Der Wolfsprinz von Mad-Dental-Nurse (Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt) ================================================================================ Kapitel 8: Wer im Glashaus sitzt... ----------------------------------- Rene erwachte am nächsten Morgen, als die Sonnenstrahlen schon an Kraft verloren hatten und das geschäftige Treiben von draußen deutlich zu hören war. Er fühlte sich seltsamerweise zerschlagen und nicht in der Lage, auf zu stehen. Dabei hatte er doch mehr als gut geschlafen. Er hatte keinen dieser Träume gehabt, in denen er… Die Erinnerung an die letzte Nacht kam zurück. Traf ihn mit der Wucht eines Hammers. Er war beim Wolfsprinzen gewesen. Hatte mit ihm gesprochen. Trotz dass er die Bilder deutlich vor sich sah, erschien es ihm immer noch unwirklich. Wie ein in vergessen geratener Traum, der nur schwer zu greifen war. Es kam ihm alles so unwirklich vor. Und doch war da die Erkenntnis, dass er neben ihm gesessen und mit ihm gesprochen hatte. Nach und nach kam seine Unterhaltung mit dem Prinzen wieder in den Sinn und ließ sie immer wieder und wieder durchspielen. Allmählich fragte er sich, ob das Gerede über den Wolfsprinzen überhaupt stimmte. Er hatte sich ihm gegenüber gestern nicht wie das Ungeheuer verhalten, wie zu Anfang. Sondern wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Aber er hatte auch wieder seine andere Seite gezeigt. Kalt und unberechenbar. Diese beiden Seiten schienen sich abzuwechseln. Wie Licht und Schatten. So als könne er sich nicht entscheiden, welcher er den Vortritt geben sollte. Merkwürdig. Wirklich merkwürdig. Ein Klopfen holte ihn aus seinen Grübeleien. „Ja?“, rief er und machte sich daran, anzukleiden. Flora öffnete die Tür und steckte ihren Kopf hinein. „Ah, der junge Herr ist auch endlich wach!“, sagte sie und etwas an ihrem Ton verriet ihm, dass sie heute nicht das erste Mal an seiner Tür geklopft hatte. „Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte er und bemühte sich verlegen klingen zu lassen. In Wahrheit aber war er sich keiner Schuld bewusst. Immerhin war es nichts neues, das er den lieben langen Tag verschlief und nicht aus dem Bett kam. Es wunderte ihn aber, dass Flora ihm nicht schon längst einen Eimer eisigkaltes Wasser über den Kopf ausgeschüttet hatte, so wie sie es meistens getan hatte. Fast schon wollte er sie fragen, wie er zu dieser Ehre kam, verbiss es sich aber. „Lange genug, um kaum noch etwas in der Backstube helfen zu müssen. Aber es ist noch genug da, um dich für den Rest des Tages zu beschäftigen!“, sagte sie in dem üblichen schwesterlichen-strengen Ton. Juhu, dachte Rene bitter. „Ahh, beehrt der junge Herr uns auch mit seiner Anwesenheit!“, sagte sein Vater schnaubend, während er ein Blech mit rohen Broten in den Ofen schob. Seien Mutter hingegen war dabei, aus dem Hefeteig große Laibe formte und mit Mehl bestäubte. Rene sagte nichts zu dem schroffen Morgengruß, sondern machte sich an die Arbeit. Mit finsterer Miene, fegte er auf dem Boden gefallenes Mehl und Krümel zusammen. Musste dabei immer wieder an letzte Nacht denken. Es ließ ihn einfach nicht los. Dabei fragte er sich immer wieder, warum ihn das so beschäftigte. Eigentlich sollte er froh sein, dass der Wolfsprinz nicht irgendwas Übles mit ihm vorhatte. Wobei…die Schmerzen, die wegen ihm wieder im Arm verspürt hatte, damit er zu ihm ging, reichten schon. Und Rene mochte sich nicht vorstellen, was der Wolfsprinz noch alles tun konnte oder würde, um seinen Willen zu bekommen. „Seid gegrüßt!“, rief Jaque, als er in die Bäckerei kam. Flora strahlte über das ganze Gesicht. „Jaque!“, rief sie und eilte zu ihm. Umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Rene lächelte etwas. Normalerweise würde er denken, dass das wirklich kitschig ist und er sie damit aufziehen sollte. Wie Brüder eben waren. Aber er freute sich. Immerhin eine von ihnen, die ein glückliches Leben führen würde. Dabei konnte er sich hingegen auch gut vorstellen, dass sein Vater, jetzt wo Renes Familie so in Verruf geraten war, Bedenken hatte. Denn schließlich verdiente er auch sein Brot mit dem Geld dieser Leute. Und wenn er nun zuließ, dass sein Sohn sich mit Flora einließ, würde das sicher seinen Ruf ruinieren. Rene konnte nur hoffen, dass Jaques Vater sich nicht von dem ganzen Gerede beeinflussen ließ. Wobei er ihn nicht so einschätzte. Sein Vater war, wie Jaque selbst, ein Bär. Groß und stark. Auch wenn seine Aussprache etwas derb war und er hin und wieder fluchte. Dennoch war er ein netter Kerl. Es gab nie Probleme mit ihm. Je länger er sie anschaute, sie beobachtete und dabei länger darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich, dass er sich deswegen keine Gedanken machen musste. Immerhin hatte Jaque immer wieder darauf bestanden, sie nachhause zu begleiten, wenn es spät war oder dass sie bei ihm übernachtete. Das hätte er sicher nicht getan, wenn sein Vater was dagegen gehabt hätte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die hier leben, die offen ihre ehrliche Meinung sagten. So schätzte er zumindest ihn ein. Ein lautes Klirren holte ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn erschrocken zusammen zucken. Etwas fiel polternd neben seinen Fuß und Rene erkannte es zu nächst nicht. Aber dann wusste, was da vor seinen Füßen lag. Ein Stein! Er schaute nun zu den Fenstern. In einem von ihnen klaffte ein großes Loch. Jemand hatte tatsächlich einen Stein durch das Fenster geschmissen. Auch seine Eltern, Flora und Jaque waren zunächst erschrocken und wussten nicht, was da gerade passiert war. Da flogen ein zweiter Stein durch das Glas, dann ein dritter und ein Vierter. „Was zum…!“, kam es von seinem Vater wütend und ging ans Fenster, während Jaque wie ein wütender Stier nach draußen rannte. Kurz darauf waren entsetzte Schreie und Kampflaute zu hören. Wenige Minuten später kam Jaque mit zwei Jungen im Schlepptau wieder. Die beiden waren kaum älter als Elf Jahre. Sie wehrten sich verbissen. Versuchten sich aus dem eisernen Griff des Schmieds zu befreien, doch dieser dachte nicht daran, sondern schlug die beiden gegeneinander wie zwei Becken. Das ließ sie noch lauter aufschreien. „Lass uns los, du Blödmann!“, rief der eine. Ein rothaariger Bengel mit Sommersprossen und dürren Beinchen. „Ja, oder ich sage es meinem Vater!“, rief nun der andere. Dieser hingegen hatte schmutzig braunes Haar und wohl einige Pfunde zu viel auf den Rippen. Jaque ließ sich von der Drohung nicht beeindrucken. Sondern sah Rene Vater ernst an. „Zum Bürgermeister?“, sagte er nur. Ramon nickte. Es war ihm deutlich an zusehen, dass er genug hatte. Der vergebliche Versuch des Sekretärs die beiden aufgebrachten Männer daran zu hindern, in das Büro des Bürgermeisters einzudringen, schlug fehl. Ohne ihn weiter zu beachten, schoben sie den armen Kerl einfach bei Seite und stießen die Tür auf. Der Bürgermeister, vertieft in seiner Arbeit, schreckte hoch, sah die beiden zunächst verwirrt an. Dann wurde sein Gesicht finster. „Was soll das?“, fragte er und erhob sich. „Ich wüsste nicht, dass wir ein Treffen haben!“ „Spart Euch das!“, schnappte Ramon wütend. „Diese beiden Strolche haben Steine durch die Fenster meiner Bäckerei geworfen!“ „Ist jemand verletzt?“, fragte wiederum der Bürgermeister unbekümmert. Geradezu gelangweilt, als wäre das nichts Besonderes. Das sorgte hingegen dafür, dass Ramon von Minute zu Minute wütender wurde. „Nein!“ „Dann ist es auch nicht weiter der Rede wert!“, sagte der uneinsichtige Mann und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Doch Ramon wollte sich so nicht abspeisen lassen. Wütend schlug er mit der Faust auf den harten Schreibtisch, so dass dieser erzitterte. „Es ist sehr wohl der Rde wert. Das ist nicht der erste Vorfall, der meine Familie betrifft. Vor einigen Tagen wurde mein Sohn zusammengeschlagen. Von Gustave und seinen Freunden, die ihm aufgelauert haben!“ Der Bürgermeister sah ihn über den Rand seiner Brille einige Minuten skeptisch an. „Was erwartest du?“, fragte er schließlich und Ramon traute seinen Ohren nicht. Dieser Esel tat so, als sei Rene selber daran schuld, dass man ihm geschlagen hatte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Habe ich mich nicht richtig ausgedrückt? Ich sagte, eben gerade mein Sohn ist zusammengeschlagen!“ „Doch, du hast dich richtig ausgedrückt. Aber wie du auch selber gesagt hast, ist das schon Tage her. Also würde es nichts bringen deswegen die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!“ „Und was ist mit den Steinen, die mir diese Bengel durch die Fenster geschmissen haben?“, fragte Ramon aufgebracht und zeigte auf die beiden, die sich immer noch im Griff Jaques befanden. Als nun die Sprache auf sie kam, windeten sie sich und traten sogar Jaque gegen das Schienenbein, um endlich weg zu kommen. Der Bürgermeister seufzte. „Nur ein dummer Jungenstreich!“, sagte er. Machte eine abfällige Handbewegung. Ramon war kurz davor den Bürgermeister am Kragen zu packen und zu schütteln. Sah dieser nicht, dass das noch viel schlimmer kommen könnte. Er mochte sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn einer der Steine Rene, Flora oder seine Frau getroffen hätte und zugleich fragte er sich, ob wirklich erst was schlimmes passieren musste, damit man reagierte. „Nur ein dummer Jungenstreich?“, fragte er daher ungläubig. „Das heißt also, dass hier jeder meine Familie angreifen kann, ohne dafür bestraft zu werden?“ Ramon bekam darauf keine Antwort. Das reichte ihm schon. Doch anstatt ihm an den Kragen zu gehen, lächelte er nur bitter und nickte. „Ein wunderbarer Bürgermeister, bist du. Wirklich. Nur nicht die Finger schmutzig machen!“ Der Bürgermeister öffnete den Mund. Wollte ihm seine Empörung über diese Beleidigung äußern, doch als er Ramons finsteren Blick sah, schloss er sogleich wieder seinen Mund und schaute betreten auf die Tischplatte. „Du bist nicht besser. Gerade als Bürgermeister solltest du dich neutral verhalten und wissen, was Recht und Unrecht ist!“, rief ihm Ramon erneut ins Gewissen. Der Bürgermeister schien nun auf seinem Stuhl zusammen zu schrumpfen. Ramon sah dies mit einer gewissen Genugtuung. „Mir ist es ein Rätsel, dass du dich so lange in deinem Amt handeln kannst. Aber sicher schiebt dir der eine oder andere etwas Geld zu, damit du in seinem Sinne handelst. Anscheinend ist hier jeder käuflich!“ „Also gut also gut. Um des lieben Friedens willen werde ich eine Versammlung einberufen!“, sagte der Bürgermeister, um das Ganze zu beenden. Diese fand wenige Stunden später statt. Natürlich fragte man sich, was der Grund dafür sei. Doch als man Ramon und seine Familie ganz vorne sitzen sah und die beiden Jungen, die zu einem Häufchen Elend zusammengesunken waren, ahnte jeder, was los war. Der Bürgermeister hatte sich an seinen Platz gesetzt und schlug mit dem Hammer auf das Pult. „Wie ich gehört habe, wurden heute in Ramons Bäckerei Steine geworfen. Diese beiden Jungen haben das getan. Und es gilt nun die Frage zu klären, ob sie angestiftet wurden oder selbst so gehandelt haben!“, sagte er an die Menge gewandt. Einige von ihnen begannen zu tuscheln. Während Ramon die Jungen genau musterte. Immer wieder schauten sie verstohlen in die Menge. Schienen nach jemanden zu suchen, der ihnen aus dieser Lage helfen konnten. Das war merkwürdig. Wenn sie wirklich das aus eigenem Willen getan haben, würden sie zu Boden schauen. Daher hatte Ramon den Verdacht, dass ihn jemand angestiftet hatte. „Wenn jemand etwas dazu zu sagen hat, dann trete derjenige hervor und bekennt sich!“ Wie zu erwarten war, meldete sich keiner. Was anderes hatte Ramon nicht erwartet. „Nun? Keiner hat was damit zu tun?“ Als sich keiner erhob um etwas zu sagen, wandte er sich an die beiden Jungen. „Pete! Niklas! Habt Ihr von Euch aus die Steine geworfen? Oder hat jemand euch dafür angestiftet?“ Die beiden Jungen schauten erst sich an, dann zu Boden. Pete, der rothaarige, begann zögernd zu sprechen. „Wir…wir wurden nicht angestiftet. Wir haben es aus freien Stücken getan!“, sagte er. „Ist das wahr, Niklas?“, fragte nun der Bürgermeister seinen Komplizen. Niklas hingegen schien sich noch unwohler zu fühlen als Pete. Nervös biss er sich auf die Unterlippe und die suchenden Blicke, die er über die Versammelten schweifen ließ, wurden deutlicher. „J-Ja…wir waren es selber!“ „Da hört Ihr es! Was für Beweise braucht Ihr noch?“, rief jemand. Rene erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte einem der Schläger. Nun wurde auch in Rene der Verdacht wach, dass die beiden nur die Sündenböcke waren. Er drehte den Kopf und schaute zu dem Kerl, der dazwischen gerufen hatte. Er war aufgestanden und schaute mit starrer Miene zu den Jungen. Auch Ramon bemerkte dies. Sah ihn aber länger an. „Noch ist nichts bewiesen!“, sagte der Bürgermeister. „Aber die Jungen haben es doch zugegeben!“, rief nun der andere, der ihn ebenso zusammengeschlagen hatte. Nur Gustave schwieg. „Bestraft sie und dann ist es gut!“, sagte nun wieder der erste. „Was? Dass kann doch nicht Euer Ernst sein?“, rief eine Frau aufgebracht. Zweifelsohne die Mutter von einem der Jungen. „Niklas! Sag die Wahrheit! Habt ihr es wirklich aus freiem Willen getan?“, fragte sie dann ihren Sohn entsetzt und Niklas schrumpfte noch mehr zusammen. In ihrer Stimme war deutlich Sorge und blankes Entsetzten zu hören. Inständig flehte sie ihren Sohn mit ihren Blicken an, die Wahrheit zu sprechen. So auch Petes Eltern. „Pete. Mach den Mund auf und sag die Wahrheit!“, rief sein Vater, während seine Frau ihn an der Schulter festhielt und ihn wohl davon abhalten wollte, nachvorne zu stürmen und seinen Sohn zu packen. Pete hingegen wollte weiterhin zu seiner Tat stehen. Aber die harschen Worte seines Vaters und die darin liegende Drohung auf die darauffolgende Tracht Prügel, ließen seinen jugendlichen Starrsinn die ersten Risse bekommen. Der Bürgermeister beachtete dies nicht, sondern wandte sich erneut an die Jungen. „Wenn Ihr jemanden decken wollt und das rauskommt, wird die Strafe um so einiges härter sein, als wenn ihr es offen zugebt und die Wahrheit sagt!“, sagte er mit ernster Stimme und das schien zu reichen, dass die Jungen mit der Wahrheit rauskamen. „Man hat uns gesagt, wir sollen die Steine durch die Fenster schmeißen. Man versprach und zwei Silberstücke!“, begann Pete. Niklas stieß ihm seinen Ellenbogen in die Rippen. „Sei Still!“, zischte er. „Niklas!“, hörte er daraufhin vom Bürgermeister warnend und schwieg. Jedoch warf er Pete einen finsteren Blick zu. Aber Pete hatte zu viel Angst vor der angekündigten Strafe als vor dem Ärger mit seinem Komplizen, als das er sich davon beeinflussen ließ. „Und wer hat euch das gesagt?“, hakte der Bürgermeister nach. Pete biss sich auf die Unterlippe, schaute verstohlen in die Menge. Suchte nach denen, die ihn und Niklas angestiftet hatten. Und fand sie sogleich. Er hob den Arm und deutete mit dem Finger auf die betreffenden Personen. „Gustave und Emil waren es!“ Es wurde so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören. Dann aber meldete sich Gustave zu Wort. „Das ist eine Lüge!“, rief er wütend und einige Oktaven zu laut. Er versuchte entsetzt über diese Anschuldigung zu wirken. Aber sein nervöser Blick strafte seine Worte Lügen. „Ist es das? Gustave? Nach allem was ich gehört habe, würde es passen, dass du die Jungen gegen Ramon aufgehetzt hast!“, sagte der Bürgermeister. „Was habt Ihr so gehört, Bürgermeister?“, fragte Gustave und wirkte nun alles andere als sicher. „Dass du und deine Freunde seinem Sohn aufgelauert und ihn dann zusammengeschlagen habt!“, kam sogleich die Antwort vom Bürgermeister. Sofort begannen die Leute wieder zu tuscheln. Einige von ihnen waren fassungslos, während die anderen es irgendwie geahnt hatten. Emil hingegen schien sich zurück zu halten Offenbar wollte er nicht da mitreingezogen werden. Dabei steckte er genauso tief drin, wie Gustave. „Wer behauptet das?“, fragte Gustave und das Zittern in seiner Stimme wurde stärker. Er war kein guter Lügner. „Ramon. Er hat Euch überrascht!“ Gustave sah Ramon für einen kurzen Moment mit einer Mischung aus Wut und auch Entsetzen an. „Also? Willst du es immer noch leugnen?“ Gustave senkte den Blick, ballte dabei seine Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Sagte eine Zeit lang nichts. Dann hob er den Kopf und sagte dann mit grimmiger Stimme:„ Nein. Es stimmt. Wir haben den Jungen zusammengeschlagen und die beiden angestiftet, die Fensterscheiben mit den Steinen einzuschlagen!“, sprach er. „Aber wir haben nur das getan, was jeder andere auch getan hätte!“ Gustave drehte sich ein paarmal herum und sah jeden der Anwesenden an, als würde er von ihnen ein Geständnis erwarten. Aber natürlich sagte keiner was. Sondern wich seinen Blicken aus. „Jeder hier hätte diesen Jungen dafür bestraft, dass er uns alle in Gefahr bringt. Und das mit Recht!“ Da sprang Flor auf. „Mit Recht? Du bist ein elender Feigling. Jeder von Euch!“, schrie sie ihn an. Ihre Anklage schien die anderen zum Schweigen verdammt zu haben, denn keiner schien etwas dagegen einwerfen zu können. Floras Wut und Enttäuschung über die anderen wurde größer. Auch jetzt machten sie nicht den Mund auf. Jetzt wo sie persönlich angegriffen wurden. Aber Flora würde jede Wette halten, dass sie sich, sobald sie die Halle verließen, sich über sie und ihre Anfeindung auslassen würden. „Rene war bisher der einzige, der wirklichen Mut bewiesen hat. Er…!“, sie stockte, bevor ihr die nächsten Worte unüberlegt über die Lippen kommen konnte. „Es reicht. Ich habe genug gehört!“, sagte der Bürgermeister, um wieder die Kontrolle über die Verhandlung zu bekommen. „Ich werde mich mit dem Richter darüber unterhalten und danach das Urteil verkünden!“ Daraufhin verließ der Bürgermeister mit dem Richter und einem Anwalt den großen Saal. Dies nutzten natürlich die Versammelten, um wieder zu tuscheln und sahen dabei immer wieder verstohlen zu Gustave, Emil und zu Rene und seiner Familie. Rene und seiner Familie wäre es lieber gewesen, wenn sie wieder gehen konnten. Denn jeder ahnte, dass sie damit nun nur noch mehr ins Visier irgendwelcher hinterhältigen Angriffe gegen sie geraten würden. Dass man Gustave für sein Vergehen bestrafen würde, würde nicht dazu beitragen, dass sie Ruhe haben würden. Eher im Gegenteil. Gustave und auch die anderen würden ihnen dann erst Recht das Leben schwer machen. Ramon bereute es nun ein wenig, dass er diese Halunken angeschwärzt hatte, aber er brauchte nur an das zerschundene Gesicht seines Sohnes und an die kaputten Fensterscheiben denken, um anders darüber zu denken. „Diese Strolche sollen nicht denken, dass sie damit davonkommen. Genug ist genug!“ So straffte er die Schulten und zeigte somit, dass ihre geflüsterten Anfeindungen ihn kalt ließen. Irgendwann kamen der Bürgermeister, der Richter und der Anwalt wieder in den Saal zurück und ahmen wieder ihre Plätze hinter dem Pult ein und der Bürgermeister richtete das Wort an die Menge. „Wegen Anstiftung zur Sachbeschädigung und falscher Verdächtigung verurteile ich dich, Gustave und dich, Emil zu einer Geldstrafe von zehn Silberstücken. Sowie auch die Kosten zur Reparatur der zerstörten Fensterscheiben zu übernehmen. Wegen der Körperverletzung deines Sohnes, kann ich die beiden leider nicht belangen. Da es noch einen dritten gibt und dieser sicherlich nicht so einfach zu entlarven ist, bleibt es nur für die Verurteilung der aktuellen Straftat!“, sagte der Bürgermeister und sah dabei zu Ramon. Ramon sagte nichts dazu. Auch wenn es ihn am meisten ärgerte. Die zerstörten Scheiben konnte man ohne weiteres ersetzen. Aber dass die schweren Verletzungen seines Jungen mit dieser plumpen Ausrede abgetan wurden, störte ihn. Dennoch akzeptierte er es. Es würde nichts bringen, dagegen auf zu begehren. Denn sonst würde er noch das ganze Dorf gegen sich aufhetzen. Ramon schien hingegen überhaupt nicht damit einverstanden zu sein. Entrüstet sprang er auf. „Bürgermeister, das kann doch nicht Euer Ernst sein!“, begehrte er auf. Emil war ganz still. Offenbar wollte er es sich nicht verscherzen. „Und ob das mein Ernst ist, Gustave!“, sagte der Bürgermeister kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sei froh, dass wir dir so eine milde Strafe erteilen!“ Gustave machte den Eindruck, als würde er gleich explodieren. Ramon konnte nicht leugnen, dass er schon etwas wie Schadenfreude empfand. Jeder wusste das Gustave nur ungern Geld ausgab und vor allem, für andere. Aber in der Hinsicht musste er es nun tun und es war seine eigene Schuld. „Zahle das Geld und die neuen Fensterscheiben innerhalb von fünf Tagen und du bist aus dem Schneider. Solltest du das nicht tun, wirst du einen Tag im Gefängnis verbringen!“, setzte der Bürgermeister noch hinzu und schloss dann die Sitzung, als er mit dem Hammer auf das Pult klopfte. Ramon und seine Familie machten, dass sie schnell aus dem Saal kamen. Er drängte sie förmlich. Doch kaum dass er sie fast schon nach draußen gescheucht hatte, hielt ihn eine Hand an der Schulter grob zurück und Gustave tauchte hinter ihm auf. „Glaub nicht, dass es damit getan ist, Ramon!“, knurrte er, dann schob er sich an ihm vorbei und verschwand in der Menge. „Dieser Gustave ist wirklich ein unangenehmer Zeitgenosse!“, murrte Renes Großmutter und nahm einen Schluck heißen Tees. Elsa sah mit kummervoller Miene drein. „Wenn das du weitergeht, werden wir bald keinen Fuß mehr vor die Tür setzen können, ohne dass man uns was zu leide tut!“, bemerkte sie. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Gustave ist zwar dumm wie Brot, aber er wird sich sicher nicht nochmal an Euch vergreifen!“, beruhigte ihre Mutter sie. „Woher willst du das wissen?“, wandte Elsa ein. Sie hatte bedenken. Wenn Gustave schon unschuldige Kinder für seine gemeinen Machenschaften einspannte, was würde er sich als nächstes einfallen lassen? „Glaub mir. Ich lebe lange genug in diesem Dorf um zu wissen, wer einen kleinen hat!“, erwiderte die Großmutter und musste glucksen. Elsa sah ihre Mutter erschüttert an. „Das ist nicht komisch, Mutter!“ „Elsa, beruhige dich. Vertrau mir. Die werden es sich jetzt zweimal überlegen, ob sie sich mit deinem Mann anlegen!“ Flora und Rene hatten das Ganze von der Treppe aus belauscht. Verborgen im Schatten, saßen sie auf der höchsten Stufe und schwiegen. Sahen sich nur an. Und jeder von ihnen konnte sehen, was der andere dachte. Dann standen sie auf und gingen den Zimmer. Doch statt das jeder in sein eigenes ging, gingen sie in Renes Zimmer. Es gab noch einiges zu besprechen. Leise schloss Rene die Tür, während sich Flora auf sein Bett setzte. Rene setzte sich neben sie. Zuerst schwiegen sie, aber es war deutlich eine gewisse Anspannung zu spüren. Irgendwann brach Flora das Schweigen. „Es tut mir leid!“, sagte sie. „Was tut dir leid?“ „Dass ich beinahe alles verraten hätte!“, seufzte sie. Rene schüttelte den Kopf und legte den Arm um sie. Sowas in der Art hatte sich Rene schon gedacht. Schon in der Versammlung hatte er bemerkt, dass sie aufgewühlt war, weil Gustave nun die ganze Gemeinde gegen ihn aufhetzen wollte. Und bevor er etwas tun konnte, hätte sie beinahe etwas Dummes getan. Aber er hatte es auch irgendwie geahnt. Flora war jemand, der sich oft von seinen Gefühlen leiten ließ. Vermutlich lag es auch daran, dass sie eine Frau war. Aber was spielte das schon für eine Rolle. Auch Rene ließ sich manchmal von seinen Gefühlen hinreisen. Und er war ein Mann. Dennoch blieb die Gefahr, dass entweder sie oder sich irgendwann verraten könnte. Die Bedrohung hing wie ein Fallbeil über ihnen. Und Rene hatte das ungute Wissen, dass nur er etwas dagegen tun konnte. Er musste mit dem Wolfsprinzen sprechen. Vielleicht konnte er ihn bitten, die Strafe für seinen Verrat etwas abzumildern. „Aber das hast du nicht!“ Flora sagte nichts, sondern schwieg. Und etwas an ihr verriet Rene, dass ein Teil von ihr nur zu gern ihr Geheimnis verraten hätte. Angst stieg in ihm hoch und er ergriff ihre Hand. Seine Sorge wurde größer, als er merkte, wie sie zitterte. Flora hatte die Lippen zu einem harten Strich zusammen gepresst „Flora, du…!“, begann er vorsichtig und es war, als würde all der ganze Frust aus ihr herausplatzen. „Ich weiß, dass es unser aller Ende bedeutet, wenn wir etwas sagen. Aber…es kommt mir so falsch vor. Alle sind gegen uns, nur weil du….und ich nicht…!“ Flora machte eine verzweifelte Geste. Rene konnte sie verstehen. Er selber fühlte sich hilflos, in Anbetracht, was in der letzten Zeit geschehen ist. Er hatte das Gefühl, dass das alles nur wegen ihm passierte. Wagte es jedoch nicht laut auszusprechen. Da es seine Schwester nur noch mehr aufwühlen würde. Dennoch wollte er ihr zeigen, dass er ebenso dachte und empfand. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Flora erwiderte dies kurz und lächelte. Dann aber wurde sie wieder ernst. Kaute auf ihre Unterlippe herum. Auf ihrer Stirn bildeten sich nachdenkliche Falten. Als sie dann weitersprach, vermied sie es, ihn an zu sehen. „Meinst du nicht, dass es besser wäre, wenn wir es doch…!“, begann Flora dann vorsichtig und in Rene wurde es mit einem Schlag eiskalt. Dachte seine Schwester tatsächlich darüber nach, ihr Wort zu brechen? Das konnte nicht ihr ernst sein. „Flora! Nein!“, kam es erstickt aus ihm. Wie ein Wahnsinniger schüttelte er den Kopf. „Das…das darfst du nicht…!“ Er sah vor seinem geistigen Auge, den Wolfsprinzen vor sich stehen. Sah wie er von dem Verrat erfuhr und seinen Wölfen Befehl gibt, über seine Familie her zu fallen. Hörte das Jaulen der hungrigen Tiere und die Schreie seiner Angehörigen. Schnell drängte er dieses schreckliche Bild aus seinem Kopf. „Du weißt, was dann passiert…!“ „Aber so kann es doch nicht weitergehen!“, wimmerte sie. „Das alles…!“ Flora brachte es nicht fertig weiter zu reden. Aber das brauchte sie auch nicht, da Rene wusste, was ihr auf dem Herzen lag. Still betrachtete er seine Schwester, die sich die Hände vor das Gesicht schlug und zu schluchzen begann. „Das ist einfach nicht richtig…!“, wimmerte sie durch ihre Hände. „Sie müssen büßen, für das, was wir getan haben!“ Nein, was ich getan habe, dachte Rene bitter und nahm seine Schwester in den Arm und drückte sie fest an sich. In diesem Moment fühlte er sich so, wie ihn die anderen bisher behandelt hatten. Ein Schwerverbrecher. Und seine Familie musste darunter leiden, weil sie ihn in Schutz nahmen. Mit entschlossenen Schritten stapfte er durch den Schnee. Wusste wohin er gehen musste und was er zu tun hatte. Sobald er sich sicher war, dass seine Eltern und auch Flora tief und fest schliefen, hatte er sich aus seinem Zimmer und aus dem Haus geschlichen und auf den Weg in den Wald gemacht. Ihn ließ es keine Ruhe, dass seine Familie unter seiner Tat leiden musste und was sie noch alles erdulden mussten. Er wollte mit dem Wolfsprinzen sprechen. Vielleicht konnte er ihn dazu überreden, die Strafe nur für ihn geltend zu machen. Flora und seine Eltern hatten schließlich nichts damit zu tun. Selbst jemand wie der Wolfsprinz musste das einsehen. Zumindest hoffte Rene das. „Wolfsprinz!“, rief er laut, als er auf die Lichtung trat. „Wolfsprinz!“ Obwohl er entschlossen war, spürte er dennoch eine gewisse Anspannung. Was würde der Wolfsprinz darauf sagen? Wäre er einverstanden? Rene versuchte sich deswegen keine großen Gedanken zu machen. Was natürlich alles andere als einfach war. Immerhin würde er wieder dem Wolfsprinzen gegenüber stehen. Schon allein der Gedanke an diese kalten Augen und seine kühle Stimme ließ es in Rene unwohl rumoren. Er fühlte sich etwas unwohl in seiner Nähe. Umso verrückter war es nun, dass er freiwillig dem Wolfsprinzen gegenüber treten wollte. Wobei… Wieder musste er sich daran erinnern, dass er sich mit ihm unterhalten hatte. Vielleicht, so hoffte er, würde es hier bei genauso sein. „Wolfprinz! Ich weiß, dass du mich hören kannst!“ „Was willst du?“, erscholl plötzlich die Stimme des Wolfsprinzen hinter ihm und Rene wirbelte erschrocken herum. Blickte geradewegs in die blauen, kalten Augen des Mannes, der ihn nicht mehr los ließ und ihn stets heimsuchte. Egal ob in seinen Träumen oder leibhaftig. Für einen kurzen Moment hatte er vergessen, weswegen er hier her gekommen war. Konnte ihn nur ansehen. Ihn schien stets etwas zu umgeben, was ihn unnahbar erscheinen ließ. Als gehöre er nicht wirklich zu dieser Welt. Sondern würde in dieser nur als ein Besucher umherwandeln. Selbst jetzt, wo das Licht des Mondes nur schwach durch die Wolken, die über ihnen am Himmel vorbeizogen, schien ihn ein leuchtender Schimmer zu umgeben. Eigentlich war es egal, wie oft die sich gegenüber standen. Nichts schien sich an seiner außergewöhnlichen Aura zu verändern. Mandariel bemerkte natürlich, wie Rene ihn anstarrte und räusperte sich. „Was willst du?“, fragte er wieder und trat auf ihn zu. Der Schimmer, der ihn umgab verschwand. Und Rene kehrte wieder ins Hier und Jetzt zurück. „Ich will Euch bitten, die Strafe nur auf mich geltend zu machen!“, sagte er. Mandariel hob die Braue. Wusste wohl zunächst nicht, was Rene damit meinte. „Die Strafe, die Ihr meiner Familie zu gedacht habt, wenn ich oder meine Schwester ein Wort über unseren Handel verliere!“ „Und wieso sollte ich das? Du stirbst eh. Was bringt es, die Strafe nur dir teil werden zulassen?“, sagte er und sah Rene skeptisch an. Wieder meldete sich Ärger in ihm. Wie immer, wenn der Wolfsprinz seine ehrlichen und vor allem menschlichen Absichten anzweifelte. Wie kalt musste das Herz von diesem Dämon sein. Dabei hatte Rene ernsthaft gedacht, dass in ihm ein guter Kern steckte. Aber vermutlich hatte er sich geirrt. „Weil ich es nicht sehen kann, dass meine Familie durch meine Tat leiden muss!“, erklärte er. „Man hat dieses Mal sie angegriffen. Mit Steinen hat man die Fenster unserer Bäckerei eingeworfen und nur weil wir deswegen uns gewehrt haben, haben wir nun das ganze Dorf gegen uns!“ Dabei flunkerte Rene etwas. Zwar hatten sie nur Gustave, seine Freunde und dessen Frauen gegen sich, aber wie schnell würde Gustave das restliche Dorf gegen sie aufbringen? Rene war sich sicher, dass das eher der Fall sein wird, als ihm lieb ist. Mandariel sah ihn schweigend an. Und Rene fragte sich, ob er ihm überhaut zu gehört hatte. Das Gesicht des Wolfsprinzen wirkte abwesend, als sei er nicht wirklich da. Das ärgerte ihn umso mehr. „Wenn du wirklich ein Prinz bist, dann hab Gnade mit meiner Familie. Sie hat nichts falsch gemacht!“ Da ging ein Ruck durch den Prinzen und sein Gesicht verfinsterte sich. Noch ehe Rene begreifen konnte was passierte, stand plötzlich der Wolfsprinz vor ihm und packte ihn an der Kehle. Drückte sie zwar nicht zu, aber dennoch hielt er ihn festumklammert und schaute ihn grollend an. „Ich war schon gnädig, in dem ich dich und deine Schwester nicht sofort getötet habe. Und ich lasse dir noch etwas Zeit, ehe ich mir dein Leben nehme. Du weißt genau, was man sich über mich erzählt. Sei also dankbar dafür, anstatt mir etwas zu unterstellen!“, knurrte er. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem von Rene entfernt. Sein kalter Atem streifte ihn und Rene hatte das Gefühl, als würde er eisige Bergluft atmen. Sein Ärger war blanker Furcht gewichen und er wünschte sich, dass er diese Worte nicht ausgesprochen hätte. Irrwitzig aber verspürte er dennoch einen gewissen Trotz in sich. Er wollte sich von ihm nicht wieder so leicht einschüchtern lassen. Da er zumal ihm einen Vorschlag gemacht hatte. „Dann tue es doch endlich!“, würgte er in seinem Griff hervor. „Bring mich endlich um. Dann haben meine Eltern endlich Frieden und du, was du wolltest!“ „Ist deine Todessehnsucht so groß, dass du deine noch verbleibende Zeit wegwerfen willst?“, war darauf die Frage des Wolfsprinzen. „Ich sterbe doch so oder so. Egal ob jetzt oder später. Oder durch dich oder durch die Dörfler!“ Der Wolfsprinz sah ihn einige Augenbliche an, dann entließ er ihm aus seinen Griff. Rene landete im Schnee und fasste sich sofort an den Hals. Erwartete Abdrücke unter seinen Fingern zu spüren. Aber nichts war da. Er schaute zu ihm hinauf. Er zwar froh, dass der Wolfprinz ihn nicht mehr am Hals festhielt, jedoch war er auch verwundert. So wie er ihn angesehen und gepackt gehalten hatte, hatte er erwartet, dass er ihn nun töten würde. Dass er es nicht tat, wunderte ihn und er fragte sich insgeheim, was er noch tun musste, damit er ihm sein Leben nahm. Es war verrückt und er fragte sich wirklich, ob er eine Sehnsucht nach dem Tod hat, so wie es der Wolfsprinz bemerkt hatte. Aber dabei dachte er nur an seine Familie. „Ich bin es Leid mit dir über diese Lappalie zu streiten!“, sagte er eisig und drehte sich weg von ihm. „Ich gebe dir den guten Rat, es auf zu geben. Egal wie sehr du mich auch zu provozieren versuchst oder wie entschlossen du bist, deine Familie zu schützen: Ich werde dich nicht vorher töten! Lasse es also darauf beruhen und genieße die Zeit, die dir noch bleibt!“ Rene öffnete den Mund, um etwas entgegen zu setzen. Wie soll ich diese Zeit genießen, schrie es in seinem Inneren und er wollte es auch aussprechen, als ihm der Wolfsprinz zu vorkam. „Ich denke, das ist auch im Sinne deiner Schwester!“ Rene zuckte dabei etwas zusammen. Etwas in ihm bejahte die Worte Mandariels. Flora würde noch unglücklicher werden, wenn sie erfuhr, dass er seinem Leben jetzt schon ein Ende gesetzt hatte. Zumal er selbst gesagt hatte, dass sie die Zeit nutzen sollten, in der sie noch zusammen waren. Dennoch… Der Gedanke, was noch seine Familie erdulden musste, ließ die Sorgen nicht kleiner werden. Aber es hatte ganz den Anschein, dass der Wolfsprinz von seinem Entschluss nicht ablassen würde. Egal was Rene tat. Mit einem missmutigem Seufzen schaute er zu Boden. Spielte er mit ihm? „Verflucht sollst du sein, Wolfsprinz!“, konnte er sich nicht verkneifen. „Mein Name ist Mandariel!“, kam es schroff vom ihm. „Und verflucht bin ich schon längst. Die Menschen des Dorfes waren es, die den Fluch über mich und meine Mutter brachten!“ Dann wandte er sich ab und ging. Ließ ihn einfach stehen. Zurück in den Bergen, in seinem Schloss, stand Mandariel auf seinem Balkon und schaute mit finsterer Miene auf den Wald unter sich. Das kurze Treffen mit diesem Jungen beschäftigte ihn. Es hatte ihn schon verwundert, dass dieser Junge ihn freiwillig aufsuchte und mit ihm sprechen wollte. Doch er hatte sich auch schon gedacht, um was es ging und war alles andere als begeistert. Wieso ließ es dieser Narr nicht einfach sein? Wieso war er nicht einfach froh, dass er ihm noch etwas Zeit ließ? Stattdessen versuchte er ihn bis aufs Blut zu reizen. Es war einfach nur nervig. Dabei hatte er ihm etwas gesunden Menschenverstand zu getraut. Aber wenn man bedacht, wie Jung er noch war… Er benahm sich wie ein undankbares Balg. „Ihr habt wirklich eine Engelsgeduld haben, wenn Ihr zulasst, dass er Euch beleidigt und verflucht. Bei den anderen wart Ihr hingegen nicht so gnädig!“, holte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Dieses Mal war diese männlich. Mandariel sagte daraufhin nichts. Aber sein Gesicht verfinsterte sich umso mehr. „Was hat Euch nur dazu gebracht, solch einen Handel zu schließen?“, fragte dieser wieder. „Stellst du meine Entscheidungen in Frage Ardou?“, kam es nun von Mandariel und seine Stimme war kalt. „Nein! Aber es ist untypisch für Euch!“ „Du hättest ihn wohl zu gern den Hals aufgerissen?“ „Er hat Euch angegriffen. Meine Aufgabe ist es, Euch zu schützen!“, sagte Ardou und trat etwas näher. „Das habe ich Eurem Vater zu seinen Lebzeiten geschworen. Und diesen Schwur werde ich auch halten. Auch wenn es bedeutet, Euch zu kritisieren!“ „Deine Loyalität in allen Ehren, Ardou. Aber ich entscheide, wann und wie du mich zu beschützen hast. Und dieser Junge ist keine Gefahr!“ „Er war zumindest gefährlich, als er diesen verdammten Dolch hatte!“ „Ich muss zugeben, dass er mich in diesem kurzen Moment überrascht hat!“, gestand der Wolfsprinz. „Noch immer frage ich mich, woher er diesen Mut genommen hat!“ „Das war kein Mut. Sondern Dummheit. Er hätte wissen müssen, dass das nicht ohne Folgen bleibt!“, konterte Ardou scharf. Mandariel ließ die Worte seines Vertrauten auf sich wirken. Irgendwie hatten sie einen faden Beigeschmack. Dabei waren es seine eigenen Worte, die er zuvor dem Jungen gegenüber geäußert hatte. Doch statt Ardou zu zustimmen, wankte er nun ein wenig in seiner Einstellung. Wo so er darüber nachdachte, musste er dem Jungen Recht geben. Ihm kam wieder ihr Gespräch in den Sinn, als er ihn sein Schloss holte. „Ich frage mich immer noch, was dich dazu gebracht hat. Es hätte dir klar sein sollen, dass das nicht ohne Folgen bleibt!“ „Das war mir bewusst. Ich konnte aber nicht zulassen, dass meine Schwester…dein nächstes Opfer wird! Ich …ich tat es aus…aus Liebe!“ Aus Liebe, dachte er und sein Gesicht nahm einen bedrückten Ausdruck an. „Bist du sicher, dass es Dummheit war?“, fragte er dann nach einer Weile und seine Stimme war matt. Er erwartete erst gar nicht eine Antwort, sondern blickte weiterhin in das Tal hinunter. Versank in seinen Gedanken, die sich immer wieder und wieder um Rene drehten. Und fragte sich, wie es sein kann, dass ein einziger gewöhnlicher Junge ihn so sehr beschäftigte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)