You've got a note von HellyKitto ================================================================================ Kapitel 3: note 3 ----------------- note 3 Sein Körper reagierte schneller als sein Gehirn. Ehe er sich versah, stand er in seinem Flur, zog sich in aller Eile seine Schuhe an, warf sich halbherzig die Jacke über die Schulter und stürmte aus der Wohnung. Er rannte den ganzen Weg bis zu dem kleinen Laden, sah nicht nach links oder rechts, wenn er eine Straße überquerte, achtete nicht auf die empörten Leute, die er anrempelte und er wäre fast in einen Stapel Holzbalken gerannt, der sich vor der Eingangstür des kleinen Ladens befand. Stolpernd kam Jack zum Stehen und musterte zuerst das ganze Holz, welches so aussah, als ob es schon seit Tagen hier lag, und bemerkte erst dann, dass die Schaufenster, die nur Stunden zuvor noch herrlich wirr geschmückt gewesen waren, mit weiteren Holzbalken verriegelt worden waren. »Was zum ...« Jack trat einen Schritt zurück, dachte zuerst, er hätte sich in der Straße geirrt, aber es bestand kein Zweifel. Das hier war der Laden, in dem er am Vormittag noch eingekauft hatte. Aber warum war er so verriegelt? Er warf einen Blick auf sein Handy. An der Uhrzeit konnte es nicht liegen, denn es war erst fünf Uhr nachmittags und um diese Zeit hatten die Läden normalerweise noch geöffnet. Er rüttelte an der Tür, doch die bewegte sich keinen Zentimeter. Sie war in einem erschreckend schlechten Zustand, wie er feststellte, nun, da er direkt davor stand. Vorsichtig fuhr mit einem Finger über die tiefen Risse und Furchen, die das Holz durchzogen. Was war passiert? Wurde hier eingebrochen? War dem alten Ladenbesitzer etwas zugestoßen? Um ehrlich zu sein, konnte er sich nicht vorstellen, dass diese Spuren von einem Einbruch stammten, denn sie wirkten eher so, als wären sie schon seit vielen Jahren vorhanden. Jack versuchte sich zu erinnern, wie die Tür am Vormittag ausgesehen hatte und er konnte sich an keine nennenswerten Makel erinnern. Irgendetwas stimmte hier nicht. Atemlos drehte er sich zu der Straße um und ging zu dem nächstbesten Passanten, der gerade vorbei lief. »Verzeihung!«, rief er dem Mann zu, damit dieser stehen blieb. »Was ist denn mit dem Laden hier passiert?« Der angesprochene Mann sah verwirrt zwischen Jack und dem Gebäude hin und her und schüttelte dann den Kopf. »Was soll da passiert sein?« »Heute Vormittag noch waren hier die wunderbarsten Spielsachen gewesen, und nun ... es sieht so aus, als würde der Laden seit Jahren leer stehen! Das kann nicht sein! Wissen Sie nicht, was los war?« Der Mann sah Jack an, als hätte er den Verstand verloren. »Der Laden steht seit Jahren leer. Ganz früher, vor fünfzig Jahren oder so, da war das mal ein Spielzeugladen mit einem netten, alten Ladenbesitzer, aber seitdem war nichts mehr hier drin. Bist du sicher, dass du diesen Laden meinst?« Jack fiel aus allen Wolken. Was erzählte der Mann da? Das konnte doch nicht stimmen! Noch vor ein paar Stunden hatte er diesen Laden betreten und eine Schneekugel gekauft. Und das sollte er sich eingebildet haben? All diese wundervollen Dinge? Wie sollte das funktionieren? Und die Tüte? Die war doch auch echt! Die konnte keine Einbildung sein, genauso wenig wie ihre Magie, die nun zerstört war. Nein, hier musste ein Irrtum vorliegen. Ohne ein weiteres Wort zu dem Mann drehte er sich wieder zu dem Laden und starrte auf die Stelle, an der heute Vormittag noch mit großen, bunten Buchstaben der Name des Ladens hing. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren und er überlegte krampfhaft, was er nun tun sollte. Das leichte Tippen auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken und erschrocken drehte er sich zu dem Mann um, der noch immer dort stand. Dieser hielt ihm sein Smartphone entgegen. »Hier. So sah der Laden damals aus. Der Mann da war der Besitzer. Der Laden ging irgendwann pleite, weil sich niemand mehr für selbstgemachte Spielsachen interessierte, und kurz darauf verstarb der Besitzer.« Jack sah auf das schwarz-weiße Foto, welches etwas unscharf war, aber ohne Zweifel den Laden zeigte, vor dem er hier stand. Und der Mann, der vor dem Laden stand, war der Besitzer, mit dem er heute Morgen noch geredet hatte. Da war er sich ziemlich sicher. Die Art, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzogen hatte, war unverkennbar. Jack schluckte. »Sind Sie sich da sicher?« Der Mann nickte. »Als Kind war ich beinahe jeden Tag hier und habe dem Mann dabei zugesehen, wie er die verschiedensten Spielsachen hergestellt hatte.« Er steckte sein Handy wieder ein und schenkte Jack einen zweifelnden Blick. »Du hast dich bestimmt in der Straße geirrt.« Damit drehte er sich um und ging weiter seines Weges. Jack blieb zurück, mit leerem Kopf und schwerem Herzen. Er hatte sich nicht in der Straße geirrt. Aber er verstand es nur nicht. Wie konnte das sein, dass ein Mann, der seit fünfzig Jahren nicht mehr lebte, in seinem alten Laden wieder auftauchte, eine Schneekugel, einen Teddy und zwei rote Tüten verkaufte und dann wieder verschwand? Das war schlichtweg unmöglich. Dafür musste es eine logische Erklärung geben. Aber was auch immer das für eine Erklärung war, sie erschloss sich nicht für Jack und mit hängenden Schultern entfernte er sich von dem Laden. Völlig in Gedanken versunken lief er durch die Gegend, achtete nicht auf seinen Weg und ließ sich treiben. Er verstand es einfach nicht. Wieso war das Schicksal so gegen ihn? Wieso wurde ihm dieses kleine bisschen Glück nicht gegönnt? Nun gab es wirklich keine Gelegenheit mehr, um mit Elsa in Kontakt zu treten. Ohne Hoffnung ließ er sich auf eine Bank nieder und legte die zerstörte Tüte neben sich ab. Deprimiert zog er die Knie an seinen Körper und schlang seine Arme darum. *** Elsa wartete gefühlte Stunden auf eine Antwort von diesem Jack. Seit ihrer Zustimmung zu einem Treffen war keine weitere Notiz von ihm angekommen. Ob er es sich anders überlegt hatte? Nervös war sie auf und ab gegangen, hatte immer wieder in die Tüte gesehen und war dann weiter ruhelos durch die Wohnung gewandert. Noch nie in ihrem Leben war sie so nervös gewesen wegen einem Mann. Sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. In ihrem Schlafzimmer setzte sie sich wieder auf ihr Bett und starrte die Tüte an. Nach kurzem Zögern griff sie nach einem leeren Notizzettel und ihrem roten Stift, schrieb Alles in Ordnung? darauf und warf den Zettel in die Tüte. Doch wider Erwarten verschwand der Zettel nicht wie die unzähligen anderen vor ihm, sondern er blieb einfach so liegen. Elsa versuchte es noch einmal, sie nahm den Zettel wieder heraus und warf ihn erneut in die Tüte, doch auch dieses Mal geschah nicht das, was geschehen sollte. Der Zettel verschwand nicht. Was war da los? Probeweise schüttelte Elsa die Tüte, um irgendetwas zu bewirken, doch nichts tat sich. Eine böse Vermutung machte sich in ihr breit. Ob Jack die Verbindung irgendwie gekappt hatte? Ob er sie doch nicht treffen wollte? Für sie klang das logisch. Elsa fühlte sich dumm und verarscht. Warum hatte sie sich überhaupt Hoffnung gemacht? Sie wusste doch, dass solche Geschichten nie gut ausgingen! Sie war nicht ohne Grund jahrelang überzeugter Single geblieben! Nichts anderes passierte, wenn man sich mit Männern einließ: Erst machten sie einem Hoffnung und dann ließen sie einen fallen wie eine heiße Kartoffel. Sie hatte das doch schon so oft mitbekommen! Warum hatte sie nicht besser aufgepasst? Sie hätte sich nicht auf ihn einlassen sollen. Auch wenn er noch so nett war, am Ende war sie die Geschädigte und diejenige, die sich ärgerte. Wütend und beleidigt schnappte sich Elsa die Tüte und verließ die Wohnung. Sie würde dieses hässliche Ding keine Sekunde länger in ihrer Wohnung dulden und sie würde ihm kurzen Prozess machen. Die nächstbeste Mülltonne würde dann das neue Zuhause der unbrauchbaren Tüte werden und sie hätte wieder ihre Ruhe. So ging sie aus dem Haus und schlug wahllos einen Weg ein. Irgendwo würde ihr mit Sicherheit bald ein Mülleimer begegnen. Und sie hatte Glück, kaum war sie um die Ecke gebogen, entdeckte sie an einem Laternenmast einen roten Plastikbehälter. Zielgerichtet ging sie auf ihn zu, blieb dicht vor ihm stehen und hob die Tüte über die Öffnung. Aus dem Inneren stieg der Gestank von alten Zigaretten und verdorbenen Lebensmitteln heraus und Elsa drehte es fast den Magen um, sie wollte diese Sache so bald wie möglich hinter sich bringen. Doch etwas hinderte sie daran, die Tüte loszulassen. Sie konnte ihre Finger nicht von dem Papier lösen. Es erschien ihr mit einem Mal so falsch, dass sie nach Luft schnappend zurücktaumelte und sich erschrocken fragte, was zur Hölle sie da eigentlich vorhatte. Es war nicht diese Tüte, die Schuld an dem hatte, was Elsa verärgerte. Seufzend drückte sie die rote Tüte an sich und lief ein Stück weiter. Sie sollte ihre Wut nicht an Dingen auslassen, die gar nichts dafür konnten. Sie hatte sich wirklich darauf gefreut, diesen Jack zu treffen, weil er einen so positiven Eindruck auf sie gemacht hatte, weil sie tatsächlich Spaß mit ihm gehabt hatte, weil er sie zum Lachen gebracht hatte, ohne dass er irgendetwas Großartiges getan hatte. Sie hätte ihn wirklich so gerne kennengelernt, und dass er es wohl anscheinend nicht mehr wollte, verletzte sie so sehr, dass sie sich für einen Moment fast selber vergessen hatte. Kraftlos ließ sie sich auf eine Bank fallen. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie sie in den Park gelaufen war, und nun saß sie vor einem kleinen Ententeich. Die Tüte lag vor ihr auf dem Schoß und gedankenverloren spielte sie mit den Kordeln, die als Tragelaschen dienten. Warum wollte er sie nicht treffen? *** Jack regte sich erst, als sein Rücken anfing zu schmerzen. Stöhnend löste er seine Position und setzte sich aufrecht hin. Es war deutlich dunkler geworden und er bemerkte erst jetzt, dass er sich in einem Park befand und bei einem kleinen Teich saß. Er seufzte schwer. Zwar hatte er viel nachgedacht, doch eine Lösung für sein Problem war ihm nicht eingefallen. Es gab einfach keine Möglichkeiten. Damit musste er sich abfinden. Er stand von der Bank auf und beschloss, auf dem Heimweg beim Italiener drei Pizzen mitzunehmen. Wenn seine Mitbewohner heimkämen, würden sie mit Sicherheit hungrig sein. Er ging ein paar Schritte um den Teich herum und blieb neben einem Mülleimer stehen. Sein Blick glitt zu der nutzlosen Tüte in seiner Hand. Wozu sollte er diese noch aufheben? Sie war zu nichts mehr zu gebrauchen. Verschenken konnte er sie nun auch nicht mehr. Kopfschüttelnd warf er sie in den Mülleimer, dann wandte er ihr den Rücken zu, bereit, sie für immer hinter sich zu lassen. Dann sah er sie. Eine identische Tüte, nur ohne Riss, versteht sich, auf dem Schoß einer jungen Frau, die den kleinen Teich beobachtete und völlig in Gedanken versunken zu sein schien. Sein Herz setzte einen Takt aus. Konnte das sein? Hastig drehte er sich um und fischte seine Tüte aus dem Mülleimer. Kein Zweifel, die Tüten glichen sich wie ein Ei dem anderen. Ob sie es war? Plötzlich war er nervös, aufgeregt und er wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er sie ansprechen? Wie groß war die Chance, dass sie es war? Sollte er es einfach wagen? Die Hoffnung, die ihn durchflutete, war so immens, dass er einen gewaltigen Schub an Mut bekam und sich neben sie auf die Bank setzte. Stocksteif saß er da und musterte die Frau neben sich. Ihre Haare waren blond und lang und zu einem dicken Zopf geflochten. Sie sah wirklich gut aus, das musste er zugeben. Es dauerte eine Weile, ehe sie ihn zu bemerken schien. Langsam drehte sich ihr Kopf in seine Richtung und ihre blauen Augen musterten ihn fragend. Jack konnte nicht anders als breit zu grinsen. Sie musste es sein, es konnte gar nicht anders sein! Mit zitternden Händen hielt er seine zerrissene Tüte nach oben und der Blick der Frau folgte seiner Bewegung. Sie verzog ihr Gesicht verwirrt, dann schien sie zu verstehen. Als sich ihr Gesicht wieder hob, waren ihre Augen groß und ihr Mund verzog sich von Sekunde zu Sekunde mehr zu einem Lächeln. Dann griff sie nach ihrer eigenen Tüte und hielt sie ebenfalls etwas nach oben. Jack drehte seine Tüte um und er zeigte der Frau den hässlichen Riss, der zum Abbruch des Kontaktes geführt hatte. Die Frau nickte und lächelte. Sie schien sehr erleichtert zu sein. Jack griff in seine Tüte und holte einen Zettel hervor, den er ihr zeigte. Sorry. Daneben ein trauriger Smiley. Und auch die Frau holte einen Zettel aus ihrer Tüte. Ich habe dich vermisst. Jack konnte sein Glück kaum fassen und sein Grinsen wollte kein Ende nehmen. Erneut griff er in seine Tüte, holte einen leeren Zettel hervor, kritzelte ein Wort darauf und schob ihn dann Elsa zu. Sie las ihn und nickte dann lächelnd. Ihre Antwort schrieb sie auf den gleichen Zettel. Pizza? Liebend gerne. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)