Schlangenherz und Löwenmähne von MeropeGaunt ================================================================================ Kapitel 22: Die Maske --------------------- Dumpfe Laute schlummerten leise in sein Ohr, verschwommene Laute, wie aus einem Albtraum. Die Welt um ihn war schwarz; Schmerz glühte still in verschiedenen Wundherden in seinem vor Stunden noch geschundenen Körper. Seine Ohren, die sich wie mit Watte gefüllt anfühlten, gaben der Dumpfheit seiner Umgebung noch nicht nach. Er wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, zu tief saß noch der Schmerz, der nicht nur durch Waffen und Flüche verursacht worden war. Ob sie noch am Leben war? Und wenn ja, würde er sie jemals wiedersehen? Würde der Krieg zuende gehen oder nur eine weitere Ära an Grausamkeit herbeibringen? Die Dumpfheit seines Gehörs ließ ganz sachte nach; er spürte ein warmes Kribbeln in seinen Ohren, wie nach einem zu tiefen Tauchgang in lauwarmem Wasser an einstigen Sommertagen. Als das Kribbeln nachließ, drangen Laute an sein Ohr. Stimmen, Gespräche, Geschrei, Wut, weinende Laute. War es seine Mutter? Er wagte es, seinen Kopf ganz leicht zu drehen, so leicht, dass nur sein Nacken eine kleine Veränderung spürte. Der Kopf lagerte nach wie vor fest auf dem Kopfkissen, auf dem er lag. Ihm war kalt, obwohl er spürte, dass er mit irgendetwas zugedeckt und umsorgt worden war. „Du hast ihn fast getötet! Er hat vielleicht einen Fehler begangen, aber reines Blut darf nicht vergossen werden! Der Dunkle Lord selbst hat es verboten!“ Die Stimme seiner Mutter gellte fast kreischend an sein Gehör. An dem Raunzen einer anderen Person, die sich ebenfalls im Raum befand, erkannte er sofort, wer es war: Seine Tante. Ein eisiger Schauer lief ihm seinen Nacken hinunter, während er das Gespräch der beiden aufgebrachten Hexen genaustens verfolgen konnte. „Er hatte es verdient, Zissi! Eine Schande, ein Schandfleck, Blutverrat, jawohl! Ich nehme keine Rücksicht auf meinen Neffen! Anders lernt er es nie!“, raunte Tante Bellatrix wütend. „Nein, hat er nicht! Er mag ja noch nicht reif genug sein, doch durch Umbringen bringst du ihm gar nichts bei! Wie konntest du nur??“ „Ach, Zissi,... du musst noch eine Menge lernen. Denkst du wirklich, der Dunkle Lord hätte ihm diese Schandtat verziehen? Denkst du im Ernst, er wäre so gnädig gewesen wie ich?“ „Gnädig? DU? Du hast ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn fast in seinem eigenen Blut ersticken lassen wie ein Hund! Deinen eigenen Neffen!!“ Ein Schluchzen erfüllte für einen Moment den Raum; Narzissa hatte also ihre stramme Mauer wieder einmal einreißen lassen. Bellatrix schien dies jedoch nicht im Geringsten zu interessieren. Das Stolzieren ihrer Stiefelspitzen war deutlich zu hören; anhand seiner aufsteigenden, heftigeren Gänsehaut spürte Draco, dass sie näher an sein Lager getreten war. Er behielt die Augen so fest zu, als ginge es um sein Leben. Vielleicht tat es das ja auch. Er traute seiner Tante mittlerweile alles zu, nachdem, was er erlebt hatte... Der Schnitt an seiner Kehle begann wie auf Knopfdruck zu schmerzen. „Er hat es verdient, und du weißt es ganz genau. Hätte ich dem Dunklen Lord erzählt, was hier passiert ist, dann wäre er tot gewesen. Ich wollte ihn nur ein bisschen quälen... zu schade nur, dass diese Schlampe von Schlammblut entkommen ist...“ Stille entstand; nur das bittere Schluchzen von seiner Mutter drang durch die Stille des Raumes. Dröhnende Stille, die Draco in dem gerade beruhigten Gehör weh tat. Er schluckte. „Zissi, es geschah zu seinem Besten. Wenn er wieder auf den Beinen steht, wird er nach Hogwarts kommen. Der Lord plant etwas Großes. Draco sollte stolz sein, dass er zum privilegierten Teil von Hogwarts gehören wird. Er wird bewundert werden.“ „Das macht die Tatsache nicht besser, dass du meinen Schatz fast ermordet hast...“, brach Narzissa's Stimme; anhand des Raschelns konnte Draco hören, wie sie sich ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche zog; anscheinend, um die massigen Tränen zu trocknen. „Er kann gute Geschichten erzählen, wie die Narbe zustande gekommen ist.“ „Er wird eine Narbe behalten? Aber, die Wunde wurde doch durch Magie verschlossen, und Magie...“ „Zissi, du kennst meine Klingen, Messer und Waffen doch. Sie sind alle mit speziellen Giften getränkt, die eine Vernarbung möglich machen, selbst bei den stärksten Heiltränken. Er wird diese Narbe für immer tragen. Sie wird auch niemals verblassen. Es wird ihn an seine Schandtat erinnern und daran, zu wem er Treue zu halten hat und zu wem nicht... Ich glaube, in Zukunft wird er es sich zweimal überlegen, wen er zu seiner Betthure macht....“ „Bella! Rede nicht so über ihn in diesem Ton... Er ist immerhin anwesend...“ „Anwesend, aber nicht wach. Er wird ein paar Tage brauchen, bis er wieder nach Hogwarts kann. Sieh zu, dass er schnell reisefähig wird, ansonsten kümmere ich mich um ihn.“, schnarrte Bellatrix, und anhand der Tritte ihrer spitzen Schuhe konnte Draco mit Erleichterung feststellen, dass sie sich nach diesen Worten wohl aus dem Raum entfernt hatte. Narzissas's Schluchzen kam näher an Draco's Krankenlager; als er ihre etwas kühle Hand an seiner Wange spürte, schlug er vorsichtig die Augen auf und tat, als hätte erst diese seichte Berührung ihn aus seinem Halbschlaf geweckt. „Mutter...“, röchelte er; seine Stimme klang übel. Wie nach einer unglaublich heftigen Erkältung, die auch nach Wochen nicht abgeklungen war; sein Hals tat so weh, dass ihm unweigerlich Tränen in die Augen schossen. „Mein Schatz, du bist wach... Schon lange?“ „Nein, ich habe deine Berührung nur gespürt....“ „Wie geht es dir?“ Wie ging es ihm, was sollte er sagen? Mir geht es nicht ganz so gut, weil meine Tante mir meine Kehle durchgeschnitten hat, weil meine große Liebe vor meinen Augen gefoltert wurde, weil sie verschwunden ist ins Nichts? Der Tag ist eher nicht so toll, weil ich so heftige Schmerzen habe wie noch nie zuvor? Sarkastische Bemerkungen, die er allesamt in seinem Kopf sammelte und nur zu gerne gesagt hätte; doch das feuchte Gesicht seiner Mutter, die so viel Sorge in den Augen trug, ließ ihn seine Bemerkungen herunterschlucken. Langsam dachte er nach, wie er am besten beschreiben konnte, wie er sich fühlte, um gleich alles abzudecken; damit sie ja nicht zu tief nachbohrte. „Es geht, Mutter. Schmerzen.“, keuchte er knapp; er drehte sich langsam, ganz gemächlich, auf den Rücken; bis dato hatte er auf dem Bauch gelegen. Ob er sich so in den Schlaf gequält hatte? „Es wird bald besser werden. Ich braue dir gleich noch einen Stärkungstrank, wenn du den zu dir genommen hast, wird es dir deutlich besser gehen.“ „Wo ist Vater?“ „Er... er musste zu einer Unterredung mit dem Dunklen Lord.“ Draco's Stirn legte sich in Falten; eine Unterredung also. Er war nun schon lange genug bei den Todessern, um zu verstehen, was das bedeutete: Nichts Gutes. Ganz und gar nichts Gutes. Seine Mutter schien die Sorge gesehen zu haben; ihre blassen Finger strichen kurz über Draco's Wange. „Alles wird gut werden, Draco. Hab keine Angst mehr. Ich habe mit Bellatrix gesprochen. Es tut ihr schrecklich leid.“ Draco schnaubte leise; ja, das hatte ganz nach Reue geklungen. Tante Bellatrix hatte sich mit ihren Entschuldigungen an Narzissa ja fast überschlagen. Feuernde Ironie brannte in Draco auf und keimte; doch seiner Mutter zuliebe sagte er gar nichts mehr. Sie blieb noch einen Moment stehen und betrachtete ihren geschundenen Sohn, bevor sie sich in die Küche aufmachte. Erst jetzt fiel Draco auf, dass er im großen Salon lag, in dem Raum, in dem Stunden zuvor auch die kleine Schlacht getobt hatte; alles war schon wieder ordentlich und aufgeräumt, nur anhand der Decke konnte man sehen, dass hier noch etwas Schreckliches vorgefallen war: leichte Rußflecken waren darauf zu sehen, einige Spritzer Blut, die wohl beim Aufräumen vergessen worden waren. Mit einem Schaudern in den Adern begann Draco sich zu fragen, wessen Blut es wohl war. War jemand während der Kämpfe zu Schaden gekommen? Sein Kopf war brechend voll mit Fragen über Fragen; mit Gedanken, Ängsten und explodierenden Schmerzen. Er sollte wieder nach Hogwarts, als sei nichts geschehen? Sollte er sich dort als die allmächtige Obrigkeit aufspielen, wie einst früher, als er noch dachte, dass die dunkle Welt perfekt gewesen war? Sein Herz pochte und brannte bitterlich; es schien nur ein Wort zu kennen: Hermine. Heiß brannte eine Andeutung von salzigen Tränen in seinen Augenwinkeln, als er an ihre Schönheit dachte und den Mut, den sie aufgebracht hatte, um ihn zu schützen. Ich liebe dich so sehr, hatte sie gesagt. Und war im Dunkeln, nur knapp verfolgt von dem todbringenden Dolch seiner Tante, verschwunden. Es dauerte nicht lange, da kam seine Mutter wieder und flößte ihm mit größter Vorsicht den heißen Trank ein; Draco stieß ein Keuchen aus, Schmerzen feuerten in seinem Hals; doch je mehr er von dem brennenden Inferno trank, desto mehr ließen die heftigen Schmerzen nach. Als würde die Wunde von innen sanft versiegelt werden. „Ruh dich aus, wenn du etwas brauchst, dann melde dich. Ich denke, du brauchst viel Schlaf, mein Schatz. In ein paar Tagen wirst du wieder zur Schule gehen können. Freust du dich?“ Freute er sich darauf? Wohl eher nicht. „Naja...“, sagte er kleinlaut; anscheinend reichte es seiner Mutter als Antwort. Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn und begab sich wieder auf direktem Weg in die Küche. Er wusste nicht, wie lange er dalag und einfach nur auf die kleinen Flecken an der Decke starrte; wie lange er sich kaum bewegte und einfach nur leise ein- und ausatmete. Sein Körper kam zur Ruhe und der Schmerz ließ mehr und mehr nach; doch der innere Schmerz blieb und fraß sich fest. Nach all den Wochen und Taten, die er vollbracht und begangen hatte, hätte er nicht gedacht, dass sich noch mehr Belastung bemerkbar hätte machen können, und doch: zu all den Schmerzen und Gefühlen und der Reue brannte das Vermissen und Bangen in einer Art und Weise auf, die ihm selbst mehr als sonst das Herz brach. Genau drei Tage dauerte es, da war Draco wieder fähig, zumindest einen Teil des Alltags wieder voll aufzufüllen. Die Schmerzen waren dank der Tränke seiner Mutter auf ein Minimum heruntergefahren; seine üble Laune verbarg er unter einer fast wächsernen Gesichtsmaske von Gleichgültigkeit, die er sich jeden Morgen selbst aufzwang. Die Narbe, die dank Bellatrix nun an seiner Kehler prangte, war noch dick und rot und geschwollen; man sah genau, dass dort ein glatter Messerschnitt geführt worden war, mit roher Gewalt. Es sah aus wie ein perfekter Mordversuch und er selbst wusste, dass es auch so einer gewesen war; doch was würden Mitschüler und Lehrer denken, wenn sie diese dicke und frische Narbe sehen würden? Zumal sie nie wieder ganz weggehen würde... Der Schnitt einer verhexten Klinge war also so sichtbar wie die Ausgelaugtheit seiner Glieder. Sein Spiegelbild machte ihm Angst; jeden Morgen betrachtete er sich ausführlich und versuchte, mit dem Schnitt an seiner Kehle klar zu kommen. Sie prangte dort wie eine widerspenstige Trophäe. Sie ließ ihn gefährlicher aussehen, verlieh ihm etwas Böses, dass er nicht an sich sehen wollte. Wenn er schluckte, bewegte sich der verdickte, vernarbte Teil leicht mit; es zwang ihn auf eine widerliche Art und Weise immer wieder dazu, an den stechenden Schmerz des Schnittes zu denken und das herausquellende Blut, was er am Ende nicht mehr hatte schlucken können, an dem er fast erstickt wäre. Doch immerhin, mit dieser Wunde hatte er vielleicht ihr Leben gerettet. Hermine. „Draco! Mach dich fertig!“ Die Stimme seiner Mutter gellte den Flur hinauf in sein Zimmer; er schnaubte leise, ging jedoch vor dem großen Spiegel in seinem Zimmer weg und begann damit, sich seine Schuluniform anzuziehen. Er zog nicht die komplette Uniform an; er zog lediglich die Hose an, den Pullunder und die Krawatte mit Hemd, alles im funkelnden Grün seines Hauses; Slytherin. Wie viele wohl wie er schon unter diesem Haus an Reinblutwahn gelitten hatten? Sein Haar strich er sich zurück und trug es streng nach hinten. Einen Moment vor dem Abreisen zögerte er jedoch; sollte er einen Schal tragen? Tausend Bilder schossen ihm durch den Kopf; das, was geschehen war, was schmerzlich in seine Seele gebrannt war und das ihn nicht mehr schlafen ließ; die bohrenden Blicke der Leute, wenn sie die Narbe sehen würden; die vielleicht dämlichen Fragen seiner Mitschüler, besonders von Pansy Parkinson. Sollte er diese schmerzliche, so verletzende Wunde wirklich offen tragen? Und je länger er darüber nachdachte, desto bewusster wurde ihm, dass allein für den Schmerz von ihr und ihm, dass allein für die unmögliche Liebe diese Wunde getragen werden musste. Schweigen konnte er immer; doch der Welt zeigen, was für ein grausamer Ort sie geworden war, das konnte er mit Mut tun. Die grausame Welt offenbaren, in der eine Tante ihren Neffen fast zu Tode quälte; eine Welt, in der eine Liebe nur um Blutwahn Willen nicht bestehen konnte und mit aller Macht bekämpft wurde; eine Welt, in der die Dunkelheit so dick war, dass sie sämtliche Schönheit aus der Natur zu saugen schien. Er trug die Narbe für sie, Hermine; als Hoffnung dafür, dass es der Schmerz wert war, dass sie lebte, wo auch immer sie nun war. Als Symbol für seinen eigenen Schmerz, für seinen Mut, sich seiner kranken Tante in den Weg gestellt zu haben und einmal im Leben nicht weggelaufen zu sein. Als Mahnmal an all jene, die doch überlegten den falschen Weg wie er zu gehen; auch wenn sie es nicht wussten, die Geschichte hinter der schrecklichen, tiefen Wunde nicht kannten, so würden sie doch sehen, was Gewalt in einer Welt anstellen konnte. „Draco! Nun aber los! Der Zug fährt bald, und wir müssen noch nach London.“ Draco rückte die Krawatte an seinem Hals zurecht; er stieg die Stufen mit seinem Gepäck langsam hinunter. Den erschrockenen Blick seiner Mutter ignorierte er; ihr „Willst du nicht diese...?“ tat er mit einer Handbewegung ab; und als sie endlich später auf dem Bahnsteig 9 ¾ standen und sich verabschiedeten, während immer mehr Blicke sich an Draco's Kehle hefteten, da grinste er. Bald, bald würde er es der Welt heimzahlen. Bald, wenn er genug Hoffnung hatte, würde er sie wiedersehen. Und sich an all jenen rächen, die ihm und Hermine dieses Leid angetan hatten. Er stieg bedächtig in den Zug ein und schritt langsam die Abteile entlang, die Nase hoch, den Hals gereckt. Draco Malfoy kam also wieder zurück nach Hogwarts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)