Behind the Wall von Karo_del_Green (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) ================================================================================ Kapitel 28: Der Moment der Stille im Angesicht des Donners ---------------------------------------------------------- Kapitel 28 Der Moment der Stille im Angesicht des Donners Das Entsetzen über die Verwendung des Namens hält sich mit einem tiefgehenden Zittern in meinen Knochen. Es vibriert bis ins Mark hinein und ich ringe um Fassung. Wie kann es sein? Woher kennt er meinen Spitznamen. Ist es ein Zufall? Hat er ihn irgendwoher mitbekommen können? Habe ich ihn ausgeplaudert? Vielleicht vor Kaley? Ihr habe ich von Rick erzählt. Doch ich bin mir sicher, dass sie es niemanden gegenüber erwähnt hätte. Wieso auch. Sie hätte keinen Grund. Dennoch werden es nur noch mehr Fragen, die in meinem Kopf entstehen und nach Antworten verlangen. „Wieder sprachlos? Dabei wollte ich unbedingt mal sehen, wie du ausrastest.“ Das provozierende Grinsen in Stevens Gesicht weckt viel mehr als Rage und Unmut. Es schürt vor allem Furcht, vor dem, woran er beteiligt sein könnte. Es ist nicht das erste Mal, dass mir der Gedanke kommt, dass er etwas mit den Vorkommnissen zu tun hat. Aber bisher hat es für mich keinen Sinn ergeben. Ja, wir mögen uns nicht. Wir mochten uns von Anfang an nicht, obwohl ich ihm nie Anlass dazu gegeben habe. Ich erinnere mich an das seltsame Gefühl, welches mich bis ins Mark traf, als er mich in der ersten Mittagspause unentwegt anstarrte. Es war nichts, was ich nicht auch aus dem Gefängnis kannte und obwohl zunächst nichts passierte, ließ es Obacht zurück. Es ist wie ein Reflex. „Warum zur Hölle tust du das? Macht es dir Spaß? Geilt es dich so sehr auf?“, frage ich angestachelt. Steven lacht auf. „Es macht großen Spaß, zu sehen, wie du dich windest, ist unglaublich geil.“ „Du bist ekelhaft“, zische ich. „Es macht dich doch genauso an. Steht er dir schon?“ „Das wirst du wohl niemals wissen.“ „Du kotzt mich so an, weißt du das? Du machst einen auf unschuldig und bist der größte Lügner von allen.“ Der abrupte Wechsel der Stimmung ist spürbar und es lässt jeden Muskel in meinem Körper zucken. Unter meiner Zunge beginnt es zu jucken. Ich schlucke schwer. „Was weißt du schon“, bringe ich hervor. „Mehr als du denkst, denn ich durchschaue dich. Ja, ich sehe all die Abgründe, all die dunklen kleinen Abartigkeiten.“ Stevens Blick ist starr, ohne Regung, ohne die geringste Emotion. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Du bist nur ein krankes Arschloch, was sich daran aufgeilt, anderen nachzusteigen!“ „Ich zeig dir krankes Arschloch…“, zischt er mir entgegen und stößt mich mit der flachen Hand zurück, sodass ich gegen die Wand pralle. „Steven!“, ertönt es am anderen Ende des Flurs vom Büro des Vorarbeiters aus. Stevens linkes Auge zuckt noch im gleichen Moment. Er wendet seinen Blick nicht von mir ab, während ich flach atmend auf die pulsierende Vene starre, die sich unter demselben Auge abzeichnet. „Pfennig, verschwinden Sie endlich! Denken Sie nicht, Sie haben schon genug Ärger! Nehmen Sie ihre Sachen und dann raus. Ich werde es nicht wiederholen“, sagt er mit fester Stimme. Nun pressen sich Stevens Zähne aufeinander. Ich erkenne es deutlich an der Spannung in seinem Kiefer und als sich seine Lippen etwas öffnen. Er richtet den Saum meiner Arbeitsjacke, ehe er endlich einen Schritt zurück macht und dabei die Hände abwehrend in die Luft hebt. Steven wirft dem Vorarbeiter einen vielsagenden Blick zu, der in diesem Augenblick bei uns ankommt. „Miese Drecksfirma“, spuckt er, kehrt in den Umkleideraum zurück, aus dem er seinen Rucksack holt. Ein letztes Mal bleibt er auf meiner Höhe stehen und starrt mich an. Ich kenne diesen Blick. Roh. Zornig. Zerstörend. Ich spüre, wie die Anspannung nachlässt als ich Steven um die Ecke verschwinden sehen. „Entschuldigt mich. Ich brauche frische Luft.“, erkläre ich und die Hand, die eben noch meine Schulter berühren wollte, zieht sich augenblicklich zurück. Der Vorarbeiter nickt und ich laufe in die entgegengesetzte Richtung, in die Steven verschwunden ist. Mir ist warm, obwohl meine Hände eiskalt sind. Mir ist schlecht, obwohl eben noch mein Magen knurrte. Im Grund ist nichts, was ich spüre, klar und deutlich. Nicht in diesem Moment. Ich fühle die Ohnmacht in jedem Winkel meines Körpers und fast so schlimm, wie an diesem einen Tag. Ich muss hier raus. Ich brauche frische Luft. Die immer gleich aussehenden Kellergänge des Gebäudes nehmen die Orientierung. Es dauert etwas, bis ich endlich einen geeigneten Ausgang finde, presse meinen ganzen Körper gegen den Querhebel, der die Feuerschutztür öffnet und trete in den mit Böschungen gesäumten Außenbereich, der oft von den Rauchern genutzt wird. Nur wenige Sekunden, nachdem sich die schwere Tür mit einem deutlichen Rumms schließt, geht sie wieder auf. Das Klicken des Schlosses, des Stangengriffs. Mein Herz poltert laut durch meinen Körper. Alles in mir erbebt erneut in der Annahme, dass plötzlich Steven hinter mir auftaucht und seine Torturen fortsetzt. Doch dann schiebt sich Kaleys schwarzer Haarschopf hervor. Sie schaut zur falschen Seite und murmelt meinen Namen, welcher wie ein tiefes Zirpen klingt. Erst beim zweiten Versuch erblickt sie mich, hüpft hervor und lässt die schwere Tür ins Schloss fallen. Ich atme angestrengt aus und war mir bis eben nicht bewusst, dass ich die Luft angehalten habe. „Hier bist du. Du bist eben an mir vorbeigerauscht und hast nicht auf meine Rufe reagiert.“ Mein Herzschlag ist so laut, dass ich den Anfang gar nicht verstehe. „Oh, tut mir leid. Ich war in Gedanken.“ Und bin es eigentlich noch immer. Mein Verstand driftet stetig tiefer hinein. „Scheinbar so sehr vergraben, dass ich eine Schaufel hätte mitbringen sollen.“ Nun sehe ich wieder auf. „Schaufel?“ „Naja, um dich aus deinen Gedanken zu buddeln“, erklärt sie mit einem verlegenen Lachen, welches ihrem Gesicht eine zärtliche Weichheit verleiht. Es ist ansteckend und ich erwidere es mit einem Lächeln. Sie macht zusätzlich eine Bewegung, die beweist, dass Kaley noch nie in ihrem Leben eine Schaufel in der Hand hatte. „Dafür brauchst du schon einen Bagger“, gebe ich ehrlich zu und ziehe mich an den Betonabsatz hoch, um mich zu setzen. Kaley folgt mir, schafft es aber nur mit meiner Hilfe hoch. „Vielen Dank. Oh, hier…“, sagt sie, als sie sich ordentlich positioniert hat und reicht mir etwas aus der Tüte, welche die ganze Zeit an ihrem Handgelenk baumelt wie eine Ersatztasche. Das, was sie mir gibt, ist eine kleine Packung mit einem runden Stück Kuchen darin. „Was ist das?“ „Ein Biskuit-Baumkuchen mit Matcha. Ich war gestern nach der Arbeit noch in einem Asiamarkt und ich habe lauter Zeug gekauft, von dem ich nicht wirklich weiß, was ich eigentlich damit mache. Aber vollkommen egal, ich finde schon Rezepte. Da habe ich auch die Baumkuchen gefunden und gleich an dich gedacht, also habe ich welchen gekauft.“ „Baumkuchen?“, erfrage ich. Bei genauer Betrachtung erkenne ich tatsächlich eine Art Baumringe. Es ist hübsch. Die äußeren Ringe sind leicht grün. „Was ist Matcha?“ „Du bist Kaffeetrinker, habe ich ganz vergessen. Matcha ist pulverisierter grüner Tee aus Japan. Mittlerweile wird er nicht nur getrunken, sondern daraus werden auch etliche Süßspeisen hergestellt. Wirklich toll. Mousse. Kuchen. Torten. Schokolade. Alles so hübsch grün.“ „Ich mag grün.“ „Ich auch. Und ich trinke gern grünen Tee. Wobei ich ohne Kaffee nicht lange überlebe“, plaudert sie heiter und ich genieße es, ihr einfach zu zuhören. Ihrer tiefen warmen Stimme zu lauschen. Ich fühle mich besser, weil ich nicht mehr allein bin und sie so herrlich nach Sommer duftet. „Eleen? „Hm?“ „Vielleicht sollten wir doch mal japanisch Essen gehen, was sagst du?“, wiederholt sie die Frage, die ich scheinbar nicht mitbekommen habe. „Ich weiß nicht, ob ich nach deiner Sushi-Erzählung vom letzten Mal objektiv dran gehen kann.“ „Wir müssen ja kein Sushi essen. Es gibt ja auch unglaublich viele Nudelgerichte, oder Onigiri, Takoyaki und Ramen“, zählt sie begeistert auf, tippt dabei abwechselnd die Fingerspitzen ihrer linken Hand an und ich verstehe fast nur Bahnhof. Nur die letzte Aufzählung sagt mir etwas. „Oh, das ist diese Suppe, nicht wahr? Das mag ich.“ „Na, dann haben wir ein Date. Ich kenne da nämlich den besten Ramenshop der Stadt und er hat dieses vorzügliche Schwarze-Sesam-Eis. Der Traum von einem Nachtisch, den selbst du mögen wirst.“ Obwohl ich es mir nicht vorstellen kann, habe ich große Lust, es zu probieren. Kaley klatscht freudig in die Hände und spätestens jetzt hätte sie mich überzeugt. „Klingt sehr gut“, erwidere ich und öffne die Kuchenverpackung. Ein süßer, aber unbekannter Duft weht mir entgegen und ich schaue mir zunächst die hübschen gleichmäßigen Ringe des Gebäcks an. Ich frage mich, wie so etwas hergestellt wird. „Also, wie geht es dir?“, fragt sie nicht unerwartet. Ich spüre ein Kitzeln in meinem Nacken. „Wie geht es dir?“, gebe ich ihr die Frage zurück, mit festerer Stimme als ich mir zu getraut hätte und schaue in ihr verblüfftes Gesicht. Ihre braunen Iriden mustern mich eingehend und ihr Gesichtsausdruck wechselt zurück in diesen besorgten, fürsorglichen Zustand. Kaley legt ihren Kopf schief, blickt auf ihren Baumkuchen und wieder zu mir. „Nun ja, ich musste heute Morgen aufstehen, was ich als fürchterlich empfand, weil ich schlecht geschlafen habe. Meine Kollegin hatte keine Zeit, um mit mir Mittagessen zu gehen, deswegen habe ich Eis gegessen und habe nun Bauchschmerzen.“ Ihre Stimme ist ein Meisterstück der Theatralik. Ich bin mir sicher, dass sie übertreibt und doch lässt mich die Vorstellung schmunzeln. „Und trotzdem hast du vor, das da essen?“, frage ich und deute auf den nach Zucker und Konservierungsstoffen schreienden Kuchen, der auf ihrem Schoss liegt. Sie nickt keck. „Ich bin eine erwachsene Frau und nichts kann mich davon abhalten, meine Süßigkeiten zu essen“, erklärt sie mit erhobenem Haupt und glänzenden Augen. Ihr Lächeln ist sanft und frei. Es steht ihr unglaublich gut. „Nicht mal die Vernunft?“, gebe ich zu bedenken und lege im Grunde keinen Wert darauf, sie in irgendeiner Form von ihrer Ansicht abbringen zu wollen. Sie hat alles Recht der Welt, die Dinge zu tun, die sie liebt. Wir alle haben dieses Recht. „Wird überbewertet.“ Nun lache ich auf und Kaley setzt ebenfalls ein. Noch während wir restglucksen, nehme ich ihr den geschlossenen Kuchen weg und packe ihn zur Seite. Ihre Beschwerde ist nur Makulatur. „Du solltest besser einen Tee trinken und ihn dir für morgen aufheben.“ „Okay, dann siegt heute mal die Vernunft“, gibt sie schneller zu als erwartet und ich merke gleich darauf warum, „Nun du! Wie sieht es bei dir aus?“ „Ich habe ganz gut geschlafen.“ In Ricks Armen, mit zu berauschender Wärme, sodass ich am liebsten niemals aufgestanden wäre. „Eleen.“ „Sie haben Steven entlassen und er gibt mir die Schuld“, sage ich nun das Offensichtliche. Kaley hat es sicher mitbekommen. Immerhin hat auch sie dazu beigetragen, dass das Ganze an Fahrt aufnahm. „Ich weiß, dass sie ihn entlassen haben und es war richtig so. Er hat vielen Leuten in der Firma Ärger gemacht. Nicht nur dir und Kai. Also, was auch immer dir durch den Kopf geht, ich sage dir klar und deutlich, du bist nicht daran schuld.“ „Er sieht es anders.“ „Und wenn schon, dann soll er Beschwerde einlegen, soll er sich einen Anwalt nehmen.“ „Kaley, glaub mir, er ist nicht der Typ, der sich einen Anwalt nimmt. Er ist der Typ, der mir in den Schrank onaniert“, sage ich so klar und deutlich, wie es nun mal ist. Es wäre ja nicht das erste Mal. Wieder perlt mein Name über die schönen vollen Lippen. Diesmal mit deutlicher Sorge. Ich wünschte es wäre so, wie Kaley es sagt. Ich wünschte, sie würde sich nicht irren. Doch das, was für andere unvorstellbar scheint, ist für andere grausame Realität. Ich stecke mir den letzten Rest des Kuchens in den Mund, genieße die herbe Süße auf der Zunge und hüpfe von dem Betonabsatz. Am Boden gelandet, atme ich tief ein und lächele meine schöne Kollegin an. „Ich mache mich jetzt vom Acker. Vielleicht versuchst du auch mal, früher nach Hause zu gehen? Du könntest deinen Magen auf der Couch auskurieren und ich empfehle dir, Tee zu trinken, das hilft meistens gegen Magenschmerzen.“ „Vielen Dank, Dr. de Faro, stellst du mir auch das Rezept aus, dass ich dann Barson geben kann?“ „Ich schreibe dir gern so viele Rezepte aus, wie du möchtest. Aber ich befürchte, dass sie Barson egal sind.“ Es tut mir fast leid, sie zu ernüchtern. „Ja, befürchte ich auch“, erwidert sie kichernd. „Ich habe noch einen Stapel Unterlagen zu sichten, der Lebensgröße hat.“ Ich empfinde großes Mitleid mit ihr. Ich bedanke mich ein weiteres Mal für die süße Aufmerksamkeit und wir wünschen uns jeweils einen nach allen Umständen hinnehmbaren Abend. Ich hoffe wirklich, dass Kaley heute früher nach Hause gehen kann. Die Fahrt nach Hause fühlt sich an wie ein Spießroutenlauf in Watte. Jedes Geräusch bereitet mir Unbehagen, weil es im gleichen Moment weit entfernt und direkt an meinem Ohr erscheint. Ich spüre alles auf meiner Haut, wie kalter Schweiß. Jede noch so kleine Berührung lässt mich zusammenfahren. Ich sehe Gespenster, höre sie, rieche sie. Doch der Geschmack in meinem Mund bleibt durch und durch bitter. Erst als ich die Wohnungstür hinter mir schließe, atme ich richtig ein. Einmal. Zweimal, um gleich darauf in den nächsten Gefühlspool zu schliddern, weil mich der eisige Schauer erfasst, der sich ausbreitet, sobald ich meine Wohnung betrete. Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch steigt mir in die Nase, obwohl er nicht da ist. Ich lege den Inhalt meiner Taschen auf der Kommode im Flur, ziehe die Schuhe aus und gieße mir ein Glas Wasser in der Küche ein. Ehe ich trinken kann, höre ich, wie mein Handy zu klingeln beginnt. Mit dem Glas in der Hand bleibe ich im Flur stehen und fokussiere das nervige Gerät, welches in der Jackentasche zurückblieb. Ich muss mit Bedauern feststellen, dass es nicht aufhört zu singen. Ich atme schwer aus, gehe zurück und greife nach dem Telefon. Es ist Moore. Ich erkenne die Nummer und trotz meines hervorbrechenden Unwillens gehe ich ran. „Sie schon wieder“, entflieht es mir angestrengt. Es ist gar nicht so gemeint, aber das unangenehme Gefühl in meiner Magengegend, welche die Stimme des alten Detectives in mir auslöst, lässt sich einfach nicht abschalten und ebenso wenig verdrängen. Er knurrt als Antwort, klingt dabei wie ein Braunbär mit Verstopfung. Ich lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Küchenzeile, während er noch ein paar Zeilen wie `Bengel, pass bloß auf` und ´Kein Respekt` hinterher murmelt. Ihn am Telefon zu haben, bedeutet nichts Gutes und dennoch schleicht sich ein schwaches Lächeln auf meine Lippen. Vielleicht ist es nicht mehr als Resignation und der Versuch, in der Bitterkeit ein Funken zusehen. Mir bleibt nichts anderes übrig. „Bist du jetzt bereit, mir etwas Respekt entgegenzubringen und zuzuhören?“ Ich gebe nur ein Raunen als Antwort, welches so interpretiert werden kann, wie er es gern möchte und bin froh, dass es ihm ausreicht und er endlich zu reden beginnt. „Ich habe in Erfahrung gebracht, dass, Wochen bevor deine Akte gestohlen wurde, eine Anfrage zur Einsicht ans Archiv des Reviers ging. Sie kam von der Redaktion einer Bezirkszeitung.“ „Bezirkszeitung?“, erfrage ich skeptisch. „Ja, so ein provinzkommunales Käseblatt. Angeblich ging es um eine Recherche zur Thematik der kommunalen Kriminalprävention im Zusammenhang mit Jugendkriminalität im Binnenraum von Großstädten. Die angeforderten Akten waren überwiegend zum Thema kleinerer Diebstähle und Vandalismus. Graffiti. Sonstige Sachbeschädigung. Also überwiegend Incivilities. Außer deine. Die Sachbearbeiterin hat zum Glück gemerkt, dass deine Akte nicht freigegeben werden durfte, da sie einen Sperrvermerk hat. Aber sie erinnert sich daran, dass sie die Aktennummer notierte und den Hinweis zur Verweigerung der Herausgabe darauf notierte. Dieser Zettel könnte versehentlich als Kopie mit rausgegangen sein.“ Ich habe in der Mehrheit keine Ahnung, wovon er eigentlich spricht und das muss ich auch nicht. „Okay, und das heißt, Sie sperren die arme Frau jetzt ein wegen eines Formfehlers?“, frage ich und bin mir sehr wohl bewusst, wie sarkastisch ich dabei klinge. Moore ist immerhin der Rächer des Fehlverhaltens. „Komiker, natürlich nicht! Normalerweise hätte die Aktennummer keine Auswirkung, wenn man keinen Zugriff auf die polizeilichen Datenbanken hat. Es wären nur Zahlen und Buchstaben. Aber sie ist natürlich sehr hilfreich, wenn man vor hat, die Akte zu stehlen, du Schlauberger.“ „Dann denken sie, dass derjenige, der die Anfrage gestellt hat, meine Akte klaute?“ „Naja, kennst du jemand mit dem Namen Martha Hoffmann?“ „Nein.“ „Hätte mich auch gewundert. Sie gehört zu dem Rechercheteam der Zeitung und hat an diesem Tag mehrere Anfragen an Polizeireviere gestellt. Sie erinnert sich nicht im Einzelnen daran. Nur, dass der Redakteur es eilig hatte. Danach folgte die direkte Anfrage ans Revier nach Herausgabe, die ebenfalls abgelehnt wurde. Erinnerst du dich?“ „Ja.“ Natürlich erinnere ich mich. Eine Woche danach wurde die Akte gestohlen und niemand hat es gemerkt. Die Wahrscheinlichkeit, herauszubekommen, wer es gewesen ist, ist zudem in den niedrigstelligen Bereichen, wenn nicht sogar Minus. „Gut, aber wieso erzählen Sie mir das?“ „Weil ich noch auf einen anderen Namen gestoßen bin, der dich interessieren wird.“ Unwillkürlich halte ich die Luft an, während mein Herz so heftig schlägt, dass ich Moore kaum noch durch das Telefon höre. „Jaron Miers.“ „Richards Freund?“, frage ich verblüfft. „Er ist Journalist. Wusstest du das nicht?“ „Nein, woher?“ „Also hat dir Richard nichts darüber erzählt“, sagt er und klingt dabei fast ein wenig schadenfroh. Er fühlt sich bestätigt, in all seinen Mutmaßungen und Annahmen, die er mir über Rick auftischt. „Sein lieber Freund arbeitet als investigativer Journalist, nicht unbedingt erfolgreich, daher übernimmt er bei mehreren kleineren Redaktionen hin und wieder geplante Füllartikel und siehe da, bei dieser speziellen Bezirkszeitung schreibt er überwiegend zu kriminalistischen Themen.“ „Dann kam die Anfrage nach den Akten von ihm?“ „Nicht offiziell, aber mutmaßlich.“ „Mutmaßlich ist kein Beweis.“, erwidere ich schnippisch. „Willst du echt so anfangen?“ „Ich sage nur, wie es ist.“ „Überleg doch mal, der Tod von Renard Paddock hatte Auswirkungen auf die gesamte Firma und soweit ich weiß, war Miers Mutter ebenfalls für die Paddocks tätig.“ „Sie war seine Sekretärin.“ „War sie das? Interessant.“ Es klingt verdächtig. Ich bin mir sicher, dass er das längst wusste. „Denken Sie etwa auch, sie hatten eine Affäre?" „Denkst du das denn?“ „Spielt es eine Rolle?“ „Es spielt im Grunde keine Rolle, wenn sie durch den Tod Paddocks ihren Job eingebüßt hat, dann hatte es vor allem finanzielle Auswirkungen, die auch er spüren musste. Privatschulen sind teuer. Vielleicht gibt Miers dir die Schuld dafür, dass seine Familie nicht mehr das schöne, glitzernde Leben hatte." „Mutmaßungen“, sage ich schlicht. Moore raunt auffällig und endet mit einem Hustenanfall. Ich gebe ihm die Zeit, sich zu beruhigen und wälze selbst die Gedanken hin und her. Sicher könnte es schlicht Rache sein. Doch dann hätte er einfach nur dafür sorgen müssen, dass die Polizei davon erfährt, dass ich das Kontaktverbot breche, nachdem er mich quasi zu Richard hingeführt hat und ich hätte längst den Rest meiner Strafe abzusitzen. Es wäre der effektivere Weg. Warum also spielt er diese Spielchen? Er ist Ricks Freund. Ich verstehe es nicht und das macht es so unendlich ermüdend. Moore auf der anderen Seite der Leitung hat sich wieder beruhigt. Nach Räuspern, lautem Knistern und einem Geräusch, dass ich nicht identifizieren kann, spricht er erneut. „Ich werde noch ein paar Fragen stellen.“ „Warum?“, erkundige ich mich leise. Es fällt mir zusehends schwerer, all diesen verwirrenden Gedanken zu folgen. Könnte es Jaron sein? War er es, der mir gefolgt ist? Der mir diese Drohungen und Andeutungen zukommen ließ? Er wäre die Verbindung zu Richard. „Was meinst du mit Warum?“ Ich atme angestrengt aus. Ich möchte gerade nichts lieber als die Augen schließen und meinem Gehirn zu befehlen, mit der Arbeit aufzuhören. Nur weißes Rauschen. Oder Stille. „Sie sollten lieber angeln gehen oder meine Mutter schick zum Essen einladen“, schlage ich vor. Wir sollten gewöhnliche Dinge tun. Schöne Dinge. „Eleen…“ Ich hasse es, wenn mein Name mit dieser Ernsthaftigkeit ausgesprochen wird. Sie ergießt sich über mir wie blitzartiger Schauer. „Schon gut, ich kann Sie eh nicht aufhalten. Machen Sie, war Sie denken“, sage ich, ehe er fortfahren kann und lege auf. Ich kann niemanden aufhalten. Konnte es nie. Weder heute, noch damals. Ich kann mich nicht mal selbst davor stoppen, wieder und wieder die gleichen Fehler zu begehen. Endlich leere ich das Glas Wasser, welches ich mir vor dem Anruf eingoss. Alles in einem Zug und gönne mir ein weiteres kaltes. Danach öffne ich den Kühlschrank, entscheide, dass nichts darin meine Kochambitionen schürt. Daher greife ich mir lediglich die Packung Käse, rolle die erste Scheibe zusammen und beiße hinein. Nach der Hälfte hole ich den Ketchup hervor, gieße einen Schwung auf einen kleinen Teller und tunke die Rolle darin ein. So esse ich drei weitere Scheiben und falle auf die Couch. Doch schlafe ich ein und erwache natürlich viel zu früh am nächsten Morgen. Ich nutze die Gelegenheit, um ausgiebig zu duschen, mich zu rasieren und meine erste Tasse Kaffee bei altmodischen Cartoons zu trinken. Trotz des frühen Aufstehens bin ich später als sonst auf Arbeit. Diesmal sitzt Micha am Empfang, aber telefoniert, als ich bei ihm vorbeikomme. Also klopfe ich ihm lediglich kurz auf die Theke und verschwinde in die Mitarbeiterräume. Die Blicke der Kollegen sind unangenehm, aber weitaus hinnehmbarer als die ständige Panik, Steven irgendwo allein zu begegnen, die mich sonst verfolgte. Niemand spricht mich darauf an, was gestern vor dem Mitarbeiterräumen passiert ist. Nur die Blicke hängen an mir, obwohl ich mir sicher bin, dass die meisten von ihnen lieber wegsehen würden. Kaley bringt mir einen weiteren Baumkuchen mit Erdbeergeschmack. Er ist rosa. Diesmal essen wir sie zusammen. Wir verabreden uns für den kommenden Freitag, in dem von ihr gemochten Ramen-Restaurant und für einen Moment fühlt es sich an, als wäre es ein ganz normales Leben. Ein durchschnittliches, langweiliges Leben. Ich habe vergessen, wie es ist und obwohl sich der warme Schimmer heilend zeigt, traue ich ihm nicht. Auf dem Rückweg mache ich mehrere Stopps. Bei der Apotheke, dem Schlüsseldienst und dem Asiamarkt. Ich finde keinen Baumkuchen, aber klebrig aussehende Mochis und Instantnudeln, bei denen ich mir die verrücktesten Geschmacksrichtungen auswähle. Gesund ist anders, verrückt ist es auch, aber man lebt nur einmal. Mit dem Blick auf die Treppenstufen gerichtet, stocke ich, als ich in meiner Etage ankomme und weiße dicke Tropfen und Rinnspuren auf dem grauen Steinboden erkenne. Der Geruch frischer Malerfarbe hängt in der Luft. Der Etagenabsatz ist mit der weißen Masse bedeckt, deren Ursprünge von meiner Wohnungstür ausgeht. Doch nicht nur das. Die Tür ist demoliert. Ein deutlicher, fast runder Einschlag ziert die Mitte. Ein halbrunder ist am unteren Ende zu erkennen. Er stammt von einem Fuß, der obere von einer Faust. Richtige Löcher sind es nicht, doch als ich näherkomme, kann ich die Verschalung der Tür erblicken. Alles ist mit Farbe beschmiert und sie ist noch feucht. Wahrscheinlich die, mit der die Renovierungen der Büroräume vorgenommen wurde. Steven. Wer sonst. Und es ist noch nicht lange her, dass er hier gewesen war. Ich pfriemele mein Handy hervor, schieße ein paar Fotos als Beweis, die ich dem Hausmeister vorlegen kann und merke, wie sich mein Brustkorb verengt. Nur einen Spaltbreit öffne ich die Wohnungstür, um mich hindurch zu zwängen und um zu verhindern, dass ich den Flur meiner Wohnung einsaue. Drinnen ziehe ich als erstes die Schuhe und die Jacke aus, hole Lappen und Eimer aus der Küche und kehre zurück in den Treppenaufgang. „Scheiße, was ist denn hier passiert?“ Ich schaue erschrocken auf und erblicke Mark, der auf der Treppe auftaucht. Mit großen, entsetzten Augen starrt er erst auf die Sauerei und zur Klingel. Ich folge seinem Blick und erst jetzt bemerke ich, dass dort ´Fuck you´ geschrieben steht. Nun besteht kein Zweifel mehr für mich, dass es Steven war. An meinem großen Zeh wird es kalt und ich bemerke, dass ich in die Farbe getreten bin und die Feuchtigkeit langsam durch den Stoff meiner Socke sickert. „Pass lieber auf, wo du hintrittst. Die Farbe ist noch feucht“, informiere ich und stelle den Eimer an einer sauberen Stelle ab. Mein Nachbar hangelt sich vorsichtig das Geländer entlang und schafft es, unbeschadet in seine Etage zu gelangen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll und kremple mit zitternden Händen zunächst meine Ärmel hoch und starre mich an einer Stelle fest, die aussieht, wie ein Munch - Gemälde. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich erneut Marks Schuhe auf dem Treppenabsatz auftauchen und blicke auf. Auch er hält einem Eimer mit etwas Wasser in der Hand, aus dem ein bereits gebrauchtes Tuch heraushängt. In der anderen hält er eine Kehrschaufel, die längst bessere Tage gesehen hat. Sie ist voller grauer Flecke und an einer Stelle gesplittert. „Hier, damit kannst du die Farbe in den Eimer schaufeln“, erklärt er und hält mir das Plastikteil hin. Danach setzt er sich auf den Absatz und zieht sich ebenfalls die Schuhe aus. „Meine Schwester und ich haben einmal einen ganzen Eimer Farbe in der Küche verkippt, weil wir uns um Kekse gestritten haben“, erklärt er, ohne dass ich nachfragen muss, klettert zur unteren Treppe zurück und beginnt dort, die kleineren Flecken weg zu schrubben. „Wenn es darum geht, unseren Unfug zu vertuschen, können wir perfekt zusammenarbeiten. Leider kam es doch raus, weil mein Vater nachher lauter Kekskrümel im Farbeimer fand. Na ja. Wir waren zehn und acht. Ich fand uns großartig.“ „Und Kekse?“ „Hinüber. Tragisch!“ „Mark?“, setze ich an und fahre erst fort, als er aufblickt, „Danke für deine Hilfe.“ Er nickt lächelnd und ich versuche, so viel Farbe wie möglich vom Boden abzuschaben. Das Gleiche versuche ich mit der Tür, während Mark mit dem Tuch die weißen Schlieren weg reibt. Die bereits angetrockneten Stellen machen es uns besonders schwer und mit dem Verschwinden der Farbe offenbart sich das Ausmaß des Schadens an meiner Tür nur noch mehr. Als wenigstens der Boden halbwegs normal aussieht, richtet sich Mark auf und ächzt als wäre er ein Greis. „Da war ziemlich viel Wut hinter“, merkt er an und schaut zu den Einschlägen in der Tür. Mir fallen noch mehr Emotionen ein, die Futter dieser Reaktion waren. Ich seufze schwer und nicke. „Vor einer Weile saß so ein Kerl vor deiner Tür. War er es?“, fragt mein Nachbar. Ich schaue ihn überrascht an und schüttele direkt den Kopf. Die Person, die er meint, war Richard. „Nein.“ „Aber du weißt, wer es war? Du hättest Beweisbilder machen sollen.“ Habe ich zum Glück und deute ihm das an. Aber ein echter Beweis ist es nicht, sondern lediglich meine zweifelsfreie Vermutung. „Wer auch immer das gemacht hat, scheint ein echtes Problem zu haben. Du solltest das der Polizei melden.“ Mark deutet mit seinen weißverschmutzten Fingern auf das Klingelschild, über dem noch immer die wenig netten Worte stehen. Seufzend setze ich meinen Lappen dort an und kreiere leidig einen verschmierten Balken, unter dem die Worte noch deutlich hindurchscheinen. Es ist absurd, dass ich frustriert auflache und mir im nächsten Moment wünschte, ich könnte in Tränen ausbrechen. Doch das tue ich nicht, stattdessen setze ich mich neben Marks Schuhe auf die Treppe und kippe meinen Kopf gegen das Holzgeländer. Mark folgt. Wir bleiben eine Weile stillsitzen und ich bemerke erst, dass meine Hände zittern, als der jüngere Mann sachte mein Handgelenk berührt. Seine Fingerspitzen fühlen sich durch die getrocknete Farbe rau und kratzig an. Es ist nur eine kleine Geste, doch sie hilft mir. Sie beruhigt und erdet mich. Ich danke ihm erneut und ich frage ihn, was für Kekse es gewesen waren, um die er sich mit seiner Schwester gestritten hatte. Er weiß es noch genau. Sie waren mit Schokolinsen und waren quietsche bunt. Mark hat noch ein paar mehr solcher Anekdoten und irgendwann steuere ich ein paar Geschichten meiner Brüder hinzu. Unser Altersunterschied hatte eher dazu beigetragen, dass Evan und Eric wenig mit mir unternahmen, aber dennoch immer wieder mal ein Auge auf mich haben mussten. Erst als sich mein Handy mit einer Nachricht meldet, verabschiede ich mich von meinem Nachbarn, danke ihm erneut und sehe, wie er auf seine Etage verschwindet. Danach reinige ich die letzten offensichtlichen Spuren und schreibe in der Küche eine Einkaufsliste, auf der Verdünnung für dein Steinboden und ein neues Kehrschaufelset für Mark stehen. Erst danach lese ich die Nachricht. Eine SMS. Sie ist von Moore, der mich fragt, ob ich zu Hause bin. Er hat Neuigkeiten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie verkrafte, dennoch bestätige ich ihm meine Anwesenheit. Ich schaffe es, mich umzuziehen und die gröbsten Flecken an mir selbst zu reinigen, ehe es an der Tür klingelt. Wahrscheinlich hat er längst in seinem Auto vor meiner Wohnung gesessen und anstandshalber ein paar Minuten gewartet, damit es nicht auffällt. Dieser verrückte alte Mann. Es ist absurd. Wann hört das alles nur auf? Seit sieben Jahren kein Entrinnen. „Was ist mit deiner Tür passiert?“, fragt Moore hustend, als ich ihm öffne und wir beide zu dem deutlichen Einschlagsloch blicken, welches die Wohnungstür ziert. „Plötzlicher Steinschlag. Die Straßen sind gefährlich“, sage ich ruhig, sehe von dem Loch zu dem älteren Mann und wieder zurück. Moore steckt sich kopfschüttelnd einen der Hustenbonbons in den Mund, nach denen er immer riecht und steckt das Papier in die Jackentasche. „Ist das so?“, murmelt er und inspiziert die Löcher mit einem wissenden Blick. „Verrückt, oder?“ Natürlich glaubt er mir nicht. Doch er fragt auch nicht weiter, sondern deutet mir an, dass er reinkommen will. Ich verkneife mir das resignierte Seufzen nicht, als ich zurücktrete und ihm den Eintritt gewähre. Ich schließe die Tür besonders langsam, verbleibe einen Moment länger im Flur und atme mehrmals tief durch, bevor ich zu ihm in die Küche gehe. Ich bin auf keine weiteren Überraschungen vorbereitet und habe das Gefühl, dass ich mittlerweile auf blanken Nerven tanze, die jeden Moment reißen können. Diesmal hat er auf dem anderen Stuhl Platz genommen und wartet mit verschränkten Armen darauf, dass ich ihm endlich die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er verlangt. Er hat einen Hefter neben sich auf den Tisch abgelegt, der mit einer Nummer beschriftet ist, einem Datum und Zeitstempel. Moore folgt meinem Blick, lässt den Hefter aber an Ort und Stelle als er zu reden beginnt. „Zu dem Einbruch im Archiv laufen aktuell die internen Ermittlungen. Viel konnte man mir bisher noch nicht sagen, aber in Anbetracht der Tatsache, dass es erst Tage später entdeckt wurde, ist das nicht verwunderlich.“ Er ist wütend. Ich höre es deutlich an den feinen Vibrationen in seiner Stimme und an dem abschätzigen Seufzen, mit dem er die Sätze beendet. „Es gibt dementsprechend kaum forensische Hinweise. Ich habe mit jemanden aus der digitalen Abteilung gesprochen, ob es Überwachungsaufnahmen gibt. Aber drei von fünf Kameras waren defekt. Angeblich wegen eines Systemfehlers, der ein paar Tage zuvor auftrat. Wahrscheinlich ein Zufall.“ „Wundert sich keiner darüber, dass Sie andauernd Fragen stellen?“ Immerhin ist er nicht mehr im aktiven Dienst und hat mit den Vorfällen nichts zu tun. Mich würde es wundern. „Ich bin im Gegensatz zu dir und Richard diskret“, spottet er zurück. Ich hätte gern etwas, um es dagegenzusetzen, doch in der letzten Zeit waren Rick und ich nicht sehr unauffällig und ich wundere mich, dass uns das nicht schon längst auf die Füße gefallen ist. Das wäre der letzte Rest, der mein Leben zum Untergehen brächte und ich hätte es selbst verschuldet. Schon wieder. „Verstehe! Und sie haben dazu diese Oldschool Cop-Aura. Sie brauchen nicht fragen, alle reden freiwillig.“ „Bist du fertig mit deinen nachpubertären Aufmüpfigkeiten?“ „Aufmüpfigkeiten? Ist das überhaupt ein echtes Wort?“ Moore entgegnet mit einem Blick, der mir als Teenager das Blut in den Adern gefrieren ließe. Mittlerweile bin ich zu abgestumpft, um mir deswegen Gedanken zu machen. „Ich habe einige Gefallen eingefordert, um Antworten zu kriegen. Noch dazu habe ich ein übergeordnetes Interesse, weil es eine Akte meiner alten Fälle betrifft. Die Kollegin war verständnisvoll.“ Diesmal deutet er mit der Hand auf einen Hefter, den er neben sich auf den Tisch abgelegt hat. „Und sie hat etwas. Es gibt nämlich doch ein paar Aufnahmen des möglichen Täters.“ Der innere Drang nach Aufmüpfigkeiten macht einer tiefsitzenden Aufregung Platz, die nach der Erwähnung blasenartig aufsteigt. Ich hefte meinen Blick auf die beige Pappe und sehe schweigend dabei zu, wie Moore sie öffnet und zwei Fotos hervorzieht. „Könnte das Miers sein?“, fragt er ohne weiteres Geplänkel und drückt mir die Bilder mit schlechter Qualität in die Hand. Das Erste ist eine Aufnahme im Weitwinkel. Das zweite Bild, das ausgeschnittene Detail der Person, die darauf abgebildet ist. Es ist grünlich-grau. Ich erkenne kaum mehr als dunkle Plörre. Lediglich grobe Pixel. Das Gesicht der abgebildeten Gestalt ist nur im Profil zu sehen und wird durch eine Mütze mit Schirm bedeckt. Es konnte jeder sein und niemand. Es ist nicht deutlich, ob es sich wirklich um einen Kerl handelt. Dennoch zieht etwas meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine helle Stelle auf der Jacke. Ein Emblem mit großen Buchstaben. Das habe ich schon einmal gesehen und etwas in meiner Magengegend simmert. „Und?“ „Nein, denke nicht, dass er es ist. Ich wüsste auch nicht, ob ich ihn wirklich erkenne. Aber…“ „Aber was?“, drängt er sofort. „Mir kommt die Jacke bekannt vor.“ „Die Jacke? Wem gehört sie?“, bohrt Moore nach und ich nicke abwesend. Ich starre mich an dem Punkt fest, doch es verschwimmt nur mehr. Ich könnte mich irren. Er klopft ein paar Mal mit der flachen Hand auf den Küchentisch und holt vollends meine Aufmerksamkeit zurück. „Es könnte die Jacke meines Arbeitskollegen Steven Pfennig sein.“ Hosted by Animexx e.V. 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