You've got a note von HellyKitto ================================================================================ Kapitel 1: note 1 ----------------- note 1 »Kann ich Ihnen helfen?« Der alte Mann tauchte so unvermittelt neben Elsa auf, dass sie vor Schreck das große, gelbe und äußerst hässliche Plüschtier fallen ließ. Sie war so vertieft in ihren Gedanken gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, wie er sich ihr genähert hatte. Mit zitternden Händen hob sie das gelbe Monstrum wieder auf und setzte es zurück in das Regal. »N-nein, ich suche nur nach einem kleinen Geschenk.« »Suchen Sie nach etwas Bestimmten?« Elsa zuckte mit den Schultern und ließ ihren Blick unschlüssig über die Regale vor ihr gleiten. »Weiß ich nicht. Es soll nur etwas Kleines sein.« Ihr Blick blieb an einem kleinen Teddy hängen, der zwischen einem weißen Tiger und einem riesigen pinken Einhorn saß. Im Gegensatz zu den beiden Plüschtieren wirkte der Bär völlig unscheinbar. Er war hellbraun, hatte schwarze Knopfaugen und trug eine karierte Schleife um den Hals. Aber er war klein und niedlich, also beschloss Elsa, dass es dieser Bär wohl sein würde. Entschieden griff sie danach. »Den hier«, sagte sie an den Verkäufer gewandt, »den nehme ich.« Der Alte kniff seine Augen zusammen, als sich sein Mund zu einem Lächeln verzog. »Großartige Wahl, Miss! Der ist etwas ganz Besonderes, wissen Sie?« Er nahm ihr den Teddy aus der Hand und Elsa folgte ihm zur Kasse, während sie ihm zuhörte. »Den hat meine Enkelin selber gemacht. Er ist ein Einzelstück und einer meiner kleinen Schätze.« »Ihre Enkelin macht Kuscheltiere?« »Ja, und das sogar sehr gut. Der Bär war ihr erstes Exemplar. Ihr hat er nicht gefallen, aber ich fand ihn gleich wundervoll. Er hat etwas Besonderes an sich, finden Sie nicht auch?« Liebevoll setzte der Verkäufer den Teddy auf dem Tresen neben der Kasse ab und ließ für Elsa eine Rechnung raus. Sie bezahlte und sah den Teddy in die Augen. Ja, der Verkäufer hatte Recht. Irgendetwas an dem Bären war besonders. Sie konnte nur nicht genau sagen, was es war. »Möchten Sie eine Tüte dazu?« Der Verkäufer wies auf zwei glänzende rote Tüten, die neben der Kasse standen und sehr weihnachtlich aussahen. Elsa nickte, so musste sie den Bären schon nicht in Geschenkpapier einwickeln. Auch wenn ihre Schwester es liebte, Geschenke auszupacken, fand sie es viel praktischer, einfach eine schöne Tüte zu nehmen. Vorsichtig löste der Verkäufer die eine Tüte von der anderen. Sie waren an den Seiten mit Klebeband zusammengeklebt worden und der Verkäufer achtete sorgfältig darauf, die Tüten nicht zu zerreißen. Er legte den Teddy in die Tüte und überreichte sie Elsa. »Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem Teddy. Frohe Weihnachten!« »Ihnen auch«, antwortete Elsa und ging mit der Tüte aus dem Laden. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihr breit, als sie den Laden verließ, doch sie konnte nicht genau sagen, woher es kam oder was es zu bedeuten hatte. So schnell es ihr möglich war, ging sie nach Hause. Erfreulicherweise hatte sie schneller ein Geschenk gefunden, als sie sich erhofft hatte. Und sie war noch erfreuter, als sie am Ende der Fußgängerzone ein Taxi stehen sah, welches offensichtlich gerade frei war. Erleichtert setzte sie sich auf die Rückbank, nannte dem Fahrer ihre Adresse und der schlängelte sich geschickt durch den dichten Verkehr der Innenstadt. Nach einer ganzen Weile hielt der Wagen schließlich vor dem Wohnhaus, in dem Elsa lebte, und sie bezahlte den Fahrer. Die automatische Schiebetür öffnete sich lautlos, als sie näher trat, und sie schritt durch den weißen und makellosen Flur in Richtung Aufzug. Sie wohnte im fünfzehnten Stockwerk und die Fahrt nach oben dauerte ganze zwei Minuten. Die typische Aufzugmusik schwang ihr entgegen, als sich die Türen öffneten. Sie drückte auf den Knopf mit der dicken 15 und mit einem Klingeln schlossen sich die Türen und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Sie beobachtete die Anzeige über der Tür, wie sie sich ständig änderte. Im achten Stock hielt der Aufzug einmal an und eine ältere Dame trat ein, die einen Stock weiter schon wieder ausstieg. Dann nach einigen Sekunden hielt der Aufzug im fünfzehnten Stock und Elsa trat heraus. Sie schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf, zog sich in ihrem Flur Jacke und Schuhe aus und lief durch das Wohn- ins Schlafzimmer, wo sie die rote Tüte aufs Bett warf. Achtlos blieb sie dort erst einmal liegen und Elsa kehrte in die Küche zurück, um sich einen Tee zu machen. Da Weihnachten praktisch schon vor der Tür stand, entschied sie sich für einen Früchtetee, der nach Weihnachten roch. Feine Aromen nach Zimt, Apfel und Orange durchfluteten zuerst die Küche und anschließend den Rest der Wohnung, als Elsa mit der Tasse in der Hand durch die Wohnung lief. Sie war wieder im Schlafzimmer und stellte die Tasse auf ihrem Nachttischchen ab, legte sich bäuchlings aufs Bett und angelte sich die Tüte. Sie wollte nach dem Teddy greifen, doch statt des weichen Bären ergriff sie einen harten Gegenstand. Verblüfft zog sie ihre Hand aus der Tüte hervor und musterte den bunten Karton in ihren Händen. »Was zum ...« Auf dem Karton war eine Schneekugel abgebildet, in der ein Pinguin vor einem Iglu stand. Ratlos sah Elsa auf das Bild. Sie hatte doch einen Teddy gekauft! Sie hatte doch gesehen, dass der Verkäufer den Bären in die Tüte gelegt hatte! Von dem fehlte allerdings jede Spur. Er lag weder in der Tüte noch auf dem Bett oder auf dem Boden. Auch im Rest der Wohnung war er nicht auffindbar. Ob irgendjemand den Bären aus der Tüte genommen und stattdessen diesen Karton hineingelegt hatte? Aber wann hätte das denn passieren sollen? Sie hatte die Tüte die ganze Zeit über in den Händen gehalten, sie hätte es gespürt, wenn sich jemand daran zu schaffen gemacht hätte. Was war da los? Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Elsa seufzte. Eigentlich sollte sie zurück in diesen Laden gehen, um ihren Bären wiederzuerlangen, doch sie hatte nicht wirklich Lust darauf. Und Anna wäre wohl auch mit so einer Schneekugel zufrieden, obwohl Elsa den Bären um einiges niedlicher gefunden hatte. Was auch immer da schief gelaufen war, sie beschloss es als gegeben hinzunehmen und platzierte den Karton mit der Schneekugel wieder in der roten Tüte. Doch wie sie auf den Karton sah, wie er auf dem Boden der Tüte ankam, so verschwand er einfach. Löste sich in Luft auf. War nicht mehr da. Erschrocken holte Elsa Luft und griff in die Tüte, doch da war nichts. Sie berührte den dünnen Pappboden der Tüte ohne Hindernisse. Elsa riss die Tüte hoch, doch auch unter ihr kam nichts zum Vorschein. Der Karton mit der Schneekugel war weg. Hatte sich in Luft aufgelöst. Elsa stand vom Bett auf und ging auf und ab, dabei ließ sie die Tüte keine Sekunde lang aus den Augen. Hatte sie Halluzinationen? Sie bildete sich das doch bloß ein. Oder? Sie nahm einen Kugelschreiber, der auf ihrer Komode lag und ließ ihn in die Tüte fallen. Wie zuvor der Karton verschwand auch der Kugelschreiber, sobald dieser den Boden der Tüte berührte. Unmöglich. Entgeistert starrte Elsa die Tüte an. Das war doch nicht normal! Ein Lippenstift folgte dem Kugelschreiber und anschließend eine Packung Taschentücher. Alles verschwand einfach so. Es war zu verrückt, als dass Elsa das verstehen konnte. Sie hockte sich auf den Boden und beobachtete die Tüte genau. An ihr war nichts Außergewöhnliches. Sie sah aus wie jede andere Tüte auch. Nur dass sie scheinbar ein schwarzes Loch beherbergte, was alles verschlang, was es kriegen konnte. Plötzlich ging ein Ruckeln durch die Tüte und Elsa hüpfte erschrocken nach hinten. Was war jetzt passiert? Vorsichtig kam sie wieder näher und lugte über den Rand auf den Boden. Verwirrt griff sie in die Tüte und holte all das Zeug hervor, welches sie zuvor in die Tüte geworfen hatte. Der Kugelschreiber, der Lippenstift, die Taschentücher. Mit einem Unterschied. Die Gegenstände waren mit einem weißen Puder beschmiert. Mehl? Elsa kam der Verdacht, dass da jemand am anderen Ende der Leitung sitzen könnte und sich genauso wunderte wie sie, warum die rote Tüte plötzlich verschiedene Artikel ausspuckte. Elsa ging zu ihrem Nachttischchen und öffnete die Schublade. Sie nahm sich einen roten Filzstift und gelbe Haftnotizen und warf sich auf das Bett. Zögerlich schrieb sie auf das erste Blatt: Wer bist du? Hinter die Notiz klebte sie ihren Kassenzettel, den sie in der Hosentasche hatte und warf beides in die Tüte. Beides verschwand wie erwartet. Es dauerte nicht lange, da ging wieder ein Ruckeln durch die Tüte und Elsa griff hinein. Sie holte einen Zettel hervor, genauer gesagt ihren eigenen Kassenzettel. Mit einem blauen Stift hatte die andere Person einen Namen quer über das Papier geschrieben: Jack. Sie hatte es also mit einem Mann zu tun. Elsa nahm sich erneut einen Zettel. Rote Tüte? Sie warf ihn hinein und erhielt schnell eine Antwort. Dieses Mal war es wieder ein Kassenzettel, vermutlich der von diesem Jack, auf dem die Schneekugel ausgeschrieben war. Anscheinend hatte dieser Jack kurz nach ihr in dem gleichen Laden diese Schneekugel gekauft und wie sie auch eine der roten Tüten mitgenommen. Auch auf diesen Kassenzettel hatte er etwas geschrieben. Er hatte ein Häkchen gemalt und daneben ein 100/100 P gesetzt. Sie musste lachen. Sie nahm sich einen weiteren gelben Zettel und malte einen Smiley. Auf einen anderen Zettel schrieb sie ihren Namen. Elsa. Und es dauerte keine halbe Stunde, da war ihr Bett zugepflastert mit gelben Notizzetteln. Kapitel 2: note 2 ----------------- note 2 Jack staunte nicht schlecht, als er den kleinen Laden betrat. Es war das Paradies! Er liebte solche kleinen Läden, in denen alles so scheinbar willkürlich verteilt war, in jeder Ecke eine andere Überraschung wartete und man aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Der kleine Laden hatte erst seit heute geöffnet, auch wenn vieles so wirkte, als stünde es schon jahrelang an diesem einen Platz. Jack war sofort gefangen von dem Zauber dieses Ortes und sein junges Herz spürte, dass hier etwas ganz Großartiges auf ihn wartete. Er nahm sich sehr viel Zeit, um wirklich alles zu erkunden, was es hier zu erkunden gab, und hätte er nur mehr Geld bei sich, würde er wohl viel mehr kaufen als nur ein kleines Geschenk für seine geliebte Schwester. Ein aus Holz geschnitztes Karussell, das wie eine Spieluhr funktionierte. Eine künstliche Kristallhöhle, in der winzige Zwerge mit noch winzigeren Werkzeugen arbeiteten. Ein Wecker, der eine Liebesgeschichte erzählte. Jack wünschte sich, er könnte all diese zauberhaften Gegenstände mitnehmen, doch er wusste, dass er sich für eines entscheiden musste. Und das sollte nach Möglichkeit nicht nur ihm, sondern auch - und vor allem! - Emma gefallen. Immerhin war sie die Beschenkte. Aber Jack konnte sich unmöglich entscheiden. Er war ein Spielkind, war es schon immer gewesen, und sich für ein Spielzeug zu entscheiden hatte er noch nie in seinem Leben gekonnt. Wie sollte er sich also jetzt für das perfekte Geschenk entscheiden? Wie aus dem Nichts tauchte ein alter Mann neben ihm auf, und Jack hätte schwören können, dass er vor einer Sekunde noch nicht da gewesen war. »Junger Mann«, krächzte er freundlich und seine Augen zogen sich zusammen, als er lächelte, »kann ich Ihnen helfen?« Jack beschloss, diesem Mann die Entscheidung zufallen zu lassen. »Ich suche nach einem Geschenk für meine kleine Schwester.« Der Mann nickte stark und sein schütteres, graues Haar flog um seinen Kopf. »Ich verstehe, gut, gut. Nun ... Wie alt ist denn Ihre Schwester?« »Dreizehn.« »Ein schönes Alter«, schwärmte der Alte und er begann die Regale abzulaufen. »Meine Enkelin ist auch dreizehn geworden. So ein liebes Mädchen, sehr kreativ.« Er nahm verschiedene Gegenstände in die Hand, legte sie aber nach kurzem Nachdenken wieder in die Regale. »Was mag Ihre Schwester? In dem Alter sind die typischen Spielsachen nicht mehr so angesagt.« »Das ist wahr. Aber Emma mag ... eigentlich alles. Hauptsache, es ist schön.« Der Mann machte komische Geräusche und bog am Ende des Ganges nach links ab. Seine Griffe in die Regale wurden nun zielgerichteter, langsam schien er zu wissen, wonach er suchte. Und tatsächlich, in der Mitte des Ganges blieb er schließlich stehen, machte laut »Aha!« und zog einen bunten Karton aus dem untersten Regal. Jack konnte eine Schneekugel erkennen, die auf der Vorderseite abgebildet war. Eine Schneekugel mit einem Pinguin, der vor einem Iglu stand. Das war es. Begeistert nahm Jack den Karton entgegen und der Alte lächelte zufrieden. »Die nehm' ich. Danke.« »Sehr schön, sehr schön!« Jack folgte dem Mann zur Kasse, bezahlte und wartete darauf, dass die Kasse einen Kassenzettel ausspuckte. »Möchten Sie eine Tüte?« Der Mann wies auf eine einsame rote Tüte, die neben der Kasse stand. »Das ist eine ganz besondere Tüte, müssen Sie wissen! Sie steckt voller Weihnachtswunder!« »Weihnachtswunder, hm?«, wiederholte Jack leise und grinste. Wenn er das Emma erzählte, hätte sie mehr Spaß an der Tüte als an der Schneekugel. Er nickte. »Kann nicht schaden.« Er sah zu, wie der Verkäufer den Karton vorsichtig in die Tüte legte, und er nahm sie entgegen, als er ihm die Tüte reichte. »Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem Geschenk und frohe Weihnachten!« »Das wünsche ich Ihnen auch, danke.« Zufrieden und auch ein bisschen wehmütig verließ Jack den wundervollen Laden, erwischte gerade noch so die nächste Straßenbahn und quetschte sich zwischen die Menschen hinein. Nach fünf Stationen stieg Jack wieder aus und betrat kurze Zeit später die Wohnung, die er sich mit zwei seiner Freunde teilte. Er war alleine zuhause, die anderen beiden waren gerade beim Arbeiten. Es roch nach selbstgebackenen Plätzchen und Jack konnte nicht verhindern, dass er einen kleinen Umweg durch die Küche machte und einen von Tooths Schokokeksen probierte. Traumhaft! Er mochte diese Kekse, die förmlich auf der Zunge zergingen und er nahm sich noch eine Handvoll Wegzehrung für den wahnsinnig langen Marsch in sein Schlafzimmer mit. Ein Weihnachtslied summend, schmiss er die rote Tüte auf sein Bett und legte die Plätzchen auf seinem Schreibtisch ab. Aus dem Schrank, der im Flur stand, fischte er eine Rolle Geschenkpapier hervor, ein blau glänzendes mit silbernen Sternen. Zurück in seinem Zimmer griff er nach der Tüte, stülpte sie um - und staunte nicht schlecht, als ein kleiner Teddybär zum Vorschein kam. »Wie jetzt ...« Jack war verwirrt. Wo kam das Kuscheltier her? Das hatte er doch gar nicht gekauft! Der Karton mit der Schneekugel war verschwunden, wie er schockiert feststellte. Jack nahm den Bären zwischen Zeige- und Mittelfinger und hielt ihn auf Armlänge vor sein Gesicht. Er war echt, daran bestand kein Zweifel. Er bildete sich den Bären nicht ein. Und er bildete sich auch nicht ein, dass er gesehen hatte, wie der Verkäufer den Karton mit der Schneekugel in diese Tüte gelegt hatte. Er hatte es gesehen! Aber wie kam der Bär hier her? Er legte das Kuscheltier zurück auf das Bett und nahm stattdessen die Tüte in die Hand. Probeweise kippte er sie noch einmal um, schüttelte sie sogar - und mit einem lauten Krachen polterte der bunte Karton mit der Schneekugel auf der Vorderseite heraus. Jack verstand die Welt nicht mehr. War er jetzt vollkommen durchgedreht? Gerade eben war der Karton noch verschwunden gewesen, das hatte er doch genau gesehen! Und nun? Nun lag er hier vor ihm auf dem Boden, als wäre er nie woanders gewesen. Argwöhnisch starrte er auf die Verpackung. Irgendjemand trieb doch einen Scherz mit ihm! Vorsichtig berührte er den Karton mit seinem Fuß. Er gab nach, so wie es für einen materialistischen Gegenstand üblich war. Sein Fuß stieß auf Widerstand, der Karton rutschte etwas nach hinten. Ganz normal. Jack fand das ein wenig unheimlich und er zweifelte extrem an seiner Zurechnungsfähigkeit. Vielleicht hatte er in den letzten Tagen zu sehr unter Stress gestanden ... Die Tüte, die er noch immer verkehrt herum in den Händen hielt, fing an zu vibrieren und erschrocken ließ Jack sie fallen. Als sie auf dem Boden aufkam, kullerte ein schwarzer Kugelschreiber heraus. »Also gut, was wird hier gespielt?« Genervt drehte Jack sich um und blickte zu seiner Schlafzimmertür, doch niemand war dort zu sehen. Nein. Er war allein, das hatte er vorher schon festgestellt. Es war niemand hier, der ihm einen Streich spielen könnte, obwohl er es seinem besten Kumpel Bunny durchaus zutrauen konnte. Aber wie sollte er das machen, wenn er gar nicht hier war? Irgendetwas war hier faul. Er hob die Tüte und den Kugelschreiber auf und blickte beides an. Als die Tüte erneut vibrierte, ließ er sie dieses Mal nicht fallen, sondern warf einen Blick hinein und er fand einen Lippenstift, der auf dem Boden leicht umher kullerte. Verwirrt griff er danach und drehte ihn in seinen Händen. Dann sah er erneut in die Tüte, spürte die Vibration und er sah, wie aus dem Nichts eine Packung Taschentücher entstand. Einfach so. Sie erschien auf dem Boden der Tüte, zuerst nur ein durchsichtiger Schimmer, dann immer genauer, bis sie schließlich fest und da war. Auch danach griff Jack und nun hielt er die drei Gegenstände in der Hand, die auf magische Weise aus dieser Tüte gekommen waren. Was hatte das zu bedeuten? Fakt war, irgendjemandem mussten diese Gegenstände gehören. Und irgendwie brachte der Eigentümer es fertig, dass seine Gegenstände plötzlich bei Jack landeten. Ob das wirklich an dieser Tüte lag? Er erinnerte sich an die Worte des Verkäufers: Sie steckt voller Weihnachtswunder! Mit der Tüte in der einen und den drei Gegenständen in der anderen Hand lief Jack in die Küche und öffnete alle Schränke, bis er schließlich Mehl fand. Er bestäubte den Kugelschreiber, den Lippenstift und die Taschentücher mit Mehl, nahm sie in die Hände, sprach ein kurzes Stoßgebet und warf die Gegenstände in die Tüte. Er sah zu, wie sie verschwanden, als sie den Boden berührten, und er starrte wie gebannt in die Tüte. Das war unglaublich! Einfach unglaublich! Es dauerte eine kleine Weile, ehe sich etwas tat, und Jack dachte schon, dass er sich das alles doch nur irgendwie eingebildet hatte, als plötzlich ein Ruckeln durch die Tüte ging und auf dem Boden ein gelber Zettel erschien. Hastig griff Jack danach und las die drei Worte, die dort mit einem roten Stift geschrieben worden waren: Wer bist du? Jack musste lachen. Da war jemand! Irgendjemand, der genauso verwirrt war wie er, weil aus dem Nichts Gegenstände entstanden oder ins Nichts verschwanden. Da war jemand! Auf der Rückseite des Notizzettels klebte ein weißer Zettel, der sich als Kassenzettel herausstellte. Die Person schien im gleichen Laden wie er eingekauft zu haben, und sie schien diesen Teddy gekauft zu haben. Plötzlich fand Jack das alles gar nicht mehr unheimlich, sondern vielmehr unheimlich spannend und aufregend. Er schnappte sich die Tüte und den Kassenzettel und verschwand wieder in seinem Schlafzimmer. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm sich einen blauen Filzstift und schrieb auf den fremden Kassenzettel seinen Namen: Jack. Dann warf er ihn in die Tüte und wartete gespannt darauf, was als Nächstes kommen würde. Vor Aufregung stopfte er sich mit Plätzchen voll. Es dauerte nicht lange, da wackelte die Tüte erneut und sofort griff Jack wieder hinein. Ein weiterer Notizzettel, mit der gleichen Handschrift beschrieben. Rote Tüte? Diese Person war also auch im Besitz einer dieser roten Tüten. Eine rote Tüte, die voll war mit Weihnachtszauber. Jack war so aufgeregt, dass er nicht wusste, was er tun sollte, bis ihm sein eigener Kassenzettel einfiel, den er in seinem Geldbeutel hatte. Schnell hatte er diesen herausgeholt. Mit seinem blauen Stift malte er ein Häkchen in die untere rechte Ecke des Papiers, auf dem seine Schneekugel stand. Daneben malte er noch ein 100/100 P, warf den Zettel in die Tüte und wartete gespannt. Wieder ein Plätzchen. Das war gute Nervennahrung. Die Tüte vibrierte und Jack fischte einen Zettel mit einem lachenden Smiley darauf hervor. Kurz darauf noch ein Zettel, dieses Mal mit einem Namen: Elsa. Elsa. Eine Frau. Na klar, das erklärte den Lippenstift. Jack war aufgeregt. Er starrte eine gefühlte Ewigkeit auf diese vier Buchstaben, dass ihn das erneute Vibrieren der Tüte aus seinen Gedanken riss. Bist du noch da? Er lachte. Noch ein Zettel. Langweilig. Und ein trauriger Smiley. Jacks Blick fiel auf das letzte Plätzchen. Er warf es in die Tüte und eine Erklärung hinterher: Selbst gebacken. Dass nicht er die Kekse gebacken hatte, schrieb er nicht dazu. Die Antwort kam etwas später. Lecker! Rezept? Jetzt hatte er den Salat. Er musste Tooth nachher unbedingt nach dem Rezept fragen! Besorge ich dir. Ist dir immer noch langweilig? Als Antwort bekam er ein gähnendes Gesicht. Jack sah sich in seinem Zimmer um und überlegte krampfhaft, ob es irgendein Spiel gab, welches sie spielen konnten in ihrer ungewöhnlichen Lage. Das einzige, was ihm einfiel, waren klassische Kartenspiele, und so machte er sich auf die Suche nach Spielkarten. Er wurde fündig im Wohnzimmerschrank und zurück auf seinem Bett begann er, die Karten zu mischen. *** Elsa lag auf dem Rücken auf ihrem Bett, starrte die Zimmerdecke an und summte ein Weihnachtslied. Neben ihr stand die Tüte, die magische, rot glänzende Tüte, die immer wieder wundersame Dinge hervorbrachte. Jack, ihr Gesprächspartner auf der anderen Seite, schien ein äußerst witziger Typ zu sein, und sie hatte ihn schnell in ihr Herz geschlossen. Sie wusste weder das Alter, noch sein Aussehen, doch beides war nicht wichtig. Sie fühlte sich ihm verbunden, ihm nahe, und das war eine Erfahrung, die sie so noch nie gemacht hatte. Ihre bisherigen Erfahrungen mit Männern beschränkten sich auf die äußerst uninteressanten Nachrichten, die sie bisweilen auf Facebook bekam, und auf die eindeutigen Blicke, die man ihr zuwarf, wenn sie in der Stadt unterwegs war. Ihr war es meist unangenehm und so schottete sie sich recht schnell ab gegen jegliche Annäherungsversuche des anderen Geschlechts. Doch nicht hier. Bei Jack war es anders, und sie bemerkte das daran, dass sie tatsächlich aufgeregt war, was er wohl als nächstes bringen würde. Mit dem Plätzchen hatte er sie zuerst überrascht, danach hatte er plötzlich wahllos Karten durch die Tüte geworfen und irgendwann eine Erklärung hinterher geschickt, dass sie jetzt Karten spielen würden, und das hatten sie ganze zwei Stunden getan. Zwischendurch hatten sie sich gegenseitig Fragen zur Person gestellt, und so hatte sie erfahren, dass Jack eine kleine Schwester hatte, die gerade mitten in der Pubertät war, dass er in einer WG mit zwei Freunden lebte, die beide arbeiteten - er selber studierte und hatte gerade Semesterferien - und dass er in einem komplett anderen Stadtteil wohnte als sie. Sie im Gegenzug hatte ihm viel von Norwegen erzählt, ihrer Heimat, in der es noch echten Schnee gab, von ihrer eigenen, kleinen Schwester, die nicht mehr in der Pubertät war, dass sie alleine lebte und das genoss. Es dauerte nicht lange und zwischen ihnen hatte eine gewisse Vertrautheit geherrscht. Und so war es nicht verwunderlich, dass der nächste Schritt schon bald eintraf. *** Jacks Hände zitterten, als er dem Bären den gelben Notizzettel an den Bauch klebte. Bei allem, was er in der letzten Zeit durch die Tüte geschickt hatte, hatte er den Bären vollkommen vergessen. Oder verdrängt? Insgeheim befürchtete er, dass Elsa aufhören würde mit ihm zu kommunizieren, sobald sie erst den Teddy zurück hatte, aber er wusste, dass es nicht fair sein würde, ihr Eigentum bei sich zu behalten. Aber er wollte nicht, dass es endete, er wollte diese Person in seinem Leben behalten, egal wie. Sie hatten sich kennengelernt im Laufe des Nachmittags, sie hatte ihm viel über sich erzählt, genauso wie er viel über sich erzählt hatte. Zwischen ihnen herrschte eine gewisse Verbundenheit, und Jack spürte, dass es Elsa genauso erging. So war es unvermeidlich, dass in ihm der Wunsch nach mehr keimte. Er wollte ihr nicht nur schreiben, mit ihr Karten spielen, oder kleine Bilderrätsel erstellen. Er wollte mehr. Er wollte sie sehen. Jack zögerte. Sollte er es wirklich wagen? Der Teddy lachte ihn mit seinem aufgenähten Mund an. Auf seinem Bauch klebte der gelbe Zettel mit der Frage, die ihm so viel Mut zu schreiben gekostet hatte. Wollen wir uns treffen? Er starrte in die schwarzen Knopfaugen. »Also, Kleiner«, sprach er den Bären an, »du bist mein Glücksbärchi. Alles hängt jetzt an dir. Enttäusche mich nicht.« Er drückte den Bären an sich, streichelte über den weichen Kopf, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und ließ den Bären dann langsam in die Tüte fallen. Er sah zu, wie er verschwand, er stellte sich vor, wie er an einer anderen Stelle auftauchte, und wie ihn eine Frau aus der Tüte nahm, ihn überrascht ansah, die Notiz auf seinem Bauch sah ... Und wenn sie nun nein sagte? Mit jeder Sekunde, die verging, wurde er nervöser. Sie sagt bestimmt nein, dachte er sich. Nie und nimmer wird sie zustimmen. Er hielt es nicht aus, er stand auf und tigerte vor seinem Bett auf und ab, ließ die Tüte dabei nicht aus den Augen. Sie antwortet nicht. Also ein Nein. Seine Hoffnung, die von Anfang an nicht sonderlich groß war, schwand. Es würde keine Antwort kommen. Irgendwie sagte ihm sein Magen das. Umso überraschter war er, als die Tüte vibrierte. Sofort blieb er mitten in seiner Bewegung stehen und starrte auf das rot glänzende Ding auf seinem Bett. Er hatte sich das doch nicht nur eingebildet, oder? Sie hatte ihm eine Antwort geschickt. Sie hatte geantwortet. Ob er nachsehen sollte? Jack traute sich nicht, zu sehr fürchtete er sich vor einem Rückschlag. Unsicher machte er einen Schritt auf das Bett zu. Und noch einen. Vorsichtig warf er einen Blick in die Tüte. Auf dem Boden lag ein gelber Notizzettel. Mehr nicht. Ob es ein nein war? Er wollte nicht nachsehen. Aber er musste es wissen! Jack atmete tief ein, kniff die Augen zusammen und streckte zögerlich die Hand nach dem Zettel aus. Sehr langsam öffnete er erst das eine Auge und war überrascht, dass da mehr zu stehen schien als nur ein einfaches nein. Er öffnete das Auge weiter und er sah ein lachendes Gesicht hinter ihrer Antwort. Hoffnung wallte auf und überschwemmte ihn fast. Er öffnete auch das andere Auge und las ihre Antwort. Ich dachte schon, du fragst nie. Ein Lacher der Erleichterung kam über seine Lippen und dann noch einer. Ein Grinsen zog sich über seine Lippen, es wurde breiter und breiter, bis seine Mundwinkel schmerzten. Sie hatte ja gesagt! Sie wollte ihn treffen! Er konnte sein Glück kaum fassen. Sie hatte ja gesagt! Mit einem Aufschrei der Freude packte er das wundervolle Wunder in Form der roten Tüte, drückte sie an sein Herz, drehte sich mit ihr im Kreis, war dieser Tüte auf ewig dankbar - bis das wohl hässlichste Geräusch ertönte, welches er sich in dieser Situation vorstellen konnte: Das Zerreißen von Papier. Geschockt starrte er auf die rote Tüte, über deren Seite sich ein grässlicher Riss bis fast zum Boden zog. »Nein!« In Panik geraten griff Jack nach dem erstbesten Gegenstand, den er zu greifen bekam - sein blauer Filzstift - und warf ihn in die Tüte. Auch nach mehreren Sekunden, in denen Jack beschwörerisch auf den Boden der Tüte gestarrt hatte, verschwand der Stift nicht. Er lag da, so wie er gelandet war, und lag und dachte nicht daran zu verschwinden. »Nein ...« Er griff nach dem Stapel Notizzettel, die noch unbeschrieben waren, warf ihn hinein, doch auch er blieb lieben, ohne Anstalten des Verschwindens zu machen. »Bitte nicht ...« Die Tüte war nun nicht mehr als das, was sie war: eine rote Tüte mit einem Riss. Ohne Magie. Ohne Verbindung zu ihrem Gegenstück. Ohne Verbindung zu Elsa. Er hatte sie verloren. Er hatte sie verloren, ehe er sie gefunden hatte. Seine Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase. Nun gab es keine Möglichkeit mehr mit Elsa in Kontakt zu treten. Wie sollten sie einen Treffpunkt ausmachen? Wie sollten sie sich jetzt treffen? Sollte es das gewesen sein mit dem Weihnachtszauber? Kapitel 3: note 3 ----------------- note 3 Sein Körper reagierte schneller als sein Gehirn. Ehe er sich versah, stand er in seinem Flur, zog sich in aller Eile seine Schuhe an, warf sich halbherzig die Jacke über die Schulter und stürmte aus der Wohnung. Er rannte den ganzen Weg bis zu dem kleinen Laden, sah nicht nach links oder rechts, wenn er eine Straße überquerte, achtete nicht auf die empörten Leute, die er anrempelte und er wäre fast in einen Stapel Holzbalken gerannt, der sich vor der Eingangstür des kleinen Ladens befand. Stolpernd kam Jack zum Stehen und musterte zuerst das ganze Holz, welches so aussah, als ob es schon seit Tagen hier lag, und bemerkte erst dann, dass die Schaufenster, die nur Stunden zuvor noch herrlich wirr geschmückt gewesen waren, mit weiteren Holzbalken verriegelt worden waren. »Was zum ...« Jack trat einen Schritt zurück, dachte zuerst, er hätte sich in der Straße geirrt, aber es bestand kein Zweifel. Das hier war der Laden, in dem er am Vormittag noch eingekauft hatte. Aber warum war er so verriegelt? Er warf einen Blick auf sein Handy. An der Uhrzeit konnte es nicht liegen, denn es war erst fünf Uhr nachmittags und um diese Zeit hatten die Läden normalerweise noch geöffnet. Er rüttelte an der Tür, doch die bewegte sich keinen Zentimeter. Sie war in einem erschreckend schlechten Zustand, wie er feststellte, nun, da er direkt davor stand. Vorsichtig fuhr mit einem Finger über die tiefen Risse und Furchen, die das Holz durchzogen. Was war passiert? Wurde hier eingebrochen? War dem alten Ladenbesitzer etwas zugestoßen? Um ehrlich zu sein, konnte er sich nicht vorstellen, dass diese Spuren von einem Einbruch stammten, denn sie wirkten eher so, als wären sie schon seit vielen Jahren vorhanden. Jack versuchte sich zu erinnern, wie die Tür am Vormittag ausgesehen hatte und er konnte sich an keine nennenswerten Makel erinnern. Irgendetwas stimmte hier nicht. Atemlos drehte er sich zu der Straße um und ging zu dem nächstbesten Passanten, der gerade vorbei lief. »Verzeihung!«, rief er dem Mann zu, damit dieser stehen blieb. »Was ist denn mit dem Laden hier passiert?« Der angesprochene Mann sah verwirrt zwischen Jack und dem Gebäude hin und her und schüttelte dann den Kopf. »Was soll da passiert sein?« »Heute Vormittag noch waren hier die wunderbarsten Spielsachen gewesen, und nun ... es sieht so aus, als würde der Laden seit Jahren leer stehen! Das kann nicht sein! Wissen Sie nicht, was los war?« Der Mann sah Jack an, als hätte er den Verstand verloren. »Der Laden steht seit Jahren leer. Ganz früher, vor fünfzig Jahren oder so, da war das mal ein Spielzeugladen mit einem netten, alten Ladenbesitzer, aber seitdem war nichts mehr hier drin. Bist du sicher, dass du diesen Laden meinst?« Jack fiel aus allen Wolken. Was erzählte der Mann da? Das konnte doch nicht stimmen! Noch vor ein paar Stunden hatte er diesen Laden betreten und eine Schneekugel gekauft. Und das sollte er sich eingebildet haben? All diese wundervollen Dinge? Wie sollte das funktionieren? Und die Tüte? Die war doch auch echt! Die konnte keine Einbildung sein, genauso wenig wie ihre Magie, die nun zerstört war. Nein, hier musste ein Irrtum vorliegen. Ohne ein weiteres Wort zu dem Mann drehte er sich wieder zu dem Laden und starrte auf die Stelle, an der heute Vormittag noch mit großen, bunten Buchstaben der Name des Ladens hing. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren und er überlegte krampfhaft, was er nun tun sollte. Das leichte Tippen auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken und erschrocken drehte er sich zu dem Mann um, der noch immer dort stand. Dieser hielt ihm sein Smartphone entgegen. »Hier. So sah der Laden damals aus. Der Mann da war der Besitzer. Der Laden ging irgendwann pleite, weil sich niemand mehr für selbstgemachte Spielsachen interessierte, und kurz darauf verstarb der Besitzer.« Jack sah auf das schwarz-weiße Foto, welches etwas unscharf war, aber ohne Zweifel den Laden zeigte, vor dem er hier stand. Und der Mann, der vor dem Laden stand, war der Besitzer, mit dem er heute Morgen noch geredet hatte. Da war er sich ziemlich sicher. Die Art, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzogen hatte, war unverkennbar. Jack schluckte. »Sind Sie sich da sicher?« Der Mann nickte. »Als Kind war ich beinahe jeden Tag hier und habe dem Mann dabei zugesehen, wie er die verschiedensten Spielsachen hergestellt hatte.« Er steckte sein Handy wieder ein und schenkte Jack einen zweifelnden Blick. »Du hast dich bestimmt in der Straße geirrt.« Damit drehte er sich um und ging weiter seines Weges. Jack blieb zurück, mit leerem Kopf und schwerem Herzen. Er hatte sich nicht in der Straße geirrt. Aber er verstand es nur nicht. Wie konnte das sein, dass ein Mann, der seit fünfzig Jahren nicht mehr lebte, in seinem alten Laden wieder auftauchte, eine Schneekugel, einen Teddy und zwei rote Tüten verkaufte und dann wieder verschwand? Das war schlichtweg unmöglich. Dafür musste es eine logische Erklärung geben. Aber was auch immer das für eine Erklärung war, sie erschloss sich nicht für Jack und mit hängenden Schultern entfernte er sich von dem Laden. Völlig in Gedanken versunken lief er durch die Gegend, achtete nicht auf seinen Weg und ließ sich treiben. Er verstand es einfach nicht. Wieso war das Schicksal so gegen ihn? Wieso wurde ihm dieses kleine bisschen Glück nicht gegönnt? Nun gab es wirklich keine Gelegenheit mehr, um mit Elsa in Kontakt zu treten. Ohne Hoffnung ließ er sich auf eine Bank nieder und legte die zerstörte Tüte neben sich ab. Deprimiert zog er die Knie an seinen Körper und schlang seine Arme darum. *** Elsa wartete gefühlte Stunden auf eine Antwort von diesem Jack. Seit ihrer Zustimmung zu einem Treffen war keine weitere Notiz von ihm angekommen. Ob er es sich anders überlegt hatte? Nervös war sie auf und ab gegangen, hatte immer wieder in die Tüte gesehen und war dann weiter ruhelos durch die Wohnung gewandert. Noch nie in ihrem Leben war sie so nervös gewesen wegen einem Mann. Sie wusste nicht, was sie nun tun sollte. In ihrem Schlafzimmer setzte sie sich wieder auf ihr Bett und starrte die Tüte an. Nach kurzem Zögern griff sie nach einem leeren Notizzettel und ihrem roten Stift, schrieb Alles in Ordnung? darauf und warf den Zettel in die Tüte. Doch wider Erwarten verschwand der Zettel nicht wie die unzähligen anderen vor ihm, sondern er blieb einfach so liegen. Elsa versuchte es noch einmal, sie nahm den Zettel wieder heraus und warf ihn erneut in die Tüte, doch auch dieses Mal geschah nicht das, was geschehen sollte. Der Zettel verschwand nicht. Was war da los? Probeweise schüttelte Elsa die Tüte, um irgendetwas zu bewirken, doch nichts tat sich. Eine böse Vermutung machte sich in ihr breit. Ob Jack die Verbindung irgendwie gekappt hatte? Ob er sie doch nicht treffen wollte? Für sie klang das logisch. Elsa fühlte sich dumm und verarscht. Warum hatte sie sich überhaupt Hoffnung gemacht? Sie wusste doch, dass solche Geschichten nie gut ausgingen! Sie war nicht ohne Grund jahrelang überzeugter Single geblieben! Nichts anderes passierte, wenn man sich mit Männern einließ: Erst machten sie einem Hoffnung und dann ließen sie einen fallen wie eine heiße Kartoffel. Sie hatte das doch schon so oft mitbekommen! Warum hatte sie nicht besser aufgepasst? Sie hätte sich nicht auf ihn einlassen sollen. Auch wenn er noch so nett war, am Ende war sie die Geschädigte und diejenige, die sich ärgerte. Wütend und beleidigt schnappte sich Elsa die Tüte und verließ die Wohnung. Sie würde dieses hässliche Ding keine Sekunde länger in ihrer Wohnung dulden und sie würde ihm kurzen Prozess machen. Die nächstbeste Mülltonne würde dann das neue Zuhause der unbrauchbaren Tüte werden und sie hätte wieder ihre Ruhe. So ging sie aus dem Haus und schlug wahllos einen Weg ein. Irgendwo würde ihr mit Sicherheit bald ein Mülleimer begegnen. Und sie hatte Glück, kaum war sie um die Ecke gebogen, entdeckte sie an einem Laternenmast einen roten Plastikbehälter. Zielgerichtet ging sie auf ihn zu, blieb dicht vor ihm stehen und hob die Tüte über die Öffnung. Aus dem Inneren stieg der Gestank von alten Zigaretten und verdorbenen Lebensmitteln heraus und Elsa drehte es fast den Magen um, sie wollte diese Sache so bald wie möglich hinter sich bringen. Doch etwas hinderte sie daran, die Tüte loszulassen. Sie konnte ihre Finger nicht von dem Papier lösen. Es erschien ihr mit einem Mal so falsch, dass sie nach Luft schnappend zurücktaumelte und sich erschrocken fragte, was zur Hölle sie da eigentlich vorhatte. Es war nicht diese Tüte, die Schuld an dem hatte, was Elsa verärgerte. Seufzend drückte sie die rote Tüte an sich und lief ein Stück weiter. Sie sollte ihre Wut nicht an Dingen auslassen, die gar nichts dafür konnten. Sie hatte sich wirklich darauf gefreut, diesen Jack zu treffen, weil er einen so positiven Eindruck auf sie gemacht hatte, weil sie tatsächlich Spaß mit ihm gehabt hatte, weil er sie zum Lachen gebracht hatte, ohne dass er irgendetwas Großartiges getan hatte. Sie hätte ihn wirklich so gerne kennengelernt, und dass er es wohl anscheinend nicht mehr wollte, verletzte sie so sehr, dass sie sich für einen Moment fast selber vergessen hatte. Kraftlos ließ sie sich auf eine Bank fallen. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie sie in den Park gelaufen war, und nun saß sie vor einem kleinen Ententeich. Die Tüte lag vor ihr auf dem Schoß und gedankenverloren spielte sie mit den Kordeln, die als Tragelaschen dienten. Warum wollte er sie nicht treffen? *** Jack regte sich erst, als sein Rücken anfing zu schmerzen. Stöhnend löste er seine Position und setzte sich aufrecht hin. Es war deutlich dunkler geworden und er bemerkte erst jetzt, dass er sich in einem Park befand und bei einem kleinen Teich saß. Er seufzte schwer. Zwar hatte er viel nachgedacht, doch eine Lösung für sein Problem war ihm nicht eingefallen. Es gab einfach keine Möglichkeiten. Damit musste er sich abfinden. Er stand von der Bank auf und beschloss, auf dem Heimweg beim Italiener drei Pizzen mitzunehmen. Wenn seine Mitbewohner heimkämen, würden sie mit Sicherheit hungrig sein. Er ging ein paar Schritte um den Teich herum und blieb neben einem Mülleimer stehen. Sein Blick glitt zu der nutzlosen Tüte in seiner Hand. Wozu sollte er diese noch aufheben? Sie war zu nichts mehr zu gebrauchen. Verschenken konnte er sie nun auch nicht mehr. Kopfschüttelnd warf er sie in den Mülleimer, dann wandte er ihr den Rücken zu, bereit, sie für immer hinter sich zu lassen. Dann sah er sie. Eine identische Tüte, nur ohne Riss, versteht sich, auf dem Schoß einer jungen Frau, die den kleinen Teich beobachtete und völlig in Gedanken versunken zu sein schien. Sein Herz setzte einen Takt aus. Konnte das sein? Hastig drehte er sich um und fischte seine Tüte aus dem Mülleimer. Kein Zweifel, die Tüten glichen sich wie ein Ei dem anderen. Ob sie es war? Plötzlich war er nervös, aufgeregt und er wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er sie ansprechen? Wie groß war die Chance, dass sie es war? Sollte er es einfach wagen? Die Hoffnung, die ihn durchflutete, war so immens, dass er einen gewaltigen Schub an Mut bekam und sich neben sie auf die Bank setzte. Stocksteif saß er da und musterte die Frau neben sich. Ihre Haare waren blond und lang und zu einem dicken Zopf geflochten. Sie sah wirklich gut aus, das musste er zugeben. Es dauerte eine Weile, ehe sie ihn zu bemerken schien. Langsam drehte sich ihr Kopf in seine Richtung und ihre blauen Augen musterten ihn fragend. Jack konnte nicht anders als breit zu grinsen. Sie musste es sein, es konnte gar nicht anders sein! Mit zitternden Händen hielt er seine zerrissene Tüte nach oben und der Blick der Frau folgte seiner Bewegung. Sie verzog ihr Gesicht verwirrt, dann schien sie zu verstehen. Als sich ihr Gesicht wieder hob, waren ihre Augen groß und ihr Mund verzog sich von Sekunde zu Sekunde mehr zu einem Lächeln. Dann griff sie nach ihrer eigenen Tüte und hielt sie ebenfalls etwas nach oben. Jack drehte seine Tüte um und er zeigte der Frau den hässlichen Riss, der zum Abbruch des Kontaktes geführt hatte. Die Frau nickte und lächelte. Sie schien sehr erleichtert zu sein. Jack griff in seine Tüte und holte einen Zettel hervor, den er ihr zeigte. Sorry. Daneben ein trauriger Smiley. Und auch die Frau holte einen Zettel aus ihrer Tüte. Ich habe dich vermisst. Jack konnte sein Glück kaum fassen und sein Grinsen wollte kein Ende nehmen. Erneut griff er in seine Tüte, holte einen leeren Zettel hervor, kritzelte ein Wort darauf und schob ihn dann Elsa zu. Sie las ihn und nickte dann lächelnd. Ihre Antwort schrieb sie auf den gleichen Zettel. Pizza? Liebend gerne. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)