnügt. Ich lasse ihn schnell wieder los. „Vier Jahre Knast. Ich kann nicht glauben, dass du nicht gefickt wurdest. Du warst doch gefundenes Fressen. Ganz hübsch bist du auch. Du bist die perfekte Pussi für jeden langsitzenden Knastbruder. Ein dreckiger Fick.“ Noch bevor ich begreife, was passiert ist, spüre ich heftigen Schmerz in meinen Fingerknöcheln. Mein Kollege taumelt zurück und rutscht dann zu Boden. Seine Unterlippe ist an der rechten Seite aufgeplatzt. Blut fließt langsam sein Kinn hinab. Meine Hand beginnt noch heftiger zu zittern. „Sicher weißt du ganz genau, wovon du sprichst.“, presse ich atemlos heraus. „Fick dich, de Faro!“, zischt er mir entgegen, „Wenn ich wegen dir den Job verliere, wirst du dafür büßen.“ Eine klare Drohung. Damit lässt er mich allein zurück. Den Weg in meine Wohnung nehme ich wie betäubt. Meine Fingerknöchel sind rot. Sie schmerzen und ich kann noch immer nicht fassen, dass ich ihn geschlagen habe. Das passt nicht zu mir. Das bin ich nicht. Ich lasse den Rucksack im Flur stehen, gehe ins Badezimmer und lasse mir kühles Wasser über die malträtierte Hand fließen. Mehrere Minuten lang, bis meine Finger taub sind. Was passiert hier? Ich verstehe einfach nicht, wie es dazu kommen konnte. Wer hat es dem Chef gesteckt? Mit einem Handtuch in der Hand schlürfe ich ins Wohnzimmer. Sofort geht mein Blick zu der rotblinkenden Anzeige an meinem Telefon. Die generierte Stimme informiert mich über einen eingegangenen Anruf. Sie wiederholt die Nummer. Ich kenne sie nicht. Das passiert in der letzten Zeit viel zu oft und verursacht mir augenblicklich Gänsehaut. Ich merke, wie sich meine Glieder anspannen und wie sich ein nervöser Kitzel durch meinen Körper arbeitet. Das Handtuch lasse ich auf die Couch fallen. „Eleen, hier ist Moore.“ Eine kurze Pause. Die Anspannung fällt von mir ab und das obwohl die Tatsache, von dem alten Detektiv zu hören, meistens nichts Gutes mit sich bringt. Ich höre den schweren Atem, der über seine Lippen flieht und stelle mir vor, wie er sich angestrengt aus seinem Auto hievt. „Hör zu, ich weiß nicht, wie ernst du es meintest, dass du den Kontakt zu Richard abgebrochen hast. Wenn es so ist, dann ist es die beste Entscheidung, die du treffen konntest. Das hörst du nicht gern, das weiß ich...“ Ein trockenes Husten unterbricht seinen Redeschwall. Ich lasse mich auf die Couch fallen und kippe zur Seite, Mit dem Kopf auf der Lehne bleibe ich liegen und höre dem alten Mann beim Husten zu. „Aber...es ist das Beste...“ Ein weiteres Räuspern. „Irgendjemand will dir an den Karren fahren und ich befürchte, dass es eskalieren könnte. Ich weiß, dass du nicht sehr viel Vertrauen in mich hast, aber du solltest auf mich hören. Junge, sei bitte vorsichtig“, sagt er als letztes und wieder nach einer Pause. Es folgt nur noch eine kurze Verabschiedung. Ich bleibe auf dem Sofa liegen, schließe meine Augen und fühle die erdrückende Leere, die mich in der letzten Zeit öfter einholt. Mit der Stille scheint sie sich immer weiter auszubreiten. Auch meine Gedanken drehen sich unaufhörlich im Kreis. Steven könnte derjenige gewesen sein, der in meine Wohnung eingebrochen ist. Aber er ist keineswegs derjenige, der mir all diese seltsamen Hinweise und Bilder schickt. Er weiß nichts von Richard. Er weiß nichts von der Familie Paddock und den ganzen Skandalen. Familie, echot durch meinen Kopf. Aber es passt in den Verlauf meines Lebens, dass ich ausgerechnet zwei Baustellen zur gleichen Zeit habe. Das Schicksal meint es einfach nicht gut mit mir. Schwerfällig richte ich mich und gehe in die Küche. Es riecht nach gebratenen Nudeln, denn noch immer liegen die feinsäuberlich gefalteten Pappverpackungen des chinesischen Essens im Müll. Nachdem ich das Fenster geöffnet habe, klaube ich die Essensreste zusammen, bewaffnet und verschwinde mit der Mülltüte in den Innenhof. Ich erkenne eine schemenhafte Gestalt, die sich an den Müllcontainern zu schaffen macht. Es rumst und knall. Es ruckelt mehrere Male begleitet von leisem, aber stetigem Fluchen. „Kann ich dir helfen?“, frage ich. Mark dreht sich zu mir um. Es braucht einen Moment, bis er mich in der Dunkelheit erkennt. Dann lächelt er. „Irgendwie hat sich die Klappe verklemmt. Ich kriege den Deckel nicht auf“, sagt er atemlos. Ich stelle meinen Müllbeutel neben Marks und gehe zu ihm. Hier im Innenhof gibt es kaum Licht. Ich ziehe naiv an der Klappe. Nichts. Ich schaue einen Moment suchend die einzelnen Teile ab. Die Scharniere sehen gut aus. Der Rahmen auch. Die Luke wirkt verzogen. Mit der Handkante klopfe ich dreimal gegen die Klappenunterkante, höre, wie sich das Metall ein Stück nach oben schiebt. Ich versuche erneut sie zu öffnen und es funktioniert mit etwas mehr Kraftaufwand. Schön, wenn sich Probleme so einfach lösen. „Okay, mein Freund hat Recht. Ich habe Puddingarme“, bemerkt Mark ernüchtert und hebt eine Augenbraue beeindruckend weit nach oben. Die benutzte Beschreibung für seinen Habitus lässt mich schmunzeln. Ob er mit Freund seinen Partner meint? Ich denke an das hübsche Mädchen, welches beim letzten Mal bei ihm gewesen ist und schelte mich im nächsten Moment, dass es mich gar nichts angeht und die klischeehaften Gedankengänge. „Wie nett von ihm“, merke ich an, halte Mark die Öffnung auf und sehe dabei zu, wie er unsere beiden Beutel in die Öffnung schubst. „Ich habe andere Qualitäten, die weiß er allerdings sehr zu schätzen.“ Der Kommentar lässt mich schmunzeln. Irgendwie beschämt. Anscheinend liege ich mit meiner Vermutung richtig. Ich werfe meinen Müll hinter her. „Mit deiner Wohnung wieder alles klar?“, fragt mich Mark auf dem Weg nach oben, mustert mich unauffällig. „Ja.“ Ich versuche zu lächeln, doch es gelingt mir nicht. Vor seiner Wohnung bleibt er stehen. Ich wünsche ihm einen schönen Abend und gehe weiter. „Und mit dir?“, fragt er etwas lauter hinterher. Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um. Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes irritiert mich. Er ist ehrlich. Aufrichtig. So etwas kenne ich nicht. Nicht von Fremden. „Geht schon…Danke.“ Diesmal lächele ich wirklich. Mark nickt und verschwindet dann in seiner Wohnung. Nach dem Händewaschen mache ich mir eine Kleinigkeit zu essen, schalte den Fernseher an und lasse mich den gesamten Abend berieseln. Nichts Kompliziertes. Nichts, was mich auch nur ansatzweise nachdenklich macht. Ich muss nicht mal danach suchen, sondern schalte nach dem Ende einer Sendung einfach auf den nächsten Kanal um. Unsere Fernseherkultur ist zum Davonlaufen, doch heute kommt sie mir gerade recht. Als mein Handy zu klingeln beginnt, schalte ich den Apparat nur etwas lauter. Ich schlafe auf der Couch ein, erwache am Morgen mit schmerzenden Knochen und schalte das hyperinformative Frühstücksfernsehen aus. In der U-Bahn hole ich mein Handy hervor. Ein verpasster Anruf. Es war Rick. Er hofft, dass meine Entscheidung nicht endgültig war und mein Herz antwortet ihm sofort mit einem Mark erschütternden Ruf der Sehnsucht. Ich darf nicht nachgeben. Ich muss stark bleiben. Es zerreißt mich innerlich. Ich fühle mich fürchterlich. Dank der Couchnacht merke ich jeden einzelnen Muskeln in meinem Körper und mit Sicherheit sind sie alle gegen mich. Mit einem leisen Raunen lasse ich meinen Kopf kreisen bis es einmal laut knackt. Selbst für meine Verhältnisse klang es mehr als gruselig. Ich blicke auf meine geröteten Fingerknöchel der rechten Hand und sehe auf als ich die Tür höre. Ein paar Schritte. Unwillkürlich halte ich die Luft an, doch es sind nur zwei Kollege aus dem Reinigungsdienst. Erleichtert bette ich meinen Kopf gegen die Schranktür und schließe die Augen. Als ich noch einmal zur Seite sehe, erblicke ich plötzlich  meinen Vorarbeiter und kann nicht verhindern, dass ich ein wenig zusammenschrecke. Ich richte mich irritiert auf und sehe fragend zu dem anderen Mann. Sein Gesicht ist, wie immer streng und dennoch wirkt er seltsam unentschlossen. „de Faro, gut, dass sie schon hier sind. Kommen Sie, ich will Sie einen Moment in meinem Büro sprechen... “, erklärt er sein Auftauchen. Ich nicke und folge ihm, nach dem ich sorgsam meinen Spind verschließe und meinen Schlüssel tief in die Hosentasche verschwinden lasse. „Schließen Sie bitte die Tür.“ Während ich der Bitte nachkomme, lässt er sich an seinen Schreibtisch nieder und seufzt synchron mit seinem Bürostuhl. „Setzen Sie sich.“ Auch dem komme ich nach. „Es wurden Unstimmigkeiten an mich herangetragen und...“, beginnt er und faltet seine Hände über seinem Bauch zusammen. Bevor er fortführt, räuspert er sich ausgiebig. Er fühlt sich nicht wohl. Was soll ich sagen? „...und diese betreffen wohl Sie, den Auszubildenden Maier und Herr Pfennig als Verursacher.“ „Unstimmigkeiten?“, wiederhole ich kritisch und ich sehe dabei zu, wie er auf seinem Stuhl nach vorn rutscht. Damit richtet er sich mehr auf und sitzt kerzengrade Unstimmigkeiten sind definitiv untertrieben. Es klingt es ginge es hier um ein geklautes Mittagessen. Es ist weitaus mehr. „Nennen wir es eine Meldung über konkrete Belästigungen durch einen Mitarbeiter.“, korrigiert. Für meine Verhältnisse nicht genug. Es ist erstaunlich, wie sehr er versucht es nicht beim Namen zu nennen. „Sexuelle Belästigung, Sir und mehr...“, benenne ich es nun konkret. Er räuspert sich auffällig. Wieder straffen sich seine Schultern und diesmal habe ich das Gefühl, dass jede Sekunde sein Körper implodieren könnte, so angespannt ist er. „Dann können Sie mir die Vorfälle bestätigen?“ Ich nicke und beginne ihm von einigen der Vorfälle zu berichten. Die gestohlene Personalakte. Der verwüstete und beschmierte Schrank. Das Sperma in meiner Trinkflasche. Der Übergriff. Mit jedem weiteren Detail kann ich sehe, wie sehr es ihn anekelt. Doch insgeheim wünscht er sich inständig, ich hätte alles abgestritten, der Vorwurf wäre verpufft und er könnte seinem gewohnten Alltagstrott nachgehen. Mit Kai hat er noch nicht gesprochen. Genauso, wie ich geht er davon aus, dass er nicht viel sagen wird. „Nun ja, die Anschuldigungen sind natürlich unerfreulich. Aber so lange ich keine Aussage dazu von Herr Maier habe und eine Stellungnahme von Herr Pfennig, ist es... schwierig... hier vorzugehen“, stammelt er rum. Unerfreulich, wiederholt sich in meinem Kopf. Mir fallen ganz andere Worte ein, mit denen ich Stevens Aktionen beschreiben würde. Etliche, die ich im Gefängnis gelernt habe und zweifellos zweifelhaft sind. Ich höre meinem Vorarbeiter eine Weile dabei zu, wie er versucht die Situation bestmöglich zu erfassen und einen Weg zu skizzieren, den seine Möglichkeiten vorgeben. Nachdem er endet, weiß ich nicht mehr, wie oft er das Wort Schwierig benutzt hat. Es ist auf jeden Fall eine Zahl im zweistelligen Bereich. Dass es nicht einfach wird, ist mir bewusst. Ich denke währenddessen darüber nach, von wem er es erfahren haben könnte und welche Auswirkungen es letztendlich haben wird. Viele Möglichkeiten gibt es nicht. Ich erfrage es auch nicht, denn im Endeffekt ist es egal, wer es war, der mehr Mut und Courage hatte als ich. Als ich die Tür zum Büro schließe, erfasst mich eine tiefe Unzufriedenheit. Das Gefühl begleitet mich den gesamten Tag über. So lange, bis mich kurz vor dem Feierabend eine Nachricht der schönen Dunkelhäutigen erreicht. Sie hofft um 19 Uhr Schluss machen zu können und fragt, ob ich sie wieder abhole. Sie freut sich. Ich fühle mich irgendwie überfordert und fahre mit einem wachsenden schlechten Gewissen zurück in meine Wohnung. Dasselbe Prozedere, wie gestern. Das rote Lämpchen der der Benachrichtigungsfunktion blinkt. Doch als die aufgezeichnete Nachricht einsetzt, bleibt es zunächst still. Wieder ist es das laute Atmen, welches durch den Hörer dringt. Es wirkt fast heiser und verursacht mir Schauder, die mir durch den Körper jagen und eisige Kälte auf meinen Gliedern hinterlässt. Bis tief in meine Knochen dringt sie ein. Es soll aufhören. Es soll enden. Mit zitternden Fingern entferne ich das Telefon langsam von meinem Ohr als endlich eine Stimme erklingt. „Zu spät..." Damit endet die Aufzeichnung und ich bleibe ermattet stehen, starre auf den nun wieder schweigenden Hörer. Was soll das heißen? Zu spät? Was ist zu spät? Die Unruhe, die mich überfällt, ist symptomatisch. Meine Gedanken fahren Achterbahn, während ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt bis er heftig rast. Mein Atem geht schnell und unruhig. Was, wenn der Unbekannte mich nun doch an Ricks Mutter verraten hat? Nichts hinderte ihn daran. Was, wenn jeden Moment die Polizei vor meiner Tür steht? Wer verdammt noch mal veranstaltet dieses Spiel mit mir? Ich lege mit zitternden Händen das Telefon zurück auf die Station. Nach kurzem Zögern nehme ich den Hörer wieder zur Hand und drücke auf die Wahlwiederholung, die mir dieses Mal eine Nummer anzeigt. Eine Nummer. Er hat einen Fehler gemacht. Ich lasse mir von der elektronischen Stimme die Nummer vorlesen. Dreimal. Bereits nach dem ersten Mal kann ich sie auswendig. Meine Hände werden einfach nicht ruhiger als ich entschlossen Moores Nummer eintippe. Ich erwische zwei Mal eine falsche Zahl, betätige den roten Hörer und fange von vorn an. So lange bis es klingelt und der alte Detektiv sich mit rauer Stimme meldet. Es folgt ein Husten und eine genuschelte Entschuldigung. „Können Sie Anrufe zurückverfolgen?“, frage ich, ohne zu erwähnen, dass ich es bin oder ihn in irgendeiner Form zu begrüßen. Ich bin viel zu aufgeregt. „Wie bitte? Wer ist da?“ Ein kurzes Räuspern. Ein Seufzen und dann murmelt er verstehend meinen Namen. „Wenn ich Ihnen eine Nummer gebe, können Sie herausbekommen von wem sie ist?“, setze ich erklärend nach. „Ich bin nicht mehr im aktiven Dienst, das weißt du. Und überhaupt, wieso sollte ich das tun? Immerhin hast du meine Hilfe eindeutig abgelehnt.“ „Ich bekomme seltsame Anrufe und meine damit nicht ihre. Vielleicht kriege ich so raus, von wem sie kommen. Wer sie…“, beginne ich meine Idee zu erklären, doch ich werde von dem schwermütigen Seufzen unterbrochen, dass mir von der anderen Seite des Hörers entgegenschlägt. „Oh Junge.“ Der alte Detektiv klingt verzweifelter als ich. Es entmutigt mich. Ich setze mich auf die Couch, schließe meine Augen und lasse meinen Kopf auf die Rückenlehne fallen. „Eleen, bist du dir sicher, dass du das machen willst? Wäre es nicht klüger, einen Schlussstrich zu ziehen? Einfach wegzugehen oder besser noch, geh nach Hause!“ Nach Hause, wiederhole ich flüsternd. Was heißt zu Hause? Seit dieser Nacht im Sommer habe ich keines mehr. „Können Sie mir helfen oder nicht?“, frage ich, ohne ihm meine Bedenken mit zu teilen. Ohne ihm und mir selbst einzugestehen, dass ich nicht dazu bereit bin, Richard vollständig loszulassen. Ich will immer noch hoffen, denn die Hoffnung hält mich am Leben. Außerdem will ich verdammt noch mal wissen, wer dieses Spielchen mit mir spielt und wieso. „Gib mir die Nummer. Ich werde schauen, was ich machen kann“, antwortet er nach einem weiteren lauten Atemgeräusch. Ich gebe ihm die eingeprägte Nummer durch. „Die Nummer sieht nach einer Telefonzelle aus“, höre ich ihn sagen. Telefonzelle? „Sowas wird noch benutzt?“, frage ich verwundert. „Sicher. Von sehr vielen sogar. Ältere und Leute, die kein Geld für ein Handy haben.“ „Sie müssen es ja wissen“, kommentiere ich und bekomme ein mürrisches Raunen als Antwort. Die Belehrung folgt auf dem Fuß. „Du willst meine Hilfe, also sei gefälligst respektvoll“, wettert er zurück. Ich muss ihn nicht sehen, um zu wissen, dass mich seine kühlen blauen Augen fordernd anblicken würden. Nur das Wissen darum setzt mich beschämten Gefühlen aus. Schon wieder eine Predigt. Ich habe sie verdient, entschuldige mich aber nicht. Ich höre, wie Moore am anderen Ende des Hörers seufzt. Es folgt eine Knistern und dann das typische Lutschgeräusch, welches seit neusten als Erkennungsmelodie des alten Mannes dient. „Ich melde mich morgen bei dir.“ „Danke.“ „Eleen... Pass auf dich auf.“ Damit legt er auf. Ich atme tief ein, spüre die imaginäre Schwere, die mich seit geraumer Zeit belastet. Ich werde aus dem alten Detektiv nicht schlau. Warum war er wirklich hier? Was sind seine wahren Motive? Er kann nichts ändern. Er kann den Tod von Renard Paddock nicht mehr rückgängig machen und genauso wenig er kann mir die vier Jahre Gefängnis zurückgeben. Seine Verbissenheit ist völlig zwecklos und doch bin ich seltsam erleichtert, dass er mir seine Hilfe nicht verweigert. Auch, wenn ich noch nicht abzusehen vermag, welchen Nutzen er sich daraus erhofft. Lustlos schleppe ich mich in die Dusche, brauche länger als gewöhnlich und stehe dann vor demselben Problem, wie beim letzten Mal. Mein Kleiderschrank ist für solche außerberuflichen Aktivitäten zur Abendstunde nicht genügend ausgestattet. Schon gar nicht in den kälteren Monaten. Lange werde ich der unausweichlichen Klamottenkauferei nicht mehr entgehen können. Ich ziehe den anthrazitfarbenen Pullover hervor, den ich schon beim letzten Mal getragen habe und blicke meine Beine entlang. Die Hose sieht halbwegs vernünftig aus. Etwas zerknautscht, aber zumutbar. Ich lasse meine nackten Zehen wackeln. Was mache ich hier? Mein Kopf neigt sich zum Schrank, bettet sich gegen das kühle Holz der Tür. Ich lasse meine Augen einen Moment lang geschlossen. Mir ist nicht nach Gesellschaft. Nicht nach Reden. Nicht nach Nähe. Vielleicht muss ich mich gerade deswegen zusammenreißen. Ich denke an die Worte meines Bruders, der mich ständig ermahnt mich nicht zu isolieren. Es fällt mir schwer. Im Badezimmer tausche ich meine Oberbekleidung, käme mir die Haare und werfe nur einen kurzen Blick in den Spiegel. Die Müdigkeit und die Unruhe der letzten Wochen ist mir deutlich anzusehen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es zu ignorieren und loszufahren. Kaley wird es nicht stören. Vor dem Bürogebäude bleibe ich stehen. Meine Finger sind klamm und obwohl ich seit mehreren Wochen merke, wie es kälter wird, habe ich noch immer nicht meine Winterkleidung herausgeholt. Das rächt sich nun. Ich schiebe meine Hände in die Enge meiner Hosentaschen. Es bringt kaum Veränderung. Ich beobachte die wenigen Leute auf der gegenüberliegenden Straßenseite, blicke suchend die Gesichter ab. Es ist kein Bekanntes dabei. Kein Typ mit Zigarette hinterm Ohr. Kein gealterter Detektiv, der mir aus einem Auto streng entgegenblickt. Als ich hinter mir Klackern von Schuhen höre, wende ich mich um. Diesmal hat Kaley es nicht geschafft, sich noch einmal umzuziehen. Sie sieht trotz alledem bezaubernd aus in ihrem schlichten roséfarbenen Rock und der weißen Bluse. „Entschuldige, dass du warten musstest. Irgendwann lässt er mich noch Nachtschichten schieben…“ Obwohl sie versucht amüsiert zu klingen, kann ich deutlich die Frustration heraushören. „Aber ich konnte entkommen und jetzt habe ich Hunger. Ich will Spaghetti alla Carbonara oder Pizza. Und zum Schluss einen dicken Eisbecher mit warmen Himbeeren!“ Ich glaube kaum, dass sie das alles schaffen wird. Sie hakt sich bei mir unter, lächelt und beginnt nach meinem Tag zu fragen, während wir zu dem Italiener gehen. Kaley bringt mich zum Schmunzeln und obwohl ich mich in ihrer Nähe immer wohler fühle, lasse ich die ungewöhnlichen Teile meines bisherigen Tages aus als sie sich nach meinem Befinden erkundigt. Der Anruf steckt mir noch tief in den Knochen. Ich lass es mir nicht anmerken. Im Restaurant wird uns ein kleiner Ecktisch zugewiesen. Direkt neben mehreren übereinander gestapelten Fässern. Sie sind alt und verströmen diesen einzigartigen Geruch von lange gegorenen Wein. Leichter Säure und süßen Trauben. Ich mag die Ruhe, die das Lokal ausstrahlt. Ich nehme Kaley die Jacke ab und hänge sie zusammen mit meiner eigenen an die kleine Garderobe um die Ecke. Aus dem Hauptraum dringen ein paar italienische Worte. Es klingt wie eine überschwängliche und freudige Begrüßung, gefolgt von heiterem Gelächter. Ich kann es mir nicht verkneifen, einen Blick zu erhaschen, doch ich sehen nur den Rücken eines großen, runden Mannes in einem schwarzen Anzug. Die Kellnerin kommt, als wir unsere Plätze eingenommen haben. Meine schöne Kollegin bestellt sich Rotwein. Sie nennt eine ganz bestimmte Sorte. Kaley bedankt sich auf perfekten Italienisch. Ich bin beeindruckt, wie flüssig die fremden Worte über ihre Lippen perlen. Wie sicher. Ich entscheide mich für eine einfache Cola. „Warst du schon mal in Italien?“, frage ich neugierig, schlage die Karte auf und bin mir im Grunde schon sicher, dass ich eine der hoch angepriesenen Pizzen nehmen werde. „Nein. Ich beherrsche nur ein wenig Angebervokabular.“ „Das aber sehr überzeugend.“ „Ja, man muss nur wissen, wie... und von Vorteil ist natürlich, wenn die anderen es nicht können.“ Es folgt ein mädchenhaftes Kichern. Es ist wie beim letzten Mal. Ich fühle ich mich unsicher, obwohl Kaley wunderbar ist. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und mir ist nicht klar, was sie erwartet. Ich wende meinen Blick auf die Karte, bin dankbar für die kurze Redepause, in der wir nach einer passenden Speise suchen. Ich schwanke zwischen einer herkömmlichen Pizza Prosciutto oder Pizza Caprese. Insgeheim wünsche ich mir Schärfe. „Meinst du, sie würden mir auf die Pizza Piccante extra Peperoni drauf tun?“ Kaley blickt mir mit einer Mischung aus Erstaunen und Unglauben entgegen. Sie greift die Speisekarte mit beiden Händen und beugt sich weiter zu mir nach vorn. „Du bist schon ein wenig verrückt, oder?“, sagt sie mit vollen Ernst und beginnt im nächsten Augenblick leise zu kichern. „Bekommst du von so scharfen Essen keine Magenschmerzen?“ Sie blättert ein paar Seiten weiter und beginnt, leise zu summen. Nein, ich habe noch nie Magenschmerzen von zu scharfen Essen bekommen. Was das angeht, bin ich wirklich hart im Nehmen. „Na ja, einmal habe ich einen Löffel puren Sambal Olek auf leeren Magen gegessen und ja, danach war mir etwas mulmig zu mute.“ Ihr Blick ist fantastisch. „Dein Ernst?“ Ich nicke und erneut beginnt sie zu lachen. Es klingt schön. Tief und ehrlich. Daran könnte ich mich gewöhnen. Während sie mir weitere Mal attestiert, dass ich verrückt sein muss, entscheidet sich hingegen ihrer vormaligen Ankündigung auch für eine Pizza. Eine mit Meeresfrüchten. Ich nehme die mit Schinken und grünen Peperoni. Als unser Essen kommt, lehne ich mich vor und inspiziere den Belag ihrer Teigware. Muscheln und Scampis. Ich schlucke angeekelt, als ich lauter kleine Tintenfischärmchen entdecke. Tentakel mit kleinen Saugnäpfe neben großen Käsefladen. Kaley interpretiert meine Abneigung als vollen Erfolg dafür, dass sie nun die Pizza vollkommen allein essen kann. Garantiert und äußerst perfide. Fischstäbchen sind das höchste aller Meerestiergefühle für mich. Meine Kollegin gibt eine Anekdote über warmgewordenes Sushi auf einer Firmenveranstaltung zum Besten und ich bin mir nach der lautmalerischen Beschreibung des plötzlichen Veranstaltungsendes sicher, kein Sushi probieren zu müssen. Auch nach der Beschwichtigung, dass das japanische Nationalessen unglaublich lecker und gesund ist. Während wir essen, kommen weitere Geschichten über die langatmigen und anstrengenden Firmensitzungen heraus, die eine erhebliche Vielfalt an kulinarischen Fehltritten aufweisen. Haggis. Froschschenkel. Fragwürdiges Chop Suey. Irgendwann sind wir wieder bei dem Thema bittere Arbeitszeiten. Sie ist nicht glücklich mit der Arbeit, die sie in Barsons Firma erledigen muss. Ich erinnere mich daran, dass sie bei unserem ersten Essen meinte, sie wünsche sich, eine eigene Firma aufzubauen. Sie war damals ausgewichen, was die Gründe angeht, weshalb es sich verzögert. „Was hindert dich daran, dich selbstständig zu machen?“, frage ich, greife nach meinem Glas Cola und lehne mich zurück. Bevor sie mir antwortet, pult sie einen der Shrimps aus einem Mozzarellahäufchen. Sie steckt ihn sich in den Mund und leckt danach über ihre tomatensoßenverschmierten Finger. Ich sehe deutlich, wie sie nach der perfekten Antwort sucht. Sie wird es nicht geben. Oft ist es die Furcht vor dem ersten Schritt, die einen daran hindert, einen neuen Weg einzuschreiten. Es sind die Fragen nach seinem eigenen Durchhaltevermögen, nach der inneren Durchsetzungsfähigkeit und der alles einnehmenden Überzeugung, es wirklich zu wollen. Diese Ängste können einen lähmen und im schlimmsten Fall alles verhindern.   „Na ja, es ist nicht ganz so einfach. Ich würde mich gern sofort selbstständig machen. Wäre da nicht mein Studienkredit und all die Dinge, die man im Vorfeld organisieren muss.“ Sie wiederholt die Spielerei mit einem kleinen Tintenfisch. „Man benötigt einen Businessplan, ein gewisses Startkapital. Eine Strategie für die Akquisition. Firmen, mit den man kooperiert, Mandanten und vieles mehr.“ Sie seufzt, nippt energisch an ihrem Wein und ein Tropfen der roten Flüssigkeit perlt von ihren dunklen Lippen. Sie streicht ihn davon und seufzt. Ich denke an Richard. Er würde genau wissen, wovon sie spricht. Wahrscheinlich könnte er ihr sogar helfen. Möglicherweise könnte er ihr sogar helfen. Aber im Grunde weiß ich gar nicht genau, was Richard eigentlich macht oder was er studiert hat.   „Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?“ Kaley lächelt, greift erneut nach ihrem Glas, trinkt aber nicht, sondern lässt den schlanken Stiel zwischen ihren Fingern tänzeln. Die rote Flüssigkeit schwingt hin und her, hinterlässt im ersten Augenblick einen feinen Film auf der klaren Oberfläche. „Entschuldige bitte.“ „Denkst du an ihn?“, fragt sie und lässt mich überrascht aufsehen. Es gibt kaum noch eine Minute, in der ich nicht an ihn denke und obwohl das Gefühl, ihn zu vermissen, durch diese lange Präsenz zu einem Teil meiner selbst geworden ist, entflammt die bloße Erwähnung ein alles einnehmendes Feuer in mir. Jedes Mal.   „Kaley, ich... weiß nicht...ob... “, setze ich an, doch sie unterbricht mich. „Erzähl mir von ihm. Von Rick.“ Nun nimmt sie einen Schluck. Ich rühre mich nicht. Es ist seltsam, die sonst nur von mir verwendete Kurzform seines Namens zu hören. Ich bin uneins. „Bitte“, hängt sie mit ran und lächelt. Einerseits denke ich noch immer, dass es besser ist, wenn sie so wenig wie möglich weiß. Zu ihrer Sicherheit und auch zu meiner und seiner. Andererseits habe ich das stille Bedürfnis danach, jemanden vertrauen zu können. Vielleicht kann sie jemand sein, der mir dabei hilft ein herkömmliches, normales Leben zu führen. Wie jeder andere auch. „Er ist mein ältester Freund. Seit ich mich erinnern kann, sind wir jedes Jahr im Sommer, mit dem Beginn der Schulferien an den See gefahren. Meine Mutter packte mich und meine zwei Brüder ins Auto und fuhr mit uns los. Sie mietet einen kleinen Bungalow mitten am Wasser. Jedes Jahr der Gleiche. Und egal, welches Wetter war, als wir ankamen, rannten wir als allererstes ins Wasser.“ Kaley schmunzelt amüsiert. Ist meine Erzählung doch der klischeehafte Einstieg eines typisch amerikanischen Teenie-Films. Ich wünschte es wäre so, denn normalerweise endeten diese Filme in einem Happy End. „Ich weiß bis heute nicht, wie sie es geschafft hat Jahr für Jahr den Aufenthalt zu bezahlen, doch ich bin sehr glücklich darüber. Denn nur deswegen traf ich ihn vor 16 Jahren.“ Es lässt mich schmunzeln, da die Erinnerung an unsere ersten Momente so viel Glück in mir erzeugt. Sein Lachen. Sein Selbstbewusstsein. Die liebevolle Fürsorge, als mich die Biene stach. Auch Kaley lächelt. „Wir waren im ungefähr gleichen Alter und seine Eltern besaßen ein Ferienhaus auf der gegenüberliegenden Seite. Sie verbrachten die Sommer ebenfalls immer dort und wir begegneten uns an einem der heißesten Tages diesen Sommers.“ Ich mache eine kurze Pause, sehe den kindlichen Richard geradewegs vor mir. Er trug kurze blaue Hosen und ein T-Shirt, was am Morgen mal weiß gewesen war und als ich ihn traf ein Tarnfleckenmuster trug. Seine Knie waren immer dreckig. Genauso, wie seine Hände. Die Biene. Das Eis. Mir wird warm ums Herz und die Sehnsucht brennt. „An so einem See kann man eine Menge entdecken. Die ersten Jahre waren so aufregend. Wir haben so viel Mist gebaut und so viele tolle Dinge erlebt“, erzähle ich und kann nicht verhindern, dass ich ins Schwärmen gerate. Rick war mein erster richtiger Freund und die Erinnerungen an die Zeit damals am See sind mit das Kostbarste, was ich besitze. „Irgendwann hielten wir auch den Rest des Jahres über Kontakt. Mit Briefen. Kleinen Päckchen. Hin und wieder ein Telefonat. So wie man es eben als Kinder macht.“ „Kaum auszudenken, da man doch heute ohne Handy vereinsamen würde“, witzelt sie. „Ja, stell dir vor, damals hat man sich vorwiegend von Angesicht zu Angesicht unterhalten und wenn jemand zum Treffzeitpunkt nicht da war, hat man einfach gewartet. Heute undenkbar.“ Sie beginnt herzhaft zu lachen und reißt mich mit. Trotzdem ist mein Lachen eher verhalten. „Okay, das klingt eigentlich wie die perfekte Geschichte, die man seinen Kindern am Lagerfeuer erzählt, wenn man mit ihnen an genau denselben See gefahren ist. Was ist passiert?“ Ich schließe für einen Moment meine Augen und habe sofort die Bilder von Renard Paddock im Kopf. Die Wut in seinen Augen. Die Aggression in seiner Stimme. Er hat es gewusst und er wollte, dass ich mich von Richard fernhalte. An diesen verhängnisvollen Abend hatte ich mich eigentlich mit Richard verabredet. Ich war wie gewohnt durch das Fenster seines Zimmers eingestiegen. Doch statt Rick empfing mich sein Vater. Er hatte dafür gesorgt, dass Richard zu einer Veranstaltung mit musste und keine Chance hatte um mir Bescheid zu sagen. Keine Widerrede. Keine Chance. Renard stand vor mir, bebte voller Zorn. Er würde nicht zulassen, dass ich seinen Sohn weiter verderbe. Als ich mich wiederholt weigerte ihn gehen zu lassen, packte er mich. Er würde es mir austreiben. Er würde dafür sorgen, dass mich Richard nicht mehr wollte. Seine groben Hände waren stark. Er tat mir weh. Bis er plötzlich von mir abließ. Rick riss ihn von mir runter, stieß seinen Vater zu Boden. Die Wut in seinen Augen war so intensiv, wie ich sie noch nie bei ihm gesehen habe. An diesem Tag hat er ihn so sehr gehasst. „Ein Mädchen?“, fragt Kaley neugierig und reißt mich aus den unschönen Erinnerungen. Ich brauche einen Moment bis ich ihre Frage verstehe. Sie möchte wisse, ob es ein Mädchen gewesen ist, die uns auseinander brachte. Unwillkürlich denke ich an Rahel und dann an Kaya. Ich schüttele meinen Kopf. „Gesellschaftliche Konventionen“, sage ich. Kaley sieht mir verwundert entgegen. „Wie meinst du das?“ „Rick kam aus gutem Haus. Ich nicht.“ Die einfachste und klischeehafteste Form der Erklärung für unsere Situation. Es war bei weitem nicht alles, aber das formuliere ich nicht und Kaley hakt dahingehend nicht nach. „Irgendwann waren seine Eltern der Überzeugung, dass ich ein schlechter Einfluss bin und wir zu viel Zeit miteinander verbringen.“ Ihr Blick wird ernst. Wahrscheinlich fragt sie sich, ob mein eingestandenes Verbrechen damit in Verbindung steht. Ich bin nicht bereit, ihr Einzelheiten zu erzählen und ich weiß nicht, ob ich das jemals sein werde. „Aber ihr seht euch wieder?“ „Nein, nicht mehr.“ „Wieso nicht?“, fragt sie überrascht. „Es ist besser so. Er hat eine kleine Tochter. Eine Familie. Er hat ein anderes Leben.“ Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme bei der Erwähnung von Kaya bricht. Es fällt mir so unendlich schwer. Ich rede mir ein, dass es der Wahrheit entspricht. Dass es wirklich besser ist, ihn zu vergessen, aber ich weiß, dass ich es niemals werde. Mit einem Mal spüre ich Kaleys Hand an meiner. Ihre Finger sind warm und weich. Ihr Daumen streicht liebevoll über meinen Handrücken. Direkt über die gerötete Stelle, die der Schlag in Stevens Gesicht hinterlassen hat. Ich sehe einen Moment dabei zu. Als ich aufsehe, schaue ich direkt in ihr lächelndes Gesicht. „Kaley, ich bin ein enorm kaputter Typ“, gebe ich flüsternd, aber bitter ernst gemeint von mir. Ich bin noch immer der Überzeugung, dass sich Kaley lieber von mir fern halten sollte und dennoch bin ich ihr so unglaublich dankbar, weil sie es nicht macht. „Weißt du, meine Oma sagte immer, dass ein Knochen der bricht, stärker wieder zusammenwächst. Also... und damit du es weißt, Die Liebe ist unantastbar“, merkt sie an, formt mit ihren Händen einen imaginären Bruch und schließt dann ihre Hand um einen ihrer Finger um die Stärke zu demonstrieren. Ihre zauberhafte Wärme berührt mich tief. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Kaley scheint damit zufrieden zu sein. Sie leert ihr Glas in einem Zug, klopft auf den Tisch und lächelt. Wir winken die Kellnerin heran und bezahlen. Zum Schluss gibt es noch einen wirklich guten Espresso, der meine liebreizende Kollegin dazu anheizt eine weitere Anekdote von sich zu geben. Der Praktikant und der Kaffeeautomat. Wir lachen geschlagene fünf Minuten und ich kann erst aufhören, als Kaley kichernd zur Toilette verschwindet. Ihr Lachen ist unglaublich ansteckend. Genauso, wie Richards. Er fehlt mir so. Mittlerweile ist es stockdunkel. Der Himmel klar. Durch die Kälte fällt mir ein, dass sich Kaley ihren Eiswunsch nicht erfüllt hat. Ich nehme mir vor, sie irgendwann auf ein Eis einzuladen. Sie winkt sich ein Taxi heran, bleibt vor mir stehen und greift nach meinen Händen. „Danke, dass du dich ein wenig geöffnet hast. Ich weiß, dass dir das nicht leicht gefallen ist. Danke für den schönen Abend.“ Denn den Dank habe ich nicht verdient. Eigentlich müsste ich ihr danken. Ich weiche ihrem intensiven Blick aus. Sie beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf die Wange. „Komm gut nach Hause.“ Kaley lächelt und wendet sich dem Taxi zu. Ich halte sie zurück, weil  da noch etwas anderes ist, was mir auf der Seele brennt. „Hey,....ähm...“, halte ich sie zurück, “Hast du mit jemanden über die Vorfälle mit Steven gesprochen?“ Kaley beißt sich nervös auf die Unterlippe als sie sich zu mir umdreht. „Das habe ich. Ich habe eine Situation mit dem Azubi beobachtet und euren Vorarbeiter darauf angesprochen...“, gesteht sie mit gefestigter Stimme und sieht mich trotzdem eher zurückhaltend an, „Ich teilte ihm auch mit, dass ich von anderen Belästigungen weiß und das er mit dir reden soll. Eleen, ich konnte nicht anders. Das, was Steven mit dir abzieht, ist widerwärtig und der Azubi ist so eingeschüchtert, das er sich kaum traut auch nur atmen, wenn Steven es ihm nicht erlaubt. Das ist keine gute Arbeitsatmosphäre. Ich musste es tun.“ Kaley versucht sich zu rechtfertigen, dabei hat sie nur das Richtige getan und das, was ich selbst längst hätte tun sollen. „Gut“, sage ich, „Gut, dass du es gesagt hast.“ Sie nickt erleichtert, greift nach meiner Hand und drückt sie. Ich sehe dabei zu, wie sie in das Taxi steigt und mache mich auf den Weg zur U-Bahn. Nur drei weitere Personen sitzen mit mir im Wagen. Eine Rothaarige mit leuchtend roten Schuhen. Ihr Kopf bewegt sich langsam im Takt einer Musik, die aus ihren Kopfhörer dringt. Sie schlägt immer wieder die Beine abwechselnd übereinander. Ich sehe zu dem älteren Herren, der mir gegenüber sitzt. Er schlummert. Ich hoffe es jedenfalls. Man sieht ihn kaum atmen. Beim Hinausgehen stoße ich leicht gegen seinen Fuß und bin seltsam erleichtert als sich der alte Herr regt, räuspert und weiterschläft. An der Haustür bleibe ich einen Moment stehen, sehe mich um. Ich suche nach verräterischen Schatten. Es ist alles ruhig. Nichts Auffälliges. Nichts im Briefkasten. Fast zu gut, um wirklich wahr zu sein. Auf der letzten Treppe zu meiner Etage werde ich langsamer, sortiere den Schlüsselbund in meiner Hand und stoppe. Ich erkenne ihn bereits an den Schuhen. Die letzten Stufen nehme ich schnell und aufgeregt. Er ist es. Rick sitzt mit dem Kopf auf seinen Armen und Knien abgelegt auf dem kleinen Absatz vor meiner Tür. Er schläft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)