Ego von lil_Scarlet ((LokiXOC)) ================================================================================ Kapitel 4: Lie to me -------------------- "Lucy, I'm home!" "Würdest Du es bitte endlich unterlassen, mich Lucy zu nennen, wenn Du nach Hause kommst?" "Entschuldige bitte, Macht der Gewohnheit." Eve zog die Schuhe aus und warf ihren Mantel über die Garderobe. Sie folgte einem herrlichen Geruch in die Küche. "Gibt es etwas zu feiern?" Der Esstisch war gedeckt, und auf einem Tablett war frisch gebackenes Brot aufgeschnitten. "Nein, ich hatte Langeweile." Loki öffnete den Ofen und wedelte den Dampf mit einem Küchentuch beiseite. "Das kommt dabei raus, wenn Du Langeweile hast? Was ist das?", fragte sie, als sie den Deckel des heißen Bräters vorsichtig mit einem Topflappen hob. "Boef Bourignon." "Oh, haute cuisine francaise." Eve nickte anerkennend und besah sich die Weinflasche, die auf dem Tisch stand, während sie ein Stück Brot naschte. "Ich hab' doch gar keine Französischen Weine im Schrank." "Den habe auch ich gekauft.", er reichte ihr den Dekanter. "Wie sieht's mit Deinem Job aus?", fragte sie, als sie den Wein in das Glasgefäß goss. "Noch nichts." Eve seufzte. Loki suchte schon seit über einem Monat nach einer Arbeitsstelle, hatte aber bis jetzt nur wenige Einladungen, zahllose Absagen oder gar keine Antwort erhalten. Und ohne Anstellung war es nahezu unmöglich, in New York City eine Wohnung zu finden, was Loki zu ihrem Mitbewohner machte. Bis vor kurzem hatte sie sich noch zu Tode erschreckt, wenn sie nach Hause kam und begrüßt wurde. Er nahm ihr den Dekanter aus der Hand und füllte ihre Gläser. "Setz Dich."   "Kompliment an den Küchenchef." Sie lehnte sich zurück und nahm das Weinglas an sich. Loki lächelte und machte Anstalten abzuräumen. "Lass nur, Du hast gekocht. Ich mach' das nachher." "Wie Du wünschst.", er  schenkte beiden nach. "Wie war Dein Tag im Büro?" Eve schnaubte. "Frag nicht. Ich habe das Gefühl, so viele kann ich gar nicht rausschmeißen, wie Pepper mir nachliefert." Loki lachte herzlich, als Eve die Augen verdrehte. "Hör auf, zu lachen, das ist nicht komisch." "Oh doch, das ist äußerst amüsant!" Loki trank noch einen Schluck. "Pepper und Du, ihr seid beide gleichermaßen stur. Sie will nicht von ihrem Einfall ablassen und Du willst Dich nicht fügen. Frauen." Er lachte wieder. "Ach Du!" Am liebsten hätte sie etwas nach ihm geworfen. Stattdessen biss sie frustriert in ein Stück Brot. Am Montag vor drei Wochen war sie arglos zur Arbeit erschienen und ahnte nichts Böses, als sie wie jeden Morgen in ihr Büro verschwand und sich zunächst eine Kanne Tee kochte -wie jeden Tag- und hoffte, niemanden sehen zu müssen. Da klopfte es an der Tür. "Ja?!" Es klang harsch. Viele Leute meinten, seinen Morgenkaffee genieße man am liebsten in aller Ruhe, alleine. Das gleiche galt für Eve: Streiche Kaffee, setze Tee. Auch wenn Loki ihr seit kurzem jeden Morgen, wenn sie aus dem Haus ging, einen To-Go-Becher kräftigen Schwarztee mit ein wenig Sahne in die Hand drückte; es ging ums Prinzip. Unsicher trat ein junger Mann herein. Etwa 1,80 groß, schlank, blondes Haar, hübsches Gesicht; sicher war er der Schwarm aller Girlies auf der High-School gewesen. Er konnte kaum älter als achtzehn sein. Sie musterte ihn argwöhnisch, während sie sich mit einem kleinen Tablett, auf dem das Ein-Personen-Service stand, wieder an ihren Schreibtisch setzte. "Guten Morgen, Miss Harrington. Heute ist mein erster Probetag und ich möchte mich Ihnen vorstellen." Eve runzelte Die Stirn. "Sicher haben sich ihre Kollegen einen Streich erlaubt. Ich bin die Letzte, bei der sie sich vorstellen sollten." Hin und wieder schickte man Praktikanten zu ihr, um die armen Wesen ins offene Messer laufen zu lassen. Gelassen goss sie sich eine Tasse ein und kippte etwas Sahne dazu. "Ich glaube, Sie verstehen mich nicht, Miss Harrington." Eve's Augenbraue zuckte gefährlich. "Ich Denke, ich verstehe Sie sehr wohl, Mister...?" Sie Hob die Tasse an ihre Lippen und wollte gerade einen Schluck trinken, als sie die Antwort des jungen Mannes beinahe die Fasson verlieren lies: "Jenkins, Eugene Jenkins, ich bin ihr Personal Assistant." Ungläubig sah sie in das Gesicht ihres Gegenübers. Es war sein voller ernst. Eve setzte ein zauberhaftes lächeln auf. "Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?" Sie stand auf und verließ ihr Büro, ohne Eugene eines weiteren Blickes zu würdigen.   Es klopfte. "Ja, bitte?" Eve trat in Pepper's Büro und schloss leise die Tür hinter sich. "Pepper", begann sie ruhig und trat auf den Schreibtisch zu, "Kannst du mir erklären, warum da jemand noch vor meiner ersten Tasse Tee in meinem Büro steht und behauptet, er sei mein Personal Assistant?" "Selbstverständlich, kann ich das, ich habe ihn eingestellt. Der Junge hat einen hervorragenden Abschluss und beste Referenzen." Eve viel seufzend in den Ledersessel. "Dann kannst Du ihn ja auch wieder entlassen." "Warum, was hat er gemacht?" "Du hast die Stelle schon vor Wochen ausgeschrieben, richtig?" Pepper lächelte ertappt und hob entschuldigend die Hände. "Wir wissen doch beide, dass Du nie von Dir aus eingewilligt hättest." "Ich hab gesagt, ich überleg's mir." Die rothaarige schenkte ihr einen vielsagenden Blick. Ich überleg's mir hieß in 99Prozent der Fälle Nein. "Pepper, ich kann so nicht arbeiten!" "Eve, das letzte Mal, als Du und Tony ein Projekt laufen hatten und Du noch weiter in der Firma gearbeitet hast, hattest du danach Mangelerscheinungen und musstest ins Krankenhaus und - " "Ich hatte Augenringe bis zu den Nasenlöchern.", beendete Eve Pepper's Satz und beugte sich über den Tisch. "Ich weiß. Die Dinger habe ich nach jeder Reservistenübung, wenn die in der Biskaya Joint Operations fahren." "Was hat das damit zu tun?" "Ach, Du bist unmöglich!" "Und Du hörst mir nicht zu!" Eve hielt inne und schenkte Pepper ein gequältes Lächeln. Mit einem sanften Nicken forderte sie ihr Gegenüber auf, fortzufahren. "Er soll nicht mit Dir arbeiten, sondern für Dich. Er soll Dir Arbeit abnehmen. Schau ihn Dir an. Und wenn es nicht passt, dann sehen wir weiter." Pepper drehte sich guten Mutes auf ihrem Drehstuhl hin und her. Das Problem: Eve war Perfektionistin. Und sie vertrat den Grundsatz: Wenn man etwas richtig gemacht haben will, muss man es selber machen. "Du weißt, dass das für das arme präpubertäre Milchbrötchen in meinem Büro ein Höllentrip werden kann?" Pepper nickte gelassen. "Er wurde vorgewarnt." Eve's Mundwinkel zuckten und eine Augenbraue hob sich etwas unheilvoll. "Fein, dann starten wir auf Deine Verantwortung aus rein wissenschaftlicher Neugierde jetzt eine Versuchsreihe." Damit nahm die Misere ihren Lauf. Allerdings schien Pepper potentielle Anwärter auf den Job als Verbrauchsgüter zu horten, wie Papiertaschentücher in einer Peep-Show. Den ersten war sie losgeworden, als sie ihn dabei erwischte, wie er Gerüchte bei den Mädels aus der Personalabteilung verbreitete. Der zweite hatte seinen Schulabschluss gefälscht. Die Nächste hatte scheinbar noch nie an einem Rechner gearbeitet: Ein-Finger-System-Tipper. Nummer Drei machte sich anfangs recht gut, hat aber dann ein wichtiges Telefonat verpeilt. Die Bewerber waren zu jung. Doch Pepper wäre nicht Pepper, hätte sie nicht auch daran gedacht. Allerdings taten sich mit der neuen Altersgruppe neue Probleme auf. Die Sparte reichte vom eingeschüchterten Nerd, der zwar seine Arbeit gut machte, aber Schweißausbrüche bekam, wenn man ihn ansprach; über den Sekretärinnen-Stereotypen: aufblondiert, IQ irgendwo zwischen Nesseltierchen und Amöbe und den ganzen Tag mit Nägellackieren und privaten Telefonaten beschäftigt; bis zu Mr. Loverboy aka. Casanova. Zwischenzeitlich war ein recht ambitioniertes Mädel am Start, das allerdings bereits am ersten Tag "Verbesserungsvorschläge" hatte. Weitere sollten folgen... Nach der dritten stumpfen Anmache hatte sie die Nase gestrichen voll. Doch Pepper fuhr schwere Geschütze auf und feuerte mit allem, was sie hatte. Kein Ende in Sicht.   "Und wie bist Du ihn diesmal losgeworden?" Loki schwenkte amüsiert den Wein in seinem Glas und sah neugierig zu ihr herüber. "Ich habe Ihm gesagt, er solle für die Aero-Space-Abteilung Kompassrosenwasser organisieren." "Kompassrosenwasser?" "Der Gag ist alt. Zumindest in der Navy. Den hat man früher mit den Schiffsjungen durchgezogen. Der arme Junge hat mich tatsächlich für Voll genommen und hat angefangen in der Weltgeschichte nach Kompassrosenwasser herumzutelefonieren. Er tat mir fast ein bisschen leid." "Fast." Loki lachte und trank das Glas leer. "Möchtest Du noch?" Eve schüttelte energisch den Kopf und hielt ihre Hand über das Glas, als er nach dem Dekanter griff. "Ja fast. Pepper hätte mich fast in der Luft zerrissen, als sie davon Wind bekommen hat." "Zurecht, wie ich meine." "Ach komm schon, dem Jungen hätte ich auch ein mit Schnur beklebtes Fernglas in die Hand drücken können, und er hätte geglaubt, es wär die Äquatorlinie wenn er durch schaut." Loki schüttelte den Kopf und stand auf. "Ich möchte, dass Du Dir etwas ansiehst." "Augenblick." Eve räumte den Tisch ab und stellte das Geschirr in die Spülmaschine während Loki seinen Laptop auf dem Tisch aufklappte und ihn zu ihr hindrehte. "Was ist das?" Sie setzte sich und scrollte über das Editor-File. Als sie den Debugger durchlaufen lies, hellte sich ihr Blick auf und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. "Du hast meine Firewall umprogrammiert. Loki, das ist genial!" Ein etwas überheblicher, selbstgefälliger Gesichtsausdruck lag auf Lokis Zügen, als sie aufblickte. "Guck nicht so, du elender Streber." Sie klappte den Rechner zu. "Du solltest Dich wirklich für einen Job im Programming bewerben." "Meine bisherigen Versuche waren nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt." Eve seufzte. Das konnte doch nicht wahr sein, dass es in dieser Stadt nicht eine einzige Stelle für ihn gab. "Da fällt mir ein, ich bin nächste Woche zu mehreren Terminen eingeladen." "Na bitte, geht doch." Sie sah auf die Uhr. "Mist." "Was ist?" Loki beobachtete verwirrt, wie sie aufsprang und die Treppe hinauf hastete. "Vor einer Viertelstunde hatte ich einen Skype-Termin." Sie verschwand hinter der Tür und Loki setzte sich Kopfschüttelnd an sein Notebook, um nach weiteren Jobangeboten zu suchen. Eve hatte ungefähr einmal in der Woche einen Skype-Termin mit ihren Nichten Amber und Alice. Alice war die Jüngere von beiden mit vier Jahren, Amber war zwölf. Beide lebten mit ihrer Mutter Celine bei ihrem Großvater. Sie hatte es ihm erzählt, als er nach den vielen Bildern im Wohnzimmer gefragt hatte. Eve sprach nicht gerne über ihre Familie. Loki hatte bemerkt, wie sie jede Antwort so kurz, wie möglich hielt und manchen Fragen völlig auswich. Er hatte aufgehört, zu fragen; war aber nicht weniger interessiert. Er hatte sich gut eingelebt. Während er auf Arbeitssuche war, versuchte er als Dankeschön Eve so viel wie möglich abzunehmen. Er hatte angefangen zu kochen, erledigte die Einkäufe und versuchte so viel wie nur irgend möglich an Informationen zu sammeln, um seine Gedächtnislücken zu schließen. Nachdem er sich sämtliches Wissen angeeignet hatte, das Eves Konzept voraussetzte, hatte er sich an neuen Dingen versucht. Er hatte eine Schwäche für Programming entwickelt und machte rasante Fortschritte, was Eve unglaublich begeisterte. Tagsüber, wenn nichts zu tun war, erkundete Loki die Stadt. New York schien ihm so überdimensioniert. Möglichst viel auf kleinstem Raum, je höher und schneller, desto besser. Er spazierte gerne durch den Central Park, wenn er in seinem Gedächtnis kramte. Doch immer wieder saß er im strömenden Regen auf der Straße, bis Eve plötzlich da war. In der kurzen Zeit war sie ihm ans Herz gewachsen; was wohl auch daran lag, dass sie seine einzige Bezugsperson war. Doch er mochte ihre etwas chaotisch sarkastische Art. Es schien ihm immer noch so surreal, doch es störte ihn von Tag zu Tag weniger. Er notierte sich alle Kosten, die er ihr verursachte. Nachdem er endlich einen Job und ein Apartment hatte, wollte er ihr alles zurückzahlen. Er hatte sich furchtbar gefühlt, als sie ihn für die Jobsuche zum Einkaufen geschleppt und ihm mehrere Garnituren gekauft hatte. Loki hatte Eve die ganze Zeit über davon überzeugen wollen, dass ein Anzug völlig genügte, während zwei Angestellte um ihn herumtanzten und die Kleidungsstücke passend absteckten. Eve saß in einem Sessel etwas abseits, trank wie immer ihren Tee und knabberte an einem Cookie. Eine weitere Angestellte präsentierte ihnen ein paar weitere Modelle und Eve musste ihm einen sehr guten aber leider teuren Geschmack zugestehen. "Eve, das ist wirklich nicht nötig..." "Doch, Luke, das ist es." Sie hatte sich in der Öffentlichkeit angewöhnt ihn Luke zu nennen, so viel es nicht auf, wenn ihr versehentlich ein Loki herausrutschte. "Ich war lange genug im Human-Ressource-Management tätig, um zu wissen wie die ticken. Wenn Du sie nicht schon umhaust, wenn Du zur Tür herein kommst, kannst Du den Job vergessen. Zumindest hier in New York." "Was soll das heißen?" "Wir gehen auf Nummer sicher und sorgen für eine Reizüberflutung." Loki hätte sich am liebsten zu ihr gesetzt, aber er war gezwungen, still zu halten, um nicht den zahllosen Stecknadeln zum Opfer zu fallen, die in seiner Kleidung steckten. "Du kommst zur Tür rein", fuhr Eve fort und lehnte sich auf ihre Oberschenkel. Sie war direkt vom Büro hergekommen und trug einen schwarzen eleganten Hosenanzug, darunter ein cremefarbener Rollkragenpulli, die Haare hochgedreht. "Luke?" sie schnippte mit dem Finger um seine Aufmerksamkeit zurück zu erlangen. "Du kommst herein und löst Reize aus. Optik, Akustik, Haptik. In der Reihenfolge. Um die letzteren Beiden brauchen wir uns keine Gedanken machen. Der Klang Deiner Stimme und Eloquenz sind optimal, was die Haptik betrifft, reicht ein bestimmter Händedruck und dass Du Dir ab und an die Hände eincremst. An der Optik arbeiten wir gerade." "Faszinierend, wie man ein Thema zu Tode analysieren kann.-Au!" Gestikulieren war tatsächlich eine dumme Idee. "Das ist einfachste Verhaltensbiologie." Sie griff nach einem Keks in der schale auf dem Beistelltischchen. "Beziehungsweise -psychologie." Als sie hineinbiss, verzog sie das Gesicht. "Gibt es denn nirgends außerhalb der britischen Hoheitsgewässer anständiges Short-Bread?" Loki musste lachen. Die letzte Packung, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, war vor zwei Wochen leer gewesen, seit den suchte sie verzweifelt nach einem guten Fabrikat des englischen Teegebäcks. "Sie sind fertig, Mister Saulsbury.", verkündete der untersetzte Herr mit Brille, der bis eben noch an ihm herumgezupft hatte. Loki begutachtete sein Werk im Spiegel. "Eve?" Eve war kurz abgelenkt und sah auf, als sie ihren Namen hörte. "Macht einen tollen Hintern." Loki sah sie skeptisch über die Schulter an. Sie hob beschwichtigend die Hände: "Was? Du wolltest meine Meinung hören."   Loki runzelte die Stirn, als die Türglocke schellte. Normalerweise sagte Eve, wenn sie noch etwas oder jemanden erwartete. Zu dem war es recht spät für einen Kurier. Er ging zur Tür und hob den Hörer ab. "Ja bitte?" "Guten Abend, Mr. Saulsbury." Es war der Portier. "Ist Miss Harrington zu sprechen?" "Moment." Loki legte den Hörer auf das Schlüsselbrett und stieg die Wendeltreppe hinauf. "Eve?!" Er klopfte an der Tür und ging hinein. Nach links ging es in Eves Bad, angrenzend zu ihrem Schlafzimmer. Rechts war das große Büro. Er klopfte noch einmal und öffnete die Tür einen Spalt. "Eve?" "Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um. "Was ist denn?" Auf dem Bildschirm war das Skype-Fenster geöffnet und zwei Mädchen waren zu sehen. Die kleinere hatte rote Locken und braune Augen: Alice. Die ältere von Beiden war blond und hatte dieselbe Augenfarbe. Beide versuchten offenbar zu erkennen, wer gerade den Kopf zu Eves Bürotür hereinsteckte. "Da ist jemand für Dich an der Tür." Sie seufzte. "Sag, ich bin gleich da." Loki nickte und schloss die Tür, als sie sich wieder zum Bildschirm umdrehte. "Mädels, ich muss Schluss machen." "Evie! War das Dein Freund?", fragte Amber neugierig. "Evie hat nen Freund?" Alice sah ihre Schwester geschockt an und hielt sich die Hände vor den Mund. Eve lachte. "Nein Ladies, das war nicht mein Freund und ich muss jetzt wirklich los. Arbeit ruft. Ich hab euch lieb." Sie machte einen Kussmund und winkte in die Webcam. "Wir haben Dich auch lieb, Evie!" Amber winkte zurück, während Alice unzählige Luftküsse fabrizierte. "Bis bald!" Eve beendete die Übertragung und ging hinunter zur Tür. "Was ist denn, Dave?" -Dave war der Portier. "Hier sind zwei Herren vom Police-Department für Sie." Es rauschte kurz, dann hörte sie eine Vertraute stimme. "Miss Harrington, guten Abend. Detective Smith, NYPD. Ich muss Sie bitten, mit uns zu kommen." Eve lehnte sich seufzend an die Wohnungstür und verdrehte für Loki sichtbar die Augen, der mit einem fragenden Gesichtsausdruck in einigem Abstand hinter ihr stand. "Hätten Sie nicht vorher anrufen können, Detective?" "Tut uns leid, es ist sehr dringend." "Geben Sie mir zwei Minuten." Sie hing den Hörer auf und griff demotiviert nach ihrer Jacke. "Was ist passiert?" "Ich muss nochmal weg. Unten stehen zwei Bullen. Nichts schlimmes, keine Sorge.", fügte sie hinzu, als sie Lokis Gesichtsausdruck bemerkte. "In ein paar Stunden bin ich wieder da." Sie schlüpfte in ihre Schuhe und steckte den Schlüssel ein. "Bis nachher." Loki fuhr sich seufzend durch das Haar und setzte sich auf die Couch. Eve gab ihm immer wieder neue Rätsel auf. Nicht nur, dass Sie außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit öfter "Arbeiten" musste, und manchmal für Tage nicht nach Hause kam, jetzt stand auch noch die Polizei vor der Tür und sie erklärte ihm, sie sei bald wieder da und er solle sich keine Gedanken machen? Was wollte das NYPD von Eve? Kaffekränzchen halten? Unwahrscheinlich.   Eve stand hinter dem Spiegelfenster. In dem Raum saß ein junges Mädchen -keine Sechzehn, wenn sie schätzen sollte- allein an einem Tisch und sah sich immer wieder um. "Ist sie das?", fragte Eve den Detective, der sie abgeholt und gebrieft hatte. Sie Kannte Aron Smith schon länger. Er war groß, hatte kurzes hellblondes Haar und sanfte blaue Augen. Aron war ein sehr sympathischer Mensch und ein Arbeitstier. Allerdings nahm er sich seine Arbeit oft zu sehr zu Herzen, was ihm schon in seinen jungen Jahren einige Sorgenfalten ins Gesicht gegraben hatte. Der Name des Mädchens war Roxanne Morton. Eine wichtige Zeugin im Falle eines Serienvergewaltigers. "Ich weiß nicht mehr, was wir noch tun können. Alle Psychologen sind ratlos." "Wie haben Sie sich das vorgestellt?" "Wir gehen rein, sie kennt mich. Mir hat sie zumindest ein bisschen erzählt. Ich möchte, dass Sie sie beobachten und mir danach alles sagen, was sie gesehen haben. Wir müssen sie zum Reden bringen, dann können wir weitere Zwischenfälle vielleicht verhindern." "Bevor ich da rein gehe: Ist alles-?." Er nickte. "Es ist für alles gesorgt. Der Boss und die Richterin wissen Bescheid und Ihre Konsultierung ist über Richterlichen Beschluss erfolgt." "OK. Bereit, wenn Sie es sind." Er lächelte bitter und öffnete die Tür zum verhörraum. "Roxanne, ich möchte Dir jemanden vorstellen.", begann er sanft und setzte sich ihr gegenüber hin. "Das ist Special Agent Harrington. Sie wird während der Befragung bei mir sitzen." Eve trat aus dem Schatten der Tür und nahm wortlos neben dem Detective Platz. Es war eine Lüge. Eve war kein Special Agent. Aber Menschen fassten leichter Vertrauen, wenn man sie in Sicherheit wiegte. Roxanne war ein sehr hübsches Mädchen. Sie hatte glattes dunkles Haar, ebenmäßige Züge und haselnussbraune Augen. Aus ihr sollte in ein paar Jahren eine wunderschöne junge Frau werden. Während Aaron dem Mädchen diverse Fragen zu dem Vorfall stellte, beobachtete Eve sie mit einem Sanften Gesichtsausdruck. Solange, bis Aron sich entschuldigte, und mit Eve wieder nach draußen verschwand. Als die Tür zu war, schenkte er Eve einen hoffnungsvollen Blick. "Sie lügt." "Was?!" Er war geschockt. "Aber, warum? Ich meine..." "Haben Sie gesehen, wie sie die Augenbrauen zusammenzieht und sie ihre Augen krampfhaft offen hält? Sie sieht ständig nach oben, bevor sie eine Frage beantwortet und blinzelt mehr als nötig, selbst wenn sie die Tränen zurückhalten wollte." "Eve, bitte hören Sie auf, in Rätseln mit mir zu sprechen." Sie schenkte ihm einen mitleidigen Seitenblick und sah dann wieder durch den Spiegel zu Roxanne. "Das arme Ding hat panische Angst, und deshalb lügt sie. Sie hat Angst vor ihren Erinnerungen. Deshalb behauptet sie, sich an nichts erinnern zu können. Damit sie sich nicht erinnern muss. Wenn sie es nicht schon verdrängt hat." "Das war auch die Vermutung der Psychologen." "Und warum bin ich dann hier?" "Sie haben alles Mögliche versucht. Wir haben auf sie eingeredet, ihr Bilder der anderen Opfer gezeigt, sie unter Druck gesetzt. Sie ist bereits mit ihrer Familie im Zeugenschutzprogramm." "Das heißt, Roxanne ist gar nicht ihr Name?" Aron schüttelte den Kopf. Eve sah ihn ernst an."Bin ich frei?" "Tun Sie, was Sie tun müssen. Wir brauchen ihre Aussage, auch vor Gericht." Genau das wollte Eve unbedingt vermeiden. "Wie heißt sie wirklich?" "Tracy Kingsley." "Leihen Sie mir Ihre Handschellen?" Aron Smith entgleiste der Gesichtsausdruck. "Wofür?" "Vertrauen Sie mir?" Resignierend löste er das Etui von seinem Gürtel und legte es wiederwillig in Eves ausgestreckte Hand. "Sorgen Sie dafür, dass Sie das hier auf Band haben. Und egal, was da drin passiert-" "Nicht reinkommen.", beendete Aron wissend den Satz. Sie befestigte die Handschellen an ihrem eigenen Gürtel. Bevor sie den Raum betrat, atmete sie tief durch und nickte Aron zu. "Hallo, Roxie." Sie setzte sich. "Wo ist Aron?" Die Stimme des Mädchens zitterte. "Aron musste weg. Bis er wieder da ist werde ich mit Dir sprechen." "Aber ich habe doch schon alles gesagt..." "Ich weiß." Eves Stimme war sehr sanft und ruhig, als sie mit ihr sprach. "Sie sehen überhaupt nicht aus, wie ein Special Agent.", bemerkte das Mädchen und musterte sie. Ihr Gegenüber trug einen schwarzen Strickpulli unter einer Lederjacke und eine Jeans und ihre Haare waren zu einem schlampigen Knoten hochgedreht. Eve lachte. "Und wie sehen Special Agents Deiner Meinung nach aus?" "Naja." Sie war unglaublich unsicher und wusste nicht, ob sie Eve trauen konnte. "Sie tragen Anzüge, sehen wichtig aus und fahren in schwarzen SUVs herum." Sie sah sie fragend an. "Und vermutlich denkst Du, dass dieser Kugelschreiber hier", sie zog aus der Innentasche ihrer Jacke einen Kugelschreiber und spielte damit. "gar kein Kugelschreiber ist, sondern ein Aufnahmegerät, oder eine Rauchgranate, oder ein Zünder für einen Sprengsatz." Mit jeder Aufzählung lächelte das Mädchen mehr und lachte schließlich. "In Hollywood vielleicht, ja. Aber nicht in echt. Das wäre doch viel zu auffällig, denkst Du nicht?" Roxanne nickte. "Roxie, Wie ist Dein richtiger Name?" Als das Mädchen unsicher auf ihrem Stuhl herumrutschte, fuhr sie lächelnd fort. "Ich bin übrigens Eve." "Tracy.", kam es schließlich zögernd. "Tracy?", Eve tat überrascht und holte ihr Portemonnaie aus der Hosentasche. "Meine Nichte heißt auch Tracy." Sie holte ein Bild von Amber heraus und gab es dem Mädchen. "Das ist sie." Tracy wischte sich mit dem Ärmel über die gereizten Augen und lächelte kurz, als sie  Eve das Bild zurückgab. "Wie alt ist sie?" "Sie wird nächstes Jahr dreizehn. Und ihretwegen brauche ich Deine Hilfe." "Meine?" Sie blickte sie hoffnungsvoll aus den vom vielen Weinen geschwollenen Augen an. "Ja. Du musst mir helfen zu verhindern, dass ihr das Gleiche passiert, wie Dir. Sag mir alles, was Du weißt, damit ich ihn finden Kann." "Ich kann nicht." Tracy begann zu schluchzen. Fast hatte sie sie soweit. "Wie sah er aus? Wie ist es passiert?" "Ich weiß es nicht mehr!" Tracy zog die Knie an und verbarg das Gesicht in ihren Händen, als sie die Tränen nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. "Gerade eben hast Du noch gesagt, Du kannst nicht." Eve beugte sich nach vorne, um jeden Ausdruck des Mädchens besser erkennen zu können. "Ich kann nicht." Eve seufzte. "Du lässt mir keine andere Wahl, Tracy. Da du den Täter offenbar zu decken versuchst..." Sie stand auf und zückte die Handschellen. Aron Stand draußen und raufte sich die Haare. Was zur Hölle tat sie da? "Tracy Kingsley, Sie sind verhaftet wegen des dringenden Tatverdachts auf Beihilfe zu schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen." Aron fiel die Kinnlade herunter. Eve packte das Mädchen harsch am Arm und zog sie vom Stuhl. "Nein! Nein, Bitte! Ich habe nichts getan!" "Sie haben das Recht, zu schweigen." Eve legte dem Mädchen die Handschellen an. "Alles, was Sie sagen kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden." Sie machte Anstalten, das Mädchen aus dem Raum zu bringen. "Nein! Miss Eve! Ich habe ihm nicht geholfen! Ich erzähle alles! Ich sage Ihnen alles." Sie warf einen für Aron undeutbaren Blick in den Spiegel und half Tracy auf einen Stuhl nachdem Sie die Handschellen gelöst hatte und verließ den Raum. "Ihre Zeugin, Detective." Eve warf ihm die Handschellen zu und wandte sich zum Gehen. "Was sollte das?!" Aron war außer sich. "Beihilfe zur schweren Körperverletzung?! Das gibt es überhaupt nicht!" "Sie wollten, dass die Kleine redet, oder?" Eve drehte sich um und sah ihn unverwandt an. "Ja, aber doch nicht so!" Dass er sich schuldig fühlte, war ihm ins Gesicht geschrieben. Genauso, wie ihn die Verständnislosigkeit plagte, die er ihr gegenüber empfand. "Sie hat von sich alleine die Kraft gefunden, darüber zu sprechen. Sie hat nur den richtigen Anreiz gebraucht. Als sie bemerkt hat, dass sie dem Täter mit ihrem schweigen hilft, wollte sie reden." "Sie sind grausam, Eve." "Danke, ich finde allein hinaus." Sie lächelte halbherzig und lies den Detective stehen. "Kümmern sie sich um Tracy."   Eve nahm ein Taxi nach Hause. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen und war hundemüde. Vor ihrem Apartment lehnte sie sich gegen die Tür und hatte Mühe, mit dem Schlüssel das Schloss zu treffen. Als Loki aufgrund der kratzenden Laute, die ihre Versuche draußen verursachten von innen öffnete, viel sie ihm wie ein nasser Wäschesack entgegen. "Ist mit Dir alles in Ordnung?" Er hielt sie mit einem Arm fest und schloss die Tür. "Bestens. Danke." Sie löste sich abrupt aus seinem Griff und wankte in die Küche. "Willst Du auch einen Drink?" "Danke, nein." Loki setzte sich wieder an seinen Laptop. "Was wollte die Polizei von Dir?" "Sie haben mich zu einem Überfall hier in der Nachbarschaft befragt." Sie nahm einen ungewöhnlich großen Schluck aus dem Glas, das sie zuvor mit Whiskey gefüllt hatte. "Du solltest Dich hinlegen, Du siehst furchtbar aus." Bemerkte er beiläufig und tippte weiter auf der Tastatur herum. "Na vielen Dank auch." Sie stellte das Glas hin und öffnete den Kühlschrank. "Bist Du bei den Bewerbungsgesprächen auch so charmant?" "Nein, nur Dir gegenüber." "Aber Du hast Recht. Ich sollte ins Bett gehen." Sie nahm eine Flasche Mineralwasser und ging die Treppe hinauf. "Gute Nacht." "Gute Nacht, Eve."   Eve lag noch lange wach. Dachte an Tracy und was ihr widerfahren war; dachte daran, was Aron Smith gesagt hatte. Sie sind grausam, Eve. Sie stand auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging hinaus auf die Dachterrasse. Die Luft roch nach Schnee und jeder Atemzug lies kleine Geister vor ihr tanzen. War sie wirklich grausam? Was bedeutete denn grausam wirklich? Grausamer als die Realität in der wir alle leben, als die Wahrheit mit der sich keiner so recht anfreunden Will oder kann? Dann war es wohl auch grausam, dass sie es sehen konnte. Jeder Mensch erzählt unbewusst viel mehr, als er für Möglich halten würde; ein Blick, ein Schritt, eine Kopfwendung, die kleinste Regung der Gesichtsmuskulatur sprach Bände. Sie sah alles, ob sie wollte oder nicht. Es war ein automatischer Prozess, wie ein normaler Mensch auf der Straße Schilder liest, ohne es bewusst zu tun. Aber da war noch mehr. Eve hatte die Fähigkeit in das Bewusstsein eines Individuums oder in die Materie eines Gegenstandes eindringen zu können. Lediglich eine Berührung reichte aus. Erst als Teenager hatte sie die Kontrolle darüber erlangt. Es war ein langer mühsamer und schmerzhafter Weg. Und dann diese Aussetzter, die sich niemand erklären konnte. Eve lehnte sich an die Brüstung und sah zum Himmel. Die Nacht war sternenklar. Nacht... Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Heute Morgen hatte sie den ersten Wecker verschlafen und war gerade so pünktlich im Büro. Am Wochenende hatte sie bis um elf Uhr Vormittag geschlafen. Sie dachte Tag für Tag zurück, so gut sie konnte. Die alltäglichen Aussetzer waren ausgeblieben. Der letzte war an dem Abend gewesen, an dem es in Strömen geregnet hatte. Als sie... Das war unmöglich. Wie sollte das etwas mit ihm zu tun haben? Das konnte nur ein Zufall sein... Oder doch nicht? Sie schüttelte gedankenverloren den Kopf. Es war absurd... Hosted by Animexx e.V. 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