Das Mädchen im Dunkel von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: Am Fenster --------------------- Die Nacht brach herein und mit ihr eine fast tröstende Stille. Die zahlreichen Scheinwerfer verstaubter Laternen erhellten die um diese Uhrzeit kaum mehr befahrenen Straßen. Ein lauer, aber dennoch kühler Wind spielte mit den Ästen der karg gepflanzten Bäume und zusätzlich erklangen Schritte schwerer Sohlen auf dem grauen Asphalt. Ein junger Mann mit hüftlangen, strohblonden Haaren ging diesen Weg entlang; aufgrund seiner schlichten, schwarzen Kleidung schien er regelrecht mit der Nacht zu verschmelzen, was einige Passanten jedoch nicht davon abhielt, ihm geschockte Blicke zuzuwerfen oder heimlich spöttische Bemerkungen zu murmeln. Genervt verdrehte Adrian die eisblauen Augen, wandte sich jedoch nicht um. Toleranz war nun mal eine Eigenschaft, welche besonders in jenen Tagen nicht vielen Menschen eigen war. Ebenso schwer fiel es ihnen offensichtlich, sich an Dinge zu gewöhnen, denn schließlich lebte er schon seit mehreren Jahren unter ihnen. Wenigstens hatte seine stattliche Körpergröße von 1,90 Metern bis jetzt körperliche Übergriffe verhindert. Adrian atmete tief ein und für den Bruchteil einer Sekunde ging eine schmerzhafte Regung durch sein kantiges Gesicht. Jenes war wohl, in Kombination mit seinen stechenden Augen, welche selbst im Momenten der Freude wie Eis erschienen, begründet, aber die Menschen täuschten sich: Gerade diese Augen waren die Spiegelbilder von Adrians Seele und offenbarten jede noch so winzige Gefühlsregung in seiner Brust. Der junge Mann schluckte ein paar Mal, doch die erstickende, beklemmende Nähe im Herzbereich wollte nicht verschwinden; stattdessen fiel eine Träne von seiner Wange und verfing sich in seinem schweren Baumwollmantel. Dennoch setzte Adrian seinen Weg fort, bis er sein Ziel erreichte: Es war ein großes, im Jugendstil erbautes Haus, welches in mehrere Wohnungen unterteilt war. Gedankenverloren blickte der junge Mann die leicht roséfarbene Fassade empor bis seine Augen den vorletzten Stock erreichten. Die beiden Doppelfenster waren hell erleuchtet und man erkannte deutlich den weiblichen Schatten dahinter. Leichtfüßig und nur mit einem Nachthemd bekleidet lief dieser hin und her, um verschiedene Gegenstände zusammen zu suchen. Danach setzte sie sich auf einen Stuhl direkt am Fenster, ohne wirklich einen Blick hinaus zu werfen und begann, konzentriert an etwas zu arbeiten. Aber eine geringfügige Veränderung in ihrem Blick verriet, dass sie Adrians Anwesenheit spürte; doch innerhalb weniger Minuten wurden die fließenden Bewegungen zur Routine und ihr Geist schien in einer fremden, nur für sie existenten Welt zu verschwinden. Obwohl der Anblick sehr schön und beinahe schon harmonisch war lächelte Adrian sehr traurig, weil sein Herz aus gefühlten tausend Wunden blutete. An welchem Bild arbeitete seine Liebste gerade? War es ein Stillleben oder mit Personen? Er wusste es nicht, weil sie sich ihm schon vor Monaten entzogen hatte, ohne jedoch das letzte Band zu zerschneiden. Trotz dieses großen Schmerzes blieb der junge Mann unbeweglich wie eine Statue im Mondlicht unter dem Fenster stehen und betrachtete den zarten Schatten hinter der Scheibe. Es war der einzige Kontakt, welchen Adrian momentan zu seiner Freundin Inga haben konnte, denn diese hatte sich in die Einsamkeit zurückgezogen und sich außerdem der emotionalen Kälte verschrieben. Ihr einziges Ausdrucksmittel, welches noch Zugang zu ihrem Inneren ermöglichte, war die Malerei. Zwei Tränen lösten sich aus seinen Augen; obwohl er im Grunde wusste, dass er, Adrian, nicht die Hauptschuld für diese Entwicklung trug, so gab es einen Teil in ihm, welcher sich heftige Vorwürfe machte und diese zuweilen in Selbsthass verwandelte. Adrian hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um die mentalen Narben seiner Liebsten zumindest im Ansatz zu lindern, war Tag und Nacht an ihrer Seite gewesen und hatte Dinge verziehen und toleriert, bei denen andere sofort einen Schlussstrich gezogen hätten. Jedoch hatte es offensichtlich nicht gereicht, um die Schatten von Ingas Vergangenheit oder auch des dramatischen Erlebnisses in der Klinik zu vertreiben, zumal es Beiden nicht leicht fiel, darüber zu sprechen. Besonders Inga hatte gehofft, dass die Erinnerung sich mit der Zeit in Rauch auflösen würde; ein fataler Irrtum, wie sich jetzt herausstellte. Melancholisch blickte Adrian auf seine Hände; augenscheinlich waren sie sauber, recht kräftig und von sehr bleicher Hautfarbe. Selbst die konservativsten Bewohner der Kleinstadt, welche Adrian und Inga auch gerne mal mit antichristlichen Riten und Denkweisen in Verbindung brachten, würden nie vermuten, dass an diesen Händen Blut klebte. Aber es stimmte; diese Finger hatten einst ein Messer geführt und die scharfe, tödliche Klinge in ein schlagendes Herz gerammt. Jenes hatte einem bösen Menschen gehört und dazu gedient, ein jahrelanges Martyrium von seiner Freundin und sich selbst zu beenden. Teilweise sah der junge Mann noch die Grundzüge dieses schrecklichen Ortes vor seinem inneren Auge; die grauen Wände, die kalten, metallischen Gitterstäbe, der permanente Geruch verschiedenster Medikamente und der stechende Schmerz regelmäßiger Spritzen. Sie waren der Abschaum dieser Welt, niemand wollte sie. Dennoch war es dem Gesetz nach ein Mord gewesen und auch wenn Adrian es nicht sagte: Auch ihm ließen die bizarren Bilder nachts keine Ruhe und verfolgten ihm nicht selten bis zum Morgen. Doch anders als Inga war der junge Mann aufgestanden und hatte den Erinnerungen spöttisch ins Gesicht gelacht und nicht selten imaginär auf sie gespuckt. Adrian seufzte und wandte sich ab weil er die erste, schwächliche Röte des Morgens am Horizont erblickte. Eine weitere Nacht war vergangen, ohne dass seine Liebste ihr Herz ihm gegenüber geöffnet hatte und tief in seinem Herzen wusste er, dass jener noch viele weitere folgen würden. Eine Dunkelheit im Herzen kannte keine Zeit; sie blieb, solange sie wollte. Aber irgendwann, so hoffte er, würde der Zeitpunkt, diese eine Nacht, kommen, und dann würde er, im Gegensatz zu vielen anderen, zur Stelle sein und ihr um jeden Preis beistehen: Eine Finsternis im Herzen war zwar stark, doch beileibe nicht unbesiegbar. Und ebenso wie er sie beide damals aus diesem Vorort der Hölle befreit hatte, so würde er diese Finsternis verjagen, auf dass sie niemals wieder kehre. „I'd write a zillion words or walk a million miles I'd sleep on broken glass just not to lose your smiles. I'm dying for you, can't you see? I'm lying for you to be free! I hunger for you, 'cause I can't eat! I'd vanish for you in defeat! Forgive me for saying one last thing: I miss you!“ Seine Stimme verlor sich im Wind. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)