Ein Pfefferkuchenhaus für zwei von Juju (Türchen 23 "In der Pfefferküchlerei") ================================================================================ Kapitel 1: Ein Pfefferkuchenhaus für zwei ----------------------------------------- „Das ist doch nicht dein Ernst!“, rief Tai und starrte entgeistert auf das Bild, das Mimi ihm vor die Nase hielt. „Ich dachte, wir backen Pfefferkuchen.“ „Ganz richtig, und drei Mal darfst du raten, woraus ein Pfefferkuchenhaus besteht“, antwortete diese und lehnte das Bild gegen ein Päckchen Mehl, das auf dem Tisch bereitstand und auf seinen Einsatz wartete. Außerdem stapelten sich dort noch diverse andere Backzutaten, von denen Tai einige noch nie gesehen hatte, Schüsseln in allen möglichen Größen und Farben, Löffel, Messer, ein Nudelholz, eine Waage, Messbecher, ein Handrührgerät und einiger anderer Kram. „Bist du irre? Weißt du, wie lang das dauert? Ich hatte für Silvester eigentlich andere Pläne“, entgegnete Tai entrüstet. Er war drauf und dran, sich seine Jacke zu schnappen und Mimis kleine Wohnung wieder zu verlassen. Was erwartete sie da nur von ihm? „Tai, es ist der dreiundzwanzigste Dezember“, erinnerte Mimi ihn genervt. „Spätestens am dreißigsten sind wir fertig.“ „Du gibst also zu, dass es eine Ewigkeit dauert“, sagte er anklagend und verschränkte die Arme vor der Brust. Er musterte sie durchdringend. „Komm' wieder runter, das war nur ein Witz. Aber wenn du jetzt noch drei Stunden meckern willst, wie lange wir brauchen werden, brauchen wir wirklich eine Ewigkeit“, entgegnete Mimi nüchtern und band sich die cremefarbene Schürze mit der Aufschrift „Kiss the Chef“ um. Sie griff nach einer weiteren Schürze, die sie bereitgelegt hatte, und hielt sie Tai entgegen. Dieser hob nur eine Augenbraue und sah von der Schürze zu Mimi. „Sehe ich aus wie ein schwuler Jamie Oliver?“, fragte er und machte keine Anstalten, ihr die Schürze abzunehmen. „Na schön, dann halt keine Schürze“, murrte Mimi und legte sie auf einem der Stühle ab. „Na gut. Das Rezept sagt, wir müssen zuerst den Honig mit Wasser aufkochen lassen. Und das Zitronat und das Orangeat müssen fein zerkleinert werden. Würdest du das bitte machen?“ Sie schob ihm ein Schneidebrett und ein Messer entgegen und griff anschließend nach dem Honig. „Das was und das was?“, fragte Tai verwirrt. Mimi stöhnte auf und schob ihm ein paar Päckchen gefüllt mit gelben und orangefarbenen Würfeln zu, die aussahen wie Gummibärchen, bevor sie schließlich Wasser und Honig in einen Topf auf dem Herd füllte. Tai riss die Packungen auf und kippte den Inhalt auf das Schneidebrett. Er nahm einen der Würfel in die Hand und beäugte ihn kritisch. Das Zeug war definitiv härter als Gummibärchen. Vorsichtig kostete er einen der Würfel und verzog das Gesicht. Es schmeckte auch anders als Gummibärchen. Er bemühte sich, die Würfel möglichst klein zu hacken, während Mimi am Herd stand, in dem Topf herumrührte und Jingle Bells vor sich hinsummte, das gerade im Radio gespielt wurde. „Sag mal, hast du eigentlich schon jemals irgendwas gebacken?“ Tai hob den Kopf und sah, dass sie ihn skeptisch dabei beobachtete, wie er das Zitronat und das Orangeat klein hackte. „Als Kind mit meiner Mutter. Wieso?“ „Sieht man“, erwiderte Mimi mit missbilligendem Blick und wandte sich wieder um. „Du machst es deinem einzigen verbliebenen Helfer nicht gerade einfach, weißt du?“, zischte Tai. „Weil du aussiehst wie ein Kind, das zum ersten Mal ein Messer in der Hand hält“, entgegnete sie spöttisch. „Entschuldige, ich habe eben andere Hobbys als allein zu Hause herumzuhängen und das Heimchen am Herd zu spielen“, knurrte Tai genervt. „Oh ja, mit ein paar hirnlosen Idioten einem Ball hinterherzurennen ist natürlich ein viel besseres Hobby“, antwortete Mimi, ihre Stimme triefend vor Sarkasmus. Tai beschloss, sie einfach zu ignorieren und verfluchte innerlich seine Schwester, dass sie krank geworden war und ihn hier allein mit dieser Hexe gelassen hatte. Komm mit zu Mimi Lebkuchen backen, hatte sie gesagt. Das macht Spaß, hatte sie gesagt. Von wegen. Eigentlich hatte er Mimi schon absagen wollen, da er auf keinen Fall den ganzen Tag allein mit ihr in einer Küche verbringen wollte, doch sie hatte ihn so hoffnungsvoll gefragt, ob er trotzdem noch kam, dass er nicht hatte nein sagen können. Nun bereute er es. Mimi war fertig mit ihrer Honig-Wasser-Mischung und kam herüber zu Tai, um seine Arbeit zu begutachten. Sie schüttelte den Kopf, wobei sich eine haselnussfarbene Haarsträhne aus ihrem Pferdeschwanz löste. „So werden wir ja nie fertig.“ Sie nahm ihm das Messer aus der Hand und zeigte ihm, wie man effektiv und schnell kleine, bunte Würfel hacken konnte. Tai verbiss sich jeden Kommentar, als sie ihm das Messer wieder zurückgab, und versuchte, es ihr nachzumachen. Er schaffte es nicht so schnell und schon gar nicht so effektiv. „Oh Mann“, murmelte Mimi vor sich hin, wandte sich jedoch zum Glück wieder ab. Sie begann damit, Mehl in eine große pinke Schüssel zu sieben. Anschließend goss sie die Honig-Wasser-Mischung hinein und fügte etwas Lebkuchengewürz und Kakaopulver hinzu. Dann setzte sie sich auf den Stuhl neben Tai, stützte den Kopf auf der Hand ab und sah ihm zu. „Was?“ Irritiert erwiderte er ihren Blick. „Nichts. Ich frage mich nur gerade, was zuerst passiert: die Zombieapokalypse oder dass du damit fertig wirst, zehn Würfel zu hacken.“ Tai warf ihr einen finsteren Blick zu und biss sich abermals auf die Zunge, um ihr keine Gemeinheit an den Kopf zu werfen. „Fertig“, sagte er schließlich und legte das Messer auf den Tisch. Verärgert beobachtete er den geringschätzigen Blick, den Mimi seiner Arbeit schenkte, bevor sie das Brett nahm und die klein gehackten Würfel in die Schüssel gab. Sie schnappte sich eine weitere mit Wasser gefüllte Schüssel, gab etwas Natron hinein und fügte es ebenfalls dem Teig hinzu. „So, jetzt darfst du den Teig kneten“, sagte sie und schob ihm die große Schüssel zu. „Was? Wieso ich?“ „Weil ich es hasse, wenn mir der Teig zwischen den Fingernägeln klebt. Das kriegt man immer so schlecht weg.“ Sie hielt ihm ihre Finger unter die Nase, deren Nägel knallrot lackiert waren. „Und deine Fingernägel sind nicht lang genug, als dass irgendwas dazwischen kleben könnte. Also los.“ Ungläubig sah Tai von Mimi in die pinke Schüssel, deren Inhalt im Augenblick noch nicht vermuten ließ, dass er irgendwann mal die Form eines Pfefferkuchenhauses haben würde. „Worauf wartest du? Fang' an“, forderte Mimi ihn nach einigen Sekunden auf. Tai seufzte, krempelte die Ärmel seines Kapuzenpullis hoch und knetete in den nächsten Minuten den Pfefferkuchenteig, wobei Mimi ständig neue Anweisen gab. „Fester. Schneller. Guck' mal, da am Rand klebt noch ganz viel Mehl. Sei vorsichtig. Das ist zu fest. Willst du den Teig umbringen? Oh Gott, wenn du so auch mit Mädchen umgehst, dann weiß ich, warum du keine Freundin hast.“ „Mimi!“, rief Tai und hielt inne. „Kannst du vielleicht mal für eine Minute die Klappe halten? Ich backe mit dir dein bescheuertes Pfefferkuchenhaus, schneide eckige Gummibärchen klein, knete Teig, weil du dir nicht die Finger schmutzig machen willst und alles, was ich von dir höre, ist Gemecker! Ich hab' keinen Bock mehr auf den Scheiß!“ Wütend schob er die Teigschüssel von sich und lief zur Spüle, um sich die Hände zu waschen. „Dann geh' doch einfach wieder!“, fauchte Mimi und stellte die Schüssel in den Kühlschrank. „Mach' ich auch“, erwiderte Tai und stampfte aus der Küche. Er schnappte sich seine Jacke, die er im Flur hatte liegen lassen, und marschierte schnurstracks auf die Wohnungstür zu. Doch als er gerade die Hand ausstreckte, um die Tür zu öffnen, hielt ihn ein kleinlautes „Warte mal“ auf. Er hielt inne, als hätte ihn jemand versteinert, und wartete. „Bitte geh' nicht“, nuschelte Mimi hinter ihm. Langsam drehte er sich um und sah sie verständnislos an. „Hast du nicht gerade noch gesagt, ich solle gehen?“ „War nicht so gemeint.“ „Mimi, ich habe keine Lust mehr, mich von dir dumm anmachen zu lassen“, sagte er kühl. „Ich weiß. Ich...“ Sie senkte den Blick. „Tut mir Leid.“ Tai musterte sie einen Augenblick lang, wie sie dort stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf demütig gesenkt wie ein Häufchen Elend. Eigentlich wollte er noch immer gehen, doch in diesem Augenblick sah sie ihn wieder an mit so großen Hundeaugen, dass er sich widerwillig doch noch umentschied. Er seufzte, zog die Jacke wieder aus und ließ sie auf den Boden fallen. Ihr Gesicht hellte sich auf und sie lächelte. „Danke.“ „Aber kein Genörgel mehr.“ „Ich versprech's.“ Er folgte ihr zurück in die Küche, wo sie sich beide an den Küchentisch setzten und die Zeit mit reden verbrachten, während der Teig im Kühlschrank ruhte. „Ich bin manchmal ein bisschen ungeduldig“, gab Mimi kleinlaut zu und spielte mit ihren Fingern. „Ungeduldig?“ Tai hob die Augenbrauen. „Du bist ein Kontrollfreak, das ist dein Problem. Alles muss immer nach deiner Nase gehen und du musst überall der Boss sein, sonst bist du eingeschnappt wie ein kleines Kind. Du hältst manchmal echt zu viel von dir selbst und denkst, du kannst alles Mögliche besser als alle anderen Menschen. Aber ungeduldig bist du auch, ja. Das hast du gut erkannt.“ Mit großen Augen starrte Mimi ihn an. Aus ihrem Blick sprach Schmerz, den er allein mit seiner plötzlichen Ehrlichkeit verursacht hatte. Offensichtlich überraschte es sie, all diese Dinge zu hören. Fast befürchtete Tai, sie würde anfangen zu weinen. „Ich muss überall der Boss sein? Wer war denn unser großer Anführer in der Digiwelt, dem alle folgen mussten?“, erwiderte sie schnippisch. „Und Kritik verträgst du auch nicht“, stellte Tai genervt fest und stützte den Kopf auf der Hand ab. Mimi öffnete den Mund und schien etwas erwidern zu wollen, doch offenbar fiel ihr nichts ein oder sie entschied sich dagegen, etwas zu sagen. Sie wandte den Blick ab, stand auf und machte sich daran, den Topf abzuwaschen und Zutaten ziellos hin- und herzuräumen. „Brauchst du Hilfe?“, fragte Tai nach einigen Minuten des Schweigens. „Nein“, antwortete Mimi leise. Mit einem Geschirrtuch trocknete sie den Topf ab, wobei sie Tai den Rücken zuwandte. Ihm entging nicht, dass sie sich kurz über die Augen wischte. Nun überkam ihn sein Gewissen. Nicht, dass er es bereute, ihr seine Meinung gesagt zu haben, doch vielleicht hätte er seine Worte bedachter wählen sollen, anstatt sie ihr einfach an den Kopf zu werfen. Er hatte mal wieder geredet, ohne genauer darüber nachzudenken. Er stand auf, ging langsam auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Hey, komm' mal her“, murmelte er und zog sie in seine Arme. Sie ließ die Hände sinken, in der rechten Hand das Geschirrtuch, in der linken den Topf, und ließ es einfach über sich ergehen. Ihre Stirn war gegen seine Schulter gelehnt. „Ich mag dich trotzdem, okay? Sonst wäre ich ja nicht hier. Ich weiß ja, dass du so bist, ich wollte es dir nur mal gesagt haben“, nuschelte er in ihr süß und fruchtig duftendes Haar. „Aber du hast noch viel mehr gute Seiten.“ Er ließ sie wieder los und sie sah ihn fragend an. „Zum Beispiel?“ „Zum Beispiel... ähm...“ Er kratzte sich am Kinn und überlegte, was eigentlich das Positivste an Mimi war, deren Blick sich verfinsterte. „Drei... zwei... eins...“, zählte sie langsam herunter, doch Tai hatte immer noch keine Antwort gegeben. „Du bist ein Idiot.“ „Deine Aufrichtigkeit“, sagte er bestimmt, ohne auf sie einzugehen. „Du sagst immer klar, was du denkst und was du fühlst. Du bist hilfsbereit und hast eigentlich immer Zeit, wenn man dich braucht. Du bist lustig und kannst Menschen um dich herum zum Lachen bringen. Du bist nicht das typische Mädchen, das beschützt werden will, sondern eins, das für sich selbst kämpft. Du bist selbstbewusst und unabhängig und ähm... reicht das?“ Verblüfft sah Mimi ihn an. „Wow, ich glaube, ich habe noch nie so viel Nettes und Gemeines von dir über mich an einem Tag gehört.“ Er zuckte lässig mit den Schultern. „Immer wieder für Überraschungen gut.“ Einen Moment lang standen sie sich schweigend gegenüber, dann kratzte Mimi sich verlegen am Kopf, murmelte etwas vor sich hin und trocknete weiter den Topf ab. Den Rest der Stunde verbrachten sie mit plaudern, doch Tai war froh, als Mimi den Teig aus dem Kühlschrank holte und sie endlich wieder etwas zu tun hatten. Sie nahmen sich jeder ein Viertel des Teigs vor und rollten es zu einem Rechteck auf einem Backblech aus. Sie schoben die Bleche in den Ofen und Mimi rieb sich die Hände. „So, das braucht fünfzehn Minuten. In der Zeit können wir den Rest des Teigs verarbeiten“, sagte sie und machte sich daran, den restlichen Teig auf dem Tisch auszurollen. „Irgendwie kann ich mir noch nicht ganz vorstellen, wie daraus ein Haus werden soll“, meinte Tai und hob eine Augenbraue, während er unter ihrer Anweisung etwas Mehl auf den Teig gab. „Schmeckt das überhaupt?“ Er riss ein Stück Teig ab und steckte es sich in den Mund. „Hey!“, beschwerte sich Mimi. „Den brauchen wir noch.“ „Ach, komm' schon. Das bisschen wird das Haus schon nicht zum Einstürzen bringen“, entgegnete er. „Zum Glück wirst du kein Bauingenieur“, grummelte Mimi. „Und zum Glück wirst du keine Konditorin“, gab er zurück und verzog das Gesicht. „Schmeckt es so schlecht?“, fragte sie nervös. „Noch viel schlechter.“ Mimi riss nun selbst ein Stück Teig ab und probierte, während Tai grinste. „Hey, den brauchen wir noch“, wiederholte er ihre Worte. „Idiot!“, rief sie und tat, als würde sie ihn mit dem Nudelholz eins überziehen wollen. „Und außerdem schmeckt der Teig genau so, wie er schmecken soll.“ „Ich habe ja auch nur einen Witz gemacht“, seufzte Tai. „Dass man dir aber auch alles erklären muss, du naives Ding.“ „Vielleicht sind deine Witze einfach nur nicht witzig, du Möchtegern-Comedian“, fauchte Mimi, nahm sich ein Messer und schnitt zwei Dreiecke aus dem Teig heraus. „Wozu Dreiecke?“, fragte er, als sie fertig war und die Dreiecke vorsichtig zur Seite legte. „Das sind die Giebel. Und die Rechtecke im Ofen werden das Dach“, murmelte sie genervt. „Ah, verstehe. Und was machen wir mit dem Rest?“ Sie sah ihn an. „Keine Ahnung. Einen Pullover nähen? Daraus machen wir Hänsel, Gretel und die Hexe, du Spatzenhirn.“ Tais Augenbraue zuckte. „Sorry, aber manchmal sind deine Fragen echt dämlich. Was soll man denn sonst mit dem ganzen Teig machen?“, verteidigte Mimi sich. „Etwas mehr Geduld, Fräulein Tachikawa. Und was sollen wir denn mit Hänsel, Gretel und der Hexe? Wir sollten lieber uns schnitzen. Wir haben doch das Haus gemacht.“ Mimi setzte schon zu einer Widerrede an, hielt sich jedoch selbst zurück und schien kurz nachzudenken. „Eigentlich keine dumme Idee. Okay, dann machen wir halt uns selbst.“ Die nächsten Minuten verbrachten sie konzentriert damit, so gut es geht sich selbst aus dem Teig herauszuschneiden. In dem Moment, als Tai endlich fertig wurde, klingelte die Eieruhr und verkündete ihnen, dass die Dachplatten fertig gebacken waren. „Puh, bin gerade fertig geworden“, sagte Mimi und legte vorsichtig ihr Pfefferkuchen-Ich zur Seite. „Wie ist deins geworden?“ Sie reckte den Hals, um sein Abbild zu betrachten, dann prustete sie los. „Was?“, rief Tai entgeistert. „Hör' auf zu lachen, klar? Ich habe mir die größte Mühe gegeben.“ „Entschuldige, aber... eigentlich sieht es echt niedlich aus, um ehrlich zu sein.“ Sie kicherte noch immer, während Tai die beiden Bleche aus dem Ofen holte. „Nächstes Mal kannst du dir jemand anderen für deine Backexperimente suchen“, grummelte er. Vorsichtig holte er die Dachplatten von den Blechen herunter, während Mimi noch ein paar kleine Rechtecke aus dem Teig herausschnitt, die Bleche mit dem Rest des ungebackenen Teiges belud und sie wieder in den Ofen schob. Eine Stunde später war endlich alles so gut abgekühlt, dass sie sich daran machen konnten, das Haus zusammenzusetzen. Tai rührte unter Mimis Anweisung eine kariesverursachend große Menge Zuckerguss an, während Mimi Tüten mit Gummibärchen, Schokoladenknöpfen und bunten Lebkuchenfiguren aufriss. „Ich kriege schon Zahnschmerzen, wenn ich das nur angucke“, meinte Tai mit einem Blick auf Mimi. Er mochte Süßes nicht allzu sehr. Mimi schon, das wusste er. Seiner Meinung nach hatte sie ein ernstzunehmendes Schokoladenproblem, doch davon wollte sie nie etwas hören. „Und ich kann es kaum erwarten, das Haus zu essen“, erwiderte Mimi. „Los, lass uns anfangen. Der Zuckerguss sieht fertig aus.“ Es erforderte einiges an Geduld und Geschick, die beiden Dachplatten mit den Dreiecken für die Giebel zusammenzukleben. Mimi versuchte, alles zusammenzuhalten, während Tai Zuckerguss auf die Ritzen schmierte. „Mach' das doch mal ordentlich. Das soll wie Schnee aussehen“, tadelte sie ihn, als er aus Versehen etwas Zuckerguss auf ihre Hand schmierte. „Mir ist es total Banane, wie das aussieht. Hauptsache, der Scheiß hält endlich mal“, fluchte Tai und klatschte eine weitere Ladung Zuckerguss auf das Dach, sodass die weiße, zähflüssige Paste am Dach herunterlief. „Boah, Tai! Das sieht jetzt aus wie Sperma“, beschwerte sich Mimi. Tai prustete los und verkleckerte dabei noch mehr Zuckerguss auf Mimis Hand. „Ich weiß ja nicht, was du schon für Sperma in deinem Leben gesehen hast, aber der Typ mit dem Sperma sollte mal zum Arzt gehen.“ „Könntest du bitte mal aufhören, mich damit vollzukleistern?“ Er sah sie kurz an, dann nahm er kurzerhand einen Löffel voll Zuckerguss und schmierte ihn Mimi ins Gesicht. „Nö.“ Sie kreischte auf und ließ das Haus los, um sich durch das Gesicht zu fahren. „Spinnst du? Jetzt habe ich Zuckerguss in der Nase.“ „Oder doch eher Sperma?“, gab Tai grinsend zurück. Daraufhin griff Mimi mit der Hand in den Zuckerguss und schmierte nun Tai eine große Portion mitten ins Gesicht. „Hey!“, rief dieser und sprang zurück. „Das war nur die Rache“, grummelte sie. „Oh, sieh mal, das Haus hält.“ „Hab' ich ja auch konstruiert“, antwortete Tai, sich mit einer Hand Zuckerguss aus dem Gesicht wischend. „Prima. Dann können wir jetzt das Haus verzieren.“ Munter schmückten sie das Dach mit Süßigkeiten und Tai war froh, dass sich seine Arbeit endlich dem Ende neigte. Mimi klebte die Rechtecke, die sie zuvor ausgeschnitten hatte, als Fenster und Tür an eines der Dreiecke und verzierte sie mit Zuckerguss. Tai hatte in der Zeit ein Muster entworfen, mit dem er das Dach verzierte. Schließlich war auf dem Haus kein Stückchen mehr frei, das noch geschmückt werden konnte, und so betrachteten sie schließlich zufrieden ihre Arbeit. „Das hast du gut gemacht“, lobte Mimi ihn. „Haben wir gut gemacht“, korrigierte er sie. „Aber wir fehlen noch.“ Er deutete auf die beiden Pfefferkuchenfiguren, die sie selbst darstellen sollten. „Oh, fast vergessen“, rief Mimi. Sie schmückten die Figuren mit Zuckerguss, malten ihnen vorsichtig Gesichter auf und benutzten bunte Streusel, um Kleidung anzudeuten. Schließlich waren auch die Figuren fertig und mussten nur noch am Haus befestigt werden. „Einer links und einer rechts?“, fragte Mimi und positionierte die Figuren an entgegengesetzten Enden des Hauses. „Nee“, meinte Tai und nahm ihr die Figuren aus der Hand. „Lieber so. Wie ein Ehepärchen, das gerade nach Hause kommt.“ „Ein Ehepärchen?“ „Ja. Schreckliche Vorstellung, oder? Du und ich in einer Ehe...“ Er bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sie ihn ansah, und erwiderte ihren Blick fragend. „So schrecklich finde ich diese Vorstellung gar nicht.“ Skeptisch runzelte er die Stirn, nicht wissend, was sie ihm damit sagen wollte. „Was meinst du damit? Willst du mich etwa heiraten?“ Sie riss die Augen auf und lief rot an. „Was? Nein! Ich wollte damit nur sagen, dass... naja... also... es hat heute echt Spaß gemacht mit dir.“ Verlegen wandte sie den Blick ab und klebte mit Zuckerguss die beiden Figuren an die Hauswand. Nebeneinander, sodass sich die Hände der beiden berührten. „Ähm...“, machte Tai verwirrt. „Ja, also... so schlimm war es gar nicht.“ Sie sah ihn an und schenkte ihm ihr süßestes Lächeln, dann wandte sie sich wieder an das Haus. „Fertig.“ „Hübsch“, kommentierte Tai und fand es tatsächlich gut geworden. Es sah durchaus appetitlich aus und die viele Arbeit hatte sich gelohnt. „Ich hoffe, du isst nicht alles allein auf. Ich würde auch gern was abhaben.“ „Dann musst du vorbeikommen“, erwiderte Mimi. „Mache ich. Wann?“ Überrascht sah sie ihn an. Anscheinend hatte sie nicht mit einer Zusage gerechnet. „Hm... wie sieht es mit morgen aus?“ „Ja, wenn es okay ist, dass ich erst abends komme?“ „Klar, ich hab' Zeit. Wir können uns auch eine DVD ansehen, während wir das Haus essen“, schlug Mimi vor. „Ich würde gerne Kevin allein zu Haus gucken. Das ist mein liebster Weihnachtsfilm.“ Tai zuckte nur mit den Schultern. „Von mir aus.“ Dann sah er sie schief an. „Klingt irgendwie nach einem Date.“ Und wieder lief sie rot an. „Ääääähm... findest du? Ja, irgendwie hast du Recht.“ Einige Sekunden peinlichen Schweigens traten ein, bis Mimi wieder das Wort ergriff. „Naja, es ist nur ein Date, wenn wir das auch so wollen.“ „Willst du?“ „Ich weiß nicht. Willst du?“ Irritiert sah Tai sie an. Wollte er? Ein Date mir Mimi? Eigentlich nervte sie ihn doch so oft, aber heute hatte sie ihm ihre verletzliche Seite gezeigt. Und sie hatte ihm gezeigt, dass sie tatsächlich auch Spaß miteinander haben konnten, wenn auch auf eine andere Weise als viele andere Menschen. Und außerordentlich hübsch war sie dazu auch noch, selbst mit Zuckerguss im Gesicht und einer bekleckerten Schürze um den Körper, auf der der lächerliche Satz „Kiss the Chef“ stand. Entschlossen beugte Tai sich zu ihr herunter, küsste sie auf die Wange und verharrte einige Sekunden mit den Lippen an dieser Stelle. „Du hast Zuckerguss im Gesicht“, raunte er, bevor er sich wieder zurückzog. „Wofür war das?“, stammelte Mimi und berührte mit den Fingerspitzen die Stelle, die er gerade geküsst hatte. „Steht doch auf deiner Schürze“, antwortete er. „Oh.“ Mimi blickte an sich herunter, als müsste sie sich vergewissern, dass er ihr auch die Wahrheit sagte. „Du bist ein Idiot.“ „Du bist doch die mit den albernen Schürzen.“ Er grinste. „Und außerdem muss ich jetzt los. Ich wollte heute noch bei meinen Eltern vorbei. Hab' schon viel zu viel Zeit mit dir verbracht.“ „Danke, ebenfalls“, entgegnete Mimi spitz. Sie begleitete ihn zur Wohnungstür, wo er in Schuhe und Jacke schlüpfte. „Dann bis morgen zu unserem...“ „... Date“, beendete er ihren Satz. Mimi nickte verlegen, dann drehte er sich um und ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)