Der Wolfsprinz von Mad-Dental-Nurse (Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt) ================================================================================ Kapitel 18: Neuanfang --------------------- Rene erwachte und wusste nicht ob er geträumt oder das wirklich erlebt hatte. Es schien so surreal, dass er zuerst wirklich dachte, dass das wieder einer seiner Träume war. Mandariel war in diesem Moment so anders. Zeigte Trauer und auch Frieden. Und er hatte sich bei ihm bedankt! Bedankt, weil er ihm das Fell seines Vaters gebracht hatte und ihm damit die letzte Ruhe geschenkt. Ihnen beiden. Renes Hals wurde trocken und spielte das erlebte immer wieder in seinen Gedanken ab. Dabei fragte er sich, wie er überhaupt hier her gekommen war. Das letzte, an das er sich erinnern konnte, wie Mandariel ihm seinen Dank zu geraunt hatte. Danach lag alles in einem dichten undurchdringlichen Grau. War er überhaupt dort gewesen? Hatte er sich das alles nur eingebildet? Nein! Er wusste noch ganz genau, dass er mit Nima in das Rathaus eingebrochen war, um das Fell zu holen. Nur was danach passiert war… Es wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Es schien so als wolle sein Verstand es nur schwer oder überhaupt nicht zulassen. Dabei schien es seinem Herzen umso leichter zu fallen. Es jubelte und freute sich förmlich darüber, dass Mandariel einen Schritt auf ihm zu gemacht hatte, nachdem Rene zuvor den ersten Schritt gemacht hatte. Wenn er so weitermachte…? Wäre es möglich das…? Ein aufgeregtes Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Murrend erhob sich Rene und kletterte aus dem Bett. „Rene…steh auf schnell!“, hörte er von der anderen Seite die Stimme seiner Schwester. Es klang dringend. Sofort war Rene alarmiert und er öffnete die Tür. „Was ist?“ Flora sagte nichts, griff ihn nur an die Hand und zog ihn mit sich. Sie stiegen die Stufen hinunter und hörte schon von weitem aufgebrachte Stimmen. Doch statt zu ihren Eltern zu gehen, blieb sie in der Diele stehen und lauschten. „Wir wissen, dass Ihr dahinter steckt!“ „Könnt Ihr das beweisen?“ „Das brauchen wir nicht. Alles spricht dafür. Immerhin steckt Ihr mit diesem Monster unter einer Decke!“ „Vielleicht wart Ihr das auch selbst, um uns wieder eins rein zu würgen?“, erwiderte ihr Vater schroff. Darauf herrschte Schweigen und Renes Magen drehte sich um. Er wusste, dass sie dahinter und auf ihn kommen würden. Doch nicht so schnell. Insgeheim hatte er sogar gehofft, dass sie sich gegen seitig verdächtigen würden, nur damit sie mit dem Finger auf sie zeigen und ihren Kopf aus der Schlinge ziehen konnten. Nun aber musste er einsehen, was für ein Narr er war. Niemals würden sie so weit gehen. Und seien sie noch so erpicht darauf, ihnen das Leben schwer zu machen. Was hätten sie davon? Da war es doch das einfachste gleich auf ihn los zu gehen. „Wir haben langsam genug von Euch. Denkt bloß nicht, dass wir Euch alles durchgehen lassen. Irgendwann werdet Ihr dafür zahlen!“ Renes Vater lachte schroff. Knallte die Tür zu. Dann war es still. Flora und Rene sahen sich an. Rene versuchte so ruhig wie möglich zu sein, dabei raste sein Herz so sehr, dass er fürchtete, man könnte es hören. Ahnte sie etwas? Wusste sie, dass er dahinter steckte? Ach, Unsinn, dachte er trotzig. Woher sollte sie das wissen. Sicher dachte sie auch, dass die anderen dahinter steckten. Verwarf diese Hoffnung jedoch schnell wieder. Flora war nicht dumm geschweige denn naiv. Es wäre besser wenn er sie jetzt gleich ins Vertrauen zog. „Meinst du, die stecken dahinter?“, hörten sie dann die Stimme ihrer Mutter leise. Ramon schwieg aber das sagte schon viel. Rene und Flora fassten sich an den Händen. „Ich weiß es nicht. Zutrauen würde ich es Ihnen“, knurrte er dann. „Und da wir unter dem Schutz des Wolfsprinzen stehen, ist es natürlich das naheliegende, das wir es waren!“ „Das alles gerät außer Kontrolle!“, sagte Elsa mit bebender Stimme. „Jetzt beruhig dich, Kind. Solange sie uns nichts beweisen können, können die uns gar nichts!“, sagte nun Martha. „Kein Gericht der Welt wird etwas anderes behaupten!“ Kaum hatte sie das gesagt, merkte sie selbst wie falsch sie damit lag. Sie waren hier in einem kleinen Dorf, weit abseits jeglicher menschlicher Zivilisation und hier hatte der, der das meiste Geld hatte, alles Recht der Welt. Das zog den Bürgermeister und den Richter insbesondere mit ein. Keiner der Dörfler hatte zwar genug Geld, um sie zu bestechen. Aber sie brauchten nur genug Druck zu machen, dann würden sie etwas unternehmen. Dass sie momentan unter dem Schutz von Mandariel standen, war das einzige, was diese Hyänen davon abhielt, sich auf sie zu stürzen. Rene schluckte als sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete. „Ich kann es kaum erwarten, von hier zu verschwinden!“, kam es Flora zwischen den Zähnen als sie mit Jaque hinter dem Haus saßen und seine Hände ergriffen hatte. „Vor einigen Tagen hast du noch ganz anders geklungen. Da hättest du alles gegeben, um deinen Eltern nichts von unsere Flucht zu erzählen!“, sagte Jaque und versuchte dabei zu lächeln. Aber nachdem ihm Flora von dem Raub des Wolfsfelles und die Reaktion der Dörfler darauf erzählt hatte, war ihm jeglicher Humor vergangen. „Ich habe es mir anders überlegt!“, gab sie gepresst zurück. „Wie…wie soll das alles überhaupt gehen?“ „Vater hat einen Freund, der ihm noch einen Gefallen schuldet. Der wird uns raus bringen, sobald der Schnee geschmolzen ist“, erklärte er. „Wird er uns nicht…verraten?“ Flora verschluckte sich fast an ihrer Frage und sie konnte ein Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Jaque schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Vater vertraut ihm und ich vertraue meinem Vater. Sollte dieser es dennoch tun, ziehe ich ihm meinen Hammer über den Schädel!“ Flora musste nun doch etwas lächeln. Es war ein halbherziges und schwaches Lächeln. Ein flackerndes Licht in dieser Dunkelheit, die sich in ihrem Leben ausgebreitet hatte. „Lass uns hoffen, dass das nicht nötig sein wird!“ Seit dem Rene Mandariel das Fell des toten Vaters gebracht hatte, vergingen Tage und Nächte, ohne dass Rene Besuch bekam. Weder von Nima noch ihrem Bruder. Geschweige denn das Mandariel ihn in seinen Gedanken zu sich rief. Oder ihn in seinen Träumen heimsuchte. Es war absurd, aber so etwas wie Enttäuschung und Kummer erfasste ihn und ließ ihn kaum Schlaf finden. Er vermisste es irgendwie. Das Treffen mit Mandariel. Ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Trotz dass er nicht immer seiner Meinung war. Er hatte sich dennoch daran gewöhnt und er misste es nun. Fragte und fürchtete sich sogar, dass er nun nie wieder sehen wollte. Auch wenn er nicht wusste, was der Grund dafür sein sollte. An einem dieser Tage saß er auf der Bank hinter dem Haus und schaute sehnsüchtig zum Wald. Hoffte insgeheim darauf, dass die Gestalt eines Wolfes auftauchen würde. Nima oder ihr Bruder. Einer von beiden, die ihn dann zu ihrem Herren brachten. Um ihn wieder zu sehen. Doch nichts dergleichen passierte. Und Renes Laune sank immer mehr. Als es schon später Nachmittag war, stieß er ein Schnauben aus und ging dann hinein. Ärgerte sich schließlich darüber, dass der Wolfsprinz ihn so zappeln und im Ungewissen ließ. Was war nur sein Problem? Wenn er ihm doch irgendwie zu nahe getreten war, sollte er es ihm sagen. Immerhin hielt er sonst nicht so lange mit der Wahrheit hinterm Berg. Zumindest was seine Meinung anderem gegenüber anging. Aber vielleicht musste er das selbst erst verdauen. Schließlich war das der Grund für all den Hass, der ihn dazu gebracht hatte, solch einen grausamen Preis zu fordern. Dass er nun keinen Grund mehr dazu hatte und Frieden damit schließen konnte, schien ihn erstmal aus der Bahn geworfen zu haben. Ihn dazu zu bringen, darüber nach zu denken und sich zu fragen, wie es weitergehen würde. Wie die Zukunft aussah. Rene hoffte ein wenig, dass er nun diesem Handel ablassen würde. Da dieser nun keine Rechtfertigung mehr hatte. Zwar hatten die Dörfler sich nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt, keine Gelegenheit ausgelassen, ihnen Steine in den Weg zu werfen. Aber er sagte sich auch wieder, dass die kommende Generation nichts damit zu tun hatte. Dass sie unschuldig war. Und so sehr er es sich auch wünschte, musste er sich eingestehen, dass er keinen Einfluss hatte. Dass es ganz allein an Mandariel lag. Er hatte sich redlich bemüht sich nichts anmerken zu lassen. Aber selbst wenn man es ihm angesehen hätte, so schien es keinem auf gefallen zu sein. Seine Eltern und Flora waren damit beschäftigt, die Hochzeit aus zu richten. Schmiedeten dabei auch Pläne, wie sie es am besten anstellen konnten, ohne Aufsehen zu erregen. Vielleicht, so überlegte sein Vater, sollten sie den Pfarrer ins Haus holen lassen, damit er hier die Messe abhalten konnte. Martha war dagegen. „Wenn schon Hochzeit, dann richtig und in einer Kirche. Sollen diese Esel doch vor Wut platzen!“ Elsa sagte nichts. Sondern nähte fieberhaft an dem Kleid, welches Flora getragen hatte, als… Sie hatte Flora gefragt, warum sie bloß dieses Kleid haben wollte. Flora hatte mit einem schwachen Lächeln gesagt, dass es doch eine Schande wäre. Immerhin hatte ihre Mutter sich so viel Mühe gegeben und es sollte nicht daran scheitern, nur weil sie es zu ihrer Opferung getragen hatte. „Ich kann dir doch ein neues nähen!“, hatte Elsa vorgeschlagen. Flora winkte nur ab. „Von welchem Händler könntest du Stoff bekommen? Keiner würde weder dir noch einem anderen von unserer Familie was verkaufen. Für sie sind wir Ausgestoßene. Außerdem…sehe ich in diesem Kleid nicht das, was eigentlich sein sollte!“, sagte Flora und schaute dabei auf das Kleid. Mit sonorer Stimme erklärte sie:„ Wenn ich dieses Kleid trug, an der Nacht, in der ich sterben sollte, sehe ich darin einen Neuanfang. Schließlich hat mich Rene doch gerettet und daran möchte ich denken, wenn ich dieses Kleid trage. Daran, dass Rene sein Leben für mich hergeben wollte!“ Elsa war den Tränen nahe und kämpfte dagegen an, in einen Weinkrampf zu versinken. In den letzten Tagen war sie nur noch ein Schatten ihres Selbst. Das alles wuchs ihr immer mehr über den Kopf und auch wenn sie sich bemühte, dass alles irgendwie durch zu halten, Flora zu liebe und sich auch darüber freute, dass Jaque sich auf ihre Seite gestellt hatte, fühlte sie sich dennoch wie unter einer schweren Last. Es kam nicht selten vor, dass Ramon seine Frau des Nachts weinend im Bett hörte und alle Mühe hatte sie zu trösten. „Bald ist alles vorbei und wir können dieses verdammte Dorf verlassen!“, sprach er auf sie beruhigend ein. „Versuche noch etwas Geduld zu haben. Sei stark, Elsa. Für Flora!“ Ramon schloss Elsa in die Arme und drückte sie fest an sich. „Wieso nur? Wieso tun Sie uns das nur an?“, wimmerte Elsa. „Wir haben Ihnen doch nichts getan!“ „Ich weiß. Und ich verstehe es selber nicht. Aber was auch geschieht, wir dürfen uns von ihnen nicht kleinkriegen lassen!“ Auch Martha riet ihr das in einem ernsten Gespräch. „Es ist ja nicht so, dass das alles an mir spurlos vorbei geht, aber zu weinen und zu jammern, bringt nichts. Das wollen diese Dummköpfe doch nur!“, sagte Martha. „Aber es…das ist alles einfach so…!“, begann Elsa und machte eine hilflose Geste. „Es kommt mir so vor, als wenn sich alles gegen uns stellt!“ Martha tätschelte ihr tröstend den Rücken. „Denk nicht weiter an diese Schikanen. Sondern freu dich lieber. Deine Tochter heiratet. Sie heiratet einen Mann, den sie liebt und der sie liebt!“, riet ihr Martha. „Wie hätte sie es besser treffen können?“ „Lass die anderen doch reden und weiter ihr Gift verspritzen. Irgendwann werden Sie sich daran selbst verschlucken!“ Elsa sah ihre Mutter nur an, dann nickte. Wischte sich die Tränen weg. „Du hast Recht, Mutter!“, flüsterte sie. „Sicher habe ich das!“, sagte Martha mit gestählter Brust. Rene beobachtete das von der Treppe aus. Und wieder kehrten seine Gedanken zu Mandariel zurück. Fragte sich, wie es ihm ging und was er gerade machte. Ob er sich wieder gefasst hatte? Wann würde er ihn wieder zu sich rufen? Rene hatte das Warten satt. Wenn er hier weiterhin rumhockte und darüber grübelte, würde er es niemals erfahren. Und auch wenn es ziemlich riskant war, nahm er sich vor, die Sache nun selbst in die Hand zu nehmen. Heute Abend, so schwor er sich, würde er auf eigene Faust zu ihm gehen. Nima hätte nicht überraschter sein können, als sie Rene vor der Felsenwand stehen sah. „Was machst du denn hier?“, fragte sie, freute sich aber dennoch ihn wieder zu sehen. „Ich muss mit deinem Herren sprechen!“, kam es atemlos von ihm. Kaum dass er sich sicher war, dass ihn keiner hören würde, hatte er sich aus dem Haus geschlichen. Und ohne noch einen Augenblick zu verschwenden, lief er los. Dabei lief im straffen Laufschritt durch den Schnee. Konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen. Nun stand er vor Nima. Nima blinzelte etwas und verstand erst nicht. Dann aber machte sie ein erstauntes Gesicht und sagte immer noch ein wenig verwirrt:„ Na-Natürlich! Komm mit!“ „Geht es dir wieder einigermaßen gut. Gestern warst du so…es muss dich tief ins Mark getroffen haben…ihn so zu sehen?“, kam es zögernd von ihm, während sie die Gänge schritten. Er wusste, dass er damit einen schmerzlichen Punkt traf, aber das Schweigen war einfach unerträglich. Nimas Gesicht verzog sich vor Schmerz. Nickte dann langsam. „Ja…es...!“, sagte sie mit brüchiger Stimme und kämpfte gegen die neuen Tränen an. Holte dann tief Luft und versuchte ruhig zu klingen. Doch Rene hörte deutlich ein Grollen in ihrer Stimme. „Ich muss zugeben, für einen Moment hätte ich die Beherrschung verloren und hätte jeden einzelnen zerfleischt!“ Rene lächelte bitter. Er selbst hatte auch dergleichen Gedanken gehegt. „Dass er jetzt aber wieder bei uns ist…!“, sprach sie dann weiter und klang nun erleichtert. „Auch wenn du es dir nur schwer vorstellen kannst, aber wir alle sind dir dankbar!“ Kurioserweise fiel es Rene nicht schwer sich das vor zustellen. Er sah es deutlich vor seinem inneren Auge. Und spürte dabei, wie stark das emotionale Band sein muss, das sie miteinander als Familie verband. „Und was ist mit Manda…deinem Herrn?“ Rene hatte noch rechtzeitig gemerkt, dass er beinahe Mandariels Namen ausgesprochen hatte und biss sich sogleich auf die Zunge. Hoffte dabei, dass Nima es nicht gehört hatte. „Dem Herrn hast du damit einen großen Gefallen getan. Von uns allen ist er am meisten glücklich darüber, dass sein Vater nun in Frieden ruhen kann!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Er war glücklich und ließ sich deswegen nichts von sich hören? Nun ja, jeder hatte seine eigene Art erleichtert und glücklich zu sein. Aber dennoch ließ es in Rene innerlich alles zu Eis werden. Statt weiter darüber nach zu denken, redete er sich nun ein, dass vielleicht alles wieder gut wird. Dass das nicht umsonst war. Immerhin hatte er sich bei ihm bedankt und das ließ doch hoffen. Als sie dann vor der Pforte standen, hinter der sich die Gemächer Mandariels befanden, kam es Rene so vor, als wäre diese nun ein Hindernis, dass es zu überwinden galt. Nima stand einige Schritte hinter ihm. Sie wollte ihn zwar nicht alleine lassen, hielt es aber für unangebracht neben ihm zu stehen und womöglich ihn zu verunsichern. Er war ohne hin schon nervös. Sie konnte es ihm deutlich ansehen. Und sie fragte sich auch, was sich ihr Herr nur dabei gedacht hatte. Warf ihm heimlich vor, dass es nicht richtig war, ihn so im Ungewissen zu lassen und hoffte inständig, dass er das auch einsehen würde. Rene stand nun da und wusste nicht, wie es weitergehen würde. Dabei war es eigentlich ganz einfach. Er brauchte einfach nur die Hand heben und anklopfen. Wieso also zögerte er? Nun mach schon, du Feigling, schimpfte er sich selbst. Du wolltest ihn doch zu ihm, also hab dich nicht so, klopf an und rede mit ihm! Aber so sehr Rene es auch versuchte, er konnte sich einfach nicht überwinden. Zumal was sollte er ihm sagen? Jetzt, wo er hier stand, und nur noch wenige Schritte nötig waren, wusste er nicht was er sagen sollte. Zuvor hatte er sich noch mürbe gemacht, weil er nichts mehr von Mandariel gehört hatte und sich gefragt, was mit ihm sei. Doch jetzt war sein Kopf wie leergefegt. Nach einigen Augenblicken gab es Rene auf. Mit einem niedergeschlagenen Seufzen, lehnte er die Stirn an das polierte Eis. Es brannte sich wie Feuer in seine Haut und lähmte seine Gedanken. Und unter dieser Eischicht in seinem Geist, spürte er deutlich, wie etwas dagegen pochte. Er schloss die Augen. Versuchte zu verstehen, woher und wieder dieses Pochen kam. Und je länger er darauf lauschte, wurde ihm bewusst, dass es sein Herz war, welches so schnell klopfte. In seinem Takt meinte er deutlich zuhören, was ihm sagen wollte. „Steh nicht so rum. Sondern sag, was du zu sagen hast!“ Rene zögerte, wobei er dem Befehl seines Herzens Folge leisten wollte. Aber wie und was sollte er sagen? Würde er ihn überhaupt hören? Rene öffnete den Mund, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Dabei war es doch so einfach. Er musste doch einfach nur das sagen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Frei von Skepsis und Sorge, wie es klingen würde und ob seinen Worten Gehör geschenkt wird. In seinem Kopf fiel es ihm allerdings leichter, das aus zu sprechen, was ihm auf der Seele lag. Und umso mehr kostete es ihm Kraft, diese dann über seine Lippen zu bringen. „Wolfsprinz…Mandariel…Ich…Ich hoffe, es geht Euch gut!“ Leise, sehr leise sprach er diese Worte aus. Hielt dabei immer noch die Augen geschlossen und stellte sich vor, wie er mit ihm in der Gruft seines Vaters stand und sah, wie er das Fell auf den Sarkophag legte. Sein Mund fühlte sich auf einmal trocken an und er musste schlucken, ehe er weitersprechen konnte. „Ich…bitte…wenn Ihr mich hört…Lasst mich nicht im Ungewissen. Ich mache mir Sorgen um Euch und will wissen, wieso Ihr mich nun nicht mehr um Euch haben wollt!“ In ihm war ein kleiner Teil seines Selbst, der Ihn nun dafür schelte, egoistisch zu sein. Doch das war Rene egal. Es war die Wahrheit. Auch wenn er ihm Zeit geben wollte, sich wieder zu fassen, wollte er ihn dennoch wieder sehen. Warum war Rene eigentlich nicht weiter wichtig. Etwas tief in ihm sehnte sich wieder danach den Wolfsprinzen wieder zu sehen. Mit ihm zu sprechen und zu streiten. Rene hoffte, dass Mandariel ihn erhören würde. Trotz dass er leise sprach. Aber vielleicht hörte er ihn ja. Wünschte sich, dass sich gleich die Türe öffnen würde und sie sich gegenüber standen. Doch nichts passierte. Die Tür blieb geschlossen. Nach einer Weile, musste Rene schweren Herzens einsehen, dass er noch ewig dort stehen bleiben konnte und es würde sich nichts tun. Mit einem schweren Seufzen, öffnete er die Augen, trat von der Tür zurück und sah sie an, als wäre sie ein Monster, das ihn besiegt hatte. Nima trat neben ihn und legte ihm tröstend die Hand auf seine Schulter. Sie ihm deutlich angesehen, was in ihm vorging, wie sehr er mit sich gekämpft hatte und dass er nun niedergeschlagen war. „Komm…ich bin sicher, dass die Herrin sich freuen wird, dich zu sehen!“, sagte sie sanft und zog ihn von der Tür weg. Rene folgte ihr ohne Einwände und ging mit ihr in den Nebengang. Bevor sie jedoch aus dem Blickfeld verschwand, drehte sich Rene noch einmal und sah sie mit einem flehenden Blick an. Trotz dass Rene leise gesprochen hatte, hatte Mandariel sie deutlich gehört und sein Gesicht verzog sich zu einer bitteren Grimasse. Schimpfte den Jungen als einen Narren. Wieso musste er nur zurückkommen und ihn sprechen wollen? Er sollte doch froh sein, dass er sich nun von ihm fernhielt. Ihn nicht mehr zu sich rief. Aber stattdessen suchte dieser Bursche nun von sich aus seine Nähe. Und würde das alles nicht selbst so sehr an seiner Seele zerren, hätte Mandariel über so viel Torheit gelacht. Was trieb diesen Jungen nur dazu? Glaubte er, jetzt wo er ihm das Fell seines Vaters gebracht hatte, würde sich alles nun zum Guten wenden und er würde von seiner Rache ablassen? Zu Anfang hatte Mandariel nur höhnisch darüber gelächelt. Knapp hundertjähriger Hass konnte nicht so einfach getilgt werden. Dafür waren die Wunden zu tief. Und er hatte sich auch gefragt, wieso gerade er dieses Risiko auf sich genommen hatte, das Fell zu stehlen. Schließlich war er ohne hin schon in Ungnade gefallen. Er sollte doch wissen, dass er damit noch alles viel schlimmer machte. Also wozu? Mandariel dachte ununterbrochen darüber nach und zog sich dabei immer mehr in sich zurück. Lauschte in sich hinein. Lauschte dabei Stimmen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Die eine sagte, dass er mit besten Absichten getan hatte. Um ihm zu zeigen, dass auch Gutes in den Menschen steckte. In ihm steckte. Die andere jedoch beharrte darauf, dass er sich sicher von einen Vorteil gar eine Gegenleistung erhoffte. Vermutlich um den Bann von ihm zu nehmen, der bald sein Ende sein würde. Waren denn nicht alle Menschen so? Immer darauf aus, sich selbst zu retten, egal was es auch kostete. Eine Erinnerung aus einer weit zurückliegenden Zeit kam wieder hervor, doch sie war noch so wirklich, als würde er es wieder erlebe. In dem stand er einem Mädchen gegenüber. In einem weißen Kleid und vor ihm zitternd und weinend. Geschüttelt von unzähligen Schluchzern flehte es ihn an, er möge sie doch verschonen. Sie sei noch zu jung, um zu sterben. Als Gegenleistung würde sie ihm ihre dreijährige Schwester bringen. Sie sagte, dass schon als sie geboren wurde, man sah, dass sie ein Leben als Krüppel führen würde und dass es nur gnädig wäre, dass sie an ihrer Stelle stirbt. Doch Mandariel durchschaute sie. Durchschaute die Lüge in ihren Worten. Der einzige Grund dafür, dass ihre Schwester sterben sollte, war, dass ihre Eltern ihr mehr Beachtung schenkten als ihrer erstgeborenen Tochter und daher diese aufs äußerste Eifersüchtig war. Sie wollte nicht länger die Liebe ihrer Eltern mit ihrer jüngeren Schwester teilen. Das zeigte Mandariel erneut, dass diese Menschen im Dorf, egal ob Jung oder Alt weder ein Gewissen noch ein Herz besaßen. Wütend und voller Gleichgültigkeit warf er ihr dies vor. Immer und immer wieder beteuerte sie, dass das die Wahrheit sei. Als Strafe dafür, befahl er seinen Wölfen, sie auf der Stelle zu zerfleischen. Das lag nun ewig lange zurück. Dennoch kam es Mandariel vor, als sei es erst gestern geschehen und sein Herz verkrampfte sich. Fragte sich dabei, wie es sein kann, dass ein Mädchen die eigene kleine Schwester opfern wollte, nur um sich selbst zu retten. Wie viel Hass musste dafür in einem sein? Oder lag es einfach nur daran, dass sie leben wollte und keine andere Möglichkeit hatte als ihre Schwester dafür her zu geben? Nein! Egal wie sehr man am Leben hängt, einen Blutsverwandten dafür zu opfern, war einfach nur widerwärtig. Rene war da anders. Er wäre für seine Schwester gestorben. Hatte sich ohne nach zu denken auf ihn geworfen und ihn verletzt. Noch immer spürte er die Narbe auf seiner Wange, wenn er mit den Fingern drüber strich. Ein schwaches Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Dieser Junge ist so ungestüm und denkt niemals nach, dachte er. Aber dafür er Mut und… Mandariel sah wieder Rene vor sich stehen, der das Fell seines Vaters brachte. Dabei sah er so unsicher aus als fürchtete, Mandariel würde ihn dafür was antun. Stattdessen aber sah er ihn nur an und wusste nicht was er sagen sollte. Es war, als fiele etwas von der Last, die er sich seit damals selbst auf die Seele geladen hatte, ab und ließ ihn nun anders über Rene denken. Wo er wieder zum Ausgangpunkt seiner Gedanken gekommen war. Nun aber schien die erste Stimme, die ihn davon überzeugen wollte, dass Rene keine Hintergedanken hatte, lauter zu reden. Und machte ihm zugleich schwere Vorwürfe, weil er ihm nun nicht die Türe öffnete. Sich ihm zeigte und ihm sagte, wieso er ihn nun auf Abstand hielt. „Geh zu ihm!“, schrie sie ihn an. „Nachdem er nun den nächsten Schritt getan hat, ist es nur fair, wenn du den darauffolgenden machst!“ Aber Mandariel zögerte. Lange. Viel zu lange. Dabei spürte er deutlich den Wunsch…das Verlangen in sich, hin zu gehen und diese Pforte auf zu stoßen. Renes Worte hallten dabei immer wieder in seinem Kopf wieder. „Ich…bitte…wenn Ihr mich hört…Lasst mich nicht im Ungewissen. Ich mache mir Sorgen um Euch und will wissen, wieso Ihr mich nun nicht mehr um Euch haben wollt!“ Sie ließen sein Herz sowohl stolpern als auch schnellerschlagen. Er macht sich Sorgen um mich, ging es ihm durch den Kopf. Und will mich sehen! In seinem Inneren rumorte es. Es fühlte sich seltsam an. So flimmernd wie als wenn tausend zarte Federn umherwirbeln. Dennoch vermochten es diese nicht, dass er die nötige Kraft aufbrachte, auf zu stehen. Erst als Rene fort war, hatte er wieder Gewalt über seinen Körper und erhob sich. Dabei fühlte er sich so schwer und schwach, als wäre er um hundert Jahre gealtert. Ging langsam auf die Pforte zu und blieb dicht davor stehen. Reue stand deutlich in sein Gesicht geschrieben und er verfluchte sich, dass nicht fähig war, Rene die Pforte zu öffnen. Dass er schwach war. Wie Rene zuvor legte auch er die Hand auf das Eis und meinte selbst durch das dicke Eis Renes warme Hand immer noch zu spüren. Sein Hals schnürte sich zu und sein Kopf fühlte sich an, als würde eine unsichtbare Kraft ihn zusammenpressen. Jegliche Gedanken darin erstickte. Mandariel schloss die Augen und presste die Lippen zu einem harten Strich zusammen. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich wie ein Mensch, der versagt hatte. Im Gegensatz zu Mandariel verweigerte seine Mutter Rene nicht den Zutritt. Mit einem freundlichen Lächeln hieß sie ihn willkommen und bat ihn hinein. Nima brachte den Tee und etwas Gebäck und zog sich, mit einem Zwinkern an Rene gerichtet, zurück. Nun saßen die beiden da und aßen und tranken. Noch immer war Rene mit seinen Gedanken bei Mandariel und der verschlossenen Pforte. Er war sich natürlich im Klaren, dass er ihn nicht gehört hatte. Immerhin hatte er leise gesprochen. Aber er wollte sich mit aller Macht an der Hoffnung festhalten, dass er seine Anwesenheit irgendwie gespürt hatte. Er war doch schließlich im Besitz enormer Macht. Da war es doch eine Kleinigkeit, die Nähe eines anderen zu spüren. Lira hatte ohne aufdringlich zu sein gefragt, was ihn hierher führte und Rene beichtete ihr, mit niedergeschlagenen Augen, dass er sich um ihren Sohn Gedanken machte und ihn sprechen wollte. Liras Augen wurden daraufhin groß. Dann aber lächelte sie. „Ich kann dir nicht genug dafür danken!“, sagte sie bedächtig. „Was du für meinen Sohn getan hast, werde ich dir niemals vergessen!“, sagte sie leise und stellte dann die Tasse ab. Rene presste die Lippen aufeinander. „Du hast ihm damit endlich einen Grund zu geben, damit ab zu schließen! Auch wenn es mich traurig macht, dass er dich nun von sich fern zu halten scheint!“ Es tröstete Rene etwas, dass sie ihm ihren Dank aussprach. Dass sie es auch nicht für Gut hieß, dass ihr Sohn ihn nun so leiden ließ. Dennoch gab es etwas, was Rene ebenso auf dem Herzen lag. „Glaubt Ihr…dass er damit aufhören wird? Nach den Leben der Mädchen zu verlangen, meine ich?“, fragte Rene. Liras Blick ging ins Leere und sie schien selbst darüber nach zu denken. Dann seufzte sie schwer. „In all den Jahren, in denen sein Herz zu Eis wurde, sollte ich eigentlich keine Hoffnung mehr haben und es würde um einiges leichter machen, wenn ich die Augen verschließe. Aber das kann ich nicht, weil ich nicht länger zu sehen will, wie er sich mehr und mehr verliert!“ Liras Stimme schwankte, während sie sprach. Rene konnte die Tränen sehen, noch bevor sie ihr über die Wangen liefen. Und konnte sich gut vorstellen, wie ihr zumute war. Es musste ihr unendliche Schmerzen in der Seele bereiten. „Aber Ihr scheint die Hoffnung nicht zu verlieren!“, flüsterte er. Wieso sonst sollte sie auch die Hoffnungen verlieren? Immerhin war er ihr Sohn. Jede Mutter würde bedingungslos zu ihrem Kind stehen. Lira lächelte nun. „Nein. Und das verdanke ich dir!“ Ein Leuchten ging nun von ihren sonst melancholischen Augen aus. Ein Leuchten, welches neue Hoffnung erahnen ließ. In Rene kam der Verdacht auf, dass sie in ihm jemanden sah, der er nicht war. Jemand, der diesen Fluch brechen konnte, den sich der Wolfsprinz selbst auferlegt hatte. Jemand, der er niemals sein konnte. Dabei spürte er jedoch, dass es einen kleinen Teil in ihm gab, der genau dieser sein wollte. Der Einzige, der es vollbringen konnte. Aber was wenn er versagte? Dieser Gedanke überschattete das alles und begrub sie unter sich. Verunsichert zog er den Kopf zwischen seine Schultern. „Danke, aber…ich glaube kam, dass ich dazu in der Lage bin!“ Lira sah ihn forschend an. Er konnte es deutlich spüren und fühlte sich dabei unwohl. „Bis jetzt hast du Dinge vollbracht, die sich keiner getraut hat!“, tadelte sie ihn. Rene lächelte wenig bitter. Sie musste nicht weitersprechen, da er wusste was sie meinte. „Auch wenn du es selbst nicht erkennst: In dir ist so viel mehr, als nur das was man von außen sieht!“ Lira sah ihren Sohn lange an. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie enttäuscht von ihrem Sohn war. Rene tat ihr unendlich leid und sie begriff nicht, wieso ihr Sohn nun so abweisend war. So tief die Wut und die Trauer auch in ihm saß… Es wurde Zeit, damit ab zu schließen und endlich zur Vernunft zu kommen. „Du bist grausam zu ihm!“, sagte sie. „Ist dir klar, dass du ihm damit nur wehtust. Und dir!“ Mandariel sagte nichts, sondern schaute nur stoisch vor sich hin. Es brauchte nicht die Vorwürfe seiner Mutter, um sich das vor Augen zu führen. Er wusste selbst, dass es nicht der richtige Weg war. Aber er konnte nicht so einfach alles vergessen, was passiert war, sondern brauchte Zeit, um zu verstehen. Um sich Gedanken darüber zu machen, wie es nun weitergehen würde. Dass er dabei Rene vor den Kopf stieß, fiel ihm schwerer als er es selbst für möglich gehalten hatte. Bis jetzt hatte er erfolgreich gegen das schlechte Gewissen ankämpfen können, was seine plötzlich Abwesenheit Rene gegenüber betraf, doch jetzt wo er vor seiner Pforte gestanden hatte und ihm Kundgetan hatte, was ihm auf dem Herzen lag, war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher. Sollte er es wagen und sich Rene öffnen? Oder sollte er weiterhin den Unnahbaren spielen? Letztes wäre vermutlich das Beste gewesen. Schließlich verrann Renes Lebenszeit und was würde es bringen, wenn sie während dieser Zeit sich näher kamen und dann Lebewohl sagen würden? Dann wäre er wieder allein… Mit sich und dieser Leere in seiner Brust. „Ich sollte dem Ganzen ein Ende setzen. Ein für alle Mal!“, dachte er bitter. „Mandariel! Hörst du mir zu? Vergiss einmal deinen Stolz. Hör endlich auf, jede Hand, die man dir helfend hinhält, weg zu schlagen!“, sagte Lira und zum ersten Mal war so etwas wie Zorn in ihrer Stimme zu hören. Mandariel drehte sich zu ihr herum und sah sie an. Liras Unterlippe bebte und in ihren Augen war ein wildes Flackern zu sehen. Schon lange nicht mehr hatte sie ihn so angesehen. Seit dem Mord an seinem Vater, waren ihre Augen traurig gewesen. Selten hatten sie wirklich gelacht. Nun aber sprühten sie vor Wut und Entrüstung. Von ihnen beiden war sie in diesem Moment am menschlichsten. Menschlich! Lange hatte er das einfach nur für einen Begriff gehalten. Etwas, was eine Sache beschrieb, nicht mehr. Und selbst diese Beschreibung hatte so viele Facetten, dass unmöglich war, herauszufinden, was eher zutraf. Mandariel wurde sich, je länger er darüber nachdachte und sie dabei ansah, bewusst, dass er bisher nur die negativen Eigenschaften gezeigt hatte, die man als Mensch besaß. Wut, Hass, Rache…Schmerz! Es erschien ihm wie ein Schattendasein. So schwer und endlos, dass es ihm das Herz zusammenkrampfte. Ich bin nicht besser als sie, dachte er voller Zorn auf sich selbst. Solange habe ich mich hinter meinem Hass versteckt! War blind für das, was eigentlich deutlich zu sehen war! Seine Finger krallten sich in die Brüstung des Balkons, so dass das Eis darunter zu knirschen anfing. In Ihren Augen bin ich ebenso ein Monster, wie sie es in meinen sind! Wie ich es in seinen Augen bin! Lira sah, wie es ihren Sohn erging und verflogen war die Enttäuschung über ihn und sein Verhalten. Mit ruhigen Schritten ging sie auf ihn zu und legte dann die Hand auf seinen Arm, dessen Muskeln zum zerreißen gespannt waren. Mandariel lockerte etwas den Griff um das Geländer, als er die Berührung seiner Mutter spürte und sah sie an. Lira sagte nichts, aber der Blick in ihren Augen sprach Bänder. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen sah. Und jedes Mal hatte er ihn ignoriert. Aber nicht dieses Mal. Im Gegenteil. Er sah diesen mit solch einer Aufmerksamkeit an, als würde er endlich diesen verstehen wollen. Lass die Vergangenheit ruhen! Vielleicht hatte seine Mutter Recht und es war wirklich Zeit damit ab zu schließen. Damit er wieder lernte, was es hieß menschlich zu sein. Und damit er einen Neuanfang machen konnte. Trotz der Worte Liras, fühlte sich Rene weiterhin schlecht. Zumal er sich selbst dafür verfluchte, dass er nicht den Mut hatte an zu klopfen. „Wieso war ich nur so feige!“, warf er sich immer wieder selbst vor, als er noch spät in der Nacht im Bett lag und auf das Holz seiner Zimmerwand schaute. Irgendwann verschwammen die Astlöcher und die Maserungen des Holzes. Rene rieb sich die Augen und blinzelte. Wenn er weiterhin so auf das Holz starrte und nicht bald versuchte Schlaf zu finden, würde er am nächsten Tag wieder aussehen, als sei er aus einem Grab entstiegen. Wobei das vielleicht nicht das schlimmste wäre. Denn so hätte er einen Grund im Bett zu bleiben. Um seine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Um sich klar zu werden, was als nächstes kommen würde. Selbst als er endlich eingeschlafen war, ließ die Enttäuschung über sich selbst nicht von ihm ab und suchte ihn in seinen Träumen heim. Seine Gedanken-oder vielmehr seine Wehmut-schien ein Eigenleben entwickelt zu haben und schaffte eine graue Leere um ihn herum. Trotz dass es in dieser keine Quelle für Licht gab, konnte Rene dieses Mal seine Hand vor Augen sehen. Dennoch hatte die Leere etwas Erdrückendes an sich. Oder war es eher die Stille, die in dieser Leere herrschte. Rene ließ den Blick um her wandern. Es wunderte ihn nicht im geringstem, dass er nichts sah außer diesem Nichts, das ihn umgab. Rene seufzte und sank in die Knie. Wie und warum war er hierhergekommen? Und wie lange würde es dauern, ehe er aus dieser Leere befreit wurde? Fast schon wünschte er sich, dass der Wolfsprinz erschien und ihn hier raus holte. Bei dem Gedanken an Mandariel wurde Renes Herz schwerer als es ohnehin schon war und er konnte spüren, wie die Leere nun begann, sich auch in ihm aus zu breiten. Rene versuchte dagegen auf zu begehren. Diese elende Leere, die für diese Nacht sein Gefängnis war, zu vertreiben. Doch je mehr er es versuchte, desto stärker dachte er an Mandariel. Wie bei einem Teufelskreis, gewann dabei auch seine Zerknirschtheit an Macht und rang ihn nieder. Was ist nur los mit mir, fragte er sich. Wieso macht es mich so fertig, dass ich ihn nicht sehen konnte? Und wieso wünsche ich mir so sehr, dass er mich endlich aus dieser Ungewissheit holt? Wie aus dem Nichts, strich ein Lufthauch ihn. Zumindest glaubte Rene, es sei nur ein Lufthauch, doch dann spürte er, wie sich eine unsichtbare Hand auf seine Wange legte. Rene zuckte zu nächst zusammen, entspannte sich jedoch wieder, als er spürte wie angenehm warm und tröstend diese Berührung war. Es fühlte sich genauso an, wie damals als er noch ein Junge war und seine Mutter ihn in den Arm nahm, nachdem ein Alptraum ihn aufwachen ließ. Ihn all die Angst vergessen ließ. So als ob nichts und niemand ihm schaden konnte, solange er diese Berührung spürte. Und Rene gab sich dieser nur als zu gerne hin. Nach all dem ganzen auf und ab, tat es gut, sich von Frieden und Ruhe einlullen zu lassen. Er lächelte sogar ein wenig und schloss die Augen. Wo er zuvor nichts als Einsamkeit und Leere gespürt hatte, fühlte er nun die Präsenz einer weiteren Person. Obwohl sie unsichtbar war und nur zu fühlen war, fürchtete sich Rene nicht. Stattdessen lehnte er sich an diese Unsichtbare und genoss die Nähe und die Berührung, die sie ihm schenkte. Nur ein Hauch von Misstrauen regte sich. Dieser war aber nicht stark genug, um ihn aufspringen zu lassen und nach zu schauen, wer oder was ihn so berührte. Und so blieb er sitzen und dämmerte vor sich hin. „Rene!“, flüsterte eine Stimme und wie als habe diese Öl ins Feuer ergossen, wurde das Misstrauen nun doch stärker und ließ Rene hochschrecken. Er drehte sich um und strauchelte kurz. Fing sich aber wieder und schaute an die Stelle, an der er die Präsenz zu meinen glaubte. Doch da war nichts! Nur ein Schimmern, das ihn an seinen Verstand zweifeln ließ. Und doch hatte er die Stimme gehört. Diese Stimme! Seine Stimme! Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Herzen. War der Wolfsprinz doch hier? Hatte er ihn die ganze Zeit beobachtet? Ihn solange zappeln lassen, bis er nachgab? Wie zuvor auch? Wut und Enttäuschung stieg wie bittere Galle in ihm hoch und verbannte das Gefühl von Geborgenheit aus seinem Herzen. Er ballte die Fäuste und schaute finster in das graue Nichts. Meinte in diesem wieder das Schimmern zu sehen, dass um ihn herum schwirrte, wie ein Geist. Rene folgte diesem und stieß ein Schnauben aus. „Zeigt Euch endlich!“ Aus dem Augenwinkel, sah er eine Bewegung und drehte sich blitzschnell um. Zuerst dachte er, der Geist würde verblassen, sobald er sich ihm zeigte und somit seine Wut Nahrung geben. Doch nichts dergleichen passierte. Rene blickte den Wesen, welches ihn belauert und ihn auf so heimtückische Art getäuscht hatte, geradewegs ins Gesicht. Oder zumindest das, was er für ein Gesicht hielt. Nur ein blasser Schemen, nichts weiter. Aber Rene glaubte darin ein Abbild des Wolfsprinzen zu sehen. Was dachte er sich nur dabei? Wieso war er nur so grausam zu ihm? „Bin ich das wirklich? Oder versuchst du es dir nur selbst ein zureden, weil du der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen willst?“, hörte die Stimme Mandariels in seinem Kopf. Rene zuckte zusammen, als habe er ihn geschlagen. Dann aber fasste er sich, und ließ sich von seiner Wut hinreißen. Mit Schwung holte er aus und traf mit der Faust die schemenhafte Gestalt mit in das unsichtbare Gesicht. Diese zerfaserte so gleich und löste sich im Nichts auf. Ein kurzes Triumphgefühl erfüllte ihn. Doch das verging ihm schnell als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und in die Tiefe stürzte. Rene riss mit einem Keuchen die Augen auf und starrte an die Zimmerdecke. Er befand sich wieder in seinem Zimmer. Aber es fühlte sich immer hoch so an, als würde er fallen. Rene krallte die Finger ins Lacken und schloss für einige Atemzüge die Augen. Dann öffnete er sie wieder und das Gefühl des Fallens ließ nach. Dennoch blieb er im Bett liegen und hing seinen Gedanken nach. Fragte sich dabei, was sich sein Unterbewusstsein nur dabei gedacht hatte. Wieso es gerade den Wolfsprinzen in seinen Traum heraufbeschwor und sich in seiner Umarmung wohlfühlen ließ? Auch wenn er ihm nicht mehr zürnte und versuchte, mit ihm irgendwie Frieden zu schließen, so fand er, dass das doch etwas zu weit ging. Immerhin… Immerhin…was? Renes Gedanken versuchten einen vernünftigen Weg ein zu schlagen, der alles erklären und zu gleich auch alles abstreiten konnte, was gerade in ihm vorging, doch er stieß dabei auf eine Mauer. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte diese Mauer nicht einreißen. Mit einem frustriertem Seufzen setzte er sich auf und schaute aus dem Fenster. Es war schon recht hell und sicher würde es nicht lange dauern, bis seine Mutter oder Flora an seiner Türe klopften um ihn aus dem Bett zu holen. Doch bevor sie dazu die Gelegenheit haben sollten, wollte er ihnen zuvor kommen und so schwang er die Beine aus dem Bett und zog sich an. Martha war es, die Rene im Laufe des Tages, auf seine Grabesmiene ansprach und ihren Enkel dabei wachsam anschaute. Aber auch mit einer Spur aus Sorge. Sie war gerade dabei Garn zu einem Knäuel zu wickeln, während Rene die lange Schnur mit beiden Händen hochhielt, damit sie sich nicht verknotete. Dabei schaute er so grimmig drein, dass Martha fürchtete, dass diese Falten sein jugendliches Gesicht für immer entstellen würden. „Diese Falten stehen dir nicht!“, bemerkte sie tadelnd. Rene blinzelte und sah sie nun verwirrt an. „Wie?“ „Du solltest dich mal im Spiegel betrachten. Du machst solch ein bitteres Gesicht, dass die jede Milch sauer wird!“ „Ich weiß nicht, von was du sprichst, Großmutter!“, sagte Rene eine Spur zu bissig als das er es eigentlich wollte. Martha unterbrach nun ihre Arbeit und schaute ihn mahnend an. „Ich denke, du weißt genau, von was ich spreche!“ „Du läufst schon seit einigen Tagen mit diesem Sauertöpfchen Gesicht herum. Man könnte meinen, dass man auf deinem Herzen herumgetreten ist!“ Ihre Worte waren wie ein Schlag in die Magengrube. Rene wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, also senkte er den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Martha deutete dies als ein Ja und seufzte. Ihre Miene nahm nun einen sanften Ausdruck an und tätschelte ihm wie es nur eine echte Großmutter konnte, sein Knie. „Mach dir nichts draus, Junge. Andere Mütter haben auch schöne Töchter!“, sagte sie. Setzte dann aber mit einem Augenrollen hinzu „Auch wenn es in diesem Dorf eher selten ist!“ Rene lächelte ein wenig. Dass sie ausgerechnet davon ausging. „Es ist nicht wegen einem Mädchen, Großmutter!“ „So?“, fragte Martha und hob die Brauen. „Wegen was dann?“ So gern es Rene ihr anvertraut hätte, weil er sich endlich von dieser Last des Schweigens und der Geheimniskrämerei befreien wollte, so konnte er sich dennoch nicht dazu überwinden. Er bezweifelte nicht, dass sie darüber Stillschweigen bewahren würde, wenn er sie darum bat. Es war vielmehr die Ungewissheit über sich und seine eigenen Gefühle. Das alles stürmte auf ihn ein wie eine Lawine und machte es ihm schwer vernünftig zu denken. Der Diebstahl des Wolffelles war der beste Beweis dafür. Aber Rene bereute es nicht. Nicht im Mindesten. Dennoch hatte er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. „Hast du jemals etwas getan, wovon du denkst, es sei richtig und warst trotzdem von dir enttäuscht?“ Die Frage kam schwach über seine Lippen, aber Martha hörte sie und hörte auch, wie deprimiert ihr Enkel dabei war. Martha lächelte wieder. „Natürlich. Viele Male sogar. Aber das gehört zum Leben dazu!“, sagte sie altklug. Irgendwie hatte Rene was anderes, was aufbauendes erhofft. „Was genau ist es denn, was dir so auf der Leber liegt?“ Rene haderte mit sich. Es gab so vieles, was er sich von der Seele reden wollte. Doch kaum dass er in Erwägung zog, eine davon an zu sprechen und sich an zu vertrauen, spürte er, wie ihm jemand die Brust eindrückte. Dabei war seine Großmutter der Mensch mit dem man über alles sprechen konnte. Selbst seinen Eltern sagte er nicht alles. Und jetzt wo sie so damit beschäftigt waren, für Flora und Jaque die Hochzeit zu planen, wollte er sie damit nicht auch noch belasten. Er sah vor allem seiner Mutter an, dass ihr das alles schwer auf dem Herzen lag. Da wollte er ihr wirklich ersparen, dass er es war, der das Fell gestohlen hat. Aber seine Großmutter… Ihr konnte er es doch sagen. Er war sich sicher, dass sie es für sich behalten würde. „Ich…nun ja…ich weiß, nicht wie ich es sagen soll, aber…!“, begann Rene stockend und mied es weiterhin sie an zu sehen. Martha hingegen hielt den Blick auf Rene und sah, wie er sich innerlich windete und zögerte die Wahrheit aus zu sprechen. „Was es auch ist, du kannst es ruhig sagen. Ich werde ganz sicher nicht durch die Decke gehen!“, versprach sie ihm, was Rene ein wenig entspannte. Dennoch hielt er den Blick starr auf den Boden und rang nun die Hände. „Ich…dieses Wolfsfell…was die Leute sagten, es…es stimmt!“ Sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, fühlte Rene wie etwas Schweres von ihm abfiel. Als habe er sich endlich von seiner Schuld losgesprochen. Zumindest von einem Teil. Daraufhin folgte ein Schweigen, das Rene wieder verunsicherte und ihn dann noch hochschauen ließ. Martha hatte sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an und ihr Mund stand weit offen. Wie zu einem Schrei, der ihr jedoch in der Kehle stecken blieb. Rene fühlte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich und sein Magen sich zusammenzog. Er rechnete ernsthaft damit, dass sie ihn gleich ausschimpfen würde. Doch statt laut zu werden, presste sich Martha de Hand auf den Mund und begann nach wenigen Augenblicken, am ganzen Leib zu zittern. Rene sprang besorgt auf und beugte sich zu ihr. „Großmutter? Großmutter?!!!“ Mit der Angst, dass sie einen Anfall bekommen hatte, fasste er sie an den Schultern und hielt sie fest. „Was hast du? Was ist mit dir?“, fragte er. Seine Stimme überschlug sich und die Sorge um sie lähmte ihn. Machte ihn unfähig etwas anderes zu tun als sie an zusehen und sich das schlimmste vor zu stellen. Aber dann endlich nahm Martha die Hand vom Mund und anstatt eines Schreis, drang ein heiteres Lachen aus ihrer Kehle. Es klang so laut und ausgelassen, dass sie wieder wie ein junger Mensch klang. Rene sah sie nur an und verstand nicht, was in sie gefahren war. „Gro-Großmutter?“ Als sich Martha wieder beruhigt hatte, sah sie ihren Enkel mit strahlenden Augen an. Umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und sagte so feierlich, wie als habe er einen Krieg gewonnen:„ Das hast du gut gemacht, Junge!“ Marthas vor Freude strahlendes Gesicht ging Rene nicht aus dem Kopf. Nicht mal als er wieder des Nachts vor der Felswand stand. Dass sie die anderen Bewohner des Dorfes nicht gerade sympathisch fand, war nicht von der Hand zu weisen. Aber dass sie sich so sehr darüber freute, dass er ihnen solch ein Schnippchen geschlagen hatte, erstaunte ihn. Tief von Stolz erfüllt, fragte sie ihn aus, wie er das gemacht hatte. Die Erklärung versuchte er so simpel und runter zu spielen, wie es nur ging. Erzählte, dass er sich des Nachts hineingeschlichen und dass Fell vom Haken genommen hatte. Dass er es dabei durch ein anderes ausgetauscht hatte, verschwieg er, da er nicht zu erklären wusste, woher das andere hatte. Aber auch so beeindruckte er seine Großmutter, die den Kopf schüttelte und wieder ihrer Begeisterung Ausdruck verlieh. „Brillant!“ Dann sprang sie auf und marschierte durch die Stube. „Einfach brillant!“ Als sie sich dann setzte, um mit ihrer Arbeit fort zu fahren, hatte sie ein breites Gesicht und murmelte immer wieder vor sich hin, wie begeistert sie von Rene Meisterstreich war. Rene war es beinahe schon unangenehm und er hoffte inständig, dass sie sich in der Gegenwart seiner Eltern zurückhalten würde. Was sie zu seiner Erleichterung auch tat. Ließ es sich aber nicht nehmen, ihm hin und wieder einen verzückten Blick zu zuwerfen. „Guten Abend!“, sagte Nima und riss ihn aus seinen Gedanken. „Abend!“ Nima sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an und lächelte etwas. „Was für eine schöne Überraschung!“ Ihre Worte waren ehrlich und ließen keine Spur von Zweifel übrig. Rene lächelte auch. „Kann ich reinkommen?“ „Was für eine Frage!“, erwiderte Nima pikiert, hakte sich bei ihm ein und schritt durch den Eingang. Rene sah wie erblüht und ausgelassen Nima in diesem Moment war. Genau wie seine Großmutter zu vor. Und er fragte sich, welchen Grund sie dazu hatte. „Gibt es einen Grund, dass du wie die Sonne strahlst?“, fragte Rene nach einer Weile. Nima kicherte wie ein kleines, verliebtes Mädchen. Rene merkte, wie er verlegen wurde, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum. „Du Charmeur!“ Dann aber wurde sie ernst. Hatte aber dennoch ein Lächeln auf den Lippen. „Unser Herr…!“ „Was…was ist mit ihm?“ fragte Rene und war beunruhigt. „Er…er scheint endlich bereit zu sein!“ „Bereit für was?“, fragte Rene. Nima sah ihn ebenso feierlich an wie Martha und so verheißungsvoll, wie als wenn eine Offenbarung stattgefunden hatte, ohne dass er es mit bekommen hatte. „Bereit für einen Neuanfang!“, hauchte sie und ihre Augen leuchteten. „Und das ist dir zu verdanken!“ Renes Mund wurde trocken. Wieso um alles an der Welt dachten alle, dass er was Großes vollbracht hatte? Wieso feierten sie das nur? Gerade wollte er dies aussprechen, da zog Nima ihn weiter. Die Gemächer des Wolfsprinzen waren schon ins Sichtweite, als ein Mädchen, im gleichen Alter wie Nima, aus einem Nebengang gelaufen kam und vor ihnen stehen blieb. Sie hatte, anders als Nima, weißes Haar, das ihr bis zum Kinn reichte und honigfarbene Augen. Sie war auch anders gekleidet als Nima. Im Gegensatz zu Nima, trug sie ein wallendes weißes Kleid, mit silbernen Stickereien und weiten Ärmeln. Ihr Ausschnitt reichte so weit, dass Rene einen Einblick in ihr Dekolletee hatte. Schnell flog sein Blick zu ihrem Gesicht. Dabei hoffte er, dass niemand sehen würde, wie rot er wurde. Doch wenn eine der beiden es merkte, so ließ sie es sich nicht anmerken. „Mirelle!“, rief Nima und sah das Mädchen erstaunt an. „Was ist denn los?“ Mirelle holte einige Male tief Luft. Sie musste einen weiten Weg zurückgelegt haben, wenn sie so außer Puste war. Dann zeigte sie zu dem Gang, aus dem sie gekommen war. „Ich…ich glaube, du solltest nach deinem Bruder sehen. Er scheint Schwierigkeiten zu haben!“ Nima schien sichtlich besorgt um ihren Bruder zu sein. Ohne ein weiteres Wort lief sie zum Gang, den ihr Mirelle wies. Mit Rene im Schlepptau. „Was…was ist mit ihm? Was glaubst, hat er für Schwierigkeiten?“, brachte Rene hervor. Er hatte den jungen Wolf schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen und fragte sich was aus ihm geworden war. Sorge wallte in ihm auf und er hoffte, dass sie nicht zu spät kamen. Nima sagte nichts, was Renes Sorge noch größer werden ließ. Als sie dann vor eine Türe standen, holte Nima einmal tief Luft und riss sie auf. Was immer Rene erwartet hatte, dass, was sich da vor ihm abspielte, war es mit Sicherheit nicht. In einem großem Raum, der mehr einem Schlachtfeld aus aufgeplatzten Kissen, umher fliegenden Federn und zerrissenen Stoffvorhängen, tobten und tollten…Welpen! Unzählige kleine Wolfswelpen! Und in mitten diesem Trubel ein großer Wolf, der auf dem Boden lag. Doch das schien die frechen Welpen nicht weiter zu stören. Sie sprangen entweder über oder auf ihm herum. Einige vorwitzige von ihnen, machten sich einen Spaß daraus und attackierten seinen Schweif. Bissen hinein und sobald er diesen hochhob, schlug sie mit ihren tapsigen Pfoten nach ihm, drückten ihn wieder zu Boden und machten weiter. Nur mit Mühe ließ er das alles über sich ergehen. Aber der Blick, den er den beiden zu warf, kaum dass er sie sah, war deutlich. Holt mich hier raus! Während Rene ehrlich Mitleid und auch so etwas wie Schadenfreude empfand, prustete Nima hinter vorgehaltener Hand los und schüttelte sich vor Lachen. „Oh, der arme Kerl!“ „Willst du ihm nicht helfen?“ Nun musste auch Rene ein Lachen unterdrücken. So sehr er ihn auch verstehen konnte, immerhin war er selbst ein Kind gewesen und wusste, wie schwer es seine Schwester mit ihm hatte, fand er es dennoch lustig. Nima überlegte und machte eine gekünstelte nachdenkliche Miene. Dann grinste sie und klatschte in die Hände. Sofort waren die Welpen ruhig und alle Augen waren auf Nima allein gerichtet. Keinen Atemzug später, rannten sie auf sie zu. „Nima…Nima…Nima…Nima!“, hörte Rene unzählige aufgeregte Stimmen rufen, während die kleinen Welpen Nima förmlich umringten. Mit einem erleichterten Seufzen erhob sich Nimas Bruder und schüttelte sich. Völlig erledigt trottete er zu den beiden und setzte sich. Nima nahm einen der Welpen, ein kleines Kerlchen mit Aschgrauem Fell und einem Fleck auf der Stirn, sah ihn liebevoll an. „Ihr kleinen Frechdachse!“, sagte sie. „Was macht Ihr bloß mit Eurem großen Bruder!“ „Als ob es dich kümmern würde!“, grunzte ihr Bruder bitter und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Rene ignorierte er dabei. Nima grinste schadenfroh. „Jetzt weißt du, wie es mir ergangen ist, als ich auf dich aufpassen musste!“ „Jaja…!“, grummelte der Wolf und schaute finster drein. „So ist das eben mit älteren Schwestern!“, sagte Rene, der den Wolf ein wenig trösten wollte. Doch dieser beachtete ihn immer noch nicht und Rene fragte sich, womit er ihn beleidigt hatte, dass er ihn so schnitt. Als nun auch Mirelle zu ihnen gab, drehte sich Nima zu ihr herum. „Kannst du weiter auf die Kleinen aufpassen?“, bat sie sie. „Kann ich!“, sagte Mirelle. „Sie hat gelacht?“, fragte Nima. Rene nickte. „Ja, und als nächstes hat sie immer wieder gesagt, wie großartig sie das fand. Es hat nur noch gefehlt, dass sie einen Freudentanz vollführte!“ „Wie alt ist sie denn, wenn ich fragen darf?“ Rene überlegte. „Ich denke, so um die achtzig!“ „Ziemlich lebhaft, die Gute!“, bemerkte Nima mit einem bewunderndem Lächeln. „Wem sagst du das!“, kam es trocken von ihm. „Wie kommt es eigentlich, dass ich bis jetzt noch keine…älteren Wölfe gesehen habe?“, fragte er dann. Er war neugierig geworden. Bis jetzt waren ihm nur junge Wölfe begegnet. Keine Älteren. Und das ließ ihn stutzen. Nimas Lächeln erlosch nun und sie machte den Eindruck als würde sie nicht gern darüber sprechen. Mit belegter Stimme fuhr sie jedoch fort. „Wenn wir älter werden, bleiben wir zwar immer noch jung, aber...auch unsere Kräfte verlassen uns irgendwann und wenn unsere Zeit kommt, dann…dann werden wir wieder zu Wind und Schnee, aus dem uns der Herr geschaffen hat!“, erklärte sie. So wie sie das sagte, musste sie schon oft gesehen haben, wie die, die vor ihr ihr Ende fanden, sich in Wind und Schnee verwandelten. Er sah wie die Trauer sich auf ihr Gesicht legte, wie ein Schleier und ihren Blick trübte. Rene fühlte, wie sie sich fühlte. Wusste um die Trauer und um den Schmerz, als damals der Ehemann seiner Großmutter und die Eltern seines Vaters starben. Trauerte mit seinen Eltern und weinte, weil sie weinten. Konnte es nicht ertragen, dass sie so litten. Die Erinnerung daran, ließ ihm seinen Hals eng werden und er schluckte um ihn wieder frei zu bekommen. „Es tut schon weh, sich von denjenigen zu verabschieden, die man liebt, wenn sie vor einem vor raus gehen. Dennoch sollte man sich sagen, dass es kein Lebewohl für immer ist und sie irgendwann wieder sieht!“ Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihre Lippen. Versuchte den Schatten über ihr Gemüt zu vertreiben. Rene nickte nur. Sie sprach genau das aus, was er sich damals in seinen Kinderträumen vorgestellt hatte. Und wie oft es ihn über seine Traurigkeit hinweggetröstet hatte. „So da wären wir!“, sagte Nima und Rene sah, dass sie wirklich wieder vor der Pforte zu Mandariels Gemächern standen. Rene hatte es nicht bemerkt und merkte sogleich wie ihm die Knie weich wurden. Der Traum von letzter Nacht drängte sich wieder in sein Bewusstsein und er schauderte. „Hey, alles in Ordnung? Du zitterst ja!“, fragte Nima besorgt. Rene verscheuchte die Beklemmung, die von ihm Besitz ergriff und schüttelte den Kopf. „Ja...ja!“, versicherte er ihr. Nima sah ihn mit einer Miene, die deutlich sagte, dass sie ihm nicht so recht glaubte. Aber sie drängte ihn nicht weiter. „Soll ich anklopfen?“, fragte sie stattdessen. Rene zögerte etwas. Nima nahm das als ein Ja und gerade als sie die Hand hob, um an die Tür zu klopfen, erklang eine eisige Stimme. „Was macht er hier?“ Sofort drehten sich alle drei um und Rene erstarrte. Vor Ihnen stand Ardou. Sein Gesicht eine Maske der Wut. Rene merkte, wie ihm kalt wurde. Es war als würde Ardou ihn mit seinem Blick zu Eis erstarren lassen. „Er möchte den Herrn sprechen!“, sagte Nima und versuchte dabei selbst ihre aufkeimende Unsicherheit zu verbergen. Offensichtlich hatte auch sie Angst vor ihm. In diesem Moment. „Der Herr hat keine Zeit!“, kam die schroffe Antwort und bedachte Rene mit einem bohrenden Blick. Und wenn es nach mir ginge, würdest du ihn niemals wieder sehen! Rene machte einen Schritt zurück. Und wäre am liebsten wieder gegangen. Doch etwas hielt ihn zurück. Ermahnte ihn, sich nicht unterkriegen zu lassen und ihm die Stirn zu bieten. Wenn er es schon beim Wolfsprinzen konnte, so würde er es auch sicher bei dessen Rechte Hand schaffen. „Ich muss ihn aber sprechen!“, sagte er daher und versuchte alle Entschlossenheit in seine Stimme zu legen, die er aufbringen konnte. Ardous Augen wurden schmal und Rene wurde das Gefühl nicht los, dass er durch aus in der Lage war ihn auch mit Gewalt fort zu schaffen, wenn es sein musste. Seine nächsten Worte waren nur ein drohendes Knurren. „Sei vernünftig und verschwinde!“ Kurz blitzte in Renes Geist eine Vision auf. In dieser sah er sich einem Wolf gegenüber, der die Zähne fletschte und bereit war, ihm den Garaus zu machen. Rene wurde mulmig. Und bereute nun, dass er ihm Kontra gegeben hatte. „Ardou!“ Eine fünfte Person kam nun dazu und als Rene sah, um wen es sich handelte, atmete er erleichtert auf. Mandariel! Er schritt langsam und ruhig auf sie zu. Und obwohl nichts in seinem Gesicht darauf hinwies, dass er über das Verhalten seines Vertrauten nicht erheitert war, so war es deutlich zu spüren. Wie ein eisiger Wind, der sie umwehte. Ardou hingegen schien sich nicht davon beeindrucken zu lassen. Mit zerknirschter Miene sah er seinen Herrn an und sträubte sich sichtlich, zurück zu weichen. Mandariel und Ardou fochten mit ihren Blicken einen Kampf aus, der den anderen verborgen blieb. Und irgendwann gab Ardou sich geschlagen. Mit einem bitteren Schnauben wandte er sich ab und stapfte davon. Nicht jedoch ohne Rene einen letzten drohenden Blick zu zuwerfen. Erst als er außer Sichtweite kam, atmete Rene auf und schaute dann zu Mandariel. Ein seltsamer, nachdenklicher Ausdruck lag in seinem Blick. Aber nur flüchtig. Dann aber setzte er die Rene so vertraute Maske von kühler Gelassenheit auf. „Du wolltest mich sprechen?“ „Ich…ja…!“, stammelte Rene. Straffte dabei seiner Schultern und versuchte genauso gelassen zu wirken. Doch wieder fühlte er sich an seinen Traum erinnert. An die Berührung und das Flüstern des Wolfsprinzen, der seinen Namen hauchte. Ihm lief es kalt den Rücken hinunter. Und merkte aber auch, wie sich kochende Wut in ihm ausbreitete. An dieser hielt Rene sich fest und sammelte aus ihr die nötige Kraft, um nicht zurück zu weichen. „Ich wollte wissen, ob es Euch besser geht!“ Mandariel konnte den erbosten Ton in der Stimme des Jungen deutlich hören und war kurz erstaunt. Dann aber fasste er sich wieder und musste innerlich lächeln. „Wie du siehst geht es mir gut!“ „Wie schön!“, presste Rene hervor. Nima sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Fragte sich wieso er auf einmal so bitter war. Sie konnte deutlich spüren, wie sehr es in ihm tobte und fragte sich, was ihn die Laune verdorben hatte. Zuvor war er doch wie losgelöst hier her gekommen. Auch wenn er ein wenig verlegen war. Dennoch hatte sie deutlich gesehen, dass er aus freien Stücken hier war. Ohne Zwang. Sie legte behutsam die Hand auf seinen Rücken. Rene sah sie an und sah wie sie ihn mit ihren Blicken bat, wieder zu Vernunft zu kommen. Ganz egal was gerade passiert war. Rene seufzte und wie als habe ihr Blick eine magische Wirkung, erlosch die Wut in ihm wie eine Flamme, der man den Sauerstoff abdrehte. Mit einem Male fühlte sich Rene schlecht. Was mache ich da, fragte er sich sogleich. Ich sollte mich nicht von diesen Träumen beeinflussen lassen! „Ich meine, es ist schön, dass Ihr...!“, mehr brachte Rene nicht über die Lippen und senkte wieder den Blick. Er fühlte sich auf einmal so klein. Dass er spürte, wie Mandariel ihn anschaute, machte es nicht besser. Seine Gefühle fuhren auf und ab. Und wieder verfluchte sich Rene, dass er so unfähig war. Mandariel trat einen Schritt zur Seite und wies ihm mit dem Arm zur Pforte. „Möchtest du mit mir eine Partie Schach spielen?“, fragte er und Renes Herz setzte kurz aus, als er merkte, wie sanft Mandariel zu ihm sprach. „Äh…j-ja…!“, sagte Rene und ohne eines weiteren Wortes gingen die beiden hinein. Nima und ihr Bruder blieben draußen stehen und schauten auf die Pforte, die sich hinter Rene und Mandariel geschlossen hatte. „Wenn das nicht ein gutes Zeichen ist!“, staunte Nima und lächelte. Stumm sah Rene zu wie Mandariel die Figuren auf dem Brett aufstellte. Rene hatte die weißen Figuren. Wiedermal. Und wappnete sich innerlich darauf, dass er wieder diese Partie verlieren würde. Doch das störte ihn irgendwie nicht. Er war offen gesagt froh, dass er seine Gedanken auf andere Bahnen bringen konnte. Denn so würde er nicht wieder an den Traum denken, der nun wie ein Schatten auf seiner Seele lag und sein Herz stolpern ließ. Als Mandariel die Figuren auf die ihnen zugehörigen Plätze gestellt hatte, sah er Rene abwartend, beinahe schon auffordernd an. Rene hob langsam die Hand und blieb einige Augenblicke in der Luft schweben. Überlegte welche der Figuren er zuerst bewegen sollte. Sollte er erst einen Zug machen, um seine Verteidigung auf zu bauen oder gleich zum Angriff übergehen? „Wie wäre es wenn…!“, holten Mandariels Worte ihn aus seinen Grübeleien und ließ ihn aufschauen. Ein Flackern war in diesen eisblauen Augen zu sehen. Und was seinen Hals eng werden ließ. „Wenn wir diese Partie ein wenig interessanter machen?“ Interessanter? Rene traute sich kaum nach zu fragen. „Wie…was stellt Ihr Euch da vor?“ „Nun, wann immer es einem von uns beiden gelingt, dem anderen eine Figur zu nehmen, hat dieser eine Frage, die der andere zu beantworten hat!“ Mehr nicht, fragte Rene in Gedanken und war zugleich auch erleichtert. Er konnte sich selbst nicht erklären warum, aber bei den Worten Wie wäre es…kamen in ihm ungeheuerliche Gedanken und Vorstellungen, die ihn sich nun selbst schelten ließ. „Damit bin ich einverstanden!“, sagte er. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Figuren vor ihm. Rene entschied sich erstmal eine Verteidigung auf zu bauen. Auch wenn er selbst darauf brannte, ihm einige Fragen zu stellen, so zögerte und ermahnte sich zur Vorsicht. So nahm er den Bauer und wollte ihn auf das erstbeste Feld stellen, dass er für geeignet hielt. „Wenn ich dir einen Rat geben darf…!“, wieder holte Mandariel ihn aus seinen Gedanken und deutete auf eine andere Stelle. „Wäre es klüger, wenn du deinen Bauern dort platzierst!“ Rene wollte ihn schon fragen, wieso. Wieso er seinen Rat annehmen sollte? Ob das nicht doch ein Trick war? Besann sich dann eines besseren und setzte die Figur des Bauern auf die von Mandariel angeratene Fläche. Dann machte Mandariel seinen Zug. Und es dauerte nicht lange, da hatte Mandariel die erste Runde für sich gewonnen. Rene spannte sich innerlich an und fragte sich, was er ihn nun fragen würde. Mandariel schien selbst erstmal zu überlegen. Dann breitete sich ein diebisches Grinsen auf seinen Lippen aus, was Rene tiefer in den Stuhl drückte. „Wie haben die Dorfbewohner darauf reagiert? Als du ihnen das Fell meines Vaters gestohlen hast? Sicher haben Sie Gift und Galle gespuckt!“ „Und wie!“, sagte Rene und stellte erstaunt fest, dass er ebenso nun grinste. Und auch wenn er eine gewisse Freude verspürte, dass er ihnen eins reingewürgt hatte, so spürte er auch, wie ihm das Herz schwer wurde. „Und natürlich denken Sie, dass es einer von meiner Familie war!“ „Das kann ich mir vorstellen!“, stimmte Mandariel ihm zu und das Lächeln erlosch. „Damit haben Sie einen Grund mehr, um Euch das Leben schwer zu machen!“ Auch das war Rene bewusst. Und das Wissen, dass sie nun noch mehr gegen ihn und seine Familie hetzen werden, trübte seinen Blick auf die Zukunft. „Ich weiß, aber…!“, murmelte er und krallte seine Finger den Stoff seiner Hose. „Ich bereue es nicht!“ Zu seinem eigenen Erstaunen waren Renes Worte ernst und voller Inbrunst. Mandariel blickte ihn an, sah es deutlich in seinen grünen Augen und lächelte wieder. Es war dieses Lächeln, das Renes Herz erwärmte und es schneller schlagen ließen. Es war weder spöttisch noch kalt. Sondern warm und freundlich. Dankbar. „ Und wiedermal erstaunst du mich!“, flüsterte er. Renes Wangen begannen zu glühen und er senkte schnell den Blick. Begann nun auch der Wolfsprinz in ihm etwas zu sehen, was ihm verborgen blieb? „Lasst uns…lasst uns weitermachen?“, bat er ihn kleinlaut und Mandariel widersprach seiner Bitte nicht. Schließlich, nach einigen verzweifelten Versuchen, gelang es Rene, Mandariel eine Figur zu nehmen. Doch Rene wurde das Gefühl nicht los, dass das irgendwie zu glatt ging. Mit gerunzelter Stirn sah er seinem Gegenüber an. „Habt Ihr das mit Absicht gemacht?“ Mandariels Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. „Vielleicht!“ Rene war völlig perplex, dann aber riss er sich zusammen und fragte:„ Wie alt wart Ihr, als das mit Eurem Vater passiert?“ „Du hast bereits deine Frage gestellt!“, sagte Mandariel und seine Stimme klang auf einmal distanziert. „Was? Nein!“, widersprach Rene. „Hast du mich den nicht eben gerade gefragt, ob ich dich mit Absicht gewinnen ließ?“ Rene hielt kurz inne. „Ja, aber…!“ „Nichts aber. Du hast deine Frage gestellt!“, beendete Mandariel und machte eine abwehrende Handbewegung. Rene kam sich betrogen vor. Wie hätte er ahnen können, dass der Wolfsprinz seine Bedingungen so vehement durchsetzt? Ein Anflug von Ärger überkam ihn. Doch er sagte nichts mehr, sondern beschloss die nächste Gelegenheit, die sich ihm bot, eine Frage zu stellen, nicht verschwenden würde. So spielte er weiter und wieder verlor der Wolfsprinz eine Figur. Erneut kam es Rene vor, als habe er das mit Absicht gemacht, aber er hütete sich davor, ihn darauf an zu sprechen. Rene dachte nach. Was sollte er ihn fragen? Ihm war nie wirklich bewusst gewesen, wie viele Fragen ihm auf der Seele brannten. Erst als er darüber nach grübelte, wurde es ihm klar und ihm wurde kurz schwindelig. Dann aber beruhigte sich. Atmete tief ein und stellte dann die Frage, die für ihn die höchste Priorität hatte. „Was…Wie wird es nun weitergehen? Werdet Ihr weiterhin nach den Töchtern des Dorfes verlangen?“ Mandariels Brauen hoben sich. „Ich dachte, du wolltest wissen, wann das mit meinem Vater passiert ist!“ Rene biss sich auf die Unterlippe. Ja, das wollte er ebenso wissen, aber das was die Zukunft betraf, war ihm wichtiger. „Außerdem…was kümmert es dich, wenn ich weiterhin den Blutzoll einfordere. Das Schicksal der Menschen dort unten, sollte dich eigentlich kalt lassen!“ Seine Stimme hatte wieder diesen kühlen Klang angenommen. Eigentlich hatte er Recht. Es sollte Rene nicht weiter kümmern, was mit den Menschen passierte. Ihr Wohl sollte ihm am wenigsten am Herzen liegen. Trotzdem… Er hatte sich erhofft, dass es damit ein Ende nehmen würde. Dass der Wolfsprinz damit seinen Frieden machte. Wie töricht von ihm. „Ich dachte nur, dass…jetzt wo Euer Vater in Frieden ruhen kann, dass Ihr…!“ „Dass ich auf das verzichte, was mit zusteht!“ Seine Worte schnitten wie eiskalte Dolche in sein Herz. Er hörte sich wieder ganz nach dem Wolfsprinzen an, den er damals auf der Waldlichtung begegnet war. Kalt und grausam. Zu allem entschlossen. „Ich dachte nur…!“, kam es erstickt wieder von ihm. Fühlte sich wie damals, als Mandariel ihn nach seinem Angriff, auf den Boden presste und ihn bedrohte. Er begann sich wieder vor ihm zu fürchten. Mandariels Gesichtszüge wirkten noch einige Herzschläge lang so, als würde er sich nicht erweichen lassen, dann aber wurden sie weich. Er schloss die Augen und seufzte. „Ich verstehe dich einfach nicht. Trotz alldem willst du nicht, dass weiterhin ein Mädchen stirbt!“ „Sie sind doch unschuldig!“, sagte Rene bedrückt. „Sie haben nichts falsch gemacht. Nur…nur ihre Vorväter!“ „Sagst du das nur, weil es deine Schwester hätte treffen sollen? Oder weil dir wirklich an den Leben der Mädchen, und denen, die noch geboren werden, etwas liegt?“ Rene sagte nichts. Sondern sah nur auf das Schachbrett, das mal vor seinen Augen verschwamm, dann aber wieder deutlich zu sehen war. Rene glaubte einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. In dieser, lebte er zwar nicht mehr, aber das war nicht schlimm. Immerhin wusste er ja, dass er mit dem Ende des Winters sterben würde. Das Schlimme, was ihn erstarren ließ, war das Bild, welches er vor sich sah. Flora, die mit Jaque in einem kleinen Garten saß und mit einem glücklichen Lächeln auf ein kleines Bündel blickte, welches sie in den Armen hielt. Das kleine Gesicht eines Neugeborenen, war zu sehen und schlief. Ein Mädchen! Das wusste er sofort. Ein Mädchen, das irgendwann, wenn es alt genug war, ebenso bald in den Wald geschickt wurde, um geopfert zu werden. Auch wenn er bezweifelte, dass Flora und Jaque in diesem Dorf bleiben würden, sobald der Schnee geschmolzen war, war die Vorstellung, dass seine Nichte eine von vielen Opfern sein würde, kaum zu ertragen. Wer garantierte ihm überhaupt, dass der Wolfsprinz sie verschonen würde, wenn sie außerhalb des Dorfes zur Welt kam. Genauso gut, könnte er sie holen. Egal wo sie aufwuchs und vollkommen ahnungslos war. Rene wurde speiübel bei dieser Vorstellung. „Du hast Recht. Jetzt wo mein Vater seine Ruhe gefunden hat, hat mein Handel mit den Dörflern jeglichen Sinn verloren!“ Rene fühlte, wie die Erstarrung von ihm abließ und konnte ein erleichtertes Aufatmen nicht zurückhalten. „Im Grunde ist es mir gleich ob sie sich weiterhin vor mir fürchten. Solange sie mich in Frieden lassen, ist mir alles Recht!“ Rene widersprach nicht. Natürlich würde er seine Haltung den Menschen im Dorf nicht überdenken. Zu tief saß noch der Schmerz in ihm. Zu tief war die Wunde, die ihre Gräueltaten in seine Seele geschlagen hatten. Und wenn er ehrlich war, würde es ihm nicht anders ergehen. „Wollen wir weiter spielen?“, fragte Mandariel dann. Dieses Mal war es an Mandariel Rene zu schlagen. Und Rene wappnete sich innerlich vor der Frage, die Mandariel ihm nun stellen würde. „Wieso bist du nun freiwillig zu mir gekommen?“ Diese Frage traf ihn mit einer Wucht einer Pistolenkugel und ließ sein Herz stocken. Wieder verschwamm alles um ihn herum. In seinem Kopf schien sich ein Karussell zu drehen. Was soll ich nur darauf antworten, schrie es in ihm. Sag ihm die Wahrheit! Die Wahrheit? Was war die Wahrheit? Dass du dir Sorgen um ihn gemacht hast? Dass es dir gefehlt hat, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen! Trotz dass es so einfach klang und so richtig, so vermochte es Rene nicht, diese Worte aus zu sprechen. Mandariel sah ihn nur an. Wartete geduldig. Und dennoch hatte Rene den Eindruck, als ob er in seine Gedanken eintauchte und las, was er dachte. „Ich…ehm…!“ „Nachdem Ihr Euch solange nichts von Euch hören ließet, machte ich mir…Sorgen!“ „Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Ich dachte, du verabscheust mich?“ Ja, aber jetzt weiß ich, dass Ihr kein Monster seid. Dass Ihr ein Mensch seid! „Ich…ich will versuchen, in Euch mehr zu sehen, als nur eine…Bestie!“ Mandariel ließ diese Worte auf sich wirken und etwas Warmes legte sich um sein Herz. Diese Wärme breitete sich dann in ihm aus und erfüllte ihn. Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Lange blickte er den jungen Mann an, der ihn einst mit einem Dolch angegriffen hatte und sah ihn in einem neuen Licht. Könnte es sein, dass…? Langsam erhob er sich von seinem Stuhl, ging zu ihm und legte seine Hand auf die schmalen Schultern Renes. Rene zuckte kurz zusammen, blickte dann zu ihm hoch. Sah in das lächelnde Gesicht des Wolfsprinzen. Auch sein Herz wurde von Wärme erfüllt, die sich rasend schnell ausbreitete. „Das freut mich zu hören!“, raunte Mandariel. Und Renes Herz hämmerte so schnell in seiner Brust, dass er fürchtete, der Wolfsprinz würde es hören. Die Art wie er die Worte ausgesprochen hatte, hatte einen verheißungsschwangeren Klang. Rene konnte nicht anders als ihn an zu schauen. Versank in den tiefen seiner eisblauen Augen. Ein wohliger Schauer rann ihm über den Rücken. Ließen seine Knie weich werden und seine Gedanken zäh wie Honig werden. Er hätte noch lange in diese Augen blicken können. Sie waren so hypnotisch und fesseln, dass es unmöglich war, ihnen zu widerstehen. Wie durch einen Nebel sah er wie Mandariels Gesicht dem seinen näher kam. Träum ich, dachte er. Bitte lass es kein Traum sein! Wie zu einer stummen Bitte reckte Rene seinen Kopf zu ihm hinauf. Sehnte sich nach einem Kuss des Wolfsprinzen. Doch dieser kam nicht. Und als er spürte, wie seine Sehnsucht zu bitterer Enttäuschung schrumpfte, sah er wieder klar. Mandariels Gesicht war immer noch dem seinen sehr nahe, aber in seinem Blick lag etwas Nachdenkliches. Als wollte er herausfinden, was in dem Jungen vor ihm vorging. Rene fühlte sich nun als habe man ihn mit Eiswasser übergossen. Fragte sich zugleich, was in ihr gefahren war. Hatte er den Verstand verloren? Wieso verlangte es ihn so, vom Wolfsprinzen geküsst zu werden? Schon wieder! „Wenn du nichts dagegen hast, beenden wir diese Partie!“ Ardou lief wie ein unruhiges-ein sehr unruhiges und vor allem wütendes -Tier auf und ab und stieß einen Fluch nach dem anderen aus. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den Jungen erst gar nicht in die Nähe seines Herren gelassen. Ihn fortgejagt. Wenn es sogar hätte sein müssen, mit Gewalt. Aber Mandariel war ihm in den Rücken gefallen. Hatte den Jungen empfangen, als wären sie Freunde und ihn, Ardou, hintergangen. Er verstand einfach nicht, wieso sein Herr zu ließ, dass dieser Junge… „Auch wenn du noch so sehr umherläufst, wird es nichts ändern!“, sagte Lira, die unvermittelt neben ihm auftauchte und ihn bekümmert anschaute. Ardou blieb wie angewurzelt stehen und schaute die Frau an. Vorwurf war deutlich in seinen Augen zu sehen. Wie konnte sie, seine Mutter, das zu lassen? „Ist Euch bewusst, dass Euer Sohn im Begriff ist, die Prophezeiung zu erfüllen?“, presste er zwischen zusammen gepressten Zähnen hindurch. Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht und ließ ihre Züge schwer werden. „Ja. Dennoch…was geschehen muss, muss geschehen…!“ Für Ardou kamen ihre Worte einer Ohrfeige gleich. Fassungslos starrte er sie an. Seine Wut war kaum noch in Worte zu fassen. „Was?“, kam es erstickt von ihm. Dann war seine Stimme fest und kalt vor Zorn. „Wie könnt Ihr nur sowas sagen? Er ist Euer Sohn. Ist es Euch gleich, wenn er…!“ Die letzten Worte wollten nicht über Ardous Lippen kamen, als sich eine Klaue der Angst um sein Herz legte und es zu drückte. Lira verstand ihn dennoch. Mit vorsichtigen Schritten ging sie auf ihn zu. Sah ihm fest, aber auch sanft in sein aufgebrachtes Gesicht. „Nein, ist es nicht. Auch mir macht es Angst, dass mein Sohn womöglich…sterben könnte!“, sagte sie und in ihren Augen sah Adrou Tränen schimmern. Seine Wut flaute ein wenig ab. „Wieso lasst es Ihr dann geschehen?“ Lira antwortete nicht. Sondern hob die Hand und legte sie zärtlich auf Ardous Wange. Zuerst versteifte er sich bei der Berührung, dann aber entspannte er sich und schloss die Augen. Es war lange her, dass er die Berührung eines anderen zugelassen hatte. „Weil ich dennoch die Hoffnung habe, dass die Prophezeiung auch anders zu deuten ist!“ Die Inspiration, zu diesem Traum hatte ich als ich mir den Kurzfilm "Gravity!", auf Youtube anschaute. Hier der Link, falls Ihr ihn Euch ansehen wollt^^ Natürlich geht es in den nächsten Kapiteln weiter. https://www.youtube.com/watch?v=2m1Ek6Pjw7s Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)