Der Wolfsprinz von Mad-Dental-Nurse (Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt) ================================================================================ Kapitel 11: Von Hyänen und Wölfen --------------------------------- Renes Hände zitterten. Die ganze Zeit. Der Traum, die Wahrheit, die ihm in diesem offenbart wurde, hatte ihn mit der Wucht eines Hammers getroffen. Noch immer ließ ihn der Traum nicht los. Die Tatsache, dass nicht der Wolfsprinz, sondern er selbst dieses Verlangen hatte. Verlangen nach diesen Berührungen. Rene schauderte. Schämte sich dafür. Dabei hörte er eine leise Stimme flüstern, dass es keinen Grund gab, sich dafür zu schämen. Was war schon dabei? Solange es kein anderer erfuhr. Dennoch blieb das bedrückende Gefühl der Schande und er wusste nicht, wie er dieses loswerden konnte. Mit jemanden darüber zu reden konnte er nicht. Zumindest nicht mit jemanden aus seiner Familie. Zu groß war die Angst davor, was sie von ihm denken würden. Aber mit wem dann. Auch wenn es ihm unangenehm war und sich davor scheute, musste er es sich von der Seele reden. Und er wusste da nur einen, dem er sich anvertrauen konnte. Auch wenn es auch da ihm ein wenig graute. „Vergib mir Vater. Denn ich habe gesündigt!“, sagte er und schlug das Kreuzeichen. Auf der anderen Seite des Beichtstuhls wurde das kleine Fenster geöffnet und hinter dem Gitter tauchte das Gesicht des Pfarrers auf. „Erzähl mir von deinen Sünden!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Zögerte kurz. Suchte nach den richtigen Worten. Überlegte auch ob es richtig war, sich diesem Mann an zu vertrauen. Auch wenn er Pfarrer war und damit verpflichtet war, alles was man ihm anvertraute, für sich zu behalten, hieß das nicht, dass er sich daran hielt. Besonders da es hierbei um Rene ging, den alle verfluchten. Ob der Pfarrer ihn ebenso als eine Bedrohung sah? Schnell verwarf er diesen Gedanken. Dennoch vorsichtig begann er. „Ich…ich weiß nicht wo ich anfangen soll und es…es ist nicht leicht, es aus zu sprechen!“ „Ich versichere dir, dass alles was du mir anvertraust, mich nicht schlecht von dir denken lassen wird. So sprich dich aus und mache dir ein reines Gewissen!“ „Also gut. Mich plangen seit einiger Zeit Träume!“ „Träum?“, fragt der Pfarrer. „Was für Träum?“ „Ich kann sie nicht genau beschreiben. Aber sie…sie lassen mich immer wieder erschauern!“ „Versuche es. Denn nur so kann ich dir helfen!“ Wieder zögerte Rene. „Also gut. Es…in diesen Träumen ergreift eine unheimliche Macht von mir Besitz und bringt mich dazu Dinge zu tun, die ich niemals tun würde!“ „Und was für Dinge wären das?“ „Das…das kann ich nicht sagen. Aber…es erfüllt mich immer wieder voller Grauen!“ Der Pfarrer ließ diese Worte erstmal auf sich wirken. Legte die Stirn in tiefe Falten und dachte nach. Als er dann wieder das Wort ergriff, klang er ernst. „So wie ich das sehe, kann ich dir nur den Rat geben, bevor du dich schlafen legst, fünfmal das Vaterunser zu beten!“ Die Antwort war so simpel und banal, dass es Rene erstmal die Sprache verschlug. Er wusste nicht, was er eigentlich erwartet hatte. Vielleicht tröstende Worte oder ein wenig mehr als nur zu beten, um diese Träume nicht mehr zu bekommen. Aber das stimmte ihn irgendwie unzufrieden. Dennoch wollte er nicht unhöflich sein und bedankte sich. Mit steinerner Miene schritt er aus der Kirche und über den Marktplatz. Er hatte eigentlich mehr von dem Geistlichen erwartet. Und kurz hatte er den Verdacht, dass der Pfarrer absichtlich ihm so einen schwachen Trost gegeben hatte. Wo er vorher noch gedacht hatte, dass der Pfarrer alldem Gerede erhaben war, war er sich nun nicht mehr so sicher. Hatten die Dörfler ihn irgendwie bestochen? Oder gar ihn erpresst? So langsam fragte er sich ob nicht alle hier, die in diesem Dorf lebten, irgendwie und jeder für sich auf eine gewisse Weise, böse ist. Von außen lächeln sie einen an und hinten rum würden sie einem mit einem Dolch erstechen. In diesem Fall wäre es Rene. Dieser Gedanke ließ ihn nicht los und brachte ihn dazu immer wieder verstohlen über seine Schulter zu schauen. Und wirklich meinte er in den Gesichtern, in die er flüchtig blickte, einen Ausdruck in den Augen derer zu sehen, der wahrlich mörderisch war. Rene konnte sich den Eindruck nicht erwehren, dass er ein Lamm in mitten von Wölfen war. Wobei er sich verbessern musste. Sie mit Wölfen zu vergleichen kam ihm wie eine Beleidigung vor. Da war es naheliegender in ihnen Hyänen zu sehen. Aasfresser! Aber nicht minder bedrohlicher. Er schluckte und beeilte sich nun weiter zu gehen. Gerade ging er an einem Mann vorbei, der einen Hund mit sich führte. Kaum dass er an dem Tier vorbeilief, regte es seinen Kopf zu ihm, schnüffelte und begann sofort zu knurren. Aus dem Knurren wurde ein wütendes Bellen und er riss an der Leine. Wäre dieser nicht gewesen, hätte sich der Hund auf ihn gestürzt. Dennoch wisch Rene zurück. Der Mann verzog keine Miene. Entschuldigte sich nicht mal. Hatte aber Mühe das aufgebrachte Tier zu beruhigen. Immer wieder versuchte es sich von ihm los zu reißen und bleckte die Zähne. In den Augen des Hundes konnte Rene deutlich einen angewiderten Ausdruck sehen. „Du stinkst nach Wolf!“, konnte er in seinem Kopf hören. Rene zuckte dabei zusammen. Sah dann wieder zum Mann. „Wollt Ihr mir Euren Hund aufhetzen?“, fragte er dumpf. Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich. „Wenn ich das wollte, hätte ich ihn schon längst los gelassen!“, knurrte er. Ging dann weite, wobei er das aggressive Tier hinter sich her zog. Rene sah ihm nur nach. War ein wenig erschrocken, dass er nun auch noch Hunde denken hören konnte. Verlor er langsam den Verstand? Mit zitternden Beinen ging er weiter. Der Vorfall mit dem Hund hatte sich tief in Rene eingebrannt. Als er zuhause war, roch er erstmal an sich. Konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Dann ging er davon aus, dass sein Hemd noch nach dem Wolfswelpen roch. Doch das konnte auch nicht sein. Das Hemd war, wie der Wolfsprinz es aufgetragen hatte, gewaschen. Also wieso riecht er nach Wolf und vor allem, wieso konnte er die Gedanken von Wölfen und Hunden hören? Das fragte er sich immer wieder, während er sich im Bad abschrubbte. Seine Haut war schon rot wie ein Krebs als er fertig war. Aus einer naiven Hoffnung heraus dachte er, dass er so mit den Geruch losgeworden war. Die Zeit verging. Und in dieser Zeit rief der Wolfsprinz nicht nach ihm. Aber dafür häuften sich die Träume. Da er nun wusste, dass er es selbst war, der diese Fantasien auslebte, machte es natürlich nicht besser. Aber sich dagegen wehren brachte auch nichts. Sein zweites Ich schien hier die Kontrolle zu haben. Mit einem Verlangen in den Augen beugte er sich über Rene und strich mit den Händen über seine nackte Brust. Schien dabei jede Kontur von ihm in sich aufnehmen zu wollen. Rene ließ es zu. Auch wenn alles in ihm danach schrie, die Hände seines Ebenbildes wegzuschlagen. Stattdessen lag er einfach nur da und schaute ins Leere. Sein anderes Ich schien zu merken, wie sehr es ihm zu wider war. Es wunderte ihn aber auch, dass sich Rene nicht dagegen wehrte. Mit einem fragenden Blick schaute er auf ihn nieder. „Du scheinst dich ja schnell mit deinem Schicksal abgefunden zu haben?“ Rene presste die Lippen auf einander. „Wozu sollte ich mich noch wehren?“, kam es dann von ihm. „Du machst doch sowieso, was du willst!“ „Ich mache nur das, wonach du dich sehnst!“ „Mich danach sehnen? Bist du verrückt? Wie könnte ich mich nach sowas sehnen?“ „Tief in deinem Inneren tust du es. Seit du ihm das erste Mal getroffen hast!“ „Das…das ist nicht wahr!“ „Hör auf dir was vorzumachen. Tief in dir weißt du, dass das wahr ist!“, raunte sein Doppelgänger, beugte sich zu ihm hinunter und hauchte sanfte Küsse auf seinen Hals. Renes Körper versteifte sich. „Du sehnst dich danach. Nach seinen Berührungen. Nach seinen Küssen!“, hauchte er zwischen seinen Küssen. Ließen immer wieder kalte Schauer über Renes Rücken laufen. Nährten seinen Unglauben. Jeder Faser in seinem Körper war erfüllt von Trotz und er wollte sich dagegen stemmen. Sein Spiegelbild weg stoßen. Aber er konnte es nicht. Zu sehr nahmen ihn die Berührungen und Küsse in Besitz als das er sich dagegen wehren konnte. Und dennoch war da so etwas wie Widerwille… „Gib es ruhig zu. Du willst…das ich dich so küsse!“, hauchte wieder sein Doppelgänger und als er sich wieder aufrichtete, sah er sich nun dem Wolfsprinzen gegenüber, der ihn immer noch mit diesem verlangendem Blick anschaute. Da reichte es Rene. „Sei endlich still!“, rief er wütend und fand endlich die nötige Kraft. Mit seinem Arm holte er aus und schlug nach ihm. Doch kaum dass er ihn berühren konnte, zerfaserte seine Gestalt und löste sich im Nichts auf. Der Tag zog sich endlos in die Länge und Rene hatte das Gefühl, dass er nicht enden wollte. Auch vermied er es das Haus seiner Eltern zu verlassen. Er war nicht erpicht darauf nur einem dieser Hyänen über den Weg zu laufen, die sich als Menschen bezeichneten. Er hatte, ohne dass er es sich erklären konnte, eine Abneigung gegen diese entwickelt. Aber vermutlich war schon zu viel passiert als das er einfach darüber hinwegsehen konnte. Stattdessen verbrachte er die meiste Zeit im Garten. Flora hingegen schien sich nicht von den Anfeindungen der Dorfbewohner unterkriegen zu lassen. Sie besuchte so oft es ging Jaque und kam dann immer mit einem seligen Lächeln nachhause. Rene fand das ein wenig bewundernswert. Obwohl sie ebenso mit diesem schrecklichen Geheimnis leben musste und auch mit der Gewissheit, dass Rene eines Tages nicht mehr da sein wird, schien sie weiterhin ihr Leben weiter zu leben. Rene ertappte sich dabei, wie er ein wenig neidisch auf sie wurde. Aber vermutlich lag es daran, dass sie jemanden hatte. Natürlich lagen die Angst und die Sorge um ihren Bruder wie ein dunkler Schatten auf ihrer Seele. Und er konnte sich gut vorstellen, dass sie sich immer noch Vorwürfe machte. Dennoch lebte sie weiter und eigentlich war er froh darüber. Sie sollte nicht darunter leiden… Sondern froh sein, dass sie mit Jaque zusammen sein konnte. „Hat er dich bereits gefragt?“, fragte er sie eines Tages als sie im Garten saßen. Flora sah ihn ein wenig verwirrt an. Offensichtlich war sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen. Vielleicht malte sie sich gerade aus wie ihre Hochzeit aussehen soll, dachte er und musste lächeln. Flora wurde dann aber rot und schaute verlegen zu Boden. „Mich was gefragt?“ „Na, ob du ihn heiraten willst?“ Flora zuckte zusammen und ihr Gesicht glühte nun förmlich. „Wie…wie kommst du nur auf so einen Unsinn?“ „Wieso? Ich dachte nach all der langen Zeit dachte ich, dass er dich endlich mal gefragt hat!“, sagte Rene, den es zum Teil amüsierte, dass seine Schwester so verlegen war und sich aber auch wunderte. Er hatte wirklich gedacht, dass er sie endlich mal fragen würde. Immerhin konnten sie nun zusammen sein. „Nein…hat er nicht!“, sagte Flora und ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Mantels. Ihre Stimme war nun belegt und er konnte auch so etwas wie Kummer darin hören. Renes Stirn runzelte sich. „Wieso das denn?“ Seine Schwester konnte nur die Schultern heben. „Ich weiß es auch nicht!“ „Dann frag ihn doch ob er dich heiraten will!“, kam es prompt von Rene. „Ich kann ihn das doch nicht einfach fragen!“ „Und warum nicht?“ „Weil…weil sich das nicht gehört. Der Mann muss der Frau den Antrag machen. Aber zuerst muss er um den Segen der Eltern bitten!“, belehrte ihn Flora mit hochrotem Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mutter und Vater nicht Ihren Segen geben werden!“, behauptete Rene, der ihr nun etwas Mut zu sprechen wollte. Flora nickte Auch sie hatte daran keine Zweifel. Aber was war mit Jaques Vater? War er vielleicht der Grund warum Jaque ihr nicht den ersehnten Antrag gemacht hatte? Insgeheim wünschte sie sich auch nichts sehnlicher als endlich von ihm gefragt zu werden, ob sie seine Frau werden will. Dass er es aber schon so lange hinauszögerte, ließ ihr Hoffen und Sehnen immer schwächer werden. „Hm…dann werde ich ihn fragen!“, hörte sie Rene sagen und sah ihn mit einem entrückten Blick an. „Du willst ihn fragen, ob er dich heiraten will?“ Rene sah sie nun ebenso an als habe sie den Verstand verloren. Schüttelte dann fassungslos den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Spinnst du? Ich meine, dass ich ihn frage, warum er dich noch nicht gefragt hat!“ „Was? Nein! Auf keinen Fall!“, rief Flora. „Warum denn nicht?“ „Dass…das kannst du einfach nicht…!“ „Flora, mal ehrlich. Wie lange willst du noch warten? Ich möchte dich gerne vor dem Traualtar sehen, bevor ich…!“, seine Stimme brach ab und Schweigen folgte. Nun verstand Flora worauf er hinaus wollte. „Glaub mir. Ich wünsche es mir auch. Aber…es ist einfach nicht richtig. Nur deswegen darauf zu drängen…!“ „Das ist mir schon bewusst…Nur mir kommt es so vor, als habe ich nicht mehr so viel Zeit. Und immerhin das möchte ich noch erleben!“, murmelte Rene. Flora ergriff seine Hand und drückte sie. Lehnte ihren Kopf an seiner Schulter und schloss die Augen. In diesem Moment waren sie sich so nahe, wie es Bruder und Schwester nur sein konnten. Dabei war es dieses schreckliche Geheimnis, das sie wahren mussten, was sie so sehr verband und auch die Angst vor dem, was unweigerlich passieren würde. Und genau das ließ das Band zwischen ihnen noch stärker werden. Am Abend gingen sie wieder hinein. Keiner sagte etwas, sondern ging einfach zur Treppe und wollten hinauf zu ihren Zimmer gehen. Doch da hörten sie aufgebrachte Stimmen. „Ich habe langsam keine Geduld mehr. Wo ist das Geld?“ „Ihr verlangt unmögliches. Soviel Geld in so kurzer Zeit! Das…das ist einfach nicht zu machen!“, hörten sie ihre Mutter auf die erzürnte Stimme antworten. Es brauchte nicht lange um zu erraten, wer sie da besuchte und so außer sich war. Der Verwalter! Beiden wurde es eiskalt in ihren Mägen. Still und darauf bedacht keinen Laut von sich zu geben, schlichen sie näher an die Tür, die zur Stube führte und nur einen Spaltbreit auf stand und hörten ihnen zu. „Wenn Ihr nicht zahlen könnt, müsst Ihr das Haus verlassen!“, schrie der Verwalter. „Und wohin sollen wir gehen?“ Das war nun Ramon. Er schien sich nicht so sehr zurück halten zu wollen. Im Gegenteil. Am Klang seiner Stimme konnte jeder der Beiden hören, wie er darauf brannte, ihm den dürren Hals zu brechen. „Wie es bereits sagte: Das ist nicht mein Problem. Ich soll nur der Geld holen!“ „Du bist wirklich ein Blutsauger!“, keifte Martha nun. „Mutter, bitte!“, sagte Elsa. Wandte sich dann wieder an den Verwalter. „Bitte…gibt es nichts, was wir tun können, um mehr Zeit zu bekommen?“, fragte Elsa hilflos. Rene und Flora mussten nicht hineinschauen um zu sehen wie sie die Hände rang. Sie tauschten einen sorgenvollen Blick. Die Lage musste mehr als ernst sein. Dabei konnten sie sich gut vorstellen, dass einige hochstehende Personen ihre Hände im Spiel hatten. Wie den Bürgermeister zum Beispiel. So etwas wie Groll stieg in beiden hoch. Dass diese Leute so weit gehen würden… Das glich ja schon einer Hexenjagd. Mit einem dumpfen Gefühl lauschten sie nun weiter. Zuerst war es still. Offensichtlich dachte der Verwalter über die Bitte ihrer Mutter nach. Nach einer Weile sprach er dann weiter. „Nun ich wäre bereit dieses Mal eine Ausnahme zu machen, wenn…!“, er ließ das letzte Wort in der Luft hängen. „Wenn was? So sprecht doch weiter!“, drängte Ramon ihm. Seine Geduld neigte sich langsam dem Ende zu. „Ihr habt doch eine schöne Tochter!“, sprach er weiter und seine Stimme hatte auf einmal einen dunklen Unterton. Flora griff nach Renes Hand, als sie hörte dass das Gespräch nun auf sie zuging. Rene drückte ihre Hand. Wollte ihr so Kraft geben. Gespannt und auch mit einem unguten Gefühl lauschten sie weiter. „Wie gesagt. Ich würde eine Ausnahme machen, wenn Ihr sie mir für eine Nacht überlasst!“ Darauf herrschte Schweigen. Entsetztes Schweigen. Sowohl ihre Eltern, Martha, als auch Rene und Flora glaubten einen Schlag bekommen zu haben. Verlangte er das wirklich? Wollte er Flora etwa wirklich kaufen? Für eine Nacht? Wie eine…? Ramon war der erste, der das Schweigen brach. Wütend sprang er auf. Das hörten sie an dem Stuhl, der zu Boden polterte und im nächsten Moment schrie Ramon den Mann an:„ Was erlaubt Ihr Euch? Denkt Ihr meine Tochter ist eine Dirne, über die man verfügen kann, wie man will. Habt Ihr nicht das kleinste bisschen Ehrgefühl. Ich sollte Euch…!“, tobte Ramon. „Bevor Ihr weitersprecht, überlegt es Euch lieber noch einmal!“, versuchte der Verwalter es nun mit Vernunft, dabei war seine Stimme so ölig, dass es jedem der mithörenden schlecht wurde. „Das ist das letzte. Du solltest dich in Grund und Boden schämen, Paul. Dein Vater würde sich in Grab umdrehen!“, zeterte Martha wütend. Doch der Verwalter hörte nicht auf sie. Wandte sich wieder seinen Eltern zu. „Es wäre nur zu Eurem Besten. Eure Frau sagte doch, dass Ihr so viel Geld nicht zusammen bekommen könnt. Und es wäre nur für eine Nacht. Ich versichere Euch: Ich werde sie gut behandeln und sie Euch im guten Zustand wieder zurück bringen!“ Da war das Fass für Ramon voll. Noch ehe seine Frau etwas sagen oder tun konnte, stürzte er sich schon auf den Verwalter. Packte ihm am Kragen und schleifte ihn hinaus. Vielmehr schubste er ihn. Das ließ sich der Mann natürlich nicht gefallen. Schimpfend und fluchend setzte er sich zur Wehr und wollte sich von Ramon losreißen. Doch der aufgebrachte Vater war zu wütend, als das er das bemerkte geschweige denn zu lassen würde. Ohne Halt beförderte er ihn zur Haustür und kaum das er diese aufgestoßen hatte, warf er ihn im hohen Bogen hinaus. Schreiend landete der Mann im Schnee und blieb erstmal liegen. Elsa schlug entsetzt die Hände vor den Mund. Auch wenn sie selbst entsetzt über dieses widerwärtige Angebot war und insgeheim stolz auf ihren Mann war, dass er diesen Strolch rausgeworfen hatte, fürchtete sie nun, dass er ihn umgebracht oder auch nur schwer verletzt hatte. Doch als sich der Mann rührte und sich mühsam aus dem Schnee herausarbeitete, atmete sie erleichtert auf. Zuerst noch ein wenig wackelig auf den Beinen, stand er auf und richtete sich seine Kleider. Dann warf er Ramon einen finsteren Blick zu. „Das werdet Ihr noch bereuen!“, knurrte er dann. „Ihr werdet es bereuen, wenn Ihr nicht sofort verschwindet!“, kam es von Ramon, der dabei noch drohender klang und damit dem Verwalter deutlich machte, dass es besser wäre wenn er jetzt schnell Fersengeld gab. Elsa und Ramon standen da. Sahen ihm nach. Während ihr Mann noch immer kochte, hatte Elsas Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck. Sie ahnte, dass das nur die Spitze vom Eisberg war. Rene und Flora hingegen standen nur da und wussten nicht was sie sagen sollten. So weit war es schon gekommen, dass einige Leute schon zu solchen Mitteln griffen um ihnen das Leben noch schwerer zu machen als es jetzt schon ist. Es sogar nun vollständig zu zerstören strebten. Flora begann am ganzen Körper zu zittern. Das man sie kaufen wollte, war mehr als sie ertragen konnte. Ein Schluchzen kam ihr über die Lippen und sie presste sich schnell die Hände auf diese. Rene legte ihr den Arm um die Schultern. „Gehen wir hoch!“, sagte er leise. Flora sagte nichts sondern nickte nur. Schweigend stiegen sie die Stufen hoch. Doch als Rene in sein Zimmer wollte, hielt ihn Flora am Ärmel fest und fragte mit erstickter Stimme:„ Kann ich bei dir schlafen?“ Rene zögerte erstmal. Überlegte ernsthaft ob das wirklich eine gute Idee war. Immerhin fürchtete er, dass er auch in dieser Nacht von seinem zweiten Ich heimgesucht wird. Wenn das passiert, würde Flora das sicher mit bekommen und darüber noch entsetzter sein als das sie es jetzt schon war. Doch er brauchte sie auch nur an zu schauen, um zu sehen, dass sie jetzt nicht allein sein wollte. So nickte er. Trotz dass sein Bett viel zu klein war für zwei Personen, kuschelten sie sich zusammen. Als sie noch klein waren, haben sie das oft gemacht, wenn einer von ihnen einen schlimmen Alptraum gehabt hatte oder sich zu sehr gefürchtet hatte. Nun war es Flora, die die Nähre ihres Bruders suchte. Vermutlich kam ihr das eben geschehene wirklich wie ein Alptraum vor oder sie kam sich so wertlos vor, dass sie nun jemanden brauchte, der für sie da war und ihr darüber hinweg half. Dabei musste er an Jaque denken. Irgendwann wird er es sein, der für sie da sein wird, wenn Rene… Aber auch wenn ihn das ein wenig über diese Tatsache beruhigte, hatte er große Sorge, wenn Jaque von diesem Angebot erfuhr. Sicher würde er noch wütender sein als sein Vater es schon war und dem Verwalter noch weitaus mehr antun. Das würde dazu führen, dass nun auch Jaque und sein Vater in die Missgunst der Dorfbewohner fallen würden. Sicher. Es wäre das Beste wenn er es nicht erfuhr. Und er hatte auch keine Bedenken was Flora anging. Dafür schämte sie sich zu sehr als das sie es ihm sagen würde. Aber was die Leute hier betraf… Der Verwalter braucht es nur einem zu sagen, und das wird er, da war er sich sicher und es würde ein bis zwei Tage dauern und jeder wird es wissen. Es würde also nichts bringen. Vielleicht, so überlegte er, wäre es das einzig Richtige von sich aus es öffentlich zu machen. Denn so hätte der Verwalter keine Gelegenheit es noch aus zu schmücken, so dass er das Opfer ist. Rene wollte sich dabei nicht ausmalen, was er womöglich erzählen würde. Dass seine Eltern ihm angeboten hatten, für dieses eine Mal eine Ausnahme zu machen, wenn sie ihm Flora überließen. Und als er sich weigerte, hat sein Vater rot gesehen und ihn rausgeschmissen. Sicher. Es klang schon irgendwie unglaubwürdig. Doch das hieß nicht, dass die Dorfbewohner es glauben würden. Immerhin glaubten sie alles, wenn es darum ging, Rene und seine Familie in die Pfanne zu hauen. Rene seufzte schwer. Egal wie er es auch drehte und wendete: Sie würden immer den Kürzeren ziehen! Flora war inzwischen eingeschlafen. Doch Rene blieb noch lange wach. Versuchte fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Aber auch ihm wurden irgendwann die Augenlider schwer. Ramons Wut hielt noch bis zum nächsten Morgen an. „Am liebsten würde ich diesem falschen Pack Rattengift ins Brot mischen!“, grollte er, während er den Teig zu Brotlaiben formte. „Und was würde das bringen?“, wandte Elsa ein. „Man würde dich anklagen und an den Pranger stellen!“ Ramon schnaubte. „Das würde ich locker in Kauf nehmen!“ Rene und Flora sahen sich daraufhin an. Zwar hatten sie nicht erwähnt, dass sie die gestrige Unterhaltung mitbekommen haben, aber das war auch nicht nötig. Sie mussten nur ihrem Vater zu hören. Ramon schaute flüchtig zu Flora. „In meiner Tochter eine Dirne sehen…!“ „Lass gut sein, Liebling!“, sagte Elsa, doch ihr Mann dachte nicht daran. An diesem Tag kamen nur wenige in die Bäckerei. Und Ramon beschlich der Verdacht, dass der Verwalter seine Finger im Spiel hatte. „Dieser Elende..!“, dachte er und fühlte sich in seiner Idee, Gift ins Brot zu mischen, bestärkt. „Auch wenn ich deinen Entschluss durchaus verstehen kann und es auch selber tun würden, muss ich Elsa Recht geben. Es würde nichts bringen. Sondern nur schlimmer machen!“, sagte Martha am Abend. „Und was sollen wir stattdessen machen?“, fragte Ramon. „Damit zum Bürgermeister gehen? Mich würde es nicht wundern, wenn er dahinter steckt. Am Ende will er sie noch für sich haben. Oder auch noch für diese Taugenichtse, die er seine Söhne nennt!“ „Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass sie so tief sinken würden!“, murmelte Martha. „Und was wenn ich doch…?“, begann nun Flora zögernd. Ihr schlug das alles zu sehr auf die Seele als das sie noch mithören könnte und nur zu schweigen. Kaum das sie es ausgesprochen hatte, sahen ihre Eltern, Rene und ihre Großmutter an, als habe sie den Verstand verloren. „Nein, Flora. Auf gar keinen Fall!“, rief ihr Vater außer sich. „Aber was anderes bleibt uns doch nichts übrig. Wenn wir seinen Vorschlag nicht annehmen, verlieren wir das Haus…!“ „Willst du dich deswegen zur Dirne machen?“, fragte Ramon mit bebender Stimme. „Denkst du damit ist es getan? Diese Aasfresser werden dann noch öfter danach verlangen!“ Flora sagte nichts. Schaute nur zu Boden. Natürlich war ihr bewusst, dass es damit nicht aufhören würde. Sie sah deutlich vor ihrem Geiste, dass jeden Tag andere kommen würden. Sie solange benutzen würden, bis sie gebrochen war und dann wirklich nichts weiter als eine Dirne. Rene sah seine Schwester an. Konnte an ihrem Gesicht sehen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Auch Elsa musste es gesehen haben. Behutsam legte sie ihm die Hand auf den Arm. Ramon sah wiederum zu ihr und für einen kurzen Moment leuchtete der Zorn und die Fassungslosigkeit in seinen Augen. Dann aber war diese verschwunden und Niedergeschlagenheit war darin zu sehen. Er schüttelte den Kopf. „Was auch immer sie noch verlangen oder uns androhen würden: Wir werden es Ihnen nicht geben!“, sagte er mit fester Stimme. „Selbst wenn sie uns mit dem Tod drohen!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Etwas Bitteres lag in diesen Worten und kurz fürchtete er, dass die anderen wirklich ihm und seiner Familie mit dem Tod drohen würden. Für Flora begann nun eine schwere Zeit. Sie konnte Jaque nicht gegenüber treten und ihm in die Augen zusehen, ohne dabei ihm zu erzählen, was man ihr aufgedrängt hatte. Zwar schien er noch nichts davon gemerkt zu haben und dank ihres Vaters ist es nicht so weit gekommen, dass sie das Angebot des Verwalters angenommen hatte, aber sie schämte sich dennoch. Die Gefahr, dass er es irgendwann erfahren würde, schwebte wie ein Damokles-Schwert über ihr. Über ihre Liebe. Über ihrer Seele. Wie sollte sie ihm nur gegenübertreten? Oder sollte sie es ihm gleich gestehen? So sehr es ihr auch auf dem Herzen lag: Sie konnte es nicht. Sie schämte sich zu sehr. So ging sie ihm die nächsten Tage aus dem Weg. Natürlich verstand Jaque die Welt nicht mehr. Oft kam er sie besuchen und wollte mit ihr sprechen. Doch Flora lehnte mit schweren Herzen ab. Verkroch sich förmlich in ihrem Zimmer. Ihre Eltern hingegen verstanden es. Vertrösteten ihn. Schwiegen dabei auch über den Grund, weil sie genau wie Flora wussten und fürchteten, dass Jaque auf dem Mann losgehen würde. Irgendwann aber hielt er es nicht aus. In einem Moment wo weder Renes Eltern, seine Großmutter noch Flora etwas mitbekamen, bat Jaque Rene zu einem Gespräch unter zwei Augen. Rene war ein wenig mulmig zu mute. Denn er fürchtete, dass er auch wenn er zu verhindern versuchte, es aus ihm raussprudeln würde. Von außen aber versuchte er sich nichts anmerken zu lassen. Jaque und Rene gingen zu der Schmiede und setzten sich in den hinteren Teil, damit sie keiner belauschte. Kaum dass sie sich gesetzt hatten, platzte es aus Jaque heraus. Ließ seinem Kummer freien Lauf. „Ich werde noch verrückt!“, kam es aus ihm. „Wieso geht Flora mir aus dem Weg? Und deine Eltern sagen mir auch nichts!“ Seine Stimme hatte einen flehenden Unterton. Doch das war ihm egal. Ihm machte das alles sehr zu schaffen. „Vielleicht liegt es daran, dass du sie noch nicht gefragt hast?“, log Rene schnell, der sich nicht traute mit der Wahrheit raus zu rücken. Jaques Gesicht wurde blass. Und Rene atmete innerlich erleichtert auf. Damit hatte er zumindest das nahe liegende angesprochen und damit hatte er sich etwas Zeit verschafft um weiter zu ihn an zu flunkern. „Willst du sie denn heiraten?“ „Natürlich will ich das!“, kam es entrüstet von Jaque. „Was denkst du denn?“ „Und was hält dich davon ab?“ Nun wollte es Rene genau wissen. Immerhin könnte es Flora ein wenig helfen wieder zur Ruhe zu kommen und ihre Bedenken in dieser Sache beiseite zu wischen. Jaque machte ein bedrücktes Gesicht. „Was glaubst du? Oder vielmehr wer?“, fragte er dann und ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Rene musste nicht lange überlegen. Dafür kamen nur zwei in Frage. Sein Vater oder die Dorfbewohner. Oder sogar beide?! „Dein Vater?“, riet Rene freiheraus. Damit hatte er wohl ins Schwarze getroffen, denn Jaques Gesicht verfinsterte sich nun und er fluchte leise. „Er meinte es wäre erstmal besser, wenn ich noch solange warte bis Gras darüber gewachsen ist!“ „Aber das wird nie passieren!“ „Glaubst du, ich weiß das nicht?“, blaffte Jaque ihn an. Wurde dann aber wieder niedergeschlagen. Es tat ihm sofort leid, dass er ihn angeschnauzt hatte. „Bitte, verzeih…Ich habe genau das gleiche gesagt. Dass das niemals vergessen sein wird. Dafür sorgen diese…diese…ach…Himmel Arsch und Zwirn…!“ Jaque wischte sich über das Gesicht. Er wirkte müde und angespannt. „Ich sagte auch, dass egal, was die anderen oder er sagte, es etwas an den Gefühlen ändern, die ich für deine Schwester habe!“ Rene war tief berührt über Jaques Worte und war froh, dass Flora das Glück hatte, in ihm den richtigen gefunden zu haben. Fast wollte er ihn schon ermutigen zu ihr zu gehen und ihr das gleiche zu sagen. Damit sie sich immerhin seiner Treue und seiner Liebe versichert war. Doch würde sie ihn dafür sehen wollen? Sicher nicht! Zu groß war die Scham. Da kannte er seine Schwester ziemlich gut. Und dafür würde er sie am liebsten packen und schütteln. Ihr ins Gesicht schreien, dass sie endlich den Mut haben sollte. In ihrem beiden Interesse. Immerhin da sollten sie sich aussprechen. Für das andere war noch nicht die rechte Zeit. „Rene. Du bist Ihr Bruder. Bitte…ich bitte dich als Freund. Rede mit Ihr!“, bat Jaque ihn und faltete die Hände wie zu einem Gebet. Rene schluckte, da er glaubte, dass sich seine Kehle mit einem Male trocken anfühlte. „Das…das kann ich versuchen. Aber ich kann dir leider nicht versprechen, dass sie nun wieder mit dir reden möchte!“, sagte er und erschrak wie schwach seine Stimme war. Kurz huschte ein dankbares Lächeln über sein Gesicht. „Bitte…tu alles was nötig ist!“ Renes Kopf schwirrte wie ein Bienenstock als er wieder zuhause war. Natürlich war sein Verschwinden dem Rest seiner Familie aufgefallen. Vor allem aber Flora. Ohne dass die beiden Männer es bemerkt hatten, hatte sie sie aus dem Fenster ihres Zimmers beobachtet und schon so ein komisches Gefühl gehabt. Als sie nun sah, dass er abwesend wirkte, fühlte sie sich in ihrem Verdacht bestätigt. Mit steinerner Miene schritt sie die Stufen hinunter. „Was war los? Warum wollte Jaque dich sprechen?“ Rene blieb wie angewurzelt stehe. Auch wenn er sie bemerkt hatte, zuckte er zusammen und sah sie an als sei sie ein Geist. „Er wollte wissen, wieso du ihn zappeln lässt!“, sagte er monoton. Sein Blick war leer. Flora biss sich auf die Unterlippe. So wie ihr Bruder aussah konnte man meinen er wäre dem Tod begegnet. „Und was hast du ihm gesagt?“, fragte sie schwach. Am Zittern ihrer Stimme und dem feuchten Schimmern in ihren Augen, sah er, dass sie mit Tränen kämpfte. Es ging ihr ebenso schlecht wie Jaque. „Ich sagte ihm, dass du auf seinen Antrag wartest!“, kam es nur von ihm. Floras Körper wurde auf einmal ganz steif, dann sackten ihre Schultern hinunter und sie ließ den Kopf hängen. „Du musst es ihm sagen!“, sagte Rene nach einer Weile und schaute sie ernst an. Flora zuckte zusammen als habe er sie geschlagen. „Wenn nicht du. Dann werde ich es tun!“, sagte Rene. Ihm war klar, dass er ihr damit die Pistole auf die Brust setzte. Doch er konnte und wollte es sich nicht länger anschauen, wie Flora darunter litt und womöglich noch dabei ihre Beziehung zerstört wurde. Floras Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das konnte er doch nicht ernst meinen! Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Rene…bitte…!“ „Es kann nicht so weitergehen!“ „Aber wenn er es erfährt…!“ „Willst du das er…!“ „Rene, es ist gut!“, sagte Martha, die den Zwist der beiden mitbekommen hatte. Auch sie war der Meinung, dass Flora das Schweigen brechen sollte. Dass es ihr aber auch schwerfiel, wusste sie ebenso. „Flora. Du kannst doch nicht länger die Augen davor verschließen!“, sagte Martha. Trat an sie heran und nahm ihre Hand, drückte sie sanft. „ Der arme Kerl hat es nicht verdient so zu zappeln!“ Flora warf ihr einen flehenden Blick zu. „Großmutter, wie soll ich denn…?“ „Sage es ihm einfach!“, beruhigte Martha sie. „Er wird es verstehen!“ Flora warf Rene einen skeptischen Blick an. Sie wollte nicht wirklich daran glauben. „Begleitest du mich. Allein traue ich mich nicht!“, bat sie dann ihren Bruder. Rene nickte. Flora war zumute als würde sie zu ihrer Hinrichtung gehen, als sie mit Rene am nächsten Tag zu Jaque in die Schmiede ging. „Am liebsten würde ich mich um drehen und wieder nachhause gehen!“, sagte Flora und verlangsamte ihre Schritte. Rene zog sie mit sich. „Da musst du durch!“ „Du hast gut Reden. Du steckst ja nicht in meiner Haut!“, murmelte Flora verkniffen. Rene drückte tröstend ihre Hand. „Glaub mir. Ich zittere auch!“, schwor Rene. Er tat es auch. Denn er fürchtete, dass, wenn Flora ihm vom Verwalter erzählte, Jaque nicht zu bremsen wäre und alles niedermachte, was sich ihm in den Weg stellte. Aber er konnte es auch wiederrum verstehen und er hegte die diebische Freude, dass Jaque diesem Aasgeier den Schädel einschlug. Doch er sagte nichts. Sondern ging mit ihr weiter. Als sie die Schmiede betraten, fragte sie Jaques Vater wo sie ihn finden konnten. Mit dem Daumen wies er hinter sich. Zur Werkstatt. Flora bedankte sich bei ihm und ging mit Rene nach hinten. Dabei versuchte sie seinen mürrischen Blick zu ignorieren. Offensichtlich hatte auch hier schon das Gift der Dorfbewohner und des Verwalters seine Wirkung gezeigt. Flora wurde ein kleines Stückchen kleiner und er konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie sich noch unsicherer war. Rene legte die Hände auf ihre Schultern und schob sie vor ran. „Nur Mut. Ich bin bei dir!“, flüsterte er. Sie hörten bereits die Hammerschläge als sie in die Werkstatt traten und sahen wie Jaque in einer Arbeit vertieft war. So wie er den Hammer schwang konnte man meinen, dass er es bereits wusste und seinem Ärger somit freie Luft ließ. Flora schluckte. Schaute ein letztes Mal zu ihrem Bruder, der ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, es endlich hinter sich zu bringen. Flora holte einmal tief Luft, dann trat sie vor und tippte ihm auf die Schulter. Jaque schrak zusammen und wirbelte herum. Den Hammer dabei hoch erhoben. Flora wiederum machte einen Schritt zurück. Als er sie dann richtig ansah, ließ er den Hammer fallen und schüttelte fassungslos den Kopf. „Flora!“, kam es dann erstickt aus ihm. Breitete die Arme aus und umarmte sie. Nach so langer Zeit in der sie ihm aus dem Weg gegangen war, erschien ihm nun ihr plötzlicher Besuch, wie ein kleines Wunder. Flora, nicht minder glücklich ihn doch wieder zu sehen, erwiderte seine Umarmung. Rene lächelte ein wenig. Es dauerte eine Weile ehe sie sich voneinander lösten. „Was ist nur mit dir los gewesen? All die Zeit bist du mir aus dem Weg gegangen. Wolltest mich nicht sehen…Ich dachte schon…!“, sprudelte es dann aus Jaque hervor. Flora biss sich auf die Unterlippe. Zögerte einen Moment. „Es…es tut mir leid…Aber ich wusste nicht, wie ich dir ins Gesicht schauen soll…!“ „Was meinst du damit? Flora? Rene, was meint sie damit?“, fragte Jaque. Rene hatte sich bisher im Hintergrund gehalten und wollte auch eigentlich Flora nur beistehen, doch nun sollte er auch etwas dazu sagen. „Gehen wir wohin, wo wir ungestört sind!“, sagte er. Jaque zuerst ein wenig verwirrt, nickte dann und die drei gingen in den hinteren Teil der Werkstatt. „Es ist nicht leicht und gerne würde ich darüber schweigen. Aber…ich kann es auch nicht länger zurückalten. Und ich will auch nicht, dass du denkst, dass…!“, begann Flora und ihre Stimme versagte. Rene stand hinter seine Schwester. Hatte seine Hände auf ihre Schultern gelegt. Stand ihr so bei. „Flora…sag endlich was dir auf der Seele liegt. Egal was es ist, es wird mich nicht schockieren!“, sagte Jaque, der ihre Hände nahm und drückte. Flora biss sich auf die Unterlippe. Rang mit sich. „Vor einigen Tagen kam der Verwalter zu uns. Er drohte uns, das Haus weg zu nehmen, wenn wir die Miete nicht zahlen!“, fing sie mit schwerem Herzen an. Konnte ihm dabei nicht in die Augen schauen. „Es sei denn…er bekommt mich für eine Nacht. Dann würde er ein Auge zu machen!“ Jaques Gesicht wurde zu einer ausdruckslosen Maske und sein ganzer Körper krampfte sich zusammen. Floras Worte quetschten sich wie zäher Sirup in seinen Verstand. Nur langsam wurde er sich dessen bewusst. Doch dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Ich bringe diesen Bastard um!“, knurrte er. So verlockend diese Vorstellung auch war, aber Flora schüttelte den Kopf. „Nein, Jaque. Bitte nicht. Ich weiß du meinst es gut, aber es würde das alles noch viel schlimmer machen!“ „Soll ich etwa die Füße still halten?“, kam es wütend von ihm und sprang auf. „Wie kommt dieser Mann dazu, sowas zu verlangen?“ „Der Bürgermeister könnte dahinter stecken!“, kam es dann von Rene. „Tse…wer sonst…dieser…!“, keifte Jaque. Ihm war deutlich an zu sehen, dass er sich bemühte nicht etwas Dummes zu tun. Flora drückte sich an ihm und vergrub das Gesicht in seinem Hemd. „Denk bitte nicht schlecht von mir!“, wimmerte sie. Jaque schloss sie in seine Arme. Küsste sie auf die Stirn. „Wie könnte ich!“, flüsterte er. Rene, erleichtert dass es endlich zwischen den beiden geklärt war, hielt es für das Beste, die beiden allein zu lassen. Als er draußen war, atmete er erleichtert auf. Doch die Erleichterung hielt nicht lange. Zwar war zwischen den beiden wieder alles geklärt, aber da war ja noch der Verwalter, der ihnen ohne weiteres das Haus wegnehmen wird, wenn er nicht das Geld bekommt. Sie waren kein Stück weitergekommen. Sondern saßen immer noch in der Zwickmühle. Wenn sie nicht bald zahlten… In der folgenden Nacht, suchte ihn sein zweites Ich wieder heim und führte seine üblichen Spielchen fort. Strich sanft aber gierig über die nackte Brust. Hauchte Küsse auf seine Haut und umspielte seine Brustwarzen mit der Zunge. Doch Rene ließ das völlig kalt. „Was ist mit dir? Du scheinst nicht bei der Sache zu sein. Du sträubst dich nicht?“, fragte sein Zwilling. Rene verzog das Gesicht. „Ich habe andere Probleme, als mich über deine Grabscherei auf zu regen!“ Sein Zwilling hörte auf und sah ihn nachdenklich an. Rene wunderte sich ein wenig. „Geht es um diesen Widerling und was er Euch androht?“ „Du bist doch ich. Also solltest du es wissen!“ Darauf sagte sein Doppelgänger erstmal nichts, sondern richtete sich auf. Nach langer Zeit, in der er ihn nachdenklich anschaute, sagte er dann:„ Und wenn du den Wolfsprinzen um Hilfe bittest?“ Rene glaubte er hätte sich verhört. Den Wolfsprinzen um Hilfe bitten? Hatte er den Verstand verloren? Rene musste über diesen Vorschlag bitter lächeln. „Machst du Witze? Was kümmert es ihn, was mit mir und meiner Familie geschieht?“ „Frag ihn doch einfach?“, riet er ihm. Noch ehe Rene darauf etwas sagen konnte, sah ihn sein Doppelgänger mit hochgezogenen Brauen an. „Außerdem gehört ihm dein Leben doch schon längst!“ Das stimmte nun auch wieder. Aber dennoch weigerte er sich. Beim Wolfsprinzen zu Kreuze zu kriechen war ihm zu wider. Er wollte nicht diesen Schritt machen. Und damit in den Augen des Wolfsprinzen als jemand dasteht, der auf die Hilfe von jemanden wie ihm angewiesen war. Er war schon tief genug gesunken. Doch irgendwie konnte er den Gedanken ihn um Hilfe zu bitten, nicht gänzlich abschütteln. Zumal er, während er weiter daran dachte, der Meinung war, dass der Wolfsprinz ihm diesen einen Gefallen tun konnte, nach dem er ihm sein Leben und seine Seele verkauft hatte. Im Vergleich dazu war das nichts. „Schön, dass du wieder lächeln kannst!“, sagte Rene als er mit Flora am nächsten Tag ein wenig spazieren ging. Nachdem sie und Jaque sich ausgesprochen hatten, schien aller Kummer von ihr abgefallen zu sein. Sie hatte ihr Lächeln wiedergefunden. Auch jetzt lächelte sie. „Ja. Ich dachte schon, dass ich es nie wieder kann!“, sagte sie. „Nach allem was passiert ist…!“, kam es aus Rene und seine Worte blieben ihm in Halse stecken. Flora nickte. „In dieser Zeit, die wir durchmachen, ist es schön mal wieder zu lächeln!“ Sie hakte sich bei ihrem Bruder ein, „Man kann nur hoffen, dass Jaques Vater nicht auf dumme Gedanken kommt!“, meinte Rene. „So wie er geschaut hat, könnte man meinen, dass er auch gegen die Beziehung zwischen Euch ist!“ Ihm war klar, dass er damit ein Thema anschnitt, dass ihr das Herz schwer machte. Aber es nützte nichts mit der Wahrheit vor dem Berg zu halten. Sie musste es ebenso bemerkt haben. Floras Gesicht nahm einen bekümmerten Ausdruck an. „Ja, das ist mir auch aufgefallen!“ „Ich dachte immer, er ist da unparteiisch. Oder hält da zumindest zu seinem Sohn!“ „Naja…mich wundert das nicht. Er ist ebenso gut der einzige Schmied wie unser Vater der einzige Bäcker ist!“, erklärte er. „Wenn er keine Kunden hat, gerät er genauso in Schwierigkeiten wie wir!“ „Das…das ist einfach nicht gerecht!“ „Da hast du Recht. Aber dagegen sind wir machtlos. Das einzige was wir tun können, ist die Füße still zu halten und zu hoffen das Jaque keinen Fehler macht!“ In diesem Moment wurden sie auf einen Tumult aufmerksam, der sich wenige Meter vor ihnen abspielte. Eine Traube von Menschen hatte sich gebildet und riefen wild durcheinander. „So unternehmt doch etwas!“ „Er schlägt ihn noch tot!“ „Ruft den Bürgermeister!“ „Und den Schmied. Seinen Vater!“ Als sie das hörten wurden beide kreidebleich und sie bekamen weiche Knie. Flora krallte ihre Finger in seinen Arm. „Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist!“ „Los, komm!“, sagte er und eilte mit ihr zu der Menschenmenge. Die Proteste der Umstehenden ignorierend, schoben sie sich durch die Menge bis sie den Mittelpunkt erreichten und sahen sich in ihrer Befürchtung bestätigt. Jaque, schnaubend vor Wut, stand über dem Verwalter, der mit blutender Nase auf dem schneebedeckten Boden lag. Seine Fäuste waren geballt und er sah so aus, als würde er sich gleich wieder auf ihn stürzen. Das hätte er womöglich auch getan. Doch Flora kam ihm zuvor. „Jaque. Hast du den Verstand verloren?“, rief sie entsetzt. „Es tut mir leid. Aber ich konnte nicht anders. Nicht nachdem ich gehört habe, was für widerliche Dinge er über dich erzählt!“, sagte Jaque und sah den Verwalter mit glühend heißen Hass an. Einer der Umstehenden half ihm hoch. „Das…das wirst du bereuen…Dein…dein Vater wird dafür bluten!“ „Du kannst von Glück sagen, dass ich dir nur die Nase gebrochen habe. Ich hätte dir auch deinen dürren Geierhals brechen können!“, brüllte er und wollte sich an Flore vorbeischieben. Doch Flora stellte sich ihm in den Weg. „Nicht! Bitte! Lass gut sein!“, flehte sie ihn an. „Mach es nicht noch schlimmer!“ „Was ist hier los?“, hörte man plötzlich den Bürgermeister, der sich auch sogleich durch die Menge schob. Als er sah was los war, verfinsterte sich sein Gesicht. Für ihn war klar, wer Schuld hatte. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte Flora wenig später, als sie bei ihren Eltern zuhause waren. Jaque, vorher noch kochend vor Wut, saß nun mit hängenden Schultern am Tisch und ließ den Kopf hängen. Nun tat es ihm leid. Nicht wegen des Verwalters, sondern wegen Flora. Nach dem was er getan hat, wird sie und ihre Familie nun noch mehr Ärger haben. „Ich…ich konnte einfach nicht anders. Nachdem du mir alles erzählt hast und ich diesen Kerl sah, da…da brannten mir alle Sicherungen durch!“ „Du kannst nicht erwarten, dass er ruhig bleibt!“, wandte nun ihre Großmutter ein. „Aber so wird alles noch schlimmer!“, sagte nun Elsa. „Mal ehrlich, Elsa. Wie schlimmer kann es noch werden?“, fragte Martha ihre Tochter. Elsa sagte darauf nichts. Roman musste ein wenig lächeln, wurde aber dann wieder ernst. „Ich mag mir nicht vorstellen, was als nächstes kommt. Sicher wird der Bürgermeister jetzt zu Jaques Vater gehen und ihm alles erzählen!“ „Davor graut es mir am meisten!“, murmelte Jaque und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wenn du willst kannst du hier schlafen?“, bot Flora an. Daraufhin sahen ihre Eltern sie verwundert an. „Und wo soll er schlafen? Wir haben nicht mehr viel Platz!“ „Er schläft bei mir!“, schoss es sogleich aus Flora, wobei die Blicke ihrer Eltern noch verwirrter wurden. Flora erkannte sofort, was sie da gesagt hatte, presste die Lippen zusammen und schaute verlegen zu Boden. „Nur…nur wenn Ihr es erlaubt!“ Ein wütendes Hämmern ließ alle zusammen zucken und zur Tür schauen. Sie brauchten sich nicht zu fragen, wer da vor der Tür stand. Ramon stand mit einem warnenden Blich zu seiner Familie werfend auf und öffnete die Tür. „Wo ist er?“, hörten sie schon, ehe Jaques Vater schon in die Wohnstube reingestürmt kam. Als er seinen Sohn sah, schien sein Gesicht noch röter vor Wut zu werden als es jetzt schon war und packte seinen Sohn am Kragen. „Hast du den Verstand verloren?“, schrie er ihn an und schüttelte ihn. „Vincent! Beruhige dich!“, mischte sich nun Ramon ein und wollte den aufgebrachten Mann von seinem Sohn trennen. Vincent aber ließ sich das nicht so einfach gefallen. Sondern sah Ramon an als habe er ebenso Schuld daran. „Du…!“ „Wäre deine Tochter nicht…deine ganze Familie nicht, dann…!“ „Vincent, wie lange kennen wir uns schon!“, kam es von Ramon und er versuchte ruhig zu bleiben. Dabei trafen die Worte Vincents ihn sehr. Er war wirklich der letzte, von dem er das gedacht hätte. „Momentan wünschte ich mir, dass wir uns nicht kennen!“, sagte Vincent bitter. „Und vor allem bedaure ich es, dass sich unsere Kinder kennen!“ Dabei sah er zu Flora, die ihn wiederrum ansah, als würde er ihr ein Messer ins Herz stoßen. „Du glaubst diesem Mistkerl doch nicht?“, fragte Jaque ihn schließlich. Vorwurf und Unglauben schwangen in seiner Stimme. „Willst du mir erzählen, dass er sich selbst die Nase gebrochen hat?“, blaffte Vincent seinen Sohn an. „Nein, aber er hat es nicht anders verdient!“, wehrte sich sein Sohn. „Ist dir klar, was das für Folgen nach sich ziehen wird?“ „Ehrlich gesagt: Ist mir das egal!“, schnappte Jaque, ging zu Flora und ergriff ihre Hand. „Ich liebe Flora!“ Vincent sah seinen Sohn mit einem Blick an, der deutlich sagte, dass er ihn am liebsten wieder schütteln will. Dieses Mal stärker. Um ihn wohl wieder zur Vernunft zu bringen. „Du wirst mit deiner Liebe uns noch bettelarm machen und auf die Straße bringen!“ Jaque presste die Lippen zusammen. Soweit hatten der Verwalter und der Bürgermeister ihn eingewickelt? Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Wut? Enttäuschung? Er glaubte einen Fremden vor sich zu haben. Flora legte ihm die Hand auf den Arm. Als er zu ihr schaute, schüttelte sie den Kopf. Dann wandte sie sich an seinen Vater. „Es tut mir leid, dass auch Sie damit hineingezogen wurden. Und ich verstehe auch, dass Sie sich jetzt Gedanken machen, was nun aus Ihnen und Jaque werden wird!“, begann sie vorsichtig. Ihr Gesicht nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihre Hände begannen zu zittern. Jaque ahnte, was sie nun sagen wollte. Er erfasste ihre Hand und sie fassungslos an. „Flora!“, flüsterte er. Flora hingegen schüttelte den Kopf. Löste sich dann von ihm. „Darum…werden Jaque und ich uns…trennen!“ „Nein!“, rief Jaque außer sich. „Das…das ist nicht dein Ernst!“ „Doch, Jaque. Mein voller Ernst. Ich will nicht schuld daran sein, dass es zu einem Zerwürfnis zwischen dir und deinem Vater kommt!“, sagte sie und Tränen brannten in ihren Augen. „Flora…nicht…!“, versuchte Jaque sie um zu stimmen. Er wollte nicht, dass es so endete. Wollte sie nicht auf solch eine Weise verlieren. Flehend und doch sanft umfasste er ihre Schultern und sah sie mit einem nicht minder flehenden Blick an. Berührte dann mit seiner Hand ihre Wange. Flora schmiegte diese an seine. So, als wollte sie diese Berührung in sich aufsaugen. Sie schloss die Augen weil er nicht sehen sollte, dass ihr Herz gerade in tausend Fetzen zerrissen wurde. Sie legte ihre Hand auf seine und verflocht ihre Finger mit den seinen. Wollte diesen Moment nicht vergehen lassen. Doch dann löste sie die Berührung und ging einige Schritte von ihm weg. Jaque streckte die Hand nach ihr aus. Wollte sie wieder ergreifen und zu sich ziehen. Flora schüttelte ein letztes Mal den Kopf und eilte dann die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Als die Tür laut zu geschlagen wurde, herrschte Schweigen. Jaque stand da wie erstarrt. Konnte nicht glauben, was Flora da gerade getan hatte. Erschüttert schaute er zu Rene und Floras Eltern. Diese waren genauso sprachlos. Nur ihre Blicke sagten ihm, dass es ihnen leidtat und dass sie nichts dagegen tun konnten. Sie mussten, wie auch Jaque, ihre Entscheidung akzeptieren. „Gehen wir, Sohn!“, sagte Vincent in die Stille hinein und nahm seinen Sohn bei der Schulter. Doch Jaque entwand ihm diese und sah ihn mit einem mörderischen Blick an. Vincent wich diesem beschämt aus. Beide gingen dann, mit einem enormen Abstand hinter einander aus dem Haus. „Flora? Kann ich reinkommen?“, fragte Rene als er an ihre Zimmertüre klopfte. Er erhielt keine Antwort. Kurz dachte er daran, einfach rein zu gehen. Ermahnte sich aber es nicht zu tun, da es falsch war. So wartete er noch eine Weile. Als sie immer noch nicht antwortete, bekam Rene so ein ungutes Gefühl. Ihm war bewusst gewesen, dass Flora schon vorher darunter gelitten hatte, dass sie wegen ihrer Liebe zu ihm, ins Fadenkreuz der gehässigen Dorfbewohner geraten war und damit dem Spott praktisch hilflos ausgesetzt war, aber dass sie nun mehr unfreiwillig als freiwillig die Beziehung zwischen sich und ihm beendet hatte, musste ihr den Rest gegeben haben. Er befürchtete schon, dass sie sich was angetan habe. „Flora? Flora! Mach die Tür auf!“, rief Rene nun und hämmerte förmlich gegen die Tür. „Rene! Hör auf. Lass sie!“, sagte auf einmal seine Großmutter. „Aber was ist wenn sie sich…!“, brach es verzweifelt aus Rene heraus, der sich nicht den Rest vorstellen wollte. Die Angst um seine Schwester stieg ins grenzenlose. „Das wird sie nicht. Sie ist ein vernünftiges Mädchen!“, erwiderte Martha ruhig. „Ja, aber…!“ Martha hob die Hand. „Sie hat Jaque soeben den Laufpass gegeben und es hat ihr das Herz gebrochen. Sie braucht nun etwas Zeit. Und sie braucht sie besonders für sich allein!“ Rene öffnete den Mund um darauf etwas zu sagen, doch Martha schüttelte den Kopf. „Geh jetzt schlafen. Morgen wird sicher alles anders aussehen!“ Doch Rene wollte nicht schlafen. Er sah sich in dem Gedanken, den Wolfsprinzen um Hilfe zu bitten nun bestärkt. Auch wenn sich immer noch ein kleiner Teil in ihm sich dagegen sträubte. Doch nur er konnte ihm noch helfen. Er wusste zwar nicht wie er das anstellen sollte und um was genau er ihn bitten sollte, aber es war nicht mehr zu leugnen, dass er sich nicht länger dagegen wehren konnte. Er sah keine andere Möglichkeit. In der Not frisst der Teufel fliegen, heißt es ja so schön. So schlug er die Decke zurück, stieg aus dem Bett zu und zog sich an. Die Lichtung lag einsam und verlassen da. Wie sollte es auch anders sein? Der Wolfsprinz hatte ihn immerhin nicht gerufen. Aber warum sollte er nur hierherkommen, wenn er ihn sehen will. Es konnte ja auch mal anders sein. „Wolfsprinz? Wolfsprinz, ich muss mit Euch reden!“, rief er laut und sein Echo hallte durch die nächtliche, kalte Luft. Er war sich sicher, dass er ihn hörte. „Wolfsprinz!“ Es dauerte einige Zeit ehe sein Rufen endlich erhört wurde. Die Wölfin, die ihm beinahe schon vertraut war, erschien und sah ihn mit einem fragenden Blick an. „Ich mit deinem Herrn sprechen!“, kaum hatte er das gesagt, huschte die Wölfin auch schon davon. Für Rene begann nun eine schier kaum aus zu haltende Warterei. Nervös begann er auf und ab zu laufen. Suchte nach den richtigen Worten. Jetzt wo er ihr war, war er sich nicht mehr so sicher. Sondern begann zu zweifeln. Würde er ihm überhaupt helfen? Und wenn ja, würde er was dafür verlangen und was genau würde er als Preis für seine Hilfe haben wollen? Fast schon wollte er sich umdrehen und gehen. Doch da hörte er schon die Stimme des Wolfsprinzen hinter sich. „Nima sagte, dass du mich sprechen willst?“ Rene zuckte zusammen. Zu sehr war er in seine Grübeleien vertieft gewesen, als das er ihn gehört hatte und wirbelte erschrocken herum. Kaum dass sich ihre Blicke trafen, war sein Kopf wie leergefegt. Die anfänglichen Sätze, die er sich bereitgelegt hatte, waren weg und er konnte ihn daher nur anschauen. Mandariel hingegen hob die Brauen. Konnte dabei deutlich sehen, dass ihm etwas auf der Seele brannte. „Ich habe zwar einige Fähigkeiten, aber Gedankenlesen gehört nicht dazu!“, sagte er dann und ging ruhigen Schrittes auf ihn zu. Renes Mund fühlte sich staubtrocken an. Machte einen Schritt zurück. Trotz dass er ihn um Hilfe bitten wollte, fühlte sich nicht wohl ihm gegenüber. In seinem Kopf herrschte immer noch gähnende Leere. „Reiß dich zusammen und spuck es endlich aus, du Trottel!“, schallt er sich selbst. Holte dann tief Luft und sagte in einem einzigen Satz:„ Ich brauche Eure Hilfe!“ Etwas wie Erstaunen flackerte in den eisblauen Augen des Wolfsprinzen auf. Und auch er glaubte zunächst mal nicht, was er da gehört hatte. Ausgerechnet er, der ihn für ein Monster hielt, wollte ihn um Hilfe bitten? Schnell verbarg er sein Erstaunen und versuchte ruhig und gelassen zu wirken. „Und bei was?“ „Das…das wisst Ihr doch genau. Der Hass der Dörfler auf uns wird von Tag zu Tag immer schlimmer. Sie…sie schrecken wirklich vor nichts zurück, um uns aus dem Dorf zu vertreiben. Ginge es dabei nur um mich, wäre das noch zu ertragen. Aber Flora…Sie…sie leidet am meisten darunter!“ „Und wie kann ich dir da helfen?“ „Das weiß ich auch nicht!“, gestand Rene nun und wirkte ein wenig verlegen. „Könnt Ihr diesen Verbrechern nicht eine Heidenangst machen?“ Madariels Mundwinkel zuckten ein wenig amüsiert nach oben. Sowas kann nur von einem Kindskopf kommen, dachte er. „Ihnen Angst einjagen? Tue ich das nicht schon?“, fragte er, konnte dabei das Lachen nicht ganz unterdrücken. Rene verzog das Gesicht. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Aber in seinen Augen war das nicht genug. Mandariel spürte förmlich wie sich Rene darüber ärgerte und versuchte es nun mit Geduld. „Wie genau sehen Ihre Schikanen denn aus?“ „Ich weiß nicht wo ich da anfangen soll. Da gibt es so einige Dinge!“ „Ich bin ganz Ohr!“ Zuerst ein wenig skeptisch und auch vorsichtig von dem Interesse des Wolfsprinzen denkend, begann er zu erzählen und ließ dabei kein Detail aus. Die Miene des Wolfsprinzen wurde von interessiert zu nachdenklich und dann zu einem bitteren Lächeln. „Das sieht diesem falschen Pack ähnlich!“, knurrte er. „Niemals allein sich die Hände schmutzig machen, sondern schön in Gruppen. Und einer der natürlich am längeren Hebel sitzt und das schaltet und waltet, wie es ihm passt!“ Rene ließ sich auf einen schneebedeckten Baumstumpf nieder und schaute betreten zu Boden. Dem Wolfsprinzen von der Schikane der Dorfbewohner zu erzählen, hatte ihn förmlich die Kraft genommen. Doch die Worte des Wolfsprinzen gaben ihm immerhin etwas Mut. „Also…helft Ihr mir?“ „Ich wüsste nicht wie?“ Rene Kopf flog nach oben und er sah ihn entsetzt an. „Ja, aber Ihr…Ihr seid doch der Wolfsprinz. Ihr…Ihr habt doch die Macht. Ihr befehlt doch den Wind und den Schnee. Man erzählt sich doch nicht umsonst, dass Ihr einen Menschen mit einem Fingerschnippen zu Eis erstarren lassen könnt. Wieso sollten die Menschen Euch sonst fürchten?“, platzte es aus Rene. Mit Schwung sprang er auf und kam auf ihn zu gestampft. Dabei gestikulierte er wild mit den Armen. Für ihn war es unbegreiflich, dass der Wolfsprinz keine Idee hatte, wie er ihm helfen konnte. Mandariel musste nun ein wenig mehr lächeln. „Wenn ich wirklich so grausam wäre, glaubst du, dass noch irgendein Mensch da leben würde? Mein Hass auf diese verdorbenen Menschen gibt es nicht seit gestern. Ich hätte wirklich nicht übel Lust, sie hier und jetzt unter einer Eisschicht zu begraben!“ „Und wieso macht Ihr es nicht?“, konterte Rene scharf und sah ihn herausfordernd an. Da trat Mandariel nun näher, sodass sie sich nahe gegenüber standen und sah Rene mit einem kalten Funkeln in den Augen an. „Weil ich sie vor Angst zittern sehen will. Sie sollen langsam leiden. Was wäre das für eine Verschwendung, wenn sie einen schnellen, schmerzlosen Tod erleiden!“, kam es kalt und mit einem grausamen Lächeln von ihm. Rene schluckte, als er sich sagte, dass es die Wahrheit sprach und dass er wahrlich nicht ohne Grund zum fürchten war. „Außerdem würde deine Familie ebenso sterben!“ Dabei nahm Mandariels Blick nun wieder einen etwas weicheren Ausdruck an, was Rene verblüffte. Dieser Mann…dieser Dämon war so wechselhaft wie das Wetter. „Ich kann zwar verstehen, dass du alles erdenkliche tun willst, um deine Familie…deiner Schwester zu helfen, aber ich kann dir dabei nicht helfen. Und wenn ich es täte, würden diese Elenden es merken. Sie mögen zwar verlogen und falsch sein, aber dumm sind sie nicht!“ „Ich verlange auch nicht viel. Aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Und wenn Euch schon mein Leben gehört, so kann ich doch eine Gegenleistung erwarten!“, kam es brüchig aus ihm. Beim letzten Satz jedoch hätte er sich zu gerne auf die Zunge gebissen. Alles in ihm schrie, ob er noch bei Verstand war. Aber die Worte waren einfach so aus ihm heraus gesprudelt. Auch Mandariel schien erstmal überrascht über seine Worte zu sein. Doch wirklich wütend auf diese konnte er nicht sein. Immerhin sagte er nur das, was ihm gerade durch den Kopf ging und sie entsprachen auch irgendwie der Wahrheit. Er hatte sein Leben praktisch in der Hand und hatte ihn und seine Schwester zum Schweigen verdammt. Genau deswegen hassten die Dorfbewohner ihn und seine Familie. Das eine zog das andere hinter sich her, wie eine Kette. Da konnte er wirklich von ihm verlangen, ihm eine kleine Gegenleistung dafür zu geben, wenn er schon in den Augen der Bewohner so tief gefallen war. „Na, schön…!“, seufzte er. Griff dann unter seinen Mantel und holte ein Säckchen aus Leder hervor. Es klimperte innen drin, als er es leicht schüttelte. „Ich denke, dass das hier mehr als reichen wird, um Eure Schulden zu begleichen!“, sagte er und reichte es Rene. Als Rene es nahm, merkte er wie schwer es war und er hatte das Gefühl, dass da mehr drin war als er brauchte. „Ich…!“, brachte er nur hervor, während er auf das Säckchen niederschaute. Er kniff paarmal die Augen zusammen, weil er dachte, er bildete sich das nur ein. Aber das Säckchen war und blieb in seinen Händen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Wolfsprinz ihn ruhig anschaute. Sicher wartet er auf eine Antwort, dachte er, straffte die Schultern und sagte im ruhigen Ton: „Ich danke Euch!“ Mandariel nickte nur. Dann drehte sich Rene um und verließ die Lichtung. Mandariel stand auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Noch immer fiel es ihm schwer zu begreifen, dass Rene ihn um etwas gebeten hatte. Dabei dachte ich, dass er eher sich die Zunge abbeißen würde, als mich um Hilfe zu bitten, dachte er. Aber vermutlich wusste er sich wirklich nicht anders zu helfen. Und sicher wird das nichts an seiner Haltung zu mir ändern. Beim letzten Gedanken spürte er wie sich sein Herz verkrampfte. Sofort fragte er sich, was das zu bedeuten hatte. Ihm war es doch eigentlich egal was Rene über ihn dachte. Aber aus einem ihm nicht ersichtlichen Grund wollte er das Rene in ihm einen Menschen sah. So auch wie das letzte Mal. Er versuchte sich darauf eine Antwort zu geben, konnte es jedoch nicht. Zu absurd war es. Hinter seiner Stirn fühlten sich seine Gedanken wie ein tobender Eissturm an. Mandariel versuchte diesen zu lichten und zum Schweigen zu bringen. Doch es wurde schlimmer. Mit einem frustrierten Seufzen rieb er sich die Stirn. „Du siehst aus als würde dir etwas schwere Kopfschmerzen bescheren!“, sagte seine Mutter, die hinter ihm stand und an seine Seite trat. „Nicht etwas. Sondern jemand!“ „Du meinst den Jungen!“ „Ja,!“, brummte Mandariel und sein Blick wurde finster. „Was hat er denn angestellt?“ „Nichts!“ „Dann würdest du nicht so ein Sauerteiggesicht machen!“ Mandariel konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören. Kurz ärgerte er sich über seine Mutter. Dann seufzte er nochmal. „Er hat mich gebeten ihm zu helfen!“ Liras Augen wurden groß als sie das hörte. Das hätte sie ebenso nicht erwartet wie ihr Sohn. Aber im Gegensatz zu ihm freute sie sich ein wenig. „Und das beschäftigt dich so?“ „Ja! Ich frage mich wirklich, wieso er…?“ „Wieso er gerade dich bat?“, beendete sie seinen Satz. Mandariels Lippen wurden zu einem harten Strich. Lira trat näher an ihn heran und legte ihm sanft die Hand auf den Arm. „Ist das nicht offensichtlich. Du warst der einzige, der ihm helfen konnte. Das hast du doch sicher selbst gehört!“ Und ob er das hatte. Woher seine Mutter das jedoch wusste, ließ ihn stutzen. „Hast du etwa Nima zum Lauschen geschickt?“, fragte er. Seine Mutter machte ein schelmisches Gesicht. „Wer weiß…!“, sagte sie. Mandariel wünschte sich manchmal seine Mutter würde sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. Da gab ihm Lira einen Klaps auf die Schulter. Sie kannte ihren Sohn wirklich gut. „Um wieder auf das eigentliche Thema zurück zu kommen: Ich habe den Eindruck, dass dieser Junge so langsam beginnt, vor dir zu keine Angst zu haben!“ Keine Angst? Das würde wirklich einem Wunder gleichen, ging es ihm durch den Kopf. „Und was wenn nicht? Wenn ich zwar der einzige bin, der ihm helfen kann, aber er mich weiterhin als ein Monster sieht?“ Darauf sagte Lira erstmal nicht. Sondern sah ihren Sohn erstmal nur an. Sie konnte deutlich in seinen Augen sehen, dass Zweifel ihn plagten. Und sie konnte es ihm nicht verdenken. Nach all dem Schmerz und dem Hass, den er immer empfunden hatte, wenn er an die Menschen unten im Dorf dachte, die einst seine Mutter vertrieben und dann seinen Vater ermordet hatten, schien es ihm schwer zu fallen, zu denken, dass einer von ihnen, ihm nicht hintergehen würde. Zu oft waren ihm die Geschichten und die Ablehnung herangetragen worden, die die Dorfbewohner miteinander ihm gegenüber teilten. Mit schwerem Herzen musste sie mit ansehen, wie er immer mehr diese Leute zu hassen begann und sich gegen jeden Versuch wehrte, Frieden zu schließen. Ihnen zu vergeben. „Ich werde Ihnen weder vergeben, noch werde ich Ruhen!“, hatte er immer wieder geschworen. Irgendwann hatte sie es aufgegeben. Dass es aber nun jemand geschafft hatte, ihm in seinem Zorn und harten Entschluss, den Menschen da unten, den gleichen Kummer zu bereiten, ins Wanken brachte, ließ wieder Hoffnung in ihr hochkommen. „Nun…ich kann dir da nur den Rat geben, es darauf ankommen zu lassen- Hör auf ihm Gründe zu geben, dich zu fürchten!“, sagte sie. „Ich weiß nicht mal, ob ich das kann!“, murmelte er unsicher. Lira lächelte nun wieder. Beugte sich ein wenig zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Sicher kannst du das. Schließlich bist du ein Mensch!“ Trotz dass ihm fast die Augen zu fielen, lag Rene wach im Bett. Das Säckchen, das der Wolfsprinz ihm gegeben hatte, lag auf seiner Brust. Er hätte nicht gedacht, dass es möglich war. Er konnte es immer noch nicht glauben. Er hatte sich sogar in die Hand gekniffen um ganz sicher zu sein. Der blaue Fleck auf seinem Handrücken war immer noch zu sehen. Immer wieder sah er sich vor dem Wolfsprinzen stehen. Hörte sich selbst reden. Er erschien ihm wie ein Traum. Aber es war die Wirklichkeit gewesen. Und gerade mal einige Stunden her. Nun lag er da und fragte sich, wieso er ihm geholfen hatte. Dabei kannte etwas tief in ihm die Antwort, doch im Vergleich zu seinen Zweifeln, war dies nur ein Flüstern. Zuerst hatte es so ausgesehen als ob es ihn nicht sonderlich interessierte. Doch dann schien sich etwas in ihm verändert zu haben. Und Rene war auch froh darüber gewesen. Dennoch blieb die Frage nach dem warum. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf. War vielleicht doch mehr Mensch als Wolf in ihm? Wieso schaffte es der Wolfsprinz immer wieder Renes Meinung ihm gegenüber Stück für Stück zum Einbrechen zu bringen? Ob ich es wagen und ihm die Chance geben soll, mir sein anderes, menschliches Ich zu zeigen, fragte er sich. Aber was wenn das nur gespielt war? Hör einfach auf das, was dein Herz dir sagt! „Mein Herz?“, fragte er sich und legte seine Hand auf die Brust. Unter seinen Fingern konnte er es sanft schlagen spüren. Rene schloss die Augen, lauschte dem Klopfen seines Herzens, das ihn nun immer mehr an den Rand des Schlafens trieb und ihn dann hineinsinken ließ. Gleich am nächsten Tag suchte Rene den Verwalter auf, um ihm das Geld zu geben. Während er durch die Straßen und Gassen lief und an den vorbeigehenden Menschen vorbeilief, konnte er deutlich die verachtenden und gehässigen Blicke auf sich spüren. Eigentlich sollte er es gewohnt sein. Doch es war dieses Mal schlimmer. Nachdem Jaque den Verwalter beinahe zu Tode geprügelt hätte, schien die anderen seiner Schwester die Schuld zu geben. Dabei hatten sie auch manchmal ihre Not und ihren Ärger mit ihm. Aber offensichtlich schweißt sie das zusammen und lässt sie ihre Sorgen und Nöte vergessen. Rene konnte nur hoffen, dass sie nicht auf die Idee kommen und ihn angreifen. Er war sich sicher, sollten sie ihn überfallen und das Geldsäckchen sehen, dass sie es ihm wegnehmen werden. Daher beschleunigte er seine Schritte und zog den Kopf zwischen die Schultern. Die Blicke der Vorbeigehenden wurden dabei umso finsterer. Umso erleichtert war er als er vor der Tür des Verwalters stand und anklopfte. Ein dürres, bleiches Mädchen in Dienstmädchenkleidung öffnete ihm. „Sie wünschen?“ „Ich muss mit dem Verbre…mit dem Verwalter sprechen!“ Bei seinem kleinen Versprecher musste das Mädchen kurz grinsen. „Kommen Sie rein. Ich werde sie ankündigen!“, sagte sie und ließ ihn eintreten. „Kann ich Ihnen was bringen. Tee? Ein Stück Kuchen?“ Ein wenig Verwirrt von der Freundlichkeit des Mädchens, schüttelte er den Kopf. „Ich will einfach nur den Verwalter sprechen und dann wieder gehen!“ „Nagut!“, sagte es und eilte davon. Es dauerte etwas, dann kam sie zurück und sagte ihm, dass er ihn erwartete. Das Büro des Verwalters war ein kleiner stickiger Raum, der nur von einem Schreibtisch und einigen Schränken eingenommen wurde. Eine schwache Öllampe brannte und tauchte alles in ein diffuses Licht. Den Verwalter konnte er daher nur schwer ausmachen. Als er näher herantrat, sah er ihn hinter seinem massigen Schreibtisch sitzen. Als sie Jaque von ihm trennten, bot er schon einen schlimmen Anblick und er hatte auch nicht überhört, dass Jaque ihm die Nase gebrochen hatte. Doch nun sah er das wirkliche Ausmaß. Jaque musste mehr als nur seine Nase gebrochen haben, denn sein Gesicht war grün und blau und geschwollen. Wirkte im Vergleich zu dem Rest seines Körpers grotesk. Rene verspürte bei diesem Anblick kein Mitleid. Eher Genugtuung und auch Schadenfreude. Als der Verwalter Rene sah, schien er hinter seinem Schreibtisch noch kleiner zu werden, als er es schon war und sah ihn mit entsetzten Blicken an. „Was…was willst du?“, fragte er dann mit bebender Stimme. „Ich bin hier um die Schulden meiner Eltern zu bezahlen!“, sagte Rene nur knapp und warf das Säckchen auf den Schreibtisch. Dabei ging es ein wenig auf und einige Goldmünzen rollten heraus. Ungläubig schaute der Verwalter zu diesen und griff sich eine von ihnen. Drehte sie in dem Licht der Lampe, sodass sie funkelte und sah wieder zu Rene. „Woher…?“, brachte er nur hervor. „Woher ist egal. Hauptsache damit sind die Schulden meiner Eltern getilgt und Ihr lasst sie in Ruhe!“, sagte Rene, wandte sich ab und ging. Ein wenig erleichtert, dass er es hinter sich gebracht hatte, ging er nachhause. Dabei kam er auch an der Schmiede vorbei. Schnell beschleunigte er seine Schritte. Doch Jaque hatte ihn bereits gesehen und rief nach ihm. Rene verzog das Gesicht. „Warum muss ich ausgerechnet ihm über den Weg laufen?“, fragte er sich, blieb aber dennoch stehen und drehte sich zu ihm. „Gut, dass ich dich treffe!“, sagte Jaque erleichtert. Da bist du leider der einzige, dachte Rene bitter. „Was möchtest du?“ „Hier…!“, sagte Jaque und hielt ihm einen Brief hin. „Bitte. Gib das deiner Schwester!“ Rene zögerte zuerst. Dann aber nahm er ihn. „Wo kommst du denn her?“, fragte seine Mutter, als er in die Stube trat. Wie bei etwas erwischt, blieb er auf der Schwelle stehen und sah sie nur an. „Ich…ähm…war nur frische Luft schnappen!“, sagte er dann und machte dass er hoch zu seinem Zimmer kam. Doch bevor er in sein Zimmer ging, blieb er noch vor dem seiner Schwester stehen. Seine Hand glitt in die Manteltasche und fand den Brief, den Jaque ihm noch in die Hand gedrückt hatte. Zuerst sagte er sich, dass er ihm Flora nicht geben sollte. Sicher war ein Brief ihres Geliebten das letzte was sie brauchte, da es ihr wieder das Herz brechen würde. Aber er konnte ihn ihr auch nicht vorenthalten. So holte er tief Luft und klopfte an ihrer Tür. Es dauerte etwas, doch dann wurde die Tür geöffnet. Ein Häufchen Elend tauchte vor ihm auf, was mal seine Schwester war. Ihr Gesicht war bleich, wobei ihre Augen vom vielen Weinen gerötet waren. Ihre Hände zitterten. „Was gibt es denn?“ „Jaque bat mich dir das hier zu geben!“, sagte er. Flora verzog das Gesicht. Ihr war deutlich an zu sehen, dass Ihr Jaques Versuch, wieder mit ihr zusammen zu kommen, es noch schwerer machte, dabei zu bleiben. „Du…du musst es nicht lesen, wenn du nicht willst. Aber nehme ihn. Das habe ich Jaque versprochen!“ Flora sah schweigend auf den Brief. Überlegte ob sie ihn nehmen sollte. Dann seufzte sie. „Also gut!“, sagte sie dann und nahm den Brief. Es war später Abend. Und Flora hatte nicht einmal ihr Zimmer verlassen. Selbst als ihre Mutter ihr sagte, dass das Abendessen fertig war, war sie nicht heraus gekommen. Elsa machte sich Sorgen um ihre Tochter. „Rene, geh bitte nach deiner Schwester sehen!“, bat sie ihn daraufhin. „Ist gut!“, kam es nur von ihm und stieg die Stufen hinauf. Dabei hatte er ein ungutes Gefühl. Er fragte sich ob es wirklich eine gute Idee war, ihr den Brief gegeben zu haben. Hat das ihr noch mehr das Herz gebrochen? „Flora? Alles in Ordnung?“, fragte er, nachdem er wiedermal an ihre Tür geklopft hatte. Und auch wieder wurde die Tür nicht gleich geöffnet. Dieses Mal aber wartete er nicht sondern öffnete gleich die Tür. Auch wenn er sich Sorgen um sie machte, war er dennoch genervt. „Flora?“, fragte er vorsichtig und trat ein. Flora lag auf dem Bett. Das Gesicht in den Kissen vergraben. Auf dem Bett neben ihr lag der Brief. „Flora? Was ist nur?“, fragte Rene wieder, ging nun auf sie zu. Flora rührte sich nicht. Sondern lag einfach nur da. Langsam streckte er die Hans aus und berührte sie an der Schulter. Flora zuckte etwas zusammen. Drehte dann den Kopf und sah ihn an. Ihre Wangen glänzten von Tränen. Rene bekam auf der Stelle einen Kloß im Hals. Oh, nein. Was stand in diesem Brief, fragte er sich. „Flora, bitte. Was hat Jaque in dem Brief geschrieben?“ Statt etwas zu sagen, schaute sie ihn mit bebenden Lippen an, nahm den Brief und reichte ihm diesen. Rene nahm ihn und begann zu lesen. Meine geliebte Flora, Ich weiß, du hast unser Band getrennt, weil du nicht willst, dass auch ich Opfer der Grausamkeiten dieser Unmenschen werde. Aber ich kann das nicht einfach so akzeptieren. Und ich werde es auch nicht. Du bist meine einzig wahre Liebe und ich werde dafür kämpfen. Ich weiß auch, dass du es dir wesentlich romantischer vorgestellt hast, aber… Ich will dich fragen, ob du meine Frau werden willst? Als Rene den Brief fertig gelesen hatte, klappte ihm der Mund auf und er starrte auf die Zeilen. Sie kamen ihm unwirklich vor. Um sicher zu sein, las er den Brief nochmal. Doch es veränderte sich nichts. Die Worte blieben wie sie waren. Rene schüttelte den Kopf. „Das…das glaube ich nicht!“, flüsterte er. „Da sind wir schon zu zweit!“, kam es zitternd von Flora. Sie richtete sich auf und wischte sich über das Gesicht. Rene, immer noch sprachlos, deutete er auf den Brief. Er hatte alles Mögliche erwartet, aber das nicht. „Wirst du seinen Antrag annehmen?“ „Ich weiß es nicht!“ „Du…?“, wollte Rene sahen und brach mitten im Satz ab. „Flora!“ „Ich kann ihn nicht heiraten!“ „Willst du oder kannst du nicht?“ „Du weißt doch die Antwort!“ „Das er diese Zeilen schreibt und dich heiraten will, sagt doch deutlich, dass er dich wirklich liebt!“ Flora biss sich auf die Unterlippe. Es war überflüssig, dass er ihr das sagte. Sie wusste es selbst und auch wenn sich ihr Herz darüber freute, stürzte es sie in einen tiefen Abgrund. „Glaub mir, wenn ich könnte, und ich will seine Frau werden, würde ich seinen Antrag annehmen. Aber keiner würde das einfach so hinnehmen!“ Sie hatte Recht. Keiner würde die Trauung erlauben. Weder Jaques Vater noch der Pfarrer. Und schon gar nicht die Dörfler. Jeder würde alles dafür tun, um eine Eheschließung zu verhindern. Er spürte wie wieder der Zorn auf diese Menschen in ihm hochkam. Diese Hyänen werden noch alles zerstören, ging es ihm durch den Kopf. Sie sollten alle… Rene schüttelte den Kopf. Wollte diese Gedanken loswerden. „Also…was soll ich tun?“ „Sag Jaque, dass du seinen Antrag annimmst. Aber ihn erst heiratest, wenn die Zeit des weißen Schleiers vorbei ist!“ Flora Augen weiteten sich als er dies aussprach. „Was aber…!“ „Wenn er vorbei ist, wird auch alles andere ein Ende haben!“ „Du meinst damit dein Leben!“, kam es entrüstet von ihr. Rene schloss kurz die Augen. Er wusste dass es egoistisch von ihm war. Aber er dachte dabei nur an sie. „Tu es einfach!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)