Der Wolfsprinz von Mad-Dental-Nurse (Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt) ================================================================================ Kapitel 16: Wer mit den Wölfen heult... --------------------------------------- Zu Erleichterung aller hielt der Pfarrer inne was die Verlobung Floras und Jaque anging. Denn so wurde damit verhindert dass auch noch Jague in Ungnade der Dorfbewohner fiel. Und keiner der beiden wollte daran etwas ändern. Sie wollten ihre Verlobung solange wie möglich geheim halten. Jaque und Flora hatten damit keine Schwierigkeiten. Sie wussten genau, dass die Dorfbewohner eine erneute Hetzjagd auf sie veranstalten würden, sollten sie davon erfahren. Und sicher würden sie es auch auf Vincent absehen, sollte irgendwas nach außen dringen. Flora saß in der Stube auf einem Stuhl. Auf ihrem Schoss das Hochzeitskleid, welches sie getragen hatte als sie in den Wald gehen musste. Eigentlich war es ein Pfand einer unliebsamen Erinnerung. Flora lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sah sich selbst auf einem Baum klettern und musste mit ansehen, wie ihr Bruder sich mit dem Wolfsprinzen anlegte. Und dann diesen schrecklichen Handel einging. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern darüber. Eigentlich sollte sie es verbrennen. Da es sie immer wieder an diese Nacht erinnerte, in der alles begann. Außerdem war es an einigen Stellen zerrissen und hatte hässliche Löcher. Es wäre besser gewesen ein neues zu nähen. Ein neues Hochzeitskleid für einen neuen Anfang. Aber in dem Kleid steckten viele Stunden, viel Stoff und viel Liebe ihrer Mutter. Es den Flammen zu überlassen wäre ein Verbrechen. Und sie hatte die Idee, es wieder neu zu nähen. Die Löcher und Risse zu stopfen. Sah auch dies als eine Art von einem Neuanfang. Flora lächelte ein wenig. Rene beobachtete sie am Türrahmen zur Stube angelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und schweigend. Sah, dass sie sich über ihre Verlobung mit Jaque freute. Aber auch dass sie sich fragte, welche verschlungenen Pfade sie gemeinsam entlang gehen und wohin diese sie führen würden. Ob es doch noch ein Licht am Ende geben würde? Rene hoffte es für sie. Er wollte schließlich nicht diese Welt verlassen im Wissen, dass sein Opfer umsonst war und seine Schwester kein ruhiges Leben führen konnte. Auch wenn er dabei ziemlich blauäugig war, sagte er sich, dass sie es irgendwann verschmerzen würde und sich nur an die schönen Dinge zurückerinnern würde, die sie erlebt hatten. Es war zwar nur ein kleiner Trost. Aber dennoch ein Trost. Dabei musste er selbst an das Labyrinth denken, in dem er sich befand. Seine Neugier und Abscheu dem Wolfsprinzen gegenüber schienen sich immer wieder überbieten zu wollen. Der war auf der einen Seite seine Mutter, die ihn darum gebeten hatte, in das Innerste ihres Sohnes zu schauen und auf der anderen Seite, der Trotz in ihm, der es nicht zulassen wollte und sich weigerte, es auch nur zu versuchen. Er musste sich wieder an seinen Traum letzte Nacht erinnern. Wie er vor dem Wolfsprinzen in seiner anderen Gestalt stand. Wie die Furcht ihn übermannt hatte. Und wie er den Kummer in den blauen Augen des Wolfsprinzen sah. So als habe er ihn sehr verletzt. Rene biss sich auf die Unterlippe und begann darüber nach zu denken. „Egal was ich tue: In deinen Augen bin und bleibe ich es wohl!“ Diese Worte hallten immer wieder durch seinen Kopf und er hörte darin immer mehr so viel Schmerz und Enttäuschung, dass es ihm sein Herz zusammen krampfen ließ. Ein schrecklicher Gedanke kam ihm. Überfiel ihn wie ein wildes tollwütige Tier und grub tief seine Krallen in seine Seele. Riss an ihr wie an einem Stück Fleisch. „Was wenn nicht er, sondern ich das Monster bin?“, fragte er sich. Rene konnte diesen Gedanken einfach nicht mehr abschütteln. So sehr er es auch versuchte. Und seine Gedanken gingen immer mehr in diese Richtung. Sein Mund wurde trocken und ihm schlug das Herz bis zum Hals. Bisher war er es immer gewesen, der dem Wolfsprinzen mit Misstrauen und Abscheu begegnet war. Und der Wolfsprinz wiederum hatte auf seine deutlich, offenbare Ablehnung mit der einzig möglichen Antwort reagiert: Mit unverhohlener Gleichgültig. Nun aber hatte die Mutter ihn gebeten sich mit ihrem Sohn an zu freunden. Und der Traum hatte ihn in seiner Haltung dem Wolfsprinzen zum Wanken gebracht. Etwas tief in ihm rührte sich. Es fühlte sich an wie ein Tasten. Zaghaft und vorsichtig. Wie das Streichen von Schmetterlingsflügeln. Angefangen in seinem Magen und dann sich immer weiter im gesamten Körper ausbreitend. Trotz dass es irgendwie angenehm war, machte es ihn auch unruhig. Ließ ihn mit den Fingern seiner rechten Hand auf seinen linken Arm trommeln. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und verließ die Stube. Trotz dass die Sonne noch nicht untergegangen war und ihre letzten Strahlen über den Bergkamm sandte, legte sich schon Dunkelheit über das Dorf und dort wo sich die Nacht anbahnte, schimmerten bereits die ersten Sterne. Die Luft war kalt und klar. Sie hatte etwas Beruhigendes. Tief und gierig sog er diese ein. Dabei merkte er erst jetzt, dass es wohl im Haus so stickig war, dass er kaum Luft bekam. Oder waren es seine Gedanken, die ihm die Luft nahmen? In seinem Kopf drehte es sich wie als hätte er zu viel getrunken. Das unruhige Gefühl schwoll ein wenig ab, verschwand aber nicht gänzlich. Rene umschlang seinen Oberkörper mit den Armen. Kurz dachte er daran, wieder hinein zu gehen und seinen Mantel zu holen. Sagte sich aber, dass die Kälte ihm vielleicht helfen konnte, wieder klar im Kopf zu werden. Diese Unruhe los zu werden. „Du siehst aus, als läge dir etwas auf der Seele!“ Rene machte einen Satz zur Seite als er die Stimme hörte und schaute erschrocken zur Seite. Er hatte erwartet, dass Nima oder ein anderer Wolf neben ihm stand. Eine Überraschung, die er eigentlich nicht erleben wollte. Nicht nach dem was ihm gerade durch den Kopf ging. Doch es war nur seine Großmutter. Erleichtert atmete er auf. Rene nickte. Setzte sich dann neben sie. Sie hatte sich in eine Dicke Wolldecke gehüllt um sich vor der Kälte zu schützen. Als er sich neben sie setzte, legte sie ihm diese um die Schultern. Zusammen kuschelten sie sich aneinander. Das erinnerte Rene an die Zeit, wo er klein war. Seine Eltern waren bis in die Nacht in der Bäckerei und arbeiten. Flora schlief schon. Nur Rene war noch wach und hatte seine Großmutter um eine Gute Nacht Geschichte nach der anderen gebeten. Dabei saß er so wie jetzt neben sie. Unter einer Decke und mit gespannter Neugier auf das was seine Großmutter ihm nun erzählen würde. Was konnte seine Großmutter für wunderbare Geschichten erzählen. Mal waren sie so gruselig, dass er sich immer unter der Decke verkroch und erst dann raus kam, wenn seine Großmutter fertig war. Dann waren sie so unglaublich, dass er noch Tage darüber nachdachte und seine Großmutter mit Fragen löcherte. Rene lächelte etwas als er sich daran erinnerte. Wie unbeschwert doch seine Kindheit war. Da gab es nichts vor dem er sich fürchten musste. Nur die Monster in den Geschichten. Doch dort waren sie nichts weiter als Schatten. Aber da gab es noch etwas. Eine lang verblasste Erinnerung. Ein Heulen, dann eine Wolke, die wie ein Wolf geformt war. Rene schauderte ein wenig. Kehrte wieder zu den hellen Momenten zurück. Sorglos verlebten er und Flora ihre Tage. Saßen unter den Apfelbäumen im kleinen Garten und träumten vor sich hin, während sie dem Wind lauschten. Wie sehr sich Rene nach solchen Momenten sehnte. Sie schienen weit weg zu sein und wurden von den Schatten der frischen Erinnerungen verhangen, wie ein Leichentuch. Umso schmerzlicher war es sich daran wieder zu erinnern. Dabei fragte er sich, wie es dabei dem Wolfsprinzen erging. Erinnerte er sich an seine Kindheit oder hatte er sie begraben, wie einst seinen Vater? Er erinnerte sich, was seine Mutter über ihn erzählt hatte. „Er war…wie jeder andere junge Mann. Voller Leben und Dummheiten im Kopf. Wie oft habe ich ihn schon dabei erwischt, wie er sich mit den jüngeren Wölfen davon stahl und sich herumtreiben wollte. Wenn ich dich so ansehe, sehe ich ihn. Wie er war…und…nie wieder sein wird!“ Es schien ihm fast unmöglich sich den Wolfsprinzen als jemanden vor zu stellen, der Spaß am Leben hatte. Der glücklich war. Und keine einzige Minute damit vergeudete zu hassen. Es musste solange zurück liegen, dass er es selbst vergessen haben musste. Rene merkte wie ihm das Herz schwer wurde. Er verspürte eine gewisse Spur von Mitleid. Erst wird seine Mutter vertrieben. Aus dem Dorf und in einen Sturm, in dem sie vermutlich gestorben wäre, wäre sein Vater nicht gewesen. Und dann der feige Mord an seinem Vater. Wieder musste er an das Wolfsfell denken, dass an der Wand in der Stadthalle hing und ihm wurde übel. Dazu mischte sich heiße Wut. Er konnte ihn irgendwie verstehen. Wäre das seine Mutter und sein Vater… Dabei ertappte er sich wie er manchmal daran gedacht hatte, was er den Dörflern antun würde. Sein Gesicht begann zu glühen. „Was hast du, Rene?“, fragte seine Großmutter. Rene sah sie an. Wollte zuerst den Kopf schütteln und sagen, dass nichts sei. Doch dann überlegte er es sich anders. „Denkst du, dass man schon mit einer dunklen Seele geboren wird?“ Es war eine rein rhetorische Frage. Rene glaubte nicht, dass der Wolfsprinz bereits mit einem Herzen aus Eis geboren wurde. Die Worte seiner Mutter sprachen schon deutlich dagegen. Martha legte die Stirn in Falten. „Nein. Das war auch die Meinung meiner Mutter. Jeder Mensch wird ohne Hass und ohne Groll geboren. Erst durch das, was er erlebt, macht aus ihn den, den wir sehen!“, sagte sie und klang dabei leicht melancholisch. „Das zumindest sage ich mir!“ „Und wie ist es mit den Dörflern?“, fragte er. Marthas Gesicht wurde bitter. „Bei denen bin ich mir nicht sicher. Manchmal denke ich, dass sie schon so geboren wurden. Doppelzüngig und allesamt wert, dass man sie zum Teufel jagt!“ Seine Großmutter seufzte und bekreuzigte sich. „Ich weiß, dass ich nicht so reden sollte und Gott möge mir vergeben. Aber sowas falsches und…ach was soll es!“ Rene lächelte schwach. „Wieso fragst du mich das?“ Rene hob die Schultern. „Nur so!“ Einen Moment sah seine Großmutter ihn skeptisch an. Dann aber seufzte sie und stand auf. Streckte sich. Und ohne ein Wort ging sie ins Haus. Rene blieb draußen sitzen. Zog die Decke enger um sich. Schaute zu den Bergen hinauf, hinter denen nun die Sonne untergegangen war und die dunkel über dem Dorf aufragten. Der Mond war als dünne Sichel zu sehen. Dennoch warf er genug Licht um den Wald zu erhellen. Ließ den Schnee aufleuchten als wäre er selbst aus Mondlicht. Auf einmal ergriff Rene eine ungeahnte Sehnsucht. Rene konnte es sich nicht erklären woher sie auf einmal kam. Doch sie war so stark, dass Rene nicht dagegen ankämpfen konnte. Es zog ihn an wie einst als er das erste Mal in den Wald ging. In seinem Hinterkopf kam ihm der unschöne Gedanke, dass er sich wie die Motte zum Licht hingezogen fühlte. Drängte diesen aber weg. Ich bin keine Motte, sagte er sich und ohne dass er sich noch um entscheiden konnte, ging er auf den Wald zu. Im beklemmenden Schweigen nahmen Jaque und sein Vater ihr Abendmahl zu sich. Vincent sah man deutlich an, dass er noch immer an der Richtigkeit der Verlobung seines Sohnes zweifelte. Doch er hatte es auch aufgegeben dagegen an zu fechten und seinen Sohn nochmal ins Gewissen zu reden. In dieser Hinsicht war Jaque ein richtiger Dickkopf. Dennoch war er auch froh, dass er so aufrichtig war und zu seiner Verlobten stand. Er hatte immer befürchtet, dass er nach dem Tod seiner geliebten Frau Laura, nicht in der Lage sei, seinen Sohn richtig zu erziehen. Mehr als einmal hatten die anderen ihn dazu gedrängt, sich eine neue Frau zu nehmen. Zum Wohle Jaques. Dabei hatten sie natürlich ihre eigenen Töchter angeboten. Vincent hatte sich geweigert. Niemals mehr würde er eine Frau so sehr lieben wie Laura. Der Zweifel jedoch nagte an ihm wie eine Ratte und kostete ihm die eine oder andere Nacht. Umso erleichterter war er, dass seine Befürchtungen umsonst waren. Und doch blieb so etwas wie Unbehagen. Nicht weil die Dörfler doch noch von der Verlobung erfahren konnten. Das war noch das kleinere Übel. Sondern was mit seinem Sohn passierte, sollte der Wolfsprinz irgendwann die Leben der Familie einfordern. Würde er auch sein Leben rauben wollen? Der Gedanke ließ ihn erschauern und seine Miene verfinsterte sich. Sein Blick ging dann zu seinem Sohn, der ebenso den Blick gesenkt hielt und gedankenverloren auf seinem Brot herumkaute. Sicher dachte er ebenso über die Zukunft nach. Vermutlich aber in eine andere Richtung. Dennoch hoffte Vincent, dass sein Sohn sich bewusst war, was passieren könnte. „Sobald du und Flora verheiratet seid und der Schnee geschmolzen ist, verlasst ihr das Dorf!“, sagte er und durchbrach damit die Stille. Jaque schaute auf und blinzelte ein wenig verwirrt. Verstand erst mal nicht, was sein Vater gesagt hatte. Doch dann drangen die Worte seines Vaters in sein Bewusstsein und seine Augen wurden sich groß. „Was sagst du da?“ „Du hast mich verstanden!“, sagte Vincent. „Sobald die Handelsstraßen frei sind und Ihr verheiratet seid, werdet Ihr dieses Dorf verlassen!“ Jaque sah ihn nur an. Fragte sich was in seinen Vater gefahren war. Dann schüttelte er den Kopf. Noch er bevor er etwas sagen konnte, kam ihm sein Vater zuvor. „Keine Wiederrede. Hör nur einmal auf deinen alten Vater!“ Jaques Gesicht spiegelte Sorge und Verzweiflung. „Und was ist mit dir?“ Er wollte seinen Vater nicht verlassen. Nicht in diesem Dorf voller Wendehälse. Vincent lächelte bitter und winkte ab. „Ich komme schon zurecht!“ Das reichte Jaque nicht. „Nein. Wenn ich gehe, kommst du mit!“, sagte er schroff. „Ich lasse dich hier nicht zurück!“ Vincent sah seinen Sohn eine Weile an. Dann lächelte er. Ganz wie seine Mutter, dachte er. Ein Dickkopf! Rene wusste eigentlich nicht wohin er gehen sollte. Es zog ihn einfach in den Wald. So wie als würde man ein kleinen Spaziergang machen. Ein ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Ein Spaziergang im Wald, der von Wölfen beherrscht wird. Der von ihm beherrscht wird. Sogleich ging sein Blick suchend durch den Wald. Suchte nach Spuren von Wölfen. Fand aber keine. Das wunderte ihn ein wenig. Er hätte gedacht, dass Nima oder einer ihrer Brüder sich hinter einem Baum versteckten und ihn beobachteten. Aber vermutlich war das einfach nur wahnhaft und unnötig, dass er sich Gedanken darüber machte. So ging er weiter. Kam an den gewohnten Treffpunkt. Und es dauerte nicht lange als Nima kam. In ihren Wolfsaugen zeigte sich Verwunderung. „Was machst du denn hier?“ Rene zuckte die Schultern. „Wollte ein wenig spazieren!“ Dann sagte er. „Ist dein Herr da?“ „Nein!“, sagte Nima und ihr Blick wurde verwirrter. „Warum möchtest du zu ihm?“ Nun war es Rene, der verwirrt dreinblickte. Bis jetzt hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Er war einfach in den Wald gegangen. Doch nun stand er da und fragte sich, wieso er hier war. Ein wenig verlegen strich er sich durch das Haar. Nima sah ihn weiterhin fragend an. „Ich…ich wollte deinen Herren sehen!“, schoss es auf einmal aus ihm und nun sah Nima ihn an als habe er etwas Unglaubliches ausgesprochen. Vielleicht hatte er das auch. Dass er ihren Herren freiwillig sehen wollte, musste für sie eine Offenbarung sein. Da sie immerhin wusste, welche Haltung er ihm gegenüber hatte. Und nun wollte er ihn sehen. Nima legte den Kopf schief und überlegte. „Dann komm mit!“, sagte sie und trottete los. Rene folgte ihr. Sie gingen in einen anderen ihm fremden Teil des Waldes und Rene wurde sich bewusst, wie groß wirklich dieser Wald war. Während sie liefen, schwiegen sie. Doch Rene konnte deutlich die Blicke spüren, die Nima ihm hin und wieder zu warf. Was mochte ihr gerade durch den Kopf gehen? Sie stiegen eine leichte Anhöhe hoch. Nima lief leichtfüßig durch Schnee während Rene Mühe hatte seine Beine daraus zu ziehen. „Wolf müsste man sein!“, schnaubte er und hörte Nima lachen. Sie hatte die Anhöhe schon längst überwunden und schaute mit einem amüsierten Blitzen in den Augen auf ihn hinunter. „Wir Wölfe sind eben gute Kletterer!“ „Jaja…!“, motzte Rene. Dann hatte er es auch geschafft. Musste jedoch nach Luft schnappen und stützte sich auf den Knien ab. Nima kicherte. Dann wackelten ihre Ohren und sie wandte den Kopf. Sie schien etwas zu hören. Denn sie raunte ihm zu, dass er nun leise sein soll und ging weiter. Rene, ein wenig nervös durch ihre Worte, folgte ihr. Sie blieben hinter einem blätterlosen Busch stehen und verharrten dort. Nima, in respektvoller Geduld und Rene aus reinem Erstaunen. Vor ihnen einige Meter entfernt stand der Wolfsprinz. Allein und mit dem Blick nach vorne gerichtet. Es sah so aus als würde er auf etwas warten. Rene und Nima gingen hinter einem mit Schnee bedeckten Gebüsch in die Hocke und schauten zu ihm hinüber. Es vergingen einige Atemzüge als sich dann endlich was auf der Lichtung tut. Langsam und mit vorsichtigen Schritten trat etwas auf die Lichtung. Auf den Wolfsprinzen zu. Und Renes Augen wurden groß als er es erkannte. Ein Zwölfender. Noch nie hatte Rene solch ein Tier gesehen. Es war so groß, dass sein Kopf mit dem des Wolfsprinzen auf gleicher Höhe war und dessen Geweih ihm überragte. Sein Fell war silbrig, fast schon weiß. Seine Augen dunkel und dennoch klar. Ruhig stand es ihm gegenüber. Schien sich nicht vor seinem Gegenüber zu fürchten. Erstaunt und in stiller Demut beobachtete Rene sie. Mandariel verneigte sich leicht und sah den Hirsch dann an. Ebenso der Hirsch. Sie schienen eine Unterhaltung zu führen, ohne dass sie was sprachen. Gelegentlich schnaubte das Tier, blies ihm seinen warmen Atem ins Gesicht. Mandariel lächelte. Nickte. Dann hob er die Hand, nicht als wolle er es berühren sondern als wollte er es um was bitten. Der Zwölfender roch kurz an ihr, dann legte er seinen Kopf in die Hand des Wolfsprinzen und der dieser wiederum berührte mit seiner Stirn dies des Zwölfenders. Renes Mund klappte voller Sprachlosigkeit auf. Es wirkte so surreal, dass er glaubte zu träumen. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen. Doch das Bild blieb gleich. „Das ist Kyriel R’azsal Bühl!“, hörte Nima ihn wie aus weiter Ferne. Dabei klang sie sehr erfurchtsvoll. „Wieso hat er keine Angst vor ihm?“ „Weil er ihm vertraut!“ Endlich schaffte es Rene sich von diesem Anblick zu lösen und sah sie erstaunt an. „Er vertraut ihm?“, widerholte er. Noch immer war das alles wie in einem Traum. Ein Hirsch vertraute einem Wolf. Das war einfach unglaublich. Nima sagte nichts, sondern sah wieder zu ihrem Herren. Rene ebenso. Und während er zu ihnen hinschaute, begannen sich seine Gedanken zu überschlagen. Ein Hirsch vertraute einem Wolf. Dabei sollte der Hirsch gute Gründe haben, um ihm misstrauisch oder gar überhaupt nicht zu zeigen. Wölfe fraßen Hirsche und Rehe. Sie waren Beute für sie. Dass sich nun solch ein Tier ihm näherte und Vertrauen zu ihm hatte, hielt ihm deutlich den Spiegel vors Gesicht. Vielleicht sollte ich ihm auch vertrauen, dachte er. In seinem Magen wurde es kalt. Wenn ein Hirsch es schon tat… Rene kaute auf seiner Unterlippe herum. Nima sah ihn an und schien seine Überlegungen deutlich in seinem Gesicht zusehen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Wolfsgesicht. Mandariel trat nun einen Schritt zurück, verneigte sich. Kyriel tat es ihm gleich und verließ dann fliegenden Schrittes die kleine Lichtung. Mandariel sah ihm nach, dann drehte er sich auf einmal in Nimas und Renes Richtung „Wie lange wollt Ihr noch da hinter dem Busch hocken?“, fragte er unverhohlen. Renes Körper wurde sofort steif und er kauerte sich noch enger zusammen. Dabei warf er einen hilflosen Blick zu. Wir sollten verschwinden, schienen seine Augen zu sagen. Auch Nima schien etwas verlegen zu sein. Doch dann richtete sie sich auf und trottete aus ihrem Versteck. Rene zögerte kurz, dann kam auch er hervor. Kaum das sich ihre Blicke trafen, zuckte Rene zurück. Ihm war es, als hätte er ihn bei etwas Persönliches gestört. Beschämt senkte er den Blick. Mandariels Blick ruhte lange und fragend auf ihm. „Was machst du hier?“, fragte er nun und seine Frage klang wie eine Anklage. „Ich…ich…!“, stammelte er und kam sich wie ein dummer kleiner Junge vor. „Er wollte Euch sprechen, Herr!“ In diesem Moment hätte Rene Nima zu gerne die Schnauze zu gehalten. Aber da wurde ihm bewusst, dass sie mit ihm in ihren Gedanken gesprochen hatte. Peinlich berührt trat er von einem Fuß auf den anderen. Mandariel sah von Nima zu Rene. In seinem Gesicht war deutlich Neugier zu sehen. „Um was geht es?“, fragte er dann. Rene zauderte. Wusste nicht was er sagen sollte. Dabei gab es eigentlich so viel, was gerade durch seinem Kopf wirbelte. Die Bitte seiner Mutter. Die Frage nach dem Warum. Warum er so geworden ist und ob er auch mal eine glückliche Zeit hatte? Wieso kann er die Gedanken von Hunden und Wölfen hören? So viele Fragen. Und doch war er nicht im Stande auch nur eine zu greifen. „Nun?“, fragte Mandariel als er die Ratlosigkeit in Renes Blick sah. Fast amüsierte es ihn, den Jungen so zu sehen. Wo er doch sonst kein Blatt vor den Mund nahm. „Wieso hatte der Hirsch keine Angst?“, platzte es plötzlich aus Rene und hätte sich am liebsten selbst auf die Zunge gebissen. Mandariels Augenbrauen hoben sich. Auch Nima sah ihn verwirrt an. Das sagte ich doch schon, schien ihr Blick zu sagen. Rene ignorierte dies und konzentrierte sich auf den Wolfsprinzen. Mandariels Gesicht nahm einen Ausdruck an, der Verwirrung und Erstaunen zeigte. Dann aber sah er ihn gleichgültig an. „Er vertraut mir!“ „Trotz dass Ihr ein…!“ Renes Stimme versagte. Mandariels Augen schmal und er presst die Lippen zu einem harten Strich zusammen. „Trotz dass ich ein Wolf bin?“, kam es schroff von ihm. Nima seufzte und senkte den Kopf. Rene merkte wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Wie er zu Eis erstarrte. Er schluckte. Ohne dass er es wollte, hatte er ihm wieder gezeigt, was er von ihm hielt. „Nein, das…das meine ich nicht!“, verteidigte er sich schnell. Falls er hoffte seine Worte könnten den Wolfsprinzen besänftigen, dann erfüllte sich seine Hoffnung nicht. Die Augen des Wolfsprinzen wurden schmaler und schienen wie kaltes Eis zu leuchten. Dann aber legte sich so etwas wie Schwermut über sein Gesicht. Oder bildete sich Rene das ein. Unsicher was er sagen oder tun soll, stand er einfach nur da. Sah zu Mandariel, der sich durch das Haar strich und seufzte. Er wirkte in diesem Moment um hundert Jahre gealtert. Als hätte die Angst, die Abscheu und der Hass der Dorfbewohner ihm alle Kraft genommen. Rene biss sich auf die Unterlippe. Wünschte sich tief in, mit Schnee bedeckten Erde zu versinken. „Wenn es das ist, was dir unter den Nägeln brannte…?“, kam es ausgelaugt von ihm. Rene schüttelte den Kopf. Mandariel sah ihn daher prüfend an. Fragte sich was er noch von ihm wolle. „Ich wollte Euch nicht beleidigen. Aber als ich Euch mit dem Hirsch sah, da…!“, sprach Rene weiter und wusste, dass er sich dabei um Kopf und Kragen redete. Mandariels Gesicht wurde zu einer regungslosen Maske. Nima wurde an seiner Seite unruhig. Sie rutschte hin und her. Sah ihn mit ihren Augen flehend an. Riet ihm, endlich still zu sein. Aber Renes Zunge hatte ein Eigenleben entwickelt. „Es sah so aus, als würdet Ihr und der Hirsch eine Art Handel haben!“ Sei endlich still, schrie es in seinem Kopf und ein Teil wünschte sich, diese Worte rückgängig zu machen. Doch nun hatte er sie ausgesprochen. Mandariel sah ihn für einen flüchtigen Moment konsterniert an. Dann aber musste er beinahe Lächeln. „Nun…das könnte man so sagen!“, sagte er und ging nun ein paar Schritte auf Rene zu. Plötzlich wurde Rene nervös. Er bewegte sich wie als wollte er sich an ihn heranschleichen. „Und wie sieht dieser Handel aus?“ „Ich würde es nicht als Handel nennen!“, sagte er und blieb einen Schritt vor ihm stehen. „Es ist eine Art…Symbiose!“ Renes Gesicht wurde ratlos. Mandariel lächelte als würde er einem Kind etwas Schweres erklären. „Ich und meine Wölfe jagen keine jungen Rehe. Keine jungen Weibchen und auch nicht den Nachwuchs. Nur die, die schon alt und krank sind. Dafür sorgen sie, dass der Wald nicht von all den Pflanzen überwuchert wird!“ Nun verstand Rene. „Ein Zweckbündnis also!“ Mandariel nickte. „Wenn du es so nennen willst. Ja. Auch wenn es für dich nicht nach vollziehbar ist: Aber ohne das eine kann es nicht das andere geben. Gibt es hier keine Rehe, verhungern meine Wölfe. Und gibt es keine Wölfe, wird es nicht genug Gras für alle geben. So ist es auch mit den Kaninchen. Und die vermehren sich bekanntlich wirklich schnell!“ Dabei lächelte er. Rene merkte wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen. War das ein Scherz? Dann aber wurde er nachdenklich. Begriff so langsam, dass alles hier in einem Kreislauf war. Wölfe fressen Rehe…Rehe fressen Gras…Wölfe fressen Rehe…Rehe fressen Gras… Da wurde Mandariels Gesicht nachdrücklich. „Auch wenn man in uns Tiere sieht, die nur das töten kennen und alles fressen, was ihnen über den Weg läuft…kann ich dir versichern, dass das alles nur übles Gerede ist. Denn wenn es so wäre und wir alle Rehe und alle Kaninchen, und alle anderen Tiere töten würden, würde es zwar erstmal genug zu essen geben, doch dann würde es Krieg geben. Zwischen uns, den Bären und den Füchsen. Und was dann? Dann müssten alle anderen Hunger leiden. Es sei denn…!“ Seine Stimme brach und in seinem Blick lag tiefer Schmerz. Rene wagte es nicht nach dem es sei denn zu fragen. Das musste er auch nicht, denn Mandariel sah wieder auf und seine Augen waren hart wie Eis. „Es sei denn ich und meine Wölfe suchen das Dorf heim und nehmen uns, was wir wollen!“ Rene lief es kalt den Rücken hinunter. Vor seinem inneren Auge sah er wie die Wölfe, wie eine Lawine über das Dorf hinweg rollten und alles auslöschten, was sie finden konnten. Auslöschten aus purem Hunger. In dieser Version sah er sogar Flora. Wie ihr zarter Körper von einem Wolf angefallen und zerrissen wurde. Er fröstelte. Umschlang mit seinem Armen seinen Oberkörper. Schnell sagte er sich, dass er wegen der Kälte fror. Immerhin stand er nur mit seinem Leinenhemd hier. Den Mantel oder die Decke hat er einfach zuhause liegen lassen. Mandariel sah dies und ohne ein Wort zu sagen, nahm er den silbrigen pelzigen Mantel von seinen Schultern und legte ihn um die Schultern. Dabei streiften seine Hände seine Schultern und Rene zuckte etwas zusammen. Ließ es jedoch zu. Der Mantel war angenehm warm und Renes Körper sog diese sofort gierig auf. Rene zog diesen enger an sich. Dabei stieg ihm ein angenehmer Geruch in die Nase. Der Duft von Kiefern und Tannen, gemischt mit dem Geruch von kalter Bergluft. Rene ertappte sich dabei wie er verstohlen den Kragen an seine Nase zog und daran roch. Als er es merkte, wurde er schlagartig rot und ließ den Kragen los. Was machst du da, du Idiot, schrie er sich in Gedanken an. „Gehen wir ein Stück!“, sagte Mandariel und Rene nickte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Doch dann… „Und was für einen Zweck hat der Handel, den Ihr mit den Dörflern habt?“, fragte er dann. Es war als würde jemand, der unter Schock stand, immer wieder das gleiche tun oder sagen. Nur um sich vor das zu schützen, was vor ihm lag oder dahinter. Und auch wenn Rene die Antwort kannte, dass er es nur aus Rache diesen Handel gewollt hatte, fragte er ihn dennoch. „Ein Leben für das von vielen!“, erklärte Mandariel knapp. „Eigentlich wäre es das Beste, sie alle zu töten. Denn dann könnten die Tiere ohne Angst leben. Sie müssten sich nicht davor fürchten, gejagt, getötet zu werden. Oder als Trophäe zu enden. Das wäre das schlimmste. Nur aus Freude und Stolz getötet zu werden, damit andere sich mit ihrem Kopf brüsten können!“ Den letzten Satz spie er förmlich aus. „Sowas würden ich oder meine Brüder und Schwestern niemals tun. Wenn wir jagen, dann nur um uns am Leben zu erhalten! So will es die Natur!“ „In Euren Augen sind wir die Monster…!“ „Seid Ihr das nicht? Macht Ihr Euch nicht gegenseitig das Leben schwer. Verratet Ihr Euch nicht, wenn es Euch einen Vorteil verschafft? Belügt und betrügt Ihr euch nicht aus irgendwelchen Gründen? Warum auch immer? Sei es aus Hass, Eifersucht, Wut oder Neid?“ Rene sagte nichts. Der Wolfsprinz hatte genau das ausgesprochen, was ihm durch den Kopf ging. Was wenn wir die Monster sind? In seinen Worten hörte Rene nicht nur Zorn und Hass, sondern auch Schmerz. Schmerz über den Tod seines Vaters. Und wieder dachte sich Rene, dass er genauso denken würde, wenn man ihm das gleiche angetan hätte. Aber hasste er sie mittlerweile nicht genauso? Diese falschen Menschen, die, sobald man ihnen den Rücken zukehrt, einem die Pest an den Hals wünschen. Und im Moment zuvor noch einen angelächelt hatten. Rene fühlte eine heiße Welle von Wut hochkommen, die die Kälte ein wenig zurückdrängte. Wie als wolle er sich beruhigen, wickelte er sich noch enger in den Mantel und der Geruch, dieser herrliche Geruch stieg wieder in seine Nase. Erstaunlicherweise beruhigte ihn dieser. „Seht Ihr das auch in mir?“, fragte er und war erschrocken wie erstickt seine Stimme klang. Als fürchtete er, dass es wirklich so war. Mandariel blieb stehen. Sah ihn an. Prüfend, als suche er nach etwas. Tief in Rene verborgen. „Zuerst ja!“, war seine Antwort und Renes Herz bekam einen Stich. Dann aber sagte Mandariel mit nachdenklichem Klang:„ Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher!“ Renes Wangen glühten. „Das…das geht mir genauso!“ Seine Worte waren nicht weiter als ein Flüstern. Dennoch hörte Mandariel sie. Ein zaghaftes Lächeln legte sich flüchtig um seine Mundwinkel. Doch das reichte aus um Renes Herz schneller schlagen zu lassen. Nun trat Mandariel näher an ihn heran, so nahe, dass sich ihre Oberkörper beinahe berührten. In seinem Kopf drehte sich wieder alles. Und seine Knie begannen plötzlich weich zu werden. In seinen Ohren hörte er das Blut rauschen. Der Geruch kam wieder, drängte sich förmlich in seine Nase und raubte ihm die Luft. Ließ den Blick verschwimmen. Er konnte nichts mehr sehen. Nur die Augen des Wolfsprinzen, die sich tief in seine brannten und in seine Seele blickten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern als er den Blick von ihm löste. Leicht schüttelte er den Kopf. „Ich werde aus dir nicht schlau!“ Wie aus weiter Ferne hörte er sie und es dauerte einige Augenblicke ehe sie in seinen Verstand drangen. Rene blinzelte. Wusste nicht wie er das verstehen sollte geschweige denn darauf reagieren sollte. Wie meint Ihr das, schienen seine Augen zu sagen. Mandariel lächelte. „So wie ich das meine. Auf der einen Seite siehst du mich so wie die anderen. Als ein Monster. Aber auf der anderen Seite…scheinst du zu versuchen, mich zu verstehen!“ Renes Wangen begannen zu glühen. Nicht scheinen. Ich will es versuchen, schrien seine Augen. Auch das sah Mandariel. Langsam hob er die Hand und berührte Renes Wange. Seine Finger waren kalt und Rene zuckte etwas zusammen. Doch seine Berührung hatte etwas Sanftes. Beruhigendes. Sofort schmiegte sich seine Wange an Mandariels Hand. Und da erwachte ein Wunsch, tief in seinem Inneren, der sich nach und nach in den Vordergrund drängte. Küss mich! Die Stimme war laut und drängend. Rene versuchte nicht, sie zum Schweigen zu bringen. Es würde nichts bringen. Stattdessen schaute er ihn an. Vielmehr seine Lippen. Diese herrlich geschwungenen Lippen, die ihn dazu lockten, sich ihm entgegen zu strecken und ihn um einen Kuss zu bitten. In Renes Magen machte sich ein Flimmern breit. Das gleiche, was ihn schon einmal ergriffen hatte und was sich auch nun wieder in seinem Körper ausbreitete. Mandariel musste gesehen haben, was Rene sich wünschte. Er neigte ein wenig den Kopf. In Rene jubelte etwas auf. Er will mich auch küssen, schrie es und das Flimmern wurde stärker. Nur wenige Zentimeter trennt ihre Gesichter voneinander. Rene schloss die Augen und freute sich, dass er gleich seine Lippen auf den seinen spürte. Doch diese blieb aus. Wie als sei er aus einem Traum gerissen worden, wich Mandariel zurück, schaute mit aufmerksamer Miene um sich. Seufzte dann. „Ich glaube, du solltest gehen!“, sagte er leise und klang dabei so wie sich Rene fühlte. Wie vor den Kopf gestoßen und enttäuscht. Rene sah ihn an, als habe er ihn geschlagen. Öffnete den Mund um nach dem Grund zu fragen. Mandariel antwortete trocken:„ Deine Eltern suchen dich schon!“ Der Schrecken verdrängt das Flimmern in seinem Magen und kalte Angst ergriff ihn. Seine Eltern! Mein Gott, schrie es in seinem Inneren und er wich vor ihm zurück. Wie konnte er das vergessen? Er wandte sich in irgendeine Richtung. Lauschte nach dem Rufen seiner Mutter. Versuchte den Schein einer Fackel zwischen den Bäumen zu sehen. Doch nichts dergleichen passierte. Fast wollte Rene ihn schon fragen, woher er das wusste. Ärger mischte sich nun in die Angst. Hielt sie aber zurück. Fühlte sich aber auch dadurch verletzt. Wollte er ihn so schnell wie möglich loswerden. Nur weil…was? Weil er fürchtete, er könnte sich für ihn erwärmen? Weil es mehr gibt als Hass und Vergeltung? Mandariel wies mit einem Kopfnicken in eine bestimmte Richtung. „Du solltest lieber gehen. Ehe sie sich noch mehr Sorgen machen!“ Rene blieb noch kurz wie angewurzelt stehen, dann streifte er den Mantel ab, reichte ihn Mandariel und drehte sich um, um zu gehen. Doch da ergriff Mandariel seine Hand. Hielt ihn zurück. Rene drehte sich ruckartig zu ihm und sah ihn mit großen Augen an. Mandariels Gesicht war eine steinerne Maske. Aber in seinen Augen leuchtete es intensiv. „Komm morgen Abend wieder!“, sagte er mit rauer Stimme. Rene nickte nur, weil er sprachlos war und verwundert, über Mandariels Worte. „Wo kann er nur sein?“, wimmerte Elsa, zog das Tuch um ihre Schultern enger und schaute mit angsterfülltem Blick in den Wald, der sich drohend über sie erhob. Ramon hielt eine Fackel hoch und sah auch zum Wald. Allerdings mit finsterer Miene. „Was hat sich dieser Junge nur dabei gedacht?“, knurrte er. Noch deutlich waren Renes Spuren im tiefen Schnee zu sehen, die ohne zu zweifeln zum Wald hoch führten. Flora und Elsa standen hinter ihnen, Arm in Arm und zitterten. Nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Als die Eltern von der Arbeit nachhause kamen und sich alle zum Abendessen an den Tisch setzen wollten, war ihnen aufgefallen, dass Rene nicht mehr da war. Martha war zuerst verwirrt, dann aber besorgt. Und als sie die Spuren sahen, war ihre Sorge in Panik umgeschlagen. Ramon lief auf und ab wie ein eingesperrtes Tier. Schaute wütend zum Wald. Er wusste um die Gefahr, die das Betreten des Waldes mit sich brachte. Aber die Sorge um seinen Sohn drängte diese zurück. „Ich gehe und hole ihn!“, sagte er und machte einen Schritt nach vorne. Elsa schrie entsetzt auf und hielt ihren Mann zurück. „Nein, Ramon. Nein!“, rief sie. „Nicht allein. Das ist zu gefährlich!“ „Hast du eine bessere Idee?“, fuhr ihr Mann sie an. „Unser Junge ist in dem Wald, der von diesen Bestien beherrscht wird!“ „Dann hol ein paar Männer, die dich begleiten. Vielleicht…!“ Ramon lachte hart. „Denkst du wirklich, dass sie uns helfen werden, Rene zu finden?“ Elsa presste die Lippen zusammen und senkte den Blick. Nein. Keiner der Dörfler würde ihnen helfen. Wie als hätte man ihre Kräfte genommen, sanken ihre Arme nach unten und sie wich einen Schritt zurück. Sie schaute zu Boden und unterdrückte ein Schluchzen. Martha und Flora sahen nur zu. In ihren Gesichtern war Angst und Sorge zu sehen. Sie schauten dann hoch zum Wald. Und stießen zugleich einen überraschten Schrei aus. Elsa und Ramon sahen zu beiden, folgten dann ihrem Blick und sie schnappten nach Luft. Rene lief mit großen Schritten den Hang hinunter zu ihnen. Als er die erreicht hatte, fiel ihm Elsa um den Hals. Weinte, lachte. „Was…wo warst du nur?“, brachte sie bebend hervor. Strich über seine Wangen und schien an zu sehen als könne nicht glauben, dass er wirklich vor ihr stand. Rene sagte nichts. Schüttelte den Kopf. Wo er so seine Mutter sah, völlig außer sich vor Angst, war das schlechte Gewissen übermächtig. Flora kam dazu und umarmte ihren Bruder. Martha bekreuzigte sich und stieß ein Dankesgebet gen Himmel. Ramon stand da wie zu Stein erstarrt. Seine Miene war ausdruckslos. Die Hand, mit der er die Fackel hielt, verkrampfte sich sodass die Adern auf dem Handrücken hervortraten. Seine Kiefer knirschten. Rene sah das natürlich, löste sich von seiner Schwester und seine Mutter. „Vater, ich…es tut mir leid. Ich wollte…!“ Doch Ramon schnitt ihm mit einer scharfen Geste das Wort ab. „Darüber reden wir später!“, sagte er finster und ging ins Haus. Elsa, Martha und Flora folgten ihm. Rene blieb noch draußen stehen. Ein Kloss bildete sich in seinem Hals. Sein Vater war mehr als nur wütend auf ihn. Er musste sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht haben. Sie alle. Aber sein Vater… Rene hatte den unguten Verdacht, dass er ihn am liebsten windelweich geprügelt hätte. Egal ob er erwachsen war. Rene schluckte. Schaute nochmal zum Wald, dann ging auch er hinein. Mandariel saß in seinem Gemach, dass in vollständiger Dunkelheit lag. Nur das Feuer im Kamin war die einzige Lichtquelle. Die Flammen warfen flackerndes Licht auf sein Gesicht, das abwesend ins Leere schaute. Die letzten Minuten wiederholten sich immer wieder. Wie ein Traum, der ihn einfach nicht los lassen wollte. Er schloss die Augen und sah Rene vor sich. In seinem Mantel gehüllt. So nahe, dass er seinen Herzschlag zu spüren glaubte. Und dann dieser seltsame Blick mit dem er ihn bedachte. Noch nie hatte er ihn so angesehen. Beinahe wollte er schon darüber lachen. Doch es beschäftigte ihn. Machte ihn nachdenklich. Zog ihn immer tiefer in den Strudel lauter Fragen. Abgesehen davon hatte er noch immer seinen Geruch in der Nase. Ein warmer Duft von brennendem Holz und frisch gebackenem Brot. Ein sonderbares Kribbeln machte sich in seinem Inneren bemerkbar. Breitete sich in seinem Körper aus. Und es wurde stärker je länger er an Rene dachte. An seinen Geruch, seine Nähe. An diesen Blick, der in seinen grünen Augen lag. Und auch wenn er nichts gesagt hatte, wusste Mandariel was er wollte. Zumindest was er sich wünschte. „Küss mich!“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Ausgerechnet er war er, der ihn so angesehen hatte. Er, der immer wieder deutlich gezeigt hatte, wie sehr er ihn verachtete. Er, der ihn täuschen und hintergehen wollte. Der ihn mit einem Eisendolch erstechen wollte. Das alles schien wie ein absurder Traum zu sein. Er hätte darüber spöttisch gelacht. Wäre da nicht diese Stimme, die ihm zu raunte, dass er es glauben sollte. Zulange und zu oft hatte er mit angesehen wie sie sich gegenseitig das Leben schwer machten. Sich offen ins Gesicht anlügen und dem anderen irgendwann früher oder später ein Messer in den Rücken bohrten. Mochte es mit Worten oder mit Taten gewesen sein. Er hatte auch gedacht, dass es mit Rene nicht anders war. Dass er genauso falsch und verbohrt war. Aber je länger er darüber nachdachte, schien er dabei ins Wanken zu geraten. Dass er seine Schwester retten wollte war der beste Beweis. Er erinnerte sich daran wie er ihm zum ersten Mal gegenüber getreten ist. Sah noch einmal die Entschlossenheit seine Schwester zu beschützen in den Augen. Der Junge hat nur so gehandelt wie jeder andere auch um einen geliebten Menschen zu beschützen, dachte er. Er hätte es ebenso getan. Wieso erwartete er also, dass Rene sich anders verhielt? Dass er es einfach so hinnehmen würde, dass seine Schwester geopfert wird? Mandariel schüttelte den Kopf. Über sich und seine Blindheit. Fragte sich dabei ob der Hass und der Zorn ihn wirklich so blind gemacht hat? Es musste so sein denn seine Mutter schien es schon längst gesehen zu haben. Trotz dass man ihr auch Unrecht getan hatte. Aber nun schien auch in ihm eine Wandlung vor zu gehen. Er spürte es deutlich. Tief in seinem Inneren. Es fühlte sich ein Tasten an. Tasten von feingliedrigen Fingern. Strichen über seinen Geist und seine Seele. Ließen beides erbeben wie der Wind die Zweige eines Baumes. Madariel wischte sich über das Gesicht. Wusste nicht, was von seinen Worten und seinen Gedanken halten soll. Konnte es wirklich sein, dass ein Junge aus dem Dorf es vermochte die dicke Eisschicht, die er um sich aufgebaut hatte, zum Schmelzen zu bringen. Verflucht und vertrieben aus Angst und vor Abscheu. Geboren in der kältesten Kälte. Ohne die Liebe kennengelernt zu haben und erfüllt von tiefstem Hass. Einsam und verbittert. Den Glauben an die Güte und Wärme verloren und wissend um das Schlechte, welches in den Menschen wohnt. Kann nur ein anderes Herz das welches zu Eis erstarrt ist und leblos im eisigen Körper steckt, erwärmen und es wieder schlagen lassen. Doch mit dem neu erwachten Herzschlag kommt Leid und Schmerz. Und der Tod! Mandariel versteifte sich als sich diese Prophezeiung wieder durch seine lange fast schon vergessene Erinnerung hervorgrub. Er wusste um die Bedeutung dieser und auch um die Gefahr, die die Erfüllung der Prophezeiung mit sich brachte. Ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken hinunter. Und ein Gefühl, was er schon lange nicht mehr empfunden hatte, ergriff ihn. Angst! Sie lähmte ihn. Zwar für einen kurzen Moment aber dennoch deutlich zu spüren. Beißende Kälte verdrängte das Kribbeln. Mandariels Finger gruben sich tief in die Lehnen seines Sessels. Es kostete einige tiefe Atemzüge ehe die Kälte wieder von ihm abließ Ihre Krallen aus seiner Seele zog und ihn wie ausgezerrt zurück ließ. Zurück blieb ein eisiges Flüsterns, dass ihm zuraunte, sich in Acht zu nehmen. Es sich sehr genau zu überlegen. Und sich zu fragen, ob das richtig sei. Mandariel hatte nie befürchtet, dass die Prophezeiung sich bewahrheiten könnte. In all der Zeit hatte es nie den Hauch eines Verdachts gegeben. Nie hatte es einen Menschen gegeben, der ihm so nahe gekommen war. Rene war der erste und sich der einzige. Eine Tatsache, die nicht zu leugnen war und irgendwie wollte es Mandariel auch nicht. Sein Herz schlug dabei stärker. Hoffnung kam in ihm hoch. Vielleicht hatte seine Mutter Recht. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, den Hass zu begraben? Die Zweifel, die vorher noch da waren, verblassten. Lösten sich auf wie der Nebel im warmen Sonnenschein. An ihrer breitete sich neben der Hoffnung auch Neugier aus. Es lockte ihn ein wenig. Wie das bekannte Spiel mit dem Feuer. Feuer! Des Eises größter Feind. Es wäre eigentlich vernünftiger davon Abstand zu nehmen. Sich weiterhin hinter der Maske der Distanz und Unnahbarkeit zu verstecken. Nur erschien es ihm falsch. Feige! Etwas was Mandariel verächtlich schnauben ließ. Dennoch wog er sorgfältig ab, was er tun oder wie er sich ansonsten verhalten soll. Vermutlich sollte er erstmal weiterhin die Rolle des kühlen Prinzen spielen, der nichts von dem offenbarte, was in ihm vorging. Und dabei beobachten wie Rene sich verhielt. Ja, das wäre das Beste, dachte er. Mal sehen was die Zukunft bringt! Mandariel war nicht der einzige, der grüblerisch vor sich hinschaute. Auch Rene ließ das Treffen nicht los. Es lag zwar nur wenige Augenblicke zurück aber Rene kam es wie eine Ewigkeit vor. Dennoch fühlte es sich so echt an. Dabei fragte sich Rene, was ihn geritten hatte. Wollte er wirklich, dass der Wolfsprinz ihn küsste? Woher dieser Wunsch? Hatte er den Verstand verloren? Sie beide waren Männer! Noch dazu war Mandariel… Rene hielt inne bei seinem inneren Konflikt. Er wollte schon den Satz beenden mit…er ist ein Dämon… Seltsamerweise erschien ihm der Wolfsprinz nicht mehr als Dämon wie zu Anfang. Als habe das Treffen die letzten Vorurteile wegewischt. Die Art wie er ihn angesehen und seine Wange berührt hatte. Kein Dämon würde so etwas tun. Sondern ein Mensch. Da fragte sich Rene wieder was in Mandariel wiederum gefahren war. War das Absicht? Oder war das ebenso etwas Unerwartetes wie Renes Wunsch nach einem Kuss des Wolfsprinzen? Rene kaute auf seiner Unterlippe herum und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Doch es gelang ihm nicht. Mandariel war dermaßen undurchschaubar und voller Widersprüche, dass es Rene nicht möglich war, daraus schlau zu werden. Rene stöhnte auf und rollte sich auf die Seite. Grub das Gesicht ins Kissen. Versuchte nicht mehr daran zu denken. Aber Mandariels Berührung an seiner Wange brannte so heiß wie kaltes Feuer. Eisfeuer! Wie von selbst wanderten seine Finger zu dem Mal, dass unter seiner Haut verborgen war und unter seinen Fingerspitzen zu brennen schien. Rene wollte nicht wissen wie weit es schon vorrangeschritten war. Es zeigte ihm wieviel Zeit ihm noch blieb. Etwas, was er zu ignorieren versuchte. Seufzend schloss er die Augen und sagte sich, dass es besser wäre sich darüber erstmal keine Gedanken zu machen und jetzt zu schlafen. Morgen wäre ein neuer Tag. Ein Tag, an dem er sehen würde was die Zukunft noch bringen würde. „Du willst das Dorf verlassen?“, fragte Flora Jaque als sie sich am nächsten Tag heimlich trafen und er ihr von seinen Plänen erzählt hatte. „Nicht ohne dich!“, verteidigte sich Jaque schnell, was Flora genauso wenig gefiel. Sie sah ihn mehr als skeptisch an. „Wie kommst du darauf?“, hakte sie dann nach. Jaque schaute etwas verlegen drein. „Das war eigentlich nicht meine Idee. Mein Vater wollte das so!“ „Und was soll aus deinem Vater und meiner Familie werden?“ In Floras Stimme war Sorge, Zweifel und Angst zu hören. Der Gedanke, dass sie ihre Familie hier zurückließ und wohl auch nie wieder sehen würde, ließ sie innerlich frösteln. Sie wollte sich nicht ausmalen, was mit ihnen passieren würde. Es reichte schon, dass sie um Renes Schicksal wusste. Jaque schien erstmal selbst zu überlegen. „Sobald der weiße Schleier vorbei und die Straßen frei sind, werden wir uns Richtung Westen aufmachen. Dort hat Vater einige Verwandte, die uns sicher aufnehmen und solange unterstützen bis wie auf eigenen Füßen stehen!“, sprach er beruhigend auf sie ein. Doch die Skepsis in ihren Augen blieb. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das so leicht werden würde. „Und meinen Vater und deine Familie holen wir nach!“ Flora sah ihn nur an. Gerne wollte sie ihm glauben. Die Aussicht aus diesem Dorf zu verschwinden und ein neues Leben mit Jaque zu beginnen war äußerst verlockend und Flora wollte schon nachgeben. Doch da kam ihr eine grausige Erkenntnis, die diese verlockende Aussicht zertrümmerte. „Denkst du wirklich, dass der Wolfsprinz uns gehen lassen wird?“ Diese Frage hatte sich Jaque auch gestellt. Er glaubte kaum daran, dass sie so einfach das Dorf verlassen konnten. Zum einen waren da die Dörfler. Sicher würden sie alles tun um das zu verhindern. Nur warum? Sie können eigentlich nur froh sein, wenn sie verschwinden. Aber wer weiß schon was in deren Köpfen vorging. Er hatte aber schon eine Vorahnung, dass sie, sobald er und Flora im nächstgelegenen Dorf waren, üble Gerüchte durch die fahrenden Händler streuen würden. Haltet Euch vor einem schönen blonden Mädchen und einem jungen Schmied fern. Sie sind verflucht! Diese und noch andere üble Worte gingen ihm durch den Kopf. Wenn er sich so darüber Gedanken machte, schien ihm der Tod durch die Wölfe wesentlich gnädiger. Dennoch wollte er es versuchen. „Wir müssen es einfach wagen!“ „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, herrschte Ramon seinen Sohn an. Ließ nun all seine Enttäuschung und seinen Missmut heraus, die er letzte Nacht noch zurück gehalten hatte. Rene saß auf einem Stuhl am Tisch und schaute wie ein kleiner schuldbewusster Junge auf das Holz der Tischplatte. Das Donnerwetter seines Vaters hätte er am liebsten übersprungen. Aber diesem aus dem Weg zu gehen war auch zwecklos. Da war sein Vater unerbittlich. Und es war immer besser sich diesem sofort aus zu setzen anstatt es hinaus zu zögern. Denn da würde es schlimmer werden. Rene hob die Schultern. Ramon schnaubte. „Sicher nichts!“ Er wandte sich kurz von seinem Sohn ab. Schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin. Dann drehte er sich wieder zu ihm um. „Was wolltest du im Wald? Wolltest du sterben?“7 Rene merkte wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er schüttelte den Kopf. „Was dann?“, hakte Ramon nach und sah ihn nun besorgt an. „Ich wollte mir nur die Beine vertreten!“, sagte er matt. „Und habe dabei die Zeit vergessen!“ Dabei schaute er seinen Vater an. Legte alle Wahrheit darin, die er hatte. Ramon sah seinen Sohn lange und schweigend an. Zweifel war deutlich in seinen dunklen Augen zu sehen. Rene schluckte und wich dann seinem Blick wieder aus. „Tut mir leid!“ Ramon schwieg. Lange. Und endlich und qualvoll lange und Rene fürchtete schon, dass er sich eine besondere Strafe für ihn ausdachte. Da hörte ihn seufzen und zuckte dabei etwas zusammen. Ließ sich dann seinem Sohn gegenüber auf den anderen Stuhl niedersinken und wischte sich das Gesicht. Erschöpfung und auch Erleichterung zeigte sich darauf. Schon gut. Dieses Mal ist nichts passiert. Aber tu das nie wieder. Verstanden!“ Rene nickte. Elsa und Ramon gingen in die Bäckerei um den Teig für neue Brote vor zu bereiten. Rene, Flora und Martha saßen in der Stube und schwiegen. Martha bestickte gerade ein Tuch. Begann dann zu summen, weil sie die Stille nicht mehr ertragen konnte. Doch ihr Gesicht war konzentriert und schaute gelegentlich dabei zu ihren Enkelkindern, die wiederum ins Leere schauten. Sah ihnen an, dass ihnen etwas auf der Seele brannte. Flora schien es jedoch mehr zu belasten. „Was hast du, Flora?“, fragte sie und legte die Stickerei beiseite. Flora schien sie gar nicht gehört zu haben. Dann aber wandte sie sich um und schaute sie an als sie aus einem Traum erwacht. Sie blinzelte etwas und Rene glaubte, dass ihre Augen nass schimmerten. Sind das Tränen? „Jaque will das ich mit ihm fortgehe!“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Renes Augen wurden groß. Martha schien das nicht zu überraschen. Sie nickte. „Und wirst du mit ihm gehen?“ Flora hob die Schultern. „Ich sagte, dass ich es mir nochmal überlegen muss!“, erwiderte sie. „Was gibt es da zu überlegen? Geh mit ihm und werde woanders glücklich! Meinen Segen hast du“, sagte Martha. „Aber was wird aus Euch?“, fragte Flora dann und schaute zu Rene. Dieser erwiderte ihren hilflosen Blick. „Wir werden schon zurechtkommen. Mach dir deswegen keine Sorgen!“ Flora sah sie traurig an. Dann schaute sie wieder zu Rene. Ihr wurde das Herz schwer. Auch Rene hatte bedenken. Und auch wenn er wusste, dass es egoistisch von ihm war: So wollte er nicht, dass sie ging. Aber er musste auch Martha Recht geben. Wo anders hatte sie ein besseres Leben als hier. Das überwog natürlich seinen Wunsch, dass sie Jaques Bitte abschlug und sah sie fest an. Großmutter hat Recht. Mach dir keine Sorgen, versicherte er ihr mit seinen Blicken. Flora presste die Lippen aufeinander. Wenig später saß sie draußen. Rene gesellte sich zu ihr. „Hast du es schon unseren Eltern gesagt?“, fragte er. Flora schüttelte den Kopf. „Ich fürchte mich davor, es ihnen bei zu bringen!“ „Irgendwann musst du es ihnen sagen!“, rief er ihr ins Gewissen. Flora schwieg. „Flora!“, kam es von Rene warnend. „Du wirst es ihnen doch sagen, wenn du gehst?“ „Natürlich sage ich es ihnen. Was denkst du denn von mir?“, schnaubte sie bissig. „Was hast du eigentlich gestern im Wald gemacht?“ Rene stöhnte innerlich auf. Als ob es nicht schon reichte, es seinem Vater zu erklären. Warum ritt Flora nun auch darauf herum? Obwohl Rene eigentlich nicht gewillt war, es ihr zu sagen, tat er es dennoch. Denn sonst würde sie keine Ruhe geben. „Ich weiß auch nicht. Aber es zog mich einfach in diesen Wald!“, erklärte er lahm und blickte dabei auf die Bäume. Raureif überzog diese. Flora runzelte die Stirn. „So wie damals? Als du das erste Mal in den Wald gegangen bist?“ Rene nickte. Anders konnte er es sich nicht erklären. „Hat der Wolfsprinz etwa…?“ „Nein. Ich weiß auch nicht, was mich in diesen Wald gezogen hat. Aber der Wolfsprinz war es nicht!“ Zumindest nicht dieses Mal, dachte er. Flora legte den Kopf an seine Schulter. „Mach das jedenfalls nie wieder, ja?“, bat sie ihn dann mit leiser Stimme. Rene schloss die Augen. Nickte dann wieder. Wobei er sich wie ein Schwindler vorkam. Die Bitte, die der Wolfsprinz an ihn hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Bisher hatte er ihn noch nie um was gebeten. Das war das erste Mal und brachte Rene ins Grübeln. War das ein Versuch seinerseites ihn wiederum kennen zu lernen? Hatte auch seine Mutter ihm ins Gewissen geredet? Rene merkte, wie sich neben der Verwirrung auch Neugier mischte und auch dann überwog. Ein Teil von ihm brannte darauf der Wahrheit auf den Grund zu gehen und konnte es gar nicht erwarten, dass die Sonne bald unterging und er zu ihm zurückging. Dennoch ermahnte er sich zur Vorsicht. Er muss warten bis alle tief und fest schliefen. Wie als wenn die Sonne ihn hinhalten wollte, schien sie kaum unter zu gehen. Rene wurde von einer noch nie erlebten Unruhe ergriffen. Immer wieder schaute er aus dem Fenster und fluchte. Nun geh schon unter, sagte er finster. War dabei erstaunt, dass er so redete. Wieso war er so erpicht, dass er ihn wieder sah? Rene war über sich selbst verwundert. Schob das aber auf die Neugier. Versuchte ruhiger zu werden. Irgendwann ging die Sonne unter und die Nacht senkte sich über das Dorf. Rene gab vor sich wie seine Familie schlafen zu legen. Saß jedoch angezogen im Bett und lauschte angestrengt. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe er keinen Mucks mehr hörte und sich daher sicher sein konnte, dass nun alle schliefen. Um aber nicht doch erwischt zu werden, öffnete er leise die Tür und schlich sich auf Zehenspitzen auf den Flur. Hielt dann immer inne und lauschte sobald er an den Schlafzimmertüren seiner Eltern und seiner Schwester vorbei kam und atmete erleichtert auf, als er hörte, dass sie noch schliefen. Als er unten in der Stube war, schaute er zu seiner Großmutter, die auf dem provisorischen Bett schlief. Erleichtert lief er die letzte Schritte, öffnete die Hintertür und schlüpfte hinaus. Als er draußen war, merkte er wie die Anspannung von ihm abfiel. Ein aufatmen stahl sich von seinem Lippen und er machte sich sogleich auf den Weg. Unnötig zu erwähnen dass Nima auf ihn wartete, ging er mit ihr hinein. Die Wölfin schien aus irgendeinem Grund aufgeregt zu sein. Immer wieder warf sie Rene verstohlene Blicke zu. Er merkte das natürlich und sah sie fragend an. „Ist irgendwas?“, fragte er und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. Nima blieb stehen. Sah ihn lange an und wirkte etwas betreten. „Seit du…letzte Naht da warst…ist der Herr irgendwie seltsam!“, kam es von ihr und er glaubte eine Spur von Sorge zu hören. In Renes Magen machte sich Kälte breit. „In wie fern seltsam?“, fragte er nach. „Nun ja…!“, kam es zögernd von ihr. „Er ist in sich gekehrt und scheint nicht ganz bei sich zu sein!“, erklärte sie. Rene kam ein vager Verdacht. Konnte es wegen seinem Wunsch für einen Kuss liegen? In Rene reifte das Bedürfnis so schnell wie möglich zu ihm zu gehen. Hielt sich aber zurück. „Sicher ist es nichts!“, versuchte er sie zu beruhigen. Ging dann mit ihr weiter. Als sie ihn in den Raum gebracht hatte, der ihm schon vertraut war, verabschiedete sie sich und verließ ihn. Gerne hätte er gewollt, dass sie noch ein wenig bei ihm blieb. Er kam sich seltsamerweise verloren vor. Verloren mit seinen Gedanken, die den Wolfsprinzen betreffen. Die gleichen Fragen stürzten wieder auf ihn ein und ließen ihn nicht mehr los. In diesen versunken saß er da und schaute in die Flammen des Kamins. Es dauerte lange, ehe er wie durch Watte gefiltert hörte, dass sich die Tür öffnete, Schritte erklangen und die Tür sich wieder schloss. Er schaute auf. Mandariel stand da. Verharrte an Ort und Stelle als zögere er sich ihm zu nähern. „Sicher wundert es dich, dass ich dich um dieses Treffen bat?“, kam es dann mit einem schwachen Lächeln. Rene nickte. Sagte nach einigen Atemzügen:„ Nun ja…bisher war es auch Eure Frau Mutter, die darum gebeten hatte!“ Mandariels Lächeln wurde kurz breiter. Setzt sich dann neben ihn. Achtete dabei aber darauf einen armlangen Abstand zwischen sich zu halten. Schweigen legte sich über sie. Und Rene zermürbte dies. Es war die Art vom Schweigen, in der man sich langsam aber sicher unwohl fühlte. In der man das Bedürfnis hatte, dieses durch irgendwas zu durchbrechen. Irgendwann hielt es Rene nicht mehr aus. „Wie meintet Ihr das? Dass Ihr nicht aus mir schlau werdet?“ Mandariel schien noch ganz in seinen eigenen Gedanken gewesen zu sein. Dann aber wandte er sich an ihm. Erneut trafen sich ihre Blicke und Rene glaubte in seinen Augen zu versinken. Er konnte förmlich spüren, wie sie ihn in ihren Bann zogen. Schnell schaute er weg. Denn er wusste, wenn er noch Länge in diese Augen schauen würde, würde er sicher wieder was Dummes tun. Wie nach einem Kuss bitten. Ein Stich durchdrang sein Herz. Was ist daran so dumm, zischte eine Stimme, die er aber schnell wieder zum Schweigen brachte. Mandariel sah ihn aber weiterhin an. Das konnte er spüren. Dann holte er tief Luft. „Nun…auf der einen Seite scheinst du mich wie die anderen zu verachten. Aber manchmal habe ich den Eindruck, als wolltest du hinter der Fassade des Dämons schauen und den Menschen sehen, der sich in diesem verbirgt!“ Rene schwieg. „Wünscht Ihr Euch das nicht?“, fragte er leise und senkte die Augen nieder. Versuchte dabei das Glühen in seinen Wangen zu ignorieren. „Wie kommst du darauf?“ Die Stimme des Wolfsprinzen klang kühl und unbeteiligt. Wieder spürte Rene einen Stich in seiner Brust. „Ich…meine Großmutter sagt, dass niemand von Geburt an böse ist. Erst durch das, was man ihm antut, wird man zu dem…!“ Mandariel ließ diese Worte lange auf sich wirken, dann nickte er. „Eine weiße Frau!“ „Bist du etwa auch dieser Meinung?“, fragte er nun und sah Rene erwartend an. Rene hob die Schultern. „Ein Versuch ist es doch wert!“ „Und was wenn du dich dabei irrst? Wenn ich wirklich das bin, was du zuerst dachtest?“ Nun klang seine Stimme irgendwie lauernd und Rene schauderte. Dennoch nahm er all seinen Mut zusammen. „Dann…dann habe ich es zumindest versucht!“ Mandariel sagte nichts, sondern schaute nur vor sich hin. Dann sah er ihn an. Hatte wieder diesen nicht zu deutenden Blick. Schien in seinem Gesicht lesen zu wollen. Rene merkte wie ihm das Herz bis zum Hals schlug und seine Wangen zu glühen begannen. Und so sehr er sich auch bemühte den Blick ab zu wenden, er konnte es nicht. „Was…warum seht Ihr mich so an?“ „Ich versuche nur dich zu verstehen!“, sagte er und stützte das Gesicht mit der Hand ab. Rene fühlte sich etwas verlegen berührt. Er hatte das Gefühl als ob er in seine Seele blicken wollte. Endlich und nur mit Mühe schaffte er es den Blick von ihm zu lösen. Suchend und in der Hoffnung irgendwie sich ab zu lenken schaute er um sich und entdeckte in einer Ecke einen Tisch mit zwei bequemen Stühlen. Auf dem Tisch lag ein Spielbrett mit geschnitzten Figuren. Rene stand auf und ging darauf zu um es sich mit gespielter Neugier an zu sehen. Trotz dass er ihm den Rücken zugewandt hatte, spürte er die Blicke Mandariels in seinem Rücken. Das Brettspiel erkannte er sofort. Es war ein Schachbrett! Rene betrachtete es eingehend. Die Figuren sowohl die schwarzen und weißen waren mit einer Fertigkeit geschnitzt waren, die er selbst bei den Tischlern und Spielemachern noch nicht gesehen hatte. Er nahm eine von ihnen, den König, auf und sah sie sich genauer an. Jeder Einzelheit war perfekt ausgearbeitet und verlieh der Figur so etwas wie Leben. Rene meinte, dass sie ihm gleich zuzwinkern würde. „Ist dir dieses Spiel vertraut?“, fragte plötzlich der Wolfsprinz, der hinter ihm stand. Rene machte einen Satz zur Seite und sah ihn erschrocken an. Er hatte nicht gehört, wie er hinter ihn getreten war. Sein Kopf war wie leer gefegt, sodass er ihn einfach nur anschaute. Dann nickte er hastig. Er selbst hatte nie gespielt. Aber als sein Großvater noch gelebt hatte, hatte er ihn oft dabei zu geschaut. Mandariel schien kurz zu überlegen. Dann wies er auf den Schachtisch. „Magst du eine mit mir eine Partie spielen?“ Wie durch Watte hörte er seine Frage, nickte wie betäubt. Fragte sich, was mit ihm los war. Fing sich dann aber nach und nach wieder. Dann nahm er Platz. Erstaunt sah er, dass er die weißen Figuren hatte. Mandariel die schwarzen. Demnach hatte Rene den ersten Zug. Ein wenig ratlos und über sich selbst schimpfend weil er eigentlich nichts über dieses Spiel wusste, schaute er auf die Figuren und überlegte welche der Figuren er zuerst auf das Feld schicken sollte. Mandariel sah ihm dabei zu und musste fast schon ein wenig lächeln als er die tiefen Falten auf Renes junger Stirn. Dennoch sagte er nichts. Drängte ihn auch nicht. Sondern beobachtete ihn einfach nur. Rene war sich dessen bewusst und ärgerte sich. Jetzt mach doch endlich, du Idiot, fuhr er sich an. Nahm dann eine der Figuren und stellte sie einfach ohne zu überlegen aufs Feld. Mandariels Brauen hoben sich, dann erwiderte er seinen Zug. Schon bald erkannte Rene, dass er überhaupt keine Ahnung von Schach hatte. Immer wieder nahm Mandariel eine seiner Figuren, sodass er selbst kaum noch welche hatte. Und irgendwann sagte Mandariel:„ Schach Matt!“ Renes Kopf sank ihm auf die Brust. „Das war so klar!“, sagte er bitter. „Es ist wohl etwas her als du gespielt hast!“, kam es von Mandariel ein wenig amüsiert. Rene verzog das Gedicht. „Möchtest du eine Revanche?“ Rene überlegte. Eine Revanche und sich dann noch mal die Blöße geben, fragte er sich. Und obwohl sich sein Stolz sträubte, stimmte er zu. Dieses Mal achtete er darauf, nicht wieder den gleichen Fehler zu machen. Und so dauerte es etwas länger ehe Mandariel auch diese Partie gewann. Mit einem geheimnisvollen Lächeln lehnte er sich zurück. „Dieses Mal warst du vorsichtiger!“, bemerkte er dann anerkennend. „Ich wollte eben nicht die gleichen Fehler machen!“, gab Rene kleinlaut zu. „Sehr klug. Aber manche Fehler kann man nur einmal machen!“, sagte Mandariel trocken. Rene sah sofort den Wolf, der ihn zu Boden gerissen hatte und ihm die Kehle durchbeißen wollte. Noch jetzt spürte er den heißen Atem des Tieres und sah die kalte Entschlossenheit in seinen Augen. Unwillkürlich glitten seine Finger zu seiner Kehle und er schluckte. Mandariel sah was Rene gerade durch den Kopf ging. „Habt…Habt Ihr schon mal einen Fehler begangen?“, fragte Rene dann erstickt. „Nein!“, kam es prompt von Mandariel und Rene sah wie vor dem Kopf gestoßen an. „Bisher war noch nicht der Fall eingetreten, indem mich hinreißen ließ und einen Fehler beging!“, erklärte er dann sachlich. Rene presste die Lippen aufeinander. Kurz spürte er einen Anflug von Ärger in sich hochkommen. Kein Mensch war perfekt. Jeder machte mal den einen oder anderen Fehler. „Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr immer wisst, was Ihr tut?“, fragte er dann nach einer Weile. Mandariel holte tief Luft. „Das muss ich. Denn wenn ich mich zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lassen würde, würde ich damit mein Rudel in Gefahr bringen!“ Das leuchtete Rene ein. Dennoch war es für ihn irgendwie befremdlich, dass Mandariel fehlerlos sein sollte. Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf gehen. „Aber dennoch seid Ihr ein Mensch…!“, sagte er hohl. Mandariels Mundwinkel zuckten kurz nach oben. „Ja…aber…das heißt nicht, dass ich einen Freibrief habe um Fehler zu machen!“ Etwas melancholisches war in seiner Stimme zu hören und Rene verspürte es auch. Es ließ sein Herz schwer werden. Ihm ging es durch den Kopf, dass der Wolfsprinz gefangen war. Gefangen in seiner Pflicht als Herr und auch Beschützer der Wölfe. Er erinnerte sich was Nima gesagt hatte, wie die Wölfe erschaffen wurden. Aus Eis und Wind werden sie geformt. Mit einem eigenen Bewusstsein und einem freien Willen. Und dennoch mit einander verbunden. Wie eine Familie! Und er war das Oberhaupt. War es daher verwunderlich, dass er sich so verhielt. Dabei fragte sich Rene, ob er sich jemals verliebt hatte. Oder zumindest für jemanden geschwärmt hatte. Rene konnte sich nicht vorstellen, dass dem nicht so war. „Und wie würdet Ihr es nennen, wenn Ihr Euch verliebt?“, hörte er sich auf einmal selbst fragen und merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Mandariel blinzelte etwas erstaunt, dann aber umspielte ein geheimnisvolles Lächeln seine Lippen. „Bis jetzt ist mir noch nicht die Person begegnet, in die ich mich verlieben könnte!“, war seine Antwort. Diese Worte brachten in Rene etwas zum Klingen. Unbewusst stieg so etwas wie Hoffnung in ihm hoch. Doch er unterdrückte sie schnell wieder, kaum dass sie da war. Fragte sich dabei was und warum diese Hoffnung heraufbeschworen wurde. Dennoch blieb ein Echo davon. Ein wenig nervös und verlegen rutschte er auf dem Stuhl herum. „Wie müsste diese Person sein? In die Ihr Euch verlieben könntet?“ „Darum habe ich mir noch keine Gedanken gemacht!“, gab Mandariel zu. Seine Antwort hatten etwas ernüchterndes. Und Rene glaubte ihm. Wie einsam muss er sich in Wahrheit fühlen, schoss es ihm durch den Kopf. „Das ist auch nicht weiter wichtig. Ich bezweifle sehr, dass ich diese Person jemals treffen werde. Von dem Männer werde ich gehasst und von den Frauen gefürchtet!“ Ein Schatten legte sich über Mandariels Gesicht. Sein Blick ging ins Leere, als er suche nach etwas, was er niemals finden wird. Gerne wollte ihm Rene wiedersprechen, doch seine Zunge schien an seinem Gaumen zu kleben, sodass kein Laut aus ihm kam. Außerdem wusste er, dass Mandariel die Wahrheit sagte. Außer den Wölfen und seiner Mutter, schien er wirklich von niemandem geliebt zu werden. „Und das macht Euch nichts aus?“, fragte er mit brüchiger Stimme. Im hintersten Teil seines Verstandes hörte er seine Vernunft ihn fragen, wieso er auf einmal sowas aussprach oder darüber nachdachte. Rene wusste es selbst nicht. Versuchte aber auch nicht länger darüber nach zu denken. Redete sich ein, dass es wohl an Mitleid liegen mochte. Mitleid? Wieso bemitleidete er ihn? Rene begriff einfach nicht. Mandariel, ebenso erstaunt über seine Worte, schloss kurz seine Augen, seufzte und stand dann auf. Er umrundete den Tisch und stellte sich neben Rene. „Gib mir deine Hand!“, sagte er. Rene zögerte kurz, doch dann gab er sie ihm. Und zu seiner Überraschung, schob er sie unter sein Hemd und drückte sie auf seine nackte Brust. Rene sog scharf die Luft ein als seine Finger die kalte glatte Haut berührten. Sein Herz setzte einen Schlag aus und raste dann umso mehr. Mandariel beobachtete ihn sehr genau. Sah das Staunen in seinen Augen und musste fast lächeln. Er verhält sich wie eine Jungfrau, dachte er und schob dann Renes Hand dann zu der Stellte, wo sein Herz saß. Mandariel merkte dabei, wie sich dort eine Gänsehaut bildete, wo er Rene Hand entlang führte. Und sich dann ausbreitete als sie über seinem Herzen verharrte. Mandariel war erstaunt, wie weich sich Renes Hände anfühlten. Für einen kurzen aber dennoch intensiven Moment ließ er diese Berührung auf sich wirken, kostete sie aus. Dann aber sagte er sich, ruhig zu bleiben und sich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen. „Was fühlst du?“, fragte er mit dumpfer Stimme. Rene blinzelte und sah ihn an als würde er seine Worte nicht verstehen. Dann aber hob er die Schultern. „Nichts!“, sagte er. „Was sollte ich denn fühlen?“ Mandariel schnaubte, ließ dann Renes Hand los und sie fiel schlaff hinunter. „Genau das. Nichts!“, sagte er dann finster. Trat dann einen Schritt zurück und sah ihn kalt an. „Du musst wissen, dass mein Herz schon lange zu Eis erstarrte. Es schlägt zwar, aber…es ist dennoch aus Eis. Und es gibt nichts, was dieses Eis zum zerschmelzen bringen würde!“ Rene lief es kalt den Rücken hinunter. „Ist es zu Eis erstarrt als man Euren Vater ermordete?“ Eigentlich hatte er nicht diese Frage stellen wollten, aber sie war ihm einfach herausgerutscht. Das nahende Unheil, was nun spürbar in der Luft hing, schien ihm die Lungen zusammen zu pressen. Instinktiv machte er sich darauf gefasst von Mandariels wütenden Worten überrollt zu werden. Er konnte sich gut vorstellen, dass es eine ziemlich persönliche Sache war. Etwas worüber er nicht gerne sprechen oder gar erinnert werden wollte. Mandariels Kiefermuskeln zuckten und kurz wurde sein Blick finster. Dann ließ er seine Hand los. „Ich glaube, du kennst die Antwort!“, sagte er. Sah hinaus aus dem Fenster. „Du solltest gehen. Die Sonne geht bald auf!“ Seine Worte waren so nüchtern und ohne irgendein Gefühl, dass es Rene einen Stich gab. Dennoch wiedersprach er nicht und stand auf. Noch immer meinte Mandariel die Hand Renes auf seiner Brust zu spüren. Und es kostete ihn einiges an Kraft um sein Herz nicht wie wild galoppieren zu lassen. Sein Vorsatz, erstmal sich zurück zu halten und das Ganze als eine Art Experiment zu sehen, schien wie in weiter Ferne gerückt zu sein. Und er fragte sich, was er da getan hatte. Wieso hatte er ihn berühren lassen? Was erhoffte er sich davon? War es die Neugier auf Renes Reaktion? Oder der insgeheime kindische Wunsch, dass Rene es vermochte sein Herz doch noch irgendwie zum Schlagen zu bringen? Mit einer einfachen Berührung seiner Hand? Kurz legte sich ein spöttisches Lächeln über seine Lippen. Doch das verschwand wieder und er schaute nachdenklich drein. Geistesabwesend legte er seine Hand an die Stelle, wo Renes Hand ihn berührt hatte. Unter seinen Fingerkuppen meinte er ein Prickeln zu spüren. Und es lief ihm den Rücken hinunter. Scharf sog er die Luft ein und schloss die Augen. Ließ sich in den Stuhl zusammensinken und strich dann mit der Hand weiter über seine Brust. Stellte sich vor, dass es Rene wäre. Sah ihn förmlich vor sich, wie er ihn anblickte. Mit diesem verlegenen Ausdruck in den Augen. Ein wohliges Schaudern kroch seinem Rücken hinunter und ließ ihn zittern. Fragte sich erneut wie es ein einfacher Junge aus dem Dorf schaffen konnte, ihn so zu beeinflussen. Es war als würde Rene irgendwie die harte Schale, die er um sich aufgebaut hatte, zum Brechen bringen. „Mir gefällt nicht, wie die Dinge sich entwickeln!“, hörte er eine ihm vertraute Stimme und lächelte bitter. Ardou stand neben ihm und sah Mandariel mit einer Mischung aus Sorge und Missfallen an. „Mir auch nicht, alter Freund!“ „Wieso dann treibt Ihr weiterhin dieses Spiel? Anstatt diesen Jungen zu töten?“ „Vielleicht weil es mich irgendwie reizt, mir selbst was vor zu machen!“, kam es von Mandariel und klang müde. Das war er auch. Er war es müde, mit Ardou immer wieder über dieses eine leidige Thema zu diskutieren. Ardou schnaubte abfällig. „Weil es Euch reizt!“, grollte er vor sich hin. Setzte sich dann an den Tisch, auf dem noch die Schachfiguren standen und schaute mit einem finsteren Blick auf diese. Schüttelte dann den Kopf. „Wisst Ihr eigentlich, dass Ihr meine Aufgabe mit dieser Unvernunft alles andere als leicht macht!“, sagte er dann. „Mich ständig zu bemuttern und mir auf die Nerven zu gehen, nennst du eine Aufgabe?“, fragte Mandariel und verzog dabei die Lippen zu einem schiefen Lächeln. Ardou schnaubte erneut und verdrehte die Augen. „Ihr wisst ganz genau, was meine Aufgabe ist!“ Mandariel seufzte. „Ja. Das weiß ich. Aber ich frage mich, ob du es nicht ein wenig übertreibst!“, sagte er dann. „Mein Leben zu schützen, ist eine Sache. Aber so zu tun als sei ich noch grün hinter den Ohren, ist wirklich lächerlich!“ „Das ist es nicht!“, rief Ardou nun und wischte mit seiner Hand die Figuren vom Tisch hinunter. Die Ruhe und die Gleichgültigkeit seines Herren machte ihn rasend. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diesem Jungen sofort die Kehle durchgebissen. Einzig der Befehl seines Herrn und die Loyalität, die er ihm gegenüber zollte, hielten ihn davon ab. Aber Ardou verlor langsam die Geduld. „Denkt Ihr wirklich, dass ich zusehen werde, wie Ihr in Euer Verderben lauft. Nur wegen einem nichtsnutzigen Dorfjungen!“ Mandariel sah ihn nur an, dann erhob er sich. Sah Ardou an. Ruhig und mit festem Blick. Er empfand weder Ärger noch Empörung über den Ausbruch seines Untergegebenen. Denn trotz seiner ungehaltenen Worten und dem Ton, den er ihm gegenüber anschlug, sah Mandariel, was wirklich dahinter steckte. Und als er ihn noch genauer anschaute sah er den Schmerz und die Wut in den Augen Ardous. Wut über sich selbst. Wie brüderlich legte er die Hand auf Ardous Schulter und sah ihn ernst an. „Das verlange ich nicht von dir. Aber ich verlange auch nicht, dass du dich mit deiner Aufgabe bestrafst. Oder vielmehr mit dem, an dem du glaubst Schuld zu sein!“, sagte er. Ardou presste die Lippen aufeinander, sodass sie zu einem schmalen Strich wurden. „Das hat damit nichts zu tun!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Ich denke schon. Hör endlich auf, grundlos dir die Schuld an dem zu geben, was so lange zurück liegt!“ Mandariels Stimme hatte nun einen weichen, bittenden Ton angenommen. „Ich kann es mir nicht länger mit ansehen, Bruder!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)